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Show me Love

von

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Sprung im Porzellan

Eine Woche nach dem Frühlingsanfang war es so warm, dass sie beim Fußballspielen die Shirts auszogen und ihnen der Schweiß über den Körper lief. Gackt stand im Tor und die Sonne brannte auf ihn hinunter, er hielt die rechte Hand schützend vor die Augen, um das Geschehen auf dem Spielfeld zu verfolgen. Gackt beobachtete, wie You im Einzelkampf mit dem Austauschschüler Gjörgy, dem Mittelstürmer der Gegenseite, zweimal den Ball verlor, ihn aber durch Tricks wieder in seinen Besitz brachte. Der Gegenspieler fiel auf den Boden und krümmte sich. Chacha pfiff das Spiel ab und zeigte You die rote Karte. Zwei andere Jungs knieten sich neben den Austauschschüler, der lag immer noch gekrümmt am Boden. Gackt verließ das Tor, um zu sehen, was los war. You beteuerte gerade, dass er nichts getan hätte, doch Chacha hörte ihm nicht zu, sondern sorgte dafür, dass jemand Wasser für Gjörgy holte.
 

„Tor“, brüllte Tatsu, „Tor!
 

Gackt schnappte sich den Ball, der bei ihm ins Tor gerollt war und zeigte Tatsu einen Vogel. „Mann, das Spiel war abgepfiffen!“

Aber ihn interessierte das nicht, er rannte zu Chacha und schrie: „Hast du das gesehen? Ich hab Gackt einen reingewürgt.“

Der Blonde konnte nicht fassen, dass jemand so blöd war. Ein Tor, das man reinkriegt, wenn das Spiel abgepfiffen war, ist überhaupt kein Tor.

Der Austauschschüler grinste schon wieder, presste sich aber die Hand auf den Magen, stand aber trotzdem auf. Chacha diskutierte mit You, niemanden interessierte sich für Tatsu, der ein Tor geschossen hatte, welches so oder so nicht galt.
 

Gackt verlor langsam die Geduld, es war heiß und er schwitze. Am Spielfeldrand stand Hyde und schaute zu. Das war das schlimmste. Zum ersten Mal seit Wochen war Hyde mitgekommen und jetzt zeigten sie so ein saumäßiges Spiel. Und Tatsu schaufelte einen Ball ins Tor und benahm sich wie ein Idiot. Und er konnte nichts machen.
 

„Hey“, rief You jetzt auch noch, „was ist mir dir los, Gackt? Lässt dir einfach einen reinwürgen?“

„Mann, das Spiel war aus! Es war doch längst abgepfiffen.“

„Hättest trotzdem aufpassen können!“, schrie Tatsu.
 

Gackt rannte auf ihn zu. „Hörst du jetzt auf?¨“, schrie er, „Verdammt noch mal, dein beschissenes Tor interessiert niemanden!“
 

Nun sah Tatsu rot, er ballte die Faust und schlug Gackt mitten ins Gesicht. Doch darauf hatte dieser nur gewartet: Dass einer anfing. An diesem Tag lag was in der Luft, alle waren gereizt gewesen. So lange hatten sie sich an die Spielregeln gehalten, die You aufgestellt hatte. Aber an diesem Tag wollten sie das nicht, an diesem Tag wollten sie sich prügeln. Chacha raste von der anderen Seite rüber und rief: „Hey, Gackt, lass dir ja nichts gefallen.“

Er ging auf Tatsu los, beide fielen zu Boden, im Fallen dachte Gackt noch: Meine Hand. Aber da war es schon zu spät. Er hörte die Knochen knacksen und dann schwappte eine Welle von Schmerz durch seinen Körper und er lag einfach da, während die anderen über ihn hinwegtobten und You verzweifelt in seine Trillerpfeife blies, die Chacha um seinen Hals trug. Es hatte zur Folge, dass dieser rot anlief und die Schnurr dann riss.
 


 

Als You endlich wieder Ruhe in den Laden gebracht hatte, humpelte Gackt an den Spielfeldrand, den rechten Arm an den Körper gepresst, leichenblass.

Hyde schrie verzweifelt: „Was hast du, Gackt? Was ist los?“

Er lächelte tapfer, aber er konnte kaum sprechen, weil es so wehtat. „Kannst du mein Rad nach Hause bringen?“

„Klar, aber was ist mit dir? Was hast du? Was habt ihr da überhaupt gemacht?“

Gackt grinste. „Fußball gespielt.“

„Sah eher aus wie Sumoringen.“ Hyde beobachtete Gackt besorgt, wie er sich auf die Steinbrüstung setzte und mühsam nach Luft rang.
 

You redete noch immer in der Mitte des Spielfeldes auf die anderen ein.
 

„Was ist mit deiner Hand?“, fragte Hyde. „Warum hältst du die so komisch?“

Gackt hob den Kopf. „Weil ich glaube, dass sie sonst runter fällt“, sagte er. „Es tut so verdammt weh. Ich glaube, ich brauche einen Arzt.“
 

Hyde überlegte keine Sekunde, er rannte auf das Spielfeld und kämpfte sich zwischen den anderen durch. „You, Gackt braucht einen Arzt!!“
 

Sofort war Ruhe. Vollkommende Stille. Wie mit einem Gongschlag waren sie ruhig und schauten Hyde erschrocken an. Dieser deutete auf Gackt, der wie ein Häufchen Elend auf der Steinbrüstung saß.

You schob die anderen zur Seite und rannte zu ihm hinüber, dann kniete er sich vor ihm hin.
 

„Was ist passiert, Haifisch?“

„Ich hab selber Schuld“, sagte Gackt, der sich Mühe gab, ganz cool zuwirken. „Ich wollte mich mit der Hand abstützen. Die Hand hat aber nicht mitgemacht.“

„Lass mal sehen.“

Gackt spürte eine heiße Woge durch ihn strömen, er schwitze noch mehr. „Lieber nicht, You.“

„Komm schon, ich habe doch einen Kurs gemacht, ich kenn mich ein wenig aus.“

„Wirklich?“, fragte Gackt misstrauisch.

„Wenn ich es dir doch sage, Kleiner.“

„Okay, aber nur ansehen, nicht anfassen.“
 

You nahm vorsichtig Gackts Arm, hielt ihn am Ellenbogen fest und legte die Hand in die seine. Dann drückte er sanft mit den Fingern auf das Handgelenk und Gackt schrie auf. Er schrie und biss sich gleichzeitig auf die Lippen, um nicht zu schreien. You nahm die Finger sofort weg.
 

„Ich bringe dich ins Krankenhaus.“
 

Er half Gackt beim Aufstehen, jemand legte ihm das T- Shirt über den Rücken und ein anderer stütze ihn, während You ein Taxi rief. Im Gehen drehte sich Gackt zu Hyde um. Er versuchte zu lächeln. Hyde fand das übermenschlich tapfer. „Du kümmerst dich um das Fahrrad?“

„Klar“, rief Hyde, „Mach dir keine Sorgen. Ich kümmere mich darum.“
 

Hyde saß zu Hause neben dem Telefon und wartete, dass You oder Gackt anrief. Es war halb neun Abends, die Leute saßen auf den Balkonen und taten, als wäre Sommer. Aber er saß im dunklen Flur neben dem Telefon und fror vor Einsamkeit und Angst.
 

Seine Mutter hatte einen Zettel in die Küche gelegt: „Bin bei deiner Tante. Wenn etwas ist, ruf an. Kuss, Mama.“ Auf dem Tisch lag auch noch das Scheidungsurteil. Hyde fragte sich, ob seine Mutter das mit Absicht dort liegen gelassen hatte, so dass er es las.
 

„Der Vater verzichtet auf das Sorgerecht. Das alleinige Sorgerecht hat die Mutter. Besuchszeiten mit dem Vater können großzügig geregelt werden, müssen aber vom Vater mit der sorgeberechtigten Mutter von Fall zu Fall abgesprochen werden. Der Vater zahlt für den gemeinsamen Sohn den Unterhalt nach der Tokyo Tabelle.“
 

Hyde hatte keine Ahnung, was die Tokyo Tabelle war. Oder wie hoch der gesetzmäßige Unterhalt für ein gemeinsames Kind war. Er fand den Text einfach nur schrecklich. So war also bei der Scheidung über ihn verhandelt worden. Hatte seine Mutter nur einmal gefragt, ob ihm das recht war? Hatte sein Vater um ihn gekämpft? Hatte er vielleicht wenigstens einmal gesagt, dass er auch gerne das Sorgerecht hätte? Hyde überlegte, ob sein Vater ihn wenigstens einmal gefragt hatte, ob er bei ihm leben wollte. Doch er konnte sich nicht erinnern. Er konnte sich so oder so kaum noch an seinen Vater erinnern.
 

Jetzt hockte er neben dem Telefon und wartete, dass Gackt anrief, doch das Telefon blieb stumm. Er hatte schon ein paar Mal bei You angerufen, aber es ging immer nur der Anrufbeantworter ran. „Hallo, Hallo, hier ist You, wenn du was zu sagen hast, sprich nach dem ‚Piep’“.
 

Hyde hatte dann gesagt: „Hallo, hier ist Hyde. Ich dachte, du bist vielleicht schon zu hause. Ich mache mir Sorgen um Gachan. Meine Nummer – falls du sie vergessen hast-“, dann sagte Hyde seine Telefonnummer und hauchte noch einmal: „Tschüss erst mal.“ Und wartete wieder, aber das Telefon klingelte nicht.
 

Hyde zog einen dicken Winterpulli über und steckte seine Füße in Kuschelsocken, weil ihm so eiskalt war. Er verrammelte die Fenster, weil er fand, dass die Wohnung immer kälter wurde .Er hockte sich auf den Fußboden neben das Telefon und lehnte den Kopf an die Wand, dann schloss er die Augen. Wenn Gackt etwas passiert ist, dachte er, bring ich mich um.
 

Der Schlüssel drehte sich im Schloss, doch Hyde reagierte nicht. Er merkte es nicht einmal. Die Tür ging auf, das Licht im Flur flammte auf und seine Mutter rief. „Was machst du denn da?“

Er öffnete seine Augen, blickte seine Mutter an. „Ich sitze hier.“

„Im Dunkeln!“, rief seine Mutter, „Und was ist das für eine furchtbar stickige Luft hier. Warum öffnest du denn kein Fenster?!“ Sie ließ die Tüten fallen und eilte in die Küche, um die Fenster zu öffnen. „Ph“, machte sie, „So stickig hier drin.“

Sie kam wieder in den Flur und blickte ihren Sohn an.

„Mir ist kalt“, meinte dieser nur.

„Kalt? Heute? Weißt du eigentlich, wie viel Grad es draußen sind? Fünfundzwanzig!“

„Mir ist trotzdem kalt.“ Hyde rappelte sich mühsam auf, zog die Ärmel des Winterpullis über die Hände.

„Bist du krank?“, fragte seine Mutter.

„Nein, ich bin nicht krank“, er ging an seiner Mutter vorbei in die Küche. „Hast du das hier liegen lassen, damit ich es lese?“

„Was ist das?“, fragte seine Mutter.

„Irgendwas vom Gericht. Darüber steht: URTEIL.“
 

Seine Mutter wurde wenigstens ein bisschen verlegen.
 

„Oh, Hyde“, sagte sie, „das habe ich ganz vergessen.“

„Dann weiß ich wenigstens, wer das Sorgerecht für mich hat. Vater war wohl nicht interessiert.“ Er zerknüllte das Urteil.

„Hideto! Gib das sofort her!“
 

Er ließ es einfach auf den Boden fallen. Seine Mutter bückte sich danach und glättete es auf dem Tisch.

„Wie viel ist es denn?“, fragte er.

„Was?“

„Der Unterhalt für mich. Wie viel zahlt Vater denn, damit er sich nicht mehr um mich kümmern muss?“
 

Seine Mutter blickte ihn an, mit einem ganz komischen Blick, den Hyde nicht deuten konnte. War sie gereizt? Nervös? Oder ein wenig schuldbewusst?
 

„Das ist eine Vereinbarung zwischen deinem Vater und mir“, sagte seine Mutter, während sie sich nach einem geeigneten Platz für das Papier umsah, um es einfach verschwinden zu lassen, „Das geht dich nichts an.“

„Ich finde schon, dass es mich etwas angeht“, sagte Hyde. Er zitterte am ganzen Körper. Auf einmal war ihm nicht mehr kalt, sondern heiß, glühend heiß, als würde er von einer Sekunde zur anderen hohes Fieber bekommen. „Ich finde sogar, dass es mich ziemlich viel angeht. Ihr habt über mich verhandelt wie über ein Möbelstück. Gackts Vater hat das Wohnzimmer mitgenommen, als er ausgezogen ist. Vater hat nichts mitgenommen, nicht einmal mich. Er hat nicht einmal überlegt, ob er mich mitnehmen soll!“
 

Seine Mutter starrte ihn an. „Wer ist Gackt“, fragte sich schließlich…

„Ist das dein einziges Problem?“, wollte Hyde wissen.
 

Das Telefon klingelte.

Hyde sprang auf und rannte in den Flur. Er riss den Hörer hoch: „Hallo? You? Gackt??“

Dann war es still. Seine Mutter war in den Flur gekommen und stand nun neugierig neben ihm.

„Hallo“, sagte Hyde mit einer ganz anderen Stimme, einer enttäuschten, leblosen Stimme. „Wie geht’s?“

„Wer ist es?“, flüsterte seine Mutter.
 

Hyde drehte sich einfach von ihr weg. Es war Tetsu. Tetsu war aus dem Krankenhaus entlassen und wollte Hyde die schöne Neuigkeit mitteilen. Es ging ihm wieder gut, das Fieber war weg und die Ärzte waren sich sicher, dass das Virus erfolgreich bekämpft war. „Ich hab fünf Kilo abgenommen“, sagte Tetsu, „Meine Kleider schlappern alle. Aber ich war so oder so zu dick. Weißt du noch, dass wir immer Diät machen wollten?“ Hyde hatte keine Lust darüber nachzudenken. Tetsu redete und redete, selig, das Krankenhaus verlassen zu haben. „Kannst du vorbeikommen?“, fragte er. „Heute noch? Mutter hat gesagt, sie freut sich. Sie hat was Schönes gekocht und hat gemeint, du sollst auch kommen, damit wir feiern.“

„Ich weiß nicht“, sagte Hyde.

„Was weißt du nicht?“, rief Tetsu, „Ob du willst, oder ob du darfst?“

„Ich muss am Telefon bleiben“, sagte Hyde. Er ärgerte sich, dass seine Mutter immer noch neben ihm stand.

„Dein Vater?“, fragte Tetsu.

„Ach der, der ruft sowieso nie an.“

„Wer denn?“

„Kann ich im Augenblick nicht sagen“, Hyde spürte, dass Tetsu enttäuscht war, beleidigt. Er konnte sich vorstellen, dass Tetsu sich unheimlich auf diesen Moment gefreut hatte. Wieder gesund, fünf Kilo dünner und ein grosses Fest zu Hause in der Familie, mit dem besten Freund. Für Tetsu lief alles immer irgendwie glatt, auch wenn es dazwischen mal kleine Tiefschläge gab. Hyde verspürte fast so etwas wie Neid, als Tetsu sagte: „Morgen geht es nämlich nicht. Da kommen meine Grosseltern. Die freuen sich so riesig, dass ich wieder gesund bin. Alle freuen sich riesig.“

„Das ist doch toll“, sagte Hyde.

„Ey, Mann! Was ist los? Freust du dich denn nicht? Warum bist du so komisch?“

„Ich bin nicht komisch, ich muss Schluss machen, weil ich die Leitung nicht so lange blockieren kann.“

„Also dann, mach doch, was du willst!“
 

Hyde seufzte, als er das Freizeichen hörte.
 

„Wer war das?“, fragte seine Mutter.

„Tetsu!“
 

Hyde ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank. Leere Fächer gähnten ihn an. „Gibt es irgendwas zu essen?“, fragte er.

Seine Mutter brachte die Tüten in die Küche. „Hier, ich hab Brot, Käse, Tomanten, Gurken und Butter gekauft. Ich hätte mehr eingekauft, aber ich konnte ja nicht damit rechnen, dass du mal wieder zu Hause bist. Was wollte Tetsu denn?“

„Sagen, dass er aus dem Krankenhaus entlassen wurde.“
 

Seine Mutter wollte gerade die Butter in den Kühlschrank legen, mitten in der Bewegung hielt sie inne.
 

„Tetsu? Aus dem Krankenhaus? War er denn immer noch da?“

„Ja, klar“, sagte Hyde. „Sie haben doch nicht rausgefunden, was für eine Infektion das war. Was für eine Art von Virus.“

„Und wo bist du dann immer gewesen? All die Abenden, wo ich dachte, du bist bei Tetsu?!“
 

Sie blickten einander an.
 

„Ich… Ich“, stammelte Hyde.
 

Das Telefon klingelte wieder. Hyde wollte an seiner Mutter vorbei in den Flur, aber seine Mutter hielt ihn fest. „Nun gehe ich ran!“

„Aber es ist bestimmt für mich“, flüsterte Hyde hilflos. Doch seine Mutter schob ihn einfach zurück und ging in den Flur.
 

„Ja, bitte“, fragte sie.
 

Hyde hielt die Luft an, er stand mitten in der Küche, den Kopf in den Nacken gelegt und betete.
 

„Gackt?“, sagte seine Mutter. „Einen Gackt kenne ich nicht.“ Wieder eine Pause. Hyde schlich sich an die Küchentür, seine Mutter mit eiserner Stimme sagte: „Einen Moment.“
 

Als sie sich umdrehte, stand Hyde schon hinter ihr. „Für dich“, sagte sie.
 

Hyde nahm den Hörer, schluckte und flüsterte: „Ja?“
 

Es war You. Seine Stimme klang heiter und vergnügt. „Hi, Baby, ich wollte nur die neusten Neuigkeiten überbringen. Deine Stimme hat ja richtig geklungen, als hättest du Panik. Komisch, solch eine Nachricht abzuhören. Also, es ist nichts, nur eine Bänderzerrung. Gackt hat einen dicken Druckverband bekommen und jede menge Spritzen und jetzt liegt er hier neben mir auf dem Boden und kann schon wieder grinsen. Ich gebe ihn dir mal.“

„Danke You“, flüsterte Hyde.
 

Dann war Gackt dran. Auch seine Stimme war völlig in Ordnung. „Ich wollte nur noch hinzufügen: Die Fernbedienung kann ich auch mit Links betätigen, überhaupt kann man viele Dinge mit links machen.“

„Ich hab mir vielleicht Sorgen gemacht!“, sagte Hyde. Seine Mutter stand immer noch hinter ihm, doch das war ihm egal. „Ich hab gedacht, ich dreh durch, wenn ihr nicht bald anruft.“

„Tut mir leid, es hat ewig gedauert im Krankenhaus. Da geht es zu, sag ich dir, wie im Sommerschlussverkauf. Was ist dem Fahrrad?“

„Ich hab es in eueren Umkleideraum gebracht und dann mit der Kette an die Heizung angeschlossen. Ich kann kaum mit zwei Rädern gleichzeitig losfahren.“

„Schlau“, sagte Gackt, „Echt schlau. Ich bin morgen übrigens krankgeschrieben. Übermorgen auch. Toshi hab ich schon abgesagt. Kannst du morgen nicht einfach blau machen?“

„Du bist verrückt“, sagte Hyde. Es ging ihm viel besser, seit er mit Gackt telefonierte, und wusste, dass er okay war. Es ging ihm schon fast wieder gut.

„Ich weiß, dass ich verrückt bin, das hast du mir schon hundert Mal gesagt. Also was ist nun?“

„Ich komme nach der Schule.“

„Kannst du uns was zu essen besorgen?“

„Klar.“

„Vielleicht können wir ein Picknick machen. Es ist Sommer, schon bemerkt?“

„Klar“, sagte Hyde.

„Also dann.“
 

Sie zögerten beide den Hörer aufzulegen, Hyde kicherte, Gackt lachte.
 

„Du zuerst“, sagte Gackt.

„Nein du“, sagte Hyde.

„Feigling“, flüsterte der Blonde zärtlich.

„Selber Feigling“, Hyde lachte. Mein Gott, dachte er, ist das Leben schön, wenn alles okay ist.

„Ist bei dir alles okay?“, fragte Gackt nun besorgt. Und da fiel Hyde seine Mutter wieder ein. Er wandte sich um. Seine Mutter war in die Küche gegangen, man hörte, wie sie mit Geschirr hantierte.

„Ziemlich“, sagte Hyde.

„Was ist nicht gut?“

„Kann ich jetzt nicht sagen.“

„Verstehe. Halt die Ohren steif.“

„Mach ich doch immer.“

„Morgen Mittag ist wieder alles gut.“

„Ja genau“, sagte Hyde.

„Ich leg nun auf.“

„Gut, tschüss.“

„Wirklich, ich leg nun auf.“

„Na los!“
 

Es machte Spass, mit Gackt zu telefonieren. Es war schön, seine Stimme zu hören, sein Lachen, seine Ideen. Picknick… Schade, dass er nicht selbst auf die Idee gekommen war. Es war Sommer draußen, hatte Gackt gesagt. Und ihm war eben noch kalt gewesen wie im tiefsten Winter. Auf einmal war ihm wieder warm, er konnte den Pulli ausziehen. Er ging ins Bad, kämmte sein Haar, wusch sich das Gesicht.
 

Als er wieder in die Küche kam, war seine Mutter gerade fertig mit dem Salat, den sie machen wollte. Sie nahm schweigend die Teller und die Schüssel und deutete auf das Besteck und das Brot, welches Hyde schweigend nahm.
 

„Wollen wir im Wohnzimmer essen?“
 

Das hatten sie seit Wochen nicht gemacht. So nickte er zaghaft.
 

„Wer ist Gackt?“, fragte seine Mutter, als sie ihrem Sohn ins Wohnzimmer folgte.
 

„Ein Junge“, sagte Hyde.

„Und?“, fragte sie weiter.

„Und nichts“, sagte er, „Er ist aus meiner Klasse.“

„Ah.“

„Seine Eltern sind auch geschieden.“

„Aha.“
 

Hyde verteilte den Salat auf die beiden Teller und schnitt das Brot in Stücke. Dann kniete er sich auf den Boden, um essen zu können.
 

„Warum weiß ich nichts von diesem Gackt?“

„Keine Ahnung“, schnell stopfte sich Hyde das Salatblatt in den Mund.

„Du erzählst mir nichts mehr.“

„Doch, wenn du da bist, erzähle ich dir was.“

„Jetzt bin ich doch da“, meinte seine Mutter.
 

Hyde blickte seine Mutter an, sie war dünn geworden. Dünn, blass und nervös. Das tat ihm Leid. Hyde ahnte, dass seine Mutter oft nachts weinte, aber sie verschloss immer sehr sorgfältig ihre Türe. Er wusste auch, dass seine Mutter nachts aufstand und verstohlen das Telefon aus dem Flur holte und mit ins Schlafzimmer nah. Dann wählte sie unablässig eine Telefonnummer. Und legte wieder auf. Hyde ahnte, dass dann das Telefon bei seinem Vater klingelte. Doch er wollte nicht mit seiner Mutter darüber reden. Er wollte weder den Trauer noch den Hass seiner Mutter wissen.
 

„Ich warte immer noch, dass du etwas sagst“, bemerkte seine Mutter, als Hyde das Salatblatt endlich hinunter gewürgt hatte. Hyde stopfte schnell ein Stück Ei hinterher.
 

„Nimm die Stäbchen“, sagte seine Mutter, „Oder hast du deine Erziehung nun ganz vergessen?“

„Mir schmeckt es aber besser, wenn ich mit den Fingern esse“, sagte Hyde beinahe trotzig. „In vielen Ländern isst man mit den Fingern.“

„Lenk nicht ab“, sagte seine Mutter. „Ich möchte wissen, was los ist.“

„Nichts ist los.“
 

Seine Mutter seufzte und schüttelte immer wieder den Kopf. „Machst du mir etwa Vorwürfe, dass dein Vater und ich geschieden sind?“
 

Hyde zuckte mit den Achseln. Was sollte er darauf sagen?
 

„Von mir aus“, sagte seine Mutter, „hätten wir ewig eine glückliche Familie bleiben können. Ich war deinem Vater nicht untreu, ich habe ihn nicht betrogen.“

„Wie viel Geld zahlt er für mich?“, wollte Hyde wissen. Er wollte seine Mutter daran hindern, dass sie die Geschichte von vorne erzählte. Er hatte oft genug gehört, dass sein Vater, dieser Mistkerl, bei einer anderen Frau gewesen war. Er konnte es einfach nicht mehr hören.
 

„Warum willst du das wissen?“

„Weil das Geld doch für mich ist“, sagte Hyde leise.

„Ja und? Du lebst hier, hier in unserer gemeinsamen Wohnung.“

„Und wenn ich dazu keine Lust mehr habe“, fragte Hyde nun sehr vorsichtig, „Wenn ich vielleicht irgendwann ausziehen möchte und mit anderen Leuten zusammenlebe, bekomme ich dann das Geld?“
 

Seine Mutter wurde weiß wie die Wand hinter ihr. „Ich weiß nicht, was mit dir los ist“, flüsterte sie. „Das ist wirklich eine ungeheure Frage. Spürst du nicht, wie sehr mich das verletzt?“

„Und ich?“, fragte er nun atemlos. „Was ist mit mir?! Ihr verletzt mich auch immer zu, das macht wohl gar nichts!“

„Hör auf!“, schrie ihn seine Mutter hysterisch an.

„Hör doch selbst auf!“, schrie Hyde zurück.
 

Seine Mutter warf die Serviette auf den Tisch, nahm ihr Weinglas und verließ das Wohnzimmer, die Schlafzimmertüre fiel krachend hinter ihr ins Schloss. Hyde nahm seinen Salatteller, stand langsam auf und ging in sein Zimmer, er knallte seine Türe so heftig zu, dass er das feine Porzellan klirren hören konnte. Sorgfältig verschloss er seine Zimmertüre und machte Musik an. Langsam drehte er die Lautstärke hoch, sodass selbst die Nachbarn noch etwas von seiner Musik hören konnten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Ruki_
2007-11-11T10:21:45+00:00 11.11.2007 11:21
ich fand das ja voll süß, las hyde sich die riesen sorgen um gackt gemacht hat und als keiner von beiden auflegen wollte^^
ich versteh hydes mutter nich, warum sagt sie ihm nich wieviel geld es ist?! bin ja mal gespannt, ob hyde demnächst auszieht (und mit gackt zusammmenzieht^^). kapi is wie immer klasse und ich hab grad gesehn, dass das 12. auch schon on is. werds gleich mal lesen^^
*knuddel*
Von:  Armaterasu
2007-11-11T00:48:03+00:00 11.11.2007 01:48
boah ey... die olle schachtel an mutter von hyde... schrecklich... und das mit dem telefon^^ das ist ja so niedlich^^ wie bei frischverliebten^^ ich hab das früher auch immer so gemacht und mach es heute auch noch so, wenn ich telefoniere^^

bei dem sportunfall dachte ich, dass die hand gebrochen ist, so wie du es beschrieben hast^^ aber eine bänderzerrung ist auch sehr schmerzhaft^^ ich sprech da aus erfahrung^^

nun ja, ich bin ja gespannt was noch alles bei dir passiert^^ freue mich schon aufs nächste kapi^^

HDGDL♥
amy
Von:  Tatsu-addict
2007-11-10T17:13:27+00:00 10.11.2007 18:13
wie ich die mutter von hyde hasse...
so eine blöde kuh! -.-

ich hab ja so mit gackt gelitten, als er sich die hand verletzt hat...
*autsch*
aber es war zu süß, als keiner von beiden auflegen wollte.
zucker pur!
*grins*

naja und der leicht nervige tetsu ist ja jetzt auch wieder da.
na dann bin ich mal gespannt, was bei dem picknick nicht alles passiert!
*voller vorfreude bin*
also warte nicht so lange mit dem nächsten kapi!
*knuddel*


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