"Liebes Tagebuch" ~ Prolog
Liebes Tagebuch
Prolog
Liebes Tagebuch,
in dem gesamten Leben eines Menschen gibt es, wie ich feststellte, eine Menge besonders bösartiger und hinterlistiger Wendepunkte, die sich hauptsächlich damit beschäftigen, die unschuldige Psyche jenes Menschen zu quälen, foltern und alles darin zu zerstören, was bei drei nicht auf den Bäumen ist.
Verschärfen wir doch mal die Annahme, indem wir die Wendepunkte um einiges vervielfältigen und fügen noch die Lebensgefahr hinzu, der besagter Mensch ausgeliefert ist, wenn er sich entschieden hat außerdem noch den Weg eines Shinobi zu gehen. Heraus kommt ein bunter Salat gefüllt mit einer Hand voll Angst, einer Prise Schmerz, mehreren, wenn nicht geradezu tausenden Stücken an Nervenzusammenbrüchen und einer seltsamen Krankheit namens „Grundlose Blindheit“. Es fehlt bei der Aufzählung natürlich noch die Eigeninitiative dieses Menschen. Also die falschen Entscheidungen, die Flut (und deren explizite Nichtbekämpfung) an sinnlosen Gefühlen, obwohl sie einem Shinobi auch noch verboten sind, und nicht zu vergessen: das Nichtvorhandensein des Glücks, sowie des vernünftigen Verstandes.
Man kann meine Frustration und Hoffnungslosigkeit hierbei also regelrecht herauslesen, denn warum sollte ich verdammt nochmal darüber schreiben, wenn es mich nicht selbst betreffen würde?
Ja, ICH, Haruno Sakura, bin jener Mensch, den diese absolut unerwarteten Wendepunkte des Lebens zur Weißglut treiben. ICH bin der Shinobi, mit der langsam aber sicher bröckelnden Psyche. Und ICH bin VERDAMMT ANGEPISST!
Nein, nein - nicht, dass es mich stören würde, dass mein einst so wunderschönes Haar total verfilzt, verdreckt und verklebt ist, dass mein Körper, größtenteils mit Schweiß und Blut, das nicht unbedingt mir gehört, besudelt ist, und dass der Grund für das alles natürlich die Tatsache ist, dass ich seit ungefähr einem Monat auf der Flucht bin. Warum sollte es mich denn auch stören? Passiert doch schließlich jedem 19-jährigen Mädchen, dessen Eltern vom Hause Haruno stammten und die großartige Idee hatten, das Mädchen unbedingt am 28. März zur Welt zu bringen. Natürlich sind diese Mädchen auch gleichzeitig allesamt Shinobi aus Konohagakure, rosahaarig, viel zu zierlich und kampfuntalentiert. Komisch, dass das alles eins zu eins auf meine bescheidene Identität passt und die Wahrscheinlichkeit ein weiteres Individuum dieser Art vorzufinden Null ist. Aber das ist natürlich noch lange kein Grund dafür, sich darüber Gedanken zu machen, geschweige denn in Panik zu verfallen – ist eben das absolut gewöhnliche Leben der heutigen Jugend! Oder etwa nicht? Nein? Wirklich nicht?
Herrgott – Ja! Ich bin eine verfluchte Ausnahme dieser beschissenen Gesellschaft!
Nicht nur das – ich beginne potentielle Ansätze von Schizophrenie zu entwickeln – rede hier wild gestikulierend mit einem Stück nutzlosen Papieres, das sich langsam aber sicher zu meinem einzigen Ansprechpartner und Freund entwickelt hat, und halte das in meiner Lage auch noch für absolut berechtigt! Wer zu Hölle würde es nicht tun, wenn er einen Monat lang mit keiner Menschenseele gesprochen hätte, weil er vor einer ganzen Horde Anbu auf der Flucht gewesen wäre und sich an keinem öffentlichen Ort blicken lassen dürfte? Jeder Kontakt mit Menschen ist eben bereits eine sichere Spur für die Anbu, die nicht gerade sehr freundliche Wesen sind und dich „höflicherweise“ nicht die letzten Worte aussprechen lassen, bevor sie dich lautlos erstechen. Nein, umgängliche Wesen sind Anbu ganz und gar nicht!
Von zwischenmenschlicher Kommunikation blieb ich also bei besagten Ereignissen den ganzen Monat lang verschont. Fast undenkbar für einen eigentlich ziemlich geselligen Menschen wie mich.
Der Grund für die sonderbaren Selbstgespräche ist allerdings nicht nur die Tatsache, dass ich den Verstand verliere. Es trägt auch viel dazu bei, dass ich in meinem ursprünglichen Plan so gar nicht voran komme. Denn wie soll ich das finden, wonach ich suche, wenn ich nicht dort suchen darf, wo ich suchen muss? In den Städten und Dörfern gibt es immerhin die besten Informationsquellen!
Mein ganzes Nukenin-Dasein habe ich also lediglich damit verbracht, statt meinem Plan nachzugehen, mich wie eine Küchenschabe in jeden nur erdenklich kleinen und möglichst weit gelegenen Ritzen und Löchern zu verkriechen, in der Hoffnung, dass meine zufällig hinterlassenen Fußstapfen keiner entdeckt. Folglich bin ich eigentlich nur am Davonlaufen und kann mich unmöglich wesentlich wichtigeren Dingen widmen, statt dem Vergeuden meiner, und vor allem der Anbu Zeit. Was für eine Ironie! Dabei werde ich der Bezeichnung Nukenin nicht einmal gerecht. Wäre ich ein mordlüsternes Wesen mit dem Streben die Weltherrschaft brutal an mich zu reißen, könnte ich ja verstehen, weshalb man es auf mich abgesehen hat, aber von mir geht nicht einmal die Zerstörungsgefahr aus, die bei Nukenin üblicherweise schon von Geburt an vorhanden ist. Ich meine: Ich habe niemanden verraten, auch nicht mein Dorf, habe bisher nur getötet, wenn ich mich verteidigen musste, habe nicht vor, irgendwen zu überfallen, oder irgendwas zu plündern – ich bin einfach nur davongelaufen – ja, das ist alles, wenn ich mich recht entsinne.
Aber jetzt, wo ich so gezielt darüber nachdenke, fällt es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen. Natürlich, ich persönlich bin zwar größtenteils unschuldig, habe nichts Konkretes verbrochen, sondern bin lediglich auf der Suche. Auf der simplen Suche nach jemandem leider ziemlich komplizierten. Eine Persönlichkeit, die sich bereits seit Langem als ernsthafte Gefahr für die Menschheit etabliert hatte. Ein einzelner Mann mit einer enormen Stärke und – traurig aber wahr – ein gesuchter Schwerverbrecher, sprich Nukenin der echten Sorte, anders als ich. Also ein wahrer Verräter Konohas und dem Anschein nach der kaltblütigste Mensch auf Erden.
Dem Anschein nach!
Wüsste ich es nicht besser, wäre ich sicherlich erst gar nicht auf der Suche nach diesem gewissen Herrn Uchiha. Sicherlich ist die Anbu-Eliteeinheit erst gar nicht wirklich hinter mir her, sondern viel eher hinter ihm und erhofft sich von meiner Verfolgung eine heiße Spur zu finden, die direkt zu ihm führt, schließlich weiß inzwischen wohl jedes Kleinkind, dass ich mich mit besagter Person in Kontakt gesetzt hatte. Aber da hoffen die wohl zu viel, denn ich suche und suche und suche, aber ihn zu finden ist mindestens genauso leicht, wie es „leicht“ ist hundert Kilometer mit abgehacktem Kopf zu laufen!
So unglaubwürdig es sich anhört, aber ich habe es tatsächlich geschafft (vor dem Monat der Kommunkiationslosigkeit) in Windeseile die Hälfte des Feuerreiches und Teile anderer Großmächte durchzukämmen. Und zwar mit dem Ergebnis die Einsicht bekommen zu haben, dass jener, den ich suche, scheinbar aus Luft besteht, denn theoretisch müsste jedes noch so abgeschottete Kaff von ihm wissen, so berühmt wie er inzwischen ist. Es tummeln sich weiß Gott wie viele Legenden und Gerüchte um ihn in jeder Ecke dieser gottverdammten Welt. Doch nicht umsonst wurde er von der Anbu bislang nicht gefunden. Er ist eben gut... verdammt gut...!
Ruhig, Sakura. Nicht, dass dein unkontrollierter Schwärmspeichel wieder die Tinte verschmiert. Du willst doch nicht etwa jetzt schon wie Tsunade-sama enden, oder?
Ach ja, Tsunade-sama – meine werte Frau Meisterin. Das weckt Erinnerungen an die Zeit, in der ich noch kein Nuke war. Da war das Leben zwar nicht einfacher aufgrund anderer Begebenheiten, aber dennoch irgendwie gewohnter und vertrauter. Obwohl...? Wenn ich es mir recht überlege, war es schon immer gewöhnungsbedürftig, ungeregelt und hielt genügend böse Überraschungen für mich bereit. Allein schon die ganzen Leiden wegen der unglücklichen Liebe, die mich wohl mein ganzes Leben lang verfolgen wird und dann noch der ganze Stress, der auf zwischenmenschlichen Beziehungen beruht. Freundschaft, was ja nicht unbedingt schlecht ist, bei mir aber schon immer etwas abartige Dimensionen annahm. Die gute alte Ino-Sakura-Komödie, bei der ich immer noch lachen muss, wenn ich an sie zurückdenke. Gott, war ich damals kindisch!
Noch witziger ist allerdings meine Beziehung zu Naruto-Baka. Ich weiß auch nicht, wie ich diese Beziehung charakterisieren soll. Die meiste Zeit war ich ja doch nur von ihm genervt, habe ihn für dumm gehalten, habe ihn gehauen, wann es mir passte und hinterlistig ausgenutzt, dann aber immer wieder geschickt abserviert. Aber dieser Idiot war trotzdem immer für mich da, hat mir Trost gespendet, mir Kraft gegeben, war mir eigentlich ein Vorbild mit seinem Kampfestalent. Ja, er tut mir bei der ganzen Sache immer noch am meisten Leid. Sicherlich hatte ihn mein „Verrat“, wie alle es sicherlich nennen, sehr getroffen. So getroffen, dass er jetzt ebenfalls nach mir sucht. Aber von ihm gefunden zu werden wäre für mich eigentlich noch schlimmer, als irgendwann mit der Klinge eines Anbu-Schwertes an der Kehle aufzuwachen. Ich werde ihm nämlich nicht erklären können, warum ich das Ganze hier durchziehe. Ich könnte es zwar schon versuchen, aber die Varianten, die mir zur Verfügung stehen sind beide in der Tat ziemlich absurd.
„Sorry, Naruto-Baka – ich hasse Konoha und alles, was damit zu tun hat!“, würde die Lüge lauten, wohingegen wohl die Wahrheit mit ihrem „Tja, weißt du, ich habe mich halt in einen Nukenin verliebt“ nicht viel einleuchtender klingt.
Irgendwo ist es schon schmeichelhaft, dass wenigstens einer in der Suche nach mir interessiert ist und nicht in der Suche nach dem, nach dem schon eh alle Ausschau halten, mich inklusive. Aber ich will keinen in meine Angelegenheiten involvieren, besonders keinen, der mir wichtig ist und durch diese Involvierung dauerhafte Schäden davon tragen würde. Lieber fresse ich alles in mich hinein und führe Selbstgespräche. Vielleicht fange ich ja auch bald mal damit an, zwangsmäßig meinen Kopf gegen die Felswand zu schlagen, irgendwelche seltsame Laute von mir zu geben, oder mich vielleicht sogar zu ritzen. Aber das macht nichts, solange es nur mich betrifft.
Dann wäre da noch meine arme Familie, deren Mitglieder alle bereits im Besitz eines vom Herzinfarkt geschundenen Nervensystems sind. Meine Familie, die niemals von mir eine solche Tat erwartet hatte. Im Grunde genommen ist es ja, wie gesagt, auch kein Verrat. Aber es wird eben als solches angesehen, dass ich mich mit einem Schwerverbrecher anscheinend zusammen tue. Ups... da haben wir es also. Ich bin auf der Suche nach Mister Bösewicht, um meine der Öffentlichkeit unbekannten Pläne mit im abzuwickeln und allein das gilt wohl schon als Verrat, welcher mit einer nicht gerade milden Gefängnisstrafe zu belohnen ist. Niemand weiß ja, dass ich nichts gegen das Dorf, geschweige denn gegen irgendeine Form von Frieden agiere, sondern rein aus egoistischen Gründen handle, die ganz und gar nur mich und den Gesuchten betreffen. Eigentlich will ich ja nur etwas klären, etwas vermitteln, etwas erzählen, ihn informieren. Und mit politischen beziehungsweise militärischen Angelegenheiten hat das bei Weitem nichts zu tun. Zu blöd, dass der wahre Grund eben nicht sehr glaubwürdig klingt und man ihn nur als miserable Ausrede betrachten würde. Wer ist schon so dumm, sich in ein kaltblütiges Monstrum zu verlieben? Andererseits hatte ich mich doch schon immer einer solchen Liebe zum Fraß vorgeworfen. Wer das nicht gesehen hatte, der müsste mindestens blind sein, wenn nicht gänzlich krank im Kopf. Tja – Unglück in der Liebe ist eben mein zweiter Vorname. Glücklicherweise ist die Lebenserwartung eines Nukes nicht besonders hoch, weshalb ich langsam mal erhoffe, dass dieses Elend hier zu Ende geht.
Und dabei war es noch nicht einmal alles, was ich zu erzählen habe. Der schrecklichste und dramatischste Part des Ganzen ist nämlich immer noch die traurige Geschichte, wie es hierzu überhaupt gekommen ist.
Also wie kam es eigentlich dazu – zu diesem ganzen Durcheinander? Schließlich war ich immer ein braves, unschuldiges Mädchen gewesen... Ein Bisschen naiv vielleicht, aber brav und fast immer loyal. Ich hielt immer zu meinem Dorf, zu meinen Freunden, zu meiner ewigen Liebe. Ich war verlässlich und verfolgte ehrliche Ziele um der Freundschaft Willen. Mit einem Wort war ich schon so etwas wie ein kleiner Patriot.
Und jetzt so was?
Alles, was ich mir aufgebaut hatte, warf ich hiermit einfach über den Haufen.
Wie konnte das alles also nur soweit kommen?
Am besten fange ich einfach ganz von vorne an. Beim Zeitpunkt, als Naruto und ich ein und demselben Ziel nachjagten. Kurz bevor wir erfuhren, welch schweres Ereignis sich uns in den Weg stellte und kurz bevor sich mein Leben schlagartig veränderte.
Es war so...
GOTTHEIT