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Show me Love

von

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runaways

„Hyde?? Bist du das??“
 

Das war sein Vater, er stand oben im zweiten Stock und beugte sich weit über das Treppengeländer, um nach unten zu sehen. Die Haustüre war gerade hinter Hyde zugefallen, mit einem lauten Knall, von dem er selbst ein klein wenig zusammengezuckt war.

Warum war sein Vater da? Was machte er hier?
 

„Hyde!“

„Ja ich bin es“, rief er zurück.
 

Er rannte die Treppen nach oben. Irgendwas ist passiert, dachte er. Oh Gott, etwas mit meiner Mutter. Ich hab ihr nicht mal einen Zettel hingelegt. Außer Atem kam er oben an. Sein Vater empfing ihn auf der obersten Treppenstufe. Er hatte ein weißes Gesicht, eine ganz schmale, weiße Nase und rote Augen.
 

„Hallo Vater“, sagte Hyde leise, „Ist etwas passiert?“

Sein Vater starrte ihn an. „Das fragst DU…uns? Mich?“

Er fasste ihn grob am Arm und zog ihn hinter sich her in die Wohnung. Hyde sträubte sich.
 

„Aua! Das tut weh!“

„Und wenn schon“, knurrte sein Vater, „Mir tut auch manchmal was weh. Geh da rein und erklär es deiner Mutter.“

Er schob Hyde ins Wohnzimmer. Seine Mutter hockte am Esstisch, die Haare vollkommen zerzaust. Vor ihr lag das dicke Telefonbuch von Tokyo, daneben das Telefon. Und eine Anzahl von Fotos, die über den Tisch verteilt waren. Hyde sah mit einem Blick, dass es Fotos von ihm waren, die Tetsus Mutter auf der letzten Geburtstagsparty gemacht hatte, im Sommer von einem lachenden Hyde.
 

„Wo bist du gewesen?“, fragte seine Mutter. Sie fragte das in einem seltsamen Ton, mit einer seltsamen schweren Stimme. Hyde lächelte verlegen, wickelte sich den schwarzen Schal von seinem Hals und knöpfte seinen Mantel auf, den er über den Stuhl warf. Doch dann fiel ihm ein, dass es seine Mutter hasste, wenn man seine Sachen liegen ließ, also ging er schnell in den Flur, um sie aufzuhängen.

„Hyde!!!! Ich hab dich was gefragt!!“, schrie seine Mutter.
 

Er dachte, sein Kopf würde platzen, so laut seine Mutter schon wieder schrie. Sie hatte nicht bemerkt, dass er ihr nur einen Gefallen hatte tun wollen. Nun, eher sich selbst, da er gehofft hatte, sie würde ihn nicht anschreien, weil er seine nassen Sachen liegen ließ.
 

„Ja doch“, murmelte er, „Ich komme ja schon.“
 

Er stand wieder im Wohnzimmer, seine Mutter hatte die Fotos mit einer Armbewegung vom Tisch gewischt. Das Telefonbuch war zugeklappt, Hyde bemerkte, dass sein Vater hinter ihm stand, so ging er noch einen Schritt mehr in den Raum hinein.
 

„Ich wollte ins Kino“, sagte er.

„Was?“, sagte seine Mutter, „Was ist das denn für eine Antwort??“

„Aber wir haben keine Karten mehr bekommen.“

„Wir? Wer ist wir?“

„Den kennst du nicht“, sagte Hyde. Er wollte sich auf das Sofa setzen und einfach den TV anstellen. Aber sein Vater hielt ihn fest, ein eiserner Klammergriff, der ihm an den Schultern schmerzte. „Deine Mutter hat dich etwas gefragt und du wirst gefälligst vernünftig darauf antworten.“
 

„Mein Gott“, stöhnte Hyde, „Was ist hier los? Was habt ihr denn bloß?“

„Schau mal auf die Uhr“, sagte seine Mutter.

„Muss ich nicht“, meinte Hyde, „Ich weiß, wie spät es ist.“

„Genau Viertel nach zwölf“, sagte sein Vater, seine Stimme war eisig.

„Ja, ich sag doch, ich weiß es.“

„Wann hast du die Wohnung verlassen?“

„Ich weiß nicht mehr genau, gegen vier oder so.“

„Und jetzt, um Viertel nach zwölf, kommst du wieder zurück“, sagte seine Mutter.

Hyde schwieg, was hätte er auch sagen sollen.

„Ich komme um fünf nach Hause, finde von dir keine Nachricht, keinen Zettel, nichts. Ich dachte natürlich, du bist bei Tetsu. Ich hab mir zuerst auch keine Sorgen gemacht.“
 

„Tetsu ist krank“, sagte Hyde leise.

„Das weiß ich auch. Weil er nämlich angerufen hat, um mitzuteilen, dass er im Krankenhaus liegt und sich freuen würde, wenn du die Schularbeiten vorbeibringen würdest.“

„Das glaube ich nicht“, sagte Hyde, „dass er sich über Schularbeiten freut.“
 

Sein Vater ging zu ihm hin, stellte sich vor ihm auf und zog ihn wütend vom Sofa hoch. „Sieh deine Mutter an, wenn du mit ihr sprichst!“ Hyde blickte aber seinen Vater an. Er sah, dass er vor Zorn einen roten Kopf hatte, und er verstand das nicht.
 

„Ihr macht vielleicht einen Aufstand“, sagte er trotzig. „Sonst regt sich keiner auf, wenn ich mal weg bin.“

„Wir haben uns immer aufgeregt“, sagte seine Mutter, „Oder wirfst du uns nun vor, wir kümmern uns nicht um dich?“

„Deine Mutter hat mich angerufen, ich dachte, du bist entführt oder dir ist weiß was passiert.“

„Keine Angst“, sagte Hyde, „Mich entführt schon keiner.“

„Aber dass ich deswegen eine Geschäftsreise umbuchen musste, das interessiert dich wohl nicht, oder?!“

Hyde senkte den Kopf. Es interessierte ihn wirklich nicht, dass sein Vater eine Geschäftsreise absagen musste.
 

„Und ich…“, schrie seine Mutter, „ich musste mich demütigen und deinen Vater bei seiner…seiner…bei dieser Frau anrufen. Sie war auch noch am Telefon…und ich musste mir das antun, dass ich mit der… mit der“, sie brach plötzlich in Tränen aus.
 

Hydes Vater straffte sich, knöpfte die Anzugjacke zu. „Wenn wir also wieder bei deinem Lieblingsthema sind“, sagte er eisig, „dann geh ich nun.“ Er drehte sich um.

Hydes Mutter sprang auf. „Nein!“, schrie sie. „Du gehst nicht, du gehst nicht wieder zu ihr!“
 

Hyde legte die Hände an die Ohren, wollte seinen Kopf verschließen.

„Natürlich geh ich zu ihr, das weißt du“, sagte sein Vater kalt. Er sagte es ruhig und entseelt.

Hyde liefen Schauer über den Rücken. Es war furchtbar. Seine Mutter, wie gebannt von der Kälte, ließ sich auf den Stuhl zurückfallen.
 

„Geh doch“, zischte sie, „Geh doch. Lass uns allein.“
 

Hyde sah seinen Vater mit großen Augen an.
 

„Und du?“, fragte sein Vater.

„Was ich?“

„Sagst du mir wenigstens auf Wiedersehen?“

„Auf Wiedersehen“, sagte Hyde.
 

Sein Vater wartete noch eine Sekunde, Hyde rührte sich nicht, seine Mutter rührte sich auch nicht, er ging durch die Tür in den Flur und dann fiel die Wohnungstüre hinter ihm zu. Seine Mutter stand auf und rannte ins Badezimmer, Hyde hörte von da ihr verzweifeltes Schluchzen. Und er wünschte sich, dass er tot wäre.
 


 

Gackt wartete auf ihn neben dem Schultor. Er hatte den Rucksack zwischen die Knie geklemmt und sich die schwarze Wollmütze so tief ins Gesicht gezogen, dass man nicht mal mehr seine Augenbrauen sah. Perfekte Tarnung. Zuerst erkannte Hyde ihn gar nicht. Erst, als er die Mütze aus der Stirn schob, den Rucksack auf den Boden fallen ließ und sagte: „Ich dachte schon, du schwänzt heute“ sah er, dass es Gackt war.
 

„Hast du hier auf mich gewartet?“, fragte er.

„Klar. Der Weihnachtsmann kommt erst im Dezember wieder vorbei.“
 

Hyde lachte und Gackt atmete zufrieden tief durch. Er schulterte den Rucksack.
 

„Wie war der Abend so bei dir?“, fragte er möglichst beiläufig, als er neben ihm herging. Hyde erzählte ihm alles und anders als bei Tetsu hörte Gackt zu, ohne gleich von sich anzufangen. Als Hyde geendet hatte, fragte er, „Und bei dir?“
 

„Anderes“, sagte er, „Aber auch schaurig. Jemand vom Jugendamt war da. Er wollte wissen, wie meine Mutter zurechtkommt. Sie hat gesagt, prima. Aber der Typ hat es ihr nicht geglaubt. Er meint, vielleicht sollte ich besser in ein Heim. Und meine Mutter könnte in Ruhe wieder einen Entzug machen.“ Gackt sprach, als sei das alles nichts, als sei das ein ganz normales Leben. Und Hyde merkte plötzlich, dass es ihm hundertmal besser ging als ihm. Und er dachte schon, so schlimm wie er hätte es niemand auf der Welt getroffen. Verstohlen fasste er nach Gackts Hand und drückte seine Finger. Gackt ließ sich nichts anmerken, aber er ging etwas dichter neben ihm her. So dicht, dass sie sich berührten.
 

„Beinahe wäre ich nicht zur Schule gekommen“, meinte Gackt.

„Ich auch nicht.“

„Ich bin nur gekommen, weil ich hoffte, dass du hier bist.“
 

Hyde lächelte, er wollte nicht sagen, dass es ihm genau so gegangen war.
 

„Heute“, sagte Gackt, „geh ich nicht nach Hause. Das weiß ich bestimmt. Heute nicht und morgen auch nicht.“

„Und wo willst du hin?“, fragte Hyde.
 

Gackt zuckte mit den Schultern. „Ich frag You, dem fällt bestimmt was ein.“

„Na dann hast du wenigstens einen, der zu dir hält“, meinte Hyde leise, „Meine Freunde sind alle so brav, sie würden es nicht zu lassen, dass ich wegrenne, oder mich gleich verpetzen.“

„Und sonst hast du niemanden, außer deinen Eltern?“, fragte Gackt.

Hyde schüttelte den Kopf. „Niemanden. Ich würde abhauen, ehrlich. Doch wohin soll ich gehen?“
 

Sie waren jetzt vor dem Klassenzimmer. Sie ließen sich los. „Wir reden nachher weiter“, flüsterte Gackt.

Hyde nickte.
 

Hintereinander traten sie ins Klassenzimmer, gingen auf ihre Plätze. Niemand beachtete sie.

In der ersten Stunde schrieben sie eine Englischtest in der zweiten hatten sie Mathe, dann eine Freistunde, weil Sport ausfiel. Hyde suchte Gackt, fand ihn aber nirgends. Enttäuscht setzte er sich in die Bibliothek und studierte den Katalog mit den neuen Büchern. Aber er konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder ging er zum Fenster und blickte hinunter auf den verschneiten Hof. In der Nacht hatte es gefroren und nun gab es eine dünne Schicht frostigen Schnee in der Stadt. Die Krähen hüpften auf dem Schnee herum, pickten und scharrten. Die Autos fuhren mit Licht, obwohl es hell war, aber der Himmel war einheitlich grau. Hyde fand, dass der Himmel genau die gleiche Farbe hatte wie seine Seele. Er war sich sicher, dass eine Seele eine Farbe hatte.

Er ging zu seinem Platz zurück, nahm den Katalog wieder auf.
 

Als es klingelte, die Freistunde zu Ende war, hatte er weder irgendwas Vernünftiges gelesen, noch sich auf die Physikstunde vorbereitet. Einen flüchtigen Augenblick dachte er an Tetsu, der im Krankenhaus lag, und dass er versprochen hatte, ihn zu besuchen. Seine Mutter hatte einen Zettel auf den Küchentisch gelegt mit der Adresse des Krankenhauses. Und darunter geschrieben: „Ich komme heute Abend spät. Ich gehe noch zu Tante Beate. Kuss, Mom.“

Beate war die Freundin seiner Mutter. Eine Heilpraktikerin, die ein wenig außerhalb wohnte, und dort eine kleine Praxis hatte. Im Bad standen lauter kleine Fläschchen und Salben, alles von Tante Beate. Alles, damit es seiner Mutter wieder besser ging. Aber Hyde konnte nicht sagen, dass es seiner Mutter besser ging.
 

Gackt erschien nicht zur vierten Stunde, sein Platz blieb die ganze Zeit leer. Der Lehrer gab die Tests zurück und bemerkte erst dadurch, dass er fehlte. „Hat jemand eine Ahnung, was mit ihm ist?“

Chacha, der neben Gackt saß, deutete auf seinen Rucksack. „Die ersten Stunden war er hier“, sagte er, „Und seine Sachen sind auch noch da, bestimmt kommt er zurück.“

„Also gut, dann kannst du ihm seine Arbeit zurückgeben und ihm sagen, es ist die schlechteste der ganzen Klasse. Es ist die mieseste überhaupt, die ich je korrigiert habe.“
 

Chacha grinste.
 

„Ihr nehmt die Schule alle nicht ernst“, sagte der Lehrer, „Doch das werdet ihr noch bereuen, alle, wie ihr da sitzt. Heute haben nur Leute mit guten Noten eine Chance, mit einer guten Schulausbildung! Ist euch das klar?!“

Er stand nun bei Hyde. „Ist dir klar Hyde, was Physik ist?“

Er lächelte verlegen, „Klar.“

„Kannst du in einem Satz sagen, was Physik ist?“
 

Hyde schluckte, er überlegte fieberhaft. Was für eine blöde Frage, dachte er. Was soll Physik schon sein. Es ist die…
 

„Es ist die Lehrer von… von“, stotterte er.

„Die Lehre ist schon richtig“, sagte der Lehrer, „Besser wäre allerdings zu sagen, die Wissenschaft. Aber Wissenschaft von was?“, fragte er.

„Na ja, von den physikalischen Gesetzen“, sagte Hyde.
 

Der Lehrer holte tief Luft, „Und was sind die physikalischen Gesetze? Um was handelt es sich da?“

„Um Gesetze, die in der Natur sind.“

„Gut, schon richtig. Also sag mal ein Beispiel für so ein Gesetz.“

„Schwerkraft“, murmelte Hyde.

„Ja, richtig. Also, das Gesetz der Schwerkraft beschreibt das Verhalten zweier Körper zueinander oder zweier Elemente.“ Er legte Hydes Arbeit auf den Tisch. „Du hast gerade eine Vier geschafft. Mit Ach und Krach“, meinte er.
 

Hyde schloss die Augen, er war froh, als der Lehrer weiterging. Er war nun bei Chacha, an dem er nun eine Frage richtete. „Und was ist das Hebelgesetz? Gilt da auch das Gesetz der Schwerkraft?“
 

Da ging die Tür auf und Gackt kam herein, er war etwas außer Atem und hatte einen roten Kopf. Er zog sich die Mütze vom Kopf, stopfte sie hastig in die Hosentasche, verbeugte sich und setzte sich ganz klein an seinen Platz. Aber der Lehrer hatte ihn bemerkt.
 

„Gackt“, sagte er, „deine Arbeit war miserabel. So schlecht, dass ich mich geweigert habe sie zu benoten,. Ich möchte, dass du sie von seinen Eltern unterschreiben lässt.“

„Von beiden?“, fragte Gackt.

Hyde und er tauschten einen Blick aus.

„Von beiden natürlich nicht, einer reicht.“

„Gut“, sagte Gackt und faltete die Arbeit ohne einen Blick darauf zu werfen zusammen. Auf die Rückseite schrieb er etwas und wartete, bis der Lehrer ihm den Rücken zuwandte, und ließ den Zettel auf Hydes Platz flattern.

Hyde legte ihn auf seine Knie und las, „Es geht in Ordnung“ stand da.
 

Er blickte zu Gackt, dieser strahlte. Er versuchte ihm etwas zu signalisieren, aber das verstand er nicht. Er dachte, was geht in Ordnung?
 

Als es klingelte, sprintete der Kleine dem Blonden auf den Flur nach.
 

„Also, was geht in Ordnung?“, fragte er.

„Ich hab mit You gesprochen, dem seine Eltern sind verreist für ein paar Monate und er hängt viel bei seiner Freundin rum. Wir können also bei ihm wohnen für einige Zeit.“

Hyde starrte Gackt an, „Was?!“

Der Blonde wiederholte seine Worte noch einmal, klar und deutlich. Hyde nickte, in seinem Kopf drehte sich alles. Wir können in einer fremden Wohnung sein. Wer hat gesagt, dass ich bei jemandem sein will?
 

„Also, You ist ein begabter Kerl, und arbeitet ehrenamtlich neben der Schule für das Jugendamt, du weißt schon, Partys organisieren, oder Ausflüge. Er hat mir den Schlüssel zu seiner Wohnung gegeben. Wie findest du das? Er meinte wir sollen uns wie zu Hause fühlen. Es habe zu Essen und eine Mikrowelle, weißt du, wie so eine funktioniert?“

„Klar“, sagte Hyde.

„Warum ist das klar? So ein Ding haben wir nicht. Also, wie findest du das? You ist ein supernetter Typ, mein bester Freund. Gibt uns einfach den Schlüssel.“

„Warum wohnt er denn schon alleine?“

„Die Wohnung liegt im Haus seiner Eltern, technisch gesehen wohnt er nicht alleine.“

„Ich versteh das nicht, er kennt mich doch gar nicht wirklich.“

„Ich habe ihm viel von dir erzählt“, meinte Gackt leise.
 

„Was haste ihm denn erzählt?“

„Dass du klasse bist!“
 

Hyde bemerkte, wie sein Kopf zu glühen begann, doch glücklicherweise blickte Gackt nicht zu ihm, sondern betrachtete den Himmel. Er lief eilig einige Schritte voraus, so als könne er es kaum erwarten von der Schule wegzukommen.
 

„Außerdem hab ich ihm von deinen Problemen erzählt, dass deine Eltern gerade geschieden worden sind. Na ja und wie alles gerade bei dir ist“, sagte der Blonde.
 

Der kleine Japaner hörte ihm still zu, ohne ihn zu unterbrechen, oder ihm zu widersprechen, denn Gackt war vollkommen aufgeregt.
 

„You weiß, wie schlimm meine Eltern sind“, meinte er weiter, „Das Sozialamt geht bei uns ein und aus. Und You arbeitet für die Abteilung beim Jugendamt, die die härtesten und hoffnungslosesten Fälle abbekommt.“
 

Er blieb stehen, breitete die Arme aus und lachte Hyde an. „Hey, ich bin ein hoffnungsloser Fall. Warum sprichst du überhaupt mit mir?“

Hyde drückte seine Arme herunter. „Weil ich hoffnungslose Fälle cool finde.“

„Hey, du findest das cool? Warum?“

„Weil ich selber so ein hoffnungsloser Fall bin.“ Hyde lachte jetzt, auf einmal schien ihm alles so leicht. You hatte Gackt den Schlüssel zu seiner Wohnung gegeben, dieser arbeitete beim Jugendamt, niemand würde ihnen vorwerfen können, dass sie etwas Unerlaubtes taten.
 

Sie stiegen in die Bahn in Richtung Shibuya. Sie saßen nebeneinander auf der Bank und Gackts Hand tastete sich über den Sitz zu der von Hyde, bis er seine Fingerspitzen fest umschlossen hatte. Sie hielten sich an der Hand, aber sahen sich nicht an. Beide blickten sie geradeaus, als gäbe es da etwas unheimlich Spannendes zu sehen.
 

„Es ist gut“, sagte Gackt in das Schweigen, „dass es Typen wie You gibt. Ohne sie wäre man verloren.“

Er versuchte vor Hyde zu verbergen, dass er aufgeregt war. Er wollte nicht mehr an das Gespräch mit You denken. Dieser hatte prima reagiert, keine Frage, er hatte Verständnis, das spürte man. Ohne zu zögern hatte er Gackt den Schlüssel gegeben. „Entspannt euch erst mal“, hatte er gesagt. „Und macht euch keinen Stress – es ist mir egal, wie lange ihr bleibt. Eine Stunde, zwei Stunden. Hauptsache, ihr hinterlasst keine Müllhalde.“

Quatsch, hatte Gackt gesagt, wir passen doch auf deine Sachen auf, ist doch logisch.
 

An der Tür hatte You Gackt noch einmal an den Schultern zu sich umgedreht und ihn prüfend gemustert. „Ihr schlaft nicht zusammen in meiner Wohnung, das ist klar, oder?“

Gackt hatte einen feuerroten Kopf bekommen, er war wirklich keine Sekunde auf diese Idee gekommen und schüttelte heftig den Kopf. You hatte ihn losgelassen und etwas gemurmelt, das wie: „Ist in Ordnung, ich vertraue dir“ geklungen hatte.
 

Dennoch war es komisch, jetzt mit Hyde in eine fremde Wohnung zu gehen. Es war irgendwie verrückt. Was wohl Hyde dachte? Er blickte ihn von der Seite an, er ging neben ihm her: Die Nasenspitze weiß von der Kälte. Oder von der Aufregung. Wer wusste das schon genau. Als er sich räusperte, zuckte Hyde zusammen.
 

„Hey“, sagte er, „ich überlege gerade, ob wir irgendwas einkaufen sollten?“

„Was denn?“

„Na ja etwas zu essen. Wir können doch nicht einfach alles von You wegmampfen.“

„Hast du denn Geld?“

„Muss ich durchzählen.“
 

Sie blieben stehen und zählten ihr Geld durch. Dann lächelten sie sich beide an.
 

„Gut, was sollen wir uns denn kaufen?“

„Wie wäre eine Tüte Kekse und etwas zu trinken?“, fragte Hyde unsicher.

„Das ist einfach eine wunderbare Idee, ich geh den Typen da drüben fragen, wo der nächste Supermarkt ist.“
 

Hyde blieb ein wenig weiter weg stehen, währendem Gackt sich den Weg zu dem Einkaufsmarkt beschreiben liess. Es war lustig mit anzusehen, wie die beiden Männer sich mit ihren Händen den Weg beschrieben. Gackt wiederholte nämlich alles, was der Typ sagte. Als er wieder zu ihm kam, meinte er: „Es ist ein Stück zu laufen.“
 

„Na und? Laufen ist gesund und außerdem…“

„Jaja, schon gut, was für Kekse magst du denn? Mit Nüssen? Mit Schokolade?“

„Am liebsten mag ich Butterkekse, die sind nicht zu süß und man bekommt nicht so viel Durst von ihnen, und sie schmecken einfach am besten!“

„Wir passen wirklich gut zusammen, ich mag auch Butterkekse…“, strahlte Gackt.
 

Es war schön, mit Hyde durch einen vollkommen fremden Supermarkt zu gehen und in den Regalen zu stöbern. Es war lustig, ihm die Rückseite der Kekspackungen vorzulesen. Kaum zu glauben, was man alles brauchte um normale Butterkekse herzustellen.
 

„Verdammt viel Chemie in den Keksen“, sagte Hyde. „Lies mal vor, was auf dem da steht.“

Er zog eine andere Packung heraus und Gackt las wieder vor, während Hyde die anderen Regale inspizierte.

Eine Verkäuferin näherte sich misstrauisch: „Kann ich vielleicht helfen?“
 

„Danke“, sagte Gackt strahlend, „wie helfen uns selbst.“

„Sucht ihr was Bestimmtes?“, fragte die Verkäuferin, während sie einen sehr kritischen Blick auf die beiden Rucksäcke warf.

„Wir suchen Butterkekse“, sagte Hyde.

„Hier ist ein ganzes Regal voller Butterkekse.“
 

Gackt strahlte. „Genau das macht die Wahl so schwer. Wir lesen nur kurz durch, was unter Zutaten alles aufgelistet steht. Wissen Sie, ich bin allergisch gegen Phosiryphlat, Vanillearoma und Bindemittel.“
 

Die Verkäuferin starrte ihn an. Gackt machte ein bekümmertes Gesicht. „Allergiker“, sagte er „Krankheitsstufe 5. Wollen Sie meinen Ausweis sehen?“ Er griff in den Pullikragen und tat, als suche er nach seiner Erkennungsmarke. Erschrocken wehrte die Verkäuferin ab: „Schon in Ordnung.“

„Wollen Sie sehen, was in den Rucksäcken ist?“ Gackt hatte ihren misstrauischen Blick bemerkt. Bereitwillig zog er die Schnur auf und ließ die Verkäuferin in seine Schulbücher blicken, sie war dann auf einmal verlegen. „Ihr müsst mir doch nicht eure Schultasche zeigen.“

„Ach wissen Sie“, sagte Gackt, „mein Vater ist Leiter der Filiale drüben in Shibuya. Jeden Abend erzählt er uns Horrorgeschichten, was die Leute alles mitgehen lassen. Keine Ehrlichkeit mehr unter den Menschen, was? Kaum hast du dich umgedreht, sagt mein Vater, Schwupps, haben sie schon was unter den Pulli gesteckt.“ Er schob seinen Pulli hoch und ließ seine nackte, weiße Haut sehen. „Man kann gar nicht misstrauisch genug sein, sagt mein Vater immer.“
 

Die Verkäuferin war jetzt völlig durcheinander. Sie wollte sich diskret entfernen, aber Gackt lief immer hinter ihr her und redete dabei gleichzeitig auf sie ein.
 

„Wenn Sie mir Ihren Namen sagen“, meinte er, „kann ich vielleicht etwas für Sie tun. Mein Vater sagt, gute Kräfte, die im Sinne des Unternehmens denken, haben bei ihm immer offene Türen.“ Er reichte der Verkäuferin strahlend die Hand. „Ich werde Sie weiterempfehlen. Wenn Sie mir nun noch sagen: Wo stellt Ihr hier Eure Softdrinks hin? Auch beim Obst?“

„Drüben“, flüsterte die Verkäuferin, „bei den Waschmitteln.“

„Ah!“, Gackt hob verblüfft die Augenbrauen. „Bei den Waschmitteln. Eine fabelhafte Entscheidung. Ich muss das meinem Vater erzählen. Das wird ihm gefallen. Ist schließlich beides ungefähr die gleiche chemische Formel. Das eine Pulver, das andere flüssig. Beides löst sich auf, das eine, wenn es mit Stoffen in Berührung kommt, das andere, wenn es die Magenwände erreicht. Wirklich eine fantastische Idee. Softdrinks neben die Waschmittel.“

„Ent…schuldige…, entschuldige mich…“, stotterte die Verkäuferin, „da fehlt einer an den Kassen heute.“

„Gehen Sie, gute Frau, und tun Sie Ihren Dienst. Man wird Sie dafür belohnen, spätestens bei Ihrem zehnjährigen Dienstjubiläum.“
 

Sie schnappten sich zwei Colas und eine Packung Butterkekse, bezahlten an der äußersten Kasse und verschwanden nach draußen. Hyde bekam einen Lachanfall. „Sag mal, ist dein Vater wirklich Leiter eines Supermarktes?“

„Unsinn. Hab ich dir doch gesagt, der fährt jetzt Lastwagen nach Kiew. Vorher war er bei einer Umzugsfirma. Er ist stark wie ein Bär.“

„Wow“, sagte Hyde, „Mein Vater hat überhaupt keine Muskeln. Der sitzt den ganzen Tag am Schreibtisch, oder rennt den Patienten hinterher. Früher hat er wenigstens mal Tennis gespielt.“

„Klar“, sagte Gackt. „Er ist ja auch etwas Besseres. Ich bin ein Arbeiterkind. Jeden Freitag eine Lohntüte und dann ab ins die nächste Kneipe, den Wochenlohn versaufen.“
 

Hyde sah Gackt an, dieser blieb stehen und schloss die Augen.
 

„Können wir auch mal über was Nettes reden?“
 

Der kleine Japaner blickte ihn an, sah, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Wie er die Augenbrauen zusammenzog, wie seine Lider zuckten. Er tat ihm so Leid. Er fragte sich, warum ein junger Mann, der so lustig war wie Gackt, so viel Mist aushalten musste. Warum Eltern nicht stolz darauf waren, so einen Jungen zu haben, warum sie ihn vernachlässigten und rumschubsten, verstand er nicht.

Gackt öffnete die Augen, Hyde wurde rot und blickte in die Ferne, beobachtete, wie ein Hund mit seiner Besitzerin spielte und ein Kind einen blauen Luftballon verlor, der sich immer weiter der Freiheit entgegen entfernte. Gackt griff nach der Hand des Kleinen, gleichzeitig hielt er die Plastiktüte aus dem Supermarkt fest. Die Limonadenflaschen schlugen gegeneinander und klirrten leise.
 

„Was war das eben?“, fragte er.

„Nichts“, murmelte Hyde verlegen.

„Doch, es war etwas. Warum hast du mich so angesehen?“

„Na ich wollte sehen, ob du Pickel hast.“
 

Gackt trat dicht an den jungen Mann heran. „Und? Hast du einen gesehen?“, Hyde wurde rot und senkte den Blick: „Das war doch nur ein Witz, kam wohl nicht so gut an.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Armaterasu
2007-10-21T20:53:14+00:00 21.10.2007 22:53
Jaja... da sind sie nun alleine bei you zu hause^^ und ich hoffe, dass da doch etwas mehr passiert in der wohnung^^ ich find das total süß wie sich immer die hande suchen^^
mal sehen wie die mutter von hyde reagiert... bin echt total gespannt^^ und danke fürs bescheid sagen^^
HDGDL
die verlobte amy^^
Von:  Kimiko02
2007-10-21T20:48:53+00:00 21.10.2007 22:48
Danke fürs Bescheid sagen ^^

Hach, die zwei sind wirklich unglaublich süß zusammen *__*
Wie sie sich immer wieder an den Händen halten *rumschwärm*
Die Eltern der Beiden sind dafür umso dämlicher ^^;
Bin ja mal auch gespannt, was dann in Yous Wohnung passiert *g*
Freu mich schon aufs nächste Kapitel!!!!
Von:  Ruki_
2007-10-21T19:05:43+00:00 21.10.2007 21:05
das kapi is mal wieder total klasse ^___^
vorallem die stelle, wo gackt mit you redet und dann nen knallroten kopf kriegt, is total süß ^__^
bin ja mal gespannt was in you's wohnung passieren wird, falls überhaupt etwas passieren wird ^///^

arigatô, fürs bescheid sagen.
*knuff*
Moe
Von:  cute-hasi_to_Mars
2007-10-21T17:55:12+00:00 21.10.2007 19:55
>_> oohhhhh ich wäre ausgeflippt!hätte hyde doch mal endlich seinen eltern was an den kopf geknallt, aber nein, .____. da frisst er es lieber wieder in sich hinein.

und nun reißen die beiden zusammen aus, na wenn das mal "gut" geht.
am ende hab ich so ungefähr das gleiche wie hyde gedacht, also das mit dem über was andres reden. die beiden tun mir echt leid. *mitleid hab*
aber wenigstens hat Gackt seinen humor nicht verloren.

ich bin soooo gespannt wies weiter geht! X3
danke fürs bescheid geben.

das Hasi
Von:  Tatsu-addict
2007-10-21T16:52:56+00:00 21.10.2007 18:52
also die eltern von hyde... ich fange an sie wirklich zu hassen.
aber sonst total süß!

ich will ja nur hoffen, dass hydes mutter nicht gleich suchhunde einsetzt, um ihn zu finden.
*grins*
jedenfalls musste ich sehr lachen als die beiden im supermarkt waren.
echt fetzig.

dann kann ja in der wohnung von you noch viel passieren *___*
und hoffentlich genießen sie diese zeit so richtig...
*knuddel*



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