~Kapitel 4~
Zu Hause wurde ich schon von meinem Dad erwartet.
Kaum zur Tür rein, kam er auch schon auf mich zu gestürmt.
"Leon, du musst mir unbedingt helfen! Wir müssen noch das Gästezimmer für Francis ausräumen und das Haus aufräumen, damit die Beiden hier nicht von unserem Chaos empfangen werden!"
Hoffnungslos.
Wir würden das Haus nie ordentlich bekommen. Dafür bräuchte man schon eine dreißig Mann Putzkolonne. Schließlich pflegten wir unsere Unordnung, na gut....Unordnung war untertrieben, schon seit Jahren.
Darauf wies ich ihn dann freundlicherweise auch sofort hin. Aber nein, wenn ihn einmal der Eifer überrannt hatte, war er nicht mehr zu retten, also wurde ich dazu verdonnert erstmal mein Zimmer aufzuräumen.
Hallo?! Gings noch?!
Was interessierte die denn mein Zimmer? Das ist meins, meins, meins! Das gehörte so!
Und da mein Dad sich mir gegenüber noch nie sonderlich gut hatte durchsetzen können, gab er seufzend nach und ich durfte mich stattdessen dem 'Gästezimmer' widmen.
Allerdings war das was wir so hochtrabend als Gästezimmer bezeichneten eher eine Art Abstellkammer für allen möglichen Mist, so dass ich daran wohl eine ganze Weile lang sitzen würde.
Hysterisch stürmte meine Mum in die Küche.
"Hi.", begrüßte ich sie monoton.
"Francis! Sitz hier nich so faul rum! Pack deine Sachen!", so hysterisch, wie sie in die Küche stürmte, stürmte sie auch wieder raus.
Seufzend stand ich auf und ging in mein Zimmer. MEIN Zimmer. Es war echt zum Heulen.
Naja, ich holte mir ein paar Kartons und packte mein Zeug da rein.
Irgendwann bekam ich ein Durstgefühl und ging in die Küche.
Die war schon fast ausgeräumt. Ich sah einen Karton, mit der Aufschrift 'Müll' drauf. Wie einfallsreich meine Mum doch war.
Aber was ich in dem Karton sah, schockierte mich. Hildegard!
Schnell holte ich sie, aus ihrem vermeintlichen Grab.
Dann kam meine Mum. "Was tust du denn da?! Die alte Mikrowelle brauchen wir doch nicht mehr!", fauchte sie mich an.
Böse funkelte ich sie an. "Hildegard wird nich weg geschmissen!", beschützend hielt ich sie im Arm.
"Hildegard?!", sie guckte mich skeptisch an.
Ach ja, sie wusste ja nich, dass ich der Mikrowelle einen Namen gab.
"Ja, mit irgendjemanden oder irgendwas musste ich mich ja unterhalten, wenn du nie da bist!"
"Wa-?! Das ist ja wirklich unglaublich! Denkst du ich geh nur zum Spaß arbeiten?! Irgendwie müssen wir ja über die Runden kommen! Und wenn du dich so einsam gefühlt hast, dann kannst du ja froh sein, dass wir jetz umziehen, da hast du dann ja deinen Stiefbruder!", schrie sie mich schon fast an.
Das war mehr als fies!
"Hildegard wird trotzdem nicht weg geschmissen!", schrie ich zurück. Jaha, ich kann auch mal schreien.
"So ein Schwachsinn! Aber wenn du dann glücklich bist, behalt sie doch!", mit diesen Worten verschwand meine Mum wieder aus der Küche.
Na also, geht doch!
Ja~, ich weiß, ich bin verrückt. So versessen auf ne Mikrowelle zu sein, is echt krank.
Und tatsächlich saß ich bis Abends um sieben daran, dieses verdammte Zimmer ordentlich zu bekommen und das alles nur für einen Zwerg, der den Platz eh nicht brauchen würde. So klein wie der war, würde auch die Abstellkammer reichen.
Ich war grade dabei mich zu fragen, warum zum Teufel wir ein Waffeleisen hier hatten, als mein Vater sich meiner erbarmte und mit einem Teller Pizza auftauchte.
"Na, das sieht doch schon gut aus. Und jetzt ess du erstmal was und ich mach dann solange hier weiter."
Er drückte mir den Teller in die Hand und ich zögerte nicht lange und verdrückte mich in mein Zimmer.
Na, dann konnte jetzt ja dafür gesorgt werden, dass der armen, armen Pizza nicht kalt wurde.
Und wie machte man das am besten? Genau, in dem man sie möglichst schnell seinem Magen zuführte.
Danach gings dann (mehr oder weniger) fröhlich mit dem Aufräumen weiter, bis ich um halb elf todmüde ins Bett kippte.
So viel körperliche Betätigung konnte einfach nicht gesund sein, das stand jetzt mit hundertprozentiger Sicherheit fest.
Nachdem 'Hildegard-Krieg', musste ich mich wieder ans ausräumen und einräumen (also in Kartons) machen.
Das war so ätzend.
Nach stundenlangem aus-und einräumen, tat mir echt alles weh.
Ich ließ mich auf mein Bett fallen und starrte einfach nur an die Decke, dann ließ ich meinen Blick durch mein Zimmer schweifen, welches nun mit, weiß ich wie vielen, Umzugskartons überseht war.
Ich legte meinen Kopf in meine Hände und fing an zu weinen. Ja, ich war schon echt ne Heulsuse. Aber ich wollt nich von hier weg. Hier hatte ich schon mein ganzes Leben verbracht.
Es war zum Kotzen.
Krach! Dong! Klöter! Knirsch!
Erschrocken setzte ich mich im Bett auf und mein Blick fiel auf den Wecker.
Acht Uhr!!!!!
Es ist Samstagmorgen und ich bin wach!
Entschlossen den Schuldigen dafür zu finden und in die Hölle zu verbannen, quälte ich mich aus dem Bett und öffnete meine Zimmertür.
Okay, Schuldigen gefunden.
And the winner is....
Mein Vater.
"Dad, alles in Ordnung?", fragte ich ihn halb besorgt udn halb hoffend, dass er schreckliche Qualen litt, weil er mich so früh geweckt hatte.
"Ach. alles okay", kam es aus einem Gewühl von allem möglichem Krimskrams.
Anscheinend war mein Vater unter dem Gewicht der unzähligen Kartons und Tüten zusammengeklappt und die Treppe runter gefallen. Würde zumindest die Geräusche und die Tatsache, dass von ihm nur ein Arm und ein Bein (der Rest war verdeckt von irgendwelchen Sachen, von denen ich hätte schwören können, dass sie nicht uns gehörten) zu sehen waren erklären.
Immer noch mit schlechter Laune tapste ich die Treppe runter und half ihm, sich aus dem Berg zu befreien.
Zwar hätte ich es ihm gegönnt unter dem Schrott zu versauern, aber vielleicht wurde mein Heldenmut ja irgendwie belohnt. Unwahrscheinlich, aber man wird ja wohl noch träumen dürfen oder?
Irgendwann war ich dann eingeschlafen.
Aber früh morgens kam ja auch schon meine Mum in lautstark in mein Zimmer gestürmt.
"Francis?!", ich hasste es so, immer fiepte sie meinen Namen so abartig, ey, das nervte total.
"Was ist denn?!", murmelte ich verschlafen.
"Steh auf, die Umzugsfirma ist da und wird nun die ganzen Sachen einladen.", sagte sie aufgeregt.
"Mhm.....", ich wollte nich. Alle sollten mich einfach nur in Ruhe lassen.
"Steh sofort auf!", sie zog mir die Decke weg, also musste ich gezwungenermaßen aufstehen. Blöde Kuh!
"So, du fährst jetz mit deinem Fahrrad zu Jochen und sagst, dass hier schon alles eingeladen wird und wir bald kommen!", wies sie mich an.
"Was? Ich will aber nich...", jammerte ich.
"Hör auf zu jammern und tu was ich dir sage, verdammt und beeil dich, wir haben nich ewig Zeit!", maulte sie rum.
Verdammt, f*** dich doch. Oh mein Gott, sowas aus meinen Munde...wie kann ich nur...ok, ich hab's ja nur gedacht, also was soll's?! Sie geht mir halt einfach nur tierisch auf die Nerven.
"Ich mach ja schon...", sagte ich genervt und verdrehte die Augen.
"Verdreh gefälligst nich die Augen...du bist sowas von frech, echt unglaublich!", meckerte sie rum.
Jaja, ich bin sowas von schrecklich, ich weiß.
Ich machte mich schnell fertig, sprang auf mein Bike und fuhr los. Nich, dass ihr euch wundert, meine Mum hat mir natürlich eine sehr detaillierte Wegbeschreibung gegeben.
Ich kam an meinem Ziel an, stellte mein Bike ab und klingelte.
Na super!
Welcher Idiot (oder Frühaufsteher, was ja eigentlich aufs Gleiche hinausläuft) kommt auf die Idee morgens um ACHT bei uns zu klingeln?
Ich öffnete die Tür udn wollte schon dazu ansetzen den, der da stand, mit wenig freundlichen Worten zu empfangen, als ich sah wer das war.
Da stand doch tatsächlich das missverstandene Kaninchen, alias Pseudoflummi, alias Zwerg, alias Wicht, alias Brüderchen in spe, alias Francis.
Was auch immer der hier wollte, ich hatte das vage Gefühl das es mir nicht gefallen würde und wie a schon erwähnt besitze ich eine geniale Intuition.
"Hi."
Wow, manchmal war ich noch dazu ein Sprachgenie.
"Hi.", sagte ich zurück.
"Ich soll nur Bescheid sagen, dass die Umzugsfirma grad unsere Wohnung auseinander nimmt und die bald hier anfahren werden.", sagte ich etwas genervt.
Hinter ihm sah ich seinen Vater langstolpern, der irgendwelchen Krimskrams von A nach B trug.
Als er mich sah, stoppte er kurz und begrüßte mich.
"Ah Francis, du bist es." Blitzmerker!
"Ist die Umzugsfirma schon bei euch?", fragte er.
Warum muss ich eigentlich alles doppelt und dreifach erzählen?!
"Ja, sind sie. Werden wohl bald hier ankommen."; verklickerte ich ihm nochmal.
"Ah toll!", freute er sich.
Ja, sehr toll...
Na wunderbar.
Vorbei mit der himmlischen Ruhe.
Wie konnte man sich darüber nur freuen? Manchmal zweifelte ich wirklich an der geistigen Zurechnungsfähigkeit meines überaus klugen Vaters.
Aber ändern konnte man jetzt ja wohl nichts mehr.
Ich seufzte, setzte mein Zahnpastagrinsen auf und wandte mich wieder an das kleine Etwas vor der Tür.
"Bleibst du gleich hier und wartest oder musst du wieder zurückfahren.
Ich würde eindeutig die zweite Variante bevorzugen.
Gott, wie konnte man nur so falsch lachen?! Das war ja echt nich zum Aushalten.
Eigentlich musste ich nich noch mal zurück, aber hier bleiben, wollt ich sicher nich.
"Ich muss nochmal zurück.", sagte ich gelangweilt und sprang auch schon wieder auf mein Bike.
Nach hause wollte ich nich, ich fuhr einfach nur umher und mir die leichten Wind durch die Haare wehen.
Ich glaub, ich fuhr stundenlang einfach nur rum.
Juhu, er ging doch tatsächlich noch mal.
Also konnte ich noch ein bisschen die Ruhe vor dem Sturm genießen, bevor ungefähr eine Viertelstunde später Anna und die Umzugshelfer vor der Tür standen.
"Hallo Leon, bist du so nett und hilfst uns? Und sag mal, wo ist Francis?"
Ja huch, da hatte sich wohl jemand auf dem Heimweg verfahren. So wie ich Anna einschätzte, würde der wohl ganz schön Ärger bekommen. Vielleicht sollte ich mal eine meiner unglaublich guten Lügen auspacken.
"Ähm, ich musste noch etwas zur Post bringen und naja....er meinte, er würde das schon machen, weil er ja schon angezogen war und alles, aber wir haben nicht bedacht, dass er sich hier nicht auskennt. Also wird er sich wohl verfahren haben."
Achja, war ich nicht einfach genial? Man sah ihr an, dass sie mir glaubte, aber bevor sie nicht doch noch irgendeine blöde Frage stellen konnte, beeilte ich mich lieber dabei, den Helfern zu helfen.
Ha! Witzig oder? Ich helfe den Helfern.
Vielleicht sollte ich doch lieber Comedian werden.
Aber das musste ja zum Glück noch nicht jetzt entschieden werden.
Langsam sollte ich mich wohl auf den 'Heimweg' machen.
Wähä, ich will nich!
Aber jetz konnt ich eh nichts mehr machen.
Verdammt! Wo war ich überhaupt?!
Na toll, ich hatte mich komplett verfahren. Das fehlte mir noch. Und hier draußen war alles wesentlich größer, als in diesem Einkaufszentrum letztens. Ich war eindeutig verloren.
Ich drehte einfach um und hoffte, dass ich die ganze Zeit nur geradeaus gefahren bin, dann konnte ich es ja wohl kaum verfehlen.
Leider waren meine Hoffnungen umsonst und ich fand mich im Nichts wieder. Na das konnte ja heiter werden. Meine Mum bringt mich um, wenn ich nich vorher schon vor Nahrungsmangel sterbe.
So langsam könnte der aber wirklich mal wieder auftauchen.
Schließlich war es dann doch ziemlich unwahrscheinlich, das man vier Stunden zur Post und zurück brauchte, selbst wenn man sich ein dutzend Mal verfahren hatte.
Aber das war jetzt nicht mehr mein Problem. Ich hatte schließlich mein Bestes getan um ihm zu helfen, auch wenn ich nicht wusste warum ich das überhaupt gemacht hatte.
Naja, nannten wir es mal Solidarität unter zukünftigen Stiefgeschwistern oder ganz einfach Nächstenliebe.
An dieser Stelle muss ich einfach noch mal erwähnen, was für ein toller Mensch ich doch bin. Nett, witzig, intelligent und dazu noch gut aussehend. Einfach perfekt eigentlich, wenn man von einigen ganz kleinen Mängeln absah.
Aber ich war mir ziemlich sicher, dass man sich schwer tun würde, jemand besseren als mich zu finden.
Und wenn das jetzt irgendwie eingebildet klingt, hey ich hab doch auch allen Grund dazu, immerhin bin ich genial.
Nur an meiner Fitness sollte ich vielleicht mal ein bisschen arbeiten, denn nachdem ich etliche Male mit Kartons und Teilen von Möbelstücken die Treppe raufgerannt war, keuchte ich doch ganz schön.
Der Zwerg sollte mir dankbar sein. Er kurvte in der Gegend rum, während ich seine Sachen schleppte.
Total verzweifelt setzte ich mich auf eine Bank. Ja, ich brauchte auch mal ne Pause.
Ich guckte mir die Gegend nochmal ganz genau an und hoffte, dass ich mir mit meinem Fotografischen Gedächtnis irgendwas gemerkt hab. Zu meinem eigenen Bedauern musste ich feststellen, dass ich echt keinen Schimmer hatte, wo ich war. Außerdem hatte ich tierischen Hunger.
Total verzweifelt saß ich auf der Bank und ich muss wirklich verzweifelt ausgesehen haben, denn plötzlich hört ich ein "Hast du dich verlaufen?".
Ich guckte hoch...naja, so hoch auch nich, eine, mindestens 1000 Jahre alte Oma stand vor mir.
"Äh ja.", antwortete ich.
"Na sowas.", war ihre Reaktion da drauf.
'Na sowas'?! War das alles. Oh nein, sie holte nur Luft.
"Wo willst du denn hin?", fragte sie nach ihrer langen Atempause. Ich erklärte es ihr schnell und sie zeigte mir langsam den Weg.
Nett, wie ich war bedankte ich mich bei ihr und machte mich auf den Weg, welcher übrigens nich mehr weit war, ich musste nur um eine Ecke fahren, schon war ich da.
Total erschöpft kam ich da an und klingelte.
