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Licht und Schatten

von

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6. Kapitel

„Was suchen Sie denn schon wieder hier?“

Spencer wirkte alles andere als begeistert, als die beiden Winchester-Brüder an diesem frühen Nachmittag vor seiner Tür auftauchten. Er schnaubte empört und wollte ihnen glatt wieder den Zugang vor der Nase versperren, doch Dean hatte keinerlei Lust auf irgendwelche Spielchen und drängte sich unverschämt ins Haus.

Spencer ließ daraufhin eine Schimpftirade los, die sich gewaschen hatte, zeterte etwas von der respektlosen Jugend und dem Verfall der Manieren, was Dean aber nicht im Geringsten kümmerte. Hätten sie nicht ein paar Antworten von diesem alten Mann gebraucht, hätte er Spencer wahrscheinlich einfach die Faust ins Gesicht gedonnert, um das Gemeckere zu beenden.

„Ist Ihnen etwa wieder Ihre dämliche Katze abhanden gekommen?“, fragte Spencer erbost. „Sie sollten wirklich besser auf das Vieh aufpassen.“

Dean verzog das Gesicht. Er wurde nicht gerne an Mrs. Lovely erinnert. „Darum geht’s uns nicht“, erwiderte er. „Wir müssen mit Ihnen reden.“

„Und worüber, verdammt noch mal?“ Spencer wäre vermutlich im Dreieck gesprungen, hätte das seine körperliche Verfassung zugelassen. „Ich sollte am besten die Polizei holen, Hausfriedensbruch wird hier wirklich nicht gerne gesehen.“

Auch Sam trat nun in den Hausflur und schloss die Tür hinter sich. „Es geht um etwas sehr wichtiges“, sagte er ernst. „Und zwar um das Ding in Ihrem Keller und um die Zwillingsschwestern.“

Spencers Gesichtzüge entgleisten bei dieser Aussage völlig. Zuvor noch rasend vor Wut mit einem hochroten Kopf, wich nun jegliche Farbe aus seinem Gesicht und er sah plötzlich aus wie eine Leiche. Er torkelte etwas unbeholfen zurück und wäre wahrscheinlich über ein Paar Schuhe gestolpert, hätte Sam ihn nicht beherzt am Arm gepackt.

„Hören Sie zu, Mr. Spencer, wir haben nicht die geringste Ahnung, was hier eigentlich vorgeht, aber wir hoffen, dass Sie uns vielleicht weiterhelfen können. Wir brauchen alle Informationen, um die Mädchen aufzuhalten.“

Das Bild der lachenden Amy, wie sie vergnügt mit ihrem Ball spielte, verdrängte Sam, so gut es ging.

„Auf-aufhalten?“ Spencer schien vollkommen fassungslos zu sein. Ungläubig musterte er die beiden und wusste augenscheinlich nicht, was er von der ganzen Sache halten sollte.

„Ganz genau, wir wollen sie aufhalten“, bestätigte Dean nickend. „Und jetzt stellt sich für uns die Frage, ob Sie uns helfen oder uns im Weg stehen wollen? Sie haben die Wahl.“
 

Spencer bewegte sich mehr schlecht als recht in Richtung Wohnzimmer. Wie in Zeitlupe ließ er sich auf der Couch nieder, während er dabei kein einziges Mal die Brüder aus den Augen ließ.

„Woher … woher wissen Sie davon?“, fragte er stockend.

„Ist das wichtig?“, erwiderte Dean, dem seine Ungeduld schon deutlich anzumerken war. Nachdem ihnen Alyssa bereits zum zweiten Mal ein Schnippchen geschlagen hatte, war seine Stimmung auf einen absoluten Tiefpunkt gesunken. Er musste dringend etwas vernichten, ansonsten würde er wahrscheinlich noch selbst explodieren.

„Sie sollten besser gehen, solange Sie noch die Chance dazu haben“, meinte Spencer, immer noch mit etwas zittriger Stimme. „Ich will wirklich nicht, dass Unschuldige darin verwickelt werden.“

Dean rollte mit den Augen und war offenbar kurz davor, seine Waffe zu ziehen und sie dem alten Mann auf die Stirn zu pressen, damit er endlich mit den ersehnten Antworten herausrückte. Und obwohl Spencer die Anspannung des älteren Bruders deutlich spüren musste, unternahm er keinerlei Erklärungsversuch, um Dean ein wenig zu besänftigen.

„Na fein, dann gehen wir einfach in den Keller und schauen nach!“, entschied Dean.

Diese Worte brachten wieder Leben in Spencers Körper. Aufgeschreckt sprang er auf und griff nach Deans Arm, bevor dieser überhaupt die Gelegenheit erhielt, sich in Richtung Küche zu drehen.

„Tun Sie das bitte nicht!“, flehte er geradezu. „Dort unten …“

„Was?“ Dean musterte ihn abwartend. „Haben Sie dort unten etwa eine Leiche versteckt?“

„Selbstverständlich nicht!“, entrüstete sich Spencer. „Wofür halten Sie mich?“

„Für einen starrsinnigen Dickkopf!“, zischte Dean. Unsanft packte er Spencer am Oberarm und zerrte ihn hinter sich her, die heftigen Proteste völlig ignorierend. Sam folgte den beiden wortlos. Er begrüßte Deans ruppige Methode zwar nicht sonderlich, aber wenn er ehrlich zu sich war, hatte er diese Rätselraterei ebenso satt wie sein Bruder. Und mit netten Worten schien man bei Spencer offenbar nicht viel erreichen zu können.

Als Dean die Tür aufstieß, die in den dunklen Keller führte, lief Sam ein kalter Schauer über den Rücken. Ohne Zweifel, dort unten befand sich irgendwas Übernatürliches.
 

„Wo ist der Lichtschalter?“, fragte Dean barsch.

Spencer jedoch antwortete nicht, er starrte nur wie benommen in die Finsternis des Kellers, während er seinen Kopf schüttelte und irgendwas leise vor sich hin flüsterte. Sam erkannte, dass er sich nicht davor fürchtete, entlarvt zu werden, sondern dass er geradezu höllische Angst vor diesem Ding dort unten hatte, dem er offensichtlich nicht zu nahe kommen wollte. Schon als Dean ihn auf die erste Stufe zerrte, verkrampfte sich sein Körper zusehends.

Sam zog seine Waffe hervor. Er hatte sie mit Steinsalzpatronen gefüllt, während Dean eine mit eiserner Munition trug. Da sie nicht wussten, was sie dort unten erwartete – Dämon, Geist oder auch irgendwas anderes – waren sie vorsichtshalber auf Nummer sicher gegangen und hatten sich auf alle Eventualitäten vorbereitet.

Schließlich fand Dean nach längerem Abtasten der Wand der Lichtschalter. Unten glomm eine schwache Glühbirne auf, die zwar wirklich nicht allzu viel Helligkeit spendete, es einem aber wenigstens ermöglichte, die Hand vor Augen zu sehen.

Die Waffe gezückt und aufs höchste angespannt, ging Dean als erster die Treppe hinunter, Spencer hinter sich herziehend. Die Stufen knarrten bedenklich unter ihren Schritten, sodass man schon fast hätte befürchten müssen, dass sie im nächsten Moment zusammenbrach.

Doch sie hielt stand und alle drei kamen unbeschadet im Keller an.

Sam ließ seinen Blick schweifen. Es handelte sich um einen einzigen, größeren Raum, der mit allerlei Zeug voll gestellt war, was man auch in vielen anderen Kellern finden konnte. Kisten, Regale voller alter Geräte und Dinge, die man nicht mehr brauchte, Gartenwerkzeug und …

Sam schnappte entsetzt nach Luft, als seine Aufmerksamkeit sich nach rechts richtete. Auch Dean entdeckte es sofort und keuchte erschrocken auf.

So was hatten sie noch nie gesehen.

Ein Ungeheuer in einem Keller.
 

Was es genau war, vermochte Sam nicht mal ansatzweise zu ermitteln. Zumindest war es ein riesiges Ungetüm etwa von der Größe eines Pferdes, jedoch bei weitem nicht mit solch einer eleganten Statur, sondern vielmehr grobschlächtig. Es hatte vier Beine, einen langen Schwanz, der Sam unwillkürlich an einen spitzen Speer denken ließ, und seine Haut wirkte irgendwie schuppig, während sein mächtiger Schädel mit allerlei Hörnern und Dornen versehen war.

Die glühend goldenen Augen des Ungeheuers nahmen die Besucher interessiert ins Visier. Fast schon gelassen lag es auf dem Boden und rührte sich keinen Zentimeter. Für einen kurzen Moment beschlich Sam die irrwitzige Hoffnung, dass es sich bei dem Ding nur um eine absonderliche Statue handeln könnte, aber als das Ding ein wenig seinen massigen Kopf drehte und leicht blinzelte, verflüchtigte sich dieser Gedanke sofort wieder.

„Meine Güte!“ Dean fand als erstes seine Stimme wieder. Vollkommen fassungslos starrte er das riesige Geschöpf an. „Was … was ist das?“

Sam konnte nur ahnungslos die Schultern zucken. Ein Werwolf oder Wendigo war es schon mal nicht, dafür war es einfach viel zu groß. Vielleicht einer dieser ominösen Höllenhunde? Immerhin hatte es eine vage Ähnlichkeit mit einem Hund.

Sams Blick glitt auf den Boden unter diesem Ungetüm und er bemerkte überrascht, dass dort etwas Weißes hervorstach. Bei näherer Betrachtung erkannte er, dass es eine Art Pentagramm aus Kreide war, das sich um das Tier zog. Verstärkt war das Ganze offenbar noch durch eine dicke Schicht Salz.

„Es ist ein Gefangener“, stellte er erstaunt fest. Dean schaute ihn einen Augenblick verwirrt an, dann aber registrierte er auch die Kreidestriche auf dem Fußboden.

Sam wandte sich an Spencer. Augenscheinlich war das Ungeheuer gut gesichert und bedeutete keine akute Gefahr, sodass er es sich leisten konnte, sich einen Moment wegzudrehen. Er behielt das Ding aber immer noch im Augenwinkel.

„Was haben Sie getan?“, fuhr Sam den alten Mann an. „Warum ist dieses … dieses Ding hier unten? Haben Sie es etwa beschworen?“

Spencer öffnete den Mund und wollte offenbar zu einem trotzigen Protest ansetzen, dann aber senkte er den Kopf und meinte beklommen: „Ja, das habe ich.“

Sam konnte nur entsetzt den Kopf schütteln. „Und warum, verdammt noch mal? Was wollten Sie damit bezwecken?“

Der vorwurfsvolle Tonfall schien Spencer sehr zu treffen. Mit harter Miene schaute er Sam direkt in die Augen und sagte kalt: „Das war ganz gewiss nicht meine Absicht. Ich war jung und ich wusste nicht, was ich tat. Ich hasse mich jeden Tag dafür, dass ich diese Bestien auf die Welt losgelassen habe, da können Sie sich ihre Vorträge ruhig sparen!“

Sam horchte auf. „Diese … Bestien? Sie meinen …?“

„Ja“, gab Spencer zu. „Die Mädchen und dieses Vieh dort. Ich war es, der sie hergeholt hat.“
 

Dean hatte sich inzwischen vorsichtig dem Geschöpf genähert, seine Waffe fest in Griff und jederzeit bereit, sich zu verteidigen, sollte es nötig sein. Angewidert musterte er das Tier, das sich offenbar nicht davon stören ließ. Es gähnte sogar einmal herzhaft und entblößte dabei eine Reihe rasiermesserscharfer Zähne, die selbst einen Hai neidisch gemacht hätten. Beim Anblick dieses stattlichen Gebisses trat Dean hastig wieder einige Schritte zurück.

„Ihr seid sicher, dass das Vieh da nicht rauskommen kann?“, fragte er alarmiert.

„Ganz sicher“, versprach Spencer zuversichtlich. „Es hockt schon seit fünfzehn Jahren dort drin. Keine Bange, solange Sie das Siegel nicht anrühren, wird sich daran so schnell auch nichts ändern.“

Dean nickte, wirkte aber trotzdem nicht sonderlich überzeugt. Er nahm Sam die Plastikflasche mit Weihwasser ab, die dieser mit sich getragen hatte, und drehte sie auf, während er weiterhin misstrauisch das Geschöpf beäugte.

„Jetzt erzählen Sie schon, was soll das Ganze?“, verlangte Sam zu erfahren. „Warum sitzt dieses Monster in Ihrem Keller? Und wieso haben Sie diese Dämonen beschworen?“

Spencer ließ sich ächzend auf eine Treppenstufe sinken und fuhr sich seufzend durchs Haar. „Ich war … verzweifelt, verstehen Sie? Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Justin war das Wichtigste in meinem Leben, ich wollte ihn doch nur wieder zurück.“

Sam begriff nicht wirklich, wovon der alte Mann sprach. „Am besten erzählen Sie alles von Anfang an, damit wir die ganze Geschichte verstehen können.“

Spencer schloss die Augen. In dem schwachen Licht wirkte er müde und kränklich. „Es geschah vor fünfzehn Jahren. Alles war damals perfekt. Meine Frau hatte gerade erfolgreich eine schwere Krankheit besiegt, mein Sohn hatte seine erste Freundin und ich stand kurz davor, befördert zu werden. Alles lief wie am Schnürchen. Und dann …“ Spencer brach ab, schluckte schwer.

Das Geschöpf hatte inzwischen begonnen, sich ein wenig zu bewegen. Erst richtete es sich ein bisschen auf, dann versuchte es sogar, sich aufzurappeln, aber offenbar waren seine Gliedmaßen von der langen Gefangenschaft ziemlich eingerostet. Nur mit Mühe und einem Keuchen und Ächzen, dass es einem dabei eiskalt den Rücken herunterlief, schaffte es das Tier, sich wieder einigermaßen aufzurichten. Es setzte sich auf die Hinterläufe und musterte sie weiterhin neugierig von oben herab. Die umstehenden Menschen hatten die ganze Prozedur mit großer Anspannung mitverfolgt.
 

Als sich das Ungetüm allmählich wieder beruhigte, fuhr Spencer mit seiner Geschichte fort: „Es war ein betrunkener Autofahrer. Schon seit jeher habe ich Leute, die sich angetrunken hinter ein Steuer setzen, für ihre Verantwortungslosigkeit zutiefst verachtet. Man liest es ja dauernd in den Zeitungen, aber … ich hätte nie gedacht, dass es mir auch passieren könnte.“ Spencers Stimme zitterte. „Justin hat draußen in unserer Einfahrt Basketball gespielt. Und dieser Mistkerl von Autofahrer … als er die Kontrolle über seinen Wagen verlor, hat er nicht mal gebremst. Justin hatte nicht den Hauch einer Chance.“

Sam erinnerte sich vage, bei seinen Recherchen über verstorbene Kinder auch den Namen ‚Justin Spencer’ gelesen zu habe. Er hatte wegen der Namensähnlichkeit kurz gestutzt, aber sich nichts weiter dabei gedacht, da es sich erstens um einen Jungen gehandelt hatte und somit kaum ein Bezug zu Alyssa logisch erschienen war und zweitens Justin außerdem mit seinen sechzehn Jahren völlig aus dem Altersraster gefallen war. Sam hatte dem Jungen keine weitere Beachtung geschenkt, nun jedoch bereute er es. Sie hätten wahrscheinlich schon viel früher etwas über die Zwillinge erfahren, wären sie dieser Spur nachgegangen.

„Ich habe es nicht ertragen.“ Spencers Augen wurden feucht. Auch noch nach all dieser Zeit schmerzte ihn der Tod seines Sohnes anscheinend sehr. „Ich konnte es einfach nicht akzeptieren, dass er nie wieder zurückkommen sollte. Und darum habe ich … dieses alte Buch meines Großvaters benutzt. Voller Zaubersprüche oder wie man das auch immer nennen soll.“

Sam nickte knapp. Es war nicht gerade selten, dass unbedarfte Leute irgendwelche Beschwörungsformeln aufsagten und damit Kräfte entfesselten, die sie nicht zu kontrollieren vermochten.

„Ich wollte doch nur meinen Sohn zurück“, sprach Spencer mit belegter Stimme weiter. „Meine Frau war dagegen, aber sie konnte mich nicht umstimmen. Nichts und niemand konnte mich umstimmen.“ Er schwieg einen Moment, seufzte schwer. „Also standen wir eines Tages hier unten und ich Idiot rezitierte diese lateinische Formel. Doch anstatt Justin tauchten diese beiden Mädchen und das Ungetüm dort drüben auf.“

Er deutete mit verzogenem Gesicht auf das Tier, welches wiederum davon keinerlei Notiz nahm, sondern stattdessen interessiert eine Fliege beobachtete, die um die Glühbirne summte.

„Dieses … dieses Ungeheuer … es griff ohne jede Vorwarnung meine Frau an. Es brach ihr das Genick, während die Mädchen schadenfroh lachten. Wie kleine Teufel.“ Spencer verkrampfte seine Hände zu Fäusten. „Ich … ich wusste nicht, was ich tun sollte. Für einen Moment erwog ich, einfach nur davonzulaufen, aber ich tat es nicht. Hätte ich dieses Biest etwa meine Frau zerfleischen lassen sollen? Also habe ich den erstbesten Fluch ausprobiert, den ich in der Hektik in dem Buch gefunden habe.“

Sam nickte verstehend. „Der Fluch von Licht und Schatten“, murmelte er. Demnach hatte Spencer den beiden Mädchen diesen Fluch angehängt. Wenigstens Alyssa musste einen gewaltigen Hass auf diesen Mann verspüren. Bei Amy war Sam sich nicht sicher, ob sie überhaupt so etwas wie Hass empfinden konnte …
 

„Ich … ich hatte keine Ahnung, was ich angerichtet hatte“, fuhr Spencer fort. War er anfangs noch so verschlossen gewesen, sprudelte nun die ganze Geschichte regelrecht aus ihm heraus. Er hatte wohl schon lange darauf gewartet, sich dies von der Seele reden zu können. „Es war plötzlich so furchtbar hell, die Mädchen schrien fürchterlich, die Bestie jaulte wie verrückt. Und dann waren die beiden Teufelskinder verschwunden und dieses … dieses Monster lag bewusstlos auf dem Boden. Ich kann nicht genau sagen, was passiert ist, aber ehrlich gesagt war es mir auch ziemlich egal. Ich habe einfach schnell diesen Kreis um das Biest gezogen, so wie ich es Tage zuvor noch in dem Buch irgendwo gelesen hatte.“

„Und seitdem lebt dieses Vieh hier unten?“ Dean warf Spencer einen Blick zu, der nur schwer zu deuten war. Einerseits war er extrem angewidert, das konnte man deutlich sehen, dennoch schien er auch so etwas wie Bewunderung für den alten Mann übrig zu haben. Nicht jeder hielt es fünfzehn Jahre mit einem Monster im Keller aus, ohne verrückt zu werden.

Spencer nickte schwach. „Es kommt mir vor wie Ewigkeiten. Ich kann mich nicht mal mehr an die Zeit erinnern, an dem dieses Monster nicht in meinem Keller gewesen ist. Heute ist es für mich unvorstellbar, dass es eine Zeit gab, als ich unbedenklich hier herunter kommen konnte, ohne von einem mörderischen Höllentier beobachtet zu werden.“

„Und warum sind die Mädchen nie zurückgekommen, um ihren kleinen Freund zu holen?“, wunderte sich Dean. „Wieso müssen sie irgendwelche Menschen schicken?“

Ein trauriges Lächeln bildete sich auf Spencers Gesicht. „Weil ich eine Art Schutzbann um das Grundstück errichtet habe. Solange ich hier drinnen bin, können sie mir nichts antun.“

Dean starrte ihn erstaunt an. „Sie hocken seit fünfzehn Jahren in diesem Haus fest?“ Für ihn musste das der Albtraum schlechthin sein. Binnen weniger Tage wäre er vermutlich vor Langeweile eingegangen.

„Ich hatte keine Wahl“, meinte Spencer seufzend. „Ich wusste, sie sind irgendwo dort draußen und warten nur auf mich. Einzig zur Beerdigung meiner Frau habe ich mich vor die Tür gewagt und prompt habe ich auf dem Friedhof eines der Mädchen gesehen, wie es mit einem Ball gespielt und mir lächelnd zugewunken hat. Glauben Sie mir, allein ihr Anblick hat mir einen Riesenschreck eingejagt. Auf jeden Fall ist es mir eine Lehre gewesen und ich kann nur froh sein, dass das Mädchen mich nicht angegriffen hat.“

Nach Spencers Beschreibung war es offenbar Amy gewesen, die er getroffen hatte. Alyssa wäre sicherlich nicht so fahrlässig gewesen und hätte den Mann ohne weiteres gehen lassen.
 

„Sagen Sie, haben Sie je versucht, dieses Ding umzubringen?“ Dean deutete mit der Mündung seiner Waffe auf das Tier, das nun alarmiert den Kopf hob. Entweder machte ihn die Pistole nervös oder unter Umständen hatte es Deans Worte auch bestens verstanden. Mit undeutbarer Miene musterte das Wesen die Anwesenden.

„Ähm, nun ja … schon irgendwie“, meinte Spencer zögerlich. „Ich habe ihm seit fünfzehn Jahren beispielsweise kein Wasser oder etwas zu Fressen gegeben. Ich hatte eigentlich gehofft, es würde einfach irgendwann eingehen, aber wie Sie sehen können, ist es noch quicklebendig.“ Er spähte kurz zu dem Geschöpf hinüber, wich dann aber sofort wieder hastig seinem Blick aus. „Na ja, es ist zumindest ruhiger geworden. Die ersten Tage und Monate hat es einen ganz schönen Radau angerichtet. Ich musste den ganzen Keller schalldicht verkleiden, sonst hätten meine Nachbarn sicher irgendwann die Polizei gerufen.“

„Und sonst haben Sie nichts versucht?“, erkundigte sich Dean. Er schien es augenscheinlich sehr zu missbilligen, dass Spencer das Monster, das seine Frau umgebracht hatte, einfach so am leben gelassen hatte. Dean selbst hätte natürlich sofort kurzen Prozess mit dem Wesen gemacht, er verkannte dabei aber des öfteren, dass nicht alle Menschen zum Töten geboren waren.

„Ich … ich habe mir vor vielen Jahren von unserem Pfarrer etwas Weihwasser bringen lassen“, erklärte Spencer. „Es hat extrem empfindlich darauf reagiert, es hat gejault wie ein sterbender Wolf. In dem Zustand hätte ich es wahrscheinlich erschießen können. Aber … ich konnte es einfach nicht.“ Er ließ den Kopf hängen und seufzte schwer. „Ich hasse mich selbst dafür, aber ich konnte seine Schreie einfach nicht ertragen. Ich bin kein Mörder, verstehen Sie?“

Dean lag offenbar irgendein passender Kommentar auf den Lippen, aber nach einem gestrengen Blick seitens Sams schluckte er ihn herunter.

„Ich bin schwach und feige, das ist mir durchaus bewusst.“ Spencers Hände begannen, zu zittern. „Ich hätte diese Bestie schon vor Jahren töten können, doch mein dummes Gewissen hat mich davon abgehalten. Ich weiß, es ist jämmerlich, aber ich konnte nichts dagegen tun.“

„Es ist ganz gewiss nicht jämmerlich“, versuchte Sam, den aufgelösten Mann wieder etwas zu beruhigen. „Es ist nur menschlich.“

Spencer betrachtete ihn wenig überzeugt, dennoch schien er für die tröstenden Worte dankbar zu sein. „Ich habe mir immer wieder eingeredet, dass es im Grunde nur ein Tier ist, das ohne jede Vorwarnung aus seiner vertrauten Umgebung gerissen wurde und dann verständlicherweise in Panik verfiel. Uns würde es wahrscheinlich nicht anders ergehen, wenn uns so etwas passieren würde. Aber … aber eigentlich sind das nur dumme Ausreden.“
 

Dean hatte einen bedeutungsvollen Blick auf die Flasche mit Weihwasser in seiner Hand geworfen. „Nun, wenn Sie dieses Vieh nicht umbringen können … wir können es schon.“

Spencer schaute auf, in seinem Gesicht spiegelten sich die unterschiedlichsten Gefühle wider. Überraschung, Erleichterung, aber auch so etwas wie Widerwillen. Er wusste wohl im ersten Augenblick einfach nicht, was er davon halten sollte.

„Sie … Sie wollen wirklich …?“ Ungläubig sah er von einem zum anderen.

„Sicher.“ Dean hob demonstrativ die Flasche in die Luft. „Das ist eine unserer leichtesten Übungen. Normalerweise sind die Dämonen, hinter denen wir her sind, sogar noch auf freiem Fuß. Im Grunde kann man das hier als ziemlich langweilig beizeichnen.“

Das Ungetüm hatte seine Aufmerksamkeit auf die Flasche gerichtet. Anscheinend wusste es ganz genau, was sich in deren Inneren befand. Ein leichtes Grollen war aus der Kehle des Tieres zu hören.

„Dean, vielleicht sollten wir es nicht überstürzen“, meinte Sam zögernd. „Wir wissen doch gar nicht, womit wir es zu tun haben. Wir sollten –“

„Ach Quatsch!“, unterbrach Dean ihn. „Was gibt’s da noch großartig nachzudenken? Das Vieh reagiert empfindlich auf Weihwasser und so eine nette Eisenkugel wird ihm sicherlich auch nicht gut bekommen. Im Handumdrehen hätten wir das Problem gelöst.“

Zur Veranschaulichung schleuderte er ein paar Tropfen des Wassers auf das Tier … und die Reaktion war verheerend. Seine schuppige Haut begann sofort, zu qualmen, während das Ungetüm einen Schmerzensschrei ausstieß, der ihnen allen das Trommelfell vibrieren ließ. Das Gebrüll war dermaßen ohrenbetäubend, dass Sam für einen Augenblick wirklich dachte, dass seine Gehörgänge platzen und er für immer und ewig taub sein würde.
 

„Lassen Sie das!“ Spencer war zu Dean gestürmt und hatte dem von dem tosenden Lärm ebenfalls erschrockenen Winchester die Flasche aus der Hand geschlagen, sodass sie zu Boden fiel und einen Teil ihres Inhalts auf Deans Schuhen spritzte. „Wollen Sie etwa, dass von dem Geheule das ganze Haus einstürzt?“

Zwar von der unerwarteten Lautstärke immer noch etwas benommen, wandte sich Dean mit zorniger Miene an den älteren Mann. Er hatte es noch nie besonders leiden können, wenn man ihm ungefragt in die Quere gekommen war. „Was soll das?“, zischte er aufgebracht. „Sie können doch nicht so einfach dazwischenfunken! Hätten Sie das auch getan, wenn ich vorgehabt hätte, mit einer Waffe zu schießen?“

Während die beiden weiter stritten, wand sich das Tier winselnd und jammernd in seinem Gefängnis. Seine goldenen Augen funkelten vor Wut und Schmerz. Auch Sam verspürte bei diesem Anblick so etwas wie Mitleid und konnte verstehen, wieso es Spencer all die Jahre trotz alledem nicht übers Herz gebracht hatte, dieses Wesen umzubringen.

Sein Blick glitt hinunter zu der Plastikflasche am Boden … um im nächsten Moment erschrocken die Augen aufzureißen!

„Dean!“, schrie er.

Aber sein Bruder und Spencer waren immer noch damit beschäftigt, zu entscheiden, wer von ihnen nun Recht hatte. Ihre Lautstärke konnte sich inzwischen fast schon mit dem qualvollen Gebrüll des Geschöpfes von vorhin messen.

„Ihr Bruder hat ganz Recht, Sie sollten nicht so unüberlegt handeln!“, meinte Spencer soeben erbost. „Was fällt Ihnen überhaupt ein? Dieses Ding da ist immer noch mein Problem und ich erlaube nicht, dass Sie sich ohne meine Erlaubnis hier einmischen! Sie werden es nur wütend machen!“

„Wollen Sie etwa, dass dieses Monster die nächsten fünfzehn Jahre weiterhin in Ihrem Keller haust?“, fauchte Dean aufgebracht. „Es dauert nicht mal zwei Minuten, dann wäre dieses Ding ein für allemal tot! Sagen Sie bloß, das wäre nicht in Ihrem Interesse?“

„DEAN!“, brüllte Sam nun regelrecht.

Sein Bruder seufzte genervt auf. „Was ist denn, Sammy? Du störst!“

„Schau auf den Boden!“

Dean folgte der Anweisung … und auch ihm gefroren die Gesichtzüge. Er sah die Flasche Weihwasser auf dem Boden liegen, deren Inhalt sich zum Teil auf dem Boden verteilt hatte. Langsam, ohne dass es irgendwer bemerkt hätte, war etwas Wasser langsam über den leicht unebenen Boden geflossen …

… und hatte sich mit der Kreide und dem Salz vermischt, das das Wesen in Schach halten sollte.

Der Kreis war damit gebrochen und nach endlosen Jahren nun wieder völlig unwirksam.

Dean verzog sein Gesicht. „Oh Nein!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2010-03-13T18:48:14+00:00 13.03.2010 19:48
AHHHHHH!!!! Krasses Kapitel!!!!!! Du überraschst mich immer wieder" Ach diese FF wird wirklich von mal zu mal cooler! Ich kann mich meiner Vorgängerin nur anschließen! Also diese Lady_Sharif hat wirklich einen tollen Geschmack...oder diese Tama-Akaike...genau wie du ;P

Also....verdammt...ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll....am besten am Anfang:

"Spencer ließ daraufhin eine Schimpftirade los, die sich gewaschen hatte, zeterte etwas von der respektlosen Jugend und dem Verfall der Manieren, was Dean aber nicht im Geringsten kümmerte." - zu herrlich...ich musste so lachen^^

"„Ich sollte am besten die Polizei holen, Hausfriedensbruch wird hier wirklich nicht gerne gesehen.“" - ach und woanders ist Hausfriedensbruch in Ordnung oder wie? *lach*

"Unsanft packte er Spencer am Oberarm und zerrte ihn hinter sich her, die heftigen Proteste völlig ignorierend." - uhii...Dean ist ungeduldig...das kann ja nicht gut gehen....^^

"„Es hockt schon seit fünfzehn Jahren dort drin.“" - heilige sch*....da nenn ich mal ne lange zeit...und nicht nur das Vieh sitzt da schon 15 Jahre fest, sondern Spencer ja auch.....durch den Schutzschild....also wenn der Typ was macht, dann aber richtig oder wie?
Ich fasse es nicht....

"„Ähm, nun ja … schon irgendwie“, meinte Spencer zögerlich. „Ich habe ihm seit fünfzehn Jahren beispielsweise kein Wasser oder etwas zu Fressen gegeben. Ich hatte eigentlich gehofft, es würde einfach irgendwann eingehen, aber wie Sie sehen können, ist es noch quicklebendig.“" - ach nein, wie putzig....das wäre doch mal ne Alternative zum jagen....gefangen nehmen und verhungern lassen, wie nen Goldfisch oder so....

"„Ich bin schwach und feige, das ist mir durchaus bewusst.“ Spencers Hände begannen, zu zittern. „Ich hätte diese Bestie schon vor Jahren töten können, doch mein dummes Gewissen hat mich davon abgehalten. Ich weiß, es ist jämmerlich, aber ich konnte nichts dagegen tun.“" - ich finde das überhaupt nicht jämmerlich....ich meine er hat 15 Jahre mit der Angst gelebt....15 Jahre mit einer Bedrohung im eigenen Keller und außerhalb des Schutzkreises....er konnte sich weder drinnen noch draußen sicher fühlen und hat es dennoch geschafft seine Sinne beisammen zu halten um z.B. die Kellerwand schalldicht zu machen...er tut mir Leid...und ich empfinde Respekt für sein Verhalten!

"Sein Blick glitt hinunter zu der Plastikflasche am Boden … um im nächsten Moment erschrocken die Augen aufzureißen!"
"Der Kreis war damit gebrochen und nach endlosen Jahren nun wieder völlig unwirksam."
"Dean verzog sein Gesicht. „Oh Nein!“" - ach Dean...das hast du jetzt von deiner Ungeduld....und Spencer der Depp schlägt ihm doch glatt die Flasche aus der Hand....boah....ich hab beim lesen aufgeschrien und mir die hand an die stirn geknallt....ich dachte ich werd nicht mehr....



Okay....jetzt bin ich fertig....sorry das ich das immer so ausschmücke...aber ich muss mir das von der Seele reden.....sonst platze ich!!!!!!!

War wieder super klasse....200 von 100 möglichen Punkten!!!!
Bis bald, deine Janine :D



Von:  DoctorMcCoy
2008-06-19T11:01:29+00:00 19.06.2008 13:01
Cooles Kapitel und immerhin bin ich noch die zweite. Das Kapitel war wirklich sehr aufschlussreich. Wenigstens wissen die Jungs jetzt so gut wie alles und müssen den drei nur noch ordentlich in den Ar...Hintern treten. Aber eigentlich finde ich Amy immer noch viel zu süß, um die zu vernichten.
Es steht nur noch die Frage offen, wer oder was jetzt dieses Monster ist. Leider hat mir Tamara alles, was ich dazu sagen wollte, schon vorweg genommen. Ich wollte nämlich auch sagen, dass es vielleicht ihr Haustier ist, könnte aber auch trotzdem ihre Mutter sein. Aber ich glaube doch eher, dass es ihr Haustier ist, sosnt würde Alyssa es nicht unbedingt zurückhaben wollen. Oder es ist ihre Nanny, ohne die sie nicht zurück nach Hause können.
Auf jeden Fall weiß ich, dass dieses Monster Spencer und die beiden Winchesters jetzt ordentlich in die Mangel nimmt. Wie heißt es nicht so schön: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Hier ist dies wortwörtlich der Fall. Dean hatte sich ja fast schon beschwert, dass es zu einfach sei, dass gefangene Monster zu töten. Jetzt hat er immerhin eine kleine Herausforderung.
Freue mich schon sehr auf das nächste Kapitel. Diese FF wird von mal zu mal cooler.
HDL
Lady_Sharif
Von: abgemeldet
2008-06-18T12:16:16+00:00 18.06.2008 14:16
yeah ertser^^
also in dem kapi erfährt man ja sehr viel.
ich frag mich nur, was diese monster ist. vielleicht das haustier von alyssa oder vielleicht doch die mutter von den beiden, wei becky vermutet, aber ich hoffe wir finden das so schnell wie möglich raus.
die armen zwillingsschwestern sind also nur durch dummheit mit einem fluch belegt wurden, was es heutzutage noch gibt.
ich stimme dean zu, dass ich es nicht mal ein paar stunden im haus ausgehalten hätte, wenn ich wüsste dass ich nie wieder rauskomme. muss doch echt langweilig sein. er hat bestimmt schon alle seine bücher gelesen und er kann sich ja nicht mal neue kaufen, außer er lässt sie sich bringen. genau wie lebensmittel, lässt der sie sich jede woche bringen oder was? echt krank
hofffen wir mal, dass die winchester-brüder das biest wieder in schach bekommen oder dass es zu seinen herchen geht. werden sich bestimmt die beiden freuen.
schreib schnell weiter
HDGDL
tami
PS:hab ich es schon erwähnt? ERSTER!! ^^


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