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Das Auge des Ra (J&S)

"Wüstensand"
von

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Was auch passiert

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=rt1Vqldvnwc Prince of Persia – The two Thrones: I still love you

http://www.youtube.com/watch?v=-rbw1l3LDnE&feature=related Enchanted Egypt
 

Kapitel 11

Was auch passiert
 

Jono lief gehetzt durch die dunklen Straßen von Men-nefer. Sein Atem ging schnell, flach und jeder Zug brannte in seiner Kehle. Er ignorierte das scharfe Stechen in seiner Seite, setzte unentwegt einen Fuß vor den anderen. Er durfte nicht anhalten, sonst würde es zu spät sein. Fest hielt er das Schwert umklammert, das er, die Klinge zum Boden gesenkt, mit sich führte.

Die Häuser, nur als düstere Schemen auszumachen, zogen an ihm vorbei. Eines sah aus wie das andere und doch wusste er genau, wohin er sich zu wenden hatte. Schlitternd bremste er ab, um die Abzweigung nicht zu verfehlen, bog nach links und rannte weiter. Nur nicht anhalten, egal wie seine Beine auch protestieren mochten. Vor ihm tat sich ein weiter Platz auf, in dessen Mitte sich ein großer Obelisk erhob. Die Spitze war mit Elektrum überzogen, einer Legierung, die tagsüber, im Licht der Sonne, wie Bernstein glänzte. Doch das steinerne Kunstwerk war es nicht, was Jonos Aufmerksamkeit beanspruchte, sondern die Männer, die an seinem Fundament standen. Der Mond löste sich aus den Wolken, hinter denen er sich bisher versteckt hatte und warf sein Licht auf die Szenerie, was das Ganze für Jono noch unwirklicher erscheinen ließ. Wie, im Namen aller Götter Kemets, hatte es nur so weit kommen können?

„Da seid Ihr ja endlich“, begrüßte Anitta ihn. „Ich dachte schon, Ihr kommt gar nicht mehr.“

Ein maliziöses Grinsen umspielte seine Züge. Vor ihm stand Seth, die Hände mit festen Stricken gefesselt, und warf seinem Entführer, der ihm sein Kopesh an den Hals hielt, vernichtende Blicke zu, die an diesem wirkungslos abzugleiten schienen.

„Lasst Seth gehen!“, sagte Jono und näherte sich ihnen langsam.

Er musste zu Atem kommen, musste seine Kraft sammeln, falls es zu einem Kampf kam. Und dazu würde es kommen, das wusste er.

„Ich wüsste nicht, warum ich das tun sollte. Was bedeutet er Euch denn schon? Was bedeutet Ihr ihm? Nichts.“

„Das ist nicht wahr. Lasst ihn gehen, im Namen des Pharao.“

„Ihr könnt mir nichts befehlen. Erst recht nicht im Namen eines Herrschers, der tot ist.“

„Was –“

Anitta bückte sich und lüftete ein Tuch, das neben ihm lag. Jono zog scharf die Luft ein, als er den reglosen Körper erkannte, der zu Füßen des hethitischen Fürsten lag.

„Anitta, Ihr habt Eure Seele wahrlich dem Schattenreich verschrieben“, knurrte Jono.

„Nicht mehr als Ihr, mein falscher Prinz. Ihr seid ein Narr, genau wie Zidanta, dass Ihr dachtet, mich aufhalten zu können.“

Seth stieß einen gurgelnden Laut aus, als die Klinge durch seine Kehle schnitt. Blut strömte hervor, färbte sein helles Gewand mit dem roten Lebenssaft. Leblos sackte der Körper des Hohepriesters neben dem des Pharao zusammen.

„NEIN!“, brüllte Jono, packte sein Schwert fester und stürmte auf den wie wahnsinnig lachenden Anitta los.
 

„Nein!“

Das Wort auf den Lippen, fuhr Jono von seinem Lager auf. Sobald sich sein klitschnasser Rücken von den Laken hob, begann er in der kühlen Luft zu frösteln. Sein Puls raste, sein ganzer Körper fühlte sich heiß und verschwitzt an. Wie im Fieber wanderten seine Augen umher, streiften den Durchgang zu seinem Balkon. Blasser werdendes Blau füllte den Himmel, die Dämmerung war schon weit vorangeschritten.

„Es war ein Traum ... nur ein Traum“, flüsterte er. „Aber so real ...“

Er ließ sich in die Kissen zurücksinken. Als Jono die Hand heben wollte, um sich über die Stirn zu fahren, spürte er einen Widerstand an ihr und drehte den Kopf nach links. Verblüffung trat in die braunen Augen des Blondhaarigen und verscheuchte die Schreckensbilder, die ihn eben noch heimgesucht hatten. Neben seinem Bett hockte Seth, dessen linker Arm quer über dem Laken lag und seinen darauf gebetteten Kopf stützte. Seine rechte Hand hatte sich um Jonos Linke gelegt und hielt sie fest.

„Warst du die ganze Nacht hier? Aber ... was tust du hier ...“, murmelte Jono.

Seth ächzte leise im Schlaf und warf den Kopf herum.

„Geh nicht ... lass mich nicht allein, mein ... Falke.“

Er träumt von mir?, wunderte sich Jono. Und ich soll ihn nicht alleine lassen? Horus, was ist nun wahr? Das, was er mir im Tempel sagte oder das, was ich jetzt höre ... Seth, was ... was fühlst du wirklich? Was geht in dir vor, Schlange?

Unruhig bewegte sich das Haupt des Hohepriesters, seine Augen zuckten, dann kam er zu sich. Schlaftrunken blinzelte er, im ersten Moment nicht wissend, wo er sich befand, bis er Jono erkannte. Sofort wurde seine Miene streng und abweisend, er ließ Jonos Hand los und schoss von seinem Platz auf. Auf der Stirn des Jüngeren bildete sich eine steile Falte. Etwas stimmte nicht mit Seth, wenn er all ihre Treffen in den letzten Tagen zusammennahm, so bildete sein Verhalten einen einzigen Widerspruch in sich. Er wollte endlich wissen, was die Wahrheit, was eine Lüge war. Jono setzte sich im Bett auf und musterte ihn mit scharfem Blick.

„Du bist wirklich der ungewöhnlichste Mensch, der mir je begegnet ist, Seth“, sagte er.

„Hatte ich Euch nicht gesagt, dass Ihr diese vertraute Anrede unterlassen sollt“, fuhr Seth ihn an. „Hört –“

„Nein, jetzt hörst du mir mal zu“, entgegnete Jono, warf die Decke zurück und schwang sich aus dem Bett. „Was ist mit dir los? Nach unserem ersten Kuss hast du mich zurückgestoßen und ich hielt es für Vorsicht, um keinen Verdacht zu erregen. Nachdem wir miteinander das Bett geteilt hatten, hast du mir mit deiner Kälte ein Messer ins Herz gerammt und es mir dann scheinbar genüsslich aus der Brust gerissen. Du sagst, du empfindest nichts für mich und dennoch rufst du im Traum nach mir. Ich weiß nicht mehr, woran ich bei dir bin. Weißt du überhaupt selbst, was du willst?“

„Ich ...“

„Ja, jetzt bist du sprachlos, was?“

Seths Blick richtete sich zu Boden, er wandte den Kopf ab und ließ seine Augen über die Wände des Schlafzimmers wandern. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er fuhr herum und ging – oder floh, wie es Jono vorkam – auf den Balkon. Der Nil wurde von den Fischern bevölkert, die mit ihren Booten ausfuhren und die Netze auswarfen, immer hoffend, der Fluss möge ihnen einen reichen Fang bescheren. Jono trat neben Seth, dessen Blick sich auf den Horizont richtete.

„Ich ... Ich war es immer gewohnt, mich alleine durchzuschlagen“, sagte er zögernd. „Mein Vater verließ meine Mutter und mich, als ich noch sehr klein war. Ich kann mich nicht einmal an sein Gesicht erinnern. Ein paar Jahre darauf starb meine Mutter, als Räuber in unser Dorf einfielen. Als ich nach ihrer Beerdigung vor dem Schrein unseres zerstörten Hauses betete, da ... da kam es mir vor, als würden die Götter nach mir rufen. Und so weihte ich mein Leben Amun-Ra, mit dem Versprechen, ihm und nur ihm allein zu dienen. Aber ich habe ihn betrogen.“

„Wie ... wie das“, fragte Jono mit belegter Stimme.

„Ein Priester soll den Göttern dienen und ihnen sein Herz öffnen und nicht ... hmmm ... nicht einem Menschen.“

„Dann verdient es ein Priester also in deinen Augen nicht, das Glück der Liebe zu erfahren?“

„...“

„Soll denn ausgerechnet derjenige, der für das Glück der Menschen betet, der ihre Opfergaben für den Tempel entgegennimmt und für sie Fürsprache bei den Göttern einlegt, auf sein eigenes Glück verzichten und sein Leben in Einsamkeit verbringen? Ist es das, was du willst?“

„Und was ist mit dir? Denkst du überhaupt nicht an deine Stellung oder an deinen Ruf?“, warf ihm Seth nun, sich zu ihm wendend, vor. „Der Ruf, von den Frauen verehrt zu werden und sie leicht zu erobern, mag dir bei deinen Männern zum Vorteil gereichen, doch wie, glaubst du, reagieren sie, wenn herauskommt, dass du dich mit einem Mann eingelassen hast? Noch dazu mit einem Mann, der einem Volk angehört, welches von deinem seit Jahrzehnten als Feind angesehen wird, und der in den Diensten des Pharao steht?“

Jono lehnte sich mit dem Rücken, die Ellbogen auf das Sims gestützt, an die Balustrade.

„Ich hatte auch nicht vor, mich auf den Marktplatz zu stellen und eine offizielle Ankündigung zu machen, wenn du das meinst. Ist es nur dein Ruf, um den du dich sorgst, oder ist da noch mehr? Abgesehen von deinem unsinnigen Selbstvorwurf, die Götter zu betrügen.“

Längst war die Kälte aus den blauen Augen gewichen und hatte Verlegenheit Platz gemacht.

„Du sagtest, dein Herz bleibe bei mir, wenn du nach Hatti gehst. Und meines würde dich begleiten. Doch wie sollen wir beide so leben? Seit Tagen stürze ich mich in meine Arbeit, um zu vergessen und bin doch nicht mit ganzem Herzen bei der Sache. Darum habe ich dich von mir gestoßen. Wenn mehr zwischen uns wäre ... wie sollte ich mit den Erinnerungen daran zurechtkommen?“

„Allmählich begreife ich“, sagte Jono. „Aber hast du dir auch mal überlegt, wie ich mich bei deiner Behandlung fühle? Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, du spielst mit mir, wie es dir gerade in den Sinn kommt ... Wie eine Katze. Ich habe das gehörig satt.“

„Wenn überhaupt, dann Kater“, zischte Seth. „Und wenn du mich damit vergleichst, wundert es mich nicht, dass wir nicht miteinander zurechtkommen, Hund.“

„Gegensätze ziehen sich an, wusstest du das nicht?“, antwortete Jono schmunzelnd. „Und was, denkst du, wäre schlimmer? Die Erinnerung an eine schöne Zeit bewahren zu können, auch wenn es wehtun mag, sich daran zu erinnern, oder sich immer zu fragen, was hätte sein können?“

„Das ist nicht fair.“

„Nein, das Leben ist nicht fair.“ Jono richtete sich auf und legte seine Hand auf die von Seth. „Darum sollte man jeden kostbaren Moment ergreifen und ihn festhalten. Und wenn du meinst, die Götter wären dagegen – warum haben sie uns dann zusammengeführt? Vielleicht war es ja Schicksal.“

„Du redest schon wie Isis“, meinte Seth.

„Dann hat sie aber Recht.“

Seth streckte die Hand aus, strich sacht über Jonos Wange hinweg. Dessen Hände umfassten das Gesicht seines Gegenübers und zogen ihn näher zu sich.

„Und so beging die Schlange mit einem Lächeln Selbstmord und begab sich in die Klauen des Adlers“, flüsterte Seth nahe an Jonos Lippen.

„Nicht ohne ihm vorher noch ihr süßes Gift eingeflößt zu haben“, antwortete Jono und küsste ihn.

Sie bemerkten nicht, wie sich die Tür öffnete und Marik hereinspähte. Er war gekommen, um Jono zu wecken. Als er die beiden aber auf dem Balkon stehen sah, schloss er rasch und leise mit einem breiten Grinsen die Tür.
 

„Euer Hoheit, ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr etwas Qualifizierteres zu unserem Gespräch beitragen könntet als Eure Bemerkung über das Aussehen unserer Soldaten.“

„Aber Ihr müsst doch zugeben, dass die hethitische Armee um einiges besser aussieht“, gab Jono zurück und funkelte Seth herausfordernd an.

„Unsere Soldaten sollen Kriege gewinnen, nicht den ersten Platz bei einer Schönheitskonkurrenz.“

„Warum nicht, wäre sicher eine lustige Abwechslung.“

Niemand wäre bei dieser Unterhaltung auf den Gedanken gekommen, dass der große Streit zwischen dem Hohepriester und dem Prinzen beigelegt worden war oder gar, dass sich das Verhältnis zwischen ihnen grundlegend geändert hatte. Da konnten die anderen Mitglieder des Rates noch so versuchen, sie zurückzuhalten, ein Wort ergab zwischen den beiden das andere. Sie waren in ihrem Element.

Allerdings wussten vier Menschen im Raum, dass es sich bei diesen Streitereien nur noch um ein zugegebenermaßen etwas sonderbares Spiel zwischen ihnen handelte, um ihre Art, miteinander zu flirten. Marik hatte gleich nach seiner grandiosen Entdeckung Hapi aufgesucht und da der Pharao nur eine Ecke weiter gerade aus seinen Gemächern getreten war, hatte er seine Worte auch gehört. Und Isis ... nun, sie war dank ihrer Kette ohnehin die wahrscheinlich am besten informierte Person des ganzen Hofes. Abgesehen von dem Attentat letzte Nacht. Das machte ihr schwer zu schaffen.

Sie hatte schon seit einigen Wochen Probleme mit der Millenniumskette. Anfangs hatte sie es noch ignoriert, als ein oder zwei ihrer Vorhersagen nicht eingetroffen waren oder dass ihr die Kette einmal nicht antwortete. Mittlerweile jedoch machte sie sich ernsthafte Sorgen. Etwas stimmte nicht, das hatte sie im Gefühl und ohne die sonst so zuverlässigen Prophezeiungen des Artefaktes fühlte sie sich regelrecht hilflos. Wäre Kail nicht zufällig gestern wegen Schlafstörungen durch den Garten spaziert und hätte den Mann entdeckt (so die Fassung, die er geliefert hatte) – der Pharao würde jetzt auf seinen Weg ins Jenseits vorbereitet und Kemet hätte ohne Führung dagestanden.

Seit ihrer Rückkehr aus Hut-waret verbrachte Isis jeden Tag mehrere Stunden im Tempel, um zu den Göttern zu beten und sie um die Visionen zu bitten, die sie ihr früher so oft geschenkt hatten. Doch jetzt herrschte meistens Stille, wenn sie vor dem heiligen Feuer kniete.
 

Jono warf einen abschließenden Blick in den großen Spiegel und betrachtete sich zufrieden. Das lange Gewand, das er sich für den heutigen Abend ausgesucht hatte, war von tiefem Blau, wie die Augen seines geliebten Priesters. Darüber trug er einen schlichten weißen Umhang und das Pektoral, das er letztens auf dem Markt erstanden hatte.

„Seth wird Augen machen“, lachte er.

„Euer Hoheit, Fürst Zidanta möchte Euch sehen“, sagte Marik.

Ah, da ist ja unser möglicher Verräter Nummer Zwei.

„Ich lasse bitten“, erwiderte Jono hoheitsvoll.

Er und Marik hatten den Fürsten den ganzen Tag nicht aus den Augen gelassen, aber nichts Auffälliges an seinem Verhalten gefunden. Er hatte sich über den Angriff auf Atemu erschüttert gezeigt, doch das hatten alle getan, die davon gehört hatten. Der Pharao hatte das Fest, das für heute geplant war, kurzerhand zu einer Ehrenfeier für Prinz Kail, zum Dank für seine Rettung, erklärt.

„Ah, wie ich sehe, seid Ihr fertig, Euer Hoheit“, sagte Zidanta, der ein gelbes, mit braunen Halbmonden geschmücktes Tuch über seinem grünen Gewand trug.

„Genau wie Ihr. Das ist ein interessanter Schmuck, den Ihr Euch da ausgesucht habt, Fürst Zidanta“, kam die Antwort von Jono, dessen Augen sich dem mehrreihigen Collier aus Tigeraugenperlen und Gold zugewandt hatten.

„Das ist ein Erbstück meiner Familie“, erklärte der Fürst. „Aber beinahe hätte ich es nicht tragen können. Es ist irgendwann, während wir noch unterwegs waren, gerissen und ich habe den Schaden erst vor ein paar Tagen bemerkt. Fürst Anitta hatte neulich ein ähnliches Problem mit einem Armband und konnte mir so zu meinem Glück einen guten Juwelier hier in der Stadt empfehlen, der das Collier gestern Abend noch repariert hat."

„Ich habe Euch gestern mit Anitta gesehen. Dann habt Ihr mit ihm also darüber gesprochen?“

„Ja ... Worüber sollten wir denn sonst geredet haben?“, wunderte er sich.

„Nun ja ... Ich war gestern Abend nicht zufällig im Garten. Ich wusste von dem Attentäter und habe mich auf die Lauer nach ihm gelegt.“

„Ihr ... Moment, woher denn?“

„Ich habe ihn und Anitta ein paar Stunden zuvor belauscht“, gab Jono zu. Er wusste nicht, was genau es war, das ihm das einflüsterte, doch er glaubte Zidanta trauen zu können. Sein Verdacht gegen ihn war unbegründet gewesen, er hatte nichts mit dem Anschlag zu tun. „Er hat den Mann beauftragt.“

Zidanta sah aus, als hätte er einen heftigen Schlag ins Gesicht bekommen. Taumelnd näherte er sich einem Hocker und ließ sich auf diesen fallen.

„Anitta wollte den Pharao ermorden lassen ... Ihr seid Euch sicher, dass er es war, den Ihr gesehen habt?“

„Ganz sicher. Ich kann es ihm nur leider nicht nachweisen.“

„Ich hätte ihm ja einiges zugetraut, um unsere Verhandlungen zu boykottieren, aber das ... Auf so etwas wäre ich nie im Leben gekommen. Ich bin sehr froh, dass Ihr rechtzeitig zur Stelle wart und den Mann aufgehalten habt. Andernfalls hätte das ein böses Ende geben können. Es ist nur schade, dass wir keine Beweise gegen Anitta haben. Seinen Diener können wir nicht mehr befragen. Wir müssen ihn im Auge behalten. Ich kenne ihn lange genug. Er ist kein Mann, der eine Niederlage akzeptiert.“

„Meint Ihr etwa, er wird es wieder versuchen?“

„Ja, das halte ich für möglich, Prinz Kail.“

„Eure Hoheiten“, mischte sich Marik ein, „es wird Zeit für die Feier.“

„Ja, wir kommen gleich“, sagte Zidanta. „Prinz Kail, Ihr dürft Euch nicht anmerken lassen, dass Ihr über Anitta Bescheid wisst. Er wird Euch sonst als Bedrohung ansehen und nicht zögern, Euch dasselbe Schicksal zukommen zu lassen, das er dem Pharao zugedacht hat.“

Jono war inzwischen so geübt darin, sich als Kail hinter einer Maske zu verbergen, dass es ihm nicht mehr allzu schwer fiel, auch seinen Verdacht gegen Anitta zu verstecken. Er und Zidanta grüßten ihn freundlich, als sie mit ihm und Lubarna den Festsaal betraten und sich zu ihren Plätzen begaben.

Jono stellte erfreut fest, dass Seth es heute so eingerichtet hatte, dass sie nebeneinander saßen. Während des Essens ignorierten sie sich die meiste Zeit und unterhielten sich mit ihren anderen Nachbarn. Nur wenn sich ihre Blicke kurz streiften, erkannte man das kurze Aufflackern von Sehnsucht nach dem anderen in ihren Augen. Seth war sehr angespannt, in ständiger Sorge darum, ob etwas bei dem Programm, das er geplant hatte, schief ging. Als der Perfektionist, der er nun einmal war, wollte er dem Pharao und seinem Besuch einen unvergesslichen Abend (und dieses Mal garantiert ohne mordlüsterne Tänzerinnen) bieten. Erst mit der Zeit, als eine Aufführung nach der anderen ohne Schwierigkeiten über die Bühne ging, wurde er ruhiger. Doch so faszinierend das von ihm organisierte Schauspiel auch war, Jono, Marik und Zidanta hielten Anitta den ganzen Abend über, immer abwechselnd, unter Beobachtung. In seinem Verhalten ließ nichts darauf schließen, ob er etwas Neues plante.

Der Höhepunkt und gleichzeitige Abschluss des Abendprogramms war die in ihren Proben so unglücklich verlaufene Fackelprozession der Priester des Amun-Ra-Tempels. Die Öllampen, die den Saal bisher erhellt hatten, wurden hinausgetragen und ließen den Raum im leicht bläulich schimmernden Licht des Mondes zurück. Dann öffneten sich die Türen. Ein kleines Orchester aus Harfen-, Flöten- und Sistrumspielern begleitete den feierlichen Einzug der singenden Priester, mit denen Seth heute vor den Verhandlungen noch eine Probe im Festsaal gemacht hatte, um sie an die unbekannte Umgebung zu gewöhnen.

Das Feuer der Fackeln flackerte wild und umgab die Zuschauer bald mit seinem Bann. Fast hypnotisierend wehten die Gesänge der Männer durch den Saal, während sich die beiden Reihen synchron zueinander bewegten, sich kurz vor der Sichelempore trennten, um Spiralen und andere Formen zu beschreiben, oder die Akteure kunstvoll die Fackeln schwangen und geheimnisvolle Symbole in die Luft zeichneten.

Jono wandte sich von den Priestern, die sich gerade im Kreis, die Fackeln nach innen gerichtet, bewegten, ab und sah Seth an, der mit prüfendem Blick jeden ihrer Schritte verfolgte.

„Entspann dich“, flüsterte er und strich über Seths Handrücken. „Es ist wunderbar geworden.“

Seth biss sich auf die Lippen, um nicht loszulachen. Ausgerechnet seinen Handrücken, eine der wenigen Stellen, an denen er kitzlig war, hatte sich sein Liebster ausgesucht. Ob er das wusste? Der Hohepriester hielt es für klüger, ihn nicht darauf aufmerksam zu machen und drehte seine Hand um. Jono schlang seine Finger durch die von Seth und hielt dessen Hand fest, verdeckt vom Stoff ihrer Umhänge hinter ihnen und den Tischen vor ihnen.

Die Priester nahmen ihre Abschlussposition, einen großen Halbkreis, ein und verbeugten sich vor dem Pharao und seinen Gästen. Das Klatschen vieler Hände erfüllte den Saal. Seth befreite seine Hand aus der von Jono, erhob sich und bat den Pharao, der im Begriff war, frischen Wein zu ordern, sich zurückziehen zu dürfen. Atemu gestattete es ihm ohne Umschweife, er hatte heute wirklich genug Arbeit gehabt und sich seine Ruhe verdient. Etwa fünfzehn Minuten darauf verabschiedete sich auch Jono und verließ den Festsaal, trotz der Bitten des Pharao, doch noch eine Weile zu bleiben, immerhin sei es sein Fest. Er bog um eine Ecke und wurde an einen warmen Körper gezogen.

„Du hast dir Zeit gelassen“, flüsterte Seth.

„Dein Herr wollte mich nicht eher gehen lassen. Ich bin eben heiß begehrt.“

„Ich teile dich aber nicht gern mit anderen, Falke.“

„Musst du auch nicht, Schlange. Die Nacht gehört uns.“

Marik sah die beiden Arm in Arm den Gang entlang verschwinden, seufzte leise und machte sich auf den Weg zur Küche. Er brauchte etwas für seine Ohren, wenn er heute Nacht ungestört schlafen wollte.
 

Für die anderen Wächter hatte Seth schon immer eine schwierige Sorte Mensch dargestellt, doch in den acht Tagen, die seit dem Fest zu Kails Ehren ins Land gegangen waren, hatte sich der Hohepriester des Amun-Ra für sie in ein einziges, lebendes Rätsel verwandelt. Zwar blieb der strenge, unnachgiebige Zug um seine Mundwinkel stets erhalten, insgesamt erschien er ihnen jedoch ausgeglichener. Atemu und Isis, die zur Aufklärung dieses Falles einiges hätten beitragen können, zogen es vor, sich in Schweigen zu hüllen und sich still über den Grund für diese plötzliche Wandlung zu freuen, die am Königshof unter dem Namen Kail bekannt war. Gleichzeitig blickten sie mit Unbehagen dem Tag der Abreise der hethitischen Gesandten entgegen. Sie befürchteten, Seth könnte dann unausstehlich werden.

Die beiden Frischverliebten hatten schnell gelernt, dankbar dafür zu sein, dass ihnen ihre Streitereien genauso viel Spaß machten wie die wenigen Stunden in der Nacht, in denen sie ungestört waren; der ständige Zank half ihnen dabei, den Schein zu wahren.

Als sie mit ihren Dienern von einem Ausritt am Nilufer heimkehrten, zu dem sie selbstverständlich getrennt aufgebrochen waren – und in Jonos Fall heimlich, um keine Leibgarde auf dem Hals zu haben –, kam ihnen Sennefer entgegen geschritten.

„Meister Seth, wo wart Ihr? Der Pharao verlangt seit einer Stunde nach Euch und Ihr seid unauffindbar!“

„Ich hoffe, Seine Majestät ist nicht beleidigt, dass Ihr ihn habt warten lassen“, sagte Jono.

Der Oberaufseher der Sklaven lachte verbittert.

„Der Göttliche wäre beleidigt, wenn Ihr ihm Euren Aufenthaltsort mitgeteilt hättet. Ich würde seinen aktuellen Gemütszustand eher als sehr verärgert einstufen. Und das ist freundlich ausgedrückt.“

Jono schluckte. Natürlich wollte er Zeit mit Seth verbringen, aber ohne dass dieser Ärger bekam.

„Ich komme sofort“, sagte Seth, drückte Hapi die Zügel von Chons in die Hand und eilte an Sennefer vorbei in den Palast.

Jono sah ihm schuldbewusst nach. Er hatte es zu verantworten, dass sie heute so spät dran waren. Wenn er Seth nur nicht dazu überredet hätte, sich nach dem Wettreiten, das sie veranstaltet hatten, mit einem Bad im Nil abzukühlen. Hoffentlich bekam er nicht zu viel Ärger.

In diese Gedanken vertieft, machte sich Jono auf den Weg zu seinen Gemächern. Sein Weg führte ihn auch am Thronsaal vorbei, aus dem laut und vernehmlich – und stinksauer – Atemus Stimme drang.

„– konnte so etwas passieren? Das ist ein Skandal, Seth! Ein riesiger Skandal!“

Ach du Schande! Hat der Pharao etwa das mit uns mitgekriegt?

„Mein Pharao, ich kann mir selbst nicht erklären, wie das geschehen konnte. Ich –“

Schritte hallten durch den Gang und vertrieben Jono von seinem Lauschplatz an der Tür.
 

Unentwegt marschierten zwei Füße, die in vergoldeten Sandalen steckten, über den Fußboden des Zimmers. Jeder Schritt erzeugte ein klatschendes Geräusch, wenn die geflochtenen Sohlen auf die Fliesen trafen, was Marik langsam, aber sicher in den Wahnsinn trieb.

„Wollt Ihr Euch nicht mal für einen Moment hinsetzen, Herr?“, fragte er Jono. „Davon kommt Meister Seth auch nicht schneller zurück.“

Kurz wandte sich der Blick des Braunäugigen dem Sklaven zu, um dann wieder ins Leere zu schweifen. Jonos Füße nahmen die unterbrochene Wanderung wieder auf, führten ihn durch sein Wohnzimmer bis zur Tür zum Schlafzimmer und wieder zurück. Seit der Pharao Seth zu sich gerufen hatte, waren mehr als zwei Stunden vergangen und Jonos Ungeduld und Nervosität stiegen mit jeder Minute. Wenn er Seth nun bestrafte, weil sich dieser gegen die Regeln der Priesterschaft gestellt hatte? Oder wenn er so wütend war, dass er die Hethiter aus dem Palast wies und die Verhandlungen abbrach? Dabei standen sie kurz vor einem Vertragsabschluss.

Die Tür öffnete sich und Seth trat ein. Sein Gesicht war aschfahl, sein Gang leicht schwankend. Jono griff ihm unter die Arme und führte ihn zu einem Stuhl.

„Was ist denn los, Seth? Du siehst ganz verstört aus. Weiß der Pharao etwa das mit uns?“

„Nein ... das ist es nicht. In unserer Abwesenheit kam ein Bote aus dem Süden an. Du wirst die Stadt, aus der er ist, nicht kennen, sie heißt Zawtj und ... Es ist schrecklich! Im Tempel des Amun-Ra wurde vor ein paar Wochen eingebrochen.“

Jono war, als würde ihn ein Blitz durchfahren.

„U-und ist etwas gestohlen worden?“

„Leider ja, der Einbrecher hat ein sehr wertvolles Artefakt entwendet. Es wird das Auge des Ra genannt. Das ist ein Desaster.“

„Weiß ... weiß man denn schon, wer der Dieb ist?“, fragte Jono und hoffte, dass Seth das Zittern in seiner Stimme nicht auffiel.

„Ja, ein Lesepriester hat ihn erwischt, als er das Artefakt an sich nahm. Es soll sich um den Sohn eines angesehenen Händlers aus Zawtj handeln.“

Hitze und Kälte zugleich brachen über dem Sechzehnjährigen herein. Ein galliger Geschmack stieg ihm in die Kehle und ließ ihn schwer schlucken.

„Stell dir vor“, fuhr Seth fort, „der Vorsteher des Tempels und der Fürst haben versucht, das Verbrechen dieses Nichtswürdigen geheim zu halten und den Fall selbst aufzuklären! Aber dieser, dieser ... Er ist ihnen entkommen und der Lesepriester hat sich, den Göttern sei Dank, über das Redeverbot des Vorstehers hinweggesetzt und Nachricht nach Men-nefer gesandt. Der Pharao hat mich beauftragt, morgen in aller Frühe nach Zawtj aufzubrechen, um weitere Nachforschungen anzustellen und – Geht es dir nicht gut, Kail?“

Er sah blass, um nicht zu sagen grün um die Nase aus, sein Blick war glasig und sein Körper bebte, als habe er Schüttelfrost.

„Es ist nichts weiter ... ich muss mich nur eine Weile hinlegen. Sch-scheint heute etwas zu viel mit dem Reiten gewesen zu sein“, murmelte Jono und ging taumelnden Schrittes in sein Schlafzimmer, wo er sich auf das Bett fallen ließ.

Er hatte sich dagegen gesträubt und dennoch war es ihm immer bewusst gewesen ... Er hatte nur einen Aufschub bekommen, nichts anderes. Warum nur hatte sich darauf eingelassen. Warum war er nicht in jener Nacht in seinem Zimmer geblieben, hatte sich die Decke über das Haupt gezogen und die Stimme in seinem Kopf ignoriert? Er könnte jetzt noch friedlich im Haus seiner Eltern sitzen, darauf wartend, dass ein anderes Unglück in Form einer Hochzeit mit einem Mädchen, das ihn keinen Deut interessierte, über ihm hereinbrach.

Als er den Kopf zur Seite drehte, fielen seine Augen auf eine hölzerne Truhe, die an der Wand stand und deren Deckel kunstvolle Intarsienarbeiten zeigte. Sein Todesurteil stand direkt neben ihm und funkelte ihn Unheil verkündend an. Verborgen unter den Halsketten, Ringen und anderen Schmuckstücken ruhte dort, eingehüllt in einen kleinen Beutel aus Leder, ein Amulett. Ein Schmuckstück, so einzigartig, dass sein Verschwinden eine Welle des Entsetzens ausgelöst hatte, die sich quer durch das Land gefressen und nun Men-nefer erreicht hatte. Das Auge des Ra.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Ryuichi-Sakuma-
2008-11-10T08:26:11+00:00 10.11.2008 09:26
Mal wider ein Geiles kapi *knuddel*
Oh weh oh weh jetzt sitzt Jono wirklich in schwirigkeiten wie wird das nur aus gehen (>.<)
Wenn das erst mal raus kommt oh jeh armer Jono!!!
Deine FF ist echt ssssssssssssssssooooooooooooooo spannend bin mal gespannt was passieren wird *kiss*

Gruß: Ryuichi-Sakuma-
(^-~)/
Von: abgemeldet
2008-10-31T11:41:34+00:00 31.10.2008 12:41
oje wie das wohl enden wird?
armer jono Q_Q


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