Irgendwann
Sakura war auf dem Rückweg nach Konoha. Tsunade hatte ihr eine leichte Botenaufgabe erteilt und ihr gesagt, sie solle sich ein paar Tage frei nehmen und außerhalb Konohas ausspannen. Und genau das hatte sie getan. In Konoha hatte sie keinerlei Möglichkeiten dafür gehabt, wäre im Krankenhaus gebraucht worden oder hätte sofort wieder an der nächsten Mission teilnehmen müssen. Dabei hatte sie ein wenig Urlaub doch so nötig gehabt. Von der ganzen Arbeit in letzter Zeit war sie wirklich ausgelaugt gewesen und auch nach den paar Tagen – in denen sie versucht hat, sich so gut es eben ging, zu entspannen – war sie immer noch ziemlich geschafft.
Sie hatte sich in dem kleinen Dorf eine Auszeit genommen. Ohne Pflichten, ohne Verantwortung anderen gegenüber. Wirklich etwas gebracht hatte es ihrer Meinung zwar nicht, aber da es Tsunades ausdrücklicher Wunsch gewesen war, hatte sie es natürlich gerne getan. Ihrem Körper hatte diese Erholung auch sichtlich gut getan, ihr Geist war jedoch noch genauso geschwächt wie zuvor. Dennoch freute sie sich irgendwie wieder auf ihre Arbeit. Sie hatte Freude daran, war gerne beschäftigt und hatte etwas um die Ohren. Ansonsten breitete sich in ihr immer ein Gefühl des Verlustes aus, welches nicht wirklich erträglich war.
Schnell sprang sie von einem Baum zum nächsten, beobachtete ihre Umgebung. Obwohl sie auf keiner offiziellen Mission war, gehörte es für sie zur Routine, achtsam zu sein. Man wusste ja nie. Und scheinbar schien sie wirklich verfolgt zu werden, zumindest war noch jemand anders in der Nähe, das spürte sie. Und die andere Person schien ihre Anwesenheit ebenso zu spüren, denn sie kam geradewegs auf die Rosahaarige zu. Freundlicherweise, denn dadurch ersparte sie der Haruno die Arbeit, sie ausfindig zu machen und zu verfolgen, um sicher zu gehen, dass sie keine Gefahr darstellte. Sie machte auf einer kleinen Lichtung halt und wartete darauf, dass auch die andere Person hier ankommen würde.
Der Platz wurde von den Sonnenstrahlen in ein leicht goldenes Licht getaucht und strahlte so eine angenehme Wärme aus, wenn es vereinzelt durch die Baumkronen brach. Zu ihrer einen Seite hörte sie einen kleinen Bach plätschern, einige Vögel und andere Tiere schienen hier zu wohnen. Alles in allem ein durchaus romantischer Platz, aber das interessierte sie gerade herzlich wenig. Schließlich war ihr gerade gar nicht nach Romantik zumute. Eigentlich war ihr nie wirklich danach zumute, schließlich fehlte ihr dazu eine bestimmte Person.
Noch während der andere Ninja ebenfalls das Feld erreichte, drehte Sakura sich um, da sie bisher mit dem Rücken zu dem Neuankömmling gestanden und die kleine freie Fläche betrachtet hatte. Und was sie dort sah, verschlug ihr den Atem. Das konnte doch nicht wahr sein. War er es wirklich? „Sasuke?“ Mehr brachte sie in diesem Moment nicht hervor; mehr wollte sie nicht sagen.
Der Schwarzhaarige schien nicht minder verwirrt zu sein, gerade ihr über den Weg zu laufen. Sakura brauchte einen Moment, um die Situation zu realisieren. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht hiermit. Den Glauben an ein Wiedersehen mit ihm hatte sie nie verloren, dennoch hatte sie nicht geglaubt, dass es so passieren würde. Scheinbar machte er keine Anstalten, gegen sie kämpfen zu wollen, wahrscheinlich empfand er sie für zu schwach. Hätte Sakura gerade die Lust verspürt, gegen ihn anzutreten, dann hätte sie ihm bewiesen, dass dies nicht mehr der Fall war und sie durchaus dazugelernt hatte, obwohl sie ihm dennoch unterliegen würde. Aber was machte er überhaupt hier?
Der Uchiha rührte sich nicht vom Fleck, blieb die paar Schritte von ihr entfernt stehen. Sie war also die Person gewesen, welche er entdeckt hatte und er hatte doch tatsächlich gehofft, mal wieder einem richtigen Gegner gegenüber treten zu können. Schließlich war dies die beste Möglichkeit, praktische Erfahrungen zu sammeln. Jetzt konnte er auch wieder verschwinden, eigentlich brachte sie ihm gerade gar nichts. Er musste stärker werden und konnte nicht seine Zeit verschwenden, immerhin hatte er noch eine Aufgabe zu erledigen. Wahrscheinlich würde sie gleich wieder anfangen zu heulen und ihn anschreien, weil er sie verlassen hatte, obwohl sie ihn doch liebte, und danach würde sie versuchen, ihn aufzuhalten und mit nach Konoha zu schleifen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Rosahaarige sich großartig verändert hatte. Doch nichts dergleichen geschah. Weder fing sie an zu weinen, noch zu schreien. Sie stand einfach nur da und sah ihn an, was ihn faszinierte. Sie hatte sich verändert, daran bestand kein Zweifel.
„Komm zurück.“
Leise und flehend kam dieser Satz über ihre Lippen. Fast schon zu leise, doch er verstand sie. Der Schwarzhaarige wusste, was sie wollte. Zumindest damit hatte er recht behalten; sie würde es versuchen. Es war kein Geheimnis für ihn, dass sie sich wünschte, er wäre wieder in Konoha. Bei ihr. Wie gerne würde er sagen, er käme mit ihr zurück? Er vermisste seine Heimat, dennoch konnte er nicht. Noch nicht. Seine Rachegefühle waren einfach stärker, kontrollierten sein Handeln. Solange er keinen inneren Frieden mit dieser Angelegenheit geschlossen hatte – wenngleich dies bedeutete, dass er seinen Bruder töten musste -, würde er keine ruhige Minute haben. Er musste stärker werden, viel stärker. Wozu sollte er jetzt in das Dorf zurück, das er als Heimat bezeichnete? Es hatte sich noch rein gar nichts geändert und wenn er nicht handelte, würde dies auch nie der Fall sein. Er musste seine Aufgabe abschließen. Und wenn er dabei den Tod fand, dann sollte es so geschehen.
„Meine Rache ist noch nicht beendet.“
Die Rosahaarige stand stillschweigend an ihrer Stelle, rührte sich nicht, lauschte seinen Worten, mit denen sie im Prinzip gar nicht gerechnet hatte. Es war einfach nur erstaunlich. Sie hatte versucht die Gefühle für ihn zu verdrängen, zu verändern, zu akzeptieren und schließlich hatte sie versucht, ihn zu vergessen. Und genau in diesem Moment kam alles wieder hoch. Sakura wusste, dass sie ihn liebte. Es war nicht nur Bewunderung, welche die ganzen anderen Mädchen damals für ihn empfunden hatten. Bei ihr war es anders. Das Gefühl war viel zu stark dafür und einfach zu unerklärlich. Seit er weg war, fehlte auch ein Teil von ihr, doch kaum einer merkte dies. Die Rosahaarige wollte stark sein, brauchte kein Mitleid, keinen Trost, keine Aufmunterung. Schließlich würden sich ihre Gefühle ihm gegenüber doch nicht ändern. Für keine andere Person hatte sie je so gefühlt. Doch langsam war sie sich nicht mehr sicher, ob sie sich einfach nur zwanghaft an ihrer Vergangenheit fest klammerte, weil sie Angst hatte, ihn zu verlieren. Hatte sie ihn je geliebt? War das Gefühl echt? War es richtig? Oder hatte sie sich selbst in dem Gedanken verrannt?
Nach einer kurzen Weile durchbrach sie die Ruhe. Er stand immer noch vor ihr, war nicht gegangen. „All die Zeit, all die Tränen, die ich deinetwegen vergossen habe... und ich kann es immer noch nicht ändern.“ Sakura senkte ihren Kopf. „Warum kannst du mir mein Herz nicht zurückgeben?“
Der Schwarzhaarige schwieg, wand seinen Blick nach links, um sie nicht mehr betrachten zu müssen. Was sollte er auf diese Frage auch antworten? Er war nie sein Ziel gewesen, doch er konnte es nicht ändern. Innerlich verfluchte er sich selber dafür, denn er mochte sie. Sakura war etwas Besonderes, eine Freundin. Er hatte mit ihr einige Missionen erledigt, sie kennen gelernt. Anfangs empfand er sie als nervig, was jetzt nicht mehr der Fall war. Und er wollte sie sicher nicht verletzen. Sie war in gewisser Weise ein Teil seiner Familie geworden. Ein Teil der Familie, die er so sehr vermisste und weshalb er nicht einfach glücklich sein konnte. Seine Rache führte ihn auf einen anderen Weg.
Gerade als er den Ort wieder verlassen wollte, durchbrach die Stimme der Rosahaarigen erneut die Stille.
„Zeig mir wenigstens, dass es richtig ist.“
Was war das jetzt schon wieder für ein Frage? Er verstand sie einfach nicht. Was wollte sie ihm damit sagen. Verwirrt hielt er in seiner Bewegung inne, drehte sich wieder zu ihr um. Sakura hatte sich keinen Millimeter vom Fleck wegbewegt, hielt ihren Kopf gesenkt, so dass er in ihren Augen nicht lesen konnte, was sie wollte. Sie zitterte leicht. Der Uchiha wusste, dass wenn er jetzt den Platz verlassen würde, er sich über ihren Satz Gedanken machen würde. Er wollte wissen, was richtig sein sollte. In gewisser Weise interessierte es ihn, was sie dachte, auch wenn er sich selbst nicht erklären konnte, warum. Vielleicht war dies der Zeitpunkt es herauszufinden.
Vom einen auf den anderen Moment stand er vor ihr, doch sie wollte ihm einfach nicht in die Augen blicken. Nicht jetzt. Der Schwarzhaarige legte seine Hand unter ihr Kinn und zwang sie mit einer sanften Bewegung, ihn anzuschauen. Schon in dem Augenblick, in dem er in ihren Augenwinkeln die sich bildenden Tränen ausmachte, bereute er seine Entscheidung, nicht schon wieder fort zu sein. Seine eigenen Augen trugen einen fragenden Ausdruck. Er wusste immer noch nicht, was sie von ihm wollte, aber er wusste, dass er sie hier nicht so stehen lassen konnte. Sie blinzelte einmal, doch die Träne suchte sich noch keinen Weg aus ihren Augen. Scheinbar zwang sie sich, nicht zu weinen. Der Schwarzhaarige musste festhalten, dass sie sich verändert hatte. Nicht nur äußerlich, auch charakterlich schien sie sich entwickelt zu haben, stärker geworden zu sein. Auf einmal kam es ihm so vor, als würde er sie nicht mehr kennen, dabei hatte sie ihm doch damals immer rauf unter runter erzählt, wie es ihr ging, wie sie sich fühlte und wer sie war. Er wusste quasi alles von ihrem Leben ohne je danach gefragt zu haben. Sein Gedankengang fand ein Ende, als die Rosahaarige zum wiederholten Male die Stille durchbrach.
Sakura hatte gemerkt, dass er nichts mit ihren Worten anfangen konnte. Es erstaunte sie, dass er immer noch vor ihr stand - näher als je zuvor – und noch nicht das Weite gesucht hatte. Sie hatte versucht in seinen Augen zu lesen, Gefühle auszumachen, doch erfolglos, daher hatte sie es aufgegeben. Die Rosahaarige konnte immer noch nicht einschätzen, was er empfand. Die Augen des Schwarzhaarigen bargen eine Gefahr. Sie wollte sich nicht in seinen Augen verlieren, nicht in diesem Augenblick und er zwang sie, genau das zu tun. Sie schluckte einmal hart, konnte die Stille nicht mehr ertragen, ermahnte sich, nicht zu heulen.
„Zeig mir, dass es richtig ist, auf dich zu warten, dass es nicht aussichtslos ist, dass ich mein Leben nicht damit verschwende, dir hinterher zu trauern und auf dich zu warten. Zeig mir, dass es richtig ist, dich zu lieben.“
Die Haruno wartete auf eine Reaktion seinerseits, doch nichts geschah. Langsam müsste er doch verstanden haben, was sie meinte. Immerhin war es nichts Neues für ihn. Sie erwartete, dass er jeden Moment seine Hand von ihrem Kinn nehmen, sich umdrehen und sie alleine lassen würde. Wie damals. Doch nichts dergleichen passierte. Warum quälte er sie so? Wusste er eigentlich, was er ihr antat, indem er blieb? Jede Sekunde intensivierte sich der Schmerz, den der Uchiha in ihr hervorrief. Hoffnung war etwas Schreckliches, wenn man davon enttäuscht wurde.
Die Rosahaarige war wirklich unverbesserlich. Sie liebte ihn doch tatsächlich immer noch. Dabei hatte er das Dorf verraten, war zu Orochimaru übergelaufen, hätte fast Naruto getötet und war charakterlich auch nicht gerade die Person, bei der man von angenehmer Ausstrahlung sprach. Er war weder sympathisch, noch liebenswert oder in irgendeiner anderen Art und Weise als nett zu bezeichnen, was daran lag, dass er dies auch nie sein wollte. Er wusste, wie es war, seine Familie zu verlieren; er wollte anderen nicht das gleiche antun, auch wenn es nur der Verlust eines Freundes gewesen wäre. Die einzige freundschaftliche Bindung hatte er damals verkehrter Weise zu seinem Team aufgebaut und bereute dies inzwischen aus tiefstem Herzen. Naruto mochte meinen, was er wollte, Freunde machten schwach.
Er musste sich auf seine Rache konzentrieren und nun stand sie hier vor ihm, sagte ausnahmsweise nichts. Mit einem Mal wollte er wieder die in gewisser Weise unbeschwerte Zeit in Konoha zurück. Mit seinem Team. Die Zeit, in der es nur darum ging, stärker als Naruto zu sein und irgendwie Sakura zu ertragen. Doch diese Zeit würde wohl nie wieder zurückkehren, denn dafür hatte er vor einiger Zeit die falsche Entscheidung getroffen. Und nun war er hier, stand vor dem rosahaarigen Mädchen, das er früher für so nervend hielt. Mit dem einzigen Unterschied, dass sie eindeutig kein kleines Mädchen mehr war. Sie war erwachsen geworden, um nicht zu sagen sogar attraktiv. Der Schwarzhaarige nahm seine Hand wieder von ihrem Kinn. Ihr Blick blieb auf ihn gerichtet, wand sich nicht wieder auf den Boden.
Pechschwarz traf auf Smaragdgrün.
Vielleicht brauchte er doch etwas, für das es sich zu leben lohnte. Etwas, was nicht mit seiner Rache zusammenhing. Einen Grund, den Kampf gegen Itachi zu überleben, einen Grund zu leben. Vielleicht brauchte er einen neuen Ansporn, einen neuen Sinn im Leben. Bisher hörte sein Gedankengang an dem Punkt auf, an dem er seinem Bruder gegenüber stehen würde. Was danach kommen würde, interessierte ihn nicht weiter. Die Rache war bisher sein einziger Lebensinhalt. Doch was kam danach? Brauchte er nicht etwas, wohin er zurückkommen könnte? Einen Ort, den er zuhause nannte. Das Gefühl, gebraucht zu werden, damit er nicht an seiner Einsamkeit zugrunde ging? Nicht, dass sie ihn bis zu diesem Zeitpunkt gestört hätte, aber irgendetwas sagte ihm, dass dies der Moment war, seinem Leben einen neuen Sinn zu geben; neben seiner Rache.
Und auch wenn er im Grund nicht genau wusste, warum er es machte – ob es ihre Worte, die ihn früher kalt gelassen hatten, die merkwürdigen Gedanken, die sich in sein Unterbewusstsein gedrängt hatten, der Ort oder der Zeitpunkt gewesen waren -, jedenfalls war der Uchiha genauso schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war, so dass Sakura fast geglaubt hätte, dass diese Treffen nie wirklich stattgefunden hätte. Allerdings hatte der Schwarzhaarige zuvor etwas getan, womit sie nicht gerechnet hatte. Kurz und flüchtig und kaum wahrnehmbar, aber er hatte es getan. Sasuke hatte der Rosahaarigen einen Kuss gestohlen. Es hatte weniger als einen Wimpernaufschlag angedauert und als die Rosahaarige ihre Augen wieder öffnete, war er weg, hatte sie wieder alleine gelassen.
Kaum war sie wieder alleine auf dem Platz, gaben ihre Knie nach und sie sackte in sich zusammen, überrascht, verwundert, erstaunt. Die Haruno fühlte sich komisch. In ihr regten sich mehrere durchaus gegensätzliche Gefühle auf einmal. Freude, Hass, Hoffnung, Angst, Trauer, Glück. Sie wusste nicht, was sie machen sollte, was sie fühlen sollte. Sie könnte schreien, weinen oder vor Freude in die Luft springen und doch war der Moment so unecht. Was das gerade wirklich passiert? Ihre Hand wanderte zu ihren Lippen, ihre Finger berührten die Stelle, an der eben noch die seinen gelegen hatten.
Die Rosahaarige lächelte.
Es war kein Traum, kein bloßer Wunschgedanke, es war Wirklichkeit, es war richtig. Mit einem Mal war ihr klar, dass sie warten würde, egal wie lange er bräuchte. Es spielte keine Rolle für sie, denn sie wusste, dass er derjenige war, den sie geliebt hatte, liebte und ewig lieben würde. Ihr Herz würde auf immer ihm gehören, ob er es wollte oder nicht. Die Haruno erhob sich langsam wieder und setzte ihren Weg zurück nach Konoha fort. Nun war sie wirklich entspannt. Und glücklich wie schon lange nicht mehr. Von ihrer Begegnung würde sie niemandem erzählen. Ganz sicher nicht. Das war jetzt ihr kleines Geheimnis. Ein Hoffnungsschimmer in der Dunkelheit, dass er wieder zurückkommt. Und Sasuke würde sicher kommen.
Irgendwann...