Die Uhr
Da war es wieder.
Tick – Tack - Tick – Tack
Dieses Ticken der Uhr, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließ.
Chiaki Nagoya stand auf und ging zu dem Spiegel. Er zupfte sich den Kragen seines Hemdes zu Recht und schaute sich an. Er war 25 Jahre alt oder besser gesagt jung.
Er hatte beruflich schon eine Menge erreicht. Ja, er hatte Karriere gemacht.
Er blickte auf die 3 Krawatten, die über den Spiegel lagen, sie waren immer für die wichtigen Notfälle gedacht, wenn er gerade mal wieder eine Pressekonferenz geben musste oder einen Termin seines Vaters übernehmen sollte. Ja, sein Vater. Er war damals genauso ein Aufreißer wie Chiaki es heute noch ist. Wie sagt man so schön, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Tick – Tack - Tick – Tack
Jedes Mal, wenn die Wanduhr in seinem eigenen Büro so tickte, zeigte sie ihm wieder, dass er Etwas anders machen musste. Dass er Etwas verändern sollte, in seinem Leben. Dass er sein Leben endlich neu gestalten sollte. Dass es so nicht weiter ging wie bisher.
Tick – Tack - Tick – Tack
Chiaki Nagoya, Neurologe und Leiter der Neurologie-Station des Nagoya Krankenhauses, saß in seinem Büro, las sich die Unterlagen und Bewerbungen der Praktikantinnen durch und hörte immer nur das Ticken der Uhr in seinem Kopf. Es hallte in seinem Kopf doppelt so laut wider als sie eigentlich tickte. Er hasste diese Momente, wo es so war. Er seufzte.
Tick – Tack - Tick – Tack
Chiaki lehnte sich in seinen Sessel zurück und fuhr sich geschafft durch die Haare. Er war 25 Jahre alt, hatte also mehr als ¼ seines Lebens schon hinter sich. Zumindest sah er das momentan etwas schwarz. Warum auch immer. Es war einfach so. Normalerweise war er ein fröhlicher Mensch.
Er blickte auf seinen Antiken Schreibtisch. Hier stand kein Bild von einer Frau und Kinder, nicht mal von einer Verlobten oder einer Freundin. Es war der Schreibtisch eines Junggesellen, der Spaß am Leben hatte und bisher nie etwas Festes wollte. Er wollte sich nicht an etwas binden, das vielleicht eh nicht lange halten würde, also warum die Mühe machen.
Nein, bisher hatte er keine Frau gehabt, die ihn länger als 1 Woche hatte an sich binden können. Oder die ihn länger gereizt hatte, die meisten waren sogar nur One-Night-Stands gewesen.
Und nun fiel ihm auf, dass er irgendwas suchte.
Tick – Tack - Tick – Tack
Chiaki Nagoya legte die Akten weg. Er musste sich ablenken.
Na okay, er hatte es ja schon zu Etwas gebracht. Er war Chefarzt der Neurologie-Station im Krankenhaus seines Vaters. War einer der jüngsten Neurologen von ganz Japan. Was ihn sehr stolz machte, denn nur deswegen hatte er auch den Posten bekommen. Sein Vater schenkte ihm den nicht so einfach. Nein, Chiaki hatte hart gearbeitet und das war auch das Wichtigste für ihn gewesen. Vermutlich ließ er deswegen sein Privatleben so schleifen.
Wie sagte Erich Fomm doch gleich, die heutige Gesellschaft ist nur in ihrem Berufsleben diszipliniert, das Privatleben lassen sie schweifen. Da hatte er wohl nicht ganz so Unrecht.
Tick – Tack - Tick – Tack
Chiaki Nagoya fuhr sich noch mal durch seine blauen Haare und stand nun doch endlich von seinem Stuhl auf. Er hatte jetzt etwas zu tun. Er ging aus seinem Büro heraus und trat in die Eingangshalle des Krankenhauses. Patienten, Schwestern und sogar ein paar Ärzte liefen vereinzelt durch die Gänge und den Flur.
Dann sah er eine kleine Gruppe von Leuten, deren Fotos er auf seinem Schreibtisch in deren Akten liegen hatte.
Dies waren die Praktikanten.
Tick – Tack - Tick – Tack