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Stumme Tränen

Darfst du mich denn lieben, Inuyasha?!
von

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Ein neues Leben

So fing jeder Tag von Anjaani Arora an. Kaum verließ sie ihren Bus, der sie von ihrer Wohnung am Rande Tokios zur Oberschule brachte, war sie gezwungen zu lachen.

Dabei hatte sie das Gefühl, sie lebe schon lange nicht mehr richtig.

Anjaani war ganz allein. Eine Familie hatte sie nicht mehr... eigentlich nie gehabt.

Ihre Eltern hatten sie vor einem Jahr verstoßen uns verlassen, um ohne sie wieder in Indien zu leben.

Aufgrund rechtlicher Beschlüsse, erhielt Anjaani von ihnen monatlich genug Geld, um alle nötigen Kosten zu decken. Das war das einzige, was sie von ihrer Mutter noch hatte, ihr Name auf den Kontoauszügen. Viel mehr hatte sie von dieser Frau nie gehabt. Diese Frau, die sie von Geburt an verabscheut hatte. Nie hatte sie Mutterliebe erfahren können.

Von klein auf war Anjaani nie geliebt worden, außer von ihren Freundinnen. Yuki, Yoko und Yami Higurashi waren Drillingsschwestern, die die indische Schönheit wie eine Schwester behandelten.

Die Freundinnen verschönerten ihren Tag, bis die Nacht hereinbrach und mit der Finsternis auch die Einsamkeit brachte.

Heute war der 10. März. Auf den Tag genau war es jetzt ein Jahr her, dass Anjaani ihre Freude verloren hatte.

Schon 12 Monate, wie die Zeit verflog! Und sie hatte immer noch das Gefühl, sie stecke zwischen Sekunden fest.

Den Drillingen war dieser grauenhafte Tag nur allzu bekannt, aber sie ließen sich nichts anmerken. Ihre Fröhlichkeit bekam keinen noch so winzigen Riss. Sie quasselten und alberten herum wie immer und das indische Mädchen lachte mit. Was wäre sie nur ohne ihre seltsamen Freundinnen? In einem gedankenverlorenen Moment betrachtete Anjaani die deutschstämmigen Japanerinnen. Sie sahen alle genau gleich aus, nur in der Farbe ihrer Klamotten unterschieden sie sich. Anjaani wusste an der Person mit den Skizzenblog in der Hand und der blauen Schleife im Haar, dass diese ihr Yuki-Hase war. Yami-Maus trug eine grüne Schleife im Haar und sang ihnen eines ihrer selbst komponierten Lieder vor, so schön, das es den Teufel bekehren könnte. Yoko-Neko mit der roten Schleife, war multitaskingfähig, kommentierte Yamis Liedtext und korrigierte gleichzeitig die Schulaufsätze. Was noch bewundernswerter war, da sie einen japanischen Text las, aber Hindi sprach. Die Freundinnen hatten für Anjaani Hindi gelernt, sie sprachen untereinander keine andere Sprache, was das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkte.

Dies war aber keine große Sache, da die drei Sprachtalente mehrere Sprachen fließend beherrschten.

Leider, nur leider versteckten die Schwestern ihre wunderschönen hellbraunen Augen hinter gefärbten Kontaktlinsen. Was der Schönheit der Drillinge aber keinen Abbruch tat. Sie waren atemberaubend. In ihren glatten, ebenmäßigen Gesichtern, konnte man sowohl östliche, als auch weltliche Züge erkennen, was sie weit exotischer aussehen ließ als die hellhäutige Inderin. Anjaani beneidete ihre Schönheit.

„Aani, mein Herz!“ Sie schreckte aus ihren Gedanken auf. War die Zeit wieder stehen geblieben? Mit ihren riesigen, fast schokobraunen Augen, sah sie Yuki an, die gerade ihre naturgetreue Skizze einer mächtigen Eiche unterbrach.

„Geht es dir gut, Aani-Schatz? Liegt dir was auf dem Herzen?“

Ihre besorgen Blicke machten Anjaani Gewissensbisse. Gerade Yuki wollte sie mit ihrem Leid verschonen. „Warum soll ich sie mit meinem Leid quälen? Sie können doch nichts dafür. Und gerade Yuki hat es doch schwer genug mit mir."

Sie schüttelte ihren schwarzen Zopf und lachte herzlich. „Ach, Yuki-Häschen! Ich war nur in Gedanken versunken… Nein, ich habe nicht an Raj gedacht“, wandte sie sich schnell an Yoko.

Verdutzt schwiegen alle drei, jedes Mal von neuem überrascht, wenn die Inderin ihre Gedanken vorausahnte. „Ich habe nur daran gedacht, wie wundervoll ihr seid.“

„Wundervoll?“, kicherte Yami. „Du meinst in Wirklichkeit wundersam, nicht wahr?“

Anjaani verbrachte einen unbeschwerten Tag mit ihren Freundinnen, doch im Nachhinein erinnerte sie sich an nichts. Als wäre alles an ihrem Inneren vorbeigezogen. Nun saß sie im Bus auf dem Heimweg, starr aus dem Fenster hinausblickend.

Es regnete wieder, oder weinte der Himmel an ihrer Stelle? Seit dem Vorfall hatte sie keine Träne vergossen, kein Ausbruch, kein Zusammenbruch, gar nichts. Es herrschte nur diese lähmende Leere in ihrer Seele, die so schmerzhaft drückte. Sie hatte es unter Kontrolle, aber sie konnte nicht verhindern, dass es sie quälte. Leben tat der ehemalige Sonnenschein nicht mehr wirklich. Und sie wünschte sich so sehr ein neues Leben. Sie wünschte sich ihre Erlösung herbei. Ihr persönlicher Engel mit den bernsteingoldenen Augen und den Haaren wie Mondenschein, der ihre Träume heimsuchte. Er allein, dieser Traum, bewahrte sie vor dem Zusammenbruch. Saajan... „Geliebter“. Saajan, ihre Sonne, ihre Sehnsucht. Dank ihm war nie eine Träne gefallen, der Druck war nicht geplatzt, um sie mit einem unsäglichen Schmerz zu zerstören.

Anjaani wusste warum. Durch ihn, gelang es ihr, den Vorfall und alle seine Folgen weit hinter die Mauer in ihrer Seele zu verdrängen. Die Einzelheiten des genauen Verbrechens hielt sie ihren Erinnerungen fern. Alles davon verschloss sie vor ihrem Herzen. Aber irgendwann würde sie unter dem Druck zusammenbrechen. Das wusste sie. Saajan ist und bleibt ein Traum. Er würde nie kommen, um sie zu erlösen. Irgendwann würde ihr Herz dies einsehen.

Langsam schlurfte sie das Treppenhaus hoch in den fünften Stock. Donnerstag war der einzige Tag der Woche, den sie alleine in ihrer Wohnung verbrachte. Wie sehr sie die Einsamkeit hasste. Aber einen winzigen Vorteil hatte die Abwesenheit der Drillinge: Der Aufzug konnte gemieden werden! Anjaani, an ihre Fitness denkend, rannte die Treppen hoch. Sie gönnte ihrem Körper nie den Luxus der Faulheit, wenn es sich vermeiden ließ. Deshalb war sie kaum aus der Puste, als sie die Tür ihrer verlassenen 2-Zimmer-Wohnung öffnete.

Müde holte sie die Fernbedienung aus dem Bücherregal und war leider etwas ungeschickt dabei. Etwas fiel zu Boden. Eine innere Stimme schrie ihr zu, dies zu ignorieren, sich nicht umzudrehen. Einfach ignorieren, Schuhe ausziehen und hinsetzen...

Doch sie tat es. Ein Buch war runter gefallen. Dazwischen war - ihr stockte der Atem - sein Bild! Rajesh Malhotra, ihr ehemaliger Verlobter.

Der Anblick des einst so geliebten Gesichts raubte ihr die Kraft. Anjaani fiel zitternd auf die Knie. Den Blick konnte sie nicht von seinen goldbraunen Augen wenden. Diese eiskalten, goldenen Augen.

Plötzlich brach die Mauer zusammen und der Schmerz tobte frei in ihrer Brust, schien sie auseinander zu reißen. Tränen brachen aus. Alles verschwamm vor ihren Augen.

Sie sah nur noch Raj. Spürte, wie seine Hände grob wurden, sie schlugen, sie vergewaltigen wollten. Rajs Augen voller Wahn. Seine gierigen, brutalen Lippen. Seine Worte, die sagten, dass sie wertlos sei, vier Jahre an sie vergeudet waren. Die Schmerzen, die er ihr zugefügt hatte. Das viele Blut. Er ging, verließ sie. Ließ sie liegen, verletzt, zerstört, zerfetzt. Dann das Quietschen bremsender Autoreifen... Schreiend stürzte Anjaani in eine bodenlose Dunkelheit.

Kälte drang zu ihr. Erst da merkte sie, dass sie rannte. Sie wusste nicht wohin, ihre Augen waren zugeschwollen vor lauter Tränen. Sie lief nur. Weg, einfach weg von hier! Von allem! Weg von den schlimmen Erinnerungen, die noch kommen würden, die schlimmsten Erinnerungen...

Ihr Atem keuchte, ihr Haar flatterte, ihre Lunge brannte. Plötzlich kippte die Welt und ihr Kopf explodierte.

Es dauerte lange, bis sie wieder zu sich kam. Der Schmerz ihres gebrochenen Herzens raste in ihrem Körper und lähmte sie.

Anjaani lag auf dem nassen, kalten Boden, frierend, verletzt, hoffnungslos. Der Kopf hämmerte wie wild und vor ihren Augen tanzten Funken. Sie fasste sachte an die pochende Beule hinter der Schläfe.

Ihr einziger Gedanke war, sie wollte sterben. So schnell und schmerzlos wie möglich, bevor ihre schlimmste Erinnerung auftauchte und sie voller Qualen umbrachte.

Aber warum blieb sie dann nicht einfach regungslos liegen, auf den Tod wartend? Eine Stimme rief, eine ihr so bekannte, geliebte Stimme, dass sie bis in den dunkelsten Ecken ihres Herzens widerhallte. Die Stimme, die sie nie verließ. Die Stimme die kam, wenn nichts mehr blieb... Und immer, wenn sie rief, folgte Anjaani. Die Stimme, die ihr Hoffnung und Lebenskraft gab, wie nichts auf der Welt. Saajan... Ihre Sehnsucht. Ihr Körper bewegte sich wie von selbst, dem samtenen Raunen Saajans entgegen. Langsam kroch sie auf allen Vieren voran. Sie zitterte zu sehr, um sich aufrichten zu können. Warum ging sie weiter? Sie wollte doch gar nicht weiter. Warum rief er sie immer dann, wenn sie nicht mehr konnte? Warum folgte sie stets? Warum war die Sehnsucht nach ihm so übermächtig? Er war nur ein Hoffnungsbild ihrer Fantasie. Ein weißhaariger Engel mit bernsteingoldenen Augen. So jemand war nicht echt! Es gab ihn nicht! Und doch war er so stark.

Einfach hier liegen bleiben und sterben, warum nicht? Vielleicht würde sie ihrem Engel im Himmel begegnen? Die junge Frau legte sich flach auf den Bauch, als ihre Hand plötzlich etwas berührte. Etwas Warmes, Weiches. Vor Überraschung schrie sie auf und saß kerzengerade da. Das, was sie gefühlt hatte, war Haut. Menschliche Haut. Vor Angst verkrampfte sich ihr Magen. Aber das, was sie da erblickte, verzauberte sie. Der Anblick bannte sie so sehr, dass sie wie berauscht war.

Ein junger Mann lag auf dem Boden, gekleidet in einem altmodischen roten Kimono. Die Straßenlaterne beleuchtete sein entspanntes, schlafendes Gesicht. Er sah so gut aus, selbst in dieser lächerlichen weißen Perücke mit den kleinen Katzenohren. Anjaani vergas alles um sich herum. Wie in Trance berührte sie die warme Haut seiner Wange, die viel heller war als ihre. Seine vollen, dunklen Lippen waren leicht geöffnet. Sie spürte seinen gleichmäßigen, fast heißen Atem. Er sollte die Augen öffnen... goldene Augen kamen ihr in den Sinn. Golden, wie heller, klarer Bernstein. Die Augen, von denen sie immer träumte. Saajan? War das Saajan? Tatsächlich! Ihr stockte der Atmen. Er hatte das gleiche Gesicht wie der Engel in ihren Träumen. Sogar das lange Haar war genau gleich.

Aber Saajan war das Sinnbild ihrer Sehnsucht, er existierte nur in ihrem Herzen! Nein, das musste ein Cosplayer sein. Wenn ja, wen stellte er da? Weiße Haare und weiße Ohren? Und warum schlief er mitten in einer Seitengasse? Sie strich durch die seidigen weißen Haare, die sacht im Licht der Straßenlaterne schimmerten. Neugierig zog sie daran, doch die Perücke saß fest.

Sie sah genauer hin...

Nein, es waren echte Haare! So lang und silberweiß. Ist das ein Albino? Ob er rote Augen hatte und nicht die erwarteten goldenen? Sacht wollte sie ihm die Haare hinters Ohr streichen. Doch da war kein Ohr! Er hatte keine Ohren!

Dann waren diese Katzenohren auf den Kopf also echt?! Das musste sie herausfinden! Von Neugier gepackt, beugte sie sich näher, als er auf einmal ein lautes Knurren ausstieß.

Ihr Herz setzte in dem Moment aus, als sie herumgewirbelt wurde und von dem Körper des Albinos gegen den Boden gedrückt wurde. Das hilflose Mädchen schrie vor lauter Panik auf, als der Mann auf ihr lag und seine Fingernägel in ihre Schultern grub. Sie wehrte sich blind vor Angst.

Das böse Knurren stieß mit seinem heißen Atem an ihr Ohr. Anjaani wurde so schwindelig, dass ihre Arme, die versucht hatten, ihn von sich runter zu drücken, plötzlich weich wie Gummi waren. Und dann sah sie seine Augen...

Goldene Augen starrten sie voller Wut an. Golden, wie heller, klarer Bernstein...

Ihre Sinne versagten und sie versank in der Schönheit dieser goldenen Tiefen. Alles andere war vergessen.

„Wer bist du?“ Diese tiefe Stimme, die ein einziges wütendes Knurren war, ließ ihr Blut stocken. Das war Saajans Stimme!

„Wer bist du?“, wiederholte er zornerfüllt.

Und ihr Zittern erstarb, ihr Angst verpuffte. „Anjaani“, brachte sie leise hervor.

„Was soll das?“, schrie der Mann wütend. „Was machst du da? Und wo bin ich hier?“ Er schüttelte das schöne Mädchen unsanft. „Antworte!“

Immer noch wehrlos in dem goldenen Strahlen versunken, brachte sie mit atemloser Stimme hervor: „Ich heiße Anjaani. Bitte, du tust mir weh.“

Sofort ließ er sie los und sie nutzte sie Situation. Doch sich aufzurichten, war leichter gesagt, als getan, wenn jedes Körperteil schmerzte.

Die Angst vor dem Fremden kehrte zurück, ließ ihr Herz unangenehm pochen. Saajan würde ihr nie etwas antun... er war ein Engel!

Da drang ihr Rajs Gesicht ins Gedächtnis und alles war wieder egal.

„Ich bin ein Freund“, erklärte Anjaani tonlos. „Ich fand dich hier auf der Straße. Wer bist du?“

Er schloss resignierend die glühenden Augen. „Ich weiß es nicht.“ Seine Stimme war so samtweich, so wunderschön! Seine Worte klangen sanft, einsam, verloren, sodass sie reflexartig ihre Hand auf seine Schulter legte.

„Hey, fass mich nicht an, stinkender Mensch!“

So ließ sie sich nicht behandeln. Auf wackeligen Knie stand sie auf, drehte sich um und ging weg. Sie hatte Männer satt. So satt!

„Hey, sag mir wo ich bin“, knurrte er ihr hinterher.

„In Japan“, murmelte Anjaani nur.

„Warte!“

Sie blieb stehen.

„Ich weiß nicht, warum ich dich stinkender Mensch genannt habe. Du duftest schön, ich kenne deinen Geruch sogar, glaube ich.“

Sie ließ sich von den reuevollen Worten nicht täuschen, aber das Verlangen, seine goldenen Augen wiederzusehen, war stärker und sie drehte sich um. Er stand direkt hinter ihr, groß, kräftig und so männlich...

„Ich habe gar kein Gedächtnis mehr, ich weiß nicht woher ich komme.“

„Warum nennst du mich Mensch?“

Er sah sie an. Ein Blick, der ihr unter sie Haut ging. Und plötzlich bemerkte sie, dass seine Pupillen nicht rund waren, sondern kleine, schwarze Schlitze. Langsam verebbte sein Zorn und seine Pupillen weiteten sich, wurden groß und rund.

„Ich habe keine Lust, das groß zu erklären.“ Vorsichtig nahm er ihre Hand und legte sie auf seine Ohren. Überracht realisierte sie seinen langen, krallenförmigen Fingernägel. Anjaani zuckte zurück. Echte Ohren! Das waren wirklich echte Ohren. Und erst jetzt bemerkte sie eine langen spitzen Eckzähne, die wie Perlen zwischen seinen leicht geöffneten Lippen schimmerten. Dann begriff sie: Er war ein Dämon! Ein leibhaftiger, gefährlicher, böser Dämon! Sie hatte noch nie einen aus der Nähe gesehen. Er war nicht Saajan, denn ihr Saajan war kein Dämon, sondern ein Engel!

„Woher kommst du?“ Sie wunderte sich selber, warum sie so gleichgültig war, da seine Nähe und seine Berührung ein einziges Durcheinander in ihrem Bauch verursachten.

Einem Dämon begegnete man schließlich nicht alle Tage.

„Ich weiß es nicht, verdammt noch mal, du taubes Weib, ich weiß gar nichts!“ Er schrie sie unerwartet an. Ein Hitzkopf war dieser Dämon und verdammt aggressiv. Aber Anjaani war zu erschöpft, um zu streiten.

„Du wirst mir helfen.“ Er klang so selbstverständlich. „Sonst töte ich dich.“

Anjaani sah ihn an und lächelte traurig. „Tu das, ich habe nichts zu verlieren.“ Als er tief in ihre verlorenen Augen sah, veränderte sich etwas in seinem Gesicht. Er trat zaghaft einen Schritt auf sie zu. „Ich auch nicht.“

Was sie tat, konnte sie sich selbst nicht erklären. Aber sie tat es, weil sie eine Verbundenheit spürte. Sie fühlte sich plötzlich nicht mehr einsam. Der fehlende Teil in ihre war ersetzt worden. Und dieser Teil band sie an den unfreundlichen Mann mit den Sonnenaugen. Anjaani nahm ihn mit sich. Sie wollte ihm helfen, sich selbst zu finden.

„Wenn du nichts weißt, weißt du wenigstens, wie du heißt?“, fragte sie ihn beim Zurücklaufen. Was heißt laufen? Anjaani humpelte eher, als dass sie lief. Doch sie ignorierte ihre schmerzenden Beine. Sie war neugierig auf den Namen eines Dämons. Wie heißt wohl so ein gefährlicher Typ, der doch so niedliche Katzenohren hat? Ist ein Katzendämon überhaupt gefährlich?

Der Katzenmann, der die ganze Zeit hinter ihr gewesen war, lief auf einmal neben ihr und runzelte kurz die Stirn, sah Anjaani dabei aber nicht an. Sie wartete so gespannt auf diese weiche, tiefe Stimme, der immer ein leises Knurren mitschwang. „Ich heiße Inuyasha.“

Und die Wärme seiner Augen erfüllte ihr ganzes Sein.
 

Warm war es, so warm. Anjaani wusste, dass sie träumte, aber eben deshalb wollte sie nicht aufwachen. Das Mädchen sah sie, diese goldenen Augen. So wunderschön! Er lächelte sie an... Inuyasha. Ihr Engel... nein, ihr Dämon!

Die verträumte junge Frau sah Inuyasha in ihren Träumen, ihren wundersamen, wunderbaren Saajan.

Silberweiße Haare wie Mondlicht, Augen wie die Sonne. Sanft strich sie über das schöne, markante Gesicht. Er schlang seine Arme um ihren zarten Körper und drückte sie fest an sich. Inuyashas Körper war so hart, wie aus Stein gemeißelt. Doch diese Haut war so weich, so unendlich weich...

Süße Hitze wallte in Anjaani auf. Ein Blick in seine Augen und sie war verloren.

Ihre Hände fanden von selbst seinen Nacken und zogen ihn zu sich. Sein Atem war warm wie ein Sonnenstrahl. Wie schmeckten seine Lippen? „Küss mich doch endlich…“

Sie wartete... nichts geschah. Als sie irritiert die Augen öffnete, blickte sie in das Gesicht ihrer Alpträume. „Du gehörst mir“, zischte Raj leise.

Schreiend fuhr sie im Bett hoch. Ihr Herz raste und sie zitterte schockiert.

„Anjaani! Was ist passiert?!“

Anjaani starrte den Mann, der in ihr Zimmer gerannt kam, verwirrt an. Sie brachte kein Wort heraus- die Stimme steckte ihr in der Kehle fest.

„Was schaust du mich so an? Habe ich was im Gesicht?“

„Inu... yasha?“ Unmöglich! Er war doch eine Traumgestalt! Ein Produkt ihrer Fantasie!

„Wer denn sonst?“

Ihr Kopf schmerzte von dem Aufprall am Boden gestern und sie sank stöhnend in die Kissen zurück. „Was ist passiert?“, hörte sie sich leise murmeln.

„Du bist gestern in der Küche plötzlich zusammen gebrochen. Du warst völlig fertig.“

Anjaani erschrak, wie hatte er das gehört? Sie hatte so leise gesprochen...

„Geht es dir gut, Anjaani?“

Es war also kein Traum gewesen...

„Hey, ich habe dich etwas gefragt!“

Das gestern ist wirklich passiert...

„Sag mal, hörst du mich nicht!“

Inuyasha gibt es wirklich...

„Bist du taub, oder was?! Halloooo!“

„Sei ruhig, ich denke nach!“, brüllte sie ihn aus vollem Leib an. Er zuckte zusammen und hielt sich die Katzenohren zu.

„Du siehst doch, dass es mir nicht gut geht!“

„Dann musst du nicht schr-“

„Was machen wir jetzt?“, unterbrach sie seine aufkommende Schimpftriade. Sie hatte keinen Nerv für Diskussionen mit einem Katzenmann und versuchte die Lage ganz schnell auf den Punkt zu bringen.

„Häh?!“ Ihr Stimmungswechsel überrumpelte ihn.

„Was machen wir mit dir? Wir müssen überlegen was wir jetzt tun.“ Da fiel ihr Blick auf die Uhr. „Mist, aber erst nach dem Unterricht!“ Sie sprang aus dem Bett, wankte jedoch heftig. Funken tanzten vor ihren Augen.

„Pass auf!“ Er fing sie in seinen Armen auf und prompt schlug ihr Herz schneller. Sie hob den Blick zu seinen Augen. Röte breitete sich in seinem Gesicht aus, als er in ihre unendlich scheinenden Tiefen blickte, die von sehr langen, sehr dichten schwarzen Wimpern umrahmt waren. So nah...

„Tut mir leid“, stammelte er verlegen und schob sie leicht von sich weg. Wortlos verschwand Anjaani im Bad. Sie fürchtete, er konnte ihren lauten Herzschlag hören.

Unter dem warmen Wasserschauer der Dusche konnte sie ihre Gedanken ordnen.

„Inuyasha ist also wirklich echt. Es gibt ihn wirklich. Ich fass es nicht!“

Ein atemberaubend attraktiver, starker Mann befindet sich in ihrer Wohnung. Ein gefährlicher Mann. Ihr Bauch kribbelte. Himmel, sie wird sich doch nicht etwa verlieben!

Vier Jahre mit Raj. Vier Jahre hatte sie ihn bedingungslos geliebt, geglaubt, er sei ihre einzig wahre Liebe. Dann zerstörte dieser Mann ihr Leben.

„Und jetzt soll mein ganzes Leid in all seinem Ausmaß umsonst gewesen sein?! Wegen einem Paar Goldaugen?“

Aber ihr Körper sprach eine eindeutige Sprache. „Meine Güte, ich kenne diesen Mann nicht, wie kann ich mich da verlieben?!“

„Weil er der Mann ist, von dem du immer geträumt hast“, sagte eine Stimme in ihrem Herzen.

Ist er das? Aber ihr Saajan ist ein Engel und dieser hier ist ein Dämon! Ist Inuyasha wirklich derselbe aus ihren Träumen? War Raj also bloß eine Einbildung und sie hatte nur versucht, Inuyasha in ihm zu sehen?

„Zugegeben, sie sehen sich ziemlich ähnlich... die Lippen, die Augenform... ob Inuyasha Japaner ist? Seine Gesichtszüge haben nichts Asiatisches. Vielleicht, weil er ein Dämon ist... Aber ich die Dämonen, die ich in den Nachrichten sehe, sind alle japanisch!

Wie kann man eigentlich einen Dämon lieben?!!!“

Ahrg, ihr Kopf tat so weh. Zu viele verschiedene, verwirrende Fragen. Zu wenige Antworten. Aber das Schicksal hat etwas vor mit ihr. Es ist vielleicht eine zweite Chance und die wird sie ergreifen. Und tief im Inneren wusste sie, dass sie verliebt war. Doch wie arg, das wusste sie nicht. Jedenfalls würde ihr Herz nicht zulassen, dass sie diesen Mann ohne Gedächtnis allein lässt. Dämon hin oder her!

Es erstaunte sie immer wieder selbst, wie schnell sie sich einer Situation anpassen konnte. Die Hoffnung keimte in ihr, dass er ihr Herz heilen konnte. Genau so, wie er es in ihren Träumen immer versprochen hatte.

Anjaani wickelte sich ein Handtuch um den Körper und wollte schnell in ihr Zimmer verschwinden, da traf sie sein Blick aus dem Wohnzimmer. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Wie seine Augen leuchteten! Wie ihr Herz raste! Sein Blick! Scheu, beschämt... fasziniert? Seine Augen wanderten über ihren Körper und sie merkte, dass sein Blick an ihrem wallenden Haar stehen blieb, das in glänzenden Ringellocken ihre Taille umspielte. Er hatte sie noch nicht mit offenen Haaren gesehen. Hastig wandte er den Kopf ab und sie flüchtete schnell.

Wie er sie angesehen hatte! Ihr war so heiß geworden. Er hatte so eine starke Ausdruckskraft in den Augen. Schönen Augen hatte sie noch nie widerstehen können, aber für diese gab es keine Beschreibung!

Sie wollte zurück, um in seinen Augen zu versinken und für immer von diesem goldenen Zauber gefangen zu sein!

„Aha, du bist nicht verliebt!“, lachte ihr Herz. „Es ist eindeutig, das ist Liebe! Hai yeh pyaar!“

„Wirklich?“ Eigentlich wusste sie es, aber wieso sträubte sie sich so dagegen? So schnell kann man sich doch nicht verlieben! Auch noch in einen Unbekannten.

„Du hast Rajesh nie Saajan genannt, weißt du das?“

Wie kam sie jetzt darauf? Sie hatte Raj immer... naja... Raj genannt.

„Du hast Raj nie Saajan genannt. Das war es, was du dir immer gewünscht hattest. Du wolltest deinem Liebsten immer einen indischen Kosenamen geben. Rajesh sieht auch aus wie der Saajan deiner Träume und dennoch hast du ihn nie so gerufen. Inuyasha ist dein Saajan.“

„Quatsch, Inuyasha ist nicht mein Saajan! Ich kenne ihn doch gar nicht!“

„Du wolltest immer deinem Liebsten diesen Spitznamen geben... Warum hast du Rajesh nie Saajan gerufen?“

Ja, warum?

„Weil Inuyasha der „richtige Raj“ ist. Oder Raj ist der „falsche Inuyasha“. Such es dir aus. Aber eines kannst du nicht leugnen, du bist verliebt!

Und wie er dich angesehen hat!“

Nachdenklich stellte Anjaani sich vor den Spiegel. Ihr Handtuch glitt von ihrem Körper. Mit ihren 19 Jahren war sie sich immer wie ein Kind vorgekommen... aber wenn sie jetzt ihren Körper musterte... Ihre hellbraune Haut wirkte weich wie Seide. Ihre Brüste waren rund und voll. Ihre Figur war alles andere als kindlich, mit der schmalen Taille und der runden Hüfte. Ihre Beine waren so lang, die Drillinge beneideten sie immer darum. Sie betrachtete ihr liebliches Gesicht mit den riesigen Augen und den von Natur aus vollen und tiefroten Lippen. Sie schüttelte ihre lange, schwarze Lockenmähne. In der Schule war ihr ausdrücklich verboten worden, die Haare offen zu tragen. Alle sagten, sie sei wunderschön und mit offenen Haaren die pure Versuchung. Kaum ein Mann drehte sich nicht nach ihr um. Doch sie hatte nie etwas Besonderes an sich gefunden.

Raj hatte sie immer als Mondgöttin bezeichnet... Wie wirkte sie auf Inuyasha? Sie musterte ihr Gesamtbild und zum ersten Mal in ihrem Leben fand sie sich hübsch. Sie war eine natürliche Schönheit, dem wurde sie sich plötzlich bewusst. Dann schüttelte sie angewidert den Kopf. „Die Drillinge sind tausend Mal hübscher als ich! Ich bin vielleicht anders als die Japanerinnen hier, aber deshalb gewiss nicht schöner!“ Sie hasste eingebildete Frauen.

In frischer Schuluniform und das wilde Haar züchtig zu einem langen Zopf geflochten, kam sie zu ihm zurück. „Du, Saaj - du Inuyasha!“ Sie biss sich auf die Zunge. Blödes Herz!

Er sah auf. Seine Aufmerksamkeit hatte der Digitaluhr am Videorekorder gegolten. „Was ist das?“, fragte er verblüfft.

Anjaani musste lächeln. „Kann es sein, dass du nicht aus dieser Zeit bist?“

Er seufzte erschöpft. „Vermutlich... Ich weiß nichts, gar nichts.“

Ihr Herz zog sich mitleidvoll zusammen und sie kniete sich zu ihm. Er zuckte zurück vor ihrer Nähe, doch das störte sie nicht. „Ich werde dir helfen. Wir werden versuchen, deine Erinnerungen wieder zu finden und mit etwas Glück kehrst du auch in deine Zeit zurück.“ Irgendwie schmerzte der Gedanke.

„Du hilfst mir?“, fragte er skeptisch.

„Jap“, grinste sie fröhlich.

„Warum?“

„Weil ich dich nicht im Stich lassen kann“, erwiderte sie lachend, erhob sich mit der Anmut einer Tänzerin und strich den roten Faltenrock ihrer Schuluniform glatt.

„Ziemlich kurz“, kam es Inuyasha unweigerlich in den Sinn. „Wo willst du hin?“, fragte er laut.

„Zur Schule, bin heute Mittag zurück. Warte bitte hier solange auf mich.“ Sie ging zur Tür. „Alles, was du brauchst ist- aaahhrg!!!“ Er stand urplötzlich vor ihr und versetzte ihr den Schock ihres Lebens. „Meine Güte, wie schnell bist du?!“

Er verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust. „Du gehst nirgendwo hin.“ Seine ernste Stimme wurde eine Spur tiefer und löste eine Gänsehaut bei ihr aus. Trotzdem wallte Wut in ihr hoch. „Natürlich gehe ich, ich muss zur Schule!“

Er kam auf sie zu und sie stolperte instinktiv von ihm weg. „Du musst mir helfen, ich habe keine Lust hier auf dich zu warten!“

„Du hast keine andere Wahl, ich muss zur Schule!“

„Warum sollte ich mir was von dir sagen lassen?!“ Er drängte sie ins Zimmer zurück.

„Wenn du nicht willst, dann geh doch!“

Er packte wütend ihren Arm, brachte sie damit aus dem Gleichgewicht. Leider geriet auch er ins Wanken und fiel mit ihr. Anjaani stürzte ins weiche Sofa, Inuyasha auf sie.

Sein Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt, sein Atem streichelte ihr Gesicht. Mit aufgerissenen Augen starrten sie sich an. Anjaani war gelähmt. Seine Augen fesselten sie und ein erschreckendes Gefühl kam in ihr hoch.

Das unschuldige Mädchen spürte seinen Körper auf ihrem, wie er sich hart und heiß an sie presste und eine Sehnsucht in ihr weckte, die sie nie verspürt hatte.

Ihr Herz hämmerte wild gegen seine Brust. Auch sein Atem wurde schneller. Sie wollte zuschlagen, ihn wegdrücken, oder sich sonst wie wehren, aber ihr verräterischer Körper gab sich der Hitze hin, die zwischen ihnen ausgebrochen war.

„Inu-“

Er küsste sie. Plötzlich verschmolz sein Mund mit ihrem. In ihrem Kopf drehte sich alles, ihre Lippen begannen zu brennen.

Er küsste sie feurig und leidenschaftlich und die unerwartete Situation entlockte ihr ein leises Stöhnen.

Seine Reaktion drauf war heftig. Er schlang die Arme um ihren Körper und drückte sich noch drängender an sie. Die Leidenschaft seiner Handlung überwältigte sie. Ihre Hüfte begann zu kreisen, in dem heißen Rhythmus, in dem beide gefangen waren. Sie schrak zusammen, als sie seine seine harte Männlichkeit spürte. Es überkam sie eiskalt.

Augenblicklich war alles vorbei, der Zauber, das Feuer, das Verlangen und er ließ von ihr ab. Schwer atmend saßen sie sich gegenüber, mit erschrockenem Blick. Reflexartig schnappte sie sich ihre Schultasche und rannte aus der Wohnung.

„Gott im Himmel, was war das nur gewesen?!“

Anjaani saß völlig aufgelöst im Bus und war den Tränen nahe.

„Gott, oh Gott im Himmel! Was war da nur geschehen?!“

Sie hatte Inuyasha geküsst, einfach so, obwohl sie ihn nicht kannte. So benahmen sich doch nur Schlampen! So war sie doch gar nicht! Normalerweise war sie abweisend gegenüber Männern.

Rajesh war der allererste und einzige gewesen, der sie hatte küssen dürfen. Aber auch nur, weil sie ihn geliebt hatte. „Ich bin vielleicht in Inuyasha verliebt, aber das geht viel zu schnell! So bin ich nicht. Ich gebe mich doch nicht dem erstbesten Mann hin!“

Ihre Vorwürfe nahmen kein Ende. Zwar schockierte sie die Tatsache, dass sie geküsst worden war, aber viel schlimmer war es, dass sie es gewollt hatte, dass es ihr gefallen hatte! Es war wundervoll gewesen und sie hatte tatsächlich Lust gespürt. So etwas kannte sie gar nicht! Die Drillinge waren lüstern, ja sehr sogar, aber sie war die Unschuld in Person.

Sie schämte sich so sehr! Ihre Gedanken ließen ihr keine Ruhe. Sie registrierte nur schwach, dass der Unterricht angefangen hatte. Auch Yuki, Yoko und Yami nahm sie nur am Rande wahr. Ihre schuldvollen Gedanken ließen sie einfach nicht los.

„Warum werfe ich mich dem erstbesten Mann an den Hals?

Nein… eigentlich liebe ich ihn. Von seinen Augen hatte ich ein Leben lang geträumt. Und erhat mich geküsst!“

... Oh, Gott im Himmel! Warum hatte er sie geküsst? Empfindet er etwas für sie?

„Wie das denn, wir kennen uns nicht! Ich weiß nur, er ist dickköpfig, und aggressiv und stur und brutal und groß und kräftig und attraktiv und heiß und VERBOTEN!

Ich kenne ihn nicht, was wenn ich ihn vergrault habe? Aber er hat doch mich geküsst! Wenn es nur Lust war? Einfache Begierde, ein sexueller Trieb? Wenn kein bisschen Gefühl dahinter steckte? Er ist schließlich ein Mann, das hab ich nun überdeutlich gespürt... oh Gott, wieso denk ich an so was!!!!“

Vielleicht war es nur Begierde? Würde er einfach so mit ihr schlafen, wenn sie sich ihm hingeben würde? War es nur das?

Aber sein Verlangen war so warm, so süß gewesen. Er hat sie nicht ungebändigt und wild geküsst- es lag Zärtlichkeit in seiner Leidenschaft. Anjaani hatte Geborgenheit gespürt und Zuneigung.

„Oh, Gott!!!“ Ihr Leben ist durch einen kleinen Kuss noch komplizierter geworden!

„Was mach ich jetzt überhaupt? Was geschieht, wenn ich nach Hause komme? Wie wird er auf mich reagieren? Und wenn er nicht mehr da ist? Was, wenn ich ihn verloren habe?“

„Heilige Jungfrau, Aani!“

Sie schreckte auf. Die Drillinge starrten sie entsetzt an. „Warum weinst du? Was ist los?“

Ungläubig fuhr sie sich über die Wangen. Tatsächlich, ihr Gesicht war nass. Tränen... sie konnte weinen?

Der dröhnende Gong ertönte in diesem Moment- Schulschluss. Nun konnte der Lehrer Yukis lauten Aufschrei nicht mehr Rügen. Zum einen war Schreien verboten und zum anderen durften sie im Klassenraum kein Hindi reden. Doch ehe er etwas unternehmen konnte, war der Störenfried verschwunden. Die Drillinge waren Anjaani sofort hinterher gestürmt. Anjaani wollte nur noch Heim, zu ihm! Sie musste zu ihm zurück! Falls er noch da war...

Auf dem Schulhof bedrängten sie jedoch ihre besorgten Freundinnen. „Aani-Schatz, geht es dir schlecht, bitte sag, was los ist! Wir kriegen Angst!“

„Sorgen“, murmelte sie.

In Yamis dunkelgrünen Augen bildeten sich Tränen. „Ist es wegen Rajesh?“

„Nein.“

„Bitte, was ist mit dir! Was ist passiert?“

Sie atmete ruhig aus. Sie hatte sich verraten, jetzt schuldete sie ihnen eine Antwort. Die Wahrheit? Sie hatte die Freundinnen nie angelogen. „Es geht um einen Mann.“

Die Augen der drei wurden riesig. Ein Mann? Das war etwas völlig neues!

„Ich bin verliebt.“

Allen klappte der Mund auf. „Wie jetzt“, stieß Yuki, eher entsetzt als überrascht, aus.

„Ich sah ihn und habe mich verliebt.“

„Urplötzlich?“

Anjaani wusste nicht, wer das fragte, denn sie hielt die Augen geschlossen. „Es hat mich unerwartet und heftig erwischt.“

„Und Rajesh?“ Es war so ein leises Murmeln, dass sie nicht sicher war, ob sie es sich eingebildet hatte.

„Raj...“ Sie überlegte. „Hm, wenn ich an ihn denke, ist nur Ekel und Angst da. Mehr nicht. Kein Schmerz, keine Qualen. Als wäre er eine Erinnerung aus längst vergangener Zeit. Ein nicht vollständig verblasster Alptraum.

Wenn ich vor kurzem noch die Augen geschlossen habe, habe ich Rajs Gesicht vor mir gesehen. Ich hörte seine Stimme und spürte diese Qualen... und es brachte mich fast um vor Schmerz.“

Totenstille. Die Mädchen atmeten nicht mal mehr.

„Jetzt schließe ich die Augen und sehe ihn. Seine Stimme ist so weich und warm. Seine Augen verfolgen mich überall. Sie glänzen golden wie die Sonne. Wie flüssiger, hellgoldener Bernstein. Tief, klar, voller Wärme. Ich könnte immerzu nur in seine Augen sehen. Ich sehe sie überall.“

„Das klingt ja genau nach deinem Saajan...“

„Es ist Saajan.“ Da die darauf folgende Stille anhielt, öffnete Anjaani die Augen. So verwundert hat sie die Drillinge noch nie gesehen. Die Drei wussten alles aus ihrem Leben... alles, natürlich auch von Saajan.

„Wie meinst du das, es ist Saajan?“, wagte sich dann Yami voran. „Saajan, deine Sehnsucht?“

„Er siehst ganz genauso aus wie Saajan. Und er hat die selbe Stimme. Ihr werdet es nicht glauben, aber alles stimmt überein!“

„Wieso sollten wir das nicht glauben?“ Yami war unbeeindruckt. „Wir haben immer gewusst, dass du ihm irgendwann mal begegnen wirst. Deine Gefühle liegen nie falsch. Aber dein Saajan ist doch kein Japaner.“

„Nein, er spricht zwar Japanisch, aber er sieht nicht aus wie ein Japaner.“

„Du lächelst, Aanilein... Aber wie fühlst du dich wirklich?“

„Ich weiß es nicht. Es ist kompliziert mit ihm. Er hat absolut kein Gedächtnis mehr. Er wohnt jetzt bei mir und ist im Grunde genommen von mir abhängig. Dabei bin ich die Abhängige. Ich kann nicht von ihm weg, ich schaffe es nicht. Er füllt die Leere, die Raj hinterlassen hat. Das Loch, dass er in mich gerissen hat. Er gibt mir ein neues Leben.“

Eine Weile war Stille, alle Blicke waren auf Yuki gerichtet. Sie atmete erleichtert aus. „Wenn du wüsstest, wie lange ich darauf warte, mein Herz“, lächelte sie. „Ich bin so glücklich!“

Dann brach Jubelgeschrei aus. Die Freundinnen kreischten und klatschten, hüpften vor Freude herum und warfen sich einander in die Arme. Wie sie sich freuten! Es war ein Wunder. Der größte Wunsch der Drillinge hatte sich erfüllt. Vor Freude lachten und weinten sie gleichzeitig. Dann bestürmten sie Anjaani mit Fragen.

„Wie groß ist er?“

„Keine Ahnung, einen Kopf größer als ich, schätze ich mal.“

Genau wie Raj.

„Welche Farbe haben seine Augen?“

„Golden wie ein von der Sonne angestrahlter Bernstein!“

Fast wie Raj.

„Seine Haare?“

„Ihr wisst doch, wie mein Saajan aussieht!“

„Silberweiß wie der Mond!“

„Und ein wenig länger als mein Haar.“

„Und er hat echt kein Gedächtnis?“

„Nö.“

„Wie das?“

„Wissen wir noch nicht.“

„Wie heißt er überhaupt? Er wird doch wohl kaum Saajan heißen, oder?“

„Hm...“ Jetzt stockte Anjaani. Sein Name war schon seltsam und garantiert nicht alltäglich. „Inu“, sagte sie schließlich.

„Was?! Verarsch uns nicht!“

„Nein, ich lüge nicht! So will er genannt werden.“

Die Begeisterung der Drillinge hielt sich nicht in Grenzen. Das gab ein Gekreische! „Wie cool, unsere Aani hat sich in einen Hund verliebt!“

„Was?! Wie kommt ihr auf Hund? Wegen Inu?“ Dabei hatte er doch Katzenohren!

Das Gequieke war ohrenbetäubend. „Los, gehen wir! Ich will ihn unbedingt sehen!“

Jetzt merkte Anjaani, dass sie einen Fehler begangen hatte. „Unmöglich, ihr könnt ihn nicht sehen.“

„Waaaaaaaas???????“, kam es im Chor.

Sie versuchte, es zu erklären. Er kenne niemanden und wisse nichts. Er sei ganz allein und brauche Zeit, zu sich zu kommen. Sonst würde er wahnsinnig werden.

„Er ist ein Dämon, wer weiß wie er auf die Drei reagiert. Sie werden ihn bestimmt ärgern. Und bei Inuyashas Temperament... Ich kann von Glück sprechen, dass er zu mir nett ist.“

Aber die Schwestern ließen nicht mit sich reden. Es sei eine Unverschämtheit, so von ihm zu schwärmen, sie so neugierig zu machen und dann dürften sie ihn nicht zu Gesicht bekommen! Am Ende entschieden sie, Anjaani habe sie angelogen. Nun wurde die besagte Lügnerin sauer.

„Lisa, Karina und Marie!“ Die Drillinge zuckten zusammen. Ihre deutschen Zweitnamen wurden nur in Wut ausgesprochen. „Versteht ihr nicht, dass das nicht geht? Er kennt nichts und weiß nichts! Wisst ihr, wie lange ich schon auf ihn warte und nun verliere ich ihn vielleicht! Mir geht es schlecht, warum versteht ihr das nicht?! Hier geht es nicht um euch!“

Ihre harten Worte trafen ins Schwarze. Die Drillinge schauten sie nicht an, so reuevoll waren sie plötzlich. In Yukis Augen sammelten sich Tränen. Ihr taten Anjaanis Worte an meisten weh.

„Es tut uns Leid, Aani, mein Herz. Wir hatten ganz vergessen, dass du traurig bist. Du bist mir doch die wichtigste...“

„Hey.“ Anjaani wrang sich ein liebevolles Lächeln ab. „Es tut mir Leid, aber bei mir geht momentan alles drunter und drüber. Ich erzähl euch was passiert ist. Ich bin verliebt und meine neuen Gefühle machen mir ein bisschen zu schaffen. Das schlimme ist, was heute passiert ist.“

Sie sah förmlich wie die drei Ohrenpaare sich aufrichteten. Anjaani erzählte ihnen von seinem leuchtenden Blick, als sie aus der Dusche gekommen war. Sie berichtete von dem Streit, wie sie fielen, wie er sie plötzlich küsste und was sie dabei gefühlt hatte.

Die Augen der Deutsch-Japanerinnen glänzten begeistert.

„War es ein Zungenkuss?“

„Nein!“ Erschüttert riss sie die Augen auf. Naja fast...

„Warum regst du dich dann darüber so auf? Yuki-Hase gibt dir so oft solche harmlosen Küsse.“

„Warte, Moment mal... Du hast Lust empfunden?!“ Yuki schien es kaum zu glauben.

Anjaani nickte beschämt. „Entschuldige, Yuki-Häschen...“

„Hat er dich angefasst?“

„Nur umarmt.“

„Wieso habt ihr aufgehört?“

„Naja...“ Das Rot in Anjaanis dunklem Gesicht verstärkte sich nur. „Ich hab da... ich hab was gespürt... Oh, es war furchtbar!“

„Was denn? Jetzt sag schon!“

„Naja... sein... dieses da...das!“

„Häh?“ Dann verstanden sie und grinsten breit. „Er war geil auf dich!“

„Iehhh! Nein, war er nicht!“

„Glaubst du, ihr wärt im Bett gelandet?“

„Nein!“, schrie sie entsetzt und begann zu weinen. „Das will ich nicht! Das geht nicht, das darf ich nicht!“

Detailreich teilte sie ihnen ihre Bedenken und Sorgen mit. Obwohl die Drillinge nicht viel von Keuschheit hielten, verstanden und respektierten sie Anjaanis Einstellung. Die vier Freundinnen diskutierten lange darüber. Langsam dämmerte der Abend heran. Sie schlugen vor, Anjaani zu begleiten, aber sahen ein, dass ihre Anwesenheit nur noch mehr Probleme mit sich bringen könnte.

Sie verabschiedeten sich, nicht ohne Anjaanis Versprechen, ihnen „Aanis Hund“ mal vorzustellen.

Wie die Zeit vergangen war! Ihr Bus nach Hause kam erst in 50 Minuten. Verdammt, wieso hatte sie sich so verplappert?! Die Nachtluft war so kalt. Und hier draußen lauerten alle möglichen gefährlichen Typen.

„Anjaani! Wo warst du die ganze Zeit?“ Erschrocken schrie Anjaani laut auf. Vor ihr aus der Dunkelheit erschien Inuyasha. Seine Augen glitzerten bedrohlich und lösten ein mulmiges in ihrem Bauch aus.

Er war wütend. „Den ganzen Tag warte ich auf dich! Du hast gesagt, du kommst gegen Mittag. Wo bist du so lange gewesen?!“

Sie schaute ihn bedrückt an. Wieso sah er so gut aus? Eigentlich mochte sie Männer nicht, deren Haar so lang war wie ihres, aber er...

„Wo warst du die ganze Zeit?!“

„Ich...“ Anjaani schüttelte es vor Kälte. „Tut mir leid, aber meine...“

„Erzähl mir das nachher“, unterbrach er sie grob. „Wir gehen, sonst erfrierst du.“

Schon nach den ersten paar Metern begann Anjaani zu schwanken. Inuyasha merkte, dass sie geschwächt war. Das fing ja gut an mit diesem Mädchen! Er hatte keine Lust auf einen weiteren Schwächeanfall.

Ohne Vorwarnung hob er sie auf seine Arme. Unglaublich! Raj hatte sie noch nie getragen. Anjaani suchte seinen Blick, doch seine Auen waren stur geradeaus gerichtet. Ihr Herz begann wie wild zu pochen, als seine Körperwärme und sein Duft sie umströmten. Er roch wundervoll. So weich und warm! Oh, von diesem Duft konnte man süchtig werden! Zufrieden schmiegte sie das Gesicht an seine Brust.

Ihre Arme hatte sie locker um seine Schulter gelegt, doch als er plötzlich rannte, krallte sie sich an seinem Nacken fest und presste das Gesicht an seinen Hals. Was war das nur? Plötzlich war ihr Leben schön. Seine Nähe war solch ein Genuss!

Mit geschlossenen Augen lehnte ihr Kopf an seiner breiten Schulter. Anjaani wusste, dass er schnell rannte, übermenschlich schnell, aber sie wollte nicht wissen wie. Der eisig kalte Wind, der ihnen entgegen schlug, verriet ihr genug.

Wie kalt ihr war! Sie fror entsetzlich. Doch sie sagte nichts. Solle sie nur ruhig sterben, aber loslassen sollte er sie nie mehr!

Vor dem Wohnhaus setzt er sie ab. Kraftlos konnte sie sich nicht mehr auf den Beinen halten und sackte zusammen.

„Was ist los? Sag was! Was fehlt dir plötzlich?“ Inuyasha klang erschrocken.

„Allergisch auf Kälte“, stammelte sie. „Raubt mir Kraft.“

„Was, warum sagst du nichts?“

„Ich kann dran sterben...“

„Wie bitte?!“ Doch sie hörte seinem Schwall aus Flüchen und Verwünschungen nicht zu. Die Kälte tat weh.

„Verdammt“, knurrte er und trug die halb bewusstlose Frau auf seinen Armen in die Wohnung und setzte sie dort aufs Sofa. „Was soll ich tun?“

„Wärmen... schnell.“

„Wo sind Decken?“, rief er.

„Keine Ahnung.“

„Sag was, verdammt, wo sind die Decken?!“ Vor Kraftlosigkeit fiel sie nach hinten aufs Sofa. Das letzte, was sie hörte, war seine entsetzte Stimme: „Anjaani! Anjaani! Nein!“

Plötzlich war es warm. So warm. Sie genoss diese Wärme einfach nur, ohne sich zu fragen, woher sie kam. Nach einer Weile, als es ihr besser ging, öffnete sie die Augen und blickte direkt in seine. Anjaani lag zwischen Inuyasha und dem Sofarücken. Er wärmte sie mit seinem Körper.

„Verflucht sollt ihr schwachen Menschen sein“, schimpfte er.

„Tut mir leid...“

„Tut dir leid! Weißt du, was für einen Schock du mir eingejagt hast?! Dein Herz schlug viel zu schwach.“

„Du hast dir Sorgen gemacht?“

„So ein Unsinn! Warum sollte ich? Ich brauche dich, um meine Erinnerungen wieder zu finden.“

Sie sagte nichts. Obwohl es weh tat, wollte sie ihn doch nicht mit einem Konter verjagen. Sie brauchte seine Wärme.

„Und wo warst du überhaupt so lange? Ich dachte schon, dir sei etwas passiert!“

„Bist du mich deshalb holen gegangen?“ Jetzt fiel es ihr wieder ein.

„Was ist das für eine blöde Frage!“

Gott, sah er gut aus! Sie konnte sich nicht sattsehen. „Wie hast du mich gefunden?“

„Dein Geruch hat mich hergeführt.“

Anjaani richtete sich halb auf. „Können Katzen so gut riechen?“ Es war ihr entschlüpft ohne nachzudenken und sie bereute es sofort, denn seine Gesichtszüge entgleisten. Dann wurde er puterrot vor Zorn. Er sprang auf.

„Wie, zu Teufel, kommst du drauf, dass ich eine Katze bin!“

„Du hast Katzenohren“, sagte sie leise.

„Ich glaub es nicht! Soll das ein Witz sein? Das sind Hundeohren!“

„Aha!“, wurde auch sie sauer. „Woher soll ich bitte wissen, was du bist! Ich kenn dich nicht und du dich doch auch nicht. Außerdem hast du Katzenaugen!“

„Ich bin ein Dämon! Ein Hundedämon!“

„Woher weißt du, dass du ein Hundedämon bist?“

„Instinkt“, knurrte er nur und unterdrückte mühsam einen erneuten Wutausbruch. „Was fällt dir ein, mich so zu beleidigen! Eine Katze, das ich nicht lache! Du bist doch nur ein dummer Mensch ohne Ahnung!“

Sie sprang auf und trat ihm gegenüber. Plötzlich hatte sie Kraft. „Undankbarer, egoistischer Mistkerl! Dann geh doch, geh! Wenn ich nur ein dummer Mensch bin. Verschwinde! Wozu verschwende ich meine Zeit?“

„Die verschwende ich!“, giftete er zurück.

„Dann verschwinde“, sagte sie dumpf.

„Gut!“, schrie er. „Ich brauche dich nicht!“ Die Wohnungstür fiel krachend hinter ihm zu.

Alle Wut war auf einmal weg. „Ich bin so blöd! Jetzt habe ich ihn verloren!“ „Inu...yasha...“ Die Tränen überwältigten sie. Anjaani brach weinend zusammen.

Irgendwann nachts wachte sie in ihrem Bett auf. „Wie bin ich da hingekommen?“

Inuyasha machte mit einem Räuspern auf sich aufmerksam. Er sah ihr nicht in die Augen. Er reichte ihr nur einen Teller mit Obst und sagte: „Hier, du hast vermutlich großen Hunger.“

„Danke.“ Sie nahm einen Apfel in die Hand, aber ihre Aufmerksamkeit galt ihm. Er bereute seine Worte, doch er konnte es nicht zugeben.

„Anjaani.“ Der sanfte Ton seiner Stimme jagte ihr Schauer über die Haut. Er hockte sich vor sie auf den Boden. „Warum hast du geweint?”

„Verdammt, rede nicht so! Das macht mich verrückt.“

„Hast du um mich geweint?“ Der weiche Ausdruck seiner Augen! So wunderschön!

„Ich war traurig“, sagte sie knapp.

„Habe ich dich verletzt?“

„Ich dachte, dass ich wenigstens für dich von Bedeutung wäre. Zumindest ein bisschen, da du mich brauchst. Ich habe mich geirrt. Mich hat noch nie jemand gebraucht.“ Die Bitterkeit in ihrer Stimme drückte schmerzhaft in ihrer Kehle.

Er sah sie nur stumm an.

„Meine Eltern lieben mich nicht. Sie ließen mich allein.“

Er hörte still zu.

„Ich war verlobt, nach vier Jahren wollte Raj mich heiraten“

„Er verließ dich auch?“

Seine Nähe spendete Trost. Sie wollte endlich reden. „Ich war unsterblich verliebt und war so fest davon überzeugt, dass er meine einzige und große, wahre Liebe ist. Er war nicht der geduldigste und auch nicht immer der freundlichste. Aber er gab mir mehr Liebe, als ich je bekommen hatte. Ich glaubte, mein Traum habe sich erfüllt. Wir verlobten uns.“

„Und dann? Ist das der Grund, warum du am Abend unseres Kennenlernens so schwach warst? Vor Kummer?“

Anjaani kamen die Tränen. „Ich will dich nicht belästigen.“

„Erzähl“, drängte er sanft. „Dann wird es dir besser gehen.“

„Ich war Jungfrau...“

„War?“ Seine dunklen Augenbrauen schossen in die Höhe.

„Dies hier ist unsere gemeinsame Wohnung gewesen. Eines Tages kam er Heim...“ Sie stockte kurz. „Er hatte mich immer bedrängt, doch ich wollte das nicht vor der Ehe. Das kam mir so unehrenhaft vor. Deshalb hatte er mir wahrscheinlich auch den Heiratsantrag gemacht. Um es kurz zu machen: Raj hatte nicht bis zur Hochzeitsnacht gewartet. Er war so brutal, dass ich fast verblutet bin. Als ich das Bewusstsein wieder erlangte, war er weg. Ich fühlte mich benutzt und gedemütigt. Nach zwei Wochen konnte ich das Krankenhaus wieder verlassen. Kurz bevor ich entlassen wurde, stand er plötzlich an meinem Krankenbett... mit meinen Eltern.

Du kannst dir vorstellen, was er wollte. Er beschuldigte mich, wusch somit seine eigene Weste rein. Er hätte mich nie geliebt, hatte er gesagt. Vier lange Jahre waren eine Lüge gewesen. Er hatte sich alles von mir genommen und in Scherben zurück gelassen. Meine Eltern verabscheuten mich. Ich trug die alleinige Schuld. Ich war eine Schande für sie. Das alles ist jetzt genau ein Jahr her. Seit dem ist meine Seele ein schwarzes Loch.“

Inuyasha knurrte nur leise. „Dieser Bastard!“ Er unterdrückte mit Mühe den Zorn. „Würde er mir begegnen, ich würde ihn zerreißen!“

„Wozu?“

„Deiner Ehre willen!“

Sie lachte trocken. „Ehre? Die habe ich nicht mehr. Alles hat Raj sich genommen. Glaube, Ehre, Stolz, Unschuld. Dann warst du plötzlich da.“

Er sah sie verwundert an. „Ich?“

„Ich fühlte mich auf einmal wertvoll, gebraucht und das wichtigste, ich war nicht mehr allein. Du hattest mir das Gefühl von Wert gegeben. Es war mir so kostbar... Und jetzt sag mir bitte: Was machst du hier?“

Er richtete sich auf und setzt sich zu ihr. „Bei dir sein“, sagte er. „Mehr nicht.“

„Danke.“ Müdigkeit überwältigte sie plötzlich und legte sich wie ein schwerer Schleier über ihre Augen.

„Kann ich was für dich tun?“ Seine Stimme klang so weit weg. Sie wusste nicht, ob sie das träumte, oder ob es wahr war. Sie hörte sich nur noch sagen: „Ich will nicht allein sein. Halt mich nur fest... mehr will ich nicht...“ Dann schlief sie ein. Wie er sich neben sie legte und sie in den Arm nahm, kam ihr wie ein Traum vor. Es war ein Traum... Und in ihren Träumen schmiegte sie sich an ihn und war glücklich. Einfach nur glücklich.
 

Ja, ihr Leben ist wunderschön. Es ist immer wunderschön, wenn sie träumte. Anjaani träumte von Inuyasha und weigerte sich strikt aufzuwachen. Sein Duft war überall.

Im Traum ertasteten ihre Finger seine Haut und fuhren seinen nackten Oberarm hinauf zu seinen Schultern. Harte, große Muskeln spürte sie, strich sein Schlüsselbein entlang zu seiner durchtrainierten Brust. Anjaani konnte nicht die Augen öffnen, nicht mal im Traum, weil sie Angst hatte, aufzuwachen.

Seine Haut duftete und war so weich, obwohl seine Muskeln so hart und ausgeprägt waren. Sie drückte sich an ihn und schmiegte die Wange an seinen Hals, die Stelle, wo er am intensivsten duftete. Seufzend küsste sie die Haut und wisperte seinen Namen.

Durch einen plötzlichen Kältestoß wachte Anjaani auf. Es war hell und warm im Zimmer. Genüsslich streckte sie sich. Sie hatte so gut geschlafen. Nun war sie vollkommen erholt und fühlte sich frisch und lebendig.

Wo war Inuyasha? Wo hatte er geschlafen? Da entdeckte sie einen rot-weißen Haufen neben ihrem Bett. Warum hatte er sich ausgezogen? Und vor allem, was hatte er jetzt an?

Neugierig durchstreifte sie die Wohnung. Er stand in der Küche und trank aus dem Wasserhahn und sein Oberkörper war... nackt!

Er drehte sich zu ihr und obwohl sie auf den Anblick vorbereitet war, stockte ihr der Atem.

„Heilige Mutter, was für ein Körper!“ Sie wankte innerlich, konnte die Augen nicht von ihm wenden. Anjaani hatte das Gefühl in der Hölle zu sein, so heiß wurde ihr. „Himmel, wenn das die Hölle ist, dann ist sie schöner als das Paradies!“

„Was ist mit dir los?“, fragte er verwundert. „Was starrst du mich so an?“

„Ich… äh ich…“ Ihr Gesicht war knallrot angelaufen und sie stotterte. Beschämt wandte sie den Blick ab. „Musst du hier nackt rumlaufen?“

„Soll ich hier etwa verbrennen?! Hier ist es heiß wie in der Hölle!“

Eigentlich stimmte das nicht. Nur in ihrem Schlafzimmer war die Heizung auf volle Pulle aufgedreht. Moment mal... er war in ihrem Zimmer gewesen, weil er sich neben ihrem Bett ausgezogen hatte. Warum war er in...? Es machte klick und sie hastete zu ihrem Bett.

Tatsächlich! Das Laken roch nach ihm... nach süßem Feuer. Hat er etwa wirklich neben ihr geschlafen? War es also kein Traum gewesen, dass sie seine Haut berührt hatte? Oh, Gott! Er...

„Was rennst du weg? Was ist jetzt wieder los?“

Anjaani zwang sich, sich nicht umzudrehen. Die Versuchung, die Rillen seiner Bauchmuskeln entlangzufahren war zu groß. Und sie würde ihr wahrscheinlich nicht standhalten können.Jetzt war ihr mindestens genauso warm wie ihm.

„Hast du nie einen nackten Mann gesehen?“

Doch, aber nie so einen attraktiven!

„Ich bin Inderin, was erwartest du?“, fragte sie stattdessen. „Ich glaube streng an die Liebe und würde nie einen anderen Mann ansehen, als den, den ich liebe.“

„Tja, nur diese deine Liebe hat dich verraten.“

Anjaani drehte mich blitzartig rum, ihr Haar flog durch die Luft und ließ Inuyasha zusammenzucken.

„Oh, tut mir Leid... ich-“ „Uaaahh!!!“ Ihr begeistertes Quieken verschluckte seine Worte. Seine Ohren hatten gezuckt! Sie hatten sich bewegt! Wie putzig!

„Kawaii!“, rief sie begeistert. „Deine Ohren haben sich bewegt. Darf ich anfassen?“ Doch Anjaani hatte sie schon in der Hand.

„Hey, lass das!“

Sie waren so weich und warm!

„Geh weg von mir, bist du verrückt geworden!“

Das Fell ist so glatt!

„Hörst du nicht, geh weg!“

Das waren echte Hundeohren! „Die sind so süß! Zuck noch mal!“

Er starrte sie entgeistert an. „Geht es dir noch gut! Geh endlich weg von mir!“ Er drehte sich um, doch sie packte ihn an der Hose. „Hey, lass mich los!“

„Deine Ohren! Bitte nur ein Mal wackeln!“

„Nein!“

„Bittebittebitte!“

„Nein, verdammt!“

„Hmmm...“ Traurig richtete sie die Augen auf den Boden. „Tut mir Leid...“

Er grummelte genervt und verdrehte die Augen. Wortlos hockte er sich zu ihren Füßen auf den Boden.

„Huraaa! Danke!“ Sie plumpste zu ihm runter und stürzte sich regelrecht auf seinen Kopf. „Du hast so weiches Haar“, murmelte sie geistesgegenwärtig. „Und es glänzt so schön.“

„Hm“, brummelte er nur.

Eigentlich wollte sie seine Ohren berühren, aber bald waren ihre Finger mit seinen Haaren beschäftigt. Sie wühlte darin rum, schob zu Seite, massierte, kraulte und verlor sich ganz darin. Sie liebte es, in Haaren rumzuwühlen. Das war eines ihrer größten Leidenschaften. Anjaani vergaß ganz die Zeit. Eine viertel Stunde müsste vergangen sein, bis sie merkte, dass Inuyasha sich nicht mehr bewegte. Vorsichtig linste sie zu ihm runter und hätte fast laut gelacht vor Freude. Er hielt die Augen geschlossen und um seinen Mund spielte ein glückseliges Lächeln. Ihm gefiel das also. Süßes Schoßhündchen!

„Es scheint dir zu gefallen“, flüsterte sie liebevoll. Er schaute sie an, um zu sehen, ob sie sich über ihn lustig machte. Aber ihre Freude war ehrlich.

„Nein“, widersprach er. Anjaani lachte glücklich und wurde von dem Knurren seines Magens unterbrochen.

„Uppsala! Hast du Hunger?“

Er schwieg stur. Anjaani stand auf und lief Richtung Küche.

„Mal schauen ob ich noch etwas Hundefutter da habe.“

„Wie bitte?!“ Augenblicklich stand er neben ihr. Sie lachte über seine Hitzköpfigkeit. „Reg dich ab, Wauwau, ich ärger dich doch nur.“

Verärgert blies er die Backen auf. „Nenn mich noch ein Mal so!“

Er sah einfach zu süß aus! Nichts konnte ihre Laune zerstören und munter tänzelte sie zur Küche. Dort fand sie... leider nichts.

„Gestern hattest du nur noch Obst“, bemerkte er.

„Tja.“ Sie kratzte sich beschämt am Kopf. „Freitags gehe ich normalerweise einkaufen...“, sagte sie zum leeren Kühlschrank. „Heute ist Samstag.“

„Dann musst du eben in den Suppenmarkt.“

Anjaanis Kopf wirbelte zu ihm herum. „Das heißt Supermarkt. Du weißt, was ein Supermarkt ist?!“

„Woher soll ich das wissen!“

„Supermarkt kennst du, aber eine Digitaluhr nicht?!“

„Ich hab es einfach gesagt. Nein, ich weiß nicht woher ich das habe, also versuche erst gar nicht mich auszufragen!“

Der Kerl erstaunte sie immer wieder. „Vielleicht warst du schon einmal hier gewesen“, überlegte sie.

„Wie denn?“

„Na auf dieselbe Weise, wie du jetzt hergekommen bist.“

Sein Magen meldete sich wieder zu Wort, diesmal etwas lauter.

„Ich glaube, ich fange mir schnell etwas“, überlegte er laut.

„Oh nein!“, bäumte sie sich vor ihm auf. „Du bleibst schön hier und benimmst dich zivilisiert. Sonst verfolgt dich der Dämonensondereinsatz. Komm mit.“ Seine Proteste ignorierend, schleppte sie ihn in ihr Zimmer.

„Was soll ich damit?“ Er begutachtete die ihm dargebotene Kleidung misstrauisch.

„Essen natürlich!“ Anjaani verdrehte die Augen „Wir gehen raus. Du ziehst Rajs Kleidung an. Ich will nicht besonders auffallen.“

„Was ist so schlimm daran?“

„Wenn du als Dämon entlarvt wirst, haben wir den Dämonensondereinsatz am Hals und ich will mich nicht mit der japanischen Armee anlegen müssen. Die sind knallhart mit nicht gemeldeten Dämonen.“

„Aber die Sachen stinken erbärmlich nach Verräter“, beschwerte er sich und rümpfte angeekelt die Nase.

„Das ist mir egal. Hast du Hunger?“

„Hai.“

„Dann kommst du mit. Und du kannst mich auch beschützen, falls die Kerle wieder auftauchen, die mich immer belästigen wollen.“

„Belästigen?“

Bemerkenswert, wie schnell er sich angezogen hatte. Sie hatte natürlich nicht zugesehen. Nachdem sie ihm die Haare zusammengebunden hatte und mit einer Kappe seine Ohren bedeckt hatte, begutachtete sie ihn. „Es steht dir gut. Du siehst älter aus.“ „Und verdammt sexy!“

„Ich fühle mich wie ein Trottel“, grummelte er.

„Du hast immer was zum meckern, oder?“

„Ja.“

„Komm jetzt, bevor zu großer Andrang entsteht.“

„Was sind das für Typen, die dich belästigen?“

„Wirst du hoffentlich bald sehen.“



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