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Augenblicke

von

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Und wieder kreuzen sich unsere Wege, ein allerletztes Mal. Du stehst, ohne ein Wort, dort vor meinem Grab, die Hände tief in den Taschen versenkt. Du bist alt geworden. Deine Haare, schneeweiß, sie reichen dir schon über das Kinn hinaus. Der Wind weht sie in dein Gesicht, bringt sie durcheinander, doch du kümmerst dich nicht darum. Ein wenig erinnerst du mich an Albert Einstein, nur das auf deinem ein wenig faltigem, aber immer noch schönem Gesicht ein trauriger Ausdruck liegt, deine Lippen verschlossen sind. Sag was. Gib deine Gedanken preis. Nur deine Augen verraten dich, strahlend schön wie einst, sie haben sich nicht verändert. Die Tore zu deiner Seele. Lange, lange, stehst du hier und blickst durch mein Grab hindurch wie in eine ferne Welt. Vielleicht malst du dir aus, was wäre wenn, was gewesen sein könnte, möglich gewesen wäre. Tempus fugit. Die Zeit hält für niemanden, das Leben ist viel zu kurz. Erst jetzt beginne ich langsam die Tragweite dieser weisen Worte zu begreifen. Nie genug Zeit. Selbst jetzt nicht.
 

Ich weiß nicht, warum ich deinem Ruf gefolgt bin. Warum ich hier stehe, vor deinem Haus, das inzwischen leer und verlassen wirkt. Deine Frau ist gestorben, deine Kinder sind fort. Nur du bist noch da, hältst die Stellung. Als wolltest du an dem hier festhalten, deinem Leben, das längst gegangen ist, wie so viele Männer in unserem Alter. Eigentlich fühle ich mich zu alt für diese Spielchen. Nein, ich bin definitiv zu alt. Es ist noch da. Dieses Gefühl, einfach nicht tot zu kriegen. Weiß Gott, ich hab’s versucht. Aber heute ist mein Wille stärker als mein Herz, heute habe ich die Kraft mich umzudrehen, und gerade als ich mich zum Gehen wenden will, öffnet sich die Tür. Bleib, sagst du. Nur einen Moment. Tatsächlich lasse ich mich breitschlagen, ergebe mich dir, folge dir hinein. Manchmal hasse ich dich dafür. Manchmal liebe ich dich dafür. Heute bin ich einfach nur Müde. Du schließt die Tür, siehst mich an, mit diesen zwei kleinen Sonnen die du deine Augen nennst. Ein Lächeln. Du beugst dich vor, möchtest mich küssen. Nein. Heute nicht. Und niemals wieder. Ich wende mich ab, gehe, unfähig in deine enttäuschten Augen zu sehen, die meinen Plan so leicht durchkreuzen könnten. Draußen atme ich tief durch, wische eine Träne von meiner Wange, bevor ich in den Wagen steige. Ich drehe mich nicht um. Diesmal nicht.
 

Herzlichen Glückwunsch. Es ist dein Geburtstag, heute wirst du vierzig Jahre alt. Nie hätten wir uns träumen lassen, damals, je so alt zu werden. Deine Kinder toben durch die Zimmer, deine Frau unterhält sich mit den weiblichen Gästen. Ihr gekünsteltes Gelächter treibt mich in den Wahnsinn. Wie hältst du das aus? Ich stelle mir vor, wie ihre Lache die Gehirne feindlicher Invasoren platzen lässt. Du lehnst am Geländer der Terrasse, genehmigst dir irgendein alkoholisches Getränk, ab und zu ein aufmunterndes Lächeln in meine Richtung. Womöglich bilde ich mir das aber auch nur ein. Halb lausche ich den Ausführungen des mich vollquatschenden Idioten vor mir, während der Rest meines Gehirns fieberhaft an einem Fluchtplan aus diesem grauenvollen Vorstadtleben arbeitet. Ich erinnere mich noch, wie ich zwischen Rechnungen und Werbeprospekten deine Einladung fand, teils geschockt, teils verwundert, meine Adresse hatte ich dir nie mitgeteilt. Deine letzte Karte hab ich ignoriert. Die zu deiner Hochzeit mit Mrs. Mein-Gelächter-treibt-selbst-Aliens-in-die-Flucht. Wie konntest du glauben, das ich tatsächlich komme? War es Hoffnung? Kalte Berechnung, weil du mich doch besser kennst als sonst jemand? Ich habe überlegt, lange, und nun bin ich doch noch gekommen. Wie ein treues Hündchen. Jetzt stehe ich hier und wünsche mich weit weg. Statt mich zu fürchten, frage ich mich lediglich wie du so werden konntest. Perfektes Haus, Kinder, Frau, ein gepflegter Rasen und zwei Mittelklasseautos. Die personifizierte Langeweile. An deiner Stelle hätte ich mich längst erschossen. Beinahe habe ich sogar Mitleid. Aber nur beinahe. Gehst du schon? Auf einmal erscheinst du hinter mir. Ja. Mist, erwischt. Ein verlegenes Lächeln meinerseits. Du hast es offensichtlich mal wieder mit dem Alk übertrieben. Ganz ehrlich, wenn ich mich auf deiner Party so umsehe, ich kanns dir nicht verübeln. Trotzdem merken die anderen nichts. Ich bring dich noch zu deinem Wagen. Widerstandslos lasse ich mich mitziehen. Nicht zu deinem Wagen, sondern in das kleine Gartenhäuschen. Ich weiß, was jetzt kommt. Himmel, du hast sogar ein Gartenhäuschen. Wie lächerlich. Dann pustest du meine Gedanken über das Vorstadtleben einfach aus, indem du dich an mich presst, und mir vor lauter Ungeduld und Verlangen meine Kleider in Stücke reißt.
 

Ich werde heiraten. Ein Messer in die Brust hätte mich nicht weniger treffen können. Ich wünschte, er hätte eins benutzt. Ein Satz. Wie kann ein einziger, winziger Satz so viel vernichten. Worte sind mächtiger als Schwerter, schießt es mir durch den Kopf. Wie wahr. Stumm, taub gehe ich, lasse ihn einfach da stehen. Als hätte er mich mit diesem Satz vergiftet, paralysiert. Kaum aus der Tür, beginne ich zu rennen. So schnell ich kann. So weit ich kann. Nur weg von hier. Ich bleibe erst stehen, als ich nicht mehr kann, lasse mich auf den Boden fallen. Nur ein verdammter Satz.
 

Hier haben wir uns das erste Mal gesehen. In diesem Park bist du in mich rein gerannt, ganz in Gedanken versunken. Deine Bücher, Blätter, Unterlagen lagen alle im Dreck über den Boden verteilt, doch als dein Blick auf mich fiel, war es dir egal. Zumindest hast du das hinterher behauptet. Ich muss lächeln. Allein der Gedanke an dich bringt mich zum lächeln. Wie eine Droge, die mich langsam in den Wahnsinn treibt, nein, schon getrieben hat. Ein rosaroter Wahnsinnsnebel, der mich einhüllt wie ein gewaltiges Wattekissen. Nur gut, das er kein Scientologe ist, der mich zum wahren Glauben bekehren will. Bei seinem Wahnsinnslächeln hätte ich zu allem Ja und Amen gesagt. Habe ich eigentlich schon erwähnt, das er der reinste Wahnsinn ist? Eine uralte Frau und ihr Mann laufen mir über den Weg, beide Hand in Hand, sie lächeln sich an. Man kann ihre Vertrautheit regelrecht sehen. Plötzlich umfassen mich von hinten zwei Hände, drücken mich an einen Körper. Selbst im Wachkoma würde ich diese Hände, diesen Körper wieder erkennen. Ich glaube, ich kann nie wieder aufhören, dämlicher als ein Toastbrot zu grinsen. Das Bild der beiden Rentner kommt mir wieder in den Sinn. Vielleicht werden wir auch eines Tages so sein wie sie.
 

Vielleicht.
 

* * *
 

Mehr Geschichten gibts auf http://starsexplode.wordpress.com/



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Erzsebet
2008-08-29T18:16:15+00:00 29.08.2008 20:16
find ich noch immer sehr traurig, romantisch, bewegend. Wirklich gelungen - grad so 'falschherum' erzählt.

Schöne Grüße von Erzsebet


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