Unerwartete Wendung
Tenten sah sich in dem kleinen muffigen Zimmer um. Es wurde wohl längere Zeit weder genutzt noch überhaupt gesäubert, denn eine verdächtige Staubschicht lag auf Arbeitsplatten der Schränke. Sie strich sachte mit ihrem Zeigefinger über den Schmutz und bekam plötzlich eine Gänsehaut. Dieser Ort hatte wirklich etwas Unheimliches an sich und das lag nicht daran, dass es hier dreckig war.
Sie hatten kurzfristig ihre Sachen zum Übernachten geholt, hatten nur das Wichtigste eingepackt und waren so schnell wie möglich zurück zu der Gaststätte gegangen. In der Zwischenzeit hatten sie Gai und Lee benachrichtigt und deswegen schliefen sie im Nebenzimmer, falls Neji und Tenten eine heiße Spur entdecken würden. Doch das bezweifelte sie eher. Was sollte sie hier nur aufklären? Sie verschwendeten ihre Zeit an diesem Ort. Warum sollten sie aufgerechnet hier Nejis Gedächtnis wieder finden?
Doch es gab noch einen Funken Hoffnung. Vielleicht würde sich Neji ja ganz von selbst wieder erinnern, ohne das sie dafür auf Spurensuche gehen mussten. Doch die Wahrscheinlichkeit war so gering wie in der Wüste auf Anhieb eine Oase zu finden. Dennoch durften sie die Hoffnung nicht aufgeben. Und eine Nacht in einem Hotel zu übernachten und das völlig kostenlos war ja auch nicht schlecht, wenn es nur nicht dieses Zimmer wäre. Warum ausgerechnet 1408? Wieso hatte es überhaupt so eine hohe Nummer?
Tenten stutze und sah zu Neji, der bedacht seine Sachen auspackte und sich scheinbar fragte, ob ihm die Sachen wirklich gehörten. „Im welchen Zimmer sind Gai-sensei und Lee?“, fragte sie.
„Nebenan. Zimmer 11, wieso?“
„Wieso haben sie 11 und wir 1408?“
Jetzt hatte Neji auch das Geheimnis der Zimmernummern gesehen, fand aber keine Antwort. „Vielleicht ein Irrtum.“
Ein Irrtum war es bestimmt nicht. Zwischen elf und 1408 lagen zu viele Zahlen um diese mal eben zu vergessen. Dahinter musste etwas verborgen sein. Vielleicht wusste Tomo, der Wirt über diese Sache bescheid.
Tenten beauftragte Neji dazu runter zu gehen und nachzufragen, während sie im Zimmer Ordnung in das Chaos brachte. Er hatte nichts dagegen einzuwenden.
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Zielstrebig ging Neji in den kleinen Vorraum, der als Kneipe genutzt wurde. Rui, der Hellseher, war nicht mehr da, auch hatten viele Gäste bereits das Lokal verlassen. Eigentlich merkwürdig für diese Uhrzeit, immerhin war es noch nicht mal zehn Uhr.
„Tomo?“, fragte Neji und setzte sich auf einen Barhocker.
Der Wirt nickte nur, säuberte aber weiter gedankenverloren seine Biergläser.
„Ich hätte eine Frage wegen den Zimmernummern.“
„Dann frag ruhig, mein Junge.“
Neji beugte sich über die Theke. „Wieso gibt es die Zahlen zwölf bis 1407 nicht?“
Tomo sah nun doch auf und lachte. „So eine Frage habe ich ja noch nie gehört.“
„Aber sie ist berechtig“, versicherte Neji ihm.
„Das war einfach ein Scherz vom Architekten. Und nun frag nicht mehr nach solchen Lappalien. Willst du ’nen Bier?“ Er schien beinahe vom Thema ablenken zu wollen.
„Ein Scherz also. Ich hoffe, dass Tenten sich damit zufrieden gibt“, sagte er eher zu sich selbst, doch der Wirt hatte ihn gehört.
„Tenten? Ach, du meinst das Mädchen von vorhin. Ist sie bei dir auf dem Zimmer?“ Er grinste breit und zeigte sein zahnloses Gebiss.
„Ja, natürlich. Mein Onkel hat ein Doppelzimmer für uns bestellt.“
Tomo grinste immer breiter. „Dann sollt ihr wohl heute Nacht die Puppen tanzen lassen.“
„Puppen tanzen?“ Neji wusste mit dem Begriff nichts anzufangen.
„Nun ja, ihr sollt Spaß haben, rummachen. Mensch Junge, muss ich dir alles erklären?“
„Ich versteh immer noch nicht ganz.“
Tomo beugte sich rüber, so dass nur Neji ihn hören konnte. „Du solltest heute Nacht mit ihr schlafen, denn das ist eine einmalige Gelegenheit, mein Freund.“
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Tenten hatte bereits alle Sachen in den Schrank verstaut und setzte sich etwas zurückhaltend auf das Bett. Wieso sollte sie Angst haben? Ihr gab es angeblich ein paar Morde, doch die gab es woanders auch. Deswegen durfte sie sich einfach keine Gedanken über dieses Zimmer machen, denn sonst würde ihre Angst immer weiter wachsen.
Sie wunderte sich, dass das Bett eigentlich das Zentrum des Zimmers bildete und nicht, wie üblich ein Tisch. Es gab in diesem Zimmer einen Tisch, allerdings stand er unbedeutend in der Ecke und sah auch nicht gerade ansprechend aus.
Nicht mal ein Fernseher oder ein Buch war in diesem Raum zu finden, sie hatte auch vergessen eins einzupacken.
Zu allem Überfluss hatte sie ein weißes Nachthemd eingepackt, dass ziemlich unpraktisch war, wenn man die Nacht mit einem Jungen verbrachte. Doch sie konnte das jetzt nicht mehr ändern. Um nach Hause zu gehen war es zu spät und in Anziehsachen wollte sie auch nicht schlafen, dafür war der Tag zu anstrengend gewesen und sie waren nicht auf Mission. Außerdem wollte sie endlich aus diesem unbequemen Kostüm raus. Sie mochte die Bluse und die Weste nicht, zumal sie schwarz waren.
Als Gai und Lee die beiden Gestalten in Schwarz gesehen hatten mussten sie sich offensichtlich das Lachen verkneifen.
Aber all das Jammern nützte ja nichts.
Sie zog sich um, ehe Neji zurück kam und kroch unter die Bettdecke. Sie wollte nur noch schlafen und diesen Tag vergessen, dafür war einfach zu viel Unlogisches passiert.
Plötzlich ging die Tür auf und sie zuckte zusammen. Sie hatte den Spuk immer noch nicht vergessen. Doch dann sah sie, dass es nur Neji war und ihr Herz beruhigte sich und schlug wieder normal.
„Neji“, sagte sie und lenkte so seine Aufmerksamkeit auf sich. „Hast du was rausbekommen.“
Er kam zu ihr ans Bett, setzte sich auf die Bettkante und nickte. „Ja, Tomo meinte, dass der Architekt sich einen Spaß erlaubt hatte.“
„Das ist alles?“ Sie war enttäuscht. „Hat die Nummer keine Bedeutung?“
„Scheint nicht so“, sagte Neji und beugte sich zu ihr. „Tut mir leid, dass ich nicht mehr herausfinden konnte.“
„Nicht schlimm, du kannst ja nichts dafür“, sagte sie und lächelte. „Aber wir sollten schlafen gehen, damit wir morgen ausgeruht sind.“
Neji strich ihr sanft über die Wange und lächelte. „War ein langer Tag für dich, nicht?“
Sie nickte nur.
Neji stand auf und kam ihr näher. „Es ist aber noch viel zu früh zum schlafen gehen“, hauchte er ihr leise ihn Ohr.
Tenten wurde anders. Was tat er da? Was hatte er vor?
Plötzlich merkte sie, wie er mit der Hand unter die Bettdecke glitt und ihr Bein entlang strich.
„Lass das!“, sagte sie und zog die Beine an.
„Wieso? Das ist doch eine einmalige Gelegenheit.“
Sie stutzte. „Gelegenheit wozu?“
„Um die Puppen tanzen zu lassen.“
Sie verstand sofort und ihre Augen weiteten sich. Sie dachte das wäre ein Scherz, doch dann sah sie Nejis ernstes Gesicht.
„Tenten, ich will mit dir schlafen“, sagte er mit ernster Stimme.
Sie stand blitzschnell auf und trat einen Schritt vom Bett weg. „Vergiss es, Neji. Ich schlaf doch nicht mit dir, nur weil wir auf bestimmte Zeit ein Paar sind.“
„Aber dieses Zimmer ist ein Zeichen.“
„Denkst du etwa, dass dein Onkel uns nur dieses Hotelzimmer bezahlt, damit wir miteinander schlafen?“
Er nickte.
„Mir wird das hier zu heiß“, sagte Tenten, nahm einen der beiden Zimmerschlüssel, ging in den Flur und ließ einen aufwühlten Neji zurück.
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Nun stand sie da. Auf dem leeren Flur und wusste nicht wohin.
Wieder zurück ins Zimmer? Keine gute Idee, immerhin war dort Neji und sie bezweifelte nicht, dass er nicht über sie herfallen würde, wenn sie schlief.
Runter in die Kneipe? Auch keine gute Idee, schließlich war sie nur mit einem Nachthemd bekleidet und würde somit wieder alle Blicke auf sich ziehen.
Blieb nur eine Lösung, es sei denn, sie wollte auf dem Flur bleiben.
Auf einmal hörte sie ein leises Kichern. Sie trat näher und sah einen Mann, der zusammengekauert in der Ecke saß.
„Alles in Ordnung?“, fragte sie behutsam.
Der Mann hatte eine Glatze und sah nicht sonderlich gepflegt aus. Scheinbar nahm er sie gar nicht wahr, denn er antwortete nicht.
Plötzlich sagte er etwas, Tenten verstand es anfangs nicht, doch dann wurde es deutlich: „Mein Schatz.“ Die Stimme des Mannes war nicht mehr als ein Flüstern und er zog die beiden Worte extrem in die Länge.
Dieser Mann war mehr als unheimlich, sogar unheimlicher als dieser Hellseher Rui.
Auf den Flur konnte Tenten also auch nicht bleiben.
Blieb nur noch eins: Sie musste wohl oder übel bei Lee und Gai übernachten.
Sie ging zurück zu Zimmer Elf und klopfte vorsichtig an die Tür.
„Stopp“, hörte sie Lee drinnen sagen, wahrscheinlich redete er mit Gai.
Was sollte er denn stoppen? Sie versuchte lieber nicht näher darüber nachzudenken.
Die Tür ging auf und Lee steckte den Kopf raus. Als er seine Freundin sah, sah er noch überraschter aus. „Tenten? Was willst du? Bist du nicht bei Neji?“
„Neji hat versucht mich aufzufressen. Darf ich reinkommen?“
„Natürlich.“ Lee öffnete die Tür ganz und das Mädchen trat ein.
Plötzlich flog etwas auf sie zu, sie wusste nicht was, dafür war es einfach zu schnell, doch es tat nicht sonderlich weh, als sie am Kopf getroffen wurde.
„Ich sagte doch ‚stopp’“, protestierte Lee.
Tenten hob das Kissen, das sie eben vor den Kopf bekommen hatte und sah zu ihrem Sensei Gai.
„Bei einer Kissenschlacht gibt es keinen Stopp“, erklärte er.
„Das wusste ich nicht“, sagte Lee und nickte eifrig.
Tenten sah missbillig zu Lee. Er glaubte wohl alles, was Gai ihm erzählen würde.
„Machst du mit bei unserer Kissenschlacht?“, fragte ihr Sensei und es schien ihn kaum zu interessieren, wieso sie mitten in der Nacht zu ihnen ins Zimmer kam.
„Ähm, ich weiß nicht so recht“, begann sie, wusste allerdings nicht, was sie tun sollte.
Sollte sie die Nacht mit zwei Kindskoppen verbringen, die nur Kissenschlacht und Training im Kopf hatten oder sollte sie zurück zu Neji, der sie höchstwahrscheinlich mit belästigen würde, bis sie nachgibt und doch mit ihm schlafen würde? Aber sie wollte ihre Unschuld nicht an Neji verlieren, zumindest nicht so. Sie wusste nicht mit wem sie die Nacht lieber verbringen wollte, aber eins war sicher: Auf den Flur wollte sie auch nicht übernachten. Sie musste sich entscheiden, wusste allerdings nicht wofür…