Zum Inhalt der Seite

Das Auge des Ra (J&S)

"Wüstensand"
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Vor Gericht

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=S7euPe6zrGw&feature=related In the Name of the Pharaoh Reset

http://www.youtube.com/watch?v=-w85z2DHkOg Prince of Persia – Kaileena free from Fate
 

Kapitel 14

Vor Gericht
 

„Das hat er gesagt, Seth?“, fragte Atemu.

„So wahr ich hier stehe, mein Pharao. Auch ich war zu Beginn skeptisch, doch es scheint mir inzwischen die einzige logische Schlussfolgerung zu sein.“

„Aber Jono als Hüter des Auges – das ist eine gewagte These“, sagte Mahaado. „Wenn er das alles nun erfunden hat –“

„Das hat er nicht“, kam die scharfe Antwort des Hohepriesters.

„Ahm ... vielleicht solltet Ihr Euch aus der näheren Untersuchung des Falles heraushalten, Seth“, begann der Pharao behutsam. „Ich finde, wir sollten möglichst objektiv an die Sache herangehen und da Ihr gewissermaßen persönlich involviert seid ...“

„Meine Urteilskraft ist dadurch nicht getrübt, Euer Majestät.“

„Wenn sich aber herausstellen würde, dass er sowohl des Diebstahls als auch des Betruges schuldig ist ...“, der Pharao beugte sich auf seinem Thron zu ihm vor, „würdet Ihr dann auch ein Todesurteil über ihn verhängen, wie es das Gesetz fordert?“

Bestürzte blaue Augen sahen ihm entgegen.

„Das dachte ich mir“, fuhr Atemu fort. „Die Angelegenheit ist verzwickt und es steht genug auf dem Spiel. Besonders da die Hethiter die Unterzeichnung des Abkommens bis zur Klärung des Falles ausgesetzt haben.“

„Was wollt Ihr also tun, Göttlicher?“

„Wir geben Jono die Möglichkeit, sich zu beweisen.“

Anitta verließ mit einem unzufriedenen Brummen seinen Lauschplatz an der Tür zum Thronsaal. Die Dinge entwickelten sich gar nicht so, wie er es wollte. Jono hatte irgendwie von seinem Vorhaben, den Pharao zu seinen Vorfahren zu schicken, erfahren. Selbst wenn er jetzt im Gefängnis saß, konnte er ihm noch gefährlich werden. Als er ausgepeitscht worden war, hatte er kein Wort gesagt, doch wie würde es sein, sollte es zu einer weiteren Folterung kommen? Würde er auch dann noch schweigen oder unter der Peitsche des Foltermeisters neben dem Mord an Prinz Kail, den er, wie Anitta aus sicherer Quelle wusste, nicht begangen haben konnte, auch die Taten des Fürsten gestehen? Er durfte auf keinen Fall am Leben bleiben.

Eine gute Stunde darauf meldete einer der Männer, die die Sachen des Prinzen nach Hinweisen durchsuchten, dem Pharao, dass ein Stapel Briefe aufgetaucht sei, in einer Truhe unter den Gewändern verborgen. Der Inhalt dieser Korrespondenz war erst wenige Wochen alt und äußerst pikant. Seine Königliche Hoheit Prinz Kail, bekanntermaßen zu diesem Zeitpunkt bereits von Jono vertreten, hatte Kontakt zu einem Mann namens Kuruna aufgenommen und ihn beauftragt, den Herrn von Kemet zu töten. Anitta rieb sich die Hände, als Atemu die Briefe, nachdem er sie gelesen hatte, zornig auf den Boden warf. Die Fälschung seines eigenen Briefwechsels mit Kuruna war ihm, bis hin zu den Unterschriften, hervorragend gelungen.

„Mein Pharao, es kann sich dabei nur um eine Verwechslung handeln“, sagte Seth, der von Hapi eilig herbeigeholt worden war. „Jono würde nie –“

„Eine Verwechslung? ‚Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. In wenigen Stunden werdet Ihr vom Tod des Herrn von Kemet hören.’ Ich finde das ziemlich eindeutig formuliert, meint Ihr nicht?“, sagte Atemu und legte den Brief beiseite.

„Aber er würde nie ... Ich bitte Euch, der Wächter des Auges soll Euch ermorden wollen?“

„Noch ist nicht einmal erwiesen, ob Jono überhaupt sein Wächter ist. Geht nun bitte, ich muss nachdenken.“

Atemu rieb sich die brennenden Augen. Es gab so viele Dinge, die für ihn keinen Sinn ergeben wollten. Wenn er nach den Briefen ging, hatte Jono eindeutig seinen Tod im Sinn gehabt, aber warum hatte er ihn dann gerettet? Hatte er kalte Füße bekommen, es sich im letzten Moment noch anders überlegt? Dabei hatte er das Gefühl, zwischen ihnen hätte sich in den vergangenen Wochen eine Freundschaft entwickelt. Seths Bericht von dem, was Jono ihm erzählt hatte, schwirrte durch seinen Kopf. Er wusste nicht mehr, was er denken sollte und die Götter, die er um Rat angerufen hatte, schwiegen beharrlich.
 

„Nein, nicht ... Seth ...“, stöhnte Jono und wachte auf.

Wieder hatte er von Seth und Atemu geträumt, wie sie von Anitta umgebracht wurden. Während seiner letzten Woche im Palast war der Traum nur sporadisch aufgetreten, hatte sich ein- oder zweimal in ähnlicher Form wiederholt, doch nun kam er, sobald Jono die Augen schloss. Es war ihm unmöglich, ihn zu ignorieren, aber wie sollte er die beiden warnen? Er war sich mittlerweile sicher, dass er es nicht mit einem einfachen Traum zu tun hatte, sondern dass ihm die Bilder zeigten, was geschehen sollte und nach ihrer Häufigkeit zu schließen, würde es bald geschehen.

Der Riegel wurde zurückgeschoben, zwei Wachen mit einem Krug und Tüchern traten ein.

„Wasch dich und zieh dich an, du sollst zum Pharao kommen“, sagte der eine und warf ihm die Leinentücher und ein sauberes Leinengewand mit kurzen Ärmeln vor die Füße.

Während sich Jono fertig machte, überlegte er, was der Pharao von ihm wollte. Ein einfaches Verhör hielt er für unwahrscheinlich, dafür hatte er genug Beamte, die sich darum kümmern konnten. Seth musste mit ihm geredet haben, wie er es versprochen hatte. Wenn ich nur wüsste, wie ich dem Pharao das mit dem Amulett beweisen soll, überlegte er. Jetzt wäre es gut, wenn mir Horus noch einmal erscheinen würde. Aber Götter kommen leider nicht auf Bestellung.

Die Männer banden ihm die Hände und brachten ihn mit einem Streitwagen in den Palast. Atemu erwartete ihn mit dem Rat der Millenniumswächter und den drei Fürsten im Thronsaal. Neben ihm ruhte auf einem Kissen das Auge des Ra.

„Jono, nach deiner Aussage hat dich das Amulett zu seinem Wächter bestimmt. Wir werden sehen, ob deine Behauptung zutrifft.“

Er nickte Isis zu, die das Kissen zu Jono trug und ihm das Amulett um den Hals legte.

„Über die Kraft des Ra zu verfügen, bedeutet dem Feuer gebieten zu können“, erklärte sie ihm.

Jono blickte sie verständnislos an. Ja, das Amulett hatte ihn zu sich gerufen und er wurde das Gefühl nicht los, dass es auch für seine ganzen Träume verantwortlich war, aber sonst hatte es ihm nie eine Kraft zuteil werden lassen. Zumindest war er sich keiner bewusst. Isis nickte ihm aufmunternd zu und zog sich auf ihren Platz in der Nähe des Herrschers zurück. Jono sah von einem zum anderen, dann wieder auf das Amulett und fragte sich, was sie von ihm erwarteten. Ob er einen Tanz aufführen oder etwas singen musste? Oder vielleicht aktivierte es sich ja mit einem Zauberspruch ... Er überlegte, ob er es mit Abrakadabra versuchen sollte, aber das kam ihm dann doch zu albern vor.

Horus, wozu habt Ihr mich hierher geführt und den Pharao retten lassen, wenn Ihr mich jetzt im Stich lasst?, jammerte er. Ich verlange doch gar nicht viel ... Vielleicht ein kleines Feuerchen? Oder ein ganz kleines?

„Ach, das ist doch alles pure Zeitverschwendung!“, rief Anitta, als Jono mehrere Minuten bewegungslos dagestanden und auf das Amulett gestarrt hatte. „Ihr seht es selbst, er ist kein Wächter, nur ein Gauner, der endlich an den Galgen gehört!“

„Und für das schändliche Verbrechen, unseren Prinzen ermordet zu haben, sollte er gevierteilt werden!“, setzte Lubarna hinzu und sprang dabei von seinem Sitz auf.

Seth, der sich zumindest so weit gegen Atemu durchgesetzt hatte, bei der Probe anwesend sein zu dürfen, warf dem Fürsten einen eisigen Blick zu. Warum tat Jono nicht endlich etwas, um seinen Status unter Beweis zu stellen?

„Also, das reicht mir jetzt aber“, sagte Akunadin. „Mein Pharao, mit Verlaub, wie Ihr hier selbst seht, handelt es sich bei dem Gefangenen nicht um einen Wächter. Damit ist er des Diebstahls schuldig. Hinzu kommt der Anschlag auf Euer Leben, bewiesen durch die Briefe –“

„Moment mal, was für Briefe?“, mischte sich Jono ein.

„Wie kannst du es wagen!“, rief Akunadin. „Was fällt dir ein, mich zu unterbrechen!“

„Aber ich wollte doch nur –“

Atemu hob die Hand und gebot ihm zu schweigen. Er winkte einem Diener, der ihm die Briefe auf einem Tablett reichte. Den obersten von ihnen nahm er mit spitzen Fingern auf und hielt ihn Jono entgegen.

„Diese Briefe wurden in den Gemächern gefunden, die du bewohnt hast. Sie beweisen, dass du den Attentäter selbst auf mich angesetzt hast, so wie Fürst Anitta es vermutet hatte.“

Jono fiel buchstäblich aus allen Wolken, als er das hörte.

„Aber ... a-aber ich ... habe doch nie –“, stammelte er hilflos.

„Es hat keinen Sinn, es zu leugnen, Jono“, sagte Atemu. „Auch wenn du nicht gestehst, bist du überführt. Die Beweise sprechen klar gegen dich.“

„Ich habe nicht versucht, Euch umzubringen, das schwöre ich! Eher würde ich mir die Hand abhacken, als gegen meinen Pharao das Schwert zu erheben. Und das Amulett habe ich wirklich nur mitgenommen, weil der Gott Horus es mir befohlen hatte.“

Akunadin rümpfte die Nase.

„Missbrauche nicht die Namen der Götter, um deine schändlichen Taten zu rechtfertigen“, sagte er. „ Allerdings ... Mein Pharao, ich denke, dass er tatsächlich eine Stimme gehört hat. Nur kann es sich dabei unmöglich um Horus gehandelt haben. Meiner Ansicht nach hat ein Dämon von ihm Besitz ergriffen, um sich das Amulett anzueignen. Darum schlage ich vor, ihn einem Millenniumsprozess zu unterwerfen und ihn von dem Dämon zu befreien.“

„Haltet Ihr das für nötig?“, wandte Seth ein.

„Ihr sagtet mir, Euer Urteilsvermögen sei nicht getrübt“, sagte Atemu. „Nun beweist mir, dass das nicht nur leere Worte waren.“

Der Blick des Hohepriesters wandte sich dem Boden zu. Mehrmals atmete er tief ein und aus, ehe er aufblickte. Sein Gesicht glich einer Maske.

„Holt eine Steintafel. Möge der Millenniumsprozess gegen seine Seele beginnen.“

„Aber, Seth ...“

Jono starrte ihn erschüttert an.

„Ich werde beginnen“, sagte Shada und trat vor. Er richtete den Millenniumsschlüssel auf Jono und blickte durch den Henkel des Ankh. „Ja, da ist etwas. In ihm verbirgt sich eine Kreatur.“

„Dann werde ich nun das Wesen enthüllen, das in ihm steckt.“ Akunadin nahm seinen Platz ein und schlug die Kapuze seines Gewandes zurück. Das goldene Auge leuchtete hell, als es sich zu Jono wandte.

Ein plötzlicher Schmerz ließ Jono heftig zusammenfahren, seine Arme krampften sich um seinen Oberkörper. Brennende Hitze wallte in ihm auf. Ein lauter Schrei löste sich aus seinem Mund und mit ihm strömte schwarzer Rauch aus, verdichtete sich über ihm und nahm die schattenhafte Gestalt eines großen Tieres mit rot glühenden Augen an.

„Was ist das?“ Akunadin fuhr zurück. „Schnell, Meister Seth!“

Den Millenniumsstab erhoben, schritt Seth nach vorne, während zwei Wachen hinter ihm eine große Steintafel aufrichteten.

„Im Namen des Pharao, entferne die Bestie aus der Seele dieses Mannes!“

Das Auge des Stabes erstrahlte und zog die Schattenkreatur von Jono fort, in Richtung Tafel. Dann aber merkte Seth, dass sie sich wehrte. Er umfasste den Stab enger und richtete seine ganze Konzentration auf das Wesen. Wenn es das war, was Jono zu dem Diebstahl verleitet hatte, konnte er bei seiner Entfernung mit einer milden Strafe rechnen, denn dann war er nur zum Teil für seine Taten verantwortlich. Jono konnte nicht mehr klar sehen, alles verschwamm vor seinen Augen. Seths Züge verzerrten sich unter der Anstrengung, während der Stab das Wesen Stück für Stück der Tafel näher brachte.

Auf einmal spürte Jono, wie sich die Hitze in ihm zurückzog und einer angenehmen Wärme Platz machte, ausgehend von dem Amulett, das er immer noch trug. Sein Atem wurde ruhiger, seine Sicht wieder besser.

Hab keine Angst, Jono, hörte er die ihm inzwischen vertraute Stimme des Falkengottes. Du bist von keinem Dämon besessen. Das ist dein Ka-Wesen.

Verwirrt musste Seth beobachten, wie sich der Schatten von der Tafel, kurz bevor er sie erreichte, abwandte und zu Jono zurückkehrte. Die Gestalt zerfiel in sich, wurde zu Rauch und drang in seine Brust.

„Ist er doch ein Wächter?“, murmelte Atemu.

„Mir kommt er eher viel gefährlicher vor, als wir angenommen hatten“, sagte Anitta. „Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.“

„Da gebe ich ihm Recht“, meinte Karim. „Dieses Wesen hat sich gewehrt, sich fortsperren zu lassen. Es ist zu riskant, es in dieser Welt zu belassen, mein Pharao. Der Junge muss sterben.“

Atemu strich abwesend über das Millenniumspuzzle an seinem Hals. Trotz der Briefe hatte er sich noch einen kleinen Funken Hoffnung bewahrt, alles möge sich als ein großes Missverständnis und Jono als unschuldig herausstellen. Nun jedoch ließen ihm die Umstände keine Wahl mehr.

„Hiermit sei das Urteil über Jono, Sohn des Amenhotep aus Zawtj, angeklagt des Tempelraubes, des Betruges und des versuchten Mordes an Meiner Majestät, gesprochen: Zur Strafe für seine Vergehen wird ihm morgen Vormittag der Kopf abgeschlagen. So soll es geschrieben stehen ... so soll es geschehen“, sagte er, ohne des Kummers in seiner Stimme ganz Herr zu werden.

Er stand auf und eilte aus dem Saal. Jono wurde bei seinen Worten schwindlig. Er war seit seiner Flucht auf diese Möglichkeit eingestellt gewesen, hatte Zeit gehabt, sich an sie zu gewöhnen. Sie aber jetzt aus Atemus Mund zu hören, zu wissen, dass sie in weniger als vierundzwanzig Stunden Realität sein würden, führte ihm ihre Bedeutung erst richtig vor Augen. Seine Beine knickten unter ihm weg, er sank auf den Boden. Akunadin eilte zu ihm und nahm ihm das Amulett ab.

„Schafft ihn fort“, wies er die Wachen an.
 

Neumond – keine Nacht des Monats war so dunkel wie diese und gleichzeitig so hell, denn in dieser Nacht überdeckte das Licht des Mondes nicht das der Sterne. Jono saß unter der vergitterten Öffnung seiner Zelle und beobachtete den Himmel. Die funkelnden Sterne in dem tiefen Schwarz besaßen für ihn etwas Tröstliches.

Auch in der tiefsten Finsternis wirst du immer ein Licht finden. Das hatte seine Mutter einmal zu ihm gesagt. Und er hatte sein Licht in Seth gefunden. Wenn es aber nach seinen Träumen ging, würde dieses Licht schon bald ausgelöscht werden. Er hatte versucht, Seth und den Pharao zu warnen, aber sie hatten ihn nicht zu Wort kommen lassen.

„Ach, Horus, was soll das alles?“, murmelte er. „Warum lasst Ihr mich den Pharao retten und die Liebe finden, wenn Ihr mir dann alles wieder nehmt?“

Ein gleißendes Blitzen erleuchtete für wenige Sekunden die Zelle.

„Du hast mich gerufen, Jono?“

Dieser fiel überrascht vor dem Gott auf die Knie.

„Ihr ... Ihr seid hier?“

„Du hast mir doch eine Frage gestellt und ich will dir darauf antworten. Steh auf.“

Jono erhob sich, ließ seinen Blick jedoch leicht gesenkt.

„Dann sagt mir bitte, was dieser Traum zu bedeuten hat. Ich dachte, der Pharao wäre in Sicherheit. Warum sehe ich dann seinen und Seths Tod?“

„Die Gefahr für den Pharao ist noch nicht gebannt.“

„Ich bin ihm eine schöne Hilfe, wenn ich morgen am Galgen hänge. Das Amulett hat nicht auf mich reagiert, aber wo ist dann sein Wächter?“

„Du wirst es sehen. Es hat alles seine Richtigkeit.“

„Ach ja? Dann wird sich aber die Leibwache des Pharao um seinen weiteren Schutz kümmern müssen.“

„Das ist ... etwas schwierig. Die Hüter der Millenniumsgegenstände werden von einer dunklen Kraft blockiert, die sie daran hindert, die Artefakte richtig einzusetzen. Du musst diese Macht finden und sie zerstören.“

„Aber wie –“

„Warte es ab, Jono. Es ist wichtig, dass du morgen zum Richtplatz gehst. Das Leben jener, die du liebst, hängt davon ab.“

Mit einem weiteren blendenden Lichtblitz verschwand Horus.
 

Seth zog den Umhang fester um sich und verbarg sein Gesicht noch mehr unter der Kapuze. Das Pferd Mîtšakui bzw. Rotauge, das er am Zügel führte, wieherte unruhig. Er strich ihm beruhigend über den Kopf.

„Psst ... sei still, man wird uns noch hören.“

Dann gingen sie weiter durch die dunklen Straßen. Ganz wohl war Seth bei der Sache nicht, doch einen anderen Ausweg sah er nicht mehr. Auf Knien hatte er den Pharao angefleht, ihn noch einmal zu Jono zu lassen, doch Atemu hatte sich standhaft geweigert. Minuten-lang hatten sich die beiden angesehen, ohne dass ein Wort gesprochen wurde. Für jemanden, der sie sah, hatten sie einander nur schweigend und still gegenübergestanden, doch in ihrem Inneren, auf einer Ebene, zu der nur sie den Zutritt hatten, war ihr Wortgefecht weitergegangen, von beiden Seiten mit erbitterter Härte geführt. Diese verfluchte Sturheit, die hatte er mit Jono gemeinsam. Es wunderte ihn nicht, dass sich die beiden so gut verstanden hatten.

Vor ihm schälten sich die Mauern des Gefängnisses aus der Dunkelheit. Seth atmete tief durch, dann klopfte er an das Tor. Die Augenklappe schwang auf.

„Ja, was –“, fragte der wachhabende Soldat grob. Seth hob die Kapuze etwas an. „Oh, Meister Seth, verzeiht.“

„Lass mich ein, ich muss den Gefangenen Jono noch einmal sprechen.“

Das Portal öffnete sich mit einem Quietschen und ließ ihn und das Pferd durch. Es war lange nicht das erste Mal, dass Seth das Gefängnis betrat, doch sonst führte ihn ein Befehl des Pharao in seine Mauern. Heute war es sein Herz, das ihn dorthin trieb. Er schauderte, als er durch die Höfe schritt, in deren Boden das Blut Hunderter geflossen war. Sich zu gemäßigtem Tempo zwingend, schritt er die Stufen zum Zellentrakt hinunter und ließ sich Jonos Zelle öffnen. Als der Wächter die Tür hinter ihm geschlossen hatte, rüttelte er Jono vorsichtig an der Schulter.

„Hey, wach auf, Falke.“

Er kam leise grummelnd zu sich und blinzelte überrascht, als er den Hohepriester erkannte.

„Seth! Aber was tust du hier?“, sagte er und setzte sich auf.

„Was schon, ich hole dich hier raus“, erwiderte er lächelnd.

„Was? Ab-aber damit handelst du gegen den Willen des Pharao! Das ist zu gefährlich, wenn das rauskommt. Dieses Risiko darfst du für niemanden eingehen.“

„Bist du etwa niemand? Das würde ich auch für keinen anderen tun.“ Seth nahm seinen Umhang ab. „Schnell, zieh den über.“

Jono schob den Stoff von sich, den Seth ihm entgegenhielt.

„Glaubst du, die lassen uns einfach so hier rausmarschieren?“

„Nein, darum wirst du für eine Weile in meine Rolle schlüpfen. Nimm den Millenniumsstab und schlag mich damit bewusstlos.“

Blanker Unglaube blickte ihm entgegen.

„Bist du verrückt geworden, Seth?!“

„Nein, Jono. Die Wachen werden denken, du hättest mich überwältigt und wärst geflohen.“

„Aber dann werden sie überall in der Stadt nach mir suchen.“

„Bis dahin hast du Men-nefer längst verlassen. Im Hafen wartet ein Schiff auf dich, das dich nach Sais bringen wird. Von dort aus kannst du in jedes Land reisen, das dir gefällt.“

„Und was soll ich dort?“, erwiderte Jono und richtete seine Augen auf seine zum Bauch herangezogenen Knie. Seths Finger strichen sacht über den blonden Haarschopf.

„Du sollst leben, mein Falke. Ich weigere mich, den Anschuldigungen zu glauben, die sie gegen dich aussprechen.“

Jono wandte den Kopf zu ihm um.

„Wenn ich leben soll, warum schickst du mich dann fort? Ich will nicht ohne dich leben, Seth.“

Dieser erhob sich, wandte sich mit einem Stöhnen ab und streifte eine Weile durch die Zelle. Jono stand auf und sah ihm schweigend zu, bis Seth vor ihm stehen blieb und seine kühlen Hände um die warmen des Braunäugigen legte.

„Also gut, dann werde ich mit dir gehen.“

Jono musterte ihn nachdenklich und erinnerte sich an Horus’ letzte Worte.

„Das kann ich nicht von dir verlangen, Seth. Du musst beim Pharao bleiben. Es ist deine Aufgabe, ihn zu beschützen. Und mein Platz ist morgen neben dem Henker.“

„Aber ich kann dich doch nicht einfach so sterben lassen!“, fuhr Seth auf.

„Ich muss dorthin und ... Bitte tu mir einen Gefallen. Komm morgen nicht zum Richtplatz. Bleib im Palast, im Tempel meinetwegen, aber halt dich von dort fern“, sagte er, einem plötzlichen Gedanken folgend.

„Warum –“

Jono legte ihm den Zeigefinger über die Lippen.

„Vertrau mir“, flüsterte er und küsste ihn. „Und noch etwas, achte auf Fürst Anitta. Ich habe bei ihm ein ... ungutes Gefühl. Und nun geh.“

Er pochte an die Tür und sagte der Wache, dass ihr Gespräch beendet

sei. Seth warf ihm einen letzten intensiven Blick zu und verließ die Zelle. Rotauge scharrte im Hof unruhig mit den Hufen.

„Tut mir leid, Kleiner“, wisperte Seth, nachdem sie das Tor passiert hatten. „Dein Herr ist leider ein noch größerer Sturkopf als du.“
 

„Meister Seth.“ Hapi stupste ihn vorsichtig an. „Meister Seth, bitte wacht auf.

„Was ist denn, Hapi?“

Er sah den Jungen aus verschlafenen Augen an. Nach seinem Besuch bei Jono war er noch über zwei Stunden durch die Stadt gewandert und hatte überlegt, was er sonst tun konnte, um ihn vor dem Henker zu bewahren. Warum hatte er sich nur geweigert, mit ihm zu kommen ... Wollte Jono denn unbedingt sterben?

„Seine Majestät der Pharao wünscht Euch zu sprechen. Sofort. Er ist hier.“

„Wie bitte?“, kam Seths entsetzte Antwort. Mit einem Schlag fiel die Müdigkeit von ihm ab und er richtete sich auf.

„Guten Morgen, Seth.“ Atemu betrat das Schlafzimmer. „Nachdem es Eurem Diener nun endlich gelungen ist, Euch zu wecken, würde ich gerne über eine Kleinigkeit mit Euch sprechen. Würdet Ihr mir erklären, warum ich heute früh hören musste, dass Ihr Jono im Gefängnis besucht habt, obwohl ich Euch den Umgang mit ihm untersagt hatte?“

Woher weiß er das denn schon wieder?

„Ich –“

„Ja, ja, ich kann mir schon denken, was Euch dorthin gelockt hat. Die Liebe.“ Atemu setzte sich auf den Rand des Bettes. „Glaubt Ihr, mir ist diese Entscheidung leicht gefallen? Ich schätzte Jono als guten Freund und wäre von selbst nie auf den Gedanken gekommen, er könnte so etwas tun. Manchmal zwingen uns die Umstände dazu, Dinge zu tun, die wir nicht tun wollen. Deshalb ... wünsche ich, dass Ihr heute nicht zu Jonos Exekution erscheint. Ihr werdet Euch nach dem Frühstück zum Tempel begeben. Ein Gebet mag seiner Seele vor dem Schattengericht nun mehr helfen als ein mitternächtlicher Besuch.“

Der Pharao nickte ihm zu und ging. Hapi trug das Tablett mit seinem Frühstück herein und stellte es auf einem Hocker neben dem Bett ab. Der Hohepriester warf nur einen kurzen Blick darauf und wandte sich ab.

„Nimm es wieder mit oder iss du es. Ich habe keinen Hunger.“

„Das sagt Ihr seit Tagen“, erwiderte Hapi. „Aber Ihr müsst etwas essen oder Eure Kräfte werden schwinden. Das wäre sicher nicht das, was Jono für Euch gewollt hätte.“

Ein kaltes Funkeln aus blauen Saphiren traf ihn.

„Hör auf, über ihn zu reden, als wäre er schon tot!“, zischte Seth.

„Verzeiht mir, Meister. Aber ich mache mir Sorgen um Euch.“

„Ich weiß, Hapi. Ich wollte dich eben nicht anschreien, es ist nur ...“

„Ich verstehe schon. Lasst Euch den Wein schmecken, Fürst Anitta hat ihn mir gegeben, um Euch aufzumuntern.“

Hapi zog sich unter einer tiefen Verbeugung aus dem Schlafzimmer zurück. Seth nahm den Becher zur Hand und betrachtete die rubinrote Flüssigkeit darin.

„Anitta ... In die Schatten mit Euch!“

Der Becher flog aus dem Fenster und verspritzte einen Teil seines Inhalts auf den Fliesen.
 

Seth stieg von Chons’ Rücken, warf Hapi die Zügel zu und machte sich auf den Weg durch die Vorhöfe des Tempels. Seine Bewegungen hatten nichts mehr von ihrer Festigkeit und Stärke, mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen. Sein Blick ging ins Leere. Er sah die ihn grüßenden Priester nicht, hörte nicht ihre Worte und ihre Fragen, was mit ihm sei. Es kam ihm vor, als würde ihn ein dicker Kokon umgeben, der jedes Geräusch von ihm abschirmte. Wie apathisch ging er an den Männern vorbei, den Millenniumsstab, das Zeichen seiner Würde als Wächter des Pharao, in der Hand. So viel Macht hatte ihm dieser Stab verliehen und dennoch sollte sie nicht ausreichen, um Jono zu retten?

Am Eingang zum Inneren Heiligtum erwies er dem Gott die Reverenz, ganz so, wie er es gelernt hatte, wie es ihm in Fleisch und Blut übergegangen war. Heute jedoch verneigte sich nur sein Körper, nicht sein Herz. Mit schnellen Schritten ging der Hohepriester auf das Allerheiligste zu und schritt durch den Spalt in den Vorhängen. Er blickte zur Statue des Amun-Ra auf und suchte nach Antworten in dem aus Stein gehauenen Antlitz.

„Warum? Warum das alles? Sind wir Menschen für Euch Götter nur ein Spiel? Spielt Ihr mit uns, so wie wir Senet spielen? Antwortet mir.“

Der Gott der Sonne blickte starr geradeaus. In den Granitaugen war keine Regung zu sehen.

„Wieso führt Ihr uns zusammen, um uns dann wieder auseinander zu reißen?“

Tränen traten in Seths Augen, lösten sich von ihnen und rollten seine Wangen herab. Der Stab entglitt seinen Fingern und rollte über den Boden, bis er von dem Ständer einer Ölschale gebremst wurde.

„Götter Kemets, antwortet mir! Ich bitte Euch! Antwortet.“

Die Finger ineinander verkrampft, fiel er vor dem Abbild auf die Knie und senkte das Haupt.

„Antwortet Eurem Diener. Ich flehe Euch an. Lasst es mich wenigstens verstehen, warum Ihr so handelt.“

Die Zeit verrann, die Schatten, welche die Sonne in den Tempel warf, wurden kürzer und noch immer kniete Seth vor der Statue, in seiner betenden Haltung verharrend. Seine Beine waren taub geworden, un-empfindlich für die Schmerzen.

„Antwortet mir“, drang seine Stimme durch das Allerheiligste und blieb doch ungehört.

„Antwortet mir endlich! ANTWORTET!"

Seine steifen Hände lösten sich aus ihrer verkrampften Haltung, trommelten auf den Boden, bis die Haut sich rötete und aufplatzte. Seth ließ sich auf die Seite fallen und blieb mit geschlossenen Augen liegen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Ryuichi-Sakuma-
2008-11-10T10:43:58+00:00 10.11.2008 11:43
Mal wider ein schönes Kapi *knuddel*
*schnief* oh weh Jono (Q.Q) nah hoffentlich endet das alles gut *knuddel*
Und wie verzweifeld Seth ist nah wehr kann es ihm verübeln das ginge woll jedem so wenn das die geliebte Person währ die man liebt!!!!
Ich bin echt gespannt wie das aus gehen wird und ich hoffe gut (>.<)

Gruß: Ryuichi-Sakuma-
(^-~)/
Von:  Sathi
2008-11-03T20:54:35+00:00 03.11.2008 21:54
*taschtuch rauskram*
*schnaubt*
*schnieft leise*
oh man...ich kann mich rani un saspi nur anschließen
auf alle fälle fand ich es sehr..sehr.....sehr traurig
leider kann ich mia aba nich ausmalen warum seth in ohnmacht gefallen iss
bin mal gespannt drauf..weswegen :P
mach weidder so
*wink*
Von:  saspi
2008-11-03T20:12:53+00:00 03.11.2008 21:12
Hey!!!
das kappi ist echt supi!!! aber es war auch traurig.
bitte bitte veröffentliche schnell das neue kappi. *süchtig bin*
was wird passieren??
freu mich auf die Fortsetzung.
Bye

Von:  Rani
2008-11-03T17:28:58+00:00 03.11.2008 18:28
Ich finde das Kapi ist dir sehr gut gelungen ich finde die Wortwahl wider sehr treffend formoliert. Ich finde es wird immer spanender und ich kann mir denken warum Seth Ohnmächtig geworden sit ich bin gespant ob meine vermutung richtig ist. Ich finde auch die Haltung die du Jono gibst sehr glaubwürdig mach weiter so ich bin gespannt wie es weiter geht und freue mich jetzt schon auf eine neue Nachricht von dir

lg Rani


Zurück