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Himmel und Erde

Schatten und Licht, Interlude 1
von

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Aufbruch

Mit einem flauen Gefühl im Magen ging Merle durch die Gänge der Villa De Farnel. Nachdem das Turnier sie endlich freigegeben hatte, war sie ohne Umwege zur Residenz des Königs gefahren. Eigentlich hatte sie vor, nach dem vielen Sitzen sich im Garten mit Allen die Beine zu vertreten, doch eine Dienerin hatte sie am Villeneingang abgefangen und vernichtete so ihre Pläne. Jetzt führte eben dieses Mädchen sie zum gesicherten Konferenzraum. Die Dienerin öffnete ihr die Tür, woraufhin Merle ihr dankbar zunickte und eintrat. Sofort fiel ihr Sophia auf, die vollkommen verstört am Tisch saß und von Milerna umsorgt wurde. Van und Allen standen etwas Abseits und beobachteten das Mädchen mit angespannten Minen. Aus Merle wollte schon die Frage platzen, was geschehen war, doch Van schaute zur ihr auf und sein ernstes Gesicht belehrte sie eines Besseren.

Lautlos bewegte er sich auf sie zu, trat so nah an sie heran, dass sich ihre Wangen fasst berührten, und flüsterte: „Nachdem Sophia ihren ersten Kampf gewonnen hatte, griff jemand aus der Menschenmenge sie an und überwältigte sie. Er hatte genug Zeit, sie zu bedrohen und zu verspotten, ehe er vor den Wachen floh. Den Beschreibungen der Zeugen nach zu urteilen, war es Hitomis Bruder.“

Entsetzt sah Merle ihn an.

„Ryu?“

Van bestätigte stumm.

„Hat er sie verletzt?“

„Sie erlitt…eine akute Belastungsreaktion. So hat Milerna es ausgedrückt.“

„Was bitte?“

„Einen psychischen Schock. Abgesehen davon scheint es ihr gut zu gehen.“

„Kann ich mit ihr reden?“, erkundigte sich Merle.

„Falls Milerna es gestattet.“

Leise löste sich Merle von ihrem Bruder und näherte sich behutsam den beiden Frauen. Sie legte Milerna eine Hand auf ihre Schulter, die sich daraufhin zu ihr umdrehte, nickte und zurücktrat. Langsam kniete sich Merle neben die wimmernden Mädchen und lächelte ihr ermunternd zu. Krampfhaft versuchte Sophia zurückzulächeln, doch es gelang ihr nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann brach sie erneut in Tränen aus. Sanft strich Merle mit einer Hand durch ihr Haar, während sie die andere auf eines der Knie legte. Da sie nicht wusste, was sie sagen sollte, beließ sie es dabei, dem Mädchen das Gefühl zu geben nicht allein zu sein. Nach ein paar Minuten durchbrachen plötzlich Worte das Schluchzen.

„Er… Er hat gesagt…Sarion wird fallen.“ So gut es ihr möglich war, versuchte Merle ihre Ruhe zu bewahren. Sarion war die Hauptstadt der Königreiches Chuzario, Sophias Heimat. „Dann kamen diese Bilder in meinem Kopf…ich weiß nicht, woher…ich konnte sie nicht stoppen.“

„Was hast du gesehen?“, fragte Merle, ehe sie ihre Neugierde stoppen konnte.

„Grausam entstellte Menschen…als wären sie wandelnde Leichen. Die Stadt…ich kenne sie nicht. Aber der Junge sagte…das gleiche würde in Sarion passieren. Sarion sähe genauso aus.“

Merle sah Milerna viel sagend an, die sofort ihren Platz einnahm und Sophia schützen umarmte. Indes trat das Katzenmädchen näher an Van und Allen heran.

„Was jetzt?“, flüsterte sie.

„Ryu hat uns offensichtlich ein Warnung zukommen lassen.“, überlegte Van. „Die Frage ist Warum und wie sollen wir darauf reagieren.“

„Auf jeden Fall nicht so, wie Trias es sich erhofft.“, warf Merle ein.

„Bist du dir sicher, dass der Junge die Zustimmung von Trias hatte?“, äußerte sich Allen, woraufhin sie ihn erstaunt ansah. „Siri schien mir schon öfters auf eigene Faust und gegen ihren Meister gehandelt zu haben. Vielleicht ist das auch dieses Mal der Fall.“

„Auf keinen Fall!“, erwiderte Merle zwar leise, dennoch energisch. „Es gibt unauffälligere Methoden um Nachrichten zu überbringen und Siri weiß das. Würde sie ohne seine Erlaubnis vorgehen, hätte sie uns die Information heimlich überbracht.“

„Vielleicht handelt Ryu ja auf eigene Faust.“, gab Allen zu bedenken.

„Das spielt keine Rolle!“, unterbrach Van die Diskussion, der seinen eigenen Fehler einsah. „Jedenfalls noch nicht. Wie geben wir die Warnung weiter? Darüber sollten wir uns Gedanken machen.“

„Es gibt viele Zugänge zum Händlernetz in Sarion. Wir könnten eine Nachricht schicken.“, schlug sie vor, woraufhin Allen einwandte: „Die Nachricht dürfte ziemlich unglaubwürdig sein, wenn ein einfacher Händler sie dem König vorträgt, sollte er überhaupt so weit kommen.“

„Außerdem müssen wir unter allen Umständen eine Panik vermeiden. Von der Bevölkerung darf niemand etwas wissen. Vor allem, da wir keine Ahnung haben, was auf sie zukommt.“

„Wahrscheinlich hat Trias bereits einige unauffällig aussehende Gezeichnete in die Stadt geschleust, die langsam kleine Scharen zu Monstern mutierte Menschen ausheben. Diese wird er innerhalb eines kurzen Zeitrahmens von verschiedenen Orten aus auf die Stadt loslassen.“, spekulierte Merle.

„Wie kommst du darauf?“, hakte Van nach.

„Ich habe bereits gegen einen Gezeichneten und seine Diener gekämpft, und konnte mir ein Bild von deren Fähigkeiten machen.“, erklärte sie. „Ich an seiner Stelle würde es so machen. Zumindest beim ersten Mal. Das Gute an dieser Taktik ist, dass sie nur einmal funktioniert.“

„Und das schlechte?“, erkundigte sich Allen.

„Sie funktioniert. Und ich wüsste nicht, was man kurzfristig dagegen unternehmen könnte.“

„Du hast während dem Flug Zeit, dir etwas auszudenken.“, sagte Van bestimmt. Merle stutze.

„Ich soll gehen?“

„Du verstehst sicher, warum ich Sophia nicht als Boten einsetzen will.“

„Und mir hast du mal gesagt, du könntest Gezeichnete aufspüren.“, argumentierte Allen zustimmend.

„Aber was wird aus dem Turnier?“

„Gute Frage.“, erwiderte Van nachdenklich. „Ich kann mich nicht vom Teilnehmerfeld zurückziehen, ohne dass mein Ansehen beträchtlichen Schaden nimmt. Und wenn ich den Rat der Volksbeauftragten als Patron einsetzte, streiten die Drei sich sofort, wer auf der Tribüne den Ehrenplatz in der Mitte erhält.“

„Dann setz doch Sophia als Veranstalterin ein. Angeblich hat sie doch einen wesentlichen Teil der Vorbereitungen selbst geleistet.“, schlug Allen vor, doch der junge König blieb skeptisch.

„Die Signalwirkung dieser Geste ist mir ein bisschen zu stark. Astoria hat jetzt schon allen Grund zur Annahme, ich hätte mich für eine Seite entschieden.“

„Dann bitte doch Milerna und Sophia, gemeinsam die Schirmherrschaft zu übernehmen.“, wandte Merle ein. „Das wäre gleichzeitig auch ein Zeichen der Freundschaft, das für Entspannung zwischen Astoria und Chuzario sorgen sollte.“

„Ich bezweifle, dass sie sich um die Sitzordnung streiten werden.“, stimmte der Himmelsritter mit einem Blick auf die beiden Frauen zu, die sich inzwischen leise unterhielten. Van nickte und musterte Merle dann mit strenger Mine.

„Du brichst besser auf, ehe Sophia sich gefangen hat. Ich stelle schnell eine Mappe über Trias Schöpfungen zusammen. Wenn sie fertig ist, erwarte ich, dass du und das Schiff es auch seid.“

„Fliege ich mit dem Kopfgeldjägerschiff?“, fragte Merle.

„Ja, aber es ist Zeit, dass du dir einen Namen für das Schiff ausdenkst. Ich hasse diese Bezeichnung.“

„Wie wirst du den Zuschauern meine Abwesenheit erklären?“

„Du bist nach Chuzario geflogen, um dich persönlich für den Vorfall bei Sophias Vater zu entschuldigen. Da es unverantwortlich wäre, sie wieder zurück in den Ring zu schicken, wird sie dich an der Seite von Milerna vertreten.“

„Und ich werde dich als moralische Stütze begeleiten.“, warf Allen ein.

„Ich kann auf mich aufpassen.“, behauptete Merle nach einer Sekunde der Verwunderung.

„Glaubst du, nur Farnelia hat ein Interesse daran, dass Chuzario nicht untergeht?“, erwiderte Allen mit hochgezogenen Augenbraun.

„Na schön, aber ich gebe die Befehle!“

„Wie ihr wünscht, euer Hoheit.“, sicherte er ihr mit einer leichten Verbeugung zu.
 

„Hier sind die Informationen.“, sagte Van und hielt Allen eine Mappe hin, welche der Ritter sogleich ergriff, doch der König ließ sie nicht los. Mit einem stechenden Blick musterte Van seinen ehemaligen Gefährten. „Pass gut auf meine Schwester auf!“, verlangte er und legte noch eine Portion eisige Entschlossenheit in seine Augen. „Ich muss dir ja nicht erzählen, dass wir nie Freunde waren, solltest du ihr wehtun.“

„Ich weiß.“, erwiderte Allen ernst, woraufhin Van seine Hand zurückzog.

„Ich geh jetzt lieber, ehe sie die Düsen aufwärmt.“, verabschiedete er sich und verließ eilig den aus den weißen Felsen der Schlucht gehauenen Hangar. Einen Moment verweilte Allen noch in Gedanken, ehe sein Blick auf den Rücklauf eines der Triebwerke fiel und er die Rampe hinaufhastete, die in das Heck des Schiffes führte. Nachdem er die einzige Einstiegsmöglichkeit sicher geschlossen hatte, bewegte er sich zielstrebig zur Brücke, die diese Bezeichnung, so eng wie sie war, eigentlich nicht verdiente. Durch die Frontscheiben sah er nur weißes Gestein. Zwar war er sich darüber im Klaren, dass Merle ein Seitwärtsmanöver mit Hilfe zweier in den Flügeln eingearbeiteter Rotoren durchfuhren musste, um aus der künstlichen Höhle in die Schlucht zu schweben, doch wusste er nicht, ob er sich deswegen Sorgen machen sollte. Sie besetzte den rechten der beiden Sitze. In der Reichweite ihrer Arme befanden auf engsten Raum zusammengepresste Anzeigen und Instrumente, die sie beinahe ohne inne zu halten mit einer Hand bediente, während sie in der anderen einen Block hielt. Allen wollte es sich schon auf dem linken Sitz, dessen Anzeigen sehr viel leichter zu überschauen war, gemütlich machen, als sie ihn zurückpfiff.

„Untersteh dich! Das ist mein Platz.“

„Entschuldigt bitte, euer Ho….“

„Allen, von nun möchte ich kein Hoheit mehr aus deinem Mund hören! Sobald wir die Landesgrenze überflogen haben, bin ich nur eine Schwester, die einen Botengang für ihren Bruder erledigt. Ich möchte nicht, dass es so aussieht, als würde ich die Leute nötigen, mich mit einem Titel anzusprechen, indem ich dich als Herold vorschicke. Ab sofort sind also alle Titel tabu.“

„Alle?“

„Alle bis auf einen.“

„Kommandant? Kapitän? General?“, scherzte Allen, woraufhin sich Merle zu ihn aufsah und lächelte.

„Botschafter.“, antwortete sie. „Bitte verzeihe mir, wenn ich dich vorhin gekränkt habe, aber für eine solche Mission müssen klare Befehlsketten vorliegen.“

„Wenn ich gekränkt war, dann nur weil du es für nötig hieltst, es klar zu stellen.“, erklärte Allen. „Du führst, ich folge. Das war bisher immer so.“

„Und du hast kein Problem damit?“

„Bei deinem Tempo…“, äußerte sich Allen amüsiert und tat so, als müsste er überlegen. „Wenn es langweilig wird, kann ich ja immer noch aussteigen.“

Merle prustete und wandte sich grinsend wieder ihre Liste zu.

„Niemals!“, verkündete sie. „Eher sperre ich dich in einen Käfig und werfe den Schlüssel weg.“ Sein Schweigen ließ sie ahnen, dass sie sich in der Wortwahl vergriffen hatte. „Bitte entschuldige.“

„Macht nichts.“, versicherte er. „Jetzt weiß ich wenigstens, wie sich Hitomi gefühlt haben muss, als ich das Selbe zu ihr sagte.“

„Und? Wie fühlst du dich?“

„Verunsichert.“

„Ich schätze, wir müssen beide noch üben.“, sagte Merle und trieb sich mit Gewalt zur Arbeit an. Ihr Gefährte schaute ihr dabei interessiert über die Schulter. Schließlich hakte sie in Gedanken auch den letzten Punkt auf der Liste ab und fixierte den Block auf der Außenseite des Sitzes. Dann griff sie ein weiteres Mal in das geordnete Chaos hinein und begann zu sprechen. „Kontrolle, alle Systeme sind in Ordnung. Erbitten Erlaubnis zum Aufwärmen der Triebwerke.“

„Hier Kontrolle, Hangar ist leer und die Klammern sind gelöst. Freigabe zum Start…“, meldete sich eine männliche Stimme, die aber von einer weiblichen unterbrochen wurde.

„Halt, nicht abheben! Ich komme mit.“, erschallte Sophias Stimme aus Lautsprechern, deren Positionen Allen immer noch nicht ausmachen konnte. Merle fluchte lautlos, erhob sich und schob ihn sanft zur Seite. Mit einer geübten Bewegung ließ sie sich in den linken Sitz fallen. Ihre Glieder rasteten sofort in die dafür vorgesehenen Mulden und Halterungen ein. Plötzlich schien das ganze Schiff zum Leben zu erwachen.

„Negativ, Prinzessin, die Triebwerke laufen bereits. Ich wiederhole. Die Treibwerke laufen! Es besteht Lebensgefahr.“, sagte sie laut und deutlich.

„Das ist meine Heimat, die in Gefahr ist!“

Sie biss sich auf die Lippe.

„Mag sein, aber meine ist ohne dich aufgeschmissen. Wer sonst könnte darauf achten, dass diese Querköpfe von Kriegern sich nicht gegenseitig die Schädel spalten?“

„Das kann Milerna übernehmen.“, erwiderte Sophia trotzig.

„Und die Mädchen, die du mir aufgeschatzt hast? Willst du sie auch Milerna anvertrauen? Oder willst du mich in die Verlegenheit bringen, eine Zusage nicht einhalten zu können.“

„Das ist gemein!“

„Das ist die Realität.“, belehrte Merle sie. „Bleib am Leben! Das bist du deinem Volk schuldig.“

Plötzlich knackte es und das Katzenmädchen sah Allen erwartungsvoll an.

„Setzt dich und schnall dich an! Ich erklär dir noch ein paar Instrumente, während die Triebwerke sich einarbeiten.“

„Warum tun sie das?“, fragte er fasziniert.

„Frag mich nicht. Als ich das letzte Mal geflogen bin, hab ich einen Notstart ausgeführt. Nachdem ich mit dir nach Farnelia zurückgekehrt war, wollte der Techniker mich lynchen.“



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