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Das Auge des Ra (J&S)

"Wüstensand"
von

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Wettlauf gegen die Zeit

Und schon sind wir im nächsten Teil. Wird es Jono gelingen, den Pharao zu retten? Wir werden es sehen.
 

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=ZFuzK80UOmg&feature=PlayList&p=C74E403B292F5ADB&index=3 Prince of Persia – The two Thrones
 

Kapitel 10

Wettlauf gegen die Zeit
 

„Aber dann müsst Ihr etwas tun!“, rief Marik. „Ihr müsst den Pharao warnen, Ihr –“

„Ich habe Anitta zwar gehört, aber ich kann ihm nichts nachweisen. Wie soll ich zum Pharao gehen, wenn ich keine Beweise für seine Schuld habe?“

„Ihr seid ein Prinz von Hatti und steht über ihm. Ihr könnt ihn in seinen Gemächern festsetzen lassen.“

„Davon wird der Attentäter aber nicht aufgehalten. Auch wenn Anitta eingesperrt ist, er ist frei und wird die erste Chance nutzen, die sich ihm bietet, seinen Auftrag auszuführen. Aber wir könnten Anitta trotzdem zur Rede stellen.“

„Hmm ...“, Marik setzte sich ihm gegenüber. „Wenn ich es mir recht überlege ... Nein, das dürfen wir auch nicht. Wenn Ihr mit ihm sprecht, ist er gewarnt und wird den Angriff entweder abbrechen und auf einen anderen Tag schieben oder ... Oder er setzt den Mann auch auf Euch an.“

„Glaubst du?“

„Ich ... Ja, es wäre möglich. Eigentlich habe ich ihm von Anfang an nicht getraut. Dass er gegen den Frieden spricht, ist schon lange am Hof von Hattusa bekannt, aber was er jetzt plant – das ist Königsmord! Ich hätte nicht gedacht, dass er so weit gehen würde, um seinen Willen durchzusetzen.“

Jono erhob sich, schritt im Zimmer unruhig auf und ab und überlegte.

„Also ... zu Anitta können wir schon mal nicht. Da ich keine Beweise habe, kann ich den Pharao auch nicht richtig warnen und – Da fällt mir ein, am Ende denkt er, wir stecken alle in der Sache drin! Hmm ... Ah, jetzt weiß ich, was wir machen. Ich erzähle Zidanta davon. Er kann uns sicher sagen, wie wir am besten vorgehen.“

„Dann verlieren wir keine Zeit.“

Die beiden liefen zu Zidantas Gemächern, doch außer seinem Diener war niemand anwesend und er konnte ihnen nicht sagen, wo sich sein Herr momentan aufhielt.

„Und was jetzt? Zidanta kann praktisch überall sein“, sagte Jono.

„Trennen wir uns, wer ihn findet, gibt ihm Bescheid“, schlug Marik vor.

Gesagt, getan. Jono lief treppauf, treppab, hielt Diener und Adlige an und fragte sie nach Zidantas Verbleib. Der Fürst schien sich jedoch nach ihrem Duell in Luft aufgelöst zu haben, niemand hatte ihn gesehen. Dafür verwünschte Jono einmal mehr die Vorliebe der Pharaonen für große Bauten. Nach einer Dreiviertelstunde ergebnisloser Suche taten ihm seine Füße weh, sein Magen war leer und knurrte erbärmlich. Er lehnte sich gegen eine Säule und ließ sich auf den Boden sinken. Ich weiß ja, dass es eilt, aber mit leerem Bauch kann ich nicht richtig denken.

„Und, was sagt er?“

War das nicht eben Zidanta? Jono stand auf und sah hinter der Säule hervor. Erst wollte er sich bemerkbar machen, doch als er sah, in wessen Begleitung der Fürst unterwegs war, zog er sich schleunigst weiter in den Schatten der Säule zurück.

„Dass es kein Problem ist. Er wird sich heute Abend noch darum kümmern“, antwortete Anitta. „In ein paar Stunden ist das Problem aus der Welt geschafft.“

„Das ist gut zu hören.“

Aber das klingt ja danach, als würde Zidanta ... Nein, bitte nicht.

Er drückte sich noch enger an den Stein und betete, dass er von den beiden Männern unentdeckt blieb. Sie wechselten das Thema, sprachen über Zidantas Besitzungen am Meer und gingen an ihm vorbei. Jono schlich sich um die Säule herum, damit er nicht doch noch gesehen wurde, falls sich einer von ihnen umdrehte, und machte dann, dass er in seine Gemächer zurückkam, wo er sich mit Marik verabredet hatte.

„Ich habe Fürst Zidanta leider nicht gefunden, Euer Hoheit“, begrüßte ihn der Diener.

„Ich schon. Und wie es sich angehört hat, machen er und Anitta gemeinsame Sache.“

„Was? Ab-aber ... Fürst Zidanta ist gegen den Krieg.“

„Eben hörte es sich aber so an, als wäre er einer Ermordung des Pharaos nicht abgeneigt. Oder ich interpretiere zu viel rein ... Ah, mir schwirrt der Kopf! Jedenfalls bin ich mir derzeitig nicht sicher, ob wir ihm trauen können.“

„Wem wollt Ihr dann Bescheid geben? Der Pharao muss gewarnt werden.“

„Ich weiß es nicht.“

„Wie wäre es mit Meister Seth? Apropos, habt Ihr mit ihm gesprochen?“

„Den kannst du vergessen. Der feine Herr Hohepriester kann mir gestohlen bleiben.“

Jono verschränkte die Arme und setzte eine brummige Miene auf.

„Ein Tag und schon Beziehungsstress?“

„Wir haben keine Beziehung!“, brüllte Jono.

„Aber ich dachte –“

„Tja, falsch gedacht. Und jetzt lass uns überlegen, wir müssen einen König retten und anscheinend sind wir dabei auf uns gestellt.“
 

„Wie laufen die Vorbereitungen für morgen, Seth?“, fragte Atemu und reichte Shimon einen mit dem königlichen Siegel versehenen Papyrus zurück. Der Wesir verbeugte sich vor ihm und verließ den Thronsaal.

„Bestens, Euer Majestät. Die Feier wird ganz zu Eurer Zufriedenheit ausfallen.“

Sofern es diese Dummköpfe nicht vermasseln, setzte der Hohepriester in Gedanken hinzu. Er hatte sich kurz nach dem Gespräch mit Kail mit der Begründung, er fühle sich nicht wohl, in sein Amtszimmer im Tempel zurückgezogen, doch sehr lange war er dort nicht ungestört geblieben. Imsety hatte schon nach einer Stunde geklopft und ihn um Hilfe gebeten, weil die Proben völlig aus dem Ruder liefen. Seth hatte seinen Untergebenen eine gepfefferte Rede gehalten, nach der endlich Ruhe und Ordnung unter den Beteiligten eingekehrt waren. Er hatte den nächsten Probedurchgängen beigewohnt und war, als er den Tempel verließ, mit ihnen sogar sehr zufrieden gewesen. Im Gegensatz zu sich selbst.

Der Besuch des Hethiters hatte ihn etwas aus der Bahn geworfen, so dass er sich nicht richtig auf die Proben konzentrieren konnte. Schwere Selbstvorwürfe plagten ihn. Er hatte ihn belogen. Und er hatte es auf heiligem Grund getan, unter den Augen der Götter. Verlangen ... Das war es vielleicht ganz zu Anfang gewesen, als er die Gefühle, die in ihm aufstiegen, noch nicht einzuordnen wusste. Aber inzwischen war es doch so viel mehr als Verlangen! So viele Lügen ... Gleich einem Geflecht aus Dornen legten sie sich um sein Herz.

„Seth? Seth!“

Er blickte auf und in die amethystfarbenen Augen des Monarchen.

„Wäre es zu viel von Euch verlangt, mir einen Moment Eurer kostbaren Zeit zu schenken?“

Sarkasmus, gepaart mit Verärgerung, klang in Atemus Stimme mit.

„Entschuldigt, mein Pharao, ich war in Gedanken.“

„Das seid Ihr in letzter Zeit recht häufig. Wobei mir einfällt, habt Ihr Euch inzwischen mit Prinz Kail ausgesöhnt?“

„Das ... Die Situation zwischen Seiner Hoheit und mir ist etwas ... verzwickt. Es ist für uns beide nicht leicht, miteinander auszukommen.“

„So? Ich habe gehört, Ihr wärt ihm gestern, nachdem die Verhandlung abgebrochen worden war, gefolgt und für den Rest des Abends nicht mehr gesehen worden.“

„Wir haben uns lange unterhalten, mein Pharao“, sagte Seth, ohne ihn richtig dabei anzusehen.

„Hmm ... Muss eine sehr ... interessante Unterhaltung gewesen sein“,

überlegte Atemu und grinste auf einmal. „Oder sollte ich sagen ... eine intensive?“

„Ich verstehe nicht, Euer Majestät.“

Atemu winkte ihn zu sich heran. Als Seth neben ihm stand und sich zu ihm beugte, sagte er: „Blickt in einen Spiegel, dann werdet Ihr verstehen. Ihr dürft Euch entfernen.“

Verwirrt von Atemus Worten, begab er sich in seine Gemächer und griff nach einem polierten Silberspiegel. Draußen auf dem Gang zuckten die Diener zusammen und zogen die Köpfe ein, als aus den Zimmern des Hohepriesters des Amun-Ra ein durchdringender Schrei kam.

„Das wird er mir büßen!“

„Was habt Ihr, Herr?“, fragte Hapi, der nichts ahnend den Raum mit Seths Abendessen betrat.

Er knallte den Spiegel auf den Tisch zurück, von dem er ihn genommen hatte und stürmte, die Fäuste geballt, aus dem Zimmer. Auf seiner Stirn zeichneten sich deutliche Zornesfalten ab. Hapi sah ihm verwundert nach.

„Was hat er denn?“
 

„Ich hoffe, dass das so funktioniert“, sagte Jono und biss von seinem Hühnerschenkel ab.

„Ich auch“, erwiderte Marik, „das Leben des Pharao hängt davon ab.“

Ein dröhnendes Klopfen unterbrach ihn.

„Wer ist das denn?“, überlegte Jono. „Her –“

Bevor er zu Ende sprechen konnte, wurde die Tür aufgerissen, Seth rauschte herein und baute sich vor ihm auf.

„Ihr! Wie konntet Ihr es wagen!“, schrie er aufgebracht, die Stimme vor Wut zitternd.

„Lass uns bitte allein, Marik.“

Jono legte das Fleisch auf seinen Teller zurück und stand vom Tisch auf. Marik verschwand mit einer kurzen Verbeugung.

„Ich nehme an, es gibt einen Grund dafür, dass Ihr hier unangemeldet hereinplatzt und mich anschreit. Dürfte ich den erfahren? Ich weiß nämlich nicht, womit ich diese Behandlung verdiene.“

„Ach, nein? Und was ist das?“

Der Priester zerrte den Ausschnitt seines Gewandes ein Stück herunter und entblößte seinen Hals. In der Ausbuchtung des linken Schlüsselbeins zeichnete sich deutlich eine rötlich-blaue Verfärbung auf der gebräunten Haut ab. Jono beugte sich zu ihm und betrachtete den Fleck.

„Einen hübschen Liebesbiss habt Ihr da, Seth. Wohl ein Andenken an Euren ehemaligen Geliebten – Oh, verzeiht, ich vergaß. Ihr habt mich ja nie geliebt.“

Aus seinem Gesicht konnte er den Kummer fernhalten, doch seine Worte, seine Stimme waren von ihm durchtränkt.

„Kail ...“

„Lasst mich bitte allein.“ Jono wandte sich von ihm ab.

„Aber –“

„Habt Ihr nicht schon genug Unheil angerichtet? Geht, ich möchte mein Herz nicht noch mehr von Euch zerfetzt sehen.“

Den Blick zu Boden gerichtet, ließ Seth ihn allein.

„War das wirklich klug, ihn dermaßen vor den Kopf zu stoßen, Euer Hoheit?“, fragte Marik vorsichtig und spähte aus dem Vorzimmer zu ihm herein. „Er hätte uns helfen können.“

„Auf die Hilfe eines Großkotzes, der andere Menschen nur ausnutzt, um seine Gelüste zu befriedigen, kann ich gut verzichten.“
 

Samtene Schwärze überzog den Himmel über Men-nefer. Tiere wie Menschen hatten sich in ihre Behausungen zurückgezogen und träumten dem nächsten Tag entgegen. Das blasse Licht des Halbmondes lag über der Stadt. Auch im Palast waren vor einer ganzen Weile die letzten Lichter gelöscht worden und all seine Bewohner lagen in tiefem Schlummer ... Nun ja, nicht ganz.

„Au, du stehst auf meinem Fuß!“, beschwerte sich Jono und schubste Marik zur Seite.

Hin- und hertänzelnd, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, klammerte sich der Sklave an den Ästen des Johannisbrotbaums fest, bei dem sie sich versteckt hatten.

„Entschuldigung, war keine Absicht.“

„Das möchte ich hoffen. Ich lasse mir nicht gern die Zehen lädieren.“

Während dieser kurzen Unterhaltung blieben die Blicke der beiden beständig auf ihr Ziel geheftet, einen Balkon im Obergeschoss des Palastes. Der Balkon, der zu den Gemächern des Pharao gehörte. Diesen Platz, versteckt zwischen den Blumenbeeten und Bäumen, hatten sie sich noch am Nachmittag ausgesucht. Für ihr Vorhaben war er perfekt. Sie konnten alles gut überblicken, ohne fürchten zu müssen, sofort selbst gesehen zu werden. Nach einer längeren Diskussion waren sie übereingekommen, dass es am besten wäre, den Attentäter auf frischer Tat – und möglichst vor Begehung selbiger – zu ertappen. Sie brauchten ihn, denn wenn er Anitta in einem Verhör beschuldigte, ihn beauftragt zu haben, hatten sie etwas gegen ihn in der Hand.

„Und Ihr seid Euch sicher, dass er keinen genauen Zeitpunkt genannt hat?“

„Jahaa“, kam es gelangweilt von Jono. Diese Frage hatte ihm Marik seit heute Mittag an die hundert Mal gestellt.

„Ich wollte nur zur Sicherheit noch mal nachfragen.“ Er rutschte un-ruhig auf seinem Platz herum. Trotz des Umhangs, den er trug, war ihm kühl. „Und es sollte heute Nacht sein, nicht morgen?“

„Ganz sicher heute.“

„Es war eine blöde Idee, uns selbst auf die Lauer zu legen. Wir hätten den Medjai einen Hinweis geben sollen und fertig, statt uns selbst die Beine in den Bauch zu stehen. Dann hätten sie sich um die Sache ge-kümmert und wir müssten uns nicht die Nacht um die Ohren schlagen.“

„Ach, wer war denn so darauf aus, den Pharao zu retten? Und hätte dir das mit den Medjai nicht vorher einfallen können?“

„Ihr habt auch nicht dran gedacht“, konterte Marik.

„Willst du damit sagen, ich wäre schuld?“

„Wenn Ihr so fragt –“

Ein Rascheln in den Blättern eines nahen Gebüschs unterbrach ihre im Flüsterton geführte Diskussion.

„Psst!“ Jono hielt Marik die Hand vor den Mund und deutete auf das Gesträuch. „Da ist irgendwas.“

„Vielleicht nur eine Katze.“

„Dann ist das aber eine sehr große Katze“, kommentierte Jono, als sich eine Gestalt aus dem Schatten des Busches löste und über die Rasenflächen auf den Palast zu schlich. Der Mond ließ die Kontraste von Hell und Dunkel stärker hervortreten. Der Fremde verbarg Gesicht und Haare unter einem Tuch, schwarz wie der Rest seiner Kleidung, die es ihm erlaubte, sich mit der Dunkelheit zu vereinen und, von den Wachen unbemerkt, in den Palastgarten einzudringen. Der Mann sah sich kurz um, dann näherte er sich weiter dem Gebäude. Jono und Marik folgten ihm in gebückter Haltung, damit er sie nicht sofort sah. Erst als sie nahe genug an ihm heran waren, kamen sie aus ihrer Deckung.

„Halt, stehen bleiben!“ Jono zog sein Schwert und richtete es auf den Mann. „Was habt Ihr zu mitternächtlicher Stunde in den Gärten des Pharao verloren?“

Der Mann wandte ihnen den Kopf zu. Augen in der Farbe von Eis musterten seine beiden Verfolger mit einem tödlichen Blitzen. Das waren keine Gegner für ihn, das waren ja noch Kinder. Die konnte er laufen lassen, sie würden ihm keine Schwierigkeiten machen. Und zu seinem Auftrag gehörte es auch nicht. Wie er Anitta kannte, würde der sicher nicht für zwei tote Jungen zahlen.

Er ließ ein leises Lachen hören, drehte sich um und lief weiter. Um Jonos Mundwinkel zuckte es. Er konnte es nicht ausstehen, wenn man ihn missachtete.

„Stehen bleiben! Sofort!“, rief Jono und folgte ihm.

Der Mann tauchte in den Schatten des Gebäudes ein und verschwand so aus ihrem Blick.

„Wo ist er?“ Marik sah sich hastig um. „Verdammt, wir haben ihn verloren!“

Jono packte ihn bei den Schultern.

„Dann ändern wir den Plan. Sieh zu, dass du die Medjai auftreibst, sie sollen sofort herkommen! Ich versuche inzwischen den Kerl vom Pharao fernzuhalten. Beeil dich!“

Marik nickte ihm zu und lief davon. Nun war Eile geboten. Jono ließ seine Augen wachsam über die Schatten gleiten, während er sich dem Gebäude näherte, achtete auf jede kleine Bewegung in ihnen, doch er konnte ihn nicht entdecken. Dabei war er sich sicher, von einem eisigen Augenpaar beobachtet zu werden.

Eine Wolke schob sich vor den Mond und tauchte den Garten in Schwärze ... überall war nichts als tiefe, undurchdringliche Schwärze. Ra, lasst Euren Sohn nicht einem heimtückischen Mordanschlag zum Opfer fallen! Seine Hand schloss sich um den Beutel mit dem Amulett, mit der anderen umklammerte er seine Waffe. Immer hastiger huschte sein Blick hin und her, richtete sich mal auf dem Boden, mal zu den höher gelegenen Ebenen. Und wenn er längst im Palast war? Wo blieb Marik nur mit den Wächtern?

Apropos Wächter ... Eigentlich wäre es ja die Aufgabe der Millenniumshüter, auf den Pharao aufzupassen. Hat Isis denn nicht gesehen, was auf ihn zukommt?

Helle Mondstrahlen drangen durch die dünnen Ausläufer der langsam weiter ziehenden Wolke und badeten den Palastgarten in ihrem Licht. Da, an der Akazie – Jono rannte los.

Unter seinem Tuch brummte der Mann grimmig. Der Junge war doch schwerer loszuwerden, als er gedacht hatte. Aber er hatte keine Zeit, sich mit ihm zu beschäftigen. Mit geübten Griffen erklomm er den Stamm des Akazienbaumes, stellte seine Füße auf die untersten Äste und stieg von dort aus höher. Der Baum war mit den Jahren groß geworden und reichte bis an den Balkon des Pharao und noch darüber hinaus.

Noch aus dem Lauf heraus sprang Jono ab und hängte sich an den Fuß des Mannes, um ihn herunterzuziehen. Unwillig versuchte dieser ihn abzuschütteln, was Jono dazu veranlasste, sich nur noch fester an ihn zu klammern. Der Stoff seiner Hose gab nach und riss. Jono landete unsanft auf dem Boden und sah wütend zu seinem Gegner auf, der dabei war, in die höheren Ebenen des Baumes vorzustoßen.

Er stand auf, schob sein Schwert in die lederne Scheide zurück und folgte ihm. So leicht ließ er sich nicht abhängen. Zweimal kam er in Reichweite und verfehlte den Unbekannten um ein Haar.

„Pharao, wacht auf! Jemand will Euch umbringen!“, rief Jono. „Medjai, wo seid ihr? Euer Herr ist in Gefahr!“

„Halt dein Maul!“, kam es von weiter oben.

„Auf keinen Fall!“

Der Attentäter zog sich über die Brüstung des Balkons, ließ sich auf der anderen Seite auf den Boden gleiten und zog einen Dolch hervor.

„PHARAO!“, brüllte Jono verzweifelt. Wie kann er denn immer noch schlafen?

Er brachte die letzten Äste hinter sich, stieg über die Brüstung und stürzte sich von hinten auf den Maskierten. Eine schnelle Drehung und kräftige Finger, die nach ihm griffen, entfernten die ungewollte Last von seinem Rücken und beförderten sie zu Boden. Jono stieß mit dem Rücken gegen einen der Balkonpfeiler und stöhnte schmerzhaft auf.

„Dummer Bengel, wenn du es unbedingt so willst, dann muss ich mich eben erst um dich kümmern.“

Jono rollte sich zur Seite und entging den Händen, die ihn zu packen versuchten. Er sprang auf die Füße und zog seine Waffe. Das Schwert seines Gegners sauste auf ihn zu, er konterte, griff nun selbst an. Die Klingen kreuzten sich, jeder versuchte den anderen wegzudrücken. Damit wurde ihr Kampf zu einem reinen Messen der körperlichen Kräfte, nicht der Geschicklichkeit. Jono stemmte sich mit aller Kraft gegen seinen Gegner. Einer plötzlichen Eingebung folgend, ließ er von ihm ab, tauchte unter ihm hindurch und ließ seinen Angriff somit ins Leere laufen.

Der Mann stolperte ein paar Schritte vor, fuhr dann noch wütender herum. Das alles dauerte ihm viel zu lange. Er sollte sich längst auf dem Rückweg zu dem Gasthaus befinden, in dem er für seinen Aufenthalt in Men-nefer abgestiegen war, um auf den Sonnenaufgang zu warten und darauf, dass sich in der Stadt die traurige Nachricht verbreitete, der Pharao sei in der Nacht verstorben. Ein mächtiger Hieb entriss Jono das Schwert. Der Maskierte nutzte die Gelegenheit, stürmte auf ihn zu.

Jono wurde gegen die Balkonbrüstung gedrückt, kraftvolle Finger legten sich um seinen Hals und begannen ihm die Luft abzudrücken. Er versuchte sie von sich zu lösen, doch vergebens. Der Mann war stark. Zu stark für ihn.

„Schade, ich dachte, ich bekomme hier was geboten“, ließ sich eine männliche Stimme vom anderen Ende des Balkons vernehmen.

Jono, dessen Gesicht sich mit jedem Moment roter färbte, schaffte es mit Mühe, seinen Kopf ein kleines Stück nach rechts zu drehen. Die Arme verschränkt, den roten Beduinenmantel nur lose mit einem Gürtel gebunden, lehnte Kura an der Mauer und beobachtete ihn.

„Red nicht so ... einen Unsinn daher und hilf mir! Falls du ... es nicht bemerkt hast, der K-kerl will mich gerade umbringen!“, brachte Jono hervor und trat nach seinem Kontrahenten.

„Halt dich bloß da raus, Kleiner, oder du bist der nächste!“, sagte der Attentäter, ohne von seinem Opfer abzulassen.

„Kura, s-so heißt du doch ...“, stammelte Jono. „Hilf mir!“

„Pass auf, wem du hier drohst“, fauchte Kura. „Men-nefer ist meine Stadt. Damit das klar ist.“

„Deine Stadt, ha! Auf dich spucke ich. Verzieh dich, bevor ich Ernst mache.“

„So, das reicht jetzt aber, Freundchen“, knurrte Kura, war mit wenigen Schritten bei ihnen und packte den Mann an Ausschnitt seines Gewandes. „Niemand beleidigt mich ungestraft!“

Die Finger lösten sich von Jonos Hals, wandten sich dem neuen Gegner zu. Jono holte tief Luft und griff sich an die Kehle. Jeder Atemzug brannte und tat weh. Seine Haut war gerötet, die Finger seines Angreifers zeichneten sich noch deutlich ab.

„Pha ... Pharao!“, krächzte er. „Wacht auf!“

Er stolperte zu dem Durchgang ins Schlafzimmer und spähte in den im Halbdunkel daliegenden Raum. Endlich begriff er, warum es ihm trotz seiner lauten Rufe und trotz des Lärms, den sie hier gerade veranstalteten, nicht gelungen war, den Pharao zu wecken. Atemu war gar nicht in seinem Zimmer. Das Bett war verlassen.

Kura und der Attentäter lieferten sich währenddessen ein erbittertes Duell. Jono duckte sich, damit die sich schnell bewegenden Klingen nicht versehentlich ihn trafen. Er ging auf die Knie und tastete den Boden, der nicht im Schein des Mondes lag, nach seinem verlorenen Schwert ab.

Die Schlafzimmertür öffnete sich, Atemu kam, an einem Stück Brot kauend, herein. Er war schon als Kind des Nachts öfter wach geworden und hatte sich dann in den Küchentrakt geschlichen, um sich etwas zu essen zu stibitzen. Irgendwann hatte Shapu, eine der Köchinnen, das mitbekommen und ließ seither immer eine Kleinigkeit für ihn in der Küche stehen. An dieser Tradition hatte sie festgehalten, auch als Atemu gekrönt worden war. Der Teller mit Brot und Trauben fiel dem Pharao aus der Hand, als er die kämpfenden Männer sah und Jono, der sich, das Schwert in der Hand, erhob.

„Was ist hier los? Wachen!“

„Wir sind schon da! Bitte aus dem Weg, Euer Majestät!“

Jono stieß einen erleichterten Seufzer aus, als sich Marik mit den Medjai an dem erschütterten Herrscher vorbei schob.

„Hmm, Zeit zu gehen“, stellte Kura fest. „Es hat mich gefreut, Euch noch einmal gesehen zu haben“, wandte er sich an Jono.

Schneller als dieser hinsehen konnte, war der Dieb vom Balkon verschwunden.

„Da hat er mal Recht, nichts wie weg“, murmelte der Attentäter. Bei dem Volksauflauf kam er unmöglich heute noch an sein Ziel.

„Oh nein, du bleibst schön hier!“, rief Jono und warf sich mit einem Hechtsprung auf ihn.

Sie rangen miteinander, drehten sich, versuchten dem andern die Hände um den Hals zu legen. Die Medjai rannten durch das Zimmer. Jono bekam das Tuch, das der Mann vor dem Gesicht trug, zu packen und riss es ihm herunter. Es war der Blondhaarige, den er am Ufer beobachtet hatte.

Jetzt muss ich ihn nur noch den Medjai übergeben, dachte Jono und versuchte ihn gegen das Geländer zu rammen. Der Attentäter drehte sich mit ihm, bis beide parallel zu der Balustrade waren, als er stolperte. Kurz strauchelte er, verlor den Kampf gegen die Schwerkraft. Jono verlor den Boden unter den Füßen, wurde von ihm mitgerissen. Von ihrem eigenen Schwung getragen, stürzten sie über die Brüstung. Die Schreie von Atemu, Jono, Marik und dem Mann mischten sich zu einem einzigen, der gellend durch die Nacht hallte.

Pharao und Diener hasteten an den Wachen vorbei auf den Balkon. Der Mann, der den Auftrag gehabt hatte, Atemu zu töten, lag auf der Erde, die Gliedmaßen in seltsamem Winkel von sich gestreckt, und rührte sich nicht mehr. Jono klammerte sich an einen der Pfeiler, doch er merkte, wie seine Kraft zusehends nachließ. Das Adrenalin, das während des Kampfes durch seine Adern gepumpt worden war, war bald verbraucht. Seine Finger waren feucht von der Anstrengung, glitten von dem Stein ab.

Viele Hände griffen nach ihm, zogen ihn in die Sicherheit des Balkons zurück, auf dem er keuchend liegen blieb. Marik und Atemu knieten sich neben ihn.

„Geht es Euch gut, Prinz Kail?“, fragte Atemu.

„Eure Majestät sind am Leben ... Es ging mir also nie besser“, sagte er.

„Mein Pharao, was ist geschehen?“

Die sechs Wächter betraten das Schlafgemach; sie hatten sich in der Eile nur rasch Umhänge über ihre Nachtgewänder geworfen.

„Es scheint, als hätten wir ungebetenen Besuch gehabt, in Form eines Attentäters“, erklärte Atemu. „Prinz Kail hat gegen ihn gekämpft.“

„Ein Attentäter?“ Die Blicke der Priester wandten sich Isis zu, die beschämt den Kopf senkte.

„Die Kette hat mich nicht gewarnt. Ich verstehe das nicht, ich hätte es doch sehen müssen. Pharao, bitte vergebt mir.“

„Der Sache werden wir morgen nachgehen, Isis. Medjai, durchsucht den Palast, ob sich noch jemand herumtreibt, der hier nichts zu suchen hat.“

Jono stöhnte leise und schloss die Augen.

„Euer Hoheit, was habt Ihr?“, sagte Marik.

„Nicht ... nichts. Ich bin nur total erledigt.“

Ein Gähnen war das letzte, was sie von ihm hörten. Sein Kopf nickte zur Seite und er wanderte ins Reich der Träume.

„Tse, tse, das glaube ich nicht.“ Mahaado schüttelte belustigt den Kopf. „Rettet unseren Pharao und schläft dann ein.“

„Medjai, bringt ihn in seine Gemächer zurück“, ordnete der Pharao an. „Unser Held braucht Ruhe.“

Erstaunt sah er, wie sich Seth an den Soldaten vorbeidrängte.

„Das mache ich“, erklärte er, kühl wie eh und je, hob Jono auf und verließ mit ihm das Zimmer, Marik, der das Schwert aufgehoben hatte, im Schlepptau.

„Eure Kette mag Euch im Moment vielleicht Schwierigkeiten bereiten, Isis“, sagte Atemu, „doch was unseren guten Seth angeht, scheint Ihr Recht zu behalten.“

Auf den Gesichtern der beiden erschien ein Lächeln. Die anderen Priester dagegen warfen sich nur ratlose Blicke zu.

Seth schob Jono den Arm weiter unter den Kniekehlen durch, um ihn nicht fallen zu lassen. Schweigend ging er mit ihm und Marik durch die Gänge, ignorierte die Menschen, die ihnen neugierige Blicke zuwarfen. In Kürze würde ohnehin der ganze Palast über die Geschehnisse informiert sein. Und Kail würde als strahlender Held gefeiert werden. Marik öffnete Seth die Türen zu Jonos Gemächern.

„Vielen Dank für Eure Hilfe, Meister Seth“, sagte er, als sie das Schlafzimmer erreichten und Seth Jono auf seinem Bett ablegte.

„Du kannst dich zurückziehen“, antwortete der Hohepriester nur.

„Ihr ... Ihr solltet auch gehen“, wagte er einzuwenden. „Lasst Seine Hoheit bitte schlafen.“

Nach dem ganzen Ärger, den Jono und er gehabt hatten, war sich Marik sicher, dass Seth der Letzte war, den Jono an seinem Bett haben wollte.

„Hüte deine Zunge, Sklave. Ich entscheide selbst, wann ich gehe. Das ist nicht deine Aufgabe.“

Marik war zu perplex, um etwas zu erwidern. Seth schob ihn aus dem Raum und schloss hinter ihm die Tür.

Dafür, dass er Jono beziehungsweise Kail angeblich nicht liebt, benimmt er sich aber sehr Besitz ergreifend, dachte Marik. Ich sollte mal mit Hapi darüber reden. Wenn die zwei das nicht allein gebacken kriegen, müssen wir eben nachhelfen und Hathor ein bisschen unter die Arme greifen.

Seth zog die Decke über Jono und setzte sich auf die Bettkante. Die Lider des Schlafenden flatterten leicht, er schien zu träumen. Zögernd streckte Seth die Hand nach ihm aus, zog sie hastig zurück, kurz bevor er ihn berührte, als habe er sich verbrannt.

„Was mache ich hier eigentlich?“, flüsterte er in die Dunkelheit. „Warum wird der einzige Mensch, der sich nicht von meiner Kühle abschrecken ließ, immer wieder verletzt, sei es durch mich oder durch andere?“

„Seth ... Warum nur ...“, murmelte Jono.

Ein Paar blauer Augen wandte sich ihm überrascht zu. Nein, er schlief noch, er hatte nur im Traum gesprochen. Doch das, was Seth noch sah, schnürte den Dornenkranz um sein Herz noch enger. Über Jonos Wange lief eine Träne. Ein Beben ging durch den Körper des Hohepriesters. Er beugte sich über Jono und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Mein schöner Falke“, flüsterte Seth mit erstickter Stimme. „Ich wünschte, ich könnte meine Worte ungeschehen machen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Ryuichi-Sakuma-
2008-11-10T07:57:39+00:00 10.11.2008 08:57
*GGGGG* Mal wider ein echt Geiles Kapi *smilie*
Phu und das ging ja noch mal gut Jono konnte noch verhindern das der Pharao umgebracht wird *smilie*
Und da sieht man mal wider das Seth Jono Liebt *lächel* bin ja mal gespannt was noch so alles auf die zwei süßen zu kommt *knuddel*

Gruß: Ryuichi-Sakuma-
(^-~)/
Von: abgemeldet
2008-10-30T06:17:03+00:00 30.10.2008 07:17
ahh wie toll *_*
das war jetzt total spannend und das ende war einfach nur süß *_*
du bist richtig schnell mit deinen Kapiteln *_*
das mag ich XD
Von:  Judari
2008-10-29T18:55:08+00:00 29.10.2008 19:55
AAAAAAAA GEIL^^!!!!!!!!!!!!
Von:  Rani
2008-10-29T18:49:58+00:00 29.10.2008 19:49
Vielleicht ist das aber schon zuspät!? Ich bin gespannt wie es weiter geht und was mit den Auftrag gebern wird die das Attentat angezettelt haben schreibe schnell weiter es ist wirklich sehr spannend und aufregend mach weiter so

lg Rani


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