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Das Auge des Ra (J&S)

"Wüstensand"
von

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In den Kerkern des Palastes

Hallo, da bin ich wieder und mit dem nächsten Kapitel im Gepäck. Nun erfahrt ihr, wie Jono an das Amulett gekommen ist.

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=re3gFFnzYQc Final Fantasy X Soundtrack – Hopeless Desire (Gefängnis)

http://www.youtube.com/watch?v=2ImvXWP0HXg&feature=related Final Fantasy X Soundtrack – Time of Judgement (Verhör)

http://www.youtube.com/watch?v=j3uCmM3sF5Y&feature=PlayList&p=0AF5837FE6BBE274&index=85 Final Fantasy X Soundtrack – Summoned Beast Battle (Jonos Erzählung)
 

Kapitel 13

In den Kerkern des Palastes
 

Etwas kitzelte Jono an der Nase und brachte ihn zum Niesen. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und langte nach seiner Decke, fand sie aber nicht. Dafür piekste ihm, sobald er sich bewegte, etwas in die Seite. Ein leises Piepsen drang durch seinen Halbschlaf und brachte ihn dazu, endlich die vom Schlaf noch verklebten Augen zu öffnen. Kleine dunkle Knopfaugen betrachteten ihn, feine Schnurhaare strichen über seine Wange. Jono fuhr von seinem Lager auf und starrte die fette Ratte an, die ihren neuen Zellengenossen aufmerksam musterte. Ein Albtraum. Doch ein Albtraum, aus dem er nicht erwachen würde.

Der Blick aus dem Gitterfenster weit über ihm zeigte ihm nur, dass es noch Nacht zu sein schien, er konnte zwei Sterne in dem endlosen tintenschwarzen Meer erkennen. Wie viel Zeit mochte vergangen sein, seit sie ihn das letzte Mal geholt hatten? Er hatte keine Ahnung.

Kurz nach Sonnenuntergang waren die Soldaten zum ersten Mal gekommen und hatten ihn in das Vernehmungszimmer geführt, wo er auf einen Hocker gesetzt und von Tanefer befragt worden war. Jono hatte ihm erklärt, dass er das Amulett nur habe retten wollen, dass es nie seine Absicht gewesen sei, es für sich zu behalten. Auch zu seinem falschen Spiel als Prinz von Hatti hatte der Hauptmann ihm Fragen gestellt, doch da hatte er geschwiegen. Er wollte nicht, dass Marik und Zidanta durch ein unbedachtes Wort von ihm auch in Schwierigkeiten gerieten. Tanefer hatte nach einer Weile den Befehl gegeben, ihn in seine Zelle zurückzuschaffen.

An Schlaf war jedoch kaum zu denken. In unregelmäßigen Abständen wurde die obere Klappe seiner Zellentür geöffnet und eine der Wachen befahl ihm, sich anders hinzulegen, aufzustehen oder sonst etwas. Jedes Mal, wenn er etwas Ruhe gefunden hatte, wurde er sofort wieder aufgescheucht. Irgendwann nachts hatten sie ihn zum zweiten Verhör geholt, das neben Tanefer auch die drei Hethiterfürsten und Akunadin führten. Er hatte ihnen dasselbe gesagt wie Tanefer und war in seine Zelle zurückgeschickt worden. Die Stimme von Fürst Lubarna klang noch immer in seinem Kopf nach.

‚Lügen, alles Lügen! Foltert ihn, prügelt die Wahrheit aus ihm heraus!

Akunadin hatte seine Forderung abgelehnt, Jono aber noch verwarnt, bevor er abgeführt worden war. Sollte er es sich nicht überlegen und mit ihnen kooperieren, würde er sich den Wunsch des Hethiters noch einmal durch den Kopf gehen lassen.

Jono legte sich wieder hin und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Alles, was er tun konnte, war warten. Doch worauf? Dass sie ihn zum nächsten Verhör holten ... Dass sie entschieden, dass es keinen Sinn hatte, weiter Zeit zu verschwenden und ihn gleich zu richten ... Dass sie ihn freiließen, weil er den Diebstahl in göttlichem Auftrag begangen hatte ... Er musste lachen. Jono, unterwegs in göttlicher Mission. Das klang wie der Titel eines schlechten Schauspiels, das er bereits gesehen hatte. Ein wenig Drama, ein wenig Liebesgeplänkel und es endete mit dem Tod des Titelhelden. Von den Göttern gesandt ... kein Wunder, dass sie lachten und ihn einen verrückten Narren nannten. Verrückt kam es ihm inzwischen in der Tat vor, was er erzählt hatte.

Die Stimme, die er in jener Nacht zu hören glaubte – hatte sie überhaupt jemals existiert? Oder hatte er sie sich nur eingebildet? Und alles andere, was er gesehen hatte ... Lediglich das Trugbild eines noch halb im Schlaf gefangenen Geistes? Doch in der Dunkelheit seines Kerkers konnte er sich diese Fragen ebenso wenig beantworten, wie er es in den ersten Stunden und Tagen nach seiner Flucht aus Zawtj gekonnt hatte.

Selbst wenn er sich die Sachen nicht eingebildet hatte, wie ging das Ganze nun für ihn aus. Er erinnerte sich an die ersten Minuten, nachdem er das Amulett an sich gebracht hatte. Triumph war in ihm aufgestiegen und der Gedanke, für seine Tat belohnt zu werden. Es hatte sich schnell herausgestellt, dass das nichts als Wunschdenken gewesen war. Er hatte seiner Heimat den Rücken kehren müssen, hatte Freunde und Familie zurückgelassen. Zwar hatte er hier in Men-nefer neue Freundschaften geschlossen, sie aber auf einer einzigen Lüge aufgebaut. Das alles hatte er für das Auge des Ra geopfert und dennoch schien es nicht genug gewesen zu sein. Nun nahm ihm das Amulett auch denjenigen, den er liebte. Seth würde ihm nie verzeihen, dass er ihn so schamlos hintergangen hatte.

Wozu war er vor dem einen Kerker geflohen, wenn er nun in einen anderen gesteckt wurde? Und dieser hier war hundert-, tausendmal schlimmer als jener, in den man ihn in Zawtj geworfen hätte. Er war Seth nahe und doch trennte sie nun weitaus mehr als die Gitter seiner Zellentür.

Die untere Klappe der Zellentür wurde geöffnet, eine Schüssel und ein Krug wurden durchgeschoben. Mit einem Klappern fiel sie in ihre Ausgangsposition zurück. Jono sah mit müden Augen auf, erhob sich von seinem Lager und ging langsam zu der Tür, die ihn von der Außenwelt trennte.

„Endlich was zu essen“, murmelte er, hob die Sachen auf und ließ sich mit ihnen auf seiner provisorischen Bettstatt nieder.

Nach dem ersten Löffel Getreidebrei verzog Jono angeekelt das Gesicht. Er hatte sich zugegeben an das Essen im Palast gewöhnt und nach Rinderbraten und gefüllter Gans stellte der pappig schmeckende Brei einen mehr als herben Rückschlag dar. Der Hunger trieb ihn dennoch in seinen Magen. Seit seiner Inhaftierung hatte er nichts mehr bekommen. Das Wasser war abgestanden und hinterließ einen schlechten Nachgeschmack auf der Zunge. Als er fertig war, schob er das Geschirr durch die Klappe zurück. Und erneut konnte er nichts tun außer warten.
 

Erst nach und nach kam Seth zu sich und wurde sich seiner Umwelt bewusst. Er lag in seinem Bett, draußen war es noch dunkel, doch der Morgen würde bald anbrechen. Der Hohepriester überlegte. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, sich zu Bett begeben zu haben. Sein Blick schweifte ziellos durch den Raum. Er musste lange geschlafen haben und sein Traum war furchtbar gewesen. Kail, sein Kail war nicht der, für den er gehalten wurde, sondern ein Betrüger namens Jono, der das Auge des Ra gestohlen hatte. Das konnte doch nur ein Traum sein.

Er glitt zwischen den Laken hervor und betrat auf bloßen Füßen sein Arbeitszimmer, das Hapi wie jeden Abend noch aufgeräumt hatte, bevor er schlafen gegangen war. Was war das in den ersten Wochen für ein Chaos gewesen, bis Seth endlich gemerkt hatte, dass Hapi die Hieroglyphen nicht verstand. Für den jungen Hohepriester war es so selbstverständlich, dass alle in seiner Umgebung die heiligen Zeichen lesen und schreiben konnten, dass er daran gar keinen Gedanken verschwendet hatte. Hapi hatte seine ganzen Unterlagen durcheinander gebracht und seinem Herrn damit noch mehr Arbeit aufgehalst, weil er sie selbst sortieren musste. Seither unterrichtete er den Kleinen, wenn es seine Zeit zuließ und Hapi war gelehrig.

Die Saphiraugen blieben an einer goldenen Schatulle auf dem Schreibtisch hängen, die dort eigentlich nichts zu suchen hatte. Seth hob den Deckel ab, in den eine Abbildung von Amun-Ra graviert war, und erblasste, als er den Inhalt sah. Auf feinstes Leinen gebettet, lag dort das Auge des Ra. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und fuhr sich durch die Haare.

„Kein Traum ...“, flüsterte er keuchend. „Es war kein Traum.“

Was hat ihn nur dazu veranlasst, es mitzunehmen ... Wie kann er davon sprechen, das Auge hätte ihn gerufen? Warum sollte es sich den Sohn eines Händlers wählen, es fortzubringen, wenn es genug Priester gibt, die sich darum kümmern können? Das alles ergibt für mich keinen Sinn. Es sei denn ... es sei denn, die alten Legenden stimmen und es ist wieder erwacht. Aber warum dann ausgerechnet bei ihm ... Nein, das ist unmöglich. Ich darf mich nicht an falschen Hoffnungen festklammern. Selbst wenn das so wäre, bliebe immer noch der Betrug und den kann er nicht so leicht aus der Welt schaffen. Ach Kail ... nein, Jono ... Du hast mich die ganze Zeit nur belogen. Und was war mit deinem Liebesgeständnis? Auch eine Lüge? Mir hast du im Tempel vorgeworfen, ich würde meine Liebe zu dir nur heucheln. Hast du das in Wahrheit begangen?

Seth begab sich in eine reich bemalte Seitenkammer seiner Gemächer, in welcher sein Götterschrein aufgebaut war. Er kniete vor den Statuen von Amun-Ra, Isis und Horus nieder und senkte den Kopf.

„Ihr Götter Kemets, in Demut erbitte ich Euren Rat. Bitte sagt mir, was ihn dazu brachte, das Amulett an sich zu nehmen. Soll denn das Auge nach so vielen Jahrhunderten wieder erwacht sein, obgleich die Millenniumsgegenstände seinen Dienst übernommen haben?“

Er wusste nicht, wie lange er kniete, doch als er aufstand, waren seine Beine taub und eine Antwort fehlte ihm nach wie vor.

Ich werde ihn selbst fragen, beschloss er. Es ging alles viel zu schnell, bevor ich wirklich reagieren konnte, war er schon abgeführt.
 

Jono war am Nachmittag gerade wieder etwas in einen halbwegs ruhigen Schlaf weggedämmert, als die Tür aufgerissen wurde.

„Aufstehen, mitkommen!“, befahl eine barsche Stimme.

Sich die Strohhalme vom Rock klopfend, stand er auf und folgte dem Soldaten, doch nicht die Treppe hinauf und ins Verwaltungshaus, wie bei seinen Verhören, sie blieben im Untergrund. Nach mehreren Gängen bedeutete der Mann ihm mit einem Nicken, durch eine Tür zu treten, die er hinter ihm schloss. Der Raum löste in Jono nacktes Grausen aus. Links befand sich eine große Feuerstelle, neben der an der Wand allerlei Haken, Zangen und andere Werkzeuge angebracht waren. Auf einem Tisch lag, feinsäuberlich aufgereiht, ein Dutzend scharf aussehender Messer. In einer Ecke stand eine Bank mit einer Winde und Vorrichtungen, in die wohl Arme und Beine gespannt werden sollten.

„Eine hübsche Sammlung, nicht wahr?“

Jono drehte sich um und sah sich Akunadin gegenüber. Das Goldauge funkelte ihn böse an.

„Unser Foltermeister ist auch sehr stolz darauf. Du weißt, dass die Fürsten von Hatti deine Folterung gefordert haben. Ich habe es ihnen verweigert, weil ich dich für vernünftig genug halte, deine Schuld einzugestehen, ohne dass sie dir unter Schmerzen entrissen werden muss. Und ich sage dir, Reshef wird sie dir entreißen. Weißt du, wie sie ihn nennen? Den Künstler. Weil er es versteht, aus einer Folterung eine Symphonie des Schmerzes zu machen, wie er es nennt. Bist du sicher, dass du mit ihm Bekanntschaft schließen willst?“

Akunadin griff nach einer Zange, mit der Reshef seinen Opfern bevorzugt die Finger brach und zeigte sie Jono.

„Oder wirst du uns unsere Fragen beantworten?“

„Ich werde Euch Antwort geben“, sagte Jono.

Und zwar genau dasselbe, was ich euch die ganze Zeit geantwortet habe. Ich mag gelogen haben, um meine Haut zu retten, aber die ist inzwischen ohnehin verloren. Jetzt geht es um meine Freunde.

Akunadin zeigte sich mit der Antwort zufrieden, pochte kurz an die Tür und befahl dem Wächter, der draußen gewartet hatte, Jono ins Verhörzimmer zu bringen.

„... Ich frage dich noch einmal: Bleibst du dabei, Seine Hoheit tot aufgefunden und seinen Dolch an dich genommen zu haben?“, fragte Lubarna.

„Ja“, knirschte Jono. „So ist es gewesen.“

„Gib endlich zu, dass du Prinz Kail ermordet hast, um dich als er auszugeben und dich bei uns einzuschleichen!“, schrie Anitta, sprang auf und gab ihm eine schallende Ohrfeige.

In den Topasen brannte ein kaltes Feuer, als sie sich auf den Fürsten richteten. Jono schmeckte Blut an der Lippe.

„Ich sage die Wahrheit. Euer Prinz war tot, als ich ihn fand.“

„Lügen!“, rief Lubarna. „Und wer wusste noch davon, hm? Wen hast du in dein schmutziges kleines Geheimnis eingeweiht? Vielleicht hast du ihm ja erzählt, wie du Seine Hoheit ermordet hast.“

„Es wusste niemand davon“, sagte Jono. „Nur ich allein.“

Lubarna wandte sich von ihm ab.

„Er ist halsstarrig, vollkommen verstockt. Der Junge muss den Mord an Seiner Hoheit gestehen.“

„Vielleicht ist er auch für den Angriff auf den Pharao verantwortlich“, überlegte Anitta. „Und hat nur so getan, als wollte er ihn retten, um dann als Held dazustehen.“

Jono zog scharf die Luft ein. Das konnte ja wohl nicht angehen, der Mistkerl wollte ihn ausnutzen, um seinen Namen reinzuwaschen!

„Ich bin ganz gewiss nicht derjenige, der den Herrn der beiden Länder ermorden will. Welchen Grund sollte ich dafür haben – im Gegensatz zu anderen?“

Sein Blick kreuzte sich mit dem von Anitta. Nur das kurze Zucken in seinem Gesicht verriet, dass er den Hinweis verstanden hatte und Jono über seine Machenschaften Bescheid wusste.

Argh, wie oft hab ich von Großvater zu hören bekommen, dass ich erst nachdenken und dann reden soll, schalt sich Jono. Jetzt weiß er es.

„Willst du andeuten, dass du Näheres zu dem Anschlag weißt?“, fragte Akunadin.

„Ich ... nein, also ...“, stritt Jono ab. Er konnte es Anitta schließlich nicht nachweisen.

„Na schön, nehmen wir an, seine Worte stimmen und er ist nicht für den Angriff verantwortlich. Hmm ...“, sagte Tanefer und sah ihn nachdenklich an. „Der Junge scheint ehrlich zu sein. Was, wenn er auch sonst die Wahrheit gesagt hat?“

„Ihr wollt jemanden in Schutz nehmen, der keinen Respekt vor Euren Tempeln hat und Eure Götter beraubt? Ich sage, übergeben wir ihn dem Foltermeister. Er wird schon die Wahrheit aus ihm herausholen, auf die eine oder die andere Weise“, sagte Lubarna und schlug zur Bekräftigung seiner Worte auf den Tisch.

Akunadin betrachtete Jono aufmerksam und senkte seinen Blick kurz auf die Tischplatte, ehe er sich den Schreiber zuwandte, der das Protokoll führte.

„So soll es geschrieben stehen und so soll es geschehen. Der Gefangene erhält fünfzehn Hiebe mit der Peitsche. Vielleicht ist er danach gesprächiger.“

Anitta brummte unzufrieden. Er hatte schon seit einer Weile das Gefühl gehabt, dass Jono nicht zufällig im Garten gewesen war, als der Attentäter den Pharao töten sollte. Er wusste etwas und solange er lebte, konnte er ihm gefährlich werden.

Lubarna, Zidanta, Anitta und Akunadin folgten Jono und den Wachen in den zweiten Hof hinaus. Jono wurde an den mittleren der drei Pfähle gebunden, die Arme nach oben gestreckt. In seinem Rücken hörte er ein dunkles Knurren und wandte den Kopf. Mit großen Augen sah er den Mann an, der hinter ihm stand. Sein ganzer Körper schien nur aus Muskeln zu bestehen, ein böses Grinsen umspielte seine Mundwinkel. Der Foltermeister riss ihm das Obergewand mit einem Ruck vom Leib und warf den Fetzen auf die Erde.

„Reshef, mache dich an die Arbeit“, sagte Akunadin.

Ra stehe mir bei, dachte Jono. Sekunden später verzogen sich seine Gesichtszüge vor Schmerz, sein Rücken streckte sich durch. Er presste die Lippen aufeinander. Anitta und Lubarna wollten ihn schreien sehen? Diese Genugtuung würden sie nicht bekommen.

Schlag um Schlag führte Reshef sein grausames Werk aus, ließ die Peitsche auf den entblößten Rücken niederschnellen und zeichnete seine Haut mit blutigen Striemen. Als die Fesseln gelöst wurden, hatte Jono Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Sein Körper war zu einem einzigen, großen Schmerz geworden, sein Rücken fühlte sich feucht und brennend heiß an. Zwei Wächter hakten ihn unter, schleiften ihn in seine Zelle zurück und warfen ihn auf sein Lager.
 

Die Nacht war für ihn eine einzige Qual gewesen. Jedes Mal, wenn er eingeschlafen war, hatte er sich früher oder später auf den Rücken gedreht und war mit einem schmerzvollen Stöhnen aufgefahren. Nun lag er im Dämmerlicht des frühen Morgens in seiner Zelle auf dem Bauch und versuchte sich nach Möglichkeit nicht zu bewegen. Reshef hatte fest zugeschlagen. Hätte er länger zu leben, würden sich gewiss Narben bilden. Um sich die Zeit zu vertreiben, bis es seinen Peinigern einfiel, ihn erneut zu befragen, hatte Jono begonnen, mit leiser Stimme zu singen. Es war schon erstaunlich, was einem alles wieder einfiel, wenn man allein in einer dunklen Zelle lag und zur absoluten Untätigkeit verdammt war. Da kamen ihm sogar die Lieder wieder in den Sinn, die seine Mutter ihm als kleines Kind vorgesungen hatte.

Er setzte gerade zur dritten Strophe eines Liedes über einen wachenden Stern an (wobei er sich fragte, ob sich sein Schutzstern frei genommen hatte), als jemand seine Zelle betrat und hinter ihm die Tür geschlossen wurde. In seiner liegenden Position konnte er nicht das Gesicht seines Besuchers sehen, doch das lange blaue Obergewand hätte er jederzeit erkannt.

„Seth! Oh, verzeiht ... das ist wohl nicht die passende Anrede für einen Wächter des Pharao. Entschuldigt bitte weiterhin, wenn ich mich nicht vor Euch verbeugen kann, wie es Euch zusteht –“

„Was haben sie dir nur angetan.“

Seth näherte sich ihm langsam und ließ seine Augen über Jonos blutigen Rücken wandern. Anscheinend hatte es niemand für nötig befunden, sich um ihn zu kümmern. Er atmete hörbar aus.

„Du hast uns alle die ganze Zeit belogen ... Du hast mich belogen, hast dich als Prinz ausgegeben. Alles, was ich von dir möchte, ist ein einziges Mal eine ehrliche Antwort. Hast du mich je geliebt oder war auch das eine Lüge?“

„Jedes einzelne meiner Worte entsprach und entspricht der Wahrheit. Obwohl ich zuerst dachte, zwischen uns könnte es nur Abneigung geben, habe ich mich in Euch verliebt. Hmm ... vielleicht war das einer der Gründe, warum ich Fürst Zidanta nicht widersprach, als er mich für Prinz Kail hielt.“

„Wie meinst du das?“

„Ihr seid der Hohepriester, einer der höchsten Berater des Pharao. Hättet Ihr dem Sohn eines Händlers auch nur einen Funken Beachtung geschenkt? Seid ehrlich.“

„Vielleicht ...“

„Aber eher nicht. Damals bot mir die Stellung als Prinz Schutz ... vor Euren Nachforschungen und gleichzeitig kommt es mir so vor, als hätte ich unbewusst Eure Nähe gesucht.“

„Willst du mir nicht erzählen, wie es zu all dem gekommen ist?“

„Das habe ich doch schon alles zu Protokoll gegeben.“

„Ja, aber ich meine die ganze Geschichte. Ich möchte wissen, wie es angefangen hat. Was dich dazu brachte, in die Wüste zu fliehen.“

„Soll ich Euch das wirklich erzählen?“

„Sonst würde ich nicht fragen“, erwiderte Seth, der sich aus der hockenden Position, die er neben Jono eingenommen hatte, erhob und zur Tür schritt. Nach einem kurzen Klopfen öffnete sich die Klappe. „Bring mir Wasser und sauberes Leinen“, befahl er dem Soldaten.

Er musste nicht lange warten, bis das Gewünschte durch die Klappe gereicht wurde. Seth ließ sich mit den Sachen wieder neben Jono nieder und tauchte ein Stück Stoff in das Wasser.

„Du erzählst und ich versorge deinen Rücken.“

„Es begann alles an einem Nachmittag vor ... Nein, eigentlich hat es viel eher angefangen ...“

Jonos Gedanken lösten sich von ihm, nahmen die Gestalt eines Falken an und machten sich auf den Weg, der ihn durch die Zeit zurückführte. Dem Lauf des Nil nach Süden folgend, in die Stadt Zawtj.
 

„Wie kannst du es wagen, mir zu widersprechen!“, rief Amenhotep und ließ seine Hand auf das Gesicht seines widerspenstigen Sohnes zuschnellen. „Ich bin dein Vater, der Herr dieses Hauses und du hast dich meinen Befehlen zu beugen.“

„Aber ich liebe Teje nicht, Vater“, sagte Jono und wich ihm aus.

„Liebe? Glaubst du, ich wurde danach gefragt, als ich deine Mutter heiratete? Ha, ich kenne die Liebe, an die du glaubst. Die große, wahre Liebe, die von den Dichtern beschrieben und den Musikern besungen wird. Die existiert nicht! Sie ist nur ein schönes Märchen, das den Kindern aber dumme Flausen in den Kopf setzt.“

„Es gibt sie, ich weiß es!“

„Schweig! Du wirst Teje in zwei Wochen heiraten, ob es dir passt oder nicht. Die Mitgift, die sie von ihrer Familie erhält, ist mehr als ansehnlich und wird unseren Reichtum mehren.“

„Unseren?“, fragte Jono zynisch. „Du meinst wohl eher deinen.“

„Ich verbiete dir, so mit mir zu sprechen. Geh, ich will dich bis zum Abendessen nicht mehr sehen.“

Jono warf Amenhotep einen letzten finsteren Blick zu und verließ das Haus. Im Hof wartete sein Freund Raneb auf ihn.

„Na, wieder Ärger?“

„Nicht wieder, immer noch.“

„Ich hab dir gesagt, du kannst es ihm nicht ausreden.“

„Du hast leicht Reden, Ra, dich will man ja auch nicht mit dieser hässlichen Kuh verheiraten. Deine Braut ist wenigstens hübsch.“

„Aber dafür dumm wie Stroh. Hast du heute Abend schon was vor?“

„Wie ich Vater kenne, wird er mir wieder irgendwelche Bücher vorlegen wollen.“

„Da weiß ich was Besseres. Lass uns ins Sonnenrad gehen, wir waren lange nicht mehr dort. Tan kommt auch mit. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, solange es noch geht. Ich habe gehört, dass Tejes Mutter in ihrem Haus die eigentliche Befehlsgewalt hat und ihr Mann nicht viel zu melden hat. Wenn ihre Tochter nach ihr schlägt, war es das mit deinem süßen Leben.“

„Die Götter mögen mich davor bewahren“, lachte Jono.
 

Das Sonnenrad war gut besucht, das Bier floss in Strömen in die Kehlen der Männer. Die Wirtin und ihre Gehilfinnen wurden nie müde, immer neue Krüge aus den Vorratskammern herbeizuschleppen und die Becher zu füllen. Jono, Raneb und Tan hatten sich mit ihrem Krug an einen Tisch in der Ecke verzogen, wo sie vor den Blicken der Älteren besser geschützt waren. Alle drei hatten reichlich von dem Gerstensaft getrunken, den die Wirtin selbst braute.

„Was haltet ihr von ’ner kleinen Mutprobe?“, schlug Raneb vor.

„Hast du wieder mal Hunger und willst dem armen Bäcker seine frischen Kuchen klauen?“, zog Tan ihn auf. „Wäre ja nicht das erste Mal.“

„Nein, ich meine eine richtige Mutprobe. Dem Bäcker die Kuchen stibitzen – das haben wir doch schon als kleine Kinder gemacht. Mir schwebt da was ganz anderes vor. Im Bezirk des Amun-Ra-Tempels wachsen Dattelpalmen, denen nachgesagt wird, dass sie unvergleichlich süß schmecken, aber die Priester behalten alle für sich.“

„Es sind ja auch ihre Bäume“, sagte Tan. Er hatte in der kleinen Gruppe schon immer die Stimme der Vernunft vertreten. „Raneb, auch wenn du der Sohn des Fürsten bist, kannst du nicht einfach dort reinmarschieren und ihre Palmen plündern.“

„Wer redet denn gleich von Plündern?“, entgegnete Jono. „Wir holen uns nur eine kleine Kostprobe, um zu sehen, was an dem Gerücht dran ist.“

„Dann gilt es“, sagte Raneb und leerte seinen Becher.

Sie zahlten die ausstehende Zeche und verließen das Sonnenrad. Der Abend war weit fortgeschritten, doch hier im Hafen pulsierte noch das Leben. Raneb ließ die Freudenhäuser mit Bedauern hinter sich, sie bogen in die Straße ab, die sie zum Tempelgelände führte. Die Priester hatten sich lange in ihre Kammern zurückgezogen und den Wachen das Aufpassen überlassen. Am Heiligen See und bei den Wegen brannten Fackeln, um den Priestern für ihre rituellen Bäder zu leuchten. Die Gärten aber, das Ziel der drei, lagen im Dunkeln. Raneb suchte an der Umfassungsmauer, bis er glaubte, die richtige Stelle gefunden zu haben. Er kannte sich etwas besser auf dem Tempelgelände aus als seine Freunde. Er hatte seinen Vater einige Male zu Besuchen und Festen begleitet und hatte so tiefer in die Anlangen vordringen dürfen, als es der gewöhnlichen Bevölkerung gestattet war.

Mittels einer Räuberleiter kamen Raneb und Jono auf die Mauer. Tan sollte draußen bleiben und Schmiere stehen. Die beiden landeten mitten in einem Lattichbeet und liefen von dort auf die hohen Schatten zu, die die Dattelpalmen sein mussten.

„Wer zuerst oben ist!“, sagte Jono und machte sich an die Ersteigung einer Palme.

Sein Freund ließ sich bei dieser Herausforderung nicht lange bitten. Jono war fast oben angekommen und streckte die Hand nach den reifen Früchten aus.

Jono ... Jono! Er hielt inne und lauschte.

„Hast du mich gerufen, Raneb?“, fragte er dann.

„Nein. Ha, Erster! Aber warum hast du angehalten?“

„Ach ... Ich dachte mir, ich lasse dir heute ausnahmsweise den Vortritt.“

„Wie edelmütig von dir, mein Freund.“

Jono, komm zu mir ... Ich brauche dich.

Wieder diese Stimme. Er sah sich um, doch er konnte nicht sagen, woher sie kam. Sie schien einem Mann zu gehören und klang, als stünde er in einer großen Halle.

„Irgendwas stimmt doch nicht mit dir?“, bemerkte Raneb.

Jono winkte ab und stopfte sich Mund und Taschen mit den Datteln voll.

„Verschwinden wir, bevor uns jemand sieht. Hey, du hast Recht, die sind köstlich!“

Tan trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Wenn nun jemand seine Freunde erwischt hatte ... Zwei Körper schoben sich über die Mauer und landeten kurz darauf elegant neben ihm.

„Na endlich, ich dachte schon, sie hätten euch erwischt. Es ist schon zweimal ’ne Wache vorbeigekommen.“

„Hatte das liebe Tanilein etwa Angst?“, witzelte Raneb.

„Lass deine Scherze, Ra. Ich muss nach Hause.“

„Was reagierst du heute so empfindlich? Jono, kommst du? Was ist denn an der Mauer so interessant?“

„Hmm ... Ach, nichts“, murmelte er und löste seinen Blick von der Umfassung. Bin ich so betrunken, dass ich sogar Stimmen höre?
 

Drei Tage darauf schickte Amenhotep Jono mit einer Flasche feinstem Salböl und mehreren Beuteln, die Harze und Kräuter enthielten, zum Tempel des Amun-Ra. Letztere waren eine Bestellung des Tempelvorstehers, das Öl sollte dem Gott geopfert werden. Der Grund für dieses ungewöhnlich spendable Verhalten seines Vaters missfiel Jono. Amun-Ra sollte damit milde gestimmt werden und Jono einsichtig machen, was die Hochzeit anging.

Ein junger Priesteranwärter führte ihn zu den Vorratslagern, wo einer der älteren Priester damit beschäftigt war, die Bestände zu überprüfen und die Listen zu korrigieren.

„... sechzig Skarabäus-Amulette, neunundachtzig Ankh – Ah, Jono! Was führt dich her?“

„Ich bringe die Bestellung des verehrten Hohepriesters“, erklärte Jono und legte die Beutel auf einem Tisch ab.

„Sehr gut, darauf warten wir schon eine Weile.“

„Die Karawane hatte in Kusch ein paar unerwartete Schwierigkeiten.“

Der Priester zählte die mit Amenhotep vereinbarte Summe ab und nahm Jono die Ölflasche aus der Hand, um sie an die Männer weiterzuleiten, die für die Opferung zuständig waren. Jono verabschiedete sich und begab sich in den Ersten Vorhof zurück. Die anderen drei Höfe, die dem Inneren Heiligtum vorgelagert waren, waren für die gewöhnlichen Menschen, wie er einer war, gesperrt.

Jono ... komm her.

Wieder diese Stimme und sie schien von weiter innen aus der Anlage zu kommen.

Hmmm ... Muss jemand anders gemeint sein, dachte Jono und überlegte, ob es im Tempel einen Priester mit seinem Namen gab. Er musste jedenfalls nach Hause oder sein Vater hielt ihm wieder einen seiner langen Vorträge, die er meistens mit einer oder mehreren Ohrfeigen garnierte. Dabei hatte er nicht gemerkt, dass er es nicht mehr mit einem kleinen Jungen zu tun hatte, sondern mit einem fast erwachsenen Mann, der in der Lage war, sich zu wehren. Letztes Mal hatte sich Jono nur seiner Mutter und dem Hausfrieden zuliebe zurückgehalten.
 

In der Nacht wälzte sich Jono unruhig in seinem Bett hin und her. Dunkle Schatten jagten durch seine Träume, jagten ihn durch das Schilf am Nilufer. Unter lautem Fiepen löste sich ein golden schimmernder Falke aus den Pflanzen und stürzte sich auf die Verfolger.

Jono, komm zu mir! Schnell, bevor es zu spät ist!

Jono öffnete die Augen und sah sich in seinem Zimmer um. Wieder dieser Traum. Der verfolgte ihn schon seit mehreren Nächten.

Bitte, du musst zum Tempel kommen.

Aber das konnte kein Traum mehr sein, schließlich war er wach. Und er wollte verdammt noch mal wissen, wer ihn da ständig rief! Er schlüpfte in seine Kleider und schlich sich aus dem Haus. Am Schlafzimmer seines Vaters blieb er kurz stehen und horchte. Schnarchen – er schlief wahrscheinlich seinen Rausch aus.

Das Außentor ihres Grundstücks war, wie er erwartet hatte, verriegelt, den schweren Balken konnte ein Mann schlecht bewegen. Aber die kleine Seitenpforte, die von den Dienern benutzt wurde, war nur mit einem einfachen Riegel versehen. Entgegen seinem Vorhaben, gemütlich zu gehen, um es wie einen späten Spaziergang aussehen zu lassen, begann er zwei Ecken nach seinem Elternhaus zu rennen. Etwas sagte ihm, dass er sich beeilen musste.

Außer Atem erreichte er das Tempelgelände und sah sich um. Wie sollte er den Wachen erklären, dass er mitten in der Nacht zum Tempel musste und zudem weiter, als ihm erlaubt war? Durch das Tor konnte er also nicht. Sein Blick schweifte an der Mauer entlang. An einer Stelle war sie etwas niedriger, dort konnte es gehen. Er nahm Anlauf, sprang ab und bekam mit den Fingern den oberen Rand zu fassen. Ächzend stemmte er sich hoch und stieg über den Steinwall, landete sicher auf den Beinen und lief weiter. Hinter Bäumen, Statuen und Säulen Schutz suchend, näherte er sich dem Inneren Heiligtum. Im Schein der Ölfeuer, die den Hof erhellten, erkannte er auf dessen anderer Seite eine Gestalt, in dunklen Stoff gehüllt, das Gesicht hinter einer Maske verborgen.

Jono, beeile dich!, drängte die Stimme. Bring das Auge des Ra von hier fort.

Die Gestalt lief auf das Sanktuarium zu, das sich rechts vom zentralen Tempelgelände erhob.

Der will doch nicht etwa das Artefakt stehlen!, schoss es Jono durch den Kopf. Das muss ich verhindern.

Er rannte der vermummten Gestalt hinterher, die die Eingangstür öffnete und das Sanktuarium betrat.

„Stehen bleiben!“

Im Außenbezirk stieß man alle naselang auf Wachen, waren denn hier keine? Jono sah sich um, doch er war allein. Hinter der Tür lag ein von Fackeln beleuchteter Gang. Kunstvolle Gemälde schmückten die Wände, die Decke war dunkelblau gestrichen und wimmelte von goldenen Sternen. Jono konnte ihnen nur einen kurzen Blick gönnen, seine Aufmerksamkeit wurde auf etwas anderes gelenkt. Die Tür am Ende des Gangs wurde von zwei Wachen flankiert, doch sie lagen bewusstlos am Boden. Der Unbekannte machte sich an der vergoldeten Tür zu schaffen.

„Hey, lass deine Finger davon“, rief Jono. „Mit welchem Recht wagst du es, in den Tempel einzubrechen!“

Ein schauriges Lachen hallte von den Mauern wider. Die Gestalt streckte eine Hand zur Seite – Jono bemerkte mit Schrecken die langen, spitzen Fingernägel. Dunkle Blitze zuckten an den Fingern auf, verdichteten sich zu einer Kugel, welche die Gestalt gegen die Tür stieß. Das kunstvoll gearbeitete Schloss schmolz unter dem Angriff wie Butter in der Sonne. Das konnte doch kein normaler Mensch sein. Womöglich ein Dämon ... Aber wie hatte der sich, von Priestern und Wachen unbemerkt, hier einschleichen können?

Ein kräftiger Tritt sprengte die Tür und brachte dem Fremden den ersehnten Einlass.

Jono, du musst ihn aufhalten. Er darf das Amulett nicht bekommen.

Aber wie soll ich gegen einen Dämon kämpfen?

Ich helfe dir. Vertrau mir.

Jonos Fäuste ballten sich. Er war nie vor etwas davongelaufen, er würde es auch jetzt nicht tun.

„Verschwinde von hier!“

Er stürmte den Gang entlang, bückte sich und griff nach dem Kopesh von einem der Wächter. Die Klinge schoss auf den Dämon zu und wurde von einem Kopesh mit schwarzer Klinge geblockt. Jono wich einen Schritt zurück, als er die violett glühenden Augen in den Schlitzen der Maske sah. Mit einem bösen Knurren griff der Dämon nun seinerseits an. Jono nahm den geweihten Raum, der sich unter ihren Attacken in einen Kampfplatz verwandelte, nur am Rande wahr.

Auch hier waren die Wände bemalt, dazwischen standen Statuen von Männern und Frauen. In der Mitte stand eine goldene Truhe auf einem hohen Sockel. Das schien es zu sein, was der Dämon gesucht hatte. Immer wieder versuchte er sich ihr zu nähern, nach dem Kasten zu greifen. Jono gab sein Bestes, ihn von dort fernzuhalten, doch je länger er kämpfte, desto mehr Kraft ging ihm verloren, während ihr Duell auf seinen Gegner keine Auswirkungen zu haben schien, außer dass er immer ungehaltener wurde, weil es ein Mensch wagte, sich ihm in den Weg zu stellen. Mit einem Hieb gelang es ihm schließlich, Jono zu Boden zu bringen. Er öffnete die Truhe und griff nach dessen Inhalt.

„Oh nein, das lässt du schön bleiben!“

Ein unirdisches Jaulen erklang, als die Klinge durch das Fleisch des Dämons schnitt und seine Hand abtrennte. Er ging auf Jono los, die Zähne gefletscht. Dieser hastete an ihm vorbei, duckte sich unter dem nächsten Angriff und packte das Amulett.

„Ist es das, was du willst? Das bekommst du nicht!“, rief Jono.

Ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen, verließ er den Raum, lief an den Wachen vorbei, durch den Gang, nach draußen ins Freie.

„Was hast du hier zu suchen?“

Einer der Lesepriester, Jono fiel sein Name nicht ein, kam ihm entgegen. Ihm fielen die Papyrusrollen aus der Hand, als er sah, was Jono in der Hand hatte.

„Was tust du mit dem Auge des Ra? Leg das sofort zurück!“

„Aber ein Dämon ist hinter dem Amulett her“, verteidigte sich Jono und warf einen Blick über die Schulter.

Besagter Dämon marschierte auf ihn zu, das Schwert grimmig erhoben.

„Ruft die Wachen!“, fuhr Jono den Priester an und eilte weiter.

„Bleib sofort stehen! Gib das Amulett her, niemand ist dahinter her außer dir! Dieb! Raub, Überf –“

Der Dämon stieß die Tür auf und schleuderte den Lesepriester aus dem Weg. Ohnmächtig blieb er im Hof liegen.

Bring das Amulett fort von hier, befahl die Stimme. Der Dämon darf es nicht bekommen. Vergiss die Wachen, lauf!

„Dort ist der Dieb! Fasst ihn!“

Die Tempelwachen liefen auf ihn zu. Von dem Dämon war nichts mehr zu sehen und das hieß – Sie hielten ihn für den Dieb! Nie war Jono so schnell gelaufen wie in dieser Nacht. In fliegender Hast rannte er durch die Vorhöfe, hinaus zur Straße und immer weiter. Fieberhaft überlegte er, wohin er sich wenden sollte.

Etwas außerhalb der Stadt gab es Höhlen, in denen er und Raneb als Kinder gespielt hatten. Sie lagen abseits der Wege, dort würde ihn sicher niemand finden. Erschöpft schlief er zwischen den Felsen ein. Im Morgengrauen wurde er von einem gleißend hellen Leuchten geweckt. Als er sich aufsetzte und die Augen rieb, glaubte er erst, seinen Augen nicht zu trauen. Vor ihm stand der falkenköpfige Gott Horus und eröffnete ihm, dass er nach Men-nefer zum Pharao gehen und ihn warnen müsse. Der Sohn des Ra sei in großer Gefahr.
 

Seth ließ den Topf mit der Heilsalbe, die er auf Jonos Wunden gestrichen hatte, in seinem Beutel verschwinden und begann ihm die Binden anzulegen.

„So hat sich das also zugetragen? Du bist der Stimme gefolgt, um das Amulett vor einem Dämon zu retten und dann schickt dich Horus persönlich nach Men-nefer. Klingt nicht unbedingt nach dem, was das Gericht akzeptieren würde. Der Lesepriester hat angegeben, dass er nur dich gesehen hat. Von einem Dämon hat er nichts erwähnt.“

„Aber ich schwöre, es ist die Wahrheit. Ich begriff doch in dem Moment selbst kaum, was da geschah. Ich handelte einfach. Dabei hatte ich keine Ahnung, wie ich nach Men-nefer oder gar zum Pharao kommen sollte. Ich meine, hätte er mir geglaubt, wenn ich einfach zum Palast marschiert wäre und gesagt hätte: ‚Das Auge des Ra schickt mich, um Euch zu retten, weil jemand, den ich nicht kenne, es auf Euer Leben abgesehen hat’?“

„Nach dem, was du sagst, könnte man fast denken, das Amulett hätte sich einen neuen Hüter gesucht.“

„Hüter? Was meint Ihr?“

„Was weißt du über das Auge des Ra?“

„Nicht viel“, gab Jono zu. „Was eben so erzählt wird.“

„Zwar basiert auch mein Wissen auf den alten Legenden, bei denen sich nicht mehr ganz klar trennen lässt, was Wahrheit und was Mythos ist, doch was ich aus den Schriften erfahren habe, will ich dir berichten“, sagte Seth. „Es gab eine Zeit, in der eine Armee aus Menschen längst nicht das Schlimmste war, was Kemet zu fürchten hatte. Es soll sich zur Zeit der Regentschaft von Pharao Merenre dem Ersten vor etwa eintausend Jahren zugetragen haben. Die Seelen derer, die sich den Schatten verschrieben hatten oder deren Gräber einer Schändung zum Opfer gefallen und zerstört waren, fanden keine Ruhe und wurden immer zahlreicher. Ihr Ka nahm die Gestalt von Dämonen an und sie griffen die Hauptstadt an. Als Pharaos Hohepriester wird ein gewisser Zorc genannt. Er soll mithilfe des Gottes Seth eine Art ... Reich geschaffen haben, in das er die Ka-Monster bannte. Aber dann begann er zu experimentieren und entdeckte, dass er sie kontrollieren konnte. So wähnte er sich bald mächtiger als der Pharao und griff ihn mit jenen Kreaturen an, vor denen er ihn einst gerettet hatte. Seine vier Schüler stellten sich ihm entgegen, doch sie konnten gegen ihn nichts ausrichten. Am Ende stand Zorc dem Pharao und dem letzten Mitglied seiner Leibwache gegenüber und da griff Ra ein, um seinen Sohn zu retten. Er stattete den jungen Krieger mit einem Teil seiner Kräfte aus, eingeschlossen in einem magischen Amulett. Sein Kampf mit Zorc gab den Schülern die Zeit, sich zu erholen. Gemeinsam mit dem Krieger wirkten sie einen mächtigen Zauber und schlossen Zorc mitsamt seiner Armee im Reich der Schatten ein. Der Krieger wurde zum Wächter des Pharao berufen und schützte ihn mit der Macht des Ra, bis das Amulett bei seinem Tod an seinen Nachfolger überging. Etwa vierhundert Jahre lang ging das so, bis der Wächter versuchte, seine Kräfte gegen den Pharao zu wenden. Dieser soll dem Tod knapp entronnen sein und seinen Wächter getötet haben. Das Amulett wurde nach der Reinigung durch einen Priester in den Tempel nach Zawtj gebracht, wo es verwahrt wurde. Danach verließ es nur noch zweimal seinen Platz, als es die Priester zu sich rief und einen von ihnen zum Pharao sandte, um ihm beizustehen. Das dritte Mal hast du es an dich genommen. Und du hast den Pharao vor einem Mord bewahrt, wie es die Amulettwächter taten.“

„Dann glaubt Ihr mir?“, fragte Jono.

„Ja ... Und nenn mich wieder Seth“, er strich dem Braunäugigen durch das Haar. „Hündchen.“

„Kater“, brummte er.

„Ich würde dich ja gern umarmen, aber ich glaube, damit würde ich dir im Moment eher wehtun.“

„Ich freue mich schon, dass du hier bist, Seth.“

„Das tue ich auch, Jono.“

„Das ... klingt schön.“

„Was?“

„Das ist das erste Mal, dass du meinen richtigen Namen genannt hast. Am ... am schlimmsten war es für mich, dich anlügen zu müssen. Aber ich wollte nicht den Friedensvertrag mit den Hethitern aufs Spiel setzen, wenn ich dir mein Geheimnis verrate. Zidanta war so glücklich, weil er dachte, er hätte Kail wiedergefunden und dem Vertrag stünde damit nichts mehr im Weg ... Wie hätte ich da sagen sollen, tut mir leid, ich bin es nicht?“

„Du bist ein seltsamer Mensch, Jono“, meinte Seth und griff nach seiner Hand. „Wahrscheinlich mag ich gerade das so an dir.“

Der Wächter pochte an die Tür.

„Verzeiht, Euer Exzellenz, der Göttliche lässt Euch ausrichten, dass er Euch zu sehen wünscht.“

„Ja, ich komme gleich“, sagte Seth. „Jono, ich werde mit dem Pharao sprechen. Wenn wir ihm beweisen können, dass dich das Auge des Ra als seinen Hüter ausgewählt hat, kann ich dich bestimmt hier rausholen. Nicht aufgeben.“

„Ich doch nicht“, lächelte Jono.
 

Das Einzige, was ich über Zorc rauskriegen konnte, war, dass er das Schattenreich erschaffen und beherrscht hat, also habe ich überlegt, wie es dazu gekommen sein könnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  Ryuichi-Sakuma-
2008-11-10T10:09:41+00:00 10.11.2008 11:09
Ein mal wider Geiles Kapi (*-~)
Oh weh der arme Jono (>.<) aber Gott sei Dank glaubt ihn Seth nun *erleichtert ist* die zwei süßen gehören nun mal zusammen *smilie*
Bin ja mal gespannt wie es bei deiner Geilen FF weiter geht *kiss*

Gruß: Ryuichi-Sakuma-
(^-~)/
Von:  Rani
2008-11-02T21:23:39+00:00 02.11.2008 22:23
Ich finde das Kap sehr interessant und sehr informatif mach weiter so ich war überrascht das Seth so ist und zu ihm in den Kerker kommt ds jhätte ich nciht gedcht baer ich bin froh darüber und bin neugierig wie es weiter geht schreib mir aber bitte ne ENS wenn es so weit ist und es was neues gibt^^

lg Rani
Von:  Sathi
2008-11-02T18:58:19+00:00 02.11.2008 19:58
huihuihui meine güte da hab ich ja eine ganze menge verpasst du
*auf die knie fall*
verzeih mir das ich dir erst jetzt ein kommi schreib, ich hoffe mal das dieser ziemlich lang wird :P
bin jetzt nämlich fertig mit lesen ^^ geht relativ flott bei mia wunder dich nich ^.^

also fangen wir doch einfach mal bei kapitel 8 an:
*räusper*
also das fand ich jawohl
*schnurr* *.*
*sabber*
Rrrrrrrrrrrrrrrrr miau!! :P
reicht das als anmerkung?!
*lach*

gut kapitel 9
das hab ich als sehr sehr spannend empfunden aba du hast ja sowieso ein ziemliches talent dafür was spannung angeht siehe "searching for the fullmoon"
*gg*

kapitel 10
wie das andere oder die anderen kapitel einfach super super spannend
vor allem passte der titel bestens zum thema des kapitels
aba am allerbesten hatte mir die idee mit den attentätern gefallen einsame spitze
*daumen hochhalt*

kapitel 11
jaaa das war vll ein kapitel meine güte
ich hab mich schon gefragt ob das gut geht ^^°
ABER wie die anderen auch ein super super klasse kapitel

kapitel 12
nun ja du kennst meine meinung zu deiner ff
*räusper-einfach-klasse-* ^^°
nur das mit jonos geschichte fand ich schade das die nicht zu wort kam

so zum letzten kapiteln, nämlich diesen hier hab ich lange nachgedacht un komme zum entschluss:
DAS IST MOMENTAN EINE DER SUPER SCHÖNSTEN STORIES DIE ICH GERADE LESE!!!!
*beide daumen hochhalt*
du solltest ein buch schreiben ^^° wenn du das nich bereits tust :D
na dann ich hoffe das bald das nächste kapitel kommt..un ich nich wieder mit den kommentaren schludere wie die letzten..fünf ^^° sorry
bis dahin weiterhin gutes gelingen viel erfolg
deine divana
Von:  Judari
2008-11-02T15:43:08+00:00 02.11.2008 16:43
GEIL!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!^^
Von:  saspi
2008-11-02T13:27:29+00:00 02.11.2008 14:27
Hey!!!
Klasse kappi!!!
Bitte schreib schnell weiter!
Bin schon gespannt wie 's weiter gehen soll!!!

Freu mich aufs nächste kappi.
Bye

Von: abgemeldet
2008-11-02T11:09:13+00:00 02.11.2008 12:09
schööööön :)
Von: abgemeldet
2008-11-02T00:50:02+00:00 02.11.2008 01:50
ah das war toll *__*~


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