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Children of Sigma

Episode I - Sigma
von

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War

Wie Tyr ihm gesagt hatte, hatte Odin bereits nach ihm suchen lassen. Als Sigma nun vor seinem Thron erschien, war Odin außer sich vor Wut. Sigma hatte ihn zu lange warten lassen. Um den Zorn des Übergottes zu sänftigen, zeigte sich Sigma unterwürfig :
 

„Bitte Odin“, begann Sigma vorsichtig, mit seiner Entschuldigung. „Es war nicht meine Absicht, euch so lange warten zu lassen. Ich hatte eine private Angelegenheit zu erledigen und ich wusste nicht, dass mich diese so viel Zeit kosten würde.“

„Dann hoffe ich für dich, dass diese private Angelegenheit nun erledigt ist, denn du solltest all deine Energien und Gedanken auf den bevorstehenden Krieg richten!“

„Um ehrlich zu sein, ist sie noch nicht vollkommen erledigt, aber das hat auch noch Zeit bis nach unserem Krieg. Bitte erläutert mir alle Einzelheiten dazu.“
 

Odin blickte seinen Kriegsgott misstrauisch an. Fast schon befürchtete Sigma, dass er ihn fragen würde, um was für eine Angelegenheit es sich handelte, die so ungemein wichtig, für Sigma, war. Innerlich schalt sich Sigma nun, dass er so ehrlich gegenüber Odin war. Hätte er einfach entgegnet, dass die Angelegenheit bereits beendet war, wäre alles in Ordnung gewesen. Doch Odin schien sich jetzt nicht weiter damit beschäftigen zu wollen, denn er begann Sigma in seine Kriegspläne einzuweihen.
 

Odins Krieg würde sich um die Regionen im südöstlichen Teil Midgards drehen. Dort war das Land fruchtbar und so hatten sich dort auch viele Menschen angesiedelt. Das Hauptziel war die Stadt Aries. Das Ziel des Krieges war es, diese Stadt einzunehmen und somit die Macht über die umherliegenden Ländereien zu erlangen. Doch das eigentlich Ziel war die Seele des menschlichen Königssohn der Stadt Aries, Baldur. Dieser Junge war gerade Volljährig geworden und besaß ein hohes kriegerisches Geschick. Odin wollte ihn für seine Armee in Walhalla, während Loki ihm diese Seele streitig machen wollte, um diese für seine eigenen Zwecke zu benutzen. Demnach galt, welcher Kriegsherr Aries als Erster einnahm, würde sich auch die Seele Baldurs verdienen. Sigma würde vollkommene Handlungsfreiheit über die Armee Asgards bekommen und die volle Unterstützung durch Odins Söhne Tyr und Thor. Doch der eigentliche Grund, aus dem Sigma einwilligte in diesen, wiedereinmal sinnlosen, Krieg einzugreifen, war der Heerführer der Armee Lokis: Sein Vater, Nefertem, höchstpersönlich. In dem Augenblick, in dem Odin ihm mitteilte, dass Sigmas Vater sein Kontrahent sein würde, wurde Sigma klar, dass dies sein wahrscheinlich wichtigster Kampf werden würde, den er jemals in seinem Leben geführt hatte.
 

Sigma hatte sein ganzes Leben lang im Schatten seines Vaters gestanden. Nefertem war der beste Kriegsgott, den Utgard zu bieten hatte. Er galt als kaltherzig und erbarmungslos gegenüber seine Feinde. Aber nicht nur denen gegenüber, benahm sich der Kriegsgott der Finsternis so. Auch gegen seinen eigenen Sohn, war er stets hart gewesen. Egal was Sigma auch getan hatte. Welche, als unmöglich zu gewinnenden geltenden, Schlachten er auch gewonnen hatte, niemals hörte er aus dem Mund seines Vaters ein wohl gesonnenes Wort. Er hasste es, dass sein Vater seine Taten nicht anerkannte und er hasste es, dass er für seinen Vater niemals gut genug sein würde. Doch mehr als alles andere hasste er seinen Vater dafür, dass er seine Mutter ebenso behandelt hatte, wie ihn. Ohne Zweifel wollte Nefertem Kara besitzen. Aber er schenkte ihr nie das, was sie am dringendsten benötigte : Liebe. Dazu war Nefertem einfach nicht fähig. Im Gegenteil, er behandelte Sigmas Mutter wie Abschaum. Er schlug sie und zwang sie zu Dingen, sie die sie unter normalen Umständen niemals bereit wäre. Ihr ganzes Leben in Utgard hatte Kara in Angst und Schrecken verbracht. Doch diese Zeit war nun vorbei. Sigma hatte sie und sich selber frei gekauft. Er war zu einem der mächtigsten Kriegsgötter aller Reiche herangereift und war so in der Lage, der Gefangenschaft Nefertems zu entfliehen. Und er hatte seine Mutter mit sich genommen. Nie wieder würde er ihr ein Leid antun können.
 

Nun also würde Sigma endlich die Gelegenheit bekommen, sich für all die, an ihm und seiner Mutter begangenen, Verfehlungen seines Vaters zu rächen. Er würde gegen ihn, im Kampf um Aries und Baldur, antreten und er würde nicht verlieren. Niemals und unter keinen Umständen. Das schwor er sich. Und er würde seinem Schwur Taten folgen lassen.
 

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Die kommenden Monate standen ganz im Zeichen der Kriegsvorbereitungen. Sigma, Thor und Tyr versammelten alle Krieger Midgards, die für Odins Sache eintreten wollten und trainierten diese für den kommenden Kampf. Natürlich wussten diese Menschen nicht, dass es sich bei ihren Heerführern um die echten Kriegsgötter handelte. Sie wussten nur, dass sie in einen Krieg ziehen würden, der von Odin höchstpersönlich ausgerufen wurde. Fast jeder Mensch Midgards verehrte die Götter. Nur wenige beteten dabei die Götter Utgards an, auch wenn sich viele Menschen sehr leicht von den Göttern der Unterwelt verführen ließen. Dennoch galt es auf Midgard als gut und richtig, die Weisen und Gutmütigen Götter Asgards anzubeten. Anhänger der Unterwelt wurden mancherorts sogar gejagt und öffentlich hingerichtet. Es gab sehr viele Tempel und Opferstätten, an denen den Göttern Asgards Opfergaben gebracht wurden. Nicht sehr selten selbst Menschenopfer, zumeist in Form von Jungfrauen oder Priesterinnen, die, nachdem sie sich für diese Berufung entschieden hatten, ein Keuschheitsgelübde abzulegen hatten.

Die Götter selber interessierten sich nicht sonderlich für diese Opfergaben. Sie fanden es zwar amüsant, aber keine Taten der Menschen, würden je Einfluss auf die Zuneigung oder Ablehnung eines Gottes nehmen. Nur leider wussten das die Menschen nicht. Und so führten sie weiterhin ihre sinnlosen und oftmals grausamen Rituale und Opfer durch, ohne wirklich etwas dadurch zu erreichen.

Fast alle, der auszubildenden Kämpfer, waren Bauern und besaßen somit so gut wie keine Kampferfahrung. Es war ein hartes Stück Arbeit den Männern beizubringen, wie man eine Waffe hält und benutzt, wo sie doch sonst nur den Umgang mit einem Dreschflegel oder einem Rechen kannten. Doch bald schon zeigte sich der erste Erfolg.
 

Sigma beschäftige sich vorwiegend mit Schlachtplänen und Kriegsstrategien. Er wusste, dass ihnen harte Wochen des Kampfes bevorstehen würden. Nur sehr selten gesellte er sich zu Thor und Tyr, die er dazu abkommandiert hatte, die Bauern zu Kriegern zu formen. Doch er hatte einen Ausbildungsplan ausgearbeitet, an den sich Thor und Tyr hielten. Die Männer wurden im Nah- und Fernkampf ausgebildet. Nach ihren täglichen Unterrichtsstunden, wurden sie dazu angewiesen Kriegsmaschinen zu bauen. Sigma entwarf Katapulte, Flächenschilde, Flammenwerfer und Schildfahrzeuge, aus denen man geschützt Pfeile schießen konnte. Des weiteren konzipierte er ein Fluggerät, mit welchem man über kurze Distanzen fliegen konnte und von der Luft aus Steine auf seine Gegner abwerfen konnte. Die Menschen waren sichtlich beeindruckt von Sigma’s technischen Einfällen. Hätte Sigma Magie einsetzen dürfen, wären seine Möglichkeiten in diesem Bereich, deutlich größer gewesen. Doch er durfte sich nicht als Gott zu erkennen zeigen und mit den Rohstoffen, sowie dem begrenzten Wissenstand der Menschen, musste er sich auf sein technisches Geschick verlassen und auf seinen Ideenreichtum.

Und so verstrichen die Wochen und Monate und der große Tag der Begegnung rückte immer näher.
 

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Die Armee Nefertems war noch etliche Kilometer entfernt, doch Sigma konnte, anhand der Staubwolken, die von dem riesigen Heer Utgards aufgewirbelt wurden, erkennen, dass sie kamen. Er spürte die Unruhe und Nervosität, die durch seine eigene Armee ging. Die Pferde scharrten unruhig den Boden auf und eine beklemmende Stille hatte das Heer erfasst. Thor und Tyr waren neben ihn geritten. Sie schwiegen zwar, aber Sigma spürte auch ihre innerliche Unruhe. Sigma’s Konzentration war auf ihrem Höhepunkt. Alle Augen schienen auf ihn gerichtet zu sein.
 

Nun konnte man bereits die ersten Kämpfer Utgards am Horizont erkennen. In wenigen Augenblicken würden das Heer Utgards auf das Heer Asgards treffen. Zwar würden dabei nur die Menschen Midgards zu Schaden kommen, aber der eigentliche Kampf würde zwischen den Heerführern der gegnerischen Armeen stattfinden. Unbemerkt von all den Menschen, die ihr Leben lassen würden, ohne eigentlich wirklich zu wissen wofür.
 

Sigma hatte in Erfahrung gebracht, dass neben Nefertem, Lodur, der Gott des Feuers und Hoerir, der Gott des Eises, die Armee Utgards führen sollten.
 

„Thor,“ begann Sigma nun endlich. „Ich möchte, dass du dich um Lodur kümmerst. Mit deiner Donnermagie wirst du wohl wenig bei ihm ausrichten können, aber dafür kann er seine Magie gegen dich auch nicht einsetzen. Zeig ihm die wahre Macht Mjöllnirs!“

„Jawohl, Heerführer Sigma,“ sagte Thor ernst und ungewöhnlich untertänig. Sigma nickte Thor dankbar zu und richtete nun seine Worte an Tyr :

„Und du, Tyr, wirst dich gegen die Eismagie Hoerirs erwehren müssen. Lass dich nicht von ihr erwischen, sonst wird er dich zu einer seiner Eisskulpturen verwandeln und deinen Körper in tausend kleine Eiskristalle zerschmettern. Hat er dich einmal eingefroren ist es aus mit dir, hast du das verstanden?“
 

Tyr nickte ebenso ernst, wie Thor geantwortet hatte.
 

„Hat er einen Zauber gesprochen, brauch Hoerir einen Augenblick, um seine magischen Kräfte erneut zu sammeln. Dies ist für dich der Moment, in dem du ihn Angreifen solltest. Zeig ihm, dass du dein selbst schlagendes Schwert auch ausgezeichnet selber führen kannst.“
 

Tyr lächelte flüchtig und nickte daraufhin noch einmal zustimmend.
 

„Thor, du reitest mit deinen Männern nach Nordosten und stürmst dann von Norden her, geschützt durch den Mythrilwald, auf sie ein. Versuch sie auf der Höhe des Tempels der Freyja fest zu halten.“

„Wie ihr befiehlt, Heerführer,“ entgegnete Thor knapp und begab sich zu seinen Männern.

„Und du Tyr,“ sprach Sigma gebieterisch weiter. „Du wirst von der Wüste Omni – Ishtar, unterhalb Aries, die Armee Hoerirs abfangen. Drängt sie zurück zum Meer, wenn das möglich ist.“

„Ich werde euch nicht enttäuschen.“ Sigma nickte Tyr dankbar zu.

„Ich werde, mit dem Hauptteil der Truppen, direkt Richtung Aries ziehen und dort wahrscheinlich auf das Hauptheer Nefertems treffen. Wir halten sie so lange in Schach, bis du und dein Bruder von Norden und Süden her zu uns trefft und den Sack zuzieht. Dann ist das Heer eingekesselt und wir können mit ganzer Kraft zuschlagen und sie besiegen. Wenn wir Glück haben, sind wir in einer Woche wieder in Asgard.“
 

Auch Tyr begab sich nun zu seinem Teil der Armee und platzierte sich direkt vor sie. Sigma wandte seine Worte nun an das gesamte Heer. Er ritt erhobenen Hauptes und kraftvoll vor dem Heer auf und ab und schrie mit einer festen Stimme sein Kampfgebet :
 

„Männer, Krieger, Gefährten! Heute steht uns ein wahrlich großes Ereignis in der Geschichte Midgards bevor. Die Diener Utgards heben Anspruch auf unsere Felder, Länder und Familien. Sie denken, sie haben ein leichtes Spiel mit uns, aber ich sage wir werden ihnen zeigen, welchem Gott man zu dienen hat! Odin hat uns hierher geführt und hält seine schützende Hand über uns. Heute, meine Freunde, werden wir über uns hinauswachsen und diesen Heiden zeigen, welche Macht der einzig wahre Gott besitzt!“ Die Männer stimmten begeistert in Sigmas Lobeshymne ein. Er ließ sie eine weile lang jubeln und erhob dann seine rechte Hand. Fast augenblicklich verstummten die Jubelrufe wieder. Gebieterisch intonierte Sigma den Schlachtruf Asgards und alle Krieger stimmten mit ein :
 

„Mein Schwert für Tyr!

Mein Blut für Thor!

Mein Leben für Odin!

Mein Herr bin ich,

Mein Gott ist Odin!“
 


 

Die Heere hatten sich, wie Sigma es befohlen hatte, geteilt und waren auf ihre Positionen verschwunden. Sigma hatte sich dafür entschieden auf der Höhe Aries, auf die Armee seines Vaters zu warten. Er konnte nun schon beinahe die Gesichter seiner Gegner erkennen. Auf dem Feld vor Aries trafen nun eine unglaubliche Anzahl Menschen aufeinander. Der ganze Horizont war voller Krieger, als wären sie selbst der Boden unter ihren Füßen. Es war, als würde sich ganz Midgard für diesen Kampf gerüstet haben und hier nun um Leben und Tod kämpfen wollen. Doch obwohl sich, auf beiden Seiten, eine unzählbare Anzahl Menschen befand, waren all diese Menschen nicht einmal ein Bruchteil der Bewohner Midgards. Trotz alledem würde nach diesem Krieg die Zahl der Menschen um ein Vielfaches dezimiert sein.
 

Nefertem hatte scheinbar seine Armee nicht in der Weise geteilt, wie Sigma es getan hatte, aber dennoch ging Sigmas Plan auf. Denn Lodur und Hoerir befanden sich an den jeweiligen Flanken der Streitmacht Utgards und das auch noch exakt an den Himmelsrichtungen, zu denen Sigma Thor und Tyr gesandt hatte. Während die beiden Brüder also Sigmas Plan ausführen würden und Hoerir als auch Lodur ablenken würden, würde Sigma ungehindert gegen seinen Vater antreten können.

Die Armee Nefertems kam, scheinbar unbeeindruckt von der Streitmacht Sigmas, immer näher. Als sie nah genug waren, gab Sigma das Signal die Flammenkatapulte einzusetzen. Die riesigen Lehmkugeln, die vorher mit Pech getränkt waren und angezündet wurden, schlugen beim Aufprall, riesige Schneisen in die gegnerischen Reihen. Sigma hörte die Todesschreie vieler Menschen, die dem unbarmherzigen Feuer zum Opfer gefallen waren, noch ehe sie auch nur in der Lage waren, in den eigentlichen Kampf ein zu greifen. Dennoch gab Sigma den Befehl für die zweite Salve, ohne zu zögern.
 

Auch Nefertem schien sich nicht weiter um den Verlust zahlreicher seiner Männer zu kümmern, denn er ritt unbeirrt im Schritttempo auf Sigmas Armee zu. Die Lücken, die durch die Feuerkugeln gerissen wurden, wurden fast Augenblicklich, durch dahinter stehende Krieger, wieder besetzt. Nach der vierten Katapultsalve, waren die Krieger Nefertems zu nahe, um ohne eigene Verluste zu riskieren, weitere Flammenkugel abfeuern zu können.
 

Sigma kommandierte die Schildfahrzeuge in die vorderste Reihe. Langsam vorrückend bewegten sie sich auf die Armee Nefertems zu und bombardierten diese mit einem scheinbar nie endenden Pfeilhagel. Auch Nefertems Armee hatte mittlerweile die Bögen und Armbrüste angesetzt und konterten ebenso unerbittlich. Allerdings trafen die meisten der gegnerischen Pfeile die Schildfahrzeuge Sigmas und schlugen dadurch keine größeren Opfer zu buche. Nefertem schrie wilde Befehle zu seinen Kommandanten. Schon bald hagelten Flammenpfeile auf Sigmas Schildfahrzeuge hernieder und setzten diese somit in Flammen. Die unglücklichen in den Fahrzeugen, die sich nicht rechtzeitig aus den Fahrzeugen befreien konnten, verbrannten bei lebendigen Leibe. Ihre schmerzerfüllten Schreie hallten Kilometer weit.
 

Unbeeindruckt führte Sigma seine Armee um die brennenden Hindernisse herum und ließ seine Männer ebenfalls Flammenpfeile abschießen. Die Hölle auf Erden brach los. Das trockene Gras der Felder fing Feuer und brannte in wenigen Augenblicken lichterloh. Sigma hörte die Schreie der Männer, die von den tosenden Flammen erfasst wurden. Er roch das versenkte Fleisch und die verbrannten Haare und sah die Krieger beider Armeen, als lebendige Fackeln durch die kämpfenden Reihen laufen, bis die Flammen die Körper verzehrt hatten und sie leblos zu Boden plumpsten, wie Säcke voller Korn. Er konnte die Seelen der toten Krieger sich von diesen Körpern lösen sehen. Und er konnte die Walküren und Vanen sehen, welche über dem Schlachtfeld auf die Seelen der Gefallenen lauerten, wie die Aasgeier auf deren totes Fleisch. Er erblickte Freyja unter den Totenwählerinnen und konnten seinen aufsteigenden Ekel kaum unterdrücken. Für wenige Sekunden trafen sich ihre Augen und Sigma hätte schwören können, dass er Tränen in ihren Augen erkennen konnte.
 

Das Feuer zog seine Kreise enger um die kämpfenden Armeen. Sie waren nun vollends eingeschlossen vom Feuer und Sigma hatte schon seit geraumer Zeit Nefertem aus den Augen verloren. Was ein schlechtes Zeichen war, denn er wusste, dass sein Vater keine Minute lang zögern würde, um sein Ziel zu erreichen und Aries ein zu nehmen. Seine Männer wurden von Minute zu Minute weniger. Diejenigen, die nicht verbrannt waren, kämpfte auf Leben und Tod gegen ihre Gegner. Es sah nicht gut aus, für Sigmas Heer. Zwar waren die Heerstärken auf beiden Seiten annähernd gleich groß, dennoch hatte das Feuer weitaus mehr Leben seiner Männer gekostet, als bei seinen Feinden. Verbissen trieb Sigma seine zwei Kurzschwerter durch die Körper seiner Feinde. Die Schlacht schien verloren.
 

„Zieht euch zusammen,“ brüllte Sigma immer wieder. Doch seine Stimme ging im Kampfgetose unter.

„Sammelt euch! Zieht euch zusammen!“, schrie er erneut und endlich nahmen einige Männer ihn wahr und brüllten den Befehl weiter.
 

Die Krieger Sigmas sammelten sich um ihren Feldherren und nahmen, wie in den Übungskämpfen antrainiert, eine Defensivposition ein. Sie mussten Zeit gewinnen, bis entweder eine der Armeen Thors oder Tyrs zu ihnen stieß oder bis Sigma Nefertem erblickte.
 


 

Es war Tyr, der Sigmas Männer schließlich vor dem endgültigen Tod bewarte. Sie hatten viele Stunden lang verbittert gekämpft und ihre Position halten können. Für jeden gefallenen Mann Sigmas, starben drei Männer Nefertems, dennoch waren sie noch immer eingekesselt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie überrannt worden wären, oder bis ihnen die Kräfte ausgingen. Zudem war die Moral der Männer an ihrem Tiefstpunkt angekommen.
 

Tyr hatte sich seinen Weg durch die Flammen geschlagen und fiel der Armee Nefertems nun buchstäblich in den Rücken. Plötzlich veränderte sich die Kampflage für Sigmas Armee. Nun konnten sie an zwei Fronten kämpfen und schon bald drängten sie die Krieger Nefertems zurück.
 

„Wie ist es dir ergangen“, fragte Sigma, in einer ruhigen Minute, nachdem er sich zu Tyr durchgeschlagen hatte. Tyr hatte eine böse Verletzung an seiner rechten Schulter und seine linke Hand schien taub zu sein. Als Tyr dem Blick Sigmas auf seine Hand folgte grinste er breit und entgegnete:

„Ich war leider nicht schnell genug. Hoerir hat meine Hand eingefroren. Ich denke aber ich kann sie in ein paar Tagen wieder benutzen, wenn sie mir vorher nicht abfällt.“

„Was ist aus Hoerir geworden?“

„Der ist nicht so glimpflich davon gekommen. Er war zu sehr auf mich konzentriert und hat dabei ganz vergessen, dass mein Schwert auch ohne Führer zuschlagen kann. Ich fürchte die Unterwelt hat einen Gott weniger.“ Sigma nickte ernst. Er war nie ein Freund Hoerirs gewesen, aber er bedauerte trotzdem den Tod des Eisgottes.

„Wo bleibt nur Thor“, fragte Sigma, um sich von diesem Gedanken abzulenken.

„Ich weiß es nicht. Ich vermute er hat Probleme an Lodur vorbei zu kommen.“ Sigma blickte seinen Waffenbruder ernst an.

„Das könnten uns zum Verhängnis werden. Um Aries einnehmen zu können, brauchen wir Thors Armee. Kannst du mit zwei drittel der Männer hier die Stellung halten? Ich versuche mich zu Thor durch zu schlagen.“
 

Tyr willigte ohne zu zögern in Sigmas Plan ein. Dieser rief schnell einige Männer um sich und erläuterte ihren nächsten Zug, dann brach er auf.
 


 


 

Sie schlugen sich ohne große Verluste durch die Reihen ihrer Gegner und waren plötzlich aus dem Kampfgeschehen heraus. Auf ihrem Weg sammelten sie alle verstreuten oder verängstigten Pferde ein, die sie entdecken konnten und waren nun fast alle auf vier Beinen unterwegs. Pegasus, Garm und Cerberus kamen zu ihrem Herren gerannt, sobald sie ihn entdeckt hatten. Die beiden Hunde hatten ebenfalls ins Kampfgeschehen eingegriffen und blutige Opfer unter ihren Feinden gerissen. In ihrem Fell glänzte das, immer noch feuchte, Blut ihrer Feinde und wohl auch ein wenig Blut von ihnen selbst, dass aus offenen Schnittwunden entströmte. Pegasus hatte geduldig am Rand des Schlachtfeldes auf sie gewartet, doch er hatte dabei nie Sigma aus den Augen gelassen. Er war immer bereit gewesen, seinen Herren aus möglichen Gefahrensituationen heraus zu holen. Doch Sigma war ein außergewöhnlich geschickter Kämpfer und wusste sich seiner Haut zu erwehren.
 

Dankbar bestieg Sigma den Rücken seines Pferdes und setzte sich sogleich an die Spitze seines Heeres. Fast ungehindert ritten sie Richtung Tempel der Freyja, zu dem Sigma Thor gesandt hatte.
 

Sie ritten beinahe zwei Stunden und dann erblickte Sigma die Armeen Thors und Lodurs. Er trieb Pegasus zu mehr Tempo an. Ungeachtet dessen, dass er sich damit von seiner eigenen Schreitmacht entfernte, weil Pegasus einfach um ein vielfaches schneller war, als jedes normales Pferd. Er ritt die ersten Männer, die in seinen Weg kamen rücksichtslos über den Haufen. Als sein Angriff allmählich langsamer zu werden schien, sprang er vom Rücken seines Pferdes und schickte Pegasus aus dem Schlachtfeld. Sogleich ersetzten Cerberus und Garm die Position des Pferdes, indem sie neben ihren Herren traten und alle Feinde, die Sigmas Kurzschwerter überlebten, den Tod brachten. Wie ein Racheengel bahnte sich Sigma seinen Weg durch die kämpfenden Massen. Hier tauchte er unter einem Schwerthieb hinweg, dort wich er einem Axtschwung aus und da sprang er über ein hervor zuckendes Bein hinweg. Er kämpfte wie ein Berserker. Längst schon hatte er den Blick für die Realität verloren. Der Krieger in ihm hatte sein ganzes Handeln übernommen. Sein Geist war vollkommen abgeschaltet. Nur seine langjährig trainierten Kampfinstinkte führten seine Hand in diesem Kampf. Er spürte den Hiebe und Stiche seiner Gegner schon bevor diese sie überhaupt ansetzten. Natürlich hatte er den Vorteil seiner Göttlichkeit auf seiner Seite, doch auch ein Gott war sterblich, obwohl es wohl kein Sterblicher je schaffen würde, einen Gott zu töten. Zumindest nicht, wenn es der Gott nicht selber wollte.
 

Dann, endlich, erblickte er Thor vor sich. Der Donnergott lag auf dem Boden. Er hielt seinen Hammer Mjöllnir schützend über seinen Kopf. Lodur’s Flammenschwert war dadurch, auf seinem Weg zu Thors Kopf, gestoppt worden. Als Sigma die legendäre Waffe erblickte, spürte er erneut eine ungestillte Gier in sich aufkommen. Ein erstaunlich großer Teil in ihm, wollte abwarten und zusehen, wie Lodur den Donnergott besiegte, aber der Kriegsgott in ihm, war auch diesmal stärker.
 

Entschlossen sprang Sigma in genau dem Augenblick zwischen den Donnergott und seinem alten Freund, den Feuergott, als dieser erneut sein Flammenschwert auf Thor hernieder sausen ließ. Er blockierte es mit einem seiner Kurzschwerter. Er spürte, wie das Eisen seines Kurzschwertes unter dem erbarmungslosen Feuer des Flammenschwertes zu schmelzen begann. Mit aller Kraft stemmte sich Sigma gegen Lodurs Schwertarm und verhakte die Schwerter in einander. Dann tat er etwas, was kein Krieger je tun solle: Er schleuderte seine Waffe von sich. Doch mit seinem, ohnehin nun nutzlosen Kurzschwert, flog das Flammenschwert Lodurs im hohen Boden davon. Noch ehe Lodur seinem Schwert hinterher springen konnte, war Sigma herbei und richtete sein zweites Kurzschwert direkt auf Lodurs Kehle. Er ließ den Feuergott nicht aus den Augen, dennoch gewahrte er, dass Thor sich hinter ihm langsam wieder aufrappelte und zu ihm herüber kam.
 

„Heb sein Schwert auf“, sagte Sigma kühl, als Thor bei ihm stand. Thor tat wie ihm geheißen. Er erhob das Schwert, schrie schmerzhaft auf und ließ es im gleichen Augenblick wieder fallen, um sich seine verbrannte Hand zu halten.

„Oh, das hatte ich vergessen: Vorsicht, heiß!“
 

Sigma grinste und Thor bedachte ihn mit einem bösen Blick. Doch er griff noch einmal nach dem Flammenschwert. Diesmal war er auf den Schmerz gefasst. Und obwohl seine Haut schmerzvoll zischte unter der unendlichen Hitze und Rauchschwaden von seiner verkohlten Haut aufstiegen, brachte er, ohne ein weiteres Wort, das Schwert zu Sigma. Sigma wollte es gerade ergreifen, als Lodur sich regte:
 

„Du kannst es nicht an dich nehmen. Es wird dich ebenso verbrennen, wie ihn!“
 

Dabei deutete Lodur, voller Abscheu, wie Sigma mit einer Spur Genugtuung registrierte, auf den Donnergott und dessen verbrannte Hand, die unter Schmerzen zu zittern begonnen hatte.
 

„Mein Freund, ich will es dir ja nicht wegnehmen. Ich hebe es nur eine Weile lang für dich auf“, versprach Sigma in einem versöhnlichen Tonfall.

„Pah! Wen nennst du hier `Freund’, Freund?“, schmetterte Lodur ihm entgegen. „Und überhaupt, kann das Flammenschwert nur vom Gott des Feuers beherrscht werden. Jeden anderen würde es augenblicklich verbrennen!“

„Tz, tz, tz. Nun kennen wir uns schon so lange, Freund“, das letzte Wort betonte er ganz besonders. „Und noch immer weißt du rein gar nichts über mich.“
 

Fast schon genüsslich ergriff er das Flammenschwert aus Thors Griff. Er gewahrte, dass Thor leicht aufatmete, als die Flammen von seiner Haut genommen wurden. Sigma schwang das Schwert ein paar mal durch die Luft und beobachtete dabei entzückt das verblüffte Gesicht des Feuergottes.
 

„Dein Flammenschwert kann mich nicht verbrennen, Lodur“, belehrte Sigma diesen. „Wie alle gerne vergessen, bin ich nicht nur der Sohn eines Kriegsgottes, sondern auch der Sohn einer Walküre, welche über die acht Elemente herrscht. Auch ich bin somit ein Gebieter des Feuers. Ich könnte ohne weites ein Elementargott, wie du oder Thor sein, wenn ich es denn wollte.“

„Du meist sicherlich, wenn Odin oder Loki dir eine solche Ehre zu Teil werden ließen“, verbesserte ihn Thor.

„Natürlich“, entgegnete Sigma zuckersüß. „Genau das habe ich gemeint. Auf jeden Fall kann ich deshalb auch dein Schwert führen.“
 

Lodur funkelte ihn mit seinen flammenden Augen an. Sigma konnte den Hass gegen ihn förmlich ergreifen.
 

„Was machen wir jetzt mit ihm“, fragte Thor berechtigter Weise.

„Wir lassen ihn gehen.“
 

Sigma genoss die Aufmerksamkeit der beiden Elementargötter sichtlich. Ihre verblüfften Gesichter ließen ihn innerlich laut auflachen. Doch äußerlich zwang er sich dazu, so ernst zu bleiben, wie es der Situation entsprach.
 

„Ohne sein Spielzeug“, und dabei erhob er leicht das Flammenschwert in Lodurs Richtung. „Ist unser Feuerteufel hier kein Gegner mehr. Oh sicherlich, er ist immer noch Herrscher über das Feuer, aber leider ist es uns Göttern strengstens verboten unsere Magie gegeneinander zu richten.“
 

Sigma genoss die Wut, die er von Lodur entgegen geschleudert bekam. Er wusste, dass er seinen alten Freund ernsthaft beleidigt hatte und noch tausendmal mehr verärgert, aber da alles zählte in diesem Krieg nichts. Hier zählte nicht, dass sie früher einmal die besten Freunde waren. Seelenverwandte. Auch zählte nicht, dass er Thor nicht leiden konnte. Was zählte war einzig und allein die Tatsache, dass sie sich in einem Krieg befanden und das Lodur sein Feind und Thor sein Verbündeter war.
 

Sigma blickte noch einmal ernst in das Gesicht Lodurs und wandte sich dann von ihm ab. Er ging, mit dem Flammenschwert in seiner Hand, zurück zu seinem Pferd und seinen Hunden, die ein Stück von ihrem Herren entfernt auf ihn gewartet hatten.
 

„Ich werde dir das Leben zur Hölle machen,“ schrie Lodur ihm wütend hinterher. Doch Sigma reagierte nicht auf ihn. `Mein Leben ist bereits die Hölle’, dachte er innerlich und lächelte nur traurig.
 


 

Sie hatten Lodur auf ein Pferd gebunden und es fort getrieben. Wahrscheinlich würde er einige Tage durch die Gegend irren, falls er sich nicht irgendwie befreien konnte. Auf jeden Fall hatten sie ihn geschlagen. Er war keinerlei Gefahr mehr. Auch Thor hatte das eingesehen. Er hatte sich nicht bei Sigma bedankt, dass dieser ihm im Kampf gegen Lodur beigestanden hatte, aber er benahm sich dem Kriegsgott gegenüber nicht länger abweisend.
 

„Wie sieht unser nächster Schritt aus“, fragte der Donnergott, nachdem sich die Männer alle gesammelt hatten.

„Wir müssen Nefertem suchen. Ich habe ihn zu Beginn der Schlacht aus den Augen verloren. Er heckt sicherlich etwas ganz übles aus.“

„Ich habe ihn vorhin davon reiten sehen. Er hat sich mit einem kleinen Trupp vom Schlachtgeschehen abgesetzt und ist Richtung Trivium geritten“, sagte Thor.
 

Sigma wurde hellhörig.
 

„Was sagst du da?“, er spürte, wie sich sein Herz schmerzhaft zusammen zog. „Wieso hast mir nicht schon früher davon berichtet?“

„Ich dachte es wäre nicht von Bedeutung, da er nicht in Richtung Aries unterwegs war. Außerdem war ich mit dem Kampf gegen Lodur beschäftigt. Wann hätte ich dir davon berichten sollen?“

„Schon gut, schon gut“, entgegnete Sigma wirsch, um einen Streit mit Thor zu vermeiden.
 

Er brauchte jetzt einen kühlen Kopf. Aries war das Ziel dieses Krieges. Jetzt da Nefertem nicht in der Nähe des Hauptzieles war, war es ein leichtes Aries einzunehmen. Die Feldheeren der Armee Lokis waren entweder besiegt oder nicht an der eigentlichen Schlacht beteiligt. Was zum Teufel hatte sein Vater nur vor? Wieso war er ausgerechnet auf den Weg nach Trivium?
 

„Sigma“, unterbrach Thor seinen Gedankengang. „Wir sollten Aries jetzt angreifen und einnehmen! Das ist unsere Chance. Nefertem serviert uns den Jungen förmlich auf einem Silbertablett.“

„Denkst du das weiß ich nicht, du Dummkopf“, herrschte Sigma den Donnergott an. Aber Lessandra!, schrie alles in ihm.

„Was lässt dich noch zögern? Willst du unsere einzigste Chance verschenken?“

„Nein, du hast recht“, begann Sigma Gedankenverloren. Dann klärte sich sein verschleierter Blick und er blickte dem Donnergott fest in die Augen.

„Du reitest jetzt sofort mit all unseren Männern zu Tyr und gemeinsam werdet ihr Aries stürmen!“

„Bist du verrückt geworden, Sigma?“, erwiderte Thor erbost. „Was, um Odins Willen, hast du vor? Willst du deinem Vater ganz alleine gegenüber treten? Hier geht es nicht um einen Wettstreit zwischen dir und Nefertem! Du hast eine Aufgabe zu erfüllen. Die Aufgabe die dir Odin erteilt hat und du hast sie zu befolgen!“

„Meine Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass unsere Armee Aries einnimmt. Willst du mir erzählen, dass ihr das nicht auch ohne mich schaffen könnt? Wo doch du und Tyr ebenso große Kriegsgötter seid, wie ich es bin? Was macht es da, wenn ich mich an Nefertems Fährte hefte und ihm nach Trivium folge? Ich halte ihn dort fest, während ihr Aries einnehmt!“

„Das ist Wahnsinn und du weißt das! Nimm ein paar hundert Männer mit. Du kannst nicht allein gegen Nefertem und seine Armee kämpfen,“ schrie Thor ihn weiter an.

„Ihr braucht in Aries jeden Mann!“

„Und du wirst es allein nicht durch Tausenden von blutrünstigen Utgards Kriegern schaffen. Keine Widerrede! Ich gebe dir meine Männer als Leibgarde mit. Wenn was schief gehen sollte stehe ich dafür gerade!“

„Ich weiß nicht, wer von uns beiden Sturköpfen der größere Idiot ist.“

„Der, welcher am Ende Tod ist, weil er alleine gegen Tausende kämpfen wollte, natürlich! Tyr und ich werden es schon schaffen“, versicherte Thor zuversichtlich.

„Natürlich.“ Sigma reichte Thor seine Hand, Thor ergriff sie fest und stimmte so in den stummen Kriegergruß ein, den Sigma ihm darbot.
 


 

Sigma hatte letzten Endes sich für einen Teil seiner eigenen Armee entschieden. Obwohl es durchaus keinen Unterschied machte, welche der Männer, er in den sicheren Tod führen würde. Sie ritten in einem scharfen Tempo Richtung Trivium und all seine Gedanken kreisten nur um eine Person: Lessandra. Was, zur Hölle Utgards, wollte Nefertem in Trivium?
 

Er brauchte einen halben Tag nach Trivium. Er wäre durchaus schneller unterwegs gewesen, wenn er allein unterwegs gewesen wäre. Aber die Pferde und die Männer waren müde und nicht mehr so schnell unterwegs, wie Sigma es gehofft hatte. Doch da auch Nefertem zu Pferd unterwegs war und dieser sein Heer mit sich genommen hatte, würde auch Nefertem keinen all zu großen Vorsprung haben. Vielleicht war Sigma noch nicht zu spät.
 

Doch seine Hoffnung löste ich in dem selben Rauch auf, der über den Dächern Triviums emporstieg. Trivium brannte! Es würde nicht mehr all zu lange dauern und das Dorf würde nichts weiter sein, als ein verbannter Fleck Erde. Sigma trieb Pegasus zu Höchstleistungen an. Aber auch der Hengst war müde. Immerhin hatten sie fast zwei Tage lang unerbittlich gekämpft ohne eine Stunde Ruhe bekommen zu haben.
 

Sigma galoppierte ungebremst durch das brennende Stadttor. Krieger, die seinen Weg versperren wollten, wischte er erbarmungslos beiseite, als wären sie Fliegen. Er hörte, wie seine Armee ebenfalls die Stadttore passierte und sich ins Kampfgetümmel mischten. Nun hatte er den Rücken frei und konnte beinahe ungehindert seinen Weg zum Hof von Lessandras Familie bahnen. Als er das Tor passierte sah er bereits das Chaos, dass hier gewütet hatte. Der Hof lag voller Leichen. Kinder und Bauern, alte Frauen und Männer. Doch glücklicher Weise konnte er Lessandra nirgendwo entdecken. Vielleicht lebte sie ja noch.
 

Er sprang von Pegasus’ Rücken und eilte durchschritt wachsam den Hof, dicht gefolgt von Cerberus und Garm. Alle Leichen waren übel zu gerichtet, verstümmelt und fast ausgeblutet. Der Boden war überseht mit Blut. Die Erde hatte das Blut teilweise aufgesogen und dadurch einen dunkelroten Farbton angenommen. Zusammen mit dem Feuer, dass die Gebäude erfasst hatte, spiegelte diese Szenerie seine persönliche Hölle wieder. Als er an einem leblosen Körper vorbei ging, hörte er diesen schmerzvoll und schwach wimmern. Er wandte sich zu dem Körper und erschrak, als er in ihm Lessandras Mutter wiedererkannte. Sie war kaum mehr am Leben. Aus zahlreichen Wunden floss das Blut in Strömen und Sigma wusste, dass für die Frau jede Hilfe zu spät kam. Dennoch legte er ihr seine Hand auf die Brust und schloss einige der Wunden mit seiner Lichtmagie. Ihre Augen huschten wild hin und her, bis sie sich schließlich an Sigmas Augen festklammerten, als wären diese ein Rettungsanker.
 

„Mein Herr-“, entwich es ihr überrascht. Ihre Stimme war dünn und schwach. Kaum wahrnehmbar. Aber Sigma verstand jedes einzelne Wort, dass über ihre Lippen kam und das nicht kam.

„Ihr braucht nicht sprechen. Ich versteh euch auch so. Was ist hier geschehen? Wo ist Lessandra?“
 

Trotzdem Sigma ihr gesagt hatte, sie brauche nicht zu sprechen, tat sie es dennoch. Wahrscheinlich hatte ihr schwacher Geist den Sinn seiner Worte schon gar nicht mehr erfassen können.
 

„Ein Mann war hier.“
 

Es folgte eine lange Pause. Wahrscheinlich musste sie Kraft sammeln, um weiter sprechen zu können. Für Sigma war dieses Schweigen die reinste Hölle.
 

„Er hat sie mitgenommen – Er wollte nur – Er wollte nur sie haben. Ist das nicht....sonderbar?“
 

Sigma konnte nichts darauf erwidern. Er wusste ganz genau, wer der Mann war, der Lessandra mit genommen hatte.
 

„All meine Kinder.....meine ganze Familie.....die Leute aus- aus dem Dorf....Sie sind alle Tod. Aber Lessandra hat er mit genommen. Er – wollte – nur – sie....“
 

Dann brachen ihre Augen. Sie war tot. Sigma legte ihren Kopf, den er vorher mit seinem Arm gestützt hatte, vorsichtig auf dem Boden ab. Dann erhob er sich und blickte sich noch einmal um. All diese Menschen – tot. Nur wegen Lessandra? Was wollte Nefertem mit ihr?
 

Er hörte Pegasus wiehern. Er folgte dem wiehern und fand sein Pferd vor einem brennenden Stall wieder. Pegasus lief aufgeregt auf und ab und Sigma verstand. Ohne zu zögern durchbrach er das Scheunentor und rannte in die Flammen. Nun wieherte es aus allen Richtungen, denn er befand sich im Pferdestall des Hofes. Eilig öffnete er die Gatter der Pferde und verhalf ihnen somit in die Freiheit. Pegasus rannte an ihm vorbei. Sein Ziel war klar. Er wollte die Einhornstute befreien. Sigma ließ ihn ziehen. Er befreite alle Pferde aus ihren Ställen und stürzte dann hinaus aus diesem flammenden Sarg. Wenige Augenblicke später folgte Pegasus mit der weißen Stute. Sie hatte einige Brandflecken, aber schien ansonsten nicht ernsthaft verletzt zu sein. Er wollte auch in den anderen Ställen die Tiere vor dem Feuer retten, aber er erkannte, dass es bereits zu spät dafür war. Die Gebäude brannten lichterloh und es gab keine Rettung mehr für die Lebewesen, die darin eingesperrt waren. Traurig wandte er sich ab und ging zu seinen Tieren zurück.
 

Die Stute scharrte aufgeregt im Boden und tänzelte nervös von einem Huf auf den anderen.
 

„Was ist“, sagte Sigma scharf. „Weißt du vielleicht, wo Nefertem Lessandra hin gebracht hat?“
 

Die Stute wieherte und galoppierte sogleich vom Hof. Ohne lange zu überlegen sprang Sigma auf den Rücken von Pegasus und folgte ihr.
 


 

Sie ritten Richtung Tempel der Freyja. Dieser Tempel war der Größte auf Midgard. Dies rührte daher, weil die Fruchtbarkeitsgöttin im allgemeinen einen sehr guten Ruf unter den Menschen Midgards besaß. Zudem war allerorts bekannt, dass sie sehr in der Gunst Odins stand. Sigma war sich sogar sicher, dass Freyja beliebter war, als Frigg, die eigentliche Gemahlin Odins. Vielleicht rührte diese Bewunderung der Menschen für Freyja, von deren sagenhaften Schönheit her oder aufgrund der Güte, die man ihr nachsagte. Sigma selber wusste nicht, was er von der Vanin halten sollte. Sie war durchaus wunderschön und hatte einen, wenn auch versteckten, guten Charakter, wie die vermeintlichen Tränen in ihren Augen, als sie die Seelen auf dem Schlachtfeld um Aries einsammelte, bewiesen hatten. Dennoch war er noch immer verstimmt wegen den Geschehnissen bei ihrem letzten Zusammentreffen, als Freyja ihn förmlich ignoriert hatte, beim Abendessen mit Odin und dessen Familie.
 

Doch jetzt galt seiner Aufmerksamkeit einer ganz anderen Frau : Lessandra. Das Bauernmädchen aus Trivium. Er ritt so schnell Pegasus es vermag. Und obwohl er genau wusste, dass sein geflügeltes Einhorn weit und breit das schnellste Tier war, erschien ihm die Geschwindigkeit heute wie im Zeitraffer. Garm, Cerberus und die weiße Stute versuchten mit Pegasus schritt zu halten, aber sie fielen sehr schnell zurück. Hindernisse, die vor ihnen erschienen, wurden gnadenlos umgeritten oder übersprungen. Sigma ritt Pegasus hart und erbarmungslos. All seine Gedanken kreisten um das Bauernmädchen, deren Schicksal in den Händen Nefertems lag. Diese Tatsache allein, verursachte in Sigma ein Chaos an verwirrenden und beängstigen Gefühlen. Gleichzeitig war ihm durchaus bewusst, dass er geradewegs in eine Falle ritt, die sein Vater eigens für ihn arrangiert hatte. Bei diesem Gedanken stieß er einen wütenden Fluch aus und trieb sein Pferd noch mehr an.
 


 

Er erblickte die schwarze Rüstung und das lange, schwarze Haar seines Vaters, schon von der Ferne. Er stand auf einem kleinen Hügel, hoch zu Ross. Obwohl Sigma das Gesicht seines Vaters noch nicht erkennen konnte, glaube er, die verhassten schwarzen, etwas schräg stehenden Augen seines Vaters freudig aufblitzen zu sehen. Sigma war in seine Falle getappt und das musste ihn innerlich vor Siegesfreude fast zerreißen. Sigmas Hass stieg erneut auf eine höhere Stufe. Er hasste nicht nur sich dafür, dass er genau das tat, was sein Vater von ihn wollte, nein er hasste sich noch viel mehr, dass er diese Farce nicht schon viel früher mit einkalkuliert hatte. Er zügelte hart sein Pferd und lies es nun in einen langsamen Trab die Distanz zwischen Nefertem und sich verringern. Als er die Gesichtszüge seines Vaters deutlich sehen konnte, verfiel er sogar in Schritt.
 

Für einen mächtigen Kriegsgott, war Nefertems Gestalt sehr hager und schmächtig. Nefertem war sehr groß, aber einen muskelbepackten Körper, wie Sigma ihn hatte, suchte man bei ihm vergebens. Doch Sigma wusste auch, dass diese scheinbare körperliche Benachteiligung eine Fehleinschätzung war. Nefertem war sehr viel stärker, als sein Äußeres vermuten ließ. Und gewiss war er noch immer körperlich stärker, als Sigma es im Augenblick war.
 

Mit erhobenen Hauptes und gefestigtem Blick schritt er auf Nefertem zu und blieb dicht vor Nefertem stehen. Obwohl er sich innerlich zur Ruhe zwang, spürte er ein heißes Feuer in sich aufsteigen, als er den leblosen Körper Lessandras auf dem Sattel Nefertems erblickte. Er konnte es nicht vermeiden seinen Vater mit seinen Augen wütend anzufunkeln, woraufhin Nefertems Mundwinkel sich zu einem triumphierenden Grinsen anhoben.
 

„Du bist also tatsächlich nur wegen dem Mädchen hier. Ich schäme mich für einen so törichten Sohn. Du warst schon immer ein Narr, Sigma. Genauso gefühlsverrückt, wie deine Schlampe von Mutter.“

„Lasst Mutter da raus. Sie hat ihr ganzes Leben unter eurer Herrschaft leiden müssen, aber ich habe sie von eurer Knechtschaft befreit. Aber jetzt geht ihr wirklich zu weit, Nefertem. Dieses Mädchen hat nichts mit diesem Krieg zu tun!“

„Du irrst dich,“ sagte Nefertem ausdruckslos. „Sie ist mein Schlüssel zum Sieg.“

Sigma verzog sein Gesicht zu einer wütenden Maske des Hasses. Er ahnte auf was dieses Gespräch heraus laufen sollte.

„Wir haben dich beobachtet Sigma.“

„Und mit `wir’ meint ihr höchstwahrscheinlich Loki,“ vermutete Sigma.

„Zum mindest bist du nicht ganz so dumm, wie du dich heute gezeigt hast. Nachdem du mir meine schwarze Essenz und Loki die zwei Drachen gestohlen hast, wurden wir stutzig. Was willst du wohl mit den Essenzen des Regenbogens, fragten wir uns.“

„Und, seid ihr auf eine Antwort zu euer Frage gelangt, Nefertem?“

„Nein, aber das ist auch unwichtig. Zumindest im Augenblick. Wir haben nämlich dafür einige andere interessante Dinge erfahren,“ sprach Nefertem weiter.

„Und diese Dinge wären...?“

„Zum einen, dass du nicht nur vor uns dieses Geheimnis hütest, sondern auch vor deinem neuen Herren, Odin.“

„Odin ist nicht mein Herr,“ widersprach Sigma brüsk. „Ich habe keine Herren mehr, seitdem ich mich von euch losgesagt habe! Ich bin jetzt mein eigener Herr!“

„Glaub was du willst. Du warst schon immer ein Träumer. Ein verwöhntes und eingebildetes Kind, dass nie wusste, wann es verloren hatte. Aber das alles ist jetzt irrelevant. Die Tatsache, dass auch Odin nichts von deiner Sammlung an Essenzen weiß, zeigt uns, dass du irgendetwas planst, was auch dem all würdigen Übervater nicht zusagen würde.“

„Und was hat das nun alles mit der Zerstörung von Trivium zu tun und der Entführung dieses Bauernmädchens?“, fragte Sigma so belanglos, wie möglich.

„Stell dich nicht dümmer, als du tatsächlich bist, Sigma! Sie ist dir wichtig. Schon allein das du hier bist, beweist das. Sie ist nicht einfach nur ein Bauernmädchen für dich. Sie ist viel mehr als das. Bei unseren Nachforschungen bezüglich der Essenzen, hatten wir außerdem eine kleine Unterredung mit Draven.“

„Draven?“, fragte Sigma stutzig. „Der Herrscher von Evangeline? Der Fürst der Elben?“

„So ist es, Sigma. Er hat uns erzählt, dass du dich in letzter Zeit sehr viel im Mythrilwald aufhältst. Du warst bei der Dunkelelbin Pirotess. Wir waren bei ihr, aber sie war sehr unkooperativ. Aber wir lassen die Seele der Schwester dieser Hexe, in Utgard, dafür büßen. Ich hielt das für die beste Strafe für dieses Weib, was denkst du, Sohn?“

„Ihr seid widerwärtig!“

„Ich sehe, meine Entscheidung war richtig,“ lachte Nefertem böse. „Auf jeden Fall haben uns die Elben darüber informiert, dass du in letzter Zeit häufiger im Mythrilwald zugegen bist. Also haben wir so lange alle Elben verhört, bis wir herausgefunden hatten, dass du dich dort mit diesem Mädchen getroffen hast.“ Er zeigte gestenstark auf Lessandras leblosen Körper.

„Was habt ihr mit ihr gemacht?“, schrie Sigma aufgebracht. Er hatte seine Beherrschung verloren, in dem Augenblick, in dem seine Aufmerksamkeit auf Lessandras Besorgniserregenden Zustand fiel.

„Keine Angst. Sie ist nur bewusstlos“, vertröstet ihn Nefertem. „Zumindest im Augenblick noch.“ Nefertem grinste finster bei diesen Worten, als versetzen ihn allein diese Worte in Euphorie. Dann sprach er weiter:

„Sie hat die ganze Zeit über geplappert und über ihre toten Verwandten gejammert. Irgendwann war selbst meine Geduld erschöpft und ich habe sie ein wenig körperlich gezüchtigt, um sie zum schweigen zu bringen. Sie wird wohl noch einige Zeit schlafen.“
 

Diese Worte glaubte Sigma seinem Vater auf anhieb. Er selbst hatte mehr als einmal dessen Züchtigungen am eigenen Leib ertragen müssen. Und wäre Sigma nicht ein Gott gewesen, dann hätte er diese Art der Züchtigungen nicht überlebt. Sigma zwang sich nun Lessandra genau an zu sehen. Und sogleich fiel ihm die Platzwunde in ihrem Gesicht auf. Sein Vater hatte sie anscheinend so hart ins Gesicht geschlagen, dass sogar das Fleisch aufgerissen war. Wahrscheinlich waren einige Wangenknochen gebrochen, wenn nicht gar die Nase. Um die Wunde herum war die Haut sehr stark gerötet. Morgen würde diese röte einer unnatürlich tiefen blauen Farbgebung gewichen sein. Ansonsten konnte Sigma keine weiteren, schlimmen Verletzungen an Lessandras Körper erblicken. Doch schon allein für die Misshandelungen, in dem makellosen Gesicht Lessandras, stieg eine kaum zu beherrschende Wut in Sigma auf.
 

„Lasst sie gehen und kämpft mit mir, wie ein ehrenhafter Mann! Auch wenn das Wort `ehrenhaft’, weiß Odin, keine eurer Eigenschaften ist, mit der ich euch betiteln würde. Zum mindest nicht unter normalen Umständen.“
 

Nefertem lachte auf Grund Sigmas Wortspiel laut auf.
 

„Gut gesprochen, mein Sohn. Aber weder werde ich das Mädchen so einfach gehen lassen, noch werde ich gegen dich antreten. Auch wenn ich nichts lieber täte, als dich in deine Schranken zu weisen,“ entgegnete Nefertem wieder ernst.

„Was wollt ihr dann?“, fragte Sigma ungeduldig.

„Deine absolute Kapitulation.“

Noch bevor Nefertem diesen Satz ausgesprochen hatte, wusste Sigma bereits, dass er es sagen würde. Er hatte so etwas erwartet, aber bis zu letzt gehofft, dass seine Vermutung sich nicht bewahrheiten würde. Doch leider wurde dieser Wunsch ihm nicht erfüllt.

„Keine Sorge, mein Sohn, wir wollen nicht dass du wieder für Loki und mich arbeitest. Du magst ein guter Krieggott sein, aber du bist nicht unersetzlich. Wir wollen nichts weiter als Aries und die jämmerliche Seele dieses Königssohnes der Menschen. Halte dich aus diesen Krieg raus und das Mädchen wird frei gelassen.“

„Das könnt ihr nicht ernst meinen? Ich soll Odin verraten, wegen eines Bauernmädchens?“

„Genau diese Frage stellte ich Loki ebenfalls, bevor wir dieses Spiel hier inszeniert hatten. Und weißt du, was er geantwortet hat? »Manche Bänder sind stärker als Ehre.« Irgendetwas hat dich und das Mädchen zusammen geführt und seit dieser Begegnung hast du dich Stück für Stück gewandelt. Das musst du doch selber gemerkt haben?“
 

Sigma überdachte die Zeit seitdem er Lessandra begegnet war. Er war wirklich etwas reifer geworden. Seine Handlungen waren überlegter und seine stürmisches Gemüt war ruhiger geworden, doch das konnte unmöglich an dieser kurzen Begegnung mit dem Mädchen vor fast einem Jahr liegen. Dennoch irgendetwas war mit ihm geschehen seitdem er dieses Mädchen getroffen hatte. Sie ging ihm nicht mehr aus dem Kopf und früher wäre er nicht so unüberlegt losgeritten, um ein Menschenmädchen zu retten, obwohl er genau wusste, dass es ein Falle seiner Gegenspieler war.
 

„Ich sehe, du verstehst, was ich meine,“ deutete Nefertem Sigmas Schweigen richtig. „Sie bedeutet dir etwas. Würde es sich nicht um ein kleines Mädchen handeln, würde ich sagen, dass du in dieses Mädchen verliebt bist.“

„So ist es nicht,“ widersprach Sigma hastig. „Sie ist durchaus etwas besonders. Sie ist das reinste Geschöpf, dass mir jemals begegnet ist. Und diese Eigenschaft fasziniert mich. Nicht mehr und nicht weniger.“
 

Nefertem erhob seine Hände und winkte ab. Er wollte sich anscheinend nicht länger über dieses Thema unterhalten und sich lieber wieder den wichtigen Dingen widmen.
 

„Wie dem auch sei,“ begann er trocken. „Ich verlange von dir, dass du dich zurück ziehst. Mich und meine Armee bei der Einnahme Aries nicht weiter behinderst und erst wieder nach dem Ende dieses Krieges auftauchst. Zum Austausch für diese Gegenleistung erhältst du das Mädchen und dessen Leben.“
 

Sigma funkelte seinen Vater wütend an. Diese Entscheidung fiel ihm nicht leicht. Würde er aufgeben, dann würde Odin ihn wahrscheinlich verdammen und zurück nach Utgard schicken. Dann wäre er und seine Mutter erneut der Tyrannei Nefertems und Lokis ausgesetzt. Würde er sich der Forderung Lokis widersetzen, dann würde Lessandra sterben, durch die Hand seines Vaters Nefertem.
 

„Was ist mit Thor und Tyr?“

„Odins geliebte Söhne werden verschont werden. Darauf hast du mein Wort.“

„Was ist euer Wort schon wert,“ sagte Sigma verbittert.

„Du sprichst von deiner Mutter,“ erkannte Nefertem. „Ich weiß, dass du mich dafür hasst, dass ich mir ihre Liebe erzwungen habe. Wieder und wieder. Und ich würde es jeder Zeit wieder tun, wenn ich dazu die Gelegenheit bekäme. Aber sie ist selber daran Schuld. Im Grunde sind wir uns gar nicht mal so unähnlich, Sigma.“

„Das bezweifle ich stark.“

„Nein, wirklich,“ beteuerte Nefertem fest. „Ich bin ebenso, wie du von einer Frau besessen, die mich so sehr fasziniert, dass ich jedes Bündnis dafür verraten würde. Deine Mutter besitzt nicht nur Schönheit, sondern auch noch Macht. Sie ist die Herrscherin aller acht Elemente und eine Walküre. Wenn sie sich mir verwehrt, dann will ich sie nur noch mehr. Und ich schwöre dir, dass ich sie mir irgendwann zurück holen werde, aus deiner Festung, in die du sie versteckt hältst. Aber heute geht es um deine Obsession. Dieses Bauernmädchen ist für dich das, was deine Mutter für mich ist. Mit einer Unschuld, die du von keinem anderen lebendigen Wesen kennst, hält sie dich in ihrem Bann gefangen. Und obwohl sie noch ein Mädchen ist, ist schon jetzt zu erkennen, dass sie einmal eine wunderschöne Frau werden wird. Glaub mir, ich verstehe den Konflikt, in dem du dich gerade befindest. Dennoch bin ich auch enttäuscht, dass mein Sohn den gleichen Fehler macht, wie einst ich. Du lässt es zu, dass eine Frau deine Entscheidungen beeinflusst. Das ist der Anfang vom Untergang deiner einstigen Stärke. Deine Mutter hat mich weich gemacht. Früher hätte ich das Mädchen ohne zu zögern getötet. Gleich welche Pläne Loki mit euch beiden noch verfolgt. Doch was heute ist, kannst du selbst sehen.“
 

Sigma blickte seinen Vater irritiert an. Noch nie hatte sein Vater ihm auf diese Weise seine Gefühle offenbart. Eigentlich hatte Nefertem noch nie irgendwelche Gefühle offen gezeigt. Er traute diesem neuen Nefertem nicht. Aber er hatte keine andere Wahl, als auf dieses Spiel ein zu gehen, wenn er Lessandra nicht verlieren wollte.
 

„Ich werde mich raus halten. Ich nehme Lessandra und gehe in den Mythrilwald zurück. Wenn der Krieg aus ist, kehre ich nach Asgard zurück. Aber ich werde alles dafür tun, dass Lessandra in Zukunft in Sicherheit ist, dass kann ich euch versprechen. Und das Gleiche gilt für meine Mutter. Nur über meine Leiche werdet ihr noch einmal eure verdammten Hände an sie legen können!“

„Dann halte lieber deine Augen offen, damit ich dir nicht irgendwann mein Schwert zwischen die Rippen jage. Denn ich werde Kara ganz gewiss bald wieder von dir zurück verlangen.“
 

Sigma kochte innerlich fast über vor Wut. Er wusste, dass er sich jetzt nicht länger mit diesem Thema beschäftigen konnte, wenn er nicht Lessandras Leben noch mehr gefährden wollte. Widerwillig besiegelte er diesen unheilvollen Pakt, zwischen seinem Vater und ihm, mit einem Handschlag. Er nahm Lessandra entgegen, legte sie vor sich auf seinen Sattel und ritt stolz davon.
 


 

Es hatte einige Stunden gedauert, bis er den Mythrilwald auf Pegasus erreicht hatte. Die letzte Strecke war er sogar geflogen, um schneller ans Ziel zu kommen. Er hatte die Schlacht hinter sich toben hören, doch viel mehr hatte der Kriegsgott in ihm getobt. Ein Teil von ihm wünschte sich nichts mehr, als in den Krieg ein zu greifen und Aries doch noch selbst ein zu nehmen. Aber dann würde Lessandra sterben. Daran bestand kein Zweifel. Loki und Nefertem würden einen Weg finden. Von jetzt an würde Lessandra nie wieder wirklich sicher sein können. Und an all den schrecklichen Dingen, die das Mädchen in den letzten Stunden erleben musste, war Sigma Schuld. Er hätte das Mädchen sofort wegschicken müssen, als es ihm in diesem Wald begegnet war.
 

Er bettete das Mädchen auf einem Bett aus Zweigen, Moos und Laub. Zudem hatte er seinen Umhang abgelegt und diesen unter den Kopf des Mädchen gelegt. Er hatte Wasser aus dem See im Wald geholt und ein Stück seines Gewandes zerrissen und daraus einen kalten Umschlag gefertigt, mit dem er die Stirn des Mädchens kühlte.

Irgendwann kamen Cerberus, Garm und die weiße Stute im Mythrilwald an. Als Sigma mit Pegasus vorgeflogen war, hatte er sie zurück gelassen, da er einfach nicht länger auf die Geschwindigkeit der Tiere Rücksicht nehmen wollte und konnte. Die Stute legte sich sogleich neben Lessandra, während Cerberus und Garm zum See liefen, um sich dort zu erfrischen.
 

Es dämmerte bereits, als Lessandra sich endlich auf ihrem Krankenbett regte. Der Kopf der Stute schnellte augenblicklich empor. Sigma zwängte sich zwischen den Tieren durch, um sich neben Lessandra nieder lassen u können. Er fuhr mit seinem Arm unter Lessandras Kopf und zog ihren Oberkörper ein Stück in die Höhe. Dann hielt er ihr seine freie Hand über den Mund und ließ magisches Wasser in diesen fließen. Lessandra, noch immer nicht ganz bei sich, verschluckte sich an dem kalten Getränk und spuckte es einige Male wieder aus, bis sie es endlich im Mund behielt. Schließlich kam sie langsam zu Bewusstsein und öffnete letztendlich ihre müden braunen Augen. Schwach blickte sie Sigma an :
 

„Mein Herr...,“ stammelte das Kind und begann darauf herzzerreißend zu weinen.
 


 

Lessandra löste sich von Sigmas Brust. Er hatte sie tröstend in den Arm genommen und sie wie ein kleines Kind gewiegt, bis sie auf gehört hatte zu weinen.
 

„Wieso seid ihr hier? Das Letzte woran ich mich erinnere ist, dass unser Hof von einigen Kriegern der Armee Lokis angegriffen wurde. Ein Mann, gekleidete wie der Tod persönlich - von Kopf bis Fuß in schwarz - tötete meine Freunde und Familie. Meinen kleinen Bruder....meine Schwestern.....Und Mutter?“
 

Sigma schüttelte betrübt den Kopf, woraufhin Lessandra erneut in Tränen ausbrach.
 

„Was soll ich jetzt nur tun, Herr Sigma,“ schluchzte das Mädchen an seiner Brust.

„Wieso hat man uns angegriffen? Was wollten diese Leute nur von uns?“

Sigma konnte auf all das keine Antworten geben. Wenn er es getan hätte, dann würde Lessandras Herz noch mehr gebrochen werden und vielleicht zerspringen. Denn an all dem Unglück, dass ihr widerfahren war, war nur er Schuld. Nur er allein.
 


 

Sie hatten eine Weile lang einfach nur da gesessen. Sigma hatte das Mädchen gewiegt, bis es sich endgültig beruhigt hatte. Sie schien nun zu schlafen, denn sie sagte schon seit einer geraumen Zeit nichts mehr. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Sie schien völlig entspannt, trotz der angespannten Lage. Sigma beneidete den tiefen Schlaf des Mädchens. Nur Kinder, die sich völlig sicher fühlten, verfügten über einen so unschuldigen Schlaf. Er schob den warmen Körper des Mädchens ein wenig von sich fort und beobachtet das Gottesgleiche Gesicht Lessandras. Schon immer hatte ihm dieser Anblick gefallen. Sie war wunderschön, wenn sie so sorglos schlief. Liebevoll presste er sie wieder an seine Brust und umschlag sie fester. In diesem Augenblick war ihm klar geworden, dass er sein Leben für das des Mädchens geben würde. Sein Herz besaß es bereits, ohne dass einer der Beiden etwas davon ahnte.
 


 

Lessandra strich gedankenverloren über die Verzierungen an Sigmas Rüstung. Sie wusste, dass er nicht wirklich schlief. Er hatte einen sehr leichten Schlaf und bemerkte jede Bewegung, selbst wenn sie noch so leise war.
 

„Seid ihr ein Heerführer, Herr Sigma,“ fragte Lessandra irgendwann. Sigma machte sich nicht einmal die Mühen seine Augen zu öffnen.
 

„Ich bin es und ich hoffe ich werde es auch noch sein, wenn ich zu meinem Herr zurück kehre,“ sagte Sigma ernst.

„Eure Rüstung ist so anders, als die der Krieger Odins oder Lokis, die ich bisher gesehen habe. Seid ihr ein wichtiger Heerführer?“

„Ich war es einmal. Ich war einst der Beste den das Reich je hatte.“

„Und was ist dann passiert?“

„Ich habe jemanden über das Wohl meines Heeres und meiner Herren gestellt. Ich habe die Schlacht verloren, um diesen Jemanden zu retten.“
 

Nun hatte Sigma seine Augen geöffnet und erwiderte den Blick des Mädchens. Er wusste, dass sie verstanden hatte, was er mit dieser Aussage gemeint hatte. Sie fühlte sich fast augenblicklich schuldig , dass konnte er an ihrem erschrockenen Blick erkennen.
 

„Du brauchst dich nicht schuldig zu fühlen deswegen. Niemand hat mich zu dieser Entscheidung gezwungen. Es war mein Wunsch dich zu retten und die Führung meines Heeres auf zu geben.“

„Aber wenn ich nicht gewesen wäre, dann wäret ihr gar nicht erst in diese Situation gekommen. Es ist alles meine Schuld. Sie haben mich als Köder für euch benutzt, Herr Sigma. Ich habe allen im Dorf von euch erzählt, als ich damals wieder daheim war. Ich war so glücklich, dass ich euch damals getroffen hatte. Irgendjemand muss das den Kriegern Lokis erzählt haben und mich gegen euch verwendet haben. Es tut mir so sehr Leid, Herr Sigma.“
 

Wieder schluchzte das Mädchen. Aber Sigma erlaubte ihr diese Schwäche diesmal nicht.
 

„Nein,“ sagte er so streng, dass Lessandras Tränen sofort versiegten. „Sag das nie wieder. Ich allein habe mich dazu entschlossen dein Leben vor das Leben anderer zu stellen. Wärst es nicht du gewesen, dann hätten sie jemand anderen gefunden. Denn sie haben Angst vor mir. Ich hätte diesen Krieg gewonnen und sie wissen es. Aber sie sind schlechte Verlierer und deswegen haben sie diesen dreckigen Trick dazu genutzt, um mich zur Kapitulation zu zwingen. Aber das ich dieser überhaupt zugestimmt habe, dass war allein meine Entscheidung. Dir mache ich keine Vorwürfe und du solltest das auch nicht tun, ansonsten würde ich meine vergangene Entscheidung sehr bereuen müssen.“
 

Lessandra starrte Sigma verdutzt an. Sie wusste einen Augenblick lang nicht mehr, was sie darauf erwidern sollte. Dann tat sie etwas, dass Sigma zu spät erkannte, um es zu verhindern. Sie küsste ihn auf den Mund. Zwar unschuldig und nur flüchtig, aber dennoch in einer Weise, die Sigma nicht behagte. Entsetzt schob er sie von sich weg.
 

„Was soll das,“ fragte Sigma erbost. Lessandra rang nach einer zufriedenstellenden Erklärung.

„I-Ich...,“ stammelte sie ängstlich und rutschte noch weiter von ihm weg. „Verzeiht Herr. Ich wollte nicht.....Ich meine, ich dachte ihr wolltet das.“

„Wieso sollte ich wollen, dass ein Kind mich küsst,“ erwiderte Sigma kühl.
 

Lessandra war nun sichtlich verletzt, doch sie riss sich zusammen.
 

„Ihr habt eure Stellung, euren Stolz und euer Leben für meine Rettung eingesetzt. Ich habe geglaubt ihr habt das nur getan, damit ihr mich als Belohnung besitzen könntet. Ich habe einmal beobachtet, wie meine Mutter und ein Mann....Ich meine....“

„Ich weiß schon was du meinst,“ antwortete Sigma scharf. „Ich bin ein Mann und viel Älter als du. Ich habe schon mehr Frauen gehabt, als du kennst. Wie kommst du nur darauf, dass ich dich auf diese Weise begehren würde?“

„Ich habe einmal gehört, dass Männer sich manchmal Frauen, die sie nicht bekommen können, mit Gewalt holen und dann schreckliche Dinge mit ihr anstellen. Also dachte ich, da ihr mich gerettet habt, wollt ihr vielleicht das als Bezahlung für meine Rettung.“
 

Sigma stand nun auf und lief wütend vor Lessandra auf und ab.
 

„Wie kannst du so etwas nur von mir denken,“ schrie Sigma nun wütend das Mädchen an. „Ich bin kein daher gelaufener Schurke, der sich alles mit Gewalt einverleibt, was sich nicht seinem Willen beugt. Ich besitze Moral und Anstand und ich habe keinerlei Absichten dieser Art mit dir. Und überhaupt, du willst eine Priesterin der Freyja werden? Wie sollst du das werden, wenn du nicht einmal den Keuschheitsnachweis bestehen kannst, weil du dich mir angeboten hast?“
 

Lessandra schaute nun zu Boden. Ihr schien die ganze Situation unbehaglich zu sein und Sigma hatte augenblicklich Mitleid für das Mädchen. Es hatte heute so viel durch gemacht. Es war kein Wunder, dass sie verwirrt war. Sie wollte ihm einfach dafür danken, dass sie gerettet wurde und wusste nicht, wie sie es tun sollte. Sie hätte ihm als Dank ihre Keuschheit geschenkt, im vollen Bewusstsein, dass sie dadurch nicht nur die Gesetze der Menschen brechen, alle moralischen Vorstellungen zerstören und ihre Zukunft als Priesterin verbauen würde. Dies war das wertvollste Geschenk dass sie ihm jemals darbieten konnte. Und wäre sie kein Mensch oder vielleicht ein wenig älter, dann würde die Situation für Sigma vielleicht auch anders sein, aber Lessandra war ein Kind. Niemals würde er ein unschuldiges Kind beflecken!
 

Er beugte sich zu Lessandra hinunter und berührte ihre Schulter mit seiner Hand. Sie hob ihren Kopf gerade so weit, dass sie in seine Augen blicken konnte. Tränen schimmerten darin. Sigma lächelte sie verständnisvoll an und schloss sie väterlich in seine Arme.
 

„Ich verstehe, weswegen du so gehandelt hast. Aber ich will von dir nichts weiter, als deine Sicherheit. Ich habe dich gerne um mich, aber ich begehre nicht deinen Körper oder deine Unschuld. Verstehst du das, Lessandra?“
 

Das Mädchen nickte stumm und kuschelte sich an Sigmas Schulter. Irgendwann schlief sie wieder ein. Sie hatte wahrlich einen anstrengenden Tag hinter sich.
 


 

„Was wirst du jetzt tun,“ fragte Sigma Lessandra.
 

Lessandra badete sich gerade im See. Es störte sie nicht, dass er ihr dabei zu sah. Er sah sie als Kind, dass wusste sie jetzt. Er hatte keine zweifelhaften Absichten oder schlechte Dinge mit ihr vor. Er behandelte sie wie eine Tochter und sie fühlte sich zwar hingezogen zu ihm, aber das lag wahrscheinlich nur daran, weil sie sich so sicher bei ihm fühlte.
 

„Ich werde zum Tempel der Freyja gehen. Der letzte Wunsch meiner Mutter war es, dass ich eine Priesterin der Freyja werden würde. Ich werde bald fünfzehn und dann habe ich das Alter, um eine Priesterin zu werden. So lange werde ich versuchen im Tempel eine Anstellung zu bekommen. Ich glaube nicht, dass sie mich abweisen werden.“

„Weshalb? Nach all dem Irrsinn, den du erlebt hast, den Tod, die Zerstörung und alles im Namen der Götter, willst du immer noch Priesterin werden? Du willst den Göttern dienen, durch dessen Schuld deine Familie getötet wurden? Das ist doch absurd!“

„Nein,“ widersprach Lessandra. „Das ist es nicht. Ihr seid einfach nur zu verbittert und zu stur, um in diesem Thema einen anderen Standpunkt zu akzeptieren, als den Euren.“

„Aber es waren die Götter, die euch Menschen diesen unheilvollen Krieg brachten! Du verstehst rein gar nichts von den Göttern!“

„Nein, ihr seid es, der nichts versteht, Herr Sigma. Nicht die Götter bestimmen die Taten der Menschen, sondern es sind die Menschen selbst. Das habt ihr einst versucht mir bei zu bringen und ich habe darüber nachgedacht und ich denke das es stimmt. Die Menschen haben ein Selbstzerrstörerisches Wesen von Geburt an. Sie streben nach Macht und Reichtum und gehen dabei über Leichen. Sie töten ihr eigenes Volk, um ihre Ziele zu erreichen. Die Götter brachten uns vielleicht den Krieg, aber es waren Menschen, die all diese schrecklichen Taten begangen haben. Es waren Menschen, die meine Freunde und Familie auslöschten. Es waren Menschen, die meine Schwestern und meine Mutter, vor deren Tod schändeten! Und es waren Menschen, die jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in Trivium getötet haben, wie Schlachtvieh! Menschen, Herr Sigma. Menschen, wie ihr und ich! Keine Götter. Deswegen werde ich Priesterin, Ich will den Göttern dienen, um die Schuld der Menschen bei ihnen abzuarbeiten. Und um den Göttern zu zeigen, dass nicht alle Menschen schlecht sind und damit sich die Götter deswegen nicht von uns abwenden.“
 

Sigma lachte laut und bitter auf: „Ihr Menschen seid für die Götter doch nur Spielzeuge! Ihr seid für sie nichts mehr wert, als niedere Sklaven. Maden, die um ihre Aufmerksamkeit buhlen. Und wenn du glaubst, dass du durch deinen Glauben und deinen Dienst an die Götter, ihre Aufmerksamkeit erlangen kannst, um die Sünden der Menschen zu begleichen, dann irrst du dich, Lessandra. Und genau dieser Irrglaube wird eines Tages dein Untergang sein!“

„Dann ist es eben der Wunsch der Götter, dass ich Priesterin werde,“ sagte Lessandra trotzig. „Und diesem Wunsch werde ich mich beugen. Ich werde Priesterin, Sigma, ob es euch nun gefällt oder nicht!“

„Dann bist du dümmer, als ich dachte.“

„Dumm vielleicht,“ antwortet Lessandra traurig. „Aber ich bin nicht lebensmüde. Herr Sigma, wohin sollt eich denn, eurer Meinung nach, sonst hin, wenn nicht in den Tempel? Ich habe nichts und niemanden mehr. Meine Familie ist Tod. Mein Dorf verbrannt. Ich bin ganz allein. Ich weiß einfach nicht wohin ich gehen sollte. Oder wollt ihr mich etwa mit euch nehmen?“

„Selbst wenn ich wollte,“ entgegnete Sigma nach einigem Überlegen. „Ich könnte es nicht tun. Es tut mir so leid.“

„Seht ihr,“ sagte Lessandra melancholisch. „Dann ist es beschlossen. Ich werde Priesterin der Freyja und ich werde es gerne tun. Denn ich glaube an die Macht und Barmherzigkeit der Götter. Zudem ist es der einzigste Ausweg aus diesem Dilemma.“

„Ich befürchte, dass du dennoch einen großen Fehler begehst,“ sagte Sigma ernst.

„Dann ist es der Wunsch der Götter, dass ich diesen Fehler begehe, Herr Sigma,“ sagte Lessandra schließlich. Sigma nickte widerwillig.

„Ich denke,“ begann er zögerlich. „Ich sollte dich jetzt verlassen.“

Er stand auf und ging auf die immer noch nackte Lessandra zu. Er nahm seinen Umhang von seiner Rüstung und legte ihn ihr um. Er drückte ihre Schulter einmal kurz fest, lächelte sie an und sagte:

„Leb wohl, Lessandra.“
 

Dann drehte er sich um und verließ sie. Verwirrt und unfähig irgendetwas anderes zu tun, als ihm hinterher zu blicken, sah sie zu, wie er verschwand. Tränen stiegen in ihr auf. Sie spürte einen schmerzhaften Stich in ihrer Brust, der schlimmer war, als der, den sie verspürt hatte, als ihr klar geworden war, dass ihre Familie tot war. Nun war sie völlig allein.



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