Zum Inhalt der Seite

Das Auge des Ra (J&S)

"Wüstensand"
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Rettung

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=w5WJ9AsxMoQ Prince of Persia
 


 

Kapitel 1

Rettung
 

© moonlily

Dunkelheit ... tiefe Dunkelheit. Ein Meer, schwarz wie die Nacht, breitete sich um ihn herum aus. Kein Geräusch drang an diesen Ort, der jenseits all dessen lag, wohin ein Mensch gelangen konnte. Er schloss die Augen und gab sich für einen Augenblick der majestätischen Stille hin, die hier in dieser endlosen Weite herrschte. So fühlte es sich also an, das Ende. Er hatte von den alten Leuten auf der Straße gehört, dass ein Mensch seine Vergangenheit noch einmal vor sich sehen würde, bevor er aus der diesseitigen Welt schied. Er wartete, doch nichts dergleichen geschah. Keine Gedanken an all das, was hinter ihm lag, wollten sich bei ihm einstellen. Das Einzige, was er empfand, waren Ruhe und Frieden.

Doch wie lange würde diese Ruhe anhalten? Gewiss nicht lange, nicht an diesem Ort. Er rechnete fest damit, dass der große Gott Anubis bald erscheinen würde, um ihm den Weg zur ersten der zwölf Pforten der Unterwelt zu weisen, durch die er schreiten und bei jeder Prüfungen ablegen musste, bevor es ihm erlaubt war, vor das Gericht des Osiris zu treten.

Bei dem Gedanken an das, was ihn dort möglicherweise erwartete, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Anubis würde sein Herz mit der Feder der Maat aufwiegen, Ptah würde das Ergebnis notieren und sollte er den Test nicht bestehen, so würde die Totenfresserin Ammut sein Herz verschlingen und er würde für immer in der Finsternis gefangen sein. Unfähig, jemals das jenseitige Reich zu betreten.

Ich habe nichts Unrechtes getan!, sagte er sich selbst. Er hat mich hereingelegt, ich wollte es nur schützen.

Und dennoch ... würden ihm die Götter Glauben schenken, wenn er vor sie trat und seine Unschuld beteuerte? Oder würden sie ihn des Verbrechens für schuldig befinden, das schon im Diesseits als eine schwerwiegende Sünde galt? Er wusste keine Antwort darauf zu geben.

Das plötzliche Kreischen eines Vogels ließ ihn den Kopf nach oben recken. Seine Hand fuhr über seine Augen, als ihn ein Strahl von gleißend hellem Licht traf. Geblendet blinzelte er mehrere Male, bevor er den Urheber der Laute erkennen konnte. Die ausgebreiteten Schwingen hoben sich scharf gegen das Licht ab. Der Falke kreiste einige Male über ihm, dann ließ er etwas fallen. Wie von selbst streckte der Junge die Hand aus und fing es auf. Das aus reinem Gold gefertigte und mit kostbaren Edelsteinen verzierte Amulett lag schwer auf seiner Handfläche.

Ein weiteres Mal kreischte der Falke, doch jetzt kam es seinem Beobachter vor, als höre er eine menschliche Stimme.

„Deine Zeit wird kommen. Bald. Bis dahin ... Pass gut darauf auf.“

Er sah ihm verwundert nach, wie der Vogel in dem Lichtstrahl verschwand, ihn mit den Federn seines Schwanzes mit sich nahm. Das Amulett in der Hand, blieb der Junge allein in der Dunkelheit zurück.

Aus weiter Ferne drangen Stimmen an sein Ohr. Aber konnte das wirklich Anubis sein, um ihn zum Gericht zu holen? Nach der Begegnung mit dem Falken war er sich dessen nicht mehr sicher, ja nicht einmal, ob es ihn nach dem Sandsturm überhaupt in das Reich der Toten verschlagen hatte.
 

Da spürte er etwas Feuchtes, Kühles an seinem Handrücken. Ein dumpfes Schnauben blies warme Luft über seine Haut und ließ den Sand von ihr gleiten. Zögerlich bewegten sich seine Finger ein kleines Stück, um sich augenblicklich zu senken. Schon dies war für ihn mit einer enormen Anstrengung verbunden. Und dennoch ... Die Schwärze, die ihn bislang umfangen hatte, wich zusehends zurück. Durch seine nach wie vor geschlossenen Lider drang das heiße, orangerote Licht der Sonne Kemets. Wo er auch gewesen war, er war zurück. Unter sich spürte er den von den Sonnenstrahlen aufgeheizten, feinen Sand, der sich während seiner ziellosen Wanderung überall an seinem Körper festgesetzt hatte. Langsam fuhr er mit Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand durch die hellen Körner, grub sich in den Boden hinein und hinterließ eine tiefe Rille. Nur mit Mühe schaffte er es, die vom Sand verklebten Augen zu öffnen und einen Blick auf das zu werfen, was ihn geweckt hatte. Das Kamel hatte den Kopf gesenkt und sah ihn mit großen dunklen Augen aufmerksam an. Ein Kamel, doch mit Sicherheit nicht seines. Er konnte sich nicht daran erinnern, wie viele Tage es her war, seit es ihn verlassen hatte. Wenn er dieses treulose Vieh jemals erwischen sollte, konnte es sich darauf gefasst machen, als Abendessen auf seinem Feuer zu landen. Sich mitten in der Wüste aus dem Staub zu machen und ihn einfach sitzen zu lassen ... Nie zuvor war ihm ein derart eigensinniges Tier untergekommen.

„Lebt er?“, hörte er eine männliche Stimme sagen.

Der Junge versuchte den Kopf etwas zu heben, um ihre Quelle ausfindig zu machen, doch alles, was weiter entfernt lag, nahm er nur schemenhaft wahr. Er meinte einen Mann zu sehen, der auf einem Pferd saß und zu ihm hinab sah. Der Kopf eines Jungen schob sich in sein Gesichtsfeld, der ihn nachdenklich musterte.

„Ja, Herr.“

Gepriesen seien die Götter, dachte er. Jemand hat mich gefunden.

„Dann nehmt ihn mit. Wir ...“

Den Rest seiner Worte hörte der Junge nicht mehr. Ein weiteres Mal war es der Dunkelheit gelungen, sich seiner zu bemächtigen.
 

Sein Schlaf war tief, lang und traumlos. Kaum hatte er sich dort im Sand seiner Erschöpfung ergeben, hatte sich sein geschundener Körper umgehend daran gemacht, die Erholung einzufordern, die er so dringend brauchte.

Als er zu sich kam, war das Erste, was er bemerkte, dass er nicht mehr in der Sonne lag. Er ließ die Augen geschlossen und horchte, hatte Angst sie zu öffnen. Wenn er sich die Männer, die ihn gefunden hatten, nun eingebildet hatte? Wenn sie nur eine weitere Spiegelung der Wüste gewesen waren und er immer noch im Sand lag ... Und falls nicht – wer waren sie? Wenn er Glück hatte, handelte es sich bei ihnen um gewöhnliche Reisende, Händler vielleicht. Aber bei dem Pech, das ihn seit einigen Tagen hartnäckig verfolgte, konnte er sich ebenso gut vorstellen, dass er an eine Gruppe Sklavenhändler geraten war und was dann mit ihm geschah, wollte er sich lieber nicht ausmalen.

Vorsichtig bewegte er seine Hände, um zu prüfen, ob sie gefesselt waren, ließ die Handgelenke einige Male kreisen. Dass er keine Seile fühlte, die ihn banden, beruhigte ihn schon einmal. Dann konnte es sich nicht um Sklavenhändler handeln, die hätten niemals riskiert, dass er ihnen davonlief – auch wenn das in seinem geschwächten Zustand eher unwahrscheinlich gewesen wäre. Sie hätten ihre kostbare Beute nach allen Regeln der Kunst verschnürt, um sie an der Flucht zu hindern.

Ohne in irgendeiner Form übertreiben zu wollen, konnte der Junge mit allem Recht von sich behaupten, etwas Besonderes zu sein, denn er war anders. Im Gegensatz zu den meisten Ägyptern, deren Haare dem tiefen Schwarz der Nacht glichen oder eine breite Fächerung von braunen Schattierungen aufwiesen, schmückte seinen Kopf eine goldblonde Mähne. Verantwortlich für diesen Umstand war seine Mutter, Tochter eines freigelassenen und zu Reichtum gekommenen europäischen Sklaven, die ihre ungewöhnliche Haarfarbe an ihren Sohn weitergegeben hatte. Allein dieses exotische Aussehen hatte seit seiner Kindheit bereits genügt, um die Aufmerksamkeit der Mädchen und in den letzten Jahren auch die ihrer Väter auf sich zu ziehen. Blonde Haare wurden als ein Geschenk der Götter angesehen, nicht zuletzt, da sie so selten vorkamen. Solch ein kostbares Erbe wollte jeder Mann gern in seiner Familie wissen.

Der alles andere als gering zu nennende Reichtum seines Vaters hatte sein Übriges bewirkt, um aus Jono ein begehrtes Objekt auf dem Heiratsmarkt seiner Heimatstadt Zawtj zu machen. Ihm persönlich war das alles herzlich egal gewesen, die unzähligen Mädchen, die ihm vorgestellt worden waren, hatten sein Interesse nicht wecken können und seine Eltern waren deswegen schier an ihm verzweifelt. Es war immer wieder deswegen zum Streit gekommen, ohne dass er ihnen einen Grund für seine ständige Weigerung, sich eine Braut auszusuchen, genannt hatte. Seine Eltern hätten ihn nicht verstanden, dessen war er sich sicher. Seine Wünsche sprachen zu sehr gegen ihre Überzeugungen. Vor wenigen Monaten hatte er aber schließlich notgedrungen dem Drängen seines Vaters nachgegeben und sich mit der Tochter eines Geschäftspartners verlobt. Seitdem hatten ihn die Gedanken an die Hochzeit und an das, was ihn danach erwartete, mit Schrecken verfolgt, wie die ruhelosen Seelen jener Verstorbenen, deren Grab der Schändung durch Räuber zum Opfer gefallen war und die keinen Zugang mehr zum Jenseits fanden.

Das feine Rascheln von Stoff unterbrach seine Überlegungen. Er horchte, woher es kommen konnte, wandte den Kopf nach links und rechts und merkte dann, dass er selbst es war, der die Geräusche verursachte. Jono fuhr mit den Fingern über das feine Leinen, mit dem ihn jemand zugedeckt hatte. Unter seinem Kopf fühlte er ein weiches Kissen. Eine etwas dickere Decke unter ihm diente als Polster gegen den Fußboden. Nun riskierte er es auch, seine Augen langsam zu öffnen und einen ersten Blick auf seine Umgebung zu werfen.

Über ihm wölbte sich eine große Zeltplane aus hellem Tuch, die die Sonne abhielt und im Zelt für leicht gedämpftes Licht sorgte. In einiger Entfernung hörte er das leise Lachen von Männern. Da er in seiner liegenden Position kaum etwas erkennen konnte, schob er sich nach hinten und richtete sich ein Stück auf, wobei er sich auf seinen Unterarmen abstützte. Das Zelt, in dem er lag, war riesig. Der Boden war mit Matten aus geflochtenen Palmwedeln belegt. Die Möbel, die sich im Raum verteilten, waren gering in ihrer Anzahl, doch erlesen und jedes für sich ein Kunstwerk, das einem weniger gut betuchten Mann mit Leichtigkeit ein Vermögen entreißen konnte, wollte er auch nur eines davon besitzen. Unweit von seinem eigenen Bett entdeckte Jono ein weiteres, das sich ebenfalls ebenerdig befand.

Wozu soll man sich in der Wüste auch mit einem Bett abschleppen?, dachte er.

Die Decke war sauber zusammengefaltet und wartete nur darauf, von ihrem Besitzer benutzt zu werden. An den Wänden reihten sich mehrere mit Intarsienarbeiten verzierte Truhen aneinander, zwischen denen Alabasterlampen standen, die das Zelt zu späterer Stunde, wenn sich Ra auf seine Reise durch die Unterwelt begab, mit Licht erfüllen würden. Jono ließ seinen Blick über einen Tisch weiterwandern, auf dem eine Anzahl von Salbenbehältern aus Glas, Gold und Alabaster aufgereiht war.

Schließlich blieb er an einer Person hängen, genau genommen an deren Rücken. Die breiten Schultern, die sich unter tiefblauem Stoff versteckten, brachten Jono zu der Schlussfolgerung, dass es sich um einen Mann handeln musste. Ein hoher Hut, ebenfalls aus blau gefärbtem Stoff gefertigt, verhinderte den direkten Blick auf sein Gesicht, doch auch so erkannte Jono, dass er es mit einem hochgestellten Herrn zu tun haben musste. Er saß auf einem niedrigen Hocker, der mit einem Leopardenfell ausgelegt war und hatte sich in eine Papyrusrolle vertieft, die er auf seinem Schoß ausgebreitet hatte. Auf einem Tisch neben ihm lag eine Palette mit Farbe und Binsenstängeln zum Schreiben.

Jono öffnete den Mund, um ihn anzusprechen und auf sich aufmerksam zu machen. Aus seinem Mund drang nur ein trockenes Krächzen. Seine Zunge fühlte sich an wie gegerbtes Leder und strich über rissige, ausgetrocknete Lippen.

Die Zeltplane wurde zurückgeschlagen und ließ frische Luft in das Zelt strömen. Jono drehte den Kopf herum, um seine empfindlichen Augen aus dem grellen Licht zu entfernen und bekam nur aus dem Augenwinkel noch mit, dass eine schlanke, hoch gewachsene Frau eintrat. Sie räusperte sich, der Mann hob den Kopf und sah sie fragend an.

„Was gibt es, Isis?“

Die Plane fiel herunter und sperrte die Sonne wieder aus.

„Wollt Ihr nicht mal eine kurze Pause machen, Seth? Ihr sitzt seit Tagen darüber.“

„Ich kann nicht und der Bericht für den Pharao über unseren Besuch in Hut-waret muss auch noch geschrieben werden.“

„Es dauert noch ein paar Tage, bis wir Men-nefer erreichen. Meint Ihr nicht, dass Ihr bis dahin die Zeit dafür findet?“

„Der Pharao erwartet einen detaillierten Bericht über unseren Aufenthalt im Tempel“, antwortete Seth abwehrend.

Isis seufzte schwer.

„Ihr werdet Euch noch überarbeiten, wenn Ihr so weitermacht, Seth. Ah ....“ Sie trat näher an Jonos Lager heran. „Unser junger Gast scheint aufgewacht zu sein.“

Jono wandte sich ihr zu. Glatte, lange schwarze Haare, in die goldene Ringe geflochten waren, umgaben das hübsche Gesicht der jungen Frau, die sich gerade neben ihm auf die Knie niederließ. Sie erneuerte das kalte Tuch auf seiner Stirn. Der Mann, den sie Seth genannt hatte, gesellte sich an ihre Seite und betrachtete Jono von oben herab – in mehr als einem Sinn. Seine Lippen umspielte ein herablassendes Lächeln und sein Blick war von einer Kälte, dass selbst eine Mumie zu zittern begonnen hätte. Aber dieses herrliche Blau ... Es erinnerte Jono an funkelnde Saphire.

„Wer bist du?“

„Seth!“, sagte Isis.

„Was habt Ihr, ich möchte doch nur wissen, mit wem wir es zu tun haben.“

„Der Junge ist in einen Sandsturm geraten und kaum ist er aufgewacht, herrscht Ihr ihn so an“, schimpfte sie. Dann wandte sie sich an Jono. „Möchtest du etwas trinken?“

Statt zu antworten nickte er nur mit dem Kopf und schob sich weiter hoch. Isis griff nach einem Kelch und hielt ihn an seine Lippen, auch als er selbst zupackte und ihn zu halten versuchte. In großen Strömen rann das Wasser seine ausgedörrte Kehle hinab.

„Nicht so schnell“, mahnte Isis ihn. „Du verschluckst dich noch.“

Dreimal füllte sie den Kelch mit frischem Wasser, ehe Jonos Durst halbwegs gestillt war. Dann reichte sie ihm einen Teller mit Fladenbrot und frisch gebratenem Hammelfleisch, das er hungrig herunter schlang, ohne auf die feinen Regeln zu achten, nach denen er zu Hause sein Essen verzehrt hatte. Seth schnaubte verächtlich. Peinlich berührt ließ Jono das Stück Hammel sinken, das er sich eben in den noch vollen Mund hatte schieben wollen und kaute auf, bevor er von dem noch warmen Fladen abbiss. Danach bemühte er sich, den Rest seines Mahles in gesitteterer Form einzunehmen. Er wollte sich vor seinen Gastgebern schließlich nicht noch mehr blamieren.

„Habt vielen Dank für Eure Hilfe. Ohne Euch wäre ich in dieser elenden Wüste umgekommen“, sagte Jono und stellte den leeren Teller beiseite.

„Danke den Göttern, die uns zu dir geführt haben“, erwiderte Isis. „Sage mir, was hat dich allein in die Wüste verschlagen? Noch dazu ohne Reittier oder Ausrüstung.“

„Ich ...“ Seit er aufgewacht war, waren seine Gedanken fieberhaft um diese Frage gekreist. Er konnte ihnen unmöglich die Wahrheit sagen. Wenn sie den Grund dafür herausfanden, was ihn in die Wüste getrieben hatte, dann hätte er sich die Strapazen der letzten Tage sparen können. Ob das Schwert des Scharfrichters ihn dann hier oder in Zawtj traf, das Ergebnis war das gleiche.

„Der Sandsturm und die Hitze scheinen dich verwirrt zu haben“, meinte Isis freundlich, als er nicht antwortete.

Verwirrt? Das ist die Rettung!

„Ja ... Das kann sein. Ehrlich gesagt kann ich mich kaum an etwas er-innern, was vor dem Sturm geschehen ist.“

„Soll das heißen, er hat sein Gedächtnis verloren? Oh Amun, das hat uns gerade noch gefehlt“, brummte Seth.

Jonos Brauen zogen sich zusammen und zeichneten seine Entrüstung auf seinem Gesicht ab. Was bildete sich der Kerl ein, über ihn zu sprechen, als wäre er gar nicht vorhanden. Andererseits hatte er gesagt, der Pharao erwarte seinen Bericht, anscheinend gehörte er zum Hofstaat des jungen Herrschers. In dem Fall war es noch wichtiger, dass er und diese Isis nicht erfuhren, mit wem sie es zu tun hatten. Er musste von hier fort, so schnell wie möglich. Nur wie? Er konnte kaum aufstehen.

„Kannst du dich denn an irgendetwas erinnern?“, fragte Isis weiter. „An deinen Namen vielleicht?“

Er schüttelte den Kopf.

„Vielleicht gibt uns das, was er bei sich getragen hat, ja Aufschluss über seine Herkunft“, sagte Seth.

Jono sah ihn alarmiert an und musste den Reflex unterdrücken, sich an die Brust zu greifen, um zu prüfen, ob es noch da war. Seth beugte sich über ihn hinweg und hob einen Dolch auf, der neben dem Jungen gelegen hatte und in einer reich verzierten Scheide steckte. Er zog die bronzene Klinge heraus und untersuchte die feinen Verzierungen, mit denen ihre Oberfläche überzogen war. Jono brauchte einen Moment, um die Waffe zu erkennen. Er hatte sie gefunden, am Tag vor dem Sandsturm. Was er daneben entdeckt hatte, jagte ihm auch jetzt noch, fernab, einen kalten Schauer den Rücken hinab. Er hatte den Jungen, der auf dem Bauch lag, nur mit dem Fuß angestoßen, um sich zu vergewissern, dass er wirklich tot und nicht etwa nur bewusstlos war. Er musste etwa in seinem Alter gewesen sein. Um seinen Kopf hatte sich eine große Blutlache gebildet, die in den Sand eingesickert war. Natürlich hatte Jono Skrupel gehabt, einen Toten zu berauben, doch wenn er den Dolch nicht an sich genommen hätte, wäre er weiterhin ohne Verteidigung gewesen. Das hatte er in einer Wüste, die von Schlangen und Skorpionen wimmelte, nicht riskieren können.

„Eine gute Arbeit, aber nicht ägyptischen Ursprungs. Was meint Ihr, Isis?“

„Hmmm ... Das sieht aus wie ... Er könnte zu den Hethitern gehören.“

„Ein Spion vielleicht ... Dann ist er unser Feind. Ich lasse die Wachen rufen, sie sollen den Kerl in Ketten legen.“

„Nein!“, entfuhr es Jono. „Ich bin kein Feind und erst recht kein Spion.“

„So? Und wer bist du dann? Überlege dir deine Antwort wohl, du sprichst mit der ehrenwerten Priesterin Isis und Seth, dem getreuen Hohepriester und Diener des großen Pharao.“

Jono schluckte, es fiel ihm nicht leicht, einen einigermaßen entspannten Ton anzuschlagen.

„Na ja ... Überlegt doch mal, wenn ich ein Spion wäre, wäre es doch recht unklug von mir, etwas bei mir zu führen, das so eindeutig Auskunft über meine Herkunft gibt wie dieser Dolch.“

„Unglücklicherweise“, knurrte Seth, „hast du damit Recht, Bursche. Trotzdem will ich wissen, wo du herkommst.“

„Ich weiß es doch selbst nicht, ich leide unter Gedächtnisverlust“, verteidigte er sich. Wenn er sich eine Weile dahinter verstecken konnte, schaffte er es vielleicht, einen Plan zu entwickeln, wie er den beiden entkommen konnte.

„Sollte nicht in Kürze eine diplomatische Gesandtschaft aus Hattusa eintreffen?“, überlegte Isis. „Vielleicht gehört er dazu und hat seine Leute in der Wüste verloren. Lasst ihn uns mitnehmen. Wenn er einer der Gesandten ist, dürfen wir ihm ohnehin nichts tun, der Pharao hat ihnen freies Geleit versprochen.“

„Und wenn es sich bei ihm doch um einen hethitischen Spion handelt, so wird unser Herr sicher eine angemessene Bestrafung für ihn finden“, sagte Seth.

Jono konnte froh sein, in der Wüste zu sitzen anstatt an den Ufern des Nil, sonst hätte er sich in diesem Augenblick am liebsten in dessen Fluten gestürzt. Er war vom Regen in die Traufe geraten.

„Solange wir nicht wissen, um wen es sich handelt, werden wir ihn höflich behandeln“, entschied Isis. „Aber wir stellen ihn unter Bewachung“, fuhr sie fort, als sie Seths unzufriedenen Blick bemerkte.

„So soll es geschehen. In Men-nefer wird sich Seine Majestät seiner annehmen. Zuvor allerdings ...“ Seth beugte sich etwas näher zu ihm und zog die Nase kraus. „Ich denke, ein Bad wäre bei dir mehr als angebracht. Hapi!“

Als nach fünf Sekunden noch nichts geschehen war, wiederholte Seth seinen Ruf in schärferem Ton und nur Augenblicke später stürzte ein Junge in das Zelt. Er mochte die Elf gerade überschritten haben, seine langen schwarzen Haare wurden hinten von einer goldenen Kordel zusammengehalten. Um seine Oberarme waren schmale Goldreifen geschlungen und er trug einen schlichten weißen Lendenschurz.

„Warum hat das so lange gedauert?“, wollte Seth wissen.

„Ich war dabei, Euer Pferd zu versorgen, Herr.“

„Du hast zu kommen, wenn ich nach dir rufe, und zwar beim ersten Mal, nicht erst beim zweiten.“

„Ja, Herr, verzeiht bitte. Ich habe verstanden.“

„Gut. Bereite ein Bad für unseren ... ‚Gast’ vor und sei ihm behilflich.“

Hapi verbeugte sich vor seinem Herrn und eilte aus dem Zelt, um seine Aufträge auszuführen. Jono nutzte die kurze Zeit, in der Seth und Isis von ihm abgelenkt waren, um – unauffällig, wie er hoffte – an sich zu schnüffeln. Auch wenn Seth ihm mit seiner arroganten Art nicht gerade sympathisch war, Recht hatte er. Die Tage unter der Sonne hatten alles an Flüssigkeit aus ihm herausgeholt und die Ausdünstungen hatten einen unangenehmen Geruch hinterlassen. Ihm war das bisher gar nicht so aufgefallen, nun aber stach ihm sein eigener Duft in die Nase.

Hapi brauchte nicht lange für die Vorbereitungen und kam nach ihrer Beendigung unverzüglich ins Zelt zurück, um Jono zu holen. Beim Aufstehen von seinem Lager knickten ihm die Beine weg, er musste sich auf einer Truhe abstützen, um sich zu erheben und auch dann fühlte er sich bei den ersten Schritten auf ihnen noch nicht ganz sicher. Flucht? Das konnte er vorläufig vergessen. Noch unangenehmer war ihm, dass Hapi seinen Arm ergriff und ihn stützte. Jono kam sich vor wie ein alter Mann. Leicht wankend schafften sie es zum Ausgang des Zeltes.

Draußen strahlte Jono frisches, saftiges Grün entgegen. Palmen, Büsche und Gräser bildeten einen dichten grünen Ring um einen See mit klarem blauem Wasser. Dazwischen waren Zelte aufgestellt worden, vor denen Wachen saßen oder standen. Diener kümmerten sich um die Pferde und Kamele, die die Reisegruppe mit sich führte, und tränkten sie mit dem Wasser der Oase. Jono unterdrückte ein Seufzen. Also waren sie immer noch in der Wüste.

Zwei Wachen traten an seine Seite, die mit Kopesh, wie die Sichelschwerter Kemets genannt wurden, und Lanzen ausgerüstet waren. Seth kam hinter ihnen aus dem Zelt geschritten.

„Passt gut auf ihn auf, damit er uns nicht davonläuft. Wenn er flieht, haftet ihr mit eurem Leben dafür.“

„Heißt das, die beiden sollen mir beim Baden zusehen?“

„Natürlich, was dachtest du denn?“

„Ich weigere mich!“ Jono verschränkte demonstrativ die Arme und bemühte sich, einen hochmütigen Blick aufzusetzen, war sich jedoch nicht sicher, ob es ihm so gelang, wie er es sich wünschte. Seth schien es in dieser Disziplin zur Perfektion gebracht zu haben.

„Stell dich nicht so an.“

„Ob nun die zwei oder das ganze Lager, ich mag es nicht, beim Baden beobachtet zu werden.“

„Auch noch Sonderwünsche stellen ... Andererseits bade ich selbst auch nicht gern vor aller Augen.“ Er nickte Hapi zu. „Du weißt, was du zu tun hast.“

Der Junge holte mehrere zusammengefaltete große Tücher aus dem Zelt und bedeutete Jono, ihm zu folgen. Die zwei Wächter blieben ihnen auf dem Weg zum Wasser dicht auf den Fersen. Erst kurz bevor sie das Ufer erreichten, blieben sie stehen und drehten sich zur Seite, so dass sie ihn nicht mehr direkt ansahen, aber gleichzeitig die Umgebung fest im Blick behielten. Jono ließ sich von dem jungen Diener zu einem großen Stein führen, in dessen Nähe ein hölzerner Trog stand. Er war gerade so groß, dass ein Mann darin bequem sitzend Platz fand und mit einem Leinentuch ausgelegt, damit sich der Badende keine Splitter einriss.

„Könnt Ihr Euch selbst entkleiden, Herr? Dann hänge ich in der Zwischenzeit die Tücher zwischen die Bäume, um Euch vor unerwünschten Blicken zu schützen.“

„Ja, ich denke, das schaffe ich“, sagte Jono.

Der Junge verbeugte sich etwas ungeschickt vor ihm; er schien sich darüber unsicher, wie viel Respekt ihm gegenüber angemessen war. Hapi schüttelte mit wenigen Griffen die Tücher auseinander und platzierte sie so zwischen den Zweigen, dass Jonos Badeplatz nur noch schwer einsehbar war. Die Wachen würden jeden Neugierigen abhalten.

Währenddessen einkleidete sich Jono rasch. Schurz und Gürtel, beide deutlich von seinem Weg gezeichnet, wanderten auf einen Haufen, zusammen mit den beiden Goldreifen, die er an den Oberarmen trug. Ein Blick sagte ihm, dass sich Hapi von ihm abgewandt hatte. Dennoch konnte er sich keine Unvorsicht leisten und drehte sich ebenfalls um, bevor er sich das Obergewand über den Kopf zog. Zu guter Letzt nahm er mit großer Vorsicht das aus Gold und Edelsteinen gefertigte Amulett von seinem Hals und verstaute es sorgfältig unter seinen Kleidern. Welcher Dämon hatte ihn nur befallen, es mitzunehmen? Doch wenn er es nicht getan hätte ... Er konnte nicht sagen, was schlimmer gewesen wäre.

„Ich bin so weit“, sagte er und setzte sich neben seinen Sachen auf einen Fels.
 

Ein Rascheln, das nicht von dem leichten Wind herrühren konnte, der durch die Blätter strich, ließ die Wachen aufmerksam werden und sich

umschauen.

„Wer ist da?“

Die Wedel einer noch jungen Dattelpalme wurden auseinander gebogen und offenbarten den Besucher. Die Wächter verbeugten sich tief beim Anblick ihres Herrn.

„Was macht unser Gast?“, fragte Seth.

„Er badet, Herr.“

„Wenn er fertig ist, soll Hapi ihn zu meinem Zelt bringen. Isis und ich erwarten ihn zum Abendessen.“

Er drehte sich auf dem Absatz um und verschwand. Kaum war er außerhalb der Sichtweite seiner Männer, schlug Seth nicht den Weg ein, der zum Lager zurückführte, sondern näherte sich dem Ufer, immer darauf achtend, dass ihm die Pflanzen genügend Schutz boten, damit er nicht entdeckt wurde. Er spürte, dass der Junge irgendein Geheimnis hatte und er war entschlossen herauszufinden, um was es sich dabei handelte. Wenn er ihn mit nach Men-nefer nehmen sollte, war es als Leibwächter des Pharao seine oberste Pflicht sicherzustellen, dass von ihm keine Gefahr ausging.

Der Junge wühlte in seinen Kleidern, als Seth seinen Beobachtungsposten einnahm. Er musterte ihn von oben bis unten. Versteckte Waffen trug er schon einmal nicht, es sei denn, er hatte sie bereits abgelegt. Dazu würde er später Hapi befragen. Die Haut des Jungen war fein gebräunt, nicht so verbrannt wie die der Bauern, die die Felder des Reiches bestellten und das Land mit ihrem Korn am Leben erhielten. Seth schloss, dass er aus einem der höheren Stände stammen musste. Ob er nun Ägypter oder Hethiter war, das würde sich noch herausstellen. Seine Erziehung schien allerdings in manchen Punkten zu wünschen übrig zu lassen.

Unter der Haut zeichneten sich bei jeder Bewegung, die er machte, deutliche Muskeln und Sehnen ab. Eine gewisse Attraktivität konnte der Priester ihm nicht absprechen. Da drehte sich der Junge um und rief nach Hapi, der sofort zu ihm geeilt kam. Die Vorderseite seines möglichen Gegners in Augenschein zu nehmen, trieb Seth zu seiner nicht geringen Verwunderung etwas Wärme in seine Wangen. Dass er überhaupt errötete, war für ihn bereits seltsam genug, aber dann auch noch wegen einer Person seines eigenen Geschlechts ...

Ach – Unsinn!, rief er sich zur Ordnung. Ich habe mich heute zu lange in der Sonne aufgehalten. Und mein Auftrag hier ist ohnehin erledigt.

Ohne ein weiteres unnötiges Geräusch zu verursachen, entfernte er sich und begab sich in sein Zelt zurück. Vor dem Essen wollte er noch den Bericht abschließen, an dem er saß.
 

Kommentare, Morddrohungen etc. bitte hier abgeben. ^^



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (8)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Black_Sweetie
2011-11-20T09:49:24+00:00 20.11.2011 10:49
ich hinter lasse dir auch keine morddrohung.
ich mag diene ard zu schreibe *grins*
weiter so


bin gespand Black_sweetie
Von:  Pijara
2010-01-07T11:02:16+00:00 07.01.2010 12:02
Also Morddrohungen werde ich dir garantiert nicht hinterlassen. Warum auch, wo doch das Kapitel so super geschrieben ist. Da gibts gar nichts, woran man meckern kann! Schon mal daran gedacht, ein Buch zu schreiben? Talent dafür ist auf jeden Fall in Unmengen vorhanden!
Ich find's absolut genial, dass man bei deinen Umschreibungen jedes Mal genau mitfühlen kann, wie sich die Person gerade fühlt!
Und auch ansonsten ist die Geschichte ziemlich interessant. Würde ja gern mal wissen, was Jono angestellt hat, dass er nicht wagt, sein GEheimnis zu verraten.
Also weiterlesen....
Kussi von der Pijara
Von:  trinithy
2009-08-03T16:31:57+00:00 03.08.2009 18:31
Soooo~
Da ich jetzt mit meinem Wüstensand durch bin, und ich ohnehin schon mal ein paar Kapitelchen gelesen hatte, komme ich jetzt auch endlich dazu hier Kommis zu hinterlassen /weiterzulesen!

Das erste Kapitel hat mir schon sehr gut gefallen, das hat echt Lust auf mehr gemacht, außerdem gefällt es mir sehr gut, wie du die Charaktere schon jetzt fein säuberlich rausarbeitest.
Von:  Ryuichi-Sakuma-
2008-11-10T01:46:22+00:00 10.11.2008 02:46
Ein sehr schönes Kapi mal wider gefällt mir echt sehr gut *smilie*
Da hatt sich Jono also mit der ausrede gerettet er könnte sich nicht mehr erinnern was ihn dazu woll veranlagt hat und welches geheimniss unser kleiner Blondschopf hat?? bin ja mal gespannt wann dieses geheimnis gelüftet wird *smilie*
Und da ist Seth doch tazächlich etwas rot geworden wo er Jono nackt gesehen hatt *FG*
Bin ja mal gespannt was noch so alles passieren wird *smilie*

Gruß: Ryuichi-Sakuma-
(^-~)/
Von: abgemeldet
2008-10-30T07:11:04+00:00 30.10.2008 08:11
also die morddrohung spar ich mir mal xD aber ein kommtar lass ich doch hier ;)
toll geschrieben ich bin gespannt wie es weiter geht :)
Von:  Roset
2008-10-22T15:41:52+00:00 22.10.2008 17:41
der anfang ist schon mal super,bin schon ganz gespannt wie es weiter geht^^
Von:  Sathi
2008-10-21T20:58:21+00:00 21.10.2008 22:58
hui das hab ich wohl gerade eben erst gelesen das es shonen-ai iss
*sabber*
ich liebe es ^^
un das hier, schön lang auf jeden fall, iss dia auch super gut gelungen
wäre mia ganz lieb wenn du mia bescheid gibst wenns weidder geht ^^
*knuddel*
mach so weidder
Von:  Judari
2008-10-21T16:04:50+00:00 21.10.2008 18:04
Wow toll schade das ich das Fan. erst jetz gefunden habe solltes es vieleicht noch unter einer anderen kadegorie stellen z.b. ein schlag wort: Ägypten, Alt Ägypten Seth und Jono, Seht, Jono oder andere bekannte worten ist oft das problem das man solche story nicht findet oder nur wenig, habe ich zumindest festgestllt.


Zurück