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Die Söhne des Drachen

Fortsetzung von "Drachenherz"
von

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Aber wehe, wehe, wehe, wenn ich auf die Prinzen sehe!

Zuko II war ein strenger, gerechter und unnahbarer Mann. Ein Mann mit unumstösslichen Grundsätzen. Er duldete weder Schlamperei, noch Nachlässigkeit. Zum großen Glück für alle, die seiner Gnade ausgeliefert waren, wurde diese Strenge durch ein tiefes Verständnis für die Schwächen der menschlichen Natur gemildert.

Sich selbst gestand der Fürst allerdings nur wenige solcher Entgleisungen zu. Er war der schlichten Ansicht, in seiner Jugend mehr als genug Fehler begangen zu haben.

Als Herrscher war er überaus klug, gerecht und gnadenreich. Als Vater überaus liebevoll, beschützend und geduldig.

Nun hatte diese Geduld jedoch ihre Grenzen erreicht und DAS war immer genau der Augenblick, an dem eine der, zugegebenermaßen wenigen Schwächen Seiner Lordschaft zum Vorschein kam: ein ekliges, nahezu unberechenbares Temperament.

Seine milde, wohlwollende Ironie wich beißendem Sarkasmus und seine gelassene Nachsicht, punktgenauer Kritik. Wenn er BESONDERS zornig wurde, steigerte er diese Umgangsformen bis hin zu ätzender Missachtung. In diesen Fällen ortete Zuko die Schwachpunkte seiner Opfer mit der Präzision einer Ultraschall geleiteten Flederratte.
 

Im Augenblick war der Feuerlord wütend. Sehr wütend!

Einer der Gründe für diesen Gemütszustand kauerte in Demutshaltung vor ihm.

Die eckigen Bewegungen der tadellosen Stiefelspitzen seines Herrschers ließen den am Boden knienden jungen Mann überaus vorsichtig agieren.

„Mein Lord...“

„Schweigt!“, zischte Zuko, „ich wünsche kein Wort mehr zu hören!“

Angesichts dieses Tonfalls schluckte Seine königliche Hoheit, Prinz Lu Ten Aang Tatzu, Erbe des Drachenthrons, hart.

In diesem Schlamassel hätte er zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt stecken können, denn leider befand sich Lady Jin derzeit außer Landes. Und wie sich herausstellte, hatte ihre Abreise eine sofortige, rasante Talfahrt der fürstlichen Laune nach sich gezogen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Seit Mama nicht da war, hatte Paps eine Stinklaune!

Da Mylady bereits seit dreizehn Tagen abwesend war, reichte nun schon die Lappalie einer entlaufenen Koalaschaf-Herde, den Gebieter der Flammen in ein absolutes Ekelpaket zu verwandeln.

Ja, Babra, der ehrenwerte Bürgermeister von Kergram, hätte in der Tat keinen ungünstigeren Zeitpunkt wählen können, Lu Ten beim seinem Vater zu diffamieren. Doch nun beging der Beamte einen folgenschweren Fehler...

Während die seltsamen, durchdringenden Augen des Regenten den Kronprinzen fixierten, mischte Babra sich ungefragt in das Geschehen ein.

„Mein Lord,“, sagte er in überaus respektvollem Tonfall, „Ihr stimmt bestimmt mit mir überein, wenn ich vorschlage, Eurem Sohn einen kleinen Dämpfer zu verpa...“

Der legendäre, goldene Blick des Herrschers spießte Babra förmlich auf.

„Sollte ich“, wie Samt schlich sich die Stimme Zukos in die Gehörgänge aller Anwesenden, „bezüglich meiner Kinder eines pädagogischen Rates bedürfen, werde ich mich umgehend an Dich wenden, Babra.“

„Nunäääh...“

„Schriftlich!“, setzte Seine Durchlaucht kalt hinzu.

„Verzeiht Hoheit!“ Der Bürgermeister war klug genug, dem nichts hinzuzufügen.

„Euer Dorf wird selbstverständlich eine großzügige Entschädigung erhalten. Und da ich rein gar nichts von fürstlicher Immunität halte, wird Lu Ten...“, der Genannte wagte es, kurz die Augen zu dem markanten, erbosten Profil seines Vaters zu erheben, „die Konsequenzen seines Handelns zu tragen haben, Dich nach Kergram begleiten und sich dort zu Deiner Verfügung halten. Soweit Deine Anweisungen zumutbar sind, wird er sie befolgen.“

„Vater, ich sollte Euch etwas sagen!“ Prinz Lee, der bislang unbewegt im Hintergrund gestanden hatte, trat einen Schritt vor.

„Nicht jetzt“, knurrte Mylord.

„Sei still!“, zischte Lu Ten seinem Bruder aus dem Mundwinkel warnend zu.

„Nein! Ich werde nicht länger...“

„LEE!“ Mit diesem einzigen, strengen Wort brachte Zuko seinen Zweitgebohrenen zum Schweigen.
 

„Aber... Mein Fürst ...“ Bürgermeister Babra, recht blass um die Nase geworden, ergriff zaghaft das Wort.

„Was, Babra? Hast Du plötzlich Angst vor Deiner eigenen Courage?“

„Das... ist es nicht, Hoheit, aber... Er wird das ganze Dorf in helle Aufregung versetzten! ERNEUT!“

„Das,“, erwiderte Zuko genüsslich, „ist dann wohl Dein Problem. Du darfst Dich zur Abreise bereit machen, mein Sohn wird in einer Stunde soweit sein.“

Bis dato war Tato Babra noch nie Opfer eines Rauswurfs geworden. Es gibt jedoch für alles ein erstes Mal und so verneigte er sich hastig vor seinem Souverän und trollte sich.
 

Zuko starrte ihm hinterher.

Der Mann war zurecht aufgebracht. Niemand stand über dem Gesetz, und ein Mitglied des Fürstenhauses schon gar nicht!

Da außer seinen beiden Söhnen und ihm selbst nur noch der ehrenwerte Konsul Tian Fu anwesend war, gestattete sich Agnis oberster Diener, seinem Unmut freien Lauf zu lassen.

„Habt ihr beide auch nur die geringste Ahnung, WIE wütend ihr mich macht?“, knirschte Zuko und drehte sich zu ihnen. „Mir ein solches Possenspiel aufzutischen....! Wofür haltet ihr mich? Einen senilen, schwachsinnigen Narren?“

"Was?", schnaupte Lee. Die bloße Vorstellung, jemand könnte so unvorsichtig sein, war lachhaft. „Bestimmt nicht! Wir...“

„Glaubt ihr auch nur für eine Sekunde, ich wüsste nicht, wer der Urheber dieser kleinen Farce ist?“

„Ich wollte die Situation doch aufklären!“, verteidigte sich der jüngere der beiden Prinzen.

„Wirklich, Lee? Hast Du es wirklich für ratsam gehalten, euren Mummenschanz vor dem Bürgermeister aufzudecken? Ich denke nicht, dass ausgerechnet das die Wogen geglättet hätte.“

Aufgebracht schritt Zuko auf und ab.

„War es Deine Idee, zu behaupten, DU seist der Verursacher dieses Zwischenfalls?“, wandte er sich jetzt an den Erben seines Landes.

Lu Ten nickte schicksalsergeben.

„Dann verdienst Du auch diese Strafe!“

„Lu Ten wollte mich doch nur aus dem Schlamassel holen!“, rief Lee.

„Schweig! Das Einzige, das ich DIR zugute halten kann, ist die Tatsache, dass Du bereit warst, die Wahrheit zu sagen. Dieser kleine Streich war eindeutig zu viel!“

„Aber, es ist doch nichts geschehen!“

„Ach WIRKLICH? Warum sagst Du das denn nicht gleich? Da hat der gute Bürgermeister die Geschichte also nur aufgebauscht? Dann darf ich annehmen, dass die Herde nicht durch das ganze Dorf getrampelt ist und dabei etliche Gärten und Äcker zerstörte?“ Der Tonfall Seiner Lordschaft war freundlich. ZU freundlich!

„Äh... doch, aber...“

„Du darfst Dich jetzt entfernen!“

„Der Schaden lässt sich doch mit ein paar...“

„GENUG!“

Dieser gezischte, harsche Befehl war zu viel für den Stolz eines feuerblütigen Prinzen; zumal er sich eigentlich keinerlei unverzeihlicher Vergehen bewusst war. Lee verbeugte sich, ganz die gekränkte Unschuld, und stakste von dannen.
 

Der Blick des Feuerlords fiel auf den immer noch knienden Kronprinzen.

„Lu Ten... Wenn Du nicht möchtest, dass ich noch zorniger werde, stehst Du jetzt besser auf!“

Zuko ertrug es nur schwer, eines seiner Kinder in dieser Haltung zu sehen. Er hatte sie selbst all zu oft einnehmen müssen.

Sein Sohn erhob sich schnell und geschmeidig.

„Was auch immer Du glaubst, Vater, dieses Notlüge war nur für den Bürgermeister gedacht. Er war bereits ein wenig ungehalten, wegen Lees... äh, immenser Beliebtheit unter der weiblichen Hälfte der Dorfbewohner. Ich hielt es für besser, diesem Groll keine weitere Nahrung zu geben und so nahm ich die Schuld für die Sache mit den Schafen auf mich. Lee wollte das von Anfang an nicht.“

„Ich weiß sehr gut, was Lee wollte“, knurrte Zuko. „Er wollte seinen Spass! Ich möchte wetten, zum Vorspiel dieses kleinen Zwischenfalls gehörten eine laue Sommernacht, ein Heuboden und mindestens eine reizende Dorfschönheit. Und nun“, setze er kühl hinzu, „solltest Du besser packen gehen, der Bürgermeister wartet!“

„Gewiss!“, kam die resignierte Antwort.
 

Als der große Raum komplett prinzfrei war, hielt der ehrenwerte Tian Fu es für angebracht einzuschreiten. Sein Fürst wirkte frustriert und ausnahmsweise müde.

Tian stand schon seit der Krönung in den Diensten Zukos II und war nach all den Jahren durchaus in der Lage, dessen Körpersprache exakt zu deuten.

Agni, wie lächerlich jung er damals gewesen war...

Mit Achtzehn hatte er auf zittrigen Beinen vor dem gleichaltrigen Jungen gestanden, der am Vortag zum mächtigsten Mann der Feuernation gekrönt worden war. Er hatte bereits vieles gehört, über den Sohn Ozais, des Vernichters. Nicht nur Gutes.

Helle, alles durchschauende Augen hatten ihn lange taxiert. So lange, dass Tian genau wusste: Er würde die Stelle nicht bekommen. Er war eben zu jung, zu unerfahren und viel zu idealistisch.

Dann hatte der frisch gebackene Feuerlord den Mund geöffnet.

„Du heißt also Tian? Gut. Du hast den Posten.“

„Ich... was? D...danke!! Euer Lordschaft!“

„Danke?“, hatte Zuko erstaunt gefragt. „Bis in spätestens einer Woche wirst Du mich dafür verfluchen! Das ist ungefähr die Zeitspanne, nach der selbst die geduldigsten Mitmenschen mir die Pest an den Hals wünschen.“ Durch die großen Fenster nach draußen starrend hatte er noch hinzugefügt: „Ich bin wohl nicht immer ganz einfach zu handhaben...“

Das war er wirklich nicht, aber Tian Fu hatte es keine Minute bereut, diesem ehrbaren, zielstrebigen Mann die Treue geschworen zu haben.

Vor zehn Jahren hatte er sogar den Posten eines Kanzlers ausgeschlagen, da es in seinen Augen sehr viel aufregender war, sich mit den Grillen Seiner Lordschaft auseinander zu setzen, als einen langweiligen Posten im Kabinett zu besetzen. Er war jedoch ein wenig beleidigt gewesen, dass man ihn für so entbehrlich hielt und so hatte er in spitzem Tonfall dankend abgelehnt.

Dann war dieses seltene, warme Lächeln über Zukos Gesicht gehuscht.

„Agni sei dank, Tian! Wer sonst hätte denn bitte meine Sauklaue entziffern sollen, wenn nicht Du?“

Somit war alles wieder bestens gewesen.
 

Momentan war von Zukos legendären Lächeln allerdings weit und breit nichts zu sehen.

Im Gegenteil. Müde presste Mylord Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel.

Tian hüstelte dezent. „Herr?“

„Ja, Tian?“

„Ich könnte den letzten Termin absagen. Eure gegenwärtige Stimmung scheint mir einer so delikaten Angelegenheit nicht... gerecht zu werden.“

„Warum, was liegt denn noch an?“

„Äh, ein Gespräch mit den Frauen des `Fördervereins für bändigungsfreie Zonen in Teehäusern´.“

„War das nicht etwas, um das meine Frau sich kümmern wollte?“

„Ja... doch, sie ist...“

„Nicht da!“ ergänzte der Strohwitwer seufzend.

Wer wüsste das besser als er? Schließlich war er derjenige, der in Abwesenheit eines bestimmten, vorlauten Koboldes unter eklatantem Schlafmangel litt. Er konnte es nun mal auf den Tod nicht ausstehen, wenn er nicht wusste, ob es ihr gut ging...

Und die klitzekleine Tatsache, dass er seine Nase nicht in ihrem duftenden Haar vergraben konnte, um zur Ruhe zu kommen, spielte mit Sicherheit auch eine Rolle.
 

Einige Marmor-Mauern weiter weg betrat Lee das Zimmer seines Bruders. Ohne anzuklopfen. Ein Umstand, der kommentarlos hingenommen wurde.

Ein schlechtes Zeichen; Je mieser Lu Tens Laune war, umso weniger sprach er.

„Du packst selbst?“

Ein grob gewebter, warmer Wollmantel wurde mit warnendem Nachdruck in eine geräumige Tasche gepfeffert.

„Ich.. äh... hätte nicht gedacht, dass Papa so überreagiert“, machte Lee einen erneuten Vorstoss in Richtung zwischenbrüderlicher Kommunikation.

„ÜBERREA...?“ Lu Ten holte tief Luft. „Wenn Du weißt, was gut für Dich ist, verschwinde!“

„Lu! Das Ganze ist doch nicht meine Schuld!“

„Nicht Deine Schuld? WER musste sich denn mit dieser Schäferin auf dem Heuboden herumwälzen?“, fauchte der Kronprinz, dessen Laune ohne Vorwarnung von total mies zu wirklich beschissen wechselte.

„Aber sie sagte, es wäre okay, die Viecher sich selbst zu überlassen!“

„ACH JA? Und wie immer hat Dein Hirn beim Anblick eines Weiberrocks seine Tätigkeit komplett eingestellt?!?“

„Sie... hatte einfach ein verflixt hübsches Hinterteil. Ich meine...“

„DU KANST DEIN EIGENES HÜBSCHES HINTERTEIL GLEICH SPAZIERENTRAGEN, DENN SONST WIRD ES GLEICH HÜBSCH BLAU-GRÜN WERDEN!“, brüllte Lu Ten.

Jetzt wurde Lee die Sache zu dumm!

„ACH JA?? KEINER HAT DICH GEBETEN, DEINEN FEHLERLOSEN, BRAVEN THRONFOLGER-ARSCH FÜR MICH HINZUHALTEN!!!“

JETZT, wiederum, wurde Lu Ten die Sache zu dumm!

Er machte einen drohenden Schritt auf seinen jüngeren Bruder zu.

Sie boten ein recht beeindruckendes Bild, wie sie da standen und sich gegenseitig anfunkelten. Die Beiden glichen sich sehr, waren ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten (sehr zur Freude Lady Jins) und besassen mittlerweile auch dessen Größe und Statur.

Lu Ten hatte die goldenen Augen seines Vaters geerbt und war ebenso zurückhaltend wie dieser. Sein Gesicht trug zumeist den Ausdruck ernster Würde. Es galt als eher anspruchsvolles Unterfangen, ihm ein Lächeln zu entlocken.

Lee dagegen, brach für gewöhnlich gerade dann in brüllendes Gelächter aus, wenn man es am wenigsten erwartete. Nicht selten eckte sein skurriler Sinn für Lächerlichkeit bei den Leuten an. Doch sein grüngoldener Blick galt als `hinreißend´ und verfehlte die Wirkung auf die Damenwelt so gut wie nie. Kam ihm unerwarteterweise doch ein skeptisches Exemplar der Gattung Frau unter, genügte ein einziges spitzbübisches Grübchenlächeln, um sie von seinen inneren Werten zu überzeugen.

Lee war nicht unbedingt charmanter als seine Brüder, aber er setzte diesen Charme bei weitem skrupelloser ein.
 

„Sagt mir Bescheid, wenn ihr gedenkt, euch gegenseitig umzubringen“, sagte eine gelassene, spöttische Stimme von der Tür. „Dann lasse ich zwei Gedecke weniger auftragen.“

„Vater...“

„Lee, ich würde gerne mit Deinem Bruder sprechen. Du darfst ebenfalls packen gehen.“

„Packen?“

„Sicher. Denkst Du allen Ernstes, ich bürde Lu Ten Deine Strafe auf und lasse Dich Däumchen drehen?“

„Aber...“

„Was, aber?“

„Himmel, es waren doch nur Schafe!“
 

Zukos Augen verengten sich unheilverkündend. Er zählte bis sieben, explodierte dann aber trotzdem.

Nun zeigte sich, dass der Drache immer noch eindrucksvoller zu brüllen vermochte, als sein in dieser Hinsicht noch recht dilettantischer Nachwuchs.

„NUR SCHAFE? HAST DU AUCH NUR DIE GERINGSTE VORSTELLUNG DAVON, FÜR WIE VIELE MENSCHEN GENAU DAS DIE LEBENSGRUNDLAGE DARSTELLT?“

Lee schluckte. Da war heute aber jemand mit dem falschen Fuss aufgestanden...

„Schön!“, knisterte Papa Feuerfuzzi. „Diese Bemerkung zeigt mir wenigstens, wie bitter nötig Du eine kleine Abreibung hast. Geh packen! Eigenhändig! Für die nächsten acht Wochen keine Dienerschaft!“

„ACHT W...“

„SOFORT!“

„Fein!“ Lee straffte sich. „Dann will ich nicht weiter beim Betütteln Eures perfekten Thronfolgers stören und erspare Euch fürderhin meinen Anblick!“ Er stolzierte aus dem Zimmer.
 

Lu Ten, des goldenen Brodelns in den Augen seines Vaters gewahr, beeilte sich die Wogen des königlichen Zorns zu glätten.

„Er meint es nicht so!“, murmelte er hastig.

„Doch!“, stieß Seine Lordschaft betroffen aus. „Doch, das tut er. Aber darum werde ich mich gleich kümmern.“ Er sah seinen Ältesten an. „Bürgermeister Babra verlässt und in einer halben Stunde."

„Ja.“

„Um keine Unruhe zu verursachen, hält er es für besser, Dich bei seinem Bruder in Karia unterzubringen. Inkognito, selbstverständlich. Finde Dich bitte pünktlich auf der Flugplattform ein.“

„Gut“, seufzte Lu Ten.

„Du weißt, dass mir nach eurer Scharade nichts anderes übrig bleibt, als Dir diese Strafe aufzubrummen.“

„Ja.“

„Hältst Du sie für ungerechtfertigt?“

„...nein.“

„Ah... Du zögerst?“

„Nicht wirklich. Ich habe die Schuld auf mich genommen, also muss ich wohl auch die Konsequenzen tragen.“

„Du denkst also nicht, Du hättest sie auch ein bisschen verdient?“, wollte Zuko milde wissen.

„Verdient?“

„Lu Ten, Du kannst nicht ständig den großen Bruder spielen! Lass Lee seine eigenen Fehler machen. Akzeptiere sie, denn er selbst kommt sehr gut alleine damit klar. Vieles, was Du für Fehler seinerseits hältst, sind vielleicht gar keine. Du denkst, sein Verhalten sei oft ungebührlich? Zu würdelos, zu unüberlegt, zu volksnah? Nun, hast Du schon darüber nachgedacht, dass Du all dies eventuell zu wenig bist?“

„BITTE?“
 

Zuko seufzte. Er hätte diese Entwicklung wirklich eher sehen müssen. Der Kronprinz hatte einen - wenn auch nur sehr leicht ausgeprägten - Standesdünkel ausgebildet, der seinen Vater fatal an die eigene Jugend erinnerte.

„Du bist Dir Deiner Stellung allzu bewusst, Lu Ten!“

„WAS? Ich bin mir nur der VERANTWORTUNG bewusst, ganz im Gegensatz zu Lee!“

Jetzt war Zuko sich sicher, dass es beiden Söhnen gut tun würde, ihre Nasen in das Treiben eines bürgerlichen Alltags zu stecken.

Lee mochte es zwar ab und an zu bunt treiben und keinen blassen Schimmer von der Härte eines langen Arbeitstages haben, aber er hatte einen guten Draht zu den Menschen.

Lu Ten, hingegen, war zwar nicht hochmütig, so aber doch ein bisschen zu... erhaben. Oder, wie Jin es auszudrücken pflegte:

„Er ist vom Scheitel bis zur Sohle Dein Sohn, mein Gebieter. Demnächst könnt ihr Euch beim gepflegten Teeschlürfen mit anschließendem Nudelstricken Gesellschaft leisten.“

Agni! Er vermisste seinen Frechdachs wirklich mehr, als er sagen konnte!
 

„Im Leben gibt es auch noch andere Dinge, als Verantwortung, Lu Ten“, sagte der pflichtbewussteste aller Feuerlords, seit den Tagen Wus, des Überarbeiteten. „Wenn Du in Deinem Amt nur eine Bürde siehst, wirst Du dem Volk nicht gerecht werden.“

„DU bist doch derjenige, der mich gelehrt hat, wie wichtig Verantwortung ist!“

Der Erbe des Drachenthrons verstand die Welt nicht mehr. Um wie viel mehr sollte er sich denn noch anstrengen, um allen Erwartungen gerecht zu werden?

„Du verkrampfst!“ meinte sein Vater prompt. „Und Du missverstehst mich. Ich will Dich nicht unter Druck setzten, Lu Ten. Das tust Du selbst zur Genüge. Du bist erst fünfundzwanzig! Lass Dir mehr Zeit, diese Dinge zu lernen. Sie kommen nicht über Nacht. Aber ich bin mir sicher, dass Du dafür weitaus mehr Talent besitzt, als ich.“

„Mehr? Wohl kaum. Deine Untertanen lieben Dich auf geradezu unfassbare Weise.“

„Ja. Und ich habe mich wirklich lange gefragt, warum das so ist. Die Menschen reagieren auf das, was man ihnen gibt. Herrsche durch Angst und Hass, so werden sie sich ängstigen und Dich hassen. Bist Du ein pflichtbewusster Herrscher, wirst Du pflichtbewusste Untertanen haben. Wenn Du sie aber respektierst und liebst, werden sie es erwidern.“

„Na wundervoll!“, knurrte Lu Ten, „Du klingst wie Lee. Er wirft mir auch immer vor, dass ich zu wenig Gefühle zeige!“

„Oh, ZEIGEN musst Du sie nicht!“, beschwichtigte sein Vater. „Und bedenke, WER Dir das vorwirft. Hat dieser Hitzkopf es wirklich geschafft in nur einer Nacht ganz Kergram in Aufregung zu versetzen?“

„Das und beide Nachbardörfer ebenfalls!“, stöhnte der Prinz.

„Verdammter Teufelskerl!“, brummte Seine Lordschaft anerkennend.

Lu Ten verdrehte die Augen, wurde aber trotzdem in eine zermalmende Umarmung gezogen.

„Pass auf Dich auf, mein Sohn!“

„Werd´ ich.“

Zuko malte mit dem Daumennagel das Zeichen einer Flamme auf die Stirn seines Kindes und erbat so Agnis Seegen auf dessen Haupt.

„Wir werden Dich vermissen.“

„Ich werde zweifellos das Essen vermissen!“

„Ach...?“

„Die Familie natürlich auch“, räumte Lu Ten großzügig ein.
 

Kurze Zeit später kümmerte sich Zuko um sein zweites Problem.

Dieses Problem war ziemlich eingeschnappt und warf wahllos Kleidungsstücke in eine Art Seesack.

„Lee...“

Der Prinz versteifte sich.

„Vater? Möchtet Ihr mich zur Eile gemahnen? Keine Sorge, ich mache schon so schnell ich kann.“

„Eigentlich möchte ich über Deine Bemerkung von vorhin reden.“

„Oh. Sollte ich mich Euch gegenüber respektlos betrage haben, tut es mir sehr leid, Hoheit.“

„Lee! Du weißt, wie ich derartige Formalitäten verabscheue.“

„Bitte um Verzeihung. Ich bin leider kein solcher Musterknabe wie Dein Erbe. Es fällt mir manchmal schwer zu unterscheiden, ob ich mit meinem Vater spreche, oder mit meinem Lord. Den Mund hab ich wohl in beiden Fällen zu halten...“

Vater und Lord sogen bei diesem Vorwurf scharf die Luft ein.

„Schön!“, murmelte Zuko rau. „Dann sprich Dich am besten ganz aus. Inwieweit habe ich Dich noch enttäuscht? Glaubst Du wirklich, ich würde Lu Ten bevorzugen?“

„Nein“, gab Lee stockend zu. „Aber... ich scheine immer unter besonderer Beobachtung zu stehen. Ich weiß ja, dass meistens ich derjenige bin, der die Schwierigkeiten macht. Und ich hab selbst nicht mal den blassesten Schimmer, warum“, rief er, gar nicht wissend, auf wen er nun wütend sein sollte.

Zuko betrachtete seinen Zweitgeborenen.

Wahrscheinlich WAR er ungerecht, denn diesem Sohn galt tatsächlich sein besonderes Augenmerk. Doch das war etwas, gegen das er beim besten Willen nicht ankam.

Seit Prinz Lees erstem Geburtstag war Mylord übervorsichtig, denn dieses Kind hätte er damals beinahe verloren.

Und als sei es nicht genug, dass der Junge mit grade mal einem Jahr vom Geist eines Urahnen heimgesucht worden war, hatte er mit vier Jahren auch noch Anfälle bekommen, für die die Ärzte keinerlei körperliche Gründe gefunden hatten. Eine Erklärung hatte erst Avatar Aang liefern können. Kam es in zu jungen Jahren zu einer intensiven Begegnung mit der Geisterwelt, konnte dies eine Art Epilepsie zur Folge haben, die - Agni sei Dank - mit Nachtwurz und Geistmohn behandelt werden konnte.

Solange Lee diese Tinktur einnahm, bestand keinerlei Grund zur Sorge. Seine Eltern sorgten sich trotzdem.

Selbstredend.

„Du hast leider das Pech mein beklagenswertes Temperament zusammen mit dem grenzenlosen Übermut Deiner Mutter geerbt zu haben“, murmelte Zuko. „Was für ein Schlamassel das für Dich ist, mag ich mir gar nicht vorstellen.“

„Und trotzdem soll ich jetzt irgendeine dämliche Lektion lernen? Was ist, wenn der gewünschte Lerneffekt nicht eintritt? Werde ich dann erneut fort geschickt?“
 

`Ich werde Dich Respekt lehren!´

Zuko runzelte die Stirn, als die Stimme seines Vaters durch seinen Kopf streifte.

Auch Ozai war davon überzeugt gewesen, seinem Sohn etwas wichtiges beibringen zu müssen, war davon überzeugt gewesen, das Richtige zu tun.

„Du hast Recht“, sagte Seine Lordschaft nach einiger Zeit ruhig. „Du kannst wieder auspacken.“

„Ich... muss nicht gehen?“

„Nein.“

„Was? Warum?“

„Vor langer Zeit habe ich selbst eine aufgezwungene Lektion erhalten. Sie lehrte mich allerdings das Gegenteil dessen, was beabsichtigt war.“

Lee wusste sofort, worauf sein Vater anspielte, denn in der rauen Stimme lag die gleiche Tonlosigkeit wie immer, wenn Zuko über Ozai sprach.

„Das ist absurd, Papa! Ich könnte nie lernen, Dich zu missachten. Keines Deiner Kinder könnte das! Und... ich weiß auch sehr gut, dass ich einen Dämpfer verdiene. Also setzt um Agnis Willen endlich wieder Deine strenge Miene auf und schick mich dahin, wo der Pfeffer wächst.“

Für diese Selbstjustiz wurden Lee beinahe zwei Rippen gebrochen.

„Ich wünschte wirklich, Du würdest Dir ein paar Maitressen zulegen, wie Lu Ten, dann hätte ich deutlich weniger Scherereien. Deine Mutter wird mir das Fell über die Ohren ziehen, wenn sie erfährt, dass ich euch beide ins Kurzexil geschickt habe.“

„Und ich werde nicht mal da sein, um das zu sehen...", seufzte Lee resigniert. "Wohin geht meine Reise eigentlich?“

Zuko legte nur den Kopf schief, lüftete spöttisch seine Braue und wandte sich zur Tür.

„Das sage ich Dir, bevor Du abfliegst... Ach, und Lee?“

„Ja?“

„Lass BITTE diesen grässlichen, monströsen Mantel hier, den Du für modisch erachtest, sonst laufen die Koalaschafe bei Deiner Ankunft gleich herdenweise davon.“

Lee seufzte. Es war beileibe nicht einfach, als einziger in der Familie mit modischem Gespür gesegnet zu sein.
 

An diesem Abend war der Feuerpalast still. Viel zu still.

Ein Umstand, der dem Hausherren gewaltig gegen den Strich ging. Vielleicht sollte er Jin nach Hause holen...

Es wäre immerhin möglich, zu behaupten, die Zwillinge hätten Keuchhusten, oder so. Der Brief Ihrer Ladyschaft, der mit dem Abendkurier gebracht und umgehend geöffnet wurde, machte diese Vorstellung noch verlockender.
 


 

`Mein herzallerliebster Feuerspucker!´
 

(Schon ihre verrückten, immer neuen Anreden verbesserten Zukos Laune ganz erheblich!)
 

`Ich hoffe sehr, es geht Dir gut und Du arbeitest nicht zuviel!

Mein eigenes Befinden ist ziemlich angebracht. Offen gesagt ist es also ziemlich gelangweilt.

Bist Du wirklich der Meinung, diese `Konferenz´ hier wäre nötig,

um die diplomatischen Beziehungen zu festigen?

Ich fand sie eigentlich fest genug...

Zugegebenermaßen ist die Gegend hier ganz wundervoll.

Ebenso wie das Essen, und die Betten (na ja, nachts sind sie leider etwas kalt...)

und all das Trallala.

Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich für die Diplomatie tauge.

Die Frauen hier haben die seltsamsten Themen.

Wie kann man nur stundenlang über Textilien quasseln, und doch SO wenig davon verstehen?

Die Frau des Herzogs von Quan löste einen Riechsalz-Notstand aus, als ich ihr sagte,

dass die schöne Seide ihrer Tunika aus den Hinterteilen kleiner Raupen stamme.

So gesehen hab eigentlich ICH diesen Notstand ausgelöst.

Du solltest wirklich herkommen, und mich schimpfen, denke ich!

Am besten schon morgen, sonst stelle ich hier noch die Weltordnung auf den Kopf.
 

Aber Du weiß ja, dass ich nur einen Vorwand suche, um Dich herzulocken,

also bleib schön wo Du bist und mach Dir keine Sorgen, denn mir geht es gut,

bis auf die Tatsache, dass ich Dich ganz schrecklich vermisse.

Doch bevor ich zu jammern anfange, sollte ich wohl besser Schluss machen.

Bitte arbeite nicht so viel!

Ich werde Tian fragen, also sei lieb!
 

Fühle Dich mit Küssen überschüttet und aufs heftigste umarmt, mein Lord!
 

Dein frierendes Weib!
 

P.S.: Wehe, Du arbeitest zu viel! Und wehe Du vermisst mich nicht ebenso!´
 

Ja, selbst tausende von Meilen entfernt schaffte es das ehemalige Fräulein We aus Ba Sing Se ein Lächeln auf das Gesicht des Drachen zu zaubern!



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Kommentare zu diesem Kapitel (14)
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Von:  Vigeta_Lord_d_T
2020-09-24T10:07:39+00:00 24.09.2020 12:07
🤣🤣🤣🤣 Seide , Hinterteil kleiner Raupen stamme.🤣🤣🤣🤣

Da hat Lee aber den Bock abgeschossen . Ein kleiner Casanova wie mir scheint.

Und Lu na ja er ist etwas steif vielleicht taut er noch auf .

Ein schöner Anfang. Echt super gelungen 👍🏻
Von:  faithful_poet
2009-06-20T21:34:31+00:00 20.06.2009 23:34
Das ist ja urr genial!!! Unglaublich!!!
Ich war anfangs etwas irritiert über "ZUko II" aber ich habs kappiert *lach
Ich wurde richtig in das Kapitel reingesogen!!! :D
Wow!!! Gratuliere!!
Von: abgemeldet
2008-02-17T16:26:04+00:00 17.02.2008 17:26
HI!
Das erste Kapitel ist einfach wahnsinnig gut!
Wobei ich mir Zuko nicht wirklich als 50 Jahre alten Mann vorstellen kann!
Von:  Bernsteinseele
2008-02-11T11:28:34+00:00 11.02.2008 12:28
Das Fräulein We,
aus Ba Sing Se. *g*

Huhu Xan ^^

Deine FF ist wieder genial *smile*
Aber warum taucht Lu denn nicht in der Charliste auf? Wirst auf seine Abenteuer nicht eingehen oder fügst du ihn und ein Mädl später ein? ö.ö
Von:  Fresa-del-bosque
2008-01-26T21:15:39+00:00 26.01.2008 22:15
*g* ich liebe es jetzt schon... was sich mein Lieblingskobold Jin immer für Titel für meinen Lieblingsfeuerfuzzi Zuko ausdenkt x)), und Lee, den kleinen Schwerenöter, hab ich bereits jetzt schon ins Herz geschlossen...wie immer haste alles super gemacht
*schleiiiiiiiim! xD*
Von: abgemeldet
2008-01-06T09:39:31+00:00 06.01.2008 10:39
Ach ja, fast vergessen: Nudelstricken!! Klasse. Hab mich kaputt gelacht.
Von: abgemeldet
2008-01-04T22:41:54+00:00 04.01.2008 23:41
Herrlich!
Der Anfang macht einem den Übergang vom Drachenherz zu der neuen Geschichte wirklich einfach.
Die Söhne sind wunderbar beschrieben und wirken kein bißchen eindimensional und flach. Weiter so!
Von:  Dive
2007-12-27T22:26:15+00:00 27.12.2007 23:26
Also der Anfang ist ja wirklich vielversprechend.

Ich bin wegen der beiden "Feuerfutzi-Söhne" beinahe vor lachen von meinem Stuhl gekippt.

Hoffe es geht bald weiter

lg Dive

PS.: Ich habe mir über die Weihnachtsfeiertage deine andere FF durchgelesen. (Drachenherz) Ich bin wirklich beeindruckt von deinem Schreibstil und möchte dir hier ein großes Lob dafür(und auch für "Drachenherz") geben.
Von:  Catix
2007-12-27T16:30:50+00:00 27.12.2007 17:30
Schöner Anfang.
Freu mich schon auf die Fortsetzung, also mach ja schnell weiter.

MfG Catix
Von:  Prises
2007-12-27T13:19:45+00:00 27.12.2007 14:19
Man, das fängt ja schon mal richtig gut an! Ich finde es richtig gut, dass du vor allem die Unterschiede der beiden Prinzen so zur Geltung gebracht hast. Lu-Ten der Vernünftige und Lee der na ja... etwas "unzüchtige". ;3
Bin schon echt gespannt wie es weiter geht!


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