Die Feuertaufe
Die Schwefelgeschwängerte Luft breitete sich immer mehr in der kleinen Kammer tief im inneren des Vulkans aus. Die Hitze der Lava war deutlich zu spüren, winzige Schweißpartikel bildeten sich auf der gebräunten Haut um die Körpertemperatur zu kühlen. Wie kleine Diamanten lagen die Schweißtropfen auf der Stirn der Anwesenden, die schon seit einiger Zeit in der gefährlichen Kammer waren und im Stillen beteten, dass der wütende Vulkan jetzt nicht ausbrechen würde und seine heiße um tödliche Lava auszuspucken.
Die Wächter, zu beiden Seiten des Eingangs, standen trotz der unerträglichen Hitze und der stickigen Luft aufrecht und stolz, ihre Blicke waren auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand fixiert. Es war keine Sache der körperlichen Verfassung, sondern einzig und allein eine Sache des Willens. Nur wenn sie es schafften, dass der Geist über den willigen und schwachen Körper regierte, konnten sie diese lange Zeit fast unbeschadet im tiefsten inneren des Vulkans verbringen.
Auf den glänzenden Sperrspitzen tanzten die Flammen von den Fackeln, die an jeder Seite der Kammer auf gleicher Höhe im selben Abstand hingen. Wie Tänzer aus einer anderen und fremden Welt erhoben sich die Schatten der Flammen an den Wänden und warfen gespenstische Bilder von Dämonen in die Kammer. Es herrschte kein Luftzug und trotzdem tanzten die Schatten wild und ungezähmt an den Wänden, hoben und senkten sich, drehten sich um die eigene Achse und schienen für wenige Sekunden miteinander zu verschmelzen, ehe jeder Schatten erneut seinen eigenen Tanz begann.
Ein Mann mittleren Alters, kahlrasiert und mit nackten Oberkörper, stand vor einem Podest, welches einem Altar nicht unähnlich war. Der Mann hatte sich das Haupt geschoren. Wie schon auf den Sperrspitzen, spiegelten sich die Flammen auch auf seiner Glatze wieder. Sein Körper war mit geschwungenen Runen, feinen Linien und verzierten Mustern geschmückt. Die Malerei schlängelte sich an seinen Armen hinauf und endete an seinen Hals. Um die Augen hatte er einen breiten Kranz gezogen und diesen mit schwarzer Farbe ausgemalt. Die rubinroten Augen blickten sich forschend und gebieterisch um, inspizierten jeden einzelnen Winkel der Kammer und schienen selbst die dunklen Schatten an den Wänden in Zaun zu halten. Es war ein Blick, den keiner lange standhalten konnte, diese Augen und dieser Ausdruck hatte einfach zu viel Kraft. Der Mann besaß eine Psychische Stärke die atemberaubend war.
Beängstigend und doch auch bewundernswert.
Die schwarze Farbe auf seinen Körper glänzte wie Öl, war aber keinesfalls flüssig oder gar klebrig. Diese Tattoos trug er schon seit der ersten Stunde seines Lebens und würden auch erst in der letzten Sekunde seines beinahe unsterblichen Lebens verschwinden.
Die Flammen der Fackeln erhoben sich, leckten gierig nach dem Sauerstoff und hüllten die Kammer in ein rot – oranges Licht.
Der Mann öffnete den Mund, doch anstatt einer erwarteten männlichen, tiefen Stimme, drang ein zweistimmiger Laut aus seiner Kehle, der weder einem tierischen oder gar einem menschlichen Laut glich. Nur langsam formten sich diese seltsamen Laute zu einer Sprache, die noch immer von zwei Stimmen gesprochen wurde obwohl nur eine Person daran beteiligt war. Die männliche Stimme und die weibliche Stimme schienen sich ebenbürtig zu sein, keine von beiden Tonlagen war höher oder tiefer als die andere.
Ein rotes Geflügelgebilde auf den Rücken des Mannes schien sich zu materialisieren. Das Tattoo bäumte sich auf, ließ den Mann den Rücken krümmen und löste sich von seiner Haut. Die Flügel wurden immer größer und länger, gefolgt von einem roten und gefiederten Rücken. Während die beiden Stimmen weiterhin nur aus einer Kehle gesprochen wurden, schien es, als wachse ein Vogel aus den Rücken des Mannes, der sich vorgebeugt hatte. Schmerzen durchzogen seinen Körper, ließ das Blut in den Adern und Venen kochen. Die Muskeln spannten sich an und das Herz schlug schneller. Er stand zu der Schwelle des Zusammenbruchs, doch noch immer predigte der Mann unaufhörlich, als würde von diesem Gebet sein Leben abhängen.
Der Vogel stieß einen hellen Schrei aus und zog seine schlanken, goldenen Beine aus den Rücken seines Trägers heraus. Die silbernen Krallen kratzen wütend über die Haut des Mannes und hinterließen tiefe und blutige Schrammen aus denen das dunkle Blut sickerte.
Mit einem Aufschrei des Schmerzes bäumte der Mann sich auf, der der Träger des Vogels war. Das weiße war aus seinen Augen verschwunden, die Pupille war von dem restlichen Auge nicht mehr zu unterscheiden, das gesamte Auge war blutrot.
„Arashna iftar desmó“, brüllte der Mann mit seiner männlichen und weiblichen Stimme, blickte dabei mit seinem verzerrten Gesicht den schlanken Vogel an. Die Federn des Tieres flammten auf, ließ die Temperatur in der Kammer auf ein hohes Maß ansteigen. Es schien als würde die Luft flimmern, als könnte selbst diese nicht mehr der unerträglichen Hitze und dem niedrigen Sauerstoffgehalt standhalten.
Einer der Wächter hustete und zwang sich seiner mentalen Konzentration nachzuhängen. Er durfte seinen Körper nicht die Führung übernehmen lassen, das würde sein Ende bedeuten.
Noch ein Mal wiederholte der Träger die Worte seiner Ahnen. Es waren heilige Worte, die nur zu diesen Zeiten gesprochen wurden und die niemals jemand missbrauchen Durfte. In diesen Worten steckte soviel Macht wie es die wenigstens richtig einschätzen konnten, denn diese Macht gab ihnen das Recht, über die Kreatur, den Vogel, zu gebieten.
Wieder erklang ein heller Aufschrei, doch das geflügelte Geschöpft musste sich dem Schicksal beugen und seinen freien Willen ersticken. Der Ruf der Freiheit erklang deutlich in seinem Kopf, doch durfte er diesem nicht nachgehen.
Mir einer fahrigen Bewegung deutete der Träger auf einen jungen Mann, der mit ebenfalls nackten Oberkörper auf den Altar lag, den Rücken zur Decke gewand.
Die Hitze stieg stetig an, der Sauerstoff war gleich verbraucht, gefressen von den gierigen Flammen der Fackeln, die noch immer ihre Tanzenden Dämonenschatten an die Wände warfen. Sein Blick verschleierte sich, die Lieder der blutroten Augen wurden schwer, seine Blutgefäße weiteten sich so stark, das kleinere Äderchen platzen und den Saft des Lebens in seinen Körper vergossen.
Mit einem letzten Wort der Macht kreiste der Vogel über den Körper des Jungen, ehe das Geschöpft mit einem plötzlichen Ruck den Kopf senkte.
Im Sturflug ging er auf den Bewusstlosen los und richtete seine Krallen voraus. Doch anstatt den Jungen zu berühren, tauchte der Phönix wie durch Wasser in den Körper hinein und zog als letztes die Flügel hinein, die als rotes Tattoo auf der Haut zurückblieben.
Die Luft war erfüllt mit dem beißenden Geruch von verbranntem Fleisch. Ein letzter Aufschrei von Seiten des Mannes, der durch einen Bann die Schmerzen des Jungen, durch das eintauchen des Vogels, auf sich selbst übertrug. Der Schwindel wurde zu groß und die Kraft des Trägers zu schwach. Noch während die Temperatur mit dem verschwinden des Vogels sank, wurde der Blick des Mannes immer undeutlicher, bis dieser auf den Boden der Kammer zusammenbrach.
Keiner der Wachen rührte sich, während der Mann regungslos auf den Boden liegen blieb.
Der Junge auf dem Altar blinzelte und hob nur schwach seine Augenlieder. Sein Blick glich noch lange nicht dem des Mannes, doch auch seine Augen waren rot wie Blut. Ruckartig hob er seine Arme und stemmte sich auf.