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Legenden der Mitternacht

Phönixschwinge
von

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Des Fängers Beute

4 Kapitel: Des Fängers Beute
 

Eigentlich hatte er nicht erwartet so etwas wie eine Antwort zu bekommen. Schließlich war Nathaniel nicht nur äußerst verstimmt, die Angelegenheit schien tiefer in ihm zu sitzen, als Daramos vorerst annahm. Schadara oder „Der Jäger“, wie er sich nannte, schien ein Teil einer Geschichte zu sein, die ihm selbst heute noch Schmerzen zufügte und jede Frage, die Daramos stellte, ließen ihn schweigen. Seit vielen Stunden war sein Blick ruhig, aber von Trauer und Scham erfüllt, die sich nur wie ein leichter Schimmer über seine Augen legte. Seine Antwort war stets die selbe.

„Manchmal, wenn du etwas getan hast, kannst du nicht davon laufen und deine Augen verschließen. Es sind Dinge, die warten, die leben. Eine Erinnerung an etwas, dass seine Hand nach dir streckt und dich nicht loslassen wird. Schadara ist meine Erinnerung, Daramos. Und ich verdiene sie, das weiß ich“, sagte er leise.

„Könnt ihr ihn deshalb nicht töten?“, fragte der Junge. Trotz seiner Abneigung gegen Zauberer, war das Mitleid für Nathaniel in ihm erwacht und ließ ihn zumindest etwas Anteil haben. Es verdrängte die restliche Fahrt über seinen Spott und Hohn, selbst obwohl er nicht wusste, was damals im Leben des Gelehrten geschah.

„Es tut mir leid, dass er dich angegriffen hat. Ein derartiger Fehler wird mir nicht noch einmal unterlaufen. Schadara wird sich von uns fernhalten, sobald wir in Garandír sind. In der weißen Stadt ist der Einfluss der Königshüter groß genug, um jeweiliges Gesindel fernzuhalten“, meinte Nathaniel dann weiter und wechselte im selben Zuge gleichauf das Thema, „Es dauert übrigens nicht lang, bis wir da sind. Tha’Rakan erwartet uns sicher schon.“

„Wie ist der General denn? Die Geschichten, die man über seine Taten hört, überschlagen sich bei den Barden fast“, ging Daramos darauf ein und hoffte zumindest etwas von dem Trübsal, das sich wie ein Insekt an der Traumfeder über Stunden festgesaugt hatte, wieder los zu werden. Nathaniel schien ihm dankbar und gestattete sich ein Lächeln bevor er fort fuhr.

„Der Feuerfürst? Er ist ein großartiger Erbe erster Klasse. Der einzige, der ihm vielleicht in seiner Kunst das Wasser reichen kann ist entweder der Gildenleiter der blutigen Hand selbst oder der Flammenleser aus Garandír“, erwiderte der Alchemist und stieß mit dem Zeigefinger gegen seine Brillengläser als wollte er sich vergewissern, das sie noch da sind. Offenbar schien er einen kurzen Moment nachzudenken, ob seine Behauptungen überhaupt stimmten. Das änderte aber nichts daran, dass der Fänger wie immer verständnislos eine Augenbraue hob, wenn der Zauberer wieder mit Namen um sich schmiss, mit denen er nun reichlich wenig anfangen konnte. Er hatte bisher nie etwas über die Zusammenhänge und Gegebenheiten der äußeren Welt um Assyrál erfahren, bis auf die Kunde mancher Spielleute und Geschichtenerzähler auf den Märkten in Siegland. Wie man in Amunglad zu sagen pflegte: ‚Die wichtigste Angelegenheiten des Soldaten sind seine eigenen’.

„Tha’Rakan ist ein Erbe? Ein Erbe wovon?“

Für eine Weile schenkte ihm Nathaniel einen derart perplexen Blick, als hätte ihm jemand die Welt aus den Angeln gehoben.

„Fiurs Erbe natürlich. Weißt du etwa nicht…“, fragte er verwundert, brachte seine Worte aber nicht zu Ende als er Daramos’ halb genervtes und halb verzweifeltes Seufzen bemerkte.

„Schon gut. Die Menschen in Assyrál wissen offenbar nicht viel von der Welt und den fließenden Kräften“, gestand er ihm ein. Allerdings schien der Junge immer noch nicht zufrieden.

„Anhänger der blutigen Hand, also solche Magier, die die Blutmagie bevorzugen, werden gemeinhin Fiurs Erben genannt. Fiur ist der Geist des Feuers, auch Salamander genannt, falls dir das auch nicht bewusst ist“, erklärte er dann und blickte kurz missbilligend zu Daramos. Dieser zeigte jedoch trotz der Stichelei keine Regung und schien einfach abzuwarten, bis der Gelehrte fortfuhr. Allerdings tat er das nicht und so kehrte einige Momente Ruhe zwischen ihnen ein und machte dem Geräusch von Rädern platz, die über die gepflasterten Straßen dahinratterten. Da das Geklapper offensichtlich nicht von der Traumfeder selbst stammen konnte, schien es, als seien sie mittlerweile an einen wesentlich befahreneren Ort angekommen. Wohlmöglich fahrende Händler oder ein Spielmannzug.

„Ich habe einen Bruder in Garandír“, sagte Daramos plötzlich und starrte verloren die Decke an. Obwohl es keinen direkten Zusammenhang zu ihrem Gespräch zu haben schien, nickte Nathaniel.

„Leutnant Ferak, nicht wahr?“, fragte der Gelehrte vorsichtig nach, „Stimmt etwas mit ihm nicht? Du siehst besorgt aus.“

Gleichwohl sich der Junge ertappt fühlte, so ließ er es dieses Mal geschehen, dass ihn dieser Zauberer offenbar so gut lesen konnte wie ein offenes Buch. Im Gegenteil. Er hatte es fast gehofft.

„Das ist es nicht“, meinte Daramos und schüttelte den Kopf, „Ich hoffe nur ihm nicht zu begegnen.“

„Es ist wegen deiner Begleitung“, riet Nathaniel und prüfte einen Moment die Reaktion des Jungen, um sich zu vergewissern, ob er damit auch richtig lag. Die Wangen des Jungen röteten sich leicht als er weiterhin ohne ersichtlichen Grund die Decke mit seinem Blick durchlöcherte.

„Ja, natürlich. Zauberer sind…“

„Ich verstehe schon“, seufzte Nathaniel und hob rasch die Hand, um Daramos’ Einwand schon zu ersticken, bevor er überhaupt zum Antworten kam. Er lächelte, zeigte dass er die Ansichten des Jungen nicht übel nahm und fuhr dann fort.

„Das heißt: Eigentlich verstehe ich es nicht. Der Orden und das Militär sind uns Zauberern sehr misstrauisch gegenüber, dennoch sind die Magier der blutigen Hand in die militärische Struktur einbegriffen. Mehr noch! Es gibt genug Magier, die den Rang eines Obersts innehaben. Der zweithöchste Rang im Militär! Wie passt das denn zusammen?“

Darauf wusste der Fänger keine Antwort. Verblüfft schaute er dem Alchemisten ins Gesicht, doch er schien die Frage ernst zu meinen. Davon abgesehen, dass es äußerst ungewohnt war selbst einmal eine Frage beantworten zu müssen, war er auch noch von dem Sachverhalt selbst irritiert. Im Grunde hatte der Zauberer ja auch Recht. Die Armeemagier waren in seinen Augen auch etwas akzeptables, während die Schwarzkünstler und Giftbrauer aus Estérna ihm sauer aufstießen.

„Ich… weiß es nicht“, gestand er sich ein und verschränkte die Arme, „Ehrlich, ich hab keine Ahnung.“

„Das dachte ich mir schon. Die wichtigsten Angelegenheiten des Soldaten sind seine eigenen“, zitierte der Gelehrte den allseits bekannten Spruch und blickte Daramos durchdringend an. Dieser runzelte die Stirn, seufzte aber schließlich und ließ den Kopf hängen.

„Ich denke, manche Fragen stellt man besser erst gar nicht“, flüsterte er leise. Nathaniel nickte.

„Wäre wohl besser so.“
 

Garandír wurde auch im Volksmund gerne Silberturm genannt, sehr wahrscheinlich wegen den vier prächtigen Türmen, die sich wie weiße Finger in den Himmel streckten. Das Sonnenlicht wurde zur Mittagszeit von den silbernen Spitzen reflektiert und leuchtete über mehrere Meilen sichtbar im vollen Glanze. Der Anblick war geradezu unwirklich, fast magisch, wenn man dieses Wort überhaupt gebrauchen wollte. Jeder dieser Himmelstürme symbolisierte eine Tugend Anvaris: Gnade, Gerechtigkeit, Hingabe und Ausgeglichenheit.

Dies waren auch die Leitsätze der Ritterschaft des Ordens, die Paladine. Für Daramos als jungen Fänger waren diese Männer nicht nur ein Vorbild, sondern auch die Ikone für alles, was er verehrte. Die Paladine dienten dem Königreich als Wächter, aber auch als erbitterte Jäger und furchtlose Krieger, die ihre Gebote und das Reich entschlossen verteidigten. Ihnen verdankten die Bewohner Assyráls die Ruhe und Sicherheit, die im Land herrschten. Schon Dutzende Ketzer und Dämonenanbeter hatten sie gefunden und hingerichtet, um den inneren Frieden zu bewahren, der leicht wie eine welke Blume zu zertreten war, wenn man es zuließ. Häresie wurde weder von dem Orden noch von den Paladinen geduldet.

Für Träumer und Romantiker boten die Geschichten um die Heldentaten eines Ordenritters immer Grund für Balladen und Gedichte, auch Daramos wäre selbst gerne einst ein Paladin, mutig und rein, tugendhafter als jeder Andere. Doch ein Ritter zu werden, war Menschen wie ihm vorenthalten. Nur die Kleriker und Priester des Ordens, die die Weihe des Lichts in Berheim hinter sich gebracht hatten, konnten hoffen einmal ein heiliger Ritter zu werden. Nur Kinder, die das Mal des Lichtes trugen, wurden noch vor ihrem ersten Lebensjahr von den Eltern getrennt und in den Klöstern fernab der Reichsstädte aufgezogen. Sie waren diejenigen, die später Templer oder Paladin des Ordens wurden, heilige Männer und Frauen, die das Land vor Unheil und Dämonen schützte.

Einmal hatte es sogar in Amunglad ein Kind mit dem Mal Anvaris gegeben, ein kleines, helles Symbol über dem linken Auge des Jungen, einer goldenen Ranke nicht unähnlich. So etwas war en seltenes Ereignis in einem so unbedeutenden Fischerdorf wie Amunglad.

Damals waren Templer in das Dorf gekommen, um es abzuholen, jedoch ohne Rücksicht auf die Eltern, die ihr Kind mit aller Gewalt verteidigten. Doch es hatte ihnen nichts genützt, das Kind sahen sie nie wieder. Vermutlich wurde es in den Klosterschulen die Wege der göttlichen Kraft gelehrt, ohne je zu erfahren, wer seine Eltern waren. Daramos war noch sehr klein gewesen, doch er vergaß das Schreien der Mutter nie, die um ihr Kind gebettelt hatte. Doch mit der Zeit hatte er sich an die Umstände und an diese augenscheinlichen Ungerechtigkeiten gewöhnt. Die Templer taten dies ja nicht aus Boshaftigkeit, ihr Anliegen war von höherer Natur, dessen war er sich sicher.

Dennoch war das Flehen von Ketzern auf dem Marktplatz kein schöner Anblick. Er hatte den Scheiterhaufen und die blutigen Hinrichtungen noch nie leiden können, während manche Bewohner gaffend auf die sich windenden Körper glotze bis die letzte Faser ihres Lebens zu schwarzer Asche verglüht war. Jeder Mensch, ob er nun dem schrecklichen Schauspiel angetan war oder nicht, wusste jedoch, dass dies zu ihrem Besten war.

Die meisten, zumindest.
 

Das Gedränge auf dem Markt war groß und selbst durch das dicke Holz der Traumfeder hindurch konnte er das laute Gemurmel, Gezeter und Geschrei von Menschen, Tier und Andersartigen hören. Ab und zu öffnete Daramos die Tür zur Welt außerhalb der Kutsche und erhaschte so den ein oder anderen Blick auf die bunte Menge, die vielen Karren und Stände, sowie einige Barden und Spielleute. An einer Ecke stand auf einer kleinen Tribüne, umringt von einer Masse aus jubelnden und lachenden Menschen, einige Gaukler, Musikanten und Possenreißer in farbenprächtigen Gewändern und Masken von ausgefallener Fantasie.

In erster Reihe stand ein stämmiger Mann mit bunter Hose und nacktem Oberkörper, der Feuerfontänen in die Luft spie und hinter ihm Trommler und Lautenspieler, die eine wilde Melodie anstimmte. Der Feuerspucker selbst trug eine flache Drachenmaske mit schwarzen Hörnern auf dem Kopf, nur sein Mund war unverhüllt, damit das Holz der kunstvollen Gesichtsbedeckung kein Feuer fing. Die zwei Musikanten hinter ihm trugen geradezu pfeilspitze Wieselmasken, die ein breites und freches Grinsen zeigten. Neben ihm warf ein Gaukler in atemberaubender Geschwindigkeit unzählige Fackeln in die Höhe, nur um sie kurz vor dem Aufprall wieder sicher aufzufangen.

Von allen Maskeraden hatte er die witzigste. Es war ein grimmiges Gesicht mit breit herunterhängenden Backen und einer runzeligen Stirn, dazu baumelte ihm ein kleines Lichtkreuz um den Hals, wie es gerne die Priester des Ordens taten. Obwohl es nahezu blasphemisch war, erheiterte ihn der Anblick, nicht nur weil die Kostümierung einem Priester seines Dorfes erschreckend ähnlich sah. Auch der Mut der Spielleute, sich in derartigen Posen dem Publikum zu präsentieren, gerade noch in der Hauptstadt des Landes, beeindruckte ihn.

Ganz am Rande der Tribüne saß auch eine Frau, die bei der lauten Musik und den waghalsigen Kunststücken der Bühne fast unsichtbar wurde. Sie trug ein ganz und gar blutrotes Kleid, das recht kurz und luftig ihr über die Knie hing, dazu unzählige Glöckchen und Schellen an Hand- und Fußgelenk. Schuhe hatte sie keine, so waren ihre Füße auch etwas verdreckt.

Sie schien allerdings nicht aus Assyrál zu ein, denn ihre Hautfarbe war etwas dunkler und ihre Haare pechschwarz. Vermutlich ein Orbone oder eine Malatanin oder aus einem Land noch weiter entfernt. Sie trug die Maske eines ihm unbekannten roten Vogels und hatte eine zierliche Flöte in der Hand, doch er konnte sie durch den Lärm nicht spielen hören.

Aus irgendeinem Grund faszinierte ihn der Anblick, jedoch sicher nicht, weil ihm das Mädchen gefiel (mit einer Orbone würde er sich auf keinen Fall abgeben), aber sie schien etwas an sich zu haben, dass Daramos bisher an keinen anderen Menschen gesehen hatte, ohne genau benennen zu können was das war. Vielleicht war es nur wie sie so allein für sich spielte, dem ganzen Chaos und Lärm um sich herum zum Trotze. Vielleicht war es auch, weil ihn der Anblick der geheimnisvollen Maske anzog.

Gerade als er die Tür wieder schließen wollte, blickte das Mädchen kurz auf und schaute in seine Richtung als hätte sie seine Blicke bemerkt, auch wenn das wohl kaum möglich war. Das letzte was er sah, war ein kleiner schwarzer Fuchs, der ihr auf den Schoss sprang, ehe die Kutsche sich schloss.

„Wie ich sehe scheint sie dir zu gefallen“, scherzte Nathaniel als sich der junge Fänger wieder in seinen Sitz drückte. Prompt zuckte er zusammen als hätten ihn die Worte des Gelehrten wie ein Blitz getroffen.

„Woher…?“, rief er verblüfft, wurde jedoch wieder mal von dem Alchemisten unterbrochen. Dieser schnalzte mit der Zunge und setzte ein wissendes Lächeln auf.

„Hinterfrage niemals die Tricks eines Zauberers“, sagte er leise.

„Bildet euch nichts ein. Sie ist bestimmt eine Orbone. Mit so was würde ich mich nicht blicken lassen“, meinte Daramos genervt.

„Oh“, machte der Zauberer leise und blickte die Wand an, „Scheint mir als wäre der Hass auf die Orbonen in eurem Land noch nicht versiegt.“

„Warum auch? Sie sind dreckig und ketzerisch. Mit denen hat man nichts als Ärger.“

„Hm. Du scheinst wohl doch nicht ganz nach deinem Vater zu kommen“, stellte Nathaniel enttäuscht fest.

„Was soll das nun wieder heißen?“, meinte der Junge verärgert. Doch der Zauberer brauchte nicht mehr zu antworten. Die Traumfeder hielt just an.

„Scheint so, als wären wir angekommen“, sagte Nathaniel überflüssigerweise, stand von seinem Sitz auf und öffnete die Tür. Daramos folgte ihm kurz daraufhin, doch sie standen immer noch auf dem Markt, wenn auch ein Stück weiter weg vom hauptsächlichen Getümmel.

„Sehr gut, Waktu“, rief der Gelehrte zum Fuhrbock hoch, „Fahr die Traumfeder zur Gilde. Wir treffen uns dann dort.“

Dann wandte er sich zu Daramos.

„Wir laufen den Rest. Es ist nicht mehr weit.“

Der Junge nickt langsam und setzte gerade zu einer Antwort an, als ihn eine kleine Gestalt gegen die Hüfte stieß. Sonderlich groß schien es nicht, aber es war in einen dreckig, grauen Umhang gehüllt, sodass er nicht erkennen konnte, was darunter war.

„Hey, pass doch auf!“, rief er verärgert.

„Verzeiht“, murmelte das Männlein entschuldigend. Die Stimme klang ein wenig merkwürdig, fast als hätte es sich auf die Zunge gebissen. Bevor er jedoch nur eine Frage stellen konnte, eilte es schnell weiter.

„Merkwürdig“, murmelte Nathaniel und sah dem wegeilenden Stück Stoff nach, „Das scheint mir ein Andersartiger zu sein. Bis auf wenige Ausnahmen gestatten die Paladine deren Aufenthalt hier nicht.“

„Nun ist er weg, also kümmert das uns nicht mehr“, sagte Daramos und zuckte mit den Schultern. Ein plötzlicher Aufschrei ließ sofort zusammen zucken.

„Elende Drecksbeule“, fluchte Nathaniel ungewöhnlich heftig und laut für einen Gelehrten, „Dieses Vieh hat mir mein Geldbeutel geklaut!“

Der Fänger riss die Augen verwundert auf, konnte sich aber ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Jedenfalls nicht eher ihm auffiel, dass auch ihm etwas fehlte.

„Der Stein! Es hat den Beutel mit dem Stein mitgenommen!“, rief er erschrocken als er vorsichtshalber danach griff. Auf der Stelle vergas der Zauberer sein gestohlenes Geld, als er Daramos in fast schon panischer Angst anstarte.

„Die Waffe ist weg?!“, rief er außer sich.

Damit ließ auch der Fänger jede Vorsicht fallen. Mit einem kräftigen Sprung sprintete er in die Richtung los, wo das Männlein verschwunden war. Die Rufe des Alchemisten ignorierend, hechtete zwischen den Marktkarren hindurch, wich Stapeln von Kisten und Säcken geschickt aus und sprang, wenn nötig, auch über seine Hindernisse drüber. Auch das kleine Männchen, dass er wieder entdeckt hatte, schien es plötzlich eilig zu haben. Doch dies war für Daramos kein Problem mehr. Mehr als genug Kampfausbildung steckte in seinem Leib, als dass er sich von einem kleinen Dieb würde abwimmeln lassen. Doch die Jagt sollte noch einige Zeit dauern, denn auch das Männlein war nicht ungeschickt. Durch Gassen und Gänge der Hauptstraße eilend, versuchte es seinem Verfolger zu entkommen, auch wenn er nicht wenige Schritte hinter ihm lief.

Die gepflasterten Straßen zogen sich zwischen langen Häuserschluchten umher, immer kleiner und enger werdend, als wollten sie die beiden wie zwei Käfer zerquetschen. Das Sonnenlicht streifte die Dächer nur, doch konnte nicht durch die enge Spalte hindurchsickern, so waren die Gassen bald von einem schaurigen Dämmerlicht erfüllt, das graue Schatten an die steinernen Wände warf. Nur ein paar kleine Stufen oder Treppen unterbrachen die Wege hier und dort, machten das Labyrinth der Gossen nur umso verwirrender. Bald schon hatte Daramos die Übersicht verloren, genauso wie das Männlein, dass sich geschickt in diesem Wirrwarr zu bewegen wusste.

Dieses schlich sich eifrig in eine dunkle Ecke, beäugte mehrere Momente lang eindringlich die Umgebung, um sicher zu sein, dass ihm keiner mehr an den Fersen haftete. Nachdem einige Minuten verstrichen waren und es nicht mehr hörte als das Schlagen seines eigenen angestrengten Herzens, nahm es die beiden Beutel unter dem Umhang hervor, die er während der Jagt gut behütet an seinen Unterleib gepresst hatte, um sie nicht zu verlieren. Zufrieden prüfte es das Gewicht der ledernen Säckchen, denn der eine, den er dem Gelehrten abgeknüpft hatte, schien prall gefüllt. Vorfreudig lächelnd öffnete es die Schnurr am Beutel und spähte mit einem neugierigen Blick hinein. Sogleich wurde es mit dem glänzenden Funkeln von Gold- und Silberstücke begrüßt, welches ihm ein wohliges Gefühl bereitete. Das waren sicher mehr als 20 Gulden, weit mehr als es sonst sein eigen nennen konnte. Rasch ließ es den Beutel wieder unter dem Umhang verschwinden und widmete sich nun seiner anderen Beute. Zwar wog dieser deutlich weniger, dennoch war es gespannt auf seinen neusten Fang.

Doch weder Silberlinge noch Gulden traten am Grunde des Beutels zum Vorschein, sondern etwas, dass das Wesen bisher noch nie erblickt hatte.

Es war ein Stein mit einem satten, roten Ton, fast wie Kristall aus Blut. Es schien auch leicht gläsern, sodass man im Inneren einen Kern, eine Art Scheibe erkennen konnte, fast so als wäre ein Insekt in Bernstein gefangen. Eigentlich sah es sogar ganz hübsch aus, dennoch konnte das Männlein nicht das Gefühl loswerden, wertlosen Plunder geklaut zu haben. Aber vielleicht konnte man es ja für einen guten Preis verkaufen. Behutsam hob es die Tasche an und griff vorsichtig hinein, ehe ein gut platzierter Schuh es von den Beinen fegte. Mit einem lauten Platschen schlug es auf den Boden auf und rollte einige Meter weiter über die Steine der Gasse, ehe es zum stillstand kam. Als es etwas benommen zum Himmel schaute, sah es einen durchaus verärgerten jungen Mann vor sicht stehen, der schnaufend den Stein in den Händen hielt und das Männlein anstarrte als wolle er es fressen.

„Du… hast mich getreten!“, stellte das Wesen empört fest.

„Davon kann du mehr haben!“, rief Daramos und drückte dem Männlein sein Schuh in die Seite, bis es laut quietschte.

„Schon gut, schon gut! Tut mir Leid!“, rief es hilflos und verschränkte die Arme schützend über den Kopf. Doch der Fänger gab sich nicht damit zufrieden. Wütend beugte er sich zu dem Männlein herunter und riss ihm den dreckigen Umhang herunter… und starrte einige Sekunden verblüfft auf den Dieb.

Der Verdacht, dass es sich bei dem Wesen um einen Andersartigen, handelte traf vollkommen zu. Über seinen kleinen Körper spannte sich straff eine fleckige, hellblaue und grünliche Haut, die in einem hellen Ton schimmerte. Der Körper dagegen schien fast menschenähnlich, wenn auch leicht unproportional. Es hatte viel zu große, kräftige Beine mit watscheligen, breiten Füßen und auch ebensolche Hände. Zudem hatte es einen langen Schwanz, der in eine breit gefächerte Flosse endete. Flossen hatte es auch an den beiden Unterarmen, die sich einem Fächer ähnlich auf und zu spannten, als würden sie sich mit seinem Atem mitbewegen. Auch am echsenähnlichen Kopf, wo sich bei den meisten Wesen wohl die Ohren befanden, hatte sie diese Flossenfächer wie zwei breite Segel. Die großen, blauen Augen betrachteten Daramos mit einer Mischung aus Angst und Unsicherheit.

„Dachte ich es mir doch! Ein Andersartiger in Garandír! Warte bloß, bis ich dich dem Orden übergebe, die wissen was mit deiner Art anzufangen ist“, drohte er ihr und warf den grauen Stoffmantel achtlos in eine Ecke. Sogleich versuchte das Geschöpf zu entkommen, doch zu seinem Unglück wurde es vom Fänger rechtzeitig am langen Schweif festgehalten. Weinerlich jammerte es auf und blickte wie ein geprügelter Hund zu seinem Peiniger.

„Verzeiht mir, bitte, ja? Ich wollte nichts Böses. Lasst mich gehen“, bettelte es laut. Nun schien sich der merkwürdige Tonfall von selbst zu erklären. Das Echsenwesen lispelte etwas bei jedem Wort, schien aber generell eine recht hohe Stimme zu haben. Es erinnerte ihn ein wenig an eine merkwürdige Mischung aus einem Singvogel und einem Schlangenzischen.

„Nichts Böses? Ein Dieb bist du. So schnell entkommst du mir da nicht“, raunte Daramos und zog das Geschöpft noch etwas weiter zu sich.

„Abschaum. Dein Gewinsel rettet dich jetzt auch nicht mehr.“

„Ich bin kein Abschaum! Lasst mich los“, rief es erneut, doch der Fänger achtete gar nicht mehr darauf. Mit einem leichten Pfeifen maß er die Echse mit einem missbilligenden Blick.

„Und? Was willst du dagegen tun?“, fragte er boshaft. Sogleich stellte sich das Wesen mit beiden Beinen fest auf den Boden und schaute verärgert über seine Schulter zu dem Fänger.

Mit einem heftigen Ruck schlug es den Schweif, mitsamt Daramos gegen die Wand, der aufgrund der Überraschung kaum Zeit zum reagieren hatte. Heftig knallte er mit der Schulter gegen den Stein und stürzte fluchend zu Boden. Die kurze Zeit nutzend entwischte die Echse seinem Griff und stolperte rasch von dem Jungen weg. Doch es verschwand nicht gleich erneut in den Gassen der Stadt, sondern drehte sich zu dem Fänger um und streckte ihm die lange Zunge raus.

„Bäääääh!“, rief es laut und wartete einen Moment auf die Reaktion des Jungen. Diese ließ eine Weile auf sich warten, denn Daramos starte nur eine Weile verblüfft auf diese freche Kreatur, bevor seine Gesichtsfarbe allmählich in ein tiefes Rot überging.

„Du kleines Mistvieh!“, schrie er laut und stürzte sich auf das Wesen, doch das sprang leichtfüßig von ihm weg und ließ ein lautes Kichern vernehmen. Dies hielt so lange an, bis es bei seinen Weg aus der Gasse gegen ein Hindernis stieß.

Und dieses entpuppte sich bei genauer Betrachtung als ein böse dreinblickender Zauberer.

„… Wie unfair“, murmelte das Wesen leise. Nathaniel lächelte hämisch.

„Du hast mein Geld“, sagte er tonlos. Die Echse blickte betroffen zu Boden.

„Ja?“, murmelte es.

„Ich bring es um! Ich sage dir! Ich bring das Vieh um“, knurrte Daramos laut und stand langsam wieder auf.

„Beruhig dein Blut, Daramos“, sagte der Alchemist und hob beschwichtigend eine Hand, während sich die andere fest um den Nacken der Kreatur legte, „Wenn wir sie dem Orden übergeben ist für Gerechtigkeit gesorgt.“

Sowohl er als auch der Junge ignorierten sogleich das erschrockene Gewinsel der Echse, während sich der Fänger noch immer verärgert über die Haare strich und sich versuchte etwas zu beruhigen.

„Was ist das überhaupt?“, fragte er mit einem bösen Blick auf die kleine Kreatur.

„Ein Squama. Oder genauer gesagt ein Ilthid. Das sind kleine amphibisch-humanoide Kreaturen in den tiefen Sümpfen der Süderlande. Ich hab aber noch nie erlebt, dass so ein Wesen sich so weit aus den Sümpfen wagt, eigentlich sind sie sehr scheu den anderen Völkern gegenüber“, erklärte der Gelehrte und schüttelte die Echse im Nacken.

„Gibt es einen Grund, warum du hier bist?“, fragte Daramos mit zusammengezogenen Augenbrauen. Als Antwort konnte er eine Weile dem Ilthid dabei zusehen, wie er ihm die Zunge herausstreckte.

„ARGH!“, knurrte Daramos, doch Nathaniel hinderte ihn daran sogleich wieder auf die Echse loszugehen.

„Beruhig dich doch mal. Es gibt keinen Grund diesem Wesen weh zu tun. Es ist auch gar nicht an uns den Squama hier zu bestrafen“, sagte er bestimmend, während ihm von dem Ilthiden in die Hand gebissen wurde. Laut schreiend ließ er die Echse los und steckte sich die blutende Seite in den Mund. Die Kreatur konnte sich unterdessen sofort befreien und rannte so schnell wie sie ihre Beine trugen davon. Der Gelehrte reagierte gleich und griff in seinen Gehrock, um eine kleine, orange schimmernde Flasche hervor zu ziehen und sie dem Ilthiden hinterher zu schleudern. Das Gefäß verfehlte um haaresbreite, doch die Flüssigkeit entflamme sofort in einer Feuersäule.

Das Wesen blickte sich erschrocken um, doch schien sich in Sicherheit zu wiegen, wenigstens für einen Moment, denn schon streckte der Alchemist seine linke Hand nach ihr aus, die sofort in einem roten Schimmer aufleuchtete.

„Pehwr! Fang sie!“, rief er laut.

In einem lauten Dröhnen explodierte die Flüssigkeit erneut als das Feuer wie ein Geschoss in einer rasenden Geschwindigkeit durch die Gasse hetzte. Erschrocken schrie der Ilthid auf und warf sich wimmernd auf den Boden, während die züngelnden Flammen über seinen Kopf hinweg rauschten.

Dann kehrte urplötzlich Stille ein und der Moment blieb wie ein geradezu absurdes Bild wortwörtlich stehen. Daramos starrte ungläubig die Gasse hinunter, Nathaniel hatte weiterhin den Arm wie eine Waffe von sich gestreckt, der Ilthid lag jammernd am Boden und das Feuer… schien zu warten. Es hatte sich förmlich vor der Echse aufgebaut und versperrte ihr den Weg. Nur ganz langsam hob es den Kopf und starrte von Schreck erbleicht in die still stehenden Flammen.

„Buh!“, rief das Feuer laut. Mit einem markerschütternden Schrei sprang der Ilthid zurück, lief kreidebleich an und fiel vor lauter Schreck auf den Rücken und blieb dort benommen liegen. Aus den unbewegten Flammen erschall dagegen ein lautes Lachen, während sich eine nahezu menschliche Gestalt aus dem Feuer formte. Auch Nathaniel gestattete sich ein leichtes Lächeln.

„Ha! Gut gemacht, Pehwr. Fasst wäre sie mir entkommen“, sagte er erleichtert und leckte sich das Blut von der Hand.

Daramos dagegen war so perplex wie zuvor und blickte die Flammengestalt aus großen Augen an.

„He-hexenwerk! Te-teufelszeug! Magie! Das ist…“, stotterte er erschrocken, wurde aber wieder von Nathaniel unterbrochen.

„Unsinn“, rief er laut und zog ein weiteres blütenweißes Taschentuch hervor, um das restliche Blut von seiner Hand zu putzen, „Ich sagte doch, dass ich keinerlei magische Fähigkeiten habe. Was du hier siehst, ist nichts als reine Alchemie.“

Mit den letzten Worten deutete er auf die Flammefigur, die ihre Hände in die Hüfte stemmte und sich offenbar gerne von Daramos mustern ließ.

„Alchemie“, murmelte er verstört und fuhr sich durch die Haare.

„Exakt. Das ist ein Kaubuk, ein alchemistischer Geist. Ich habe zwei davon, Pehwr und Isarn, ein Feuer- und ein Eisenkaubuk. Sie erlauben mir die Kontrolle über ihr Element“, erzählte der Gelehrte als würde er eine Vorlesung für einen seiner Schüler halten.

Der Fänger antwortete nicht gleich. Stattdessen ging er in seinem Kopf durch, wo er den Namen „Isarn“ schon mal gehört hatte. Vermutlich auch von dem Alchemisten. Er rief in zweimal, einmal um die Schüssel schweben zu lassen und das andere mal, um die Ketten des Jägers aufzuhalten.

„Ich… verstehe. Aber wirklich beruhigen tut mich das nicht. Ihr… Zauberer habt teuflische Kräfte“, raunte er und schüttelte den Kopf, „Was hab ich verdient, um mich mit so was abgeben zu müssen?“

„Mecker nicht!“, befahl ihm Nathaniel, steckte sich das Taschentuch zurück in den Gehrock und schritt gemächlich den Gang entlang, „Wir kommen zu spät.“

„Und was tun wir damit?“, fragte Daramos und deutete auf den Ilthid, der starr wie ein Brett auf den Boden lag und völlig fertig mit sich und der Welt schien. Der Gelehrte wandte sich um und bedachte beide mit einem nachdenklichen Blick.

„Nimm ihn mit. Wir wollen uns nicht noch weiter verspäten. Den Squama können wir auch später dem Orden übergeben“, sagte er und ging dann gemütlich weiter, als würde er ein Spaziergang unternehmen. Als er an der Feuergestalt vorbeikam, löste sie sich in einem Windhauch auf.

Der Fänger seufzte, schüttelte den Kopf und starrte Nathaniel genervt nach.

„Anvari stehe mir bei“, seufzte er, schnappte sich den Ilthid und schwang ihn wie ein Kartoffelsack über seine Schulter. Das Wesen wehrte sich auch nicht mehr und lag schlaff und bewegungslos auf seinem Arm.

„… F-feuer“, murmelte es benommen und zuckte kurz mit dem Kopf.

„Ja, kann ich verstehen“, sagte der Fänger mehr zu sich selbst als zu der kleinen Echse und lief dem Zauberer eilig nach.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -Catayane-
2010-03-30T11:55:29+00:00 30.03.2010 13:55
Wiedermal ein reichlich amüsantes Kapitel (bin ja gar nicht schadenfreu XD)
Interessant war es schon, die Sache mit den Elementargeistern zu erfahren und auch diese kulturellen Vorurteile näher beleuchtet zu bekommen. Wirklich sehr erstaunlich.

Na ja, in der Rechtschreibung waren hier und da kleine Fehlerchen (Jagd hast du bspw. immer mit "t" geschrieben) und halt die ein paar Nebensätze ohne Kommas - ansonsten eine klasse Arbeit.

Grüße, Catty


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