Dauernd, Mokuba! Dauernd!
Setos POV
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Er sah zur dunklen Decke. Das Zimmer war düster und groß. Trotz des riesigen Bettes und der weiß-blauen Decke, die über ihm lag, war ihm kalt. Sehr kalt. Nur der Mond schien in das Zimmer. Alles war ruhig, geradezu leblos. Auch er fühlte sich selbst so leblos wie die Möbel um ihn herum. Selbst sein Atmen war ruhig und mechanisch regelmäßig. Seto Kaiba schloss seine Augen und fühlte sich allein. Es war ihm plötzlich völlig klar. Er brauchte Leben in seinem Leben! So schnell wie möglich. Mokuba war nun schon drei Monate mit seinem Austauschprogramm in Amerika. Er würde noch für weitere neun Monate bleiben und fehlte Seto schon jetzt sehr. Ohne den kleinen Schwarzhaarigen war das riesige Haus leer. Noch nie waren die Brüder so lange voneinader getrennt gewesen. Aber wo bekam man Leben her? Soetwas bekam man ja nicht in noblen Modekatalogen angeboten. Einmal Leben für Junggesellen in Größe 36 für 190 Yen. Seto seuftze und legte sich die Hand auf's Gesicht. Seine Art zu leben sollte dringend geändert werden. Er lag noch lange wach.
Am nächsten Tag in der Schule sah man ihm die wenigen Stunden Schlaf sehr wohl an. Er lehnte sich erschöpft etwas in der Pause zurück. Aber nur etwas, denn um keinen Preis in der Welt wollte er Schwäche zeigen. Um dem tristen Klassenraum wenigstens mental zu bekommen, wollte er seinen Blick zum Fenster gleiten lassen, doch er blieb an der Clique hängen - die er immer gern den "Kindergartenverein" nannte - da sie genau zwischen ihm und den Fenstern saß. Es war der Freundeskreis um Yugi Muto, seinen Erzfeind. Dann war da noch dieses sinnleere, braunhaarige Mädchen Gardner, dieses Agressionsbündel Taylor ... Ein Lachen zog Setos Aufmerksamkeit auf sich. Es kam vom Köter, der schief auf seinem Stuhl saß und vor lauter Lachen herunter zu fallen drohte. Er steckte seine Freunde damit an und bald war der Raum erfüllt von Lachen. Joey Wheeler schüttelte den blonden Kopf und wischte sich Lachtränen aus den Augenwinkeln.
"Er ist...lebendig.", schoss es Kaiba durch den Kopf. Widerwillig schüttelte er diesen. Solche Gedanken passten ihm nicht, passten nicht zu ihm.
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Joeys POV
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"Was??"
"Mokuba hier."
"Ja, das habe ich mitbekommen, Moki. Das Andere bitte nochmal."
"Ich hab gefragt, ob du nicht übermorgen nach Seto gehen könntest. Joey, er hat Geburtstag und da ich nicht da bin, wird er wohl allein sein und das will ich nicht. Weißt du, Geburtstage allein zu feiern ist irgendwie ... ich will das Seto nicht antun ..."
"Mokuba?"
"Ja?"
"WIE ZUM TEUFEL KOMMST DU AUF MICH??"
"Naja, ich dachte, dass Yugi und die anderen vielleicht einfach zu viele für ihn sind und ihr beiden ... ich weiß, ihr streitet manchmal-"
"Dauernd, Mokuba! Dauernd!"
"Ihr streitet manchmal, aber du bist trotzdem jemand, der ihm wenigstens nicht egal ist."
"Das musst du erklären."
"Denk doch mal nach, Joey! Normalerweise lässt er alle Menschen abblitzen. Sogar für Yugi, der ihn besiegt - ich wiederhole: besiegt - hat, hat er nur ein schwaches Lächeln übrig. Aber bei dir ist das anders. Weißt du, wenn ihr euch in der Schule gestritten habt, so richtig, dann kommt er völlig aufgewühlt nach Hause und ist gar nicht in der Lage irgendwas Anderes zu machen, als hundertmal in seinem Büro im Kreis zu laufen und vor sich hin zu fluchen."
Joey biss sich auf die Lippe. Bei ihm war es nicht anders.
"Gerade deswegen, Mokuba. Ich mache ihn wahnsinnig, warum sollte er mich bei sich haben wollen?" Diese Frage war dumm gestellt. Sie hörte sich zudem noch so wehleidig an. Joey verfluchte sich selbst. Er verfluchte das Gespräch mit dem kleinen Kaiba.
"Selbst wenn das so wäre, was ich bezweifle, dann wäre es immer noch besser sich mit dir an seinem Geburtstag zu streiten, als allein in der Villa zu sitzen."
Joey bekam ein Bild in den Kopf von einem kleinen Seto in einem riesigen, dunklen und kalten Haus. Und das an seinem Geburtstag. Zum Teufel, seit wann war er so sentimental?
"Er wird wieder arbeiten.", meinte Mokuba traurig. Joey sah vor sich, wie er betrübt den Kopf senkte. "Er soll an seinem Geburtstag nicht arbeiten. Er soll etwas...etwas Schönes machen."
Joey versuchte es sanfter: "Mokuba, meinst du nicht auch es würde reichen, wenn du eine Stripperin oder so für ihn bestellst?" Okay, er war nicht der Taktvollste, das wusste er selbst. Am anderen Ende der Leitung hörte er ein erschrockenes Aufkeuchen, dann ein heiseres Lachen und schließlich Gelächter.
"Man sollte meinen du solltest ihn besser kennen."
Joey schob die Unterlippe vor, was Mokuba natürlich nicht sehen konnte. "Ich weiß, dass er sowas..." Joey senkte seine Stimme und verlieh ihr einen eiskalten Ton um Seto nachzuahmen "...obszön und geradezu lächerlich, dazu unter seinem Niveau ist." Mokuba gluckste.
"Nein, Joey, ich meinte da noch etwas Anderes." [1] Joey wartete auf eine Aufklärung, aber die blieb aus. "Wie auch immer. Könntest du das nicht biiiiii~itte machen? Für mich?" Und wieder sah Joey den kleinen Jungen vor sich. Diesmal mit übergroßen, glänzenden Augen, die er benutzte um jemanden dazu zu bringen etwas zu machen, das er wollte. Damit konnte er Steine erweichen und sogar Eisberge zum Schmelzen bringen. Seinen großen Bruder Seto zum Beispiel. Joey seufzte geschlagen.
"Mokuba...ich weiß nicht...wenn er mich nun rausschmeißt, dann stehe ich wie ein Trottel da! Und was schenkt man einem Eisschrank denn so?"
"Er wird dich nicht rausschmeißen. Das weiß ich. Und - sag ihm nicht, dass ich dir das gesagt hab - er mag Schokolade."
Joey runzelte die Stirn. Seto Kaiba und Süßigkeiten?
"So, Joey, es tut mir Leid, aber hier ist es längst Zeit schlafen zu gehen. Er hat Donnerstag Geburtstag. Am 25. Oktober. Bitte, Joey!! Du bist meine einzige Hoffnung!"
"Oo~ohkay.", sprach Joey langsam.
"Oh, DANKE, Joey! Glaub mir, du wirst das nicht bereuen!", sprudelte es aus dem Jungen heraus.
"Hm, ich weiß nicht.", murmelte Joey.
"Tschüß, Joey!"
"Auf Wiederhören, Mokuba."
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Am Donnerstag stand Joey wirklich vor der Kaiba-Corporation. Kaiba selbst war heute nicht in der Schule gewesen. Wie jedes Jahr an seinem Geburtstag. Joey vermutete stark er wollte einfach den ganzen Glückwünschen aus dem Weg gehen. Der Blonde hatte überlegt, ob er zur Kaibaschen Villa oder zur Corporation gehen sollte. Doch Mokubas Worte hafteten noch in seinem Gedächtnis. "Er wird wieder arbeiten." Er wäre längst wieder gegangen, wenn er nicht an die traurige Stimme des kleinen Jungen in Amerika denken müsste. Er seufzte und klingelte.
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[1] Der Kleine kennt anscheinend mehr von der Sexualität seines Bruders, als dieser selbst. Oder weiß Kaiba von seiner...Neigung?