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Hoffnung zu Asche

Schatten und Licht, Band 2
von

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Schmerzhafte Entwirrung

„Das ist alles?“, wunderte sich Hitomi, als sie den himmelblauen Fliegeroverall und Schwert samt Scheide und Gürtel betrachtete, die auf den Tisch einer Asservatenkammer lagen. „Mehr hatte Allen nicht dabei?“

„Die Ingenieure Astorias müssen sich ihrer Sache sehr sicher sein. Nicht einmal Überlebensausrüstung haben wir in seinem Guymelef gefunden, geschweige denn Nahrung oder Wasser. Selbst das Funkgerät ist fest eingebaut.“, amüsierte sich Merle. „Also, warum sollte ich dir die Sachen zeigen?“

„Ich spüre nichts ungewöhnliches an Allen, das erklären könnte, wie er meinen Energiescheiben ausweichen konnte, und auch deine Erinnerungen konnten mir nicht weiterhelfen. Vielleicht ist ein Gegenstand für seine Kräfte verantwortlich, dann müsste er ihn aber beim Kampf bei sich gehabt haben.“

„Wie könnte ein Gegenstand dafür verantwortlich sein.“

„Energiesteine wandeln Gedankenenergie in physische um, weswegen Drachen nichts Essen, nicht einmal atmen müssen und Guymelefs sich bewegen.“, erinnerte Hitomi und nahm ihre Kette ab. „Sein Anzug wird es wohl kaum sein. Übrigens, warst du dabei, als er ihn ausgezogen hat?“

„Hä, spinnst du?“, fragte Merle peinlich berührt.

„Entschuldige, ich dachte, du würdest dir eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen.“, antwortete sie, als wäre es das natürlichste der Welt. Nachdenklich betrachtete Hitomi ihre Kette, mit dem blass rosa Stein. „Mal sehen, ob wir etwas finden.“ Dann hielt sie das Schmuckstück über das Schwert in der Scheide. Mit einer Handbewegung regte sie die Kette zum Schwingen an und führte sie langsam über die Waffe, von der Spitze bis hin zum Griff. Als sie am äußersten Ende des Schwertgriffes angekommen war, änderte sich die Schwingung zu einer Kreisbahn. „Treffer.“, verkündete sie. „Sie dir mal bitte das Schwert an. Ist etwas im stumpfen Ende versteckt?“

Merle nahm die Waffe in die Hand und das besagte Ende unter die Lupe. „Da ist ein kleiner Spalt. Dank der schwarzen Farbe kann man ihn kaum erkennen.“ Sie grub die Spitzen von zwei ihrer Krallen in das Holz und zog mit sanfter Gewalt eine Umhüllung von dem Griff. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, was darunter verborgen war.

„Was ist?“

Zur Antwort wendete Merle das Schwert in Hitomis Richtung. Deutlich konnte Hitomi einen Edelstein erkennen, der in dem Griff steckte und exakt ihrem Anhänger glich. Sie sah ihre Theorie bestätigt. Merle interpretierte den Ausdruck in den Augen ihrer Freundin richtig.

„Du weißt, was mit Allen los ist.“

„Bis jetzt hatte ich es nur geahnt.“, entschuldigte sich Hitomi. „Er ist eine Partnerschaft mit einem Wächter eingegangen.“

„Einem Wächter?“

„So nennt das Drachenvolk die Erschaffer von Gaia. Als der Planet erschaffen wurde, flossen von jedem der Beteiligten dessen individuelle Vorstellung in das Werk mit ein. Der Grad des Einflusses jedoch war abhängig von der Stärke des Willens und von der Genauigkeit der Vorstellung. Auf Grund dessen waren es im Endeffekt nur wenige hundert, die das Grundgerüst von Gaia erschufen. Das Wissen einiger weniger Gelehrte zum Beispiel bildete das Fundament der Physik auf diesem Planeten. Diese Mitglieder des Drachenvolkes bezahlten aber einen hohen Preis dafür, dass ihre Wünsche im besonderen Maße berücksichtigt wurden. Ihre Seelen wurden Teil der Maschinerie, die das Konstrukt Gaia erhält. Sie werden Wächter genannt, verfügen über ungeheure Kräfte und sind unsterblich. Selbst wenn ihre Körper vernichtet werden, bleibt ein Edelstein zurück, der in ihrem Rückenmark steckt. Ihre Seelen sind in diesen Steinen gefangen, damit sie weiterhin die Energieflüsse in Gaia steuern können. Daher nennt das Drachenvolk diese auch Seelensteine.“

Bislang hatte Merle schweigend zugehört. Als Hitomi ihre Erklärung stoppte und sie voller Erwartung ansah, stellte sie ihre erste Frage: „Du willst mir also weismachen, dass es unsterbliche Wesen gibt, die in diesen Steinen wohnen.“

„Ja, im Prinzip könnte man es so ausdrücken.“

„Ah ja! Du hast etwas von einer Partnerschaft erwähnt.“

„Diese Seelen sind verflucht. Sobald sie ihre Körper verlieren, verlieren sie auch ihre Sinnesorgane. Sie können nichts wahrnehmen und sind dazu verdammt in einer Leere aus zu harren. Zwar können sie diese Leere mit einem Ort, der ihrer Vorstellung entspringt, füllen, doch sind sie auch dort gefangen und wirklich neues bietet sich ihnen nicht. Schließlich haben sie jeden Winkel ihrer Phantasie selbst erschaffen. Um wieder etwas von der Umwelt wahrnehmen zu können, müssen sie eine Symbiose mit einem Lebewesen eingehen, das ihnen seine Sinne zur Verfügung stellt. Damit das Wesen den Seelenstein bei sich behält, erfüllen sie die Wünsche des Wesens so gut es mit ihren eigenen Kräften möglich ist. Meist wird dieser Vertrag unbewusst geschlossen, ohne dass die Seele des Steins mit ihrem Partner in direkten Kontakt tritt. Ob sich Allen also bewusst ist, wem er seine Kräfte verdankt, kann ich nicht sagen.“

„Weißt du, wer in diesem Stein wohnt?“, hakte Merle nach.

„Nein, um das herauszufinden, müsste ich Allens Bindung mit der Seele brechen und selbst eine schließen. Diese Bindung ist für mich jedoch zu stark. Ein Schwertkämpfer wie er betrachtet seine Waffe als eine Erweiterung seiner selbst. Wahrscheinlich stärkt das die Beziehung der Partner zu einander.“

Grübelnd betrachtete Merle den Stein im Schwertgriff. Dann kam ihr ein Gedanke.

„Wer ist in deinem Seelenstein?“

Hitomi seufzte.

„Ich kenne seinen Namen nicht. Um ehrlich zu sein, hatten wir nur ein einziges Gespräch miteinander und das ist nicht gut gelaufen.“, gab sie zu. „Ich weiß nur, dass er der Wächter der Zeit ist. Er kann die Zeit von Gaia im Verhältnis zum Mond der Illusionen schneller und langsamer ablaufen lassen, und sie sogar vor- und zurückdrehen.“

„Ein Er? Weiß Van von deinem Begleiter.“

„Natürlich weiß er es.“, behauptete sie. „Wie ich schon sagte, hegen wir keine Geheimnisse voreinander. Die Vereinigung unserer Gedanken hätte zwar ziemlich schief gehen können, aber das ist der Preis, den sein Erbe und meine Kräfte von uns verlangen und wir zahlen ihn gerne.“

„Wie ist er so?“

„Ein griesgrämiger, alter Mann. Ich vermute, er hat sich so sehr gewünscht, dass er auf der neuen Welt die Zeit zurückdrehen und sein Leben noch einmal Leben könnte, dass er die Kontrolle über Zeit bekommen hat.“, berichtete sie angewidert, woraufhin Merle aufhorchte. Dass Hitomi schlecht von einem Wesen sprach, kam äußerst selten vor. „Persönlich hat es ihm wohl nichts genutzt.“

„Wendet er seine Macht auch an?“, fragte sie Hitomi weiter aus.

„Erinnerst du dich an die Geschichte von Allens Vater, wie er zum Tal der Wunder reiste?“ Merle nickte. „Er kam nicht zurück, also muss er seine Kinder davor gezeugt haben. Aber das Mädchen, auf das er traf, war meine Großmutter. Sie war damals etwa so alt wie ich, als ich das erste mal nach Gaia kam.“

„Deine Großmutter? Aber das würde bedeuten, dass Allen ein sehr alter Mann ist.“, witzelte Merle erstaunt.

„Ich denke mal, dass dir meine Erklärung zu diesem Phänomen besser gefällt.“, vermutete Hitomi ebenso scherzhaft. „Außerdem wurde ich, als ich das erste Mal nach Hause zurückkehrte, zu einem Zeitpunkt vor meinem Aufbruch geschickt.“

„War das gut für dich?“

„Nun ja, irgendwie schon. Das ist so, als würde man ein Buch mehrmals lesen. Bei jedem weiteren Durchgang fällt einem mehr auf als vorher.“

„Was ist passiert?“, verlangte Merle in hemmungsloser Neugier zu Wissen.

„Kurz gesagt, war ich weniger mit mir selbst beschäftigt, da ich schon wusste, was mir meine Freundin offenbaren würde.“, erinnerte sich Hitomi mit einem rätselhaften Glänzen in ihren Augen. „So habe ich bemerkt, dass sie schon lange in meinem Schwarm verliebt war.“ Der Prinzessin verschlug es die Sprache. „Kannst du dir ein solches Opfer, Merle? Sie hat um unserer Freundschaft Willen nichts gesagt und mir sogar geholfen, ihn für mich zu gewinnen. Ich frage mich heute noch, wie ich ihr das je wieder gut machen kann?“

„Hast du dafür gesorgt, dass sie zueinander finden, deine Freundin und dein Schwarm?“, sagte Merle mit mühsam kontrollierter Stimme.

„Natürlich.“, antwortete Hitomi verwundert.

„Dann brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Du und deine Freundin seid quitt.“, verkündete das Mädchen mit Tränen in ihren Augen.

„Was hast du?“

„Ich weiß das, denn als du mich und Allen zusammen losgeschickt hast, hast du mir das größte Geschenk gemacht, auch wenn ich erst jetzt zu schätzen weiß.“ Hitomi trat näher an Merle heran und nahm sie fest in ihre Arme. Merle war diese seltene Nähe vertraut und so überließ sie sich völlig der Gefühle, die aus ihr raus sprudelten. „Die Reise mit ihm im Wald war die schönste Zeit, die ich je hatte, und jetzt tritt dieses Arschloch meine Erinnerungen mit Füßen.“ Unter Hitomis Sorge für das zerbrechliche Geschöpf mischte sich Unverständnis. „Wie kann er es wagen? Wie...?“

„Was sollte er denn tun?“, fragte Hitomi sacht. „Hätte er nicht gekämpft, würde man ihn in Astoria des Hochverrat anklagen. Der Unterhändler hatte seine Autorität von Aston persönlich.“ Merle riss sich los.

„Und um das eigene Leben zu schützen, zerstört er andere. Wärst du nicht da gewesen, wären Menschen gestorben, unschuldige!“

„Hast du nicht auch schon getötet, um das Leben deines Bruders zu retten?“, warf Hitomi ihr vor.

Das versetzte Mädchen hielt inne und schien einen Moment mit sich zu ringen.

„Vielleicht.“, gab sie zu und verfiel aber wieder in Rage. „Schließlich ist sein Schutz meine Aufgabe. Wen könnten Farnelias Bürger bitte schön schaden?“

„Wenn er verurteilt und hingerichtet werden würde, wäre seine Schwester ganz allein.“, klärte Hitomi sie auf.

„Seine Schwester?“, fragte Merle ungläubig. „Hat er denn noch eine andere bis auf das Mädchen, das verschwunden ist?“

„Sie heißt Serena und er hat sie am Ende des Krieges wiedergefunden. Jetzt sorgt er und sein Wohlstand für sie. Wusstest du das nicht?“

„Nein, er hat nie etwas gesagt und ich war nie in seinem Haus.“, gab Merle zu. Sie war geschockt und musste sich setzten. Viele seiner Aussagen wurden auf einmal viel klarer. Kraftlos sank sie über dem Tisch zusammen, auf dem Allens Sachen lagen.„Erzähl mir alles über sie, was du weißt!“, forderte sie, nachdem sie sich gefangen hatte.

„Das sollte Allen selbst tun.“, weigerte sich Hitomi.

„Wenn er mich mit seinen Problemen belasten wollen würde, hätte er es schon getan.“, konterte Merle. Dieser Dickschädel, dachte Hitomi und gab nach.

„Sie ist nur ein wenig älter als ich, höchstens ein, zwei Jahre, und wurde von den Zaibachern entführt und für ein Experiment missbraucht.“, erzählte sie. „Allen hat Falken über Dilando ausgefragt und dabei angedeutet, dass seine Schwester Dilando wäre. Anscheinend hat man versucht, einen anderen Menschen aus sie zu machen. Sie hat schon mehrmals die Persönlichkeit gewechselt. Allen ist stets kurz angebunden, wenn es um sie geht, daher weiß ich auch nicht mehr. Und ob es jemand anderes gibt, der diese Umwandlung gesehen hat, ist fraglich.“

Auch wenn Merle ruhig geblieben war und Hitomi hat ausreden lassen, waren ihre Augen plötzlich eiskalt.

„Die Person, die Farnelia niedergebrannt hat, wohnt unter einem Dach mit ihm?!“, fauchte sie.

„Serena kann nichts dafür und sie hat ein Recht auf ein Leben, egal was Dilando getan hat.“, verteidigte Hitomi Allens Schwester.

„Scheiß drauf!“, schrie Merle. „Sie hätte doch die Kontrolle übernehmen können, als das Aas Farnelia angegriffen, Allens Männer getötet, in Palas gewütet und Fraid zerstört hat. Was für ein Recht auch immer sie mal gehabt haben mag, sie hat es verwirkt, als sie weggesehen hat.“

„Du bist sehr schnell mit deinem Urteil, obwohl du kaum etwas über den Fall weißt“, kritisierte Hitomi ungehalten.

„Das ist mein Job!“

„Könnte es sein, dass Allen dir nichts gesagt hat, weil er deine Strafen fürchtet? Möchtest du seine Zweifel bestätigen?“ Als Merle daraufhin schwieg, entschloss sich Hitomi ihr noch einen Schubs in die richtige Richtung zu geben. „Wir reden hier über seine Schwester, die einzige Familie, die er hat. Möchtest du ihm das Glück, das du seit wenigen Monaten offiziell erfahren darfst, verweigern?“ Das Katzenmädchen brach endgültig unter der Last zusammen. Sie schluchzte und Tränen flossen ohne Unterlass. Entgegen dem Bedürfnis sie wieder zu trösten rührte sich Hitomi nicht von der Stelle und gab ihr Zeit die Gedanken zu sammeln.

„Wir hatten wohl nie wirklich eine Chance.“, äußerte sich Merle schließlich mit angekratzter Stimme. Wieder falsch, kommentierte Hitomi.

„Weißt du, da wo ich herkomme, handeln die schönsten Liebesgeschichten von einem Ritter und einer Prinzessin. Das ideale Paar! Keiner von ihnen hat es leicht, bei all den Drachen, die zwischen ihnen stehen, doch sie schaffen es immer und werden glücklich bis an das Ende ihrer Tage.“

„Alles Märchen!“, quittierte Merle. „Schon Milerna musste er sitzen lassen und mit mir klappt es auch nicht.“

„Gibst du auf, obwohl eure Geschichte noch gar nicht zu Ende ist?“, hinterfragte Hitomi listig. „Solange die Helden noch atmen, geht das Epos weiter. Selbst die Geschichte um Allen und Milerna dürfte noch nicht am Ende angekommen sein. Noch hast du ihn nicht verloren, aber du wirst, wenn du deinen Kopf in den Sand steckst.“

„Aber genau davor hab ich Angst.“, gab Merle niedergeschlagen zu. „Ich hab Angst in das Zimmer zu gehen, in dem ich ihn festhalte und ihn frei zu lassen. Ich werde ihn nie wieder sehen.“

„Gilt dieses mangelnde Vertrauen mir oder Allen?“, fragte Hitomi gekränkt. „Hab ich dir nicht vor kurzem versprochen, dass eure Hochzeit eine Brücke über den Graben zwischen Astoria und Farnelia schlagen wird? Wozu geh ich denn nach Palas, wenn nicht um den ersten Spatenstich zu setzen?“

„Du meinst also, ich soll ihn gehen lassen?“, zweifelte Merle.

„Wenn du es nicht tust, wird er nie zurückkommen.“, erwiderte Hitomi zuversichtlich.



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