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Verräter

von

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Sie saßen beisammen, noch nicht sehr lange.

Eigentlich hatten sie nie lange beisammen gesessen.

Sie kannten sich schon ewig.

Sie waren jung.

Sie trennten Welten.

Sie standen am Abgrund.

Ein jeder dort, wo er nicht sein wollte, dem anderen gegenüber, wo er selbst nicht sein konnte, den eigenen Abgrund im Rücken.

„Er wird dich umbringen.“, sagte der eine leise.

Er war ein junger Mann, vielleicht zwanzig, klein, seine Familie neigte im Alter zur Dickleibigkeit, doch man sah es noch nicht. Der Blick seiner wässrigen blauen Augen ruhte überraschend klar auf seinem Gegenüber.

Auch er ein Mann. Noch ein halbes Kind.

Unter seinem schwarzen Haarschopf sah er aus, als wäre er noch nie dick gewesen und hätte in den letzten Monaten noch an Gewicht verloren.

„Ich werde ihm keine Gelegenheit dazu geben.“, erwiderte er ruhig, drehte das Glas in seinen trockenen Händen. Das Licht waberte nur dämmrig im Raum und ließ sein blasses Gesicht in den Schatten liegen.

Es war nichts kindliches an ihm.

Der Mann mit den wässrigen Augen wusste, dass es ihm ernst war.

„Du könntest gut leben, das weißt du. Du hast die Herkunft, du hast die Talente.“

„Allein mir fehlt der Geist.“

Keiner von ihnen lachte über den Witz.

„Er hält viel auf dich.“

„Ich halte nicht viel auf ihn. Du?“

Er ließ sich in aller Ruhe mustern. In diesem Moment hatten sie alle Zeit der Welt, es war später Nachmittag. Schließlich stellte er sein Glas auf den Tisch, ohne getrunken zu haben.

„Aber du bist mutiger als ich.“, stellte der ältere der beiden Männer fest. In diesen Momenten, so wurde ihm klar, sah der Junge seinem Bruder ähnlich. Er hatte die gleichen feingeschnittenen Gesichtszüge, das gleiche dunkle Haar und die gleichen hellen grauen Augen.

Damit endeten die Gemeinsamkeiten.

„Ich bin feige.“

Er lachte und es war ein ganz anderes Lachen als das seines Bruders. Aber neuerdings genauso humorlos.

„Ich ziehe mich aus der Affäre wie ein geprügelter Hund.“

Die Art, wie er das letzte Wort aussprach, ließ keinen Zweifel daran, dass er es wusste, alles.

Und niemand würde je erfahren, dass er es tat.

Diese Gedanken waren ihnen vorbehalten gewesen, seit sein älterer Bruder sie einander vorgestellt hatte, vor acht Jahren. Er war mit dem älteren Bruder in einer Klasse gewesen.

Sie waren keine Schüler mehr.

Sie waren noch keine Erwachsenen.

Sie fühlten sich unendlich alt.

„Ich bin der, der feige ist.“, murmelte er, strich sich dabei über den kurzen, ungepflegten, blonden Bart.

„Das macht dich zum Menschen.“

„Aber nicht zu einem guten. Das weißt du.“

„Aber es ist nicht mehr mein Problem.“

„Du ziehst dich wirklich aus der Affäre.“

Er nahm sein Glas in die Hand. Leerte es in einem Schluck und schmeckte die goldene Flüssigkeit kaum.

Es roch muffig nach Alkohol, dem Schweiß vieler Menschen und unterschwellig nach dem Erbrochenen der letzten Nacht. Man hatte Holyhead Harpies gegen Wimbourne Wasps live im Radio übertragen. Zauberer kannten keinen Fernseher. Die Nacht war lang gewesen und feucht, aber nicht fröhlich, die Wimbourne Wasps hatten gesiegt.

Die abgestandene Atmosphäre lag noch immer in der Luft und ließ sie ersticken.

Es war Sommer.

Sie waren am Ende, nicht am Ende ihres Weges, noch nicht.

Sie waren tote Männer.

Der mit den wässrigen Augen leerte sein Glas nicht.

Sie verließen den Pub schweigend und vergaßen, dass sie sich getroffen hatten, vergaßen, dass es den jeweils anderen gab, auf der anderen Seite, mit dem Rücken zum Abgrund, und starben vor sich hin.

Sie hatten nie lange beisammen gesessen.

Die Welt einte sie.

Sie starben langsam.

Sie waren längst tot.

1979.

1998.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Yurippe
2012-09-25T11:20:31+00:00 25.09.2012 13:20
Schön geschrieben, ohne überflüssige Schnörkel und dennoch fehlte nichts. Und endlich mal ist Peter nicht nur der kleine Loser (auch wenn ich ihn mir nicht mit Bart vorstellen kann.) Ich würde gern mehr von dir in dieser Richtung lesen.
Von:  Aniko
2009-10-17T19:50:45+00:00 17.10.2009 21:50
Ideal gezielte Wortwahl, eine Atmosphäre und Spannung, die es unmöglich macht nicht zu Lesen. Wundervoller Schreibstill. Ergeifende FF.
Ein schönes Leseerlebnis.
LG, Aniko.
Von:  Sammysam
2008-12-20T22:15:52+00:00 20.12.2008 23:15
Mir gefält die Story, die Atmosspähre vor allem. Ich mag diese ja, traurig ist nicht ganz das richtige Wort, vielleicht resignierte Atmosphäre.
Aber ich habe noch eine ganz kurze Frage.
„Du könntest gut leben, das weißt du. Du hast die Herkunft, du hast die
Talente.“
„Allein mir fehlt der Geist.“ ist doch ein Zitat irgendwoher, zumindest bin ich mir sehr sicher, das schonmal gehört zu haben. Woraus stammt es? 'Tschuldigung aber das will mir nicht aus dem Kopf ^^"

Von: abgemeldet
2008-05-24T19:26:08+00:00 24.05.2008 21:26
du willst nicht wirklich, dass ich das kommentiere...
himmel, was soll ich da schreiben?
dass ich fast geheult hätte?
dass ich sehr beeindruckt von dieser meiner reaktion war?
dass ich mich selbst nicht wiedererkannt habe und deshalb sehr stolz auf dich war?
all das weißt du schon.
mich hats berührt. das ist nicht leicht.
mach weiter so.
und verzeih mir diesen unkonstrukiven kommentar.
Von:  _Delacroix_
2008-05-24T19:24:21+00:00 24.05.2008 21:24
Ah wunderbar.
Die Story hatte ich ja schon fast vergessen.^^

Ich finde nach wie vor, dass sie eine schöne, traurige Atmosphäre erzeugt und das du dabei auch noch gerade die zwei Charas unter einen Hut gebracht hast, ist wirklich gute Arbeit.

Also ich mag sie.^^


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