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Es war einmal...

von

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Die Elfe und der Mensch

>>Märchen – sind fantasievolle Geschichten, in denen Tiere oder Dinge reden können, merkwürdige Wesen wie Hexen, Zwerge, Riesen oder Drachen vorkommen. Sie sind volkstümliche Prosaerzählungen, in denen das Gute belohnt und das Böse bestraft wird. Im Allgemeinen beginnen sie mit „Es war einmal...“ und enden typischerweise mit „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“ oder „Sie lebten glücklich, bis an ihr Ende.“ «
 

Und so wie alle Märchen beginnen, so beginnt auch dieses.
 

Es war einmal eine kleine Elfe namens Feenia. Sie lebte in einem großen, verwunschenen Wald. Aber anders als man sich Elfen im Allgemeinen vorstellte, war Feenia nicht winzig klein und lebte auch nicht in der Blüte einer Blume. Sie sah aus, wie ein normales 10 Jähriges Mädchen – so wie du und ich völlig normal – ja, menschlich – sind. Sie hatte ein liebliches Gesicht, welches von schulterlangen, eichenholzfarbenen Haar umrahmt wurde. Ihre Augen hatten die Farbe von Gold und schimmerten im Sonnenlicht in den herrlichsten Tönen, so dass es einem fast die Sinne raubte. Aber das besondere an ihr war das kleine perlmutschimmernde Mahl zwischen ihrem Schlüsselbein und Brust, welches die Form eines Apfels hatte. In diesem Mahl lag ihre gesamte Macht. Denn obwohl Feenia den ganzen Tag am liebsten mit den Tieren spielte und mit den Vögeln sang, hatte sie doch eine Aufgabe, die sie tagtäglich erfüllen musste. Diese Aufgabe war ihr von ihrer Mutter, Fauna, anvertraut worden und Feenia war stets darum bemüht sie gewissenhaft zu erfüllen. Immer wenn sie eine Pflanze sah, die nicht von allein wachsen konnte oder eine Pflanze, die krank war und drohte zu sterben, war es Feenias Pflicht dieser Pflanze zu helfen. Dann lebte sie ihre Hand auf diese Pflanze und wünschte sich von ganzen Herzen, dass die Pflanze bald wieder wachsen möge und zu Kräften kommt. Das Mahl über ihrer Brust fing dabei an zu leuchten und Energie durchströmte die Elfe, die von ihren Körper über ihre Hand direkt auf die Pflanze über ging.

Eines Tages war Feenia an der Quelle des kleinen Baches, der sich durch den Wald schlängelte. Die Quelle befand sich direkt in der Mitte des Waldes und lag im Verborgenen. Sicherlich wäre es an diesem Ort sehr dunkel und unheimlich gewesen, aber genau über der Quelle, waren die Kronen der Bäume nicht so dicht gewachsen und ließen das Sonnenlicht direkte einfallen. Die Strahlen der Sonnen brachen sich an den abertausenden Wassertropfen und ließen so winzig kleine Regenbögen entstehen. An diesem Ort war Feenia am liebsten. Hier fühlte sie sich sicher und geborgen und musste sich nicht darum sorgen, von einem Menschen entdeckt zu werden, von denen ihr die Tiere des Waldes schon so viel berichtet hatten. Böse seien die Menschen. Sie würden Pflanzen und Tiere nur zu Spaß töten. Und ein Vogel, der von weit hergekommen war, hatte ihr sogar einmal erzähl, dass die Menschen auch ihresgleichen töteten. Unbekümmert wie unsere kleine Elfe war, fürchtete sie die Menschen an diesem Ort nicht. Niemand würde sich je hierher verirren und niemand würde es wagen so tief in den Wald hineinzugehen. Das dachte sie zumindest.

Aber an diesem Tag war es anders. Feenia sang gerade mit den Vögeln ein herrliches Lied und bemerkte nicht den Besucher, der sich auf die Lichtung geschlichen hatte. Erst als sie ihr Lied beendet hatte, sah sie ihn. In Panik stießen die Tiere auseinander und alle riefen sie ihr zu: „Lauf weg Feenia! Ein Mensch ist auf unserer Lichtung! Lauf! Lauf!“

Feenia hörte die Worte ihrer Freunde und doch konnte sie sich nicht bewegen. Verwundert schaute sie den Menschen an.

Hatte man ihr nicht erzählt, dass die Menschen riesig waren? Viel, viel größer als sie? Viel, viel unheimlicher und bedrohlicher?

Doch der Mensch, den sie erblickte war nicht sehr viel größer als sie selbst und seinen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er ebenso überrascht sie zu sehen, wie sie ihn. Sie konnte erkennen, dass es wohl ein Jungen war mit dunkelbraunem Haar und braunen Augen. Augen, die sie noch immer fragen ansahen. Doch Feenia konnte nicht das bedrohliche oder gefährliche erkennen, von denen die Tiere ihr erzählt hatten.

„Wer bist du?“, fragte der Junge leise. Seine Stimme klang zart und zerbrechlich. Ganz anders als sie sich eine Menschenstimme vorgestellt hatte. Hatten die Tiere nicht immer gesagt, dass die Menschen laut seien und nur schreien würden?

Feenia wusste noch immer nicht was sie tun sollte. Sie wusste, dass es das Beste war davon zu laufen, so wie es ihr die Tiere gesagt hatten und doch wollte sie nicht. Sie sah zum ersten Mal in ihrem Leben einen Menschen, einen Menschen der so ganz anders war, als die Tiere berichtet hatten. Sie konnte doch jetzt nicht einfach davon laufen.

„Bist... bist du ein Engel?“, hörte sie den Jungen erneut fragen. Noch immer stand er im Schatten der Bäume und sie konnte sein Gesicht nicht richtig erkennen. Bei dieser Frage musste sie unwillkürlich Lächeln.

„Nein, ein Engel bin ich nicht.“, antwortete Feenia ihm schließlich.

„Bist du ein Mensch?“, fragte er zaghaft weiter.

“Nein, ein Mensch bin ich auch nicht.“ Wieder musste sie Lächeln.

„Sag, was bist du dann?“

„Ich sage dir wer ich bin, wenn du mir sagst wer du bist. Bist du ein Mensch?“, sagte sie. Nun dachte sie nicht mehr an das davonlaufen. Viel zu interessant erschien ihr das Wesen, welches vor ihr stand. Mutig ging sie einen Schritt auf ihn zu. Sie wollte gern sein Gesicht sehen, welches sich noch immer im Schatten der Bäume verbarg. Sie bemerkte wie er einen Schritt zurückwich und sie blieb stehen.

„Ja.“, begann der braunhaarige Junge unsicher. „Mein... Mein Name ist Erion.“

„Mein Name ist Feenia. Ich bin eine Elfe.“ Sie konnte hören, wie Tiere des Waldes den Atem anhielten. Sie wusste, dass sie sie für unvernünftig und leichtsinnig hielten und doch wollte Feenia ehrlich zu dem Jungen sein. Er hatte ihr ja auch seinen Namen genannt.

“Du bist wirklich eine Elfe?“, fragte Erion noch einmal nach.

„Ja.“

„Ich habe noch nie eine Elfe gesehen.“ Feenia konnte den bewundernden Klang ins seiner Stimme hören und musste kichern.

„Komm her Erion.“, sagte sie sanft. „Ich habe noch nie einen Menschen gesehen.“

Zögerlich setzte Erion einen Fuß vor den anderen, bis er schließlich in der Mitte der Lichtung stand, auf die die Sonne schien.

Schweigend betrachtete sich die beiden Wesen. Dieser Mensch – Erion – war so gar nicht, wie sie sich einen Menschen vorgestellt hatte. Er war nicht beängstigend oder furchteinflößend. Stattdessen weckte er in ihr ein anderes Gefühl, ein Gefühl was sie nicht kannte. Erions Gesicht war wunderschön und doch glaubte sie, dass es zerbrechen würde, wenn sie es berührte. Der Jungen vor ihr war ganz blass, so sehr dass sie die kleinen feinen Äderchen unter der Haut sehen konnte. Da ihr ihre Mutter ein neugieriges Wesen mitgegeben hatte, streckt sie den Arm aus und wollte sehen, ob diesen Gesicht tatsächlich zerbrach, wenn sie es berührte. Aber ihre Bewegung war wohl zu schnell, so das Erion zusammenzuckte und erschrocken zurückwich.

“Darf ich dich berühren?“, fragte sie jetzt und hatte ihren Arm noch immer erhoben.

„Darf ich dich berühren?“, stellte Erion die gleiche Frage.

„Ja.“

Zaghaft berührten die beiden das Gesicht des jeweils anderen. Es war ein vorsichtiges Abtasten, bei dem jeder der beiden überprüfen wollte, ob das, was sie sahen, nicht doch alles ein Traum war. Aber keiner von beiden erwachte.

Langsam ließen sie ihre Hände wieder sinken.

“Ich dachte die Menschen sind riesen groß.“, sagte Feenia schließlich.

„Und ich dachte die Elfen sind winzig klein.“, entgegnete Erion.

Beiden sahen sich einen Moment in die Augen und brachen dann in lautes Lachen aus. Die ganze Situation erschien ihnen so merkwürdig, so unwirklich, dass sie es noch immer nicht glauben konnten.

„Möchtest du mit mir spielen, Erion?“, fragte Feenia ihn schließlich. Sie hatte das Gefühl, dass sie in diesem Menschenjungen einen ganz tollen Spielgefährten gefunden hatte.

Erion willigte ein und die beiden verbrachten den ganzen Nachmittag miteinander. Aber sie spielten nicht nur. Feenia erzählte ihm auch von ihrer Aufgabe und zeigte es ihm sogar.

„Wie machst du das?“, fragte er bewundernd, als sie es ihm dargeboten hatte.

Feenia schob den Kragen ihres Kleides ein wenig zur Seite, so das Erion das schimmernde Mal sehen konnte.

„Damit kann ich Blumen und Bäume wachsen lassen.“, sagte sie. „Es fängt an zu leuchten, wenn ich es gebrauche.“

Erion beugte sie nach vorn, um das Mal genauer zu betrachten. „Es sieht aus wie ein Apfel.“, stellte er fest.

„Wirklich?“

„Ja. Wie ein schöner runder Apfel mit einen einzelnen Blatt.“, antwortet er ihr und lächelte sie dabei an.

„Ich habe noch nie daran gedacht, dass es ein Apfel sein könnte.“, sagte Feenia erstaunt und wunderte sich, warum sie selbst noch nicht daran gedacht hatte.

Die Sonne neigte sich nun langsam dem Horizont entgegen.

„Ich muss nach Hause.“, sagte Erion und eine Spur Traurigkeit war in seiner Stimme zu hören.

„Nach Hause?“

„Ja. Dorthin wo meine Eltern wohnen.“

„Kannst du denn nicht hier bleiben? Wir haben doch so viel Spaß!“, versuchte sie ihn zu überreden.

“Ich glaube nicht, dass das geht. Ich bin heute Nachmittag fortgelaufen. Sie machen sich bestimmt schon sorgen.“, sagte er und schaute dabei nachdenklich in einer bestimmte Richtung. „Zeigst du mir, wie ich den Wald verlassen kann?“

Feenia fing an zu schmollen. Warum sollten sie ihm zeigen, wie er den Wald verlassen kann? Wenn er den Weg nicht finden würde, würde er bei ihr bleiben müssen und sie könnten noch eine Menge Spaß zusammen haben. Sie hatte doch sonst keinen Spielgefährten, der so aussah wie sie.

Erion, der ihre Gedanken erahnen konnte, sprach: „Ich verspreche auch, dass ich versuchen werde, bald wieder zu kommen.“

„Wirklich?“

„Ja. Ich weiß nicht, ob es gleich morgen sein wird, aber ich verspreche dir, dass ich wieder komme. Zeigst du mir nun, wie ich nach Hause komme?“

„Ja!“, sagte sie wesentlich zufriedener.

Innerhalb kürzester Zeit fanden sie den Ausgang und Erion verließ den Wald wieder. Aber vorher musste er ihr noch einmal versprechen zurückzukommen, um weiter mit ihr zu spielen.

Die Tiere des Waldes aber schimpften sie wegen ihrer Unachtsamkeit.

„Aber er ist so nett.“, widersprach sie ihnen. „Erion ist überhaupt nicht wie die Menschen von denen ihr mir erzählt habt.“

„Du wirst sehen, er ist genauso. Er wird nicht zurückkommen und er wird dich verraten.“, redeten sie weiter auf sie ein.

“Das glaube ich nicht.“, entgegnete sie wieder. „Er wird zurückkommen und weiter mit mir spielen. Er hat es versprochen und seine Versprechen muss man halten.“, sagte sie und glaube fest daran.

Am nächsten Tag kam Erion aber nicht zurück. Und auch nicht am nächsten und nicht am übernächsten. Am vierten Tag saß Feenia traurig bei ihrer Quelle. „Wir haben es dir ja gesagt.“, zwitscherten die Vögel. „Er wird nicht zurückkommen.“

Sie antwortete ihnen nicht. Sollte sie sich wirklich so sehr geirrt haben? Das konnte sie nicht glauben. Erneut ging sie an die Stelle des Waldrandes an der sie Erion vor vier Tagen verlassen hatte. Vielleicht würde er doch zurückkommen. Aber noch bevor sie die Stelle erreicht hatte, rechnete sie fest damit, dass er nicht da sein würde. Deswegen traute sie auch ihren Augen kaum, als sie ihn tatsächlich auf einem umgefallenen Baumstamm sitzen sah.

Sie hatte sich fest vorgenommen auf ihn Böse zu sein, aber sie war viel zu froh in zu sehen, so das ihr Groll schnell verflog. Nur eines viel ihr auf: Erion schien noch blasser als zuvor. Jedoch dachte sie nicht weiter darüber nach.

Die beiden verloren keine Zeit und gingen erneut an die Quelle. Sie hatten den ganzen Tag über sehr viel Spaß. Jegliches Zeitgefühl schien für die beiden verloren und erst als sich die Sonne wieder zu senken begann, bemerkten sie wie viel Zeit vergangen war.

„Ich muss nach Hause.“, sagte Erion.

„Was? Schon wieder?“, sagte Feenia und klag dabei empört. Wie konnte er jetzt schon wieder gehen wollen, wo er doch gerade erst zurückgekommen war?

„Es tut mit Leid. Aber ich werde zurückkommen.“

„Das hast du das letzte Mal auch gesagt.“, antwortete sie und war nicht im Geringsten zufrieden mit seiner Aussage.

„Ich sagte doch, es tut mir leid. Aber ich war... ich durfte nicht weg, weil ich von zu Hause weggelaufen war.“, sagte er. Sie bemerkte nicht, dass er sie anlog.

„Und heute durftest du?“

„Ja.“

„Na gut. Aber dieses Mal wirklich.“, sprach sie und nahm ihn an der Hand.

Am Waldrand verabschiedeten sie sich.

„Und wehe du kommst morgen nicht. Du hast es versprochen!“, erinnerte sie ihn noch einmal.

„Ja, ich weiß. Ich werde da sein.“

„Ich nämlich schon du kommst nicht mehr.“, sprach sie weitere und bemerkte dabei nicht, wie sich Erions Blick veränderte.

Er ließ ihre Hand los und sagte leise: „Ich werde irgendwann nicht mehr zurückkommen können.“

Abrupt drehte sich Feenia um und sah ihn verwirrt an. Er hatte doch gerade noch gesagt, dass er zurückkommen würde. Wieso sprach er dann jetzt schon wieder davon, dass er das nicht kann?

„Ich werde bald sterben.“ Seine Stimme war nun nicht mehr als ein Flüstern. Noch bevor sie etwas erwidern konnte, drehte er sich um und verließ den Wald.

Verwirrt blieb die kleine Elfe zurück.

„Was meint er damit: Er wird sterben?“, fragte sie nun die Tiere, die ihnen gefolgte waren.

„Jedes Leben hat irgendwann ein Ende. So wie die Pflanzen und Tiere sterben, so sterben auch die Menschen.“, antwortete ein Rotkehlchen ihr, welches sie auf einen Ast gesetzt hatte.

Nun das war für Feenia zwar nichts neues, aber bisher hatte sie immer geglaubt, dass man nur dann sterben kann, wenn man getötet wird. So wie sie es auch unzählige Male gehört hatte.

„Kann man denn auch so... sterben. Sterben ohne getötet zu werden?“, fragte sie deshalb.

„Ja, Feenia, dass kann man.“, antwortete nun der Hase, der zu ihren Füßen saß.

„Wie?“

„Oft schläft man ein. Nur dass, wenn man stirbt, man nicht mehr aufwacht. Es ist ein ewiger Schlaf.“, sagte nun der Dachs.

Eine Weile schwieg sie und schaute gedankenversunken in die Richtung, in die Erion vor wenigen Augenblicken verschwunden war.

„Werder ihr auch sterben?“, fragte sie schließlich und blickte die Tiere des Waldes an.

„Ja, das werden wir.“, antwortete das Rotkehlchen wieder. Sie konnte sehen, dass ihre liebste Freundin über dieser Nachricht sehr betroffen war. Deswegen erzählte sie auch nicht, dass das Leben eines Rotkehlchens oder das eines anderen Tieres sehr viel kürzer war, als das eines Menschen. Und sehr viel kürzer, als das einer Elfe.

Den ganzen Tag hatte Feenia nun keinen Lust mehr zu spielen und auch singen und tanzen mochte sie nicht. Dieses Thema hatte sie sehr nachdenklich gemacht.

Warum musste man denn sterben?, fragte sie sich. Kann man denn nicht ewig leben? Warum kann man nicht ewig leben? Was passiert nach dem man gestorben ist? Tut es weh, wenn man stirbt? Spürt man, dass man stirbt? Ist dann alles dunkel? Was passiert mit der Welt, wenn man gestorben ist? Was mit dem Wald? Erblüht er dann trotzdem jedes Jahr wieder?

All diese Fragen gingen ihr an jenem Abend durch den Kopf. Irgendwann schlief sie schließlich erschöpft an die Wurzel eines Baumes gelehnt ein.

Am nächsten Morgen waren die Gedanken über den Tod aber schon wieder fast vergessen. Vielmehr ärgerte sich die kleine Elfe darüber, dass Erion sie so nachdenklich gemacht hatte. Warum hatte er ihr so etwas überhaupt erzählt? Inzwischen war sie zu der Ansicht gekommen, dass er es ihr nicht hätte sagen sollen. Denn nur dadurch fühlte sie sich an diesem Morgen so seltsam und konnte nicht richtig ihrer Aufgabe nachgehen. Dennoch ging sie am Nachmittag zu ihren Treffpunkt zurück und als sie ihn sah, erhellte sich ihre Miene und die trübseligen Gedanken verschwanden.

„Erion!“, rief sie. „Ich habe auf dich gewartet!“

„Ich habe auch auf dich gewartet!“, sagte er und schenkte ihr ein Lächeln.

In ihrem Übermut bemerkte sie nicht, dass er dunkle Ringe unter seinen Augen hatte und dass seine Augen, die so braun, wie die eines Rehs waren, über Nacht an Leuchtkraft verloren hatten. Stattdessen lagen sie Müde und Erschöpft in seinem Augenhöhlen. Nichts desto trotz verbrachten die beiden einen wunderschönen Nachmittag miteinander und keiner der beiden dachte an dieses stille Wort „Tod“, welches sie doch so unmittelbar begleitete.

Die nächsten zwei Tage kam Erion Feenia nicht besuchen. Feenia machte sich keine weiteren Gedanken darum, war er doch schon einmal nicht gleich zurückgekommen. Doch die Tage verstrichen und Erion kam nicht mehr zu ihrem Treffpunkt zurück. Nachdem der Mond bereits sieben Mal am Himmel gestanden hatte und er immer noch nicht zurückgekommen war, ging Feenja traurig zu ihrer Lichtung zurück.

„Warum kommt der denn nicht mehr?“, fragte sie das Rotkehlchen, welches sich gerade in dem kleinen Bach das Gefieder wusch. Es schüttelte sich und flog dann auf Feenias Knie und schaute sie ernsthaft an.

„Vielleicht ist das geschehen, was Erion dir erzählt hat.“, sagte sie vorsichtig.

Irritiert sah die Elfe den Vogel an.

„Was meinst du damit?“

„Vielleicht kommt Erion nicht mehr zurück. Vielleicht ist er...“

„Du meinst er ist gestorben?“, fragte Feenia nun und ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete das Rotkehlchen ehrlich. „Aber es kann sein.“

„Woher weiß ich denn, ob es war ist?“ Ihre Stimme war aufgebracht und sie war verwirrt. Sie dachte man stirbt nicht so schnell. Sie dachte, dass man erst alt wurde bevor man starb. Aber Erion war noch nicht alt.

Das Rotkehlchen überlegte eine Weile. Es mochte die kleine Elfe sehr und wollte nicht, dass diese traurig ist. „Ich werde nachsehen.“, sagte es schließlich.

„Weiß du denn wo er wohnt?“

„Nein, aber ich werde in die Richtung fliegen, in die er immer gegangen ist. Vielleicht finde ich ihn.“

„Schaffst du das auch allein?“

„Ich werde die Krähe bitten mich zu begleiten. Sie kann länger fliegen als ich und hat den Wald auch schon mehrmals verlassen. Ich werde mich gleich auf den Weg machen.“, sprach das Rotkehlchen.

„Ich danke dir, liebes Rotkehlchen.“, sagte Feenia und küsste es zum Abschied auf den Schnabel. Dann erhob sich der kleine Vogel in die Lüfte und machte sich auf die Suche.

In der Zwischenzeit saß Feenia an ihrer Quelle und dachte darüber nach, was sie ohne ihren neuen Spielgefährten Erion tun sollte. Sie würde ihn schrecklich vermissen. Und es würde langweilig werden. Nicht, dass sie nicht mit den Tieren Spaß hatte und spielen konnte, aber doch mochte sie es, wenn er da war. Wenn er ihr von den Menschen berichtete. Egal ob sie deren Gebräuche und Gewohnheiten verstand oder nicht. Er würde ihr sehr fehlen.

Erst am Ende des Tages kehrten ihre beiden Boten zurück und sie brachten keine guten Nachrichten.

„Sagt, habt ihr ihn gefunden?“, fragte sie gleich, noch ehe Rotkelchen und Krähe gelandet waren.

„Ja, das haben wir Feenia.“, antwortete die Krähe.

„Und warum kommt er nicht mehr zu mir?“

Krähe und Rotkehlchen sahen sich einen Moment an und schüttelten dann traurig die Köpfe.

“Wir sind den ganzen Tag umher geflogen. Es war nicht leichte, aber wir haben schließlich den Ort gefunden an dem er lebt.“, begann der schwarze Vogel zu erzählen.

„Wir haben uns an sein Fenster gesetzt und beobachtet was geschieht.“, sagte nun das Rotkehlchen dazwischen.

„Was ist denn geschehen?“

„Erion ist sehr krank.“, sagte die Krähe wieder und schüttelte den Kopf.

„Was heißt das?“, fragte Feenia verstört.

„Wir konnten die Menschen reden hören. Sie haben gesagt, dass er sehr hohes Fieber hat. Und sie haben gesagt, dass er bald... sterben wird.“, antwortete die Krähe.

„Was?!“

„Es ist wahr. Sie haben gesagt, dass es für ihn keine Hoffnung mehr gibt. Erion wird nicht mehr wiederkommen. Es tut uns leid, Feenia.“, erzählte das Rotkehlchen und schaute betreten weg.

„Das... Das glaube ich nicht!“, stammelte die kleine Elfe. „Er hat doch versprochen zurückzukommen!“

“Manchmal kann man seine Versprechen nicht halten auch wenn man es noch so sehr möchte.“

„Nein...“

Feenia stand auf und ohne weiter nachzudenken lief sie durch den Wald. Sie wusste nicht wohin sie lief oder warum sie überhaupt rannte. Alles was sie wusste, war dass sie es nicht glauben konnte, was ihr Krähe und Rotkehlchen gerade erzählt hatte. Erion durfte nicht sterben. Er war doch ihr Spielkamerad. Ihr Freund. Plötzlich blieb sie stehen. Ihr Blick war so verschwommen, dass sie nicht mehr sah wo sie hinrannte. Sie spürte etwas nassen aus ihrem Auge tropfen und ihre Wange hinunter laufen. Etwas von dieser Flüssigkeit sammelte sich in ihrem Mundwinkel. Es schmeckte salzig. Mit einem Finger fing sie einen weiteren Tropfen dieser merkwürdigen Flüssigkeit auf.

Was war das? Woher kam dieses seltsame Wasser? Warum kam es gerade jetzt, wo sich ihr Herz so schwer anfühlte?

Ein Schluchzer entfuhr ihrer Kehle. Konnte sie denn nichts tun, um Erion zu retten? Konnte sie sein sterben nicht verhindern?

Nein, sie konnte es nicht, das wusste sie. Sie war nur eine kleine Elfe, die nichts weiter tun konnte, als Blumen wachsen zu lassen. Aber sie wusste wer ihm helfen konnte.

„Mutter! Mutter! Kannst du mich hören!?“, rief sie in den Wald hinein.

Nichts geschah.

„Mutter! Mutter! Ich brauche deine Hilfe!“, reif sie erneut.

Jetzt begannen die Grashalme sich sacht im leichten Wind zu wiegen und Feenia wusste, dass ihre Mutter auf dem Weg zu ihr war. Sie rief noch einmal: „Mutter! Ich brauche dich!“

Der Wind wurde stärker und als er begann ihr Kleid und ihre Haare zu umspielen, wusste sie dass ihrer Mutter Fauna da war und ihr zuhören würde.

„Was begehrst du mein Kind?“, fragte ihrer Mutter. Ihre Mutter war ihr als Wind erschienen und ihre Stimme klang in Feenias Ohren wie ein zarter Glockenklang, der am Ende eines Satzes immer zarter und leiser wurde.

„Mutter, kannst du einen Menschen retten? Kannst du machen, dass Erion wieder gesund wird und nicht mehr sterben muss?“, fragte sie voller Hoffnung, aber auch Verzweiflung.

„Was du erbittest, ist etwas sehr Großes. Sage mir, warum soll ich das Leben eines Menschen retten?“

„Ich... Ich... Er ist mein Freund und ich habe ihn sehr gern. Ich möchte nicht, dass er sterben muss.“ Erneut stahl sich eine Träne aus ihrem Auge. Feenia konnte spüren, wie der Wind nun sanfter wurde und ihre Wangen umspielte, sie beinah liebkoste.

„Noch nie hat eine Elfe geweint. Sie sind immer glücklich und kennen das Unglück, dass einem das Herz schwer macht nicht. Noch nie gab es eine Elfe, die um einen Menschen geweint hat.“, hörte sie ihrem Mutter sagen.

„Bitte! Kannst du ihm helfen?“, fraget Feenia noch einmal.

„Ich werde deinen Wunsch erfüllen und ihm helfen, doch der Preis dafür wird hoch sein. Wenn du willig bist, mir diesem Preis zu zahlen, will ich sein Leben retten.“

Stumm nickte sie und wischte sich eine weitere Träne fort.

„Nun gut, höre zu. Ich werde sehr viel Kraft brauchen, um diesen Menschen zu retten. Ich werde diese Kraft von dir nehmen. Du sollst alle Kraft verlieren, die du als Elfe hast und sterblich werden. Auch die Farbe deiner Haare und Augen werde ich dir nehmen. Es sind zwei so wunderschöne Farben, dass ich sie den Bäumen geben will, um ihre Blätter damit einzufärben. Und auch deinen Namen sollst du nicht länger tragen. Du sollst ein Mensch werden und wie ein Mensch leben. Du sollst erwachsen werden und irgendwann selbst einmal sterben. Du sollst auch nie nach diesem Menschen Erion suchen oder eines der Tiere nach ihm schicken. Solltest du es doch tun, so wird er auf der Stelle sterben und deine Opfer werden umsonst gewesen sein. Bist du gewillt diese Bedingungen zu erfüllen und dein Dasein als Elfe aufzugeben, dann will ich ihn retten.“

Ihre Mutter hatte gehofft, dass diese Worte die kleine Elfe abschrecken würden. Sie wusste, wie sehr ihre Tochter das Leben im Wald liebte und ihre Aufgabe sehr gern erfüllte. Und es grämte sie, dass ihre über alles geliebte Tochter wegen eines einfachen Menschen weinte. Sie sogar darum bat, ihn zu retten. Elfen waren nicht dafür bestimmt unglücklich zu sein. Sie konnten gar nicht unglücklich sein. Und doch stand ihre Tochter vor ihr und weinte bitterliche Tränen.

Natürlich zuckte Feenia bei diesen Bedingungen zusammen. Sie wollte kein Mensch werden. Sie wollte weitere ihm Wald leben und mit den Tieren spiele, singen und tanzen. Und doch... sie dachte an Erion, der immer wieder in den Wald gekommen war. Und erst jetzt realisierte sie, dass er das nur getan hatte, um mit ihr zu spielen – weil sie ihn darum gebeten hatte. Vielleicht würde es ihm gar nicht so schlechte gehen, wenn er nicht immer wieder von zu Hause fortgelaufen und zu ihr in den Wald gekommen wäre. Hatte sie schuld? Vielleicht war ein Leben als Mensch nicht so schlecht. Erion war auch ein Mensch und er war überhaupt nicht böse oder furchteinflößend. Vielleicht konnte auch sie so ein Mensch sein.

Erneute nickte sie nur stumm. Sie hatte sich entschieden.

Gern wollte sie sich noch verabschieden, den Tieren Lebwohl sagen, doch sie konnte nicht mehr.

„So soll es geschehen.“, sagte ihre Mutter, die verärgert über die Entscheidung ihrer Tochter war. Sie hatte ein Menschleben über ihre Bestimmung gewählt. Der Preis dafür erschien ihr nun sehr angemessen.

Feenia spürte wie der Wind stärker wurde. Er erfasste sie vollkommen und hob sie in die Luft. Sie wurde herumgewirbelte und drehte sich immer schneller. Gleichzeitig hatte sie das Gefühl als würde etwas in sie hineinkriechen und an all ihren Kräften zehren, als wollte es ihre Kräfte aus ihr herausziehen. Je länger das Ziehen andauerte, desto erschöpfter fühlte sie sich. Dann fielen ihr die Augen zu und die Dunkelheit senkte sich über sie. Das letzte was sie sich fragte war, ob sie ihre Entscheidung wirklich richtig getroffen hatte. Aber vielleicht würde er sie bald wieder besuchen kommen.
 

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Über Kommis würde ich mich wie immer sehr freuen^^



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: enni
2008-11-04T08:29:50+00:00 04.11.2008 09:29
Ein Märchen... XD.
Was für eine wundervolle Idee! Sind es doch Geschichten die immer eine Botschaft hinterlassen und einen sinn haben.

Also ich habe jetzt dein erstes Kapitel gelesen und sage Dir gern das du alles wieder wundervoll beschrieben hast. Der Wald, die Tiere, die Quelle, die Farben, man tut sich wirklich nicht schwer sich das alles bildlich vorzustellen.

Und dann zu deinen Hauptpersonen XD.
Zuerstmal der Junge. Er hat ein sehr angenehmes und einnehmendes Wesen, und ich habe ihn sofort in mein Herz geschlossen. Auch wenn er nicht viel gesagt oder getan hat. Wirklich ich mag ihn.
Und dann zu Feenia. Eine Elfe..pflichtbewusst, zuverlässig, freundlich, neugierig aber auch ein bisschen egoistisch. Ich hab mich im ersten Augenblick glatt über sie geärgert, wollte sie doch den Jungen nicht wirklich gehen lassen..., und auch das sie ärgerlich auf ihn war weil er ihr vom Tod erzählt hat finde ich nicht wirklich toll von ihr.

Aber so ist das leben, man freut sich nie über sachen die man nicht hören will XD. Und dann überrascht sie einen als sie die wirklich harte strafe ihrer Mutter in kauf nimmt und menschlich wird, um das leben des Jungen zu retten. So etwas selbstloses hätte ich ihr an anfang gar nicht zugetraut. Wirklich überraschent XD.

Jetzt werd ich mir mal dein zweites Kapitel anschauen, bin gespannt was da dann alles passiert XD.

hdl Enni

Von:  la_estrella
2008-07-29T18:03:29+00:00 29.07.2008 20:03
Hallöchen Du ;-))

Also ich muss sagen, dass das hier mein erstes
Märchen auf Animexx ist, welches ich lese.:-()
War anfangs skeptisch, mittlerweile bin ich
aber positiv überrascht. Sehr liebevoll geschrieben
und inhaltlich sehr "verzaubernd". Natürlich
gibt es auch den traurigen Hintergrund mit dem Jungen.
Ich hoffe Feenia hat eine gute Entscheidung getroffen.
Sie gibt ja schließlich sehr viel auf.
Bin wirklich gespannt, wie sich das entwickeln wird
und vor allem wie Feenia nun als Mensch zurecht
kommt.

Oha, ich glaub das ist bisher mein längster Kommentar.
Hihi. Okay, jetzt reichts aber auch ;)

Schreib schnell weiter!

Ganz liebe Grüße
*estrella


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