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One and a half Lovesong

Wie alles begann
von

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[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Als Reita am nächsten Morgen aufstand und sich in der Küche die nötige Koffeinzufuhr aufbrühte um den Tag gestärkt über die Runden zu bringen, hatte Ruki die Wohnung bereits verlassen. Zwar war er derjenige, der keine Minute an ihrer zukünftigen Musikkarriere zweifelte, dennoch schien sein Optimismus Grenzen zu kennen und um für den schlimmsten Fall gewappnet zu sein, wollte er sich ein zweites Standbein schaffen und hatte eine Ausbildung im Friseursalon seines Onkels begonnen.
 

Ganz im Gegensatz zu Reita, der sich ein Leben ohne Musik nicht vorstellen konnte und für einen Hungerlohn ein Praktikum bei einer Veranstaltungstechnikfirma absolvierte. Es war nicht so, dass ihm die Arbeit dort keinen Spaß machte, doch viel mehr wünschte er sich, selbst auf der Bühne zu stehen, statt sie für eben diese Leute vorzubereiten.
 

Er sah auf das gebrauchte Geschirr, das Ruki in der Spüle hatte stehen lassen. Leicht schüttelte er den Kopf, lehnte sich an die Anrichte und nippte an seiner Tasse. Nachdem er sie geleert hatte, stellte er sie ebenfalls in die Spüle und ließ heißes Wasser hineinlaufen. Während sich das Becken langsam füllte schaltete er das Radio ein und suchte in den unteren Küchenschränken nach dem Spülmittel. Er mochte den Geruch nicht und rümpfte die Nase nachdem er die klebrige Plastikflasche in die Hände bekommen hatte.
 

Kaum da er das Wasser abgestellt und zum Schäumen gebracht hatte, stach ihm der Zitronengeruch unangenehm in der Nase. Er wusch die Teller und Tassen noch einmal sorgfältig unter klarem Wasser ab, bevor er sie abtrocknete und im Schrank neben der Dunstabzugshaube verstaute.
 

Während der ganzen Zeit drang irgendwelche Popmusik aus dem kleinen schwarze Kasten, doch richtiges Gehört schenkte Reita der Musik und dem Moderatoren nicht. Es diente vielmehr als Etwas, das ihn daran erinnern sollte, dass es noch eine Welt dort draußen gab. Manchmal schaltete er ab, verlor sich in Kalkulationen über die Zukunft seines Lebens, sowie andere sich in Träumen wieder fanden. Träumen war für ihn reine Zeitverschwendung und lieber versuchte er die Dinge realistisch zu betrachten. Doch oft war er so in seine Überlegungen über die Möglichkeiten, die sich ihm boten, versunken, dass er Dinge, die er für unwahrscheinlich hielt, schlichtweg ausschloss. Zu nah schienen sie ihm an Träumereien zu grenzen. Schon mehr als ein Mal hatte er sich von Ruki anhören müssen, dass Träume zum Leben dazugehörten. Er sagte Träume sind besondere Wünsche ohne die das Leben nur halb so lebenswert wäre. Denn das Streben nach einem Ziel zur Erfüllung eines Wunsches um den Traum zu leben ist der Akku, der die Batterie immer wieder auflädt. Diese Worte hatten Reita verwirrt und er erwischte sich manchmal dabei wie er über den Satz des kleinen Hobbyphilosophen senierte.
 

Er warf einen Blick auf die Uhr. Noch in Shorts und einem weiten Adidashirt ging er zurück ins Schlafzimmer und zog sich arbeitsgerecht an. Auf dem schwarzen Oberteil prangte in weißen Lettern der Name der Firma für die er arbeitete. Im Bad putzte er sich die Zähne, strich mit den Finger kurz über sein Kinn und beschloss dass es reichen würde sich am folgenden Tag zu rasieren. Mit ein paar Bürstenstrichen zähmte er seine blonde Mähne bevor er zurück in die Küche ging. Dort untermalten seichte Gitarrenklänge gerade ein Reisegewinnspiel nach Hawaii. Er drehte das Radio aus. Die Stimme des Moderators verstummte und eine leere Stille erfüllte den Raum. Selbst nur mit Socken an den Füßen erschienen ihm seine Schritte übermäßig laut als er in den kleinen rechteckigen Flur trat um Turnschuhe und Jacke anzuziehen.
 

Draußen erwartete Reita eine strahlende Herbstsonne und er öffnete seine gerade erst geschlossene Jacke um die sanfte Wärme zu genießen, die der ferne Stern auf die Erde sandte. Auf dem Weg zur U-Bahnstation machte er einen Stopp bei der Bäckerei Kimuraya um sich einen Doughnut zu kaufen, den er in einer Tüte verpackt in seinem Rucksack verstaute.
 

Dank der späten Arbeitszeit entging er der morgendlichen Rushhour. Er fuhr mit der Yamanote-Linie fünf Stationen und erreichte wenige Minuten später den Bahnhof des Tokioter Stadtteils Ebisu. Trotz der relativ späten Stunde musste er sich durch eine hektische Menschenmenge kämpfen, bis er sich endlich wieder an der frischen Luft befand. Reita brauchte einen Moment um sich zu orientieren, überquerte jedoch schließlich den breiten Zebrastreifen vor sich als er seine Orientierung wieder gefunden hatte. Der Blonde hatte den Nachtclub erst zweimal von innen gesehen und damals hatte er nur das Equipment für die Veranstaltung hineingetragen. Die Geräte waren für einen Anfänger damals tabu gewesen. Die Techniker sahen es nicht gerne wenn man seine Finger nicht bei sich behalten konnte und Reita liebte es nun mal die verschiedenen Funktionen der Anlage auszutesten.
 

Während sein Blick die überfüllten Schaufenster streifte, spürte er wie sein Magen sich bemerkbar machte. Es war kurz nach elf und etwas zu sich genommen, außer einem Kaffee, hatte er bis jetzt nicht. Umständlich öffnete er im Gehen seinen Rucksack und nahm die Papiertüre, die das Fett des Gebäckes aufgesogen hatte und sich furchtbar schmierig anfühlte, heraus. Reita zog einen Doughnut mit Zuckerguss hervor, der seine Runde Form schon längst eingebüßt hatte. Da er keine freie Sitzgelegenheit fand, aß er auf dem Weg zur Arbeit.
 

Schon von weitem nahm er Menschen wahr, die sich in Gruppen vor dem Club eingefunden hatten. Der Kontrast könnte nicht schärfer sein. Manche von ihnen stachen mit mädchenhaften, bunten Kleidern hervor, wiederum andere waren in tristes Schwarz gehüllt und machten durch ihr ausgefallenes Make-up auf sich aufmerksam. Einige leere Getränkeflaschen sammelten sich in den fast vollen Mülleimern, die man vorsorglich aufgestellt hatte und platt getretene Zigarettenschachteln säumten den Boden.
 

Reita bog in die schmale Seitengasse ein und steuerte zielstrebig auf den abgesperrten Notausgang zu. Er erkannte den stämmigen Türsteher sofort und auch diesem war der Blonde nicht unbekannt und ein breites Grinsen zierte seine Lippen als er diesen auf sich zukommen sah.
 

„Nur hereinspaziert“, grinste Makoto, „Die Arbeiten sind schon in vollem Gange.“
 

Reita nickte ihm zu. Er hatte noch immer nicht herausgefunden was dem Schwarzhaarigen an seiner Arbeit gefiel und woher seine scheinbar immerwährende gute Laune stammte. Vor wenigen Wochen hatte Makoto sich zu Reita und seinen Arbeitskollegen gesellt und war nach dem Konzert eines aufstrebenden Popsternchens zusammen mit ihnen etwas trinken gegangen. Ruki hatte Reita damals aus einer Laune heraus begleitet und zusammen hatten sie in Erfahrung gebracht, dass Makoto verheiratet war und zwei Kinder hatte. Ob das sein Rezept war um glücklich zu sein? Zumindest hatte er sich damals zufrieden angehört und Reita war sich ziemlich sicher, dass es nicht dem übermäßigen Alkoholgenuss zuzuschreiben war.
 

„Hast du Aki gesehen?“ Reita blinzelte an dem Stämmigen vorbei in den kalten Flur, auf den die geöffnete Tür einen Blick freigab, doch außer ein paar Männern, die sich an den aufgestellten Tischen mit Kaffee versorgten, konnte er kein bekanntes Gesicht entdecken.
 

„Er kam schon vor einer Weile an. Ich nehme an er ist hinter der Bühne.“
 

Makoto warf einen kurzen Blick auf seine Digitaluhr.
 

„Müsste gleich Soundcheck sein. Immerhin müssen sie einige Bands durchkriegen.“
 

An Reita schlängelten sich einige Arbeiter vorbei, die der Schwarzhaarige kurz grüßte.
 

„Wie viele?“
 

Er wusste lediglich, dass einige Indie-Bands spielen würden, aber er hatte keine Zeit gehabt sich näher darüber zu informieren. Makoto legte die Stirn in Falten. Sein rundes Gesicht sah älter aus, wenn er ernst schaute und seine Lachfalten es nicht Strahlen ließen.
 

„Soweit ich informiert bin fünf. Einige von ihnen, die mir vorhin über den Weg gelaufen sind tragen ihre Nasen jetzt schon höher als es gut für sie wäre. Wenn sie hier an einen guten Produzenten geraten und gleich zu Anfang hohe Ansprüche stellen, fliegen sie schneller wieder aus dem Geschäft als sie Scheinwerferlicht sagen können.“
 

Reita grinste schief. Er wusste um die Affektiertheit einiger Gestalten und mied den Kontakt soweit es möglich war.
 

„Wie geht es mit deiner Band voran?“, wechselte Makoto das Thema und schmunzelte als Reitas zuvor heiterer Gesichtsausdruck ins Gegenteil umschlug und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.
 

„Noch immer niemand passenden gefunden?“
 

Der Blonde schüttelte den Kopf.
 

„Wir haben einen Proberaum auftreiben können, aber uns fehlen immer noch ein Gitarrist und ein Drummer.“
 

Kurz rieb er sich den Nacken.
 

„Gestern haben Ruki und ich durch Zufall, oder wie Ruki es nennen würde Fügung, einen jungen Mann getroffen, den Ruki zum Vorspielen eingeladen hatte. Er war interessiert und schien Ahnung von Musik zu haben. Aber bevor wir mehr über ihn in Erfahrung bringen konnten, hatte er sich samt Gitarrenkoffer aus dem Staub gemacht.“
 

Reita seufzte schwer.
 

„Hört sich so an als ob das Interesse wohl doch nicht so groß war.“
 

Makoto lachte.
 

„Er wollte seine Bahn nicht verpassen“, erklärte Reita sachlich, „ Jedenfalls haben wir keinen Anhaltspunkt wo wir ihn finden könnten oder erreichen könnten.“
 

Der Stämmige nickte mitfühlend.
 

„Ärgerlich“, brummte er.
 

Reita sah an ihm vorbei in den Flur als er bemerkte wie sich ihnen jemand näherte. Er erkannte Aki und warf reflexartig einen Blick auf die Uhr. Er war noch in der Zeit. Unpünktlichkeit war eines der Dinge, die Reita selbst nicht leiden konnte.
 

„Da bist du ja“, begrüßte ihn der Tonmeister und winkte ihn zu sich. Der Blonde ging mit einem Gruß an Makoto vorbei und trat in den hell beleuchteten Flur.
 

„Bist du fit?“ fragte er und seine Augen verrieten, dass er selbst wohl einiges an Schlaf nachzuholen hatte. Doch trotzdem ließ er sich die Laune nicht verderben. Reita nickte zur Antwort.
 

„Wann beginnt der Soundcheck?“
 

„Sobald sie mit den Aufbauarbeiten fertig sind. Du hast Glück, dass du zum Abbau eingeteilt wurdest. Es gab einige Rennerei. Zuerst hatte der Laster Verspätung und dann hat irgendwer die Kisten mit den Kabeln verlegt.“
 

Er klang geschafft und noch hatte das Event nicht einmal begonnen. Reita folgte dem Mann mit der Baseballkappe und dem Pferdeschwanz bis dieser sich im Laufen zu ihm umdrehte.
 

„Kannst du nachsehen ob auf der Bühne soweit alles steht? Ich warte drüben am Mischpult.“
 

Er deutete auf die Anlage, die sich auf einem Podest am Ende des Raumes erhob. Erneut nickte Reita zum Zeichen, dass er verstanden hatte, schwang sich über die Absperrung und nahm den seitlichen Aufgang, der auf die Bühne führte. Er vergewisserte sich, dass soweit alles aufgestellt war und fragte sicherheitshalber noch einmal einen der Techniker. Kurz verschwand er hinter die Bühne um sich seines Rucksacks zu entledigen. Auf dem engen Flur herrschte schon reges Treiben und Reita erhaschte einen Blick auf die Räume, die sich hinter den Türen verbargen. Für den Staff gab es keinen Extrabereich und was er in den Räumen sah, waren Musiker, die damit beschäftigt waren sich, zwischen all dem Tumult, auf ihren Auftritt vorzubereiten.
 

Er bekam nicht oft einen Einblick hinter die Kulissen der Welt in die er sich am liebsten selbst katapultieren würde. Zu oft hatten sie Aufträge für DJ-Veranstaltungen oder wenn er Glück hatte, konnte er bei ausländischen Größen anwesend sein. Doch nach erst einem halben Jahr, das er nun in der Firma zugebracht hatte, hatten sich solche Gelegenheiten für ihn in Grenzen gehalten.
 

Reita betrat einen Raum, in dem einige Musiker damit beschäftigt waren, ihre Haare zu frisieren oder noch einmal den Ablauf durchzugehen. Visagisten und Stylisten suchte man hier vergebens. Reita stellte seinen Rucksack neben der Türe ab. Er spürte wie etwas gegen seine Seite drückte, während er sich aufrichtete und blickte irritiert neben sich. Noch ehe er es sich versah wurde ihm eine silbern glänzende Dose Haarspray in die Hand gedrückt. Ein schlanker, junger Mann blickte ihn aus fröhlichen Augen an und Reita glaubte auf seinen Lippen ein Lächeln zu erkennen, das seltsam verzerrt wirkte, da er darauf bedacht war die Haarklammern, die dazwischen klemmten, nicht fallen zu lassen. Reita musterte das markante Gesicht perplex und war überrascht über die vollen Lippen, die jetzt, nachdem sein Gegenüber die schwarzen Haarsträhnen mit den Klammern befestigt hatte, richtig zum Vorschein kamen.
 

„Danke“, lächelte er breit und nahm Reita die Sprühdose aus der Hand.
 

„Kein Problem“, erwiderte dieser nüchtern und löste sich von dem Anblick des gut gebauten Mannes. Er schickte sich an den Raum zu verlassen, doch erneut wurde er von demselben jungen Japaner aufgehalten.
 

„In welcher Band spielst du?“, wollte er wissen und schlug sich selbst die Hand an die Stirn als Reita ihn auf sein Shirt aufmerksam machte.
 

„Du sahst für mich mehr nach Musiker als nach Techniker aus“, entschuldigte er sich und das Grinsen auf seinen geschwungenen Lippen schien nicht weichen zu wollen. Reita wusste nicht ob er sich geschmeichelt fühlen sollte und hielt es für besser nichts darauf zu erwidern.
 

„Vielleicht kannst du mir ja helfen. Ich hab keine Ahnung wann unsere Band für den Soundcheck angesetzt ist.“
 

Reitas Brauen zogen sich kurz nachdenklich zusammen bevor er antwortete.
 

„Ich glaube ich habe vorne am Treppenaufgang eine Liste gesehen.“ Er bedeutete dem fremden Musiker ihm zu folgen und führte ihn zur Treppe, die hinauf auf die Bühne führte.
 

„Hier.“ Er zeigte mit dem Finger auf ein laminiertes Blatt, das sich weiß von der fleckigen Wand abhob.
 

„Wie heißt deine Band?“ Reita überflog die Namen der aufgeführten Gruppen flüchtig.
 

„Artia.“
 

„Ah…. Ihr seid als zweite dran“, erläuterte der Blonde das Offensichtliche für einen Menschen, der lesen konnte. Er wandte sich dem anderen erneut zu, dessen Blick noch einmal prüfend über die Liste glitt bevor er Reita aus lachenden Augen ansah. Irgendwie wurde der Techniker das Gefühl nicht los, dass der Schwarzhaarige sich über ihn amüsierte.
 

„Dann werde ich die Mannschaft mal zusammentrommeln.“ Er hob die Hand zum Abschied. „Vielleicht sieht man sich ja noch.“
 

Reita sah dem jungen Mann nach, wie er mit schwingenden Schritten zurückging, die Sprühflasche dabei elegant in der Hand drehend. Ihm gefiel die Lässigkeit des anderen. Er würde sicherlich versuchen seinen Auftritt mitzuverfolgen, doch jetzt beeilte er sich zuerst zurück zu Aki zu kommen um ihm beim Soundcheck nützlich zu sein.
 

Pünktlich um acht Uhr betrat die erste Band die, mit Blitzlichtern erhellte, Bühne. Vom Einlass der Besucher hatte Reita wenig mitbekommen, doch bis jetzt war alles reibungslos verlaufen. Er war froh mit Aki am Mischpult stehen zu dürfen, so hatte er die Möglichkeit die einzelnen Auftritte mitzuverfolgen.
 

Grelle Lichteffekte heizten die Stimmung, die schon zu Anfang ausgelassen war, zusätzlich an. Es herrschte eine Ungezwungenheit und Publikumsnähe, die bei großen Berühmtheiten nahezu undenkbar wäre. Ein Umstand der Reita gefiel.
 

Als die nächste Band die verhältnismäßig kleine Bühne unter Rufen und rhythmischen Klatschen betrat, erkannte er den Schwarzhaarigen, der ihn zuvor so vorwitzig als provisorischen Assistenten benutzt hatte. Er trug eine schwarze Stoffhose, die ausreichend mit Sicherheitsnadeln verziert war. Ein weißes Hemd, das lose über der Anzughose hing und dessen Ärmel ausgefranst und ebenfalls mit Nadeln und Schnüren zusammengehalten wurde, schmiegte sich an seinen Oberkörper. Das Gesamtbild wurde von einer schwarzen Krawatte, die locker um seinen Hals hing komplettiert. Ein Gebläse schickte in regelmäßigen Abständen kühle Luft auf die Bühne und einige seiner langen Haarsträhnen wehten leicht im Lufthauch. Seine Gitarre, eine Yamaha wie Reita zu erkennen glaubte, hing tief an seiner Taille.
 

Es war zwar nicht ganz die Art von Musik, die Reita vom Hocker riss, doch die Lässigkeit des anderen setzte sich in seinem Spiel fort. Es beeindruckte den Blonden und am Ende des Auftritts hatte sich bei Reita die fixe Idee festgesetzt, den Gitarristen für ihre Band zu gewinnen.
 

Der Abend neigte sich dem Ende und Reita wurde hinter die Bühne geschickt, um einem der Techniker als Kabelträger zur Hand zu gehen. Nachdem auch dieser Teil seiner Arbeit erledigt war und die Geräte ihren Platz im Laster eingenommen hatten, ließ sich der Blonde auf einen im Flur aufgestellten Klappstuhl sinken. Er massierte sich die pochenden Schläfen und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Die Person, die sich ihm näherte bemerkte er nicht und zuckte dementsprechend erschrocken zusammen, als sich eine Hand auf seine Schulter senkte.
 

„Alles in Ordnung?“ Aki blickte ein wenig besorgt auf den anderen hinab. Reita lächelte. Die väterliche Fürsorge des Tonmeisters rührte etwas in ihm.
 

„Alles bestens. Die Geräte sind alle soweit im Laster verstaut.“
 

Aki nickte, wirkte nachdenklich. Dann klopfte er ihm brüderlich auf die Schulter.
 

„Du hast dir deinen Feierabend verdient. Besser du lungerst nicht noch länger hier rum, sonst spannt dich am Ende noch jemand für irgendwelche Arbeiten ein. Wir sehen uns in der Firma!“
 

Reita nickte ihm zu, als der Tonmeister sich mit diesen Worten entfernte. Für ihn war der Tag noch nicht zu Ende. Schwerfällig erhob sich Reita und suchte den Raum auf in dem er seinen Rucksack abgelegt hatte. Schon als er ihn fast erreicht hatte konnte er laute Stimmen hören. Es klang wie ein Streitgespräch. Seine Schritte verlangsamten sich und er blieb an der Türe stehen. Es war die Band des schwarzhaarigen Gitarristen, die sich einen heftigen Wortwechsel lieferte.
 

„Es ist schon fast lächerlich wie du dich in den Vordergrund spielst!“ Der Sänger schnaubte. Sein schwarzes Haar war von roten Strähnen durchzogen.
 

„Ich hab mich so verhalten wie immer!“
 

„Präsentiert trifft es wohl eher! Du hast auf der Bühne getänzelt wie ein Noh Schauspieler der seinen Daimyo bezirzt.“
 

Reita, der noch immer unbemerkt an der Tür stand, fand die Vorwürfe gänzlich unbegründet. Aus den Worten des Sängers schien die pure Eifersucht über die starke Bühnenpräsenz des Gitarristen zu sprechen. Dieser packte den Sänger nun grob bei den Schultern und stieß ihn gegen die Wand. Diesem entwich ein erschrockenes Keuchen.
 

„Wag es nie wieder so zu reden“, zischte er drohend und ließ noch im selben Moment von ihm ab. Als er sich umwandte konnte er jedoch das hämische Grinsen, das sich auf den Lippen des anderen ausbreitete nicht sehen.
 

„Was denn, Aoi?! Das entspräche doch vollkommen deinem Metier!“
 

Ein verletzter sowie wütender Ausdruck legte sich auf die Gesichtszüge des Angesprochenen, ließen es wie eine verzerrte Maske wirken. Er machte auf dem Absatz kehrt und ballte seine Rechte zu einer Faust und holte aus.
 

„Aoi, nicht!“
 

Doch der warnende Ruf des Drummers schien ihn nicht mehr zu erreichen. Reita, der dies hatte kommen sehen, hatte sich schon in Bewegung gesetzt bevor Aoi sich ganz umgewandt hatte. Er wollte zwischen die beiden gehen, den Gitarristen von etwas Unüberlegtem abhalten, doch kaum da er sich zwischen sie gedrängt hatte, ging alles viel zu schnell. Er spürte einen brennenden Schmerz in seinem Gesicht, bevor alles um ihn in herum in tiefer Dunkelheit versank.

Das Erste, das Reita sah als er benommen die Augen aufschlug war Makoto, der neben ihm hockte und ihn mit besorgter Miene musterte. Man hatte ihn auf das zerschlissene Sofa gelegt und Reita spürte wie etwas seinen Nasenrücken kühlte.
 

„Wie geht es dir?“ fragte Makoto und erst jetzt bemerkte der Blonde, dass dieser es war, der ein Kühlpad sanft an die Stelle drückte an der Aois Faust ihn getroffen hatte. Reita wusste nicht genau was er antworten sollte. Sein Kopf dröhnte und die gekühlte Stelle pochte schmerzhaft.
 

„Wie lange war ich weg?“ versuchte er Makotos Frage zu umgehen.
 

„Vielleicht zehn Minuten“, schätze der Türsteher. „Wir haben einen Krankenwagen gerufen. Du hast so stark geblutet, wir dachten schon das würde gar nicht mehr aufhören“, fügte er erklärend hinzu als er den irritierten Blick des Blonden bemerkte.
 

Er griff nach einem blutigen Handtuch und schwang es zum Beweis kurz vor Reitas Augen hin und her. Dann warf er das Kühlkissen einer weiteren Person im Raum zu. Der Verletzte ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und musste feststellen, dass er mit Makoto und Aoi alleine war. Als Letzterer merkte, dass Reitas Augen auf ihn gerichtet waren, ging er auf ihn zu und setzte sich an das Fußende des Sofas.
 

„Es tut mir so leid“, begann er sich zu entschuldigen und sah ihn dabei reumütig an. „Das habe ich nicht gewollt. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen… bitte, wenn… wenn ich irgendetwas tun kann….
 

„Komm in meine Band.“
 

Noch bevor Reita weiter darüber nachgedacht hatte, waren die Worte schon aus ihm herausgesprudelt. Makoto, der Reita gerade noch dazu anspornen wollte dem Schwarzhaarigen eine Anzeige wegen Körperverletzung auf den Hals zu hetzen, damit er aus dem Vorfall lernt, blickte nun ebenso verblüfft drein wie Aoi selbst. Noch bevor dieser eine Gelegenheit hatte um zu antworten, wurde die Türe aufgerissen und zwei Sanitäter, geführt von Aki, betraten den Raum.
 

Reita setzte sich mit Makotos Hilfe auf. Nach einer kurzen Begrüßung bekam er ein Mittel zur Kreislaufstabilisierung gespritzt und spürte gleich darauf fremde Finger, die die malträtierte Stelle in seinem Gesicht vorsichtig abtasteten, während er zuhörte wie Aoi dem anderen Rettungshelfer schilderte was vorgefallen war. Aki hingegen verließ den Raum nachdem er sich vergewissert hatte, dass Reita in guten Händen war, um nicht im Weg zu sein. So bekam er die Diagnose, die der Sanitäter stelle auch nicht mehr mit.
 

„Das Nasenbein scheint angebrochen, wenn nicht gar ganz gebrochen zu sein“, sagte der Sanitäter, nachdem er das Abtasten beendet hatte. Reita bemerkte aus den Augenwinkeln Aois entsetzten Gesichtausdruck und auch seine Gesichtzüge entgleisten ihm unwillkürlich.
 

„Sind sie sicher? Ich meine… gebrochen?!“
 

Ungläubig blickte er den Sanitäter vor sich an.
 

„Ich dachte so etwas… äh… würde mehr schmerzen…?“
 

Makoto brach in schallendes Gelächter aus. Aoi schien erleichtert und auf das Gesicht des Rettungshelfers schlich sich ein Grinsen.
 

„Jedenfalls“, fuhr er fort, nachdem Makoto sich wieder beruhigt hatte, „ … nehmen wir sie mit ins Hospital damit es geröntgt werden kann.“
 

Er bot Reita seinen Arm an und stützte ihn auf dem Weg zur Türe, als diese plötzlich ein zweites Mal aufflog. Ruki, der völlig mitgenommen wirkte, stand in der Türe und blickte starr auf Reita, dessen Gesicht an einigen Stellen noch immer von Blut verkrustet war.
 

„Ruki“, brachte dieser überrascht hervor.
 

Als Ruki seinen Namen hörte, löste er sich wie auf Kommando aus seiner Starre, erreichte Reita mit wenigen Schritten und schloss in ihn die Arme.
 

„Was machst du nur für Sachen?“, hauchte er und Reita spürte wie zittrige Finger in seinen Nacken wanderten und sich schließlich leicht in seinem Haar vergruben.
 

„Was machst du hier?“
 

Makoto räusperte sich geräuschvoll und antwortete an Rukis Stelle.
 

„Hab ich ganz vergessen“, murmelte er, „Er hat vorhin angerufen. Hat sich gewundert wo du bleibst.“
 

Reita runzelte die Stirn. Ein leichter Schmerz zog von seinem Nasenbein bis in seine Schläfen und er spürte erneute Kopfschmerzen aufkommen.
 

„Mit was bist du hergekommen?“
 

„Taxi…“, antwortete Ruki gerade so laut, dass der Blonde es verstehen konnte.
 

Er wollte ihn zurechtweisen sein weniges Geld wegen so etwas nicht zu verschwenden, doch die Sanitäter drängten sie aufzubrechen. Ruki löste sich von ihm und lief nah an seiner Seite mit ihnen voraus. Aoi und Makoto folgten schweigend. Als Reita mithilfe des Sanitäters in den Krankenwagen gestiegen war, nahm Aoi Ruki zur Seite.
 

„Gibt’s du ihm die?“ Er hielt ihm seine Visitenkarte unter die Nase. Ruki musterte ihn einen Augenblick argwöhnisch bevor er sie annahm.
 

„Hast du ihm eine verpasst?“ Er kannte die Antwort, denn ihm war die gerötete Rechte des Gitarristen aufgefallen, als er ihm die Karte gab. Aoi nickte betreten.
 

„Hast du Angst er zeigt dich an?“
 

„Nein.“
 

„Weswegen soll ich ihm den Wisch geben?“
 

„Damit er seinem neuen Gitarristen rechtzeitig zur Probe bescheid geben kann.“ Er lächelte ein wenig.
 

Ruki öffnete den Mund um etwas zu erwidern, sprang dann jedoch in den Rettungswagen und ließ den Sanitäter die Türen schließen.
 

„Ob du’s dir da mal nicht mit dem Sänger verscherzt hast“, sagte Makoto als der Wagen hinter der nächsten Kurve verschwunden war. Aoi wandte sich verdutzt zu ihm um.
 

„Er ist der Sänger von…?“ Als er Makotos breites Grinsen erblickte resignierte er mitten in seiner Frage. „Für mich sah es eben so aus als ob die beiden…“ Er stockte und suchte nach einem passenden Wort.
 

„Zusammen wären?“, half ihm der Türsteher auf die Sprünge.
 

„Mhm-m.“
 

„Das Gleiche habe ich auch vermutet als ich die beiden kennen gelernt habe. Aber wenn man längere Zeit mit ihnen verbracht hat merkt man recht schnell, dass sie einfach gute Freunde sind.“
 

Makoto kratzte sich am Hinterkopf. Ein Wagen hielt neben den beiden auf dem Parkplatz. Die Scheinwerfen warfen zwei große Lichtkreise auf die Hausmauer des Nebengebäudes, die erstarben, als die Türe geöffnet wurde. Überrascht sah Aoi auf die schlanke Gestalt, die sich ihnen im Licht der Straßenlaterne näherte.
 

„Hei“, begrüßte Uruha die beiden freundlich, „Yune sagte du würdest hier wegen eines Vorfalls festsitzen. Da keiner von euch einen Führerschein hat und du die letzte Bahn nicht mehr kriegst, hat er mich gebeten dich abzuholen.“
 

„Darüber hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht.“ Aoi kratzte sich verlegen am Kinn. „Danke.“
 

Uruha winkte lächelnd ab.
 

„Wir sehen uns sicherlich wieder“, wandte sich Aoi an Makoto, der ihm daraufhin kurz lächelnd zunickte, bevor Aoi dem Brünetten zum Wagen folgte und seinem Drummer Yune insgeheim dankte, dass er Uruha bescheid gegeben hatte.
 

Noch in den frühen Morgenstunden verließ Reita die Notaufnahme, Ruki an seiner Seite. Für Ruki war es das zweite Mal an diesem Tag, dass er den Taxiservice in Anspruch nahm, mit dem Unterschied, dass Reita die Bezahlung übernahm, woraufhin er lauthals Protest über sich ergehen lassen musste. Ruki hatte darauf bestanden seinen Teil selbst zu übernehmen, doch da Reita sich sicher war, dass dessen Geldbeutel eine weitere Strapaze nicht verkraften würde, ignorierte er seinen Protest geflissentlich. Die gesamte Fahrt über hatten sie kaum ein Wort gewechselt und auch jetzt nachdem sie die Wohnung betreten hatten, übten sie sich in kollektivem Schweigen.
 

Reita blickte in den Spiegel, der sich einnehmend über der metallenen Schuhablage erhob. Für viel mehr war in dem kleinen, rechteckigen Flur kaum Platz wenn man sich noch bewegen wollte, ohne weiteren Gegenständen ausweichen zu müssen. Er betrachtete seine geschwollene Nase, auf der sich mittlerweile ein dunkelblaues Hämatom gebildet hatte. Eine Nasenaußenfläche zierte ein dunkles Muster aus Fäden. Sie hatte genäht werden müssen. Vorsichtig strich er die unebene Linie mit der Fingerspitze nach. Ein leichter Schauer rieselte seinen Rücken hinab als er die raue Oberfläche spürte.
 

„Tut es weh?“ Ruki hatte ihn nicht aus den Augen gelassen.
 

„Nein.“ Reitas Antwort kam prompt und ohne Zögern. Die Festigkeit in seiner Stimme ließ Ruki ruhiger werden. Sie signalisierte ihm, dass es seinem Freund gut ging, dass es mehr brauchte als eine Windböe, die ein paar Äste mitnahm, den Baum aber nicht aus seinen Wurzeln riss. Die starke Schulter war unverletzt, ein sicherer Ort um sich anzulehnen.
 

„Ich würde dich morgen so gern begleiten, aber ich muss arbeiten.“ Ruki sah so unglücklich dabei aus als hätte er gerade den Wagen seines Vaters in einen Straßengraben befördert, dass Reita ein unterdrücktes Glucksen ertönen lies.
 

„Ich schaff das schon. Mach dir keine Sorgen. Sieh lieber zu, dass du dir noch eine Mütze voll Schlaf holst, bevor du dich in die Arbeit stürzen musst.“ Er lächelte leicht, verbarg seine Anspannung hinter einer Maske und ein weiteres Mal brachte sie ihm den Sieg. Ruki kapitulierte, zog sich zum Schlafen zurück und insgeheim fragte sich der Blonde ob er sich oder Ruki damit einen Gefallen erwies.
 

Viel zu früh war Reita am nächsten Morgen auf den Beinen. Aufregung hatte ihn nicht länger in seinem Bett gehalten. Sie schlängelte sich wie eine Ameisenkolonne durch seine Adern, löste ein Kribbeln aus, das ihn keine ruhige Minute finden lies. Bis zu diesem Zeitpunkt war ein Krankenhausaufenthalt nicht in seinen Kalkulationen vorgekommen und wollte auch jetzt nicht in sein Konzept passen. Doch noch etwas anderes störte ihn. Er war sich sicher etwas übersehen zu haben, doch so sehr er auch nachdachte es wollte ihm nicht einfallen. Dennoch klopfte es immer wieder an und ließ ihm keine Ruhe, doch wenn er die Türe öffnete blickte er in gähnende Leere.
 

Kurz nachdem er aufgestanden war hatte er zum Telefon gegriffen um Ruki zu erreichen. In der ganzen Aufregung des gestrigen Abends hatte er keine Gelegenheit gehabt mit Aoi zu sprechen, geschweige denn eine Telefonnummer aus dem Schwarzhaarigen herauszukitzeln. Seine letzte Hoffnung war der Sänger gewesen, doch auch dieser hatte ihn enttäuschen müssen. Sein einziger Anhaltspunkt, der ihn nicht so aufgeschmissen dastehen ließ wie bei dem brünetten Gitarristen, war, dass er den Namen der Band kannte in der Aoi spielte. Er wollte diesen Trumpf so schnell wie möglich ausspielen, doch zuerst musste er sich der unliebsamen Aufgabe stellen, sich sein angebrochenes Nasenbein richten zu lassen.
 

Er hatte auf eine Vollnarkose verzichtet. Sein Entschluss war auf eine harte Probe gestellt worden und mächtig ins Wanken geraten als er die Gerätschaften gesehen hatte, die der operierende Arzt nur wenig später an ihm ausprobiert hatte. Er hasste es die Kontrolle über sein Handeln zu verlieren, einer der Gründe weswegen er nie zu tief ins Glas schaute, und es erschien ihm nahezu unheimlich fremde Menschen an seinen Körper zu lassen ohne bei Bewusstsein zu sein.
 

So versuchte Reita sich die Prozedur so angenehm wie möglich zu gestalten. Er probierte es mit Liedern, die er sich ins Gedächtnis rief, doch der ständige Druck in seinem Gesicht, ließ ihn die Konzentration verlieren. Seine Stirn legte sich in Falten während er angestrengt über eine Ablenkung nachdachte bis der Arzt ihn zurechtwies sich ein wenig zu entspannen. Für einen Moment löste sich die Schwere, die auf seinem Kopf gelastet hatte wie ein Betonklotz und Uruhas Bild tauchte vor seinem inneren Auge auf. Wieder sah er die schlanken Finger wie sie über die Saiten glitten, Akkorde griffen und an dem Klangdraht zupften um Welten aus Tönen zu erschaffen, die ihre eigenen Sprachen hatten. Jede andersartig, doch für alle, die es nur wollten, vollkommen verständlich.
 

Aus dem Holz wurde Haut, aus den Saiten herbe Muskeln, auf denen die Finger ihr Spiel fortsetzten. Reita durchjagte ein heißer Schauer. Er wollte den Kopf schütteln um die wirren Bilder zu vertreiben, die sich ihm immer mehr einbrannten, doch die Situation zwang ihn sich ruhig zu verhalten, auch als er glaubte sein Brustkorb müsse bersten als er versuchte seine Atmung in einem regelmäßigen Fluss weiterlaufen zu lassen. In seiner Fantasie senkten sich volle, geschwungene Lippen auf seine Haut. Er begann zu schwitzen. Feine Schweißperlen rannen unter seinem T-Shirt seinen Oberkörper hinab, kitzelten die empfindliche Haut und machten das Ganze unerträglicher als es bereits war.
 

Die erlösenden Worte des Arztes hatte er kaum wahrgenommen. Seine Erinnerungen an das Nachfolgende waren durch einen Nebelschleier getrübt, doch alles was in diesem Moment von Bedeutung war, war, dass er an der frischen Luft stand und den Rauch seiner Zigarette inhalierte, der ihn zunehmend ruhiger werden ließ.
 

Er konnte sich nicht erinnern, dass ihm jemals derartiges in solch einer Situation passiert war. Seine Kaffeetasse in der Hand und einen Aschenbecher vor sich saß er am Küchentisch und versuchte dem unangenehmen Gips in seinem Gesicht nicht zuviel Aufmerksamkeit zu schenken. Er wollte sich ablenken, trotz des Rates des Mediziners sich auszuruhen etwas tun. Man hatte ihn für ein paar Tage krank geschrieben und so beschloss er die Zeit zu nutzen um Aoi ausfindig zu machen.
 

Schwerfälliger als sonst erhob er sich. Der Stuhl gab seinen eigentümlichen hohen Ton von sich als er zurückgeschoben wurde und über die weißen Küchenfliesen kratze. Reita schüttete den Inhalt des Aschenbechers in den Mülleimer und wusch seine Tasse aus. Nachdem sich alles wieder an seinem angestammten Platz befand, begab er sich in den Flur. Gerade war er im Begriff seine ausgeblichenen Turnschuhe anzuziehen, als ein weiterer Blick an diesem Tag in den Spiegel ihn in seinem Tun innehalten ließ.
 

Er lehnte sich so weit vor, dass seine Stirn fast das kalte Spiegelglas berührte. Sein Blick heftete sich an den störenden Gips und der Gedanke daran, dass er erneut damit auf die Straße treten musste ließ ihn bitter aufstoßen. Mehrere Minuten stand er reglos da und suchte nach einer Lösung, doch wie sollte man einen Gips, den man mitten im Gesicht trug verbergen ohne mehr aufzufallen als man es wahrscheinlich sowieso schon tat. Reita erinnerte sich an ein zerrissenes schwarzes Halstuch. Seine Gedanken schweiften ab und ein triumphierendes Lächeln schlich sich auf seine Lippen als er daran zurückdachte wie er Ruki damit gebändigt hatte. Leise seufzte er und stieß sich mit den Händen links und rechts an der freien Wand ab.
 

Zwischen Gürteln und weiteren Accessoires fand er den schwarzen Stoff, von dem er nicht einmal mehr wusste weswegen er ihn aufgehoben hatte. In diesem Moment kam er ihm allerdings gelegen. In der Küche schnitt er sich das Tuch mit einer Schere zurecht, holte die Nähmaschine aus dem alten Kleiderschrank, in dem sie sich einen sicheren Platz zwischen T-Shirts und Pullovern in der linken Schrankecke erobert hatte. Mit ein paar routinierten Griffen nähte er den Rand des Tuches um, während ihn leise Musik aus dem Radio berieselte.
 

Es dauerte nicht lange bis er mit dem fertigen Unikat Position vor dem Spiegel bezog. Sorgsam darauf bedacht, dass so viel Stoff wie möglich den Gips bedeckte, band er sich das Tuch über die Nase und schnürte es im Nacken zusammen. Es war ein ungewohnter Anblick, doch es sah besser aus als er erwartet hatte, wenn man es mit dem rauen Belag, der seinen Nasenrücken zierte, verglich.
 

Noch einmal überprüfte er den Knoten bevor er sich seine Turnschuhe anzog. Fahrig griff er nach seiner Jacke, die am Garderobenständer auf einem Kleiderbügel zwischen Rukis übereinander gestapelten Westen und Jacken baumelte. Dabei machte Rukis achtlos über den Bügel gelegte Daunenjacke Bekanntschaft mit dem Teppich des Flurbodens. Als Reita sie aufhob um sie wieder an ihren Platz zu befördern, flatterte ihm ein weißes Kärtchen entgegen. Er wollte es zurücktun, doch zuvor ließ ihn seine Neugier einen Blick darauf werfen.
 

Er runzelte die Stirn als er einen ihm unbekannten Namen las, stockte jedoch augenblicklich als ihm ein weiterer Name in Klammer schriftlich hinzugefügt ins Auge sprang. Ungläubig entzifferte er das Schriftzeichen, fuhr mit den Augen jeden Strich noch einmal nach bevor er fast wie von selbst zum Telefonhörer griff.
 

Schleichend bahnte sich die Erinnerung an Ruki und Aoi, wie sie zusammenstanden, etwas zu besprechen schienen, einen Weg zurück in sein Gedächtnis und schien ihn im nächsten Moment zu erschlagen als sich eine ihm bekannte Stimme am anderen Ende der Leitung meldete.

Noch immer ungläubig hielt Reita das Telefon in der Hand, unfähig sich zu bewegen, bis dieselbe Stimme ein weiteres Mal ertönte und ihn aus seiner Starre riss.
 

„Hallo?! Also wenn das ein Scherz ist…“
 

„Aoi“, unterbrach ihn der Blonde, „ Ich bin’s, Reita.“
 

Schlagartig änderte sich Aois Tonfall und Reita glaubte beinahe Erleichterung aus dessen Stimme herauszuhören als dieser ihn so überschwänglich begrüßte, dass jeder Außenstehende hätte meinen können, dass den beiden eine jahrelange Freundschaft vorausging.
 

„Ich hatte schon die Befürchtung du hättest es dir anders überlegt!“
 

„Anders überlegt?“ In Reitas Kopf überschlugen sich die Gedanken wie ruhelose Wellen.
 

„Wegen der Band.“, half Aoi ihm, nun seinerseits irritiert, auf die Sprünge. „Hat Ruki dir nichts gesagt? Ich hab ihm meine Karte gegeben. Er hat keinen Freudentanz vollführt als ich mich ihm als neuer Gitarrist vorgestellt habe, aber in anbetracht der Lage sicherlich mehr als verständlich.“
 

„Doch. Doch natürlich.“ Reita wusste nicht wieso er seinen Freund, der ihm die Zusage des Schwarzhaarigen vorenthalten, ihn sogar darüber hinaus auch noch angelogen hatte, in Schutz nahm, doch ein Gedanke an zukünftige Spannungen ließ ihn fast automatisch handeln. Die Freude über diese Nachricht und die Wut über Rukis Verhalten lieferten sich einen zähen Kampf in seinem Inneren und er musste sich räuspern um die Festigkeit in seiner Stimme wieder herzustellen. „Es ist gestern wohl etwas in dem Durcheinander untergegangen.“
 

Aoi schwieg einen Moment und eher zaghaft verließen die Worte des sonst so aufgeweckten Gitarristen seine Lippen.
 

„Wie geht’s dir denn?“
 

Es waren leise Töne, die der junge Mann anschlug, schuldig und reumütig, sodass Reita es kaum wagte ihm von der OP zu erzählen, die nötig gewesen war und die er hatte über sich ergehen lassen müssen. Er versuchte gelassen zu klingen, den anderen nicht weiter in Schuldgefühlen zu ersticken, von denen er den Verdacht hatte, dass sie unwillkürlich wieder aufkeimen würden, sobald er ihm seinen Zustand erläutern würde. Reita war ein direkter Mensch. Es war nicht seine Art einem Erwachsenen etwas vorsichtig, darauf bedacht seine Gefühle nicht zu verletzen, beizubringen, was er in diesem Fall sogar selbst zu verantworten hatte, doch vielleicht war es dieses unschuldige, fast kindliche Lachen und die ehrliche Besorgtheit des anderen, die es ihm verwehrten er selbst zu sein. Und so schlüpfte er in eine Rolle, versuchte ruhig zu erklären, das Lachen nicht zu zerbrechen, das er an dem anderen so mochte, versuchte nicht mit Steinen gegen einen Spiegel zu werfen. Und er schien Erfolg damit zu haben.
 

„Und sie sagen in drei Wochen bist du wieder fit?“ Aois Stimme klang freudig aufgeregt und Reita musste lächeln. Er nickte bis ihm bewusst wurde, dass der andere ihn gar nicht sehen konnte.
 

„Richtig“, antwortete er und strich sich mit der freien Hand eine Haarsträhne aus der Stirn. „Hör mal, hast du zufällig Zeit und Lust etwas mit mir trinken zu gehen.“
 

„Zufällig ja“, antwortete Aoi und Reita konnte das Grinsen des anderen fast vor sich sehen. „Sag mir wo du wohnst und ich hol dich ab.“
 

Eine Stunde später erschellte das schrille, erwartete Klingeln. Das Signal für Reita sich seine Jacke überzuwerfen und in die kühle Herbstluft hinauszutreten. Wie schon zuvor am Telefon fiel Aois Begrüßung eine Spur zu enthusiastisch aus und er zog den Blonden, der darauf alles andere als vorbereitet gewesen war, in eine brüderliche Umarmung.
 

„Sieht ja stylisch aus“, bemerkte er und nahm das schwarze Stück Stoff, das quer über Reitas Gesicht hing, prüfend unter die Lupe. Reita verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen.
 

„Hast du gut hergefunden?“, versuchte er von seinem zertrümmerten Gesichtsteil abzulenken.
 

Aoi lächelte und nickte knapp, bevor sie sich in Bewegung setzten, das nächste Café, nur wenige hundert Meter entfernt, aufsuchend, das ihnen Wärme spendend entgegenstrahlte. Sie hatten die hintere Sitzecke des Cafés für sich und einer ungestörten Unterhaltung stand somit nichts im Wege.
 

Reita musterte sein Gegenüber, dessen Wangen von der Kälte noch gerötet waren. Fast schien es als hätte er zuviel Rouge aufgetragen, das nun unnatürlich intensiv auf der blassen Haut glänzte. Er beobachtete wie sich seine Hände um die heiße Kaffeetasse schlossen, seine Finger sich geschmeidig ineinander verflochten wie Fäden auf einem Webrahmen. Es war das erste Mal, dass er jemanden auf eine so unübliche Weise die kalten Hände an einer Tasse hatte wärmen sehen. Reita nahm vorsichtig einen Schluck von seinem heißen Tee, der seine Wärme in seinem Inneren verströmte und die Anspannung seiner Glieder löste.
 

„Du hast dich schnell entschieden.“ Die Tasse machte ein klackendes Geräusch, als sie auf den Holztisch zurückgestellt wurde.
 

„Du hast doch mitbekommen, dass es in unserer Band einige Spannungen gibt.“ Er lächelte. „Wenn das Verhältnis zwischen den einzelnen Musikern nicht stimmt, klingt die Musik auch nicht mehr harmonisch, findest du nicht? Es ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Ich habe dieses Gefühl verloren, dieses Kribbeln, das ein Song an einem bestimmten Punkt auslöst.“ Sein Gesichtsausdruck wurde ernst. „Und dieses Gefühl will ich zurück.“
 

Er sagte es mit der Entschlossenheit eines Feldherrn gleich, der den Kampf um jeden Preis gewinnen wollte. Reita mochte seine Ausdrucksweise, die ihm die Sicherheit gab in Aoi einen Gitarristen gefunden zu haben, der sich mit Leib und Seele der Musik verschrieben hatte.
 

„Dann hoffe ich du wirst es dir bei uns zurückerobern.“ Reita machte eine kurze Pause bevor er etwas verlegen weiter sprach. „Allerdings… hab ich dir nicht gesagt, dass uns noch ein Schlagzeuger fehlt.“ Aoi lachte leise auf als er in Reitas betretenes Gesicht sah.
 

„Da kann ich Abhilfe schaffen“, grinste der Schwarzhaarige triumphierend, „Du erinnerst dich an Yune? Wenn ich bei Artia aussteige hält ihn dort nichts mehr. Ich war es, der ihn oft genug gebeten hat zu bleiben und er tat es weil wir beste Freunde sind. Es stand schon öfters zur Debatte die Band zu wechseln, doch es hatte sich nichts Passendes ergeben, bis jetzt! Trifft sich doch wunderbar meinst du nicht?!“
 

Aoi strahlte wie ein kleines Kind, das sich auf seine erste Zuckerwatte freute, sodass Reita gar nicht erst auf die Idee kam ihm zu widersprechen. Und kaum da er es sich versah hatte Aoi auch schon zu seinem Handy gegriffen und führte ein aufgeregtes Gespräch mit ihrem zukünftigen Drummer, der Aois Anschein nach zu vermuten alles andere als abgeneigt war. Er hielt das Mobiltelefon etwas von sich weg und blickte Reita lächelnd an.
 

„Yune fragt ob wir uns morgen mal zusammenfinden könnten. Ein wenig musikalisch rumexperimentieren und sehen ob’s passt.“ Reita nickte, war er schließlich vorerst krank geschrieben und wusste sowieso nicht wie er die Zeit totschlagen sollte. Zufrieden mit sich und der Welt legte Aoi auf, verstaute sein Handy in der Tasche und trank einen großen Schluck aus seiner Tasse.
 

„Und du sagst in dem Raum ist alles vorhanden?“
 

„Ja. Yune wird sein Schlagzeug dort also nicht unterbringen können.“
 

Aoi winkte ab.
 

„Er findet schon eine Lösung. Wenn er will kann er richtig kreativ sein.“ Er lachte.
 

Aois gute Laune ging auf Reita über und als er den Heimweg antrat, hatte er den Gips in seinem Gesicht schon beinahe vergessen. Er konnte es kaum erwarten Ruki die Nachricht zu überbringen, dass sie als Band komplett waren und endlich als solche fungieren konnten, doch andererseits war er sich nicht sicher ob dieser erfreut sein würde über die Tatsache, dass er Aoi hinter seinem Rücken engagiert hatte, obwohl er vermutete, dass Ruki ihm gegenüber eine Abneigung hegte. Der Gedanke, Ruki könnte es in dem ganzen Trubel wirklich vergessen haben, erschien im abstrus, doch er wollte dem auf den Zahn fühlen bevor er den Sänger vorschnell verurteilte.
 

Als er die Wohnungstüre aufschloss erkannte er schon am Parfumgeruch, dass Ruki zu Hause war. Es roch süßlich, ein wenig nach Vanille, aber nicht aufdringlich. Für Reita war es wie eine stumme Begrüßung, eine Umarmung, die ihn willkommen hieß, eine Bestätigung, dass er Zuhause war. Er streifte sich die Schuhe von den Füßen und hing seine Jacke ordentlich an die Garderobe bevor er in die Küche ging, in der Ruki gerade eine Pizza in den Ofen schob. Den ganzen Tag hatte er den Gedanken an Essen vertrieben. Der Blonde verspürte noch immer eine leichte Übelkeit, die er auf die Nachwirkung der Narkose schob, doch die Aussicht auf ein warmes Essen ließ seinen Magen nun doch knurren.
 

„Hunger?“ Ruki hatte sich zu ihm umgedreht, sah ihn grinsend an.
 

„Hm… ja.“
 

„Was trägst du da Schickes über deinem Näschen?“ Ruki zog die Brauen nach oben und trat näher an ihn heran, begutachtete den schwarzen Stoff, von dem er nicht ahnte zu welch anderen Dingen, die geradewegs mit ihm zu tun gehabt hatten, dieser schon zweckentfremdet worden war, fuhr mit dem Zeigefinger sacht darunter und hob ihn etwas an. Da er gut einen Kopf kleiner als Reita war, musste er sich nicht einmal bücken, um einen Blick auf den eigentlichen Gips zu erhaschen.
 

„Du setzt neue Trends.“ Der Brünette sah ihn amüsiert an. „Etwas gewöhnungsbedürftig, aber es gefällt mir. Das gibt dir… etwas Unnahbares.“ Er hauchte das letzte Wort gegen die Lippen des Größeren und ein Schatten huschte über sein Gesicht, bevor er Reita’s Lippen zu einem kurzen Kuss einfing. Reita hatte nicht die Möglichkeit diesen zu erwidern, schon hatte Ruki sich wieder von ihm gelöst. Einen Moment stand der Blonde unschlüssig auf der Stelle bevor er sich endlich setzte und zum Ofen nickte.
 

„Was für eine?“
 

„Peperoni.“
 

„Scharf.“
 

Ruki grinste, er liebte Scharfes. Und Reita wusste, dass dies nicht nur auf Essbares zutraf. Nachdem Ruki die Pizza aus dem Ofen geholt und auf einen Teller geladen hatte, setzte er sich zu Reita an den Tisch. Routiniert viertelte er den runden Teig und nahm sich sogleich ein Stück von dem er gierig abbiss.
 

„Ich hatte heute noch nichts außer einer Teigtasche“, kaute er und Reita sah wie die grüne Peperoni zu Brei zerstampft wurde. Er schmunzelte.
 

„Sag mal“, tastete er sich langsam vor, „Du hast doch gestern kurz mit Aoi gesprochen. Hat er nicht gesagt wo man ihn erreichen kann?“
 

Ruki’s Blick traf ihn mit solch einer Wucht, dass er sich wünschte die Frage niemals gestellt zu haben. Er schien ihn für eine Millisekunde zu durchbohren und noch bevor Ruki den Mund öffnete um etwas zu sagen, kannte Reita die Antwort und er war sich sicher sie nicht hören zu wollen.
 

„Möglich… ich hab ihm nicht richtig zugehört… es ging alles…“
 

„Hör auf zu lügen.“, unterbrach ihn der Blonde, wohl wissend, dass er gerade im Begriff war Ruki sein berechtigtes Missstrauen zu offenbaren, doch er war sauer und eine andere Möglichkeit des Ausweichens gab es jetzt sowieso nicht mehr.
 

„Ich hab die Visitenkarte durch Zufall gefunden.“
 

Ruki schien einen Moment wie erstarrt, doch er fing sich schneller als Reita gedacht hatte und noch ehe er weiter sprechen konnte bezog der Sänger die erwartete Gegenposition und wurde laut.
 

„Durch Zufall?! Du hast an meinen Sachen nichts zu suchen!“
 

„Ruki, die Jacke ist runter gefallen und…“, versuchte Reita ihn zu beschwichtigen, doch Ruki fiel ihm prompt ins Wort.
 

„Wieso spielst du so ein mieses Spiel?!“
 

„Wer spielt hier ein Spiel!?“ Es kostete Reita Mühe die Beherrschung zu bewahren und für seine Gegenfrage hätte er sich Ohrfeigen können, denn niemand wusste besser als er, dass man so nicht mit dem Sänger reden konnte. „Ruki…“, versuchte er einzulenken um die Situation wie Erwachsene zu klären, „Ich…“
 

„Ach, leck mich doch!“
 

Ruckartig stand der Brünette auf, drehte auf halbem Weg noch einmal um und verschwand schließlich mitsamt dem Pizzateller aus der Küche.
 

Reita seufzte schwer. Er beschloss, ihn sich erst einmal beruhigen zu lassen. Jetzt noch mal mit ihm zu reden würde nichts bringen, eher würden sie sich noch tiefer in die Geschichte verstricken und das war das Letzte, was er wollte. Er erhob sich, ging zum Kühlschrank und zog einen Sojadrink mit Schokogeschmack heraus, den er in ein Glas goss und in einem Zug leerte, bevor er in den Flur ging, sein Nasendesign zurechtzupfte und in seine Schuhe schlüpfte. Er hätte es anders angehen sollen, schließlich hatte er gewusst wie aufbrausend der kleine Sänger sein konnte.
 

In der einfallenden Dämmerung lief er durch die Straßen. In kurzer Zeit war soviel passiert und er hatte keine ruhige Minute gehabt um nachzudenken oder abzuschalten, dass er sich jetzt nach nichts mehr sehnte als die vertrauten, straffen Basssaiten unter seinen Fingern zu spüren. Er steuerte geradewegs auf den Anbau der örtlichen Mittelschule zu und fischte den Schlüssel für Keller und Proberaum aus seiner Hosentasche.
 

Nachdem die Glastüre hinter ihm geräuschvoll ins Schloss gefallen war, folgte er den schmalen Treppenstufen hinab in den Keller. Er tastete mit den Fingern die Wand entlang als er im dunklen Flur angekommen war und drückte den Widerstand, den er fühlte. Die Deckenbeleuchtung sprang mit einem leichten Flimmern an und vor seinen Augen flirrten helle Punkte, die ihn blinzeln ließen bis er sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatte. Der Blonde ließ den Blick orientierend über all die gleich aussehenden tristen, weiß gestrichenen Metalltüren gleiten bevor er zielstrebig auf die rechte Tür zuging und den Schlüssel in das Schloss steckte.
 

Zu seiner Verwunderung war die Türe nicht verschlossen. Reita öffnete sie vorsichtig und lugte durch den Spalt in den hell beleuchteten Raum. Seine Stirn zog sich in Falten als er niemanden entdecken konnte und innerlich rügte er mit säuerlicher Miene die Vergesslichkeit mancher Menschen, trat schließlich in den Proberaum und hätte vor Erstaunen fast den Schlüssel fallen gelassen.
 

„Du?!“

Ungläubig blickte Reita auf den jungen Mann, der für ihn mehr und mehr zu einer Erinnerung verblasst, zu einem Phantom geworden war. So schnell wie er vor kurzem in sein Leben getreten war, war er auch wieder daraus verschwunden. Der unrealistische Fall, der Reitas Kalkulationen in sich zusammenbrechen ließ, war in diesem Moment eingetreten. Die Beine übereinander geschlagen, die schlanken Finger um den Hals der Gitarre gelegt, saß Uruha vor ihm auf dem schwarzen Verstärker, sah ihn mit seinen braunen Augen fragend an.
 

„Kann ich dir irgendwie helfen?“
 

Reita brauchte einen Moment um zu verstehen, dass Uruha ihn wegen des Nasenschmuckes womöglich nicht erkannt hatte. Er fühlte sich unsicher, ein Gefühl, das ihn nicht oft überkam, doch er wollte nicht, dass ein falsches Wort den anderen dazu veranlassen würde zu gehen. Sein Herz pochte schnell in seiner Brust und sein Mund war unangenehm trocken. Ihm war als hätte man ihn aus der Realität gerissen, so als ob der gleichmäßig dahin rauschende Fluss anschwoll und ihn unbarmherzig einen tiefen Wasserfall hinab riss.
 

„Ich bin zum proben hergekommen“, hörte er sich sagen und seine Augen beobachteten den Brünetten wachsam dabei wie er aufstand und die Gitarre zurück in den dafür vorgesehenen Ständer stellte. Als er die Gummisicherung daran schloss überkam Reita siedendheiß die Erkenntnis, dass er genau die falschen Worte gewählt hatte.
 

„Ich war so vertieft, ich hab gar nicht auf die Zeit geachtet“, entschuldigte sich der Gitarrist lächelnd, „Ich habe schon gehört, dass jemand den Raum mit angemietet haben soll.“ Er schulterte seinen Rucksack.
 

In Reitas Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wie sollte er ihm sagen, dass er bleiben konnte ohne dass es lächerlich wirkte, ohne dass er sich erklären musste. Denn er hatte keine Erklärung dafür. Etwas wollte den jungen Mann nicht ziehen lassen. Dieses seltsame Gefühl, das er auslöste, das Reita im Nachhinein als so aufregend empfand, ihm aber im entscheidenden Moment die klaren Gedanken stahl, packte ihn wie schon bei ihrer ersten Begegnung. Er wusste nicht wie er es anders angehen sollte und so sah er den anderen noch einmal gespielt prüfend an bevor er sich vorwagte.
 

„Du bist Uruha, nicht wahr?“
 

Er kam sich selbst so albern dabei vor, denn schließlich wusste er genau wen er vor sich hatte. Der Angesprochene sah ihn überrascht an bevor er leicht nickte.
 

„Kennen wir uns?“ Uruha strich sich eine lange Haarsträhne hinter das Ohr und sah fast ein wenig bestürzt aus als es an Reita war ihm seine Frage mit einem Nicken zu bestätigen. Nach und nach gewann der Blonde seine Selbstkontrolle wieder und schmunzelte.
 

„Du hast neulich Abend meinen Freund umgerannt weil du es eilig hattest deine Bahn noch zu erreichen.“
 

Auf Uruhas Gesicht machte sich Erkenntnis breit und er öffnete den Mund um etwas darauf zu antworten, schloss ihn jedoch wieder und kniff musternd die Augen zusammen.
 

„Damals hast du aber noch kein Stofftuch über der Nase getragen“, stellte er irritiert fest, „Wie war dein Name noch gleich?“
 

Er versetzte Reita, aus Gründen, die er selbst nicht kannte, einen Stich, dass er dem Brünetten so schlecht in Erinnerung geblieben war, doch er antwortete ihm. Uruha schnippte mit dem Finger. Das Geräusch verhallte leise in dem schalldichten Raum.
 

„Stimmt… Reita“, murmelte er, „Tut mir leid, dass ich dich nicht gleich erkannt habe.“
 

Abwehrend schüttelte der Blonde den Kopf. Er wusste nicht was er weiter hätte sagen sollen und zog sich erst einmal seine Jacke aus, die er über den Stuhl hinter dem Mischpult hängte. Überrascht sah er auf als er bemerkte wie Uruha sich in Richtung der Tür begab.
 

„Du gehst?“
 

„Du wolltest doch proben“, lächelte er, „Ich möchte nicht stören.“
 

„Das tust du nicht.“
 

Reita war verwirrt über das Verhalten des Brünetten. Mit keinem Wort hatte er Rukis Angebot erwähnt. Es schien ihm fast so als wollte er flüchten bevor Reita es zur Sprache bringen konnte. Doch diesen Gefallen wollte er ihm nicht tun.
 

„Wir können zusammen proben und du zeigst mir was du drauf hast.“
 

„Aber Ruki ist doch nicht hier…“
 

Auf diese Bestätigung hatte Reita gewartet. Uruha hatte das Angebot keinesfalls vergessen, denn nicht mit einem Wort hatte Reita dieses angesprochen. Doch wieso wich er so auffällig aus? Er beschloss sich später mit der Frage auseinanderzusetzen, denn jetzt da es um nichts anderes als um Uruhas zukünftige Position in der Band ging, wollte er alles auf eine Karte setzen. Noch einmal würde er ihn nicht gehen lassen. Es war richtig, sie hatten einen Gitarristen, die Band war komplett, doch was sprach dagegen es musikalisch mit zwei Gitarren zu versuchen? Es war zwar nicht der ursprünglichen Plan gewesen, doch wenn er einen weiteren Gitarristen – Nein! Wenn er Uruha für die Band gewinnen könnte- wäre es sicherlich nicht von Nachteil. Angestachelt von seiner Ehrgeizigkeit eine professionelle Band auf die Beine zu stellen überwand er die unsichtbare Barriere zwischen ihm und Uruha, die er unwissentlich selbst errichtet hatte, und nahm den Brünetten sanft am Arm.
 

„Ruki vertraut mir. Wenn ich sage, dass du genau der Richtige bist wird er nichts dagegen haben. Außerdem war es doch sein Vorschlag dich vorspielen zu lassen!“ Reita führte den überrumpelten Japaner zurück zu der Gitarre, die er noch Minuten zuvor in den Händen gehalten hatte. „Na los, komm! Rausnehmen und einstöpseln! Und dann zeig mir was du drauf hast!“
 

Uruha gluckste leise bei den Worten des Bassisten, doch überrascht von soviel Enthusiasmus tat er wie ihm geheißen. Reita hin dessen schnappte sich den Bass und nahm gespannt auf dem einsamen Hocker gegenüber des Gitarrenverstärkers platz.
 

Zum ersten Mal sah er Uruha live und in Farbe an dem hölzernen Instrument Position beziehen und es war besser als er es sich in seiner Fantasie ausgemalt hatte. Mit sicheren Griffen und geschmeidigen Akkordwechsel spielte er ein rockiges Musikstück aus seinem Repertoire und ließ auch ein Solo nicht aus. Reita war schlichtweg begeistert.
 

„Das war umwerfend!“, strahlte er als Uruha geendet hatte und mit der Hand die letzten Töne abdämpfte, „Lass uns was zusammen versuchen!“ Es war lange her seit er wieder bei so guter Laune gewesen war.
 

Es war kurz nach 22 Uhr als Uruha auf die Uhr sah. Knappe zwei Stunden hatten sie zusammen gesessen und einen bekannten Song nach dem anderen gespielt bis der Gitarrist Reita schließlich seine eigenen Stücke gezeigt hatte. Sie versuchten verschiedene Varianten, schrieben einige Zeilen um und fügte den Basspart hinzu sodass sie am Ende die Rohfassung von zwei Liedern vor sich hatten.
 

Die Zeit war wie im Flug vergangen und beide hatten sie kaum miteinander gesprochen. Die Kommunikation hatte aus Tönen und Noten bestanden, die vollkommen ausreichend waren und Reita ein Gefühl der Verbundenheit zu Uruha gaben, das er in solch einer Form noch nie empfunden hatte.
 

„Für heute sollten wir es gut sein lassen.“ Reita hatte den Verstärker ausgestellt und den Bass an seinen angestammten Platz zurück degradiert. Auch Uruha erhob sich nun, trennte die Geräte vom Strom und streckte sich ausgiebig. Der blonde Bassist beobachtete ihn stumm. Die ganze Zeit über war er so von der Musik abgelenkt gewesen, dass er der Attraktivität des Brünetten kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Doch genau jetzt, in diesem Moment, spürte er wie sich sein Puls beschleunigte, seine Gedanken sich in Fantasien wandelten, in denen er sich vorstellte, was sich unter dem Pullover und der eng anliegenden Jeans befanden. Er konnte die nackte, weiße Haut schon fast vor sich sehen als ihn Uruhas Stimme zurück an Ort und Stelle zog.
 

„Was genau meintest du damit, dass wir es gut sein lassen sollten für heute?“
 

Er verlieh den beiden letzten Worten eine besondere Betonung und Reita verstand nicht auf was der Gitarrist hinaus wollte. Für ihn war es schon längst beschlossene Sache, dass Uruha bei ihnen einsteigen würde, doch allem Anschein nach hatte dieser das noch nicht begriffen.
 

„Morgen Abend wollen wir uns hier als Band das erste Mal zusammenfinden. Wir sehen uns also morgen wenn du nichts anderes vor hast.“
 

Woher Reita in dem Moment diese Selbstsicherheit nahm wusste er selbst nicht, aber er hatte das Gefühl Uruha wollte in eine Band, nur irgendetwas schien ihn zurückzuhalten. Denn jemand der neben seinem Talent als Musiker auch noch gutes Aussehen besaß, dem müsste es nicht schwer fallen eine geeignete Band zu finden. Er hoffte wenn er ihn einfach in die Rolle eines Bandmitgliedes drängte, würde es ihm leichter fallen und tatsächlich stimmte Uruha einige Sekunden später zu, morgen zu erscheinen. Reitas Herz hüpfte freudig als er sich die Handynummer des Gitarristen notierte bevor er in seine Jacke schlüpfte.
 

An der Tür wartete er auf Uruha, der einige Schwierigkeiten mit seinem Zipper zu haben schien. Nachdem er ihn auch bei mehrmaligen Versuchen nicht geschlossen bekam resignierte er seufzend.
 

„Zeig mal her.“ Mit einer Handbewegung forderte er den Brünetten auf zu ihm zu kommen, damit er sich das widerspenstige Stück Kunststoff näher ansehen konnte. Als Uruha vor ihm stand nahm er es in die Hand und unterzog es einem prüfenden Blick bevor er selbst versuchte die Jacke zu schließen.
 

„Ha!“ Reita grinste triumphierend als er den Zipper nach oben hin schloss. „Mit ein wenig Gefühl geht alles.“
 

Als er den Kopf hob fand er sich in Uruhas braunen Augen wider, die ihn bei seinem Tun eingehend beobachtet hatten. Er hatte das Gefühl in kaltes Wasser geworfen zu werden als er den Atem des anderen so nah an seinen Lippen fühlte, dass er sogar den feinen Minzegeruch wahr nahm. Alle Geräusche schienen um sie herum verstummt zu sein, so erschien es dem Blonden und die einzige Lösung etwas daran zu ändern war irgendwas zu sagen, doch seine Kehle fühlte sich viel zu rau an als dass er ein Wort heraus gebracht hätte. Er räusperte sich leise, löste seine Finger, die den Zipper noch immer umfassten und war froh, dass man dank seiner Nasenbinde die Röte auf seinen Wangen nicht erkennen konnte. Ganz im Gegensatz zu Uruha, dessen Wangen in einem gesunden rosa leuchteten, wie Reita es heute schon zuvor bei Aoi gesehen hatte. Doch diesmal war nicht die Kälte dafür verantwortlich sondern er, Reita. Ein minimales Gefühl der Genugtuung schlich sich ein und er empfand es als falsch es in diesem Moment zu spüren. Unwillig schüttelte er den Kopf, löste sich aus dem tiefen Blick des anderen.
 

„Wollen wir dann?“ Er öffnete die Tür und ein Schwall kühler, abgestandener Kellerluft drang in den Raum, schien das eben Geschehene zu vertreiben als wäre es nie gewesen und von einem Moment auf den anderen spürte Reita die Leere, die sich sonst nur nach dem Sex mit Ruki eingestellt hatte und er fragte sich innerlich ob ein Kuss ihm Linderung verschaffen würde.
 

Die Straßenlaternen warfen ihr Licht auf den nassen Boden, der es in verschiedene Richtung verschwimmen ließ und seltsam verzerrte. Es hatte geregnet als die beiden Musiker so beschäftig gewesen waren und noch immer fiel ein feiner Nieselregen auf die Straßen. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Es war Uruha, der das Wort als erster ergriff.
 

„Ich wollte dich schon die ganze Zeit fragen weswegen du deine Nase versteckst.“ Seine vollen Lippen entließen bläulichen Rauch während er sprach.
 

„Arbeitsunfall“, antwortete Reita. Es würde an seinem Ego kratzen müsste er ihm gestehen, dass ihn die Faust eines Musiker aus reiner Unachtsamkeit getroffen hatte. „Hab mir das Nasenbein gebrochen.“
 

„Das ist ja lustig.“
 

Reita wusste nicht was er für eine Reaktion erwartet hatte, doch so etwas ganz sicher nicht! Als Uruha die entgleisten Gesichtszüge des Bassisten bemerkte wurde er rot.
 

„Entschuldige.“ Er lächelte schief. „Es ist nur so, dass ein Freund von mir neulich jemandem unabsichtlich das Nasenbein gebrochen hat.“
 

„Oh.“
 

Was für ein Zufall, dachte der blonde Bassist bitter als er sich an den Vorfall zurückerinnerte.
 

„Ich muss hier auf die Bahn.“
 

Reita blickte neben sich und musste enttäuscht feststellen, dass der Brünette an der Treppe, die zu den Stationen führte, stehen geblieben war. Es war dieselbe Stelle an der sie sich das erste Mal über den Weg gelaufen waren.
 

„Es hat wirklich Spaß gemacht“, fügte Uruha lächelnd hinzu, als er die Enttäuschung auf Reitas Gesicht bemerkte, die er nur schwer zuordnen konnte.
 

„Fand ich auch. Bis morgen.“ Reita setzte an um die Hand zum Abschied zu heben und realisierte kaum was im nächsten Moment geschah. Alles was er wahrnahm war der feine Geruch von Freesien, der sich mit dem Rauchgeruch vermischte, die Wange des anderen an der seinen und ein leises Wispern, das ungehört verklang bevor Uruha sich aus der Umarmung löste. Er lächelte, winkte ihm im Laufen zu und war im nächsten Moment schon aus Reitas Blickfeld verschwunden.
 

Als Reita die Wohnungstüre aufschloss sah er den feinen Lichtschimmer, der unter dem Türspalt des Wohnzimmers hindurch drang. Nachdem er Schuhe und Jacke ausgezogen hatte klopfte er leise an. Normalerweise war Ruki um diese Uhrzeit längst schlafen, wenn er am nächsten Tag zur Arbeit musste. Als auf sein Klopfen niemand antwortete, öffnete er die Tür und trat in den Raum. Ruki saß auf dem Sofa, hob den Kopf als er ihn bemerkte und blickte Reita niedergeschlagen an. Der Blonde schloss die Tür leise hinter sich und sah auf seinen aufgelösten Freund. Er rechnete schon nicht mehr damit, dass Ruki etwas sagen würde, doch seine Lippen zuckten leicht und schließlich öffnete er sie um mit rauer Stimme zu sprechen.
 

„Ich konnte nicht schlafen.“
 

Langsam ging Reita auf ihn zu, setzte sich neben ihn. Er wusste wie sensibel Ruki war, dass er es nicht ertrug einen Streit schweigend auszutragen und dass er die Stunden ausgeharrt hatte um auf ihn zu warten.
 

„Es war falsch dir nicht die Wahrheit zu sagen.“ Seine Augen suchten Reitas Blick, versuchten zu erkennen ob er auf dem richtigen Weg war. „Ich war einfach sauer. Ich meine er hat dir das Nasenbein gebrochen, das ist schließlich keine Lappalie!“
 

Reita spürte die Wut, die erneut in Ruki aufstieg und er wuschelte ihm freundschaftlich durch sein Haar, sodass es danach in noch wilderen Strähnen in sein Gesicht hing.
 

„Der springende Punkt, Ruki, ist, dass der Schlag nicht mir gegolten hat und es keine Absicht war. Aoi hat sich entschuldigt und ich habe seine Entschuldigung angenommen. Ein Teil seiner Wiedergutmachung ist der Einstieg in unsere Band, verstehst du?“
 

Ruki sah ihn mit großen Augen an. In seinem Kopf begann es zu arbeiten und nach und nach wurde ihm klar, dass es zwischen den beiden eine Abmachung gab, etwas von dem er nichts gewusst hatte und etwas, das für beide von großer Wichtigkeit war. Langsam brachte er ein Kopfnicken zustande.
 

„Es tut mir leid, Rei.“
 

Reita lächelte und in stummem Einvernehmen versiegelte das Band ihrer Freundschaft die aufgerissene Naht. Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit, die den Raum erfüllte, als Ruki das Licht gelöscht hatte. Schlanke Arme legten sich um seinen Hals und Reita vermeinte Uruhas geflüsterte Worte zu vernehmen, die unverständlich blieben wie von Wellenrauschen übertönte Hilferufe.

Ruki war vollauf begeistert als Reita ihm von seinem plötzlichen Wiedersehen mit Uruha berichtet hatte. Seine Wangen hatten vor Erregung einen rosa Farbton angenommen während er Reita jede Einzelheit über den gestrigen Abend zu entlocken versucht hatte. Reita wusste, dass der Sänger spürte, dass er ihm etwas vorenthielt, doch er hatte die drängenden Fragen des Brünetten ignoriert. Schließlich war es nicht von Wichtigkeit für die Band und bevor er nicht wusste was in ihm selbst vorging, wollte er es für sich behalten.
 

Ruki war überrascht gewesen als der Blonde ihm eröffnet hatte, durch Aoi auch einen Drummer ausfindig gemacht zu haben und sein Groll auf den schwarzhaarigen Gitarristen schien zu schrumpfen. Reita seinerseits war froh einen stummen Kompromiss gefunden zu haben, der die Spannungen auf bestimmte Zeit lösen würde.
 

Die Stunden waren zäh dahin geschlichen und Reita hatte die Minuten gezählt bis er endlich seine Tasche schultern und sich zum Proberaum hatte aufmachen können.

Es dämmerte bereits als er das Schulgebäude erreicht hatte. Er warf einen Blick auf die Uhr und setzte sich schließlich auf den kalten Treppenabsatz. Er war so spät wie möglich losgegangen und doch zu früh angekommen. Ein wenig nervös zupfte er an dem weiß-grau melierten Stück Stoff an seiner Nase. Der Blonde hatte die Zeit totgeschlagen indem er drei weitere Binden angefertigt hatte und irgendwie fand er langsam gefallen daran.
 

Reita unterbrach sein Vorhaben einen erneuten Blick auf seine Uhr zu werfen, denn er vernahm nicht weit entfernte Stimme und schon als er aufsah, erkannte er Aoi und Yune, die auf ihn zukamen. Langsam erhob er sich, zog seine Tasche mit sich und ging ein paar Schritte auf die beiden Musiker zu. Aoi hatte sein typisches Grinsen aufgesetzt als er Reita in eine Umarmung zog und ihm wohlwollend auf den Rücken klopfte. Seine gewohnte Lässigkeit ließ Reita ruhiger werden.
 

„Das ist Yune. Ihr kennt euch ja flüchtig.“
 

Dieser beschränkte sich darauf Reita die Hand zu reichen. Seine mittellangen Haare verdeckten die Sicht auf seine Augen fast gänzlich.
 

„Hat dir wohl ganz schön imponiert mein Kumpel hier, hm?“
 

Er grinste verhalten und legte Aoi freundschaftlich einen Arm um die Schultern.
 

„Ich mag seine Art“, antwortete Reita nüchtern und erntete von Seiten Aois ein Glucksen. In anbetracht der Lage hätte man Yunes Frage sicherlich auch anders auslegen können. „Wollen wir schon mal reingehen?“ Der Blonde friemelte den Schlüssel aus seiner Hosentasche und öffnete die Glastüre, durch die man schemenhaft das Innere erahnen konnte. Nachdem sie eingetreten waren, war Reita bereits im Begriff die Treppen hinab zu steigen als Aoi urplötzlich einen überraschten Laut ausstieß, der, gefolgt von einem Scheppern, in dem langen Flur widerhallte.
 

Irritiert blieb Reita stehen und betrachtete das Spektakel, welches sich ihm bot mit hochgezogenen Augenbrauen. Allem Anschein nach hatte Aoi seine Finger nicht bei sich behalten können und musste dem, neben einem Klassenzimmer stehenden, Skelett die Hand schütteln, die sich Vorwitzigerweise mitsamt dem Unterarm gelöst hatte und nun den grauen Boden zierte.
 

„Du magst also seine Art!“ Yune lachte schallend auf.
 

„Das ist nicht witzig“, brummte der Gitarrist während er versuchte dem, im Dunkeln leuchtenden Knochenmann, seinen Arm zu richten.
 

„Doch ist es.“
 

Die Türe schloss sich mit einem leisen Klicken hinter Ruki. Der Sänger hatte den Vorfall unbemerkt beobachtet und ging nun zielstrebig auf Reita zu, um ihn zu begrüßen. Aoi beobachtete die beiden stumm, die sich so vertraut umarmten, bevor er sich erneut daran machte die Hand samt Unterarm zu befestigen. Nachdem Ruki sich von seinem Freund gelöst hatte, schüttelte er dem Drummer die Hand während er sich vorstellte und trollte sich, sich Aois stechendem Blick entziehend, die Treppen hinab gefolgt von Yune und Reita. Ein Sirren ertönte als das Licht im Keller ansprang und sie nacheinander den Proberaum betraten.
 

Yune stieß einen anerkennenden Pfiff aus nachdem er seinen Blick erkundend durch den Raum geschickt hatte. Er begab sich hinter das Schlagzeug, das er eingehend inspizierte und nahm schließlich mit einem zufriedenen Laut auf dem schwarzen Lederhocker platz.

Ruki betätigte einige Schalter bevor er sich ein paar Notenblätter schnappte und den Mikrofonständer seiner Größe gerecht einstellte und auch Reita hatte, kaum da sie sich ihrer Jacken entledigt hatten, Position an der Bassgitarre bezogen. Er fand die nötigen Einstellungen schnell und sicher, denn er hatte sich gestern schon an dem fremden Bass einspielen können. Es erschien ihm unsinnig sein eigenes Instrument jedes Mal mitzubringen, wenn er auf einem genauso guten Vorhandenen spielen konnte.
 

„Schau mal wen ich aufgegabelt habe!“
 

Drei Blicke hefteten sich fast gleichzeitig auf die soeben aufgeflogene Türe und mindesten zwei davon versuchten zu begreifen warum Aoi einen, so wie es schien völlig überrumpelten, Gitarristen in einem Griff, der dem eines Sumoringers glich, hielt und dabei strahlte wie ein Schneekönig. Sein Blick traf auf Yune, der nun seinerseits anfing zu grinsen und sich erhob.
 

„Was machst du denn hier?!“ Aus seiner Stimme sprach gleichermaßen Freude wie Überraschung und auch Uruha hatte die Situation, seinem Blick nach zu urteilen, noch nicht ganz realisiert.
 

„Er wird hier spielen! Zusammen mit uns! Und er hat nichts gesagt, dieser kleine Geheimniskrämer.“ Aoi knuffte dem Brünetten freundschaftlich in die Seite. „Du hättest mir aber auch was sagen können.“ Gespielt vorwurfsvoll wanderte sein Blick zu Reita, woraufhin Ruki genervt die Augen verdrehte.
 

„Es stand erst seit gestern Abend fest. Reita ist dir gegenüber zu so etwas schließlich nicht verpflichtet und so wie du dich freust ist ihm seine nicht geplante Überraschung doch gelungen oder?“
 

Abwehrend hob Aoi die Hände und schenkte Reita einen weiteren bedeutungsschweren Blick bevor er sich daran machte seine Gitarre aus dem Koffer zu holen und an den Verstärker anzuschließen. Reita war so abgelenkt von den beiden gewesen um einem möglichen Streit entgegen zu wirken bevor er entflammen konnte, dass er erst jetzt bemerkte wie Yune und Uruha in vertrauter Umarmung bei der Tür verharrten. Das Blut pochte in seinen Adern als er die Finger des Drummers über Uruhas Rücken wandern sah und das sanfte Lächeln auf den Lippen des Gitarristen, das nur bestätigte, dass diesem die Berührung gefiel.
 

„Woher kennt ihr euch?“, fragte Ruki in die Stille hinein, die sich zwischen die einzelnen Distanzen gelegt hatte und brachte Yune so dazu sich von Uruha zu lösen, der lächelnd in die Runde sah bevor er seine Sachen ablegte. Reita beobachtete den Brünetten, studierte seine Gesichtszüge, die von einem Moment auf den anderen strenger geworden zu sein schienen während Yune anfing ihnen zu erzählen wie Aoi Uruha ein Jahr zuvor kennen gelernt und fast um seinen Job gebracht hatte.
 

„Du arbeitest in einem Musikladen?“ Ruki blickte den Gitarristen blinzelnd an.
 

„Neben dem Studium in den Semesterferien.“ Uruha lächelte sanft.
 

„Du studierst?!“
 

Der Gitarrist lachte leise auf.
 

„Ja. Aber lass Yune zu ende erzählen.“
 

Aoi, der sich schon in Sicherheit gewogen hatte verzog gequält das Gesicht und vielleicht war es genau diese Regung, die Ruki die Ohren spitzen ließ.
 

„Also“, fuhr Yune in gewichtigem Ton fort, der Aoi schon jetzt die Röte ins Gesicht trieb, „Aoi ging wie gesagt voller Vorfreude und Aufregung durch die Gitarrenabteilung um sich seine erste selbst finanzierte Zukünftige auszusuchen. Übrigens dieses Schmuckstück hier.“ Er deutete auf die schwarz glänzenden Yamaha, die befestigt an einem Gurt an Aois Taille hing. „Jedenfalls war er als er sie erblickte so fasziniert von ihr, dass er die Finger einfach nicht bei sich behalten konnte…“
 

„So wie vorhin“, warf Ruki schelmisch grinsend ein und erntete bestätigendes Kopfnicken von Yune und ein aufgebrachtes Schnauben von Seiten Aois, dem allerdings nichts einfiel, was er dagegen hätte erwidern können und so ließ er den Drummer resignierend weitererzählen.
 

„Zu Aois Unglück hatte jemand, womöglich die Putzfrau, das Schild „Bitte nicht anfassen“ entfernt, wobei ich glaube so paralysiert wie er war hätte er es sowieso übersehen…“
 

„Hei!“
 

„Und als er die Gitarre von der Wand nahm…“ Yune hatte sich durch Aois Einruf nicht beirren lassen und machte eine gewichtige Pause bevor er fort fuhr, Reitas und Rukis Blicke auf sich ziehend, die schon ahnten was jetzt folgen würde. „…kamen ihm gleich zwei weitere entgegen“, schmunzelte er fröhlich und stürzte Aoi mit diesen Worten ins bodenlose, denn dieser hatte sich mit hochrotem Kopf abgewendet und inspizierte interessiert die Gummiabdichtung der kleinen Kellerfenster.
 

„Der Ladenbesitzer war natürlich alles andere als begeistert und machte Uruhas Unachtsamkeit für den Vorfall verantwortlich.“ Mit einem galanten Schwenker übertrug er Uruha die Aufgabe des Redners, immerhin war er derjenige, der dabei gewesen war, und begab sich zurück hinter das Schlagzeug.
 

Der Brünette hatte mittlerweile auf dem mit Holz verkleideten Pult platz genommen und die Beine übereinander geschlagen.
 

„Auch wenn Aoi mir eine menge Ärger damit eingebrockt hatte war er es, der die Situation gerettet hat.“ Uruha lächelte ihm freundlich zu. „Er betonte in einem Fort meine Unschuld an dem Missgeschick und stellte sich als den letzten Trottel dar.“
 

Mit diesen Worten erstickte der Gitarrist Aois aufhellende Laune im Keim. Rukis nicht weichen wollendes Grinsen machte die Situation keinen Deut besser für den Schwarzhaarigen und beinahe schmollend drehte er den Anwesenden den Rücken zu.
 

„Irgendwann erbarmte sich mein Chef, ließ mich dort weiter arbeiten und verbannte Aoi einen Monat unendgeldlich hinter die Ladentheke. Was ihn allerdings nicht vom Kauf seiner Gitarre abhielt und wahrscheinlich war das ein triftiger Grund weswegen mein Chef sich mit nur einem Monat Arbeit begnügt hatte.“ Er pustete sich kokett eine hellbraune Haarsträhne aus dem Gesicht, ließ sich vom Pult gleiten und stiefelte lächelnd zu seiner Gitarre, die er neben Reita in den Verstärker stöpselte.
 

„Und? Magst du seine Art immer noch?“ Einen Stick in der Hand drehend sah Yune den Bassisten an.
 

Reita legte die Stirn in Falten bevor er lächelte.
 

„Noch mehr als zuvor.“
 

Langsam drehte Aoi sich um.
 

„Worauf warten wir eigentlich noch? Lasst uns endlich anfangen!“
 

Das typische Strahlen war in sein Gesicht zurückgekehrt. Yune und Uruha warfen sich verstohlen lachende Blicke zu und selbst Ruki schluckte bei diesem kindlichen Gesichtsausdruck seinen Kommentar herunter und knipste das Mikro an.
 

Nach einer kurzen Lagebesprechung war schnell herausgefunden, wer sich an welchen Bands orientierte und so spielten sie einige Songs ihrer Idole, in denen sie einige Male improvisieren mussten. Es funktionierte besser als Reita erwartet hatte und er wurde den Gedanken nicht los, dass zumindest Aoi und Uruha nicht das erste Mal gemeinsam spielten.
 

Yune seufzte zufrieden auf und streckte sich hinter seinen Drums ausgiebig.
 

„War doch gar nicht mal so schlecht.“
 

Aoi nickte beipflichtend und kramte in seinem Rucksack nach einer Wasserflasche. Er nahm einen großen Schluck und reichte sie an Uruha weiter während er sich mit dem Handrücken über die Lippen strich. Der brünette Gitarrist nickte ihm lächelnd zu und trank nun seinerseits aus der halbvollen PET-Flasche. Währenddessen blickte er stirnrunzelnd zwischen Reita und Aoi hin und her. Er blinzelte irritiert bevor er die Flasche mit einem Ruck absetzte und anfing kräftig zu husten. Erschrocken eilte Reita zu ihm, klopfte dem Gitarristen auf den Rücken, streichelte schließlich sanft darüber als dieser sich zu beruhigen schien. Sich noch immer räuspernd blickte Uruha Reita aus seinen braunen Augen an und der Ansatz eines Grinsens umspielte dessen Lippen. Seine Mundwinkel zuckten leicht als er durchatmete.
 

„Aoi hat dir das Nasenbein gebrochen richtig?“, hauchte er leise, strich Reita mitleidig über die Wange und trieb dem Bassisten die Röte ins Gesicht. Der Blonde hatte das Gefühl sich rechtfertigen zu müssen und setzte zu einer Erklärung an, doch Uruha schüttelte lächelnd den Kopf und warf Aoi seine Flasche zurück.
 

„Du solltest welche mit kleinerem Verschluss kaufen, das ist ja gemeingefährlich.“
 

„Ach, jetzt bin ich schuld, dass du dich verschluckt hast weil dir engeren Öffnungen lieber sind?“ Aoi grinste dreckig und zauberte dem Brünetten einen hauch Rosa auf die Wangen, der sich verstärkte als dieser Yunes belustigten Blick bemerkte, der auf ihm ruhte.
 

„Schluss für heute, blödeln könnt ihr auf dem Heimweg, ich brauch ein Bett.“
 

Ruki steckte schon fix und fertig in seiner Jacke und hing sich gerade die Tasche über die Schulter.
 

„Musst du morgen arbeiten?“ Reita trennte den Bass von Strom und Verstärker.
 

Der Sänger nickte, tippelte unruhig von einem Fuß auf den anderen und wartete ungeduldig auf den Rest der Mannschaft. Als Yune auf dem Rückweg erfuhr, dass Ruki sich im Haare schneiden übte, stellte er sich prompt als Versuchsmodell zur Verfügung.
 

„Also ich würde ihn nicht an meine Haare lassen“, warf Aoi gespielt geschockt ein und Reita glaubte Rukis bissige Erwiderung schon hören zu können, bevor sie überhaupt ausgesprochen wurde, doch der Brünette blieb stumm und nahm Aoi so förmlich den Wind aus den Segeln.
 

„Hör nicht auf ihn, er ist kein besonders guter Komiker“, lenkte Yune versöhnlich ein.
 

„Er soll auf der Bühne ja auch keine Witze reißen. Es genügt völlig wenn er ein besonders guter Gitarrist ist.“
 

Und da war es. Das erste Lob, das Ruki dem Schwarzhaarigen aussprach, die erste Bekundung von Zuneigung, die Reita vollkommen baff auf seinen Freund schauen ließ. Sowie er es nicht gewohnt war solche Worte aus Rukis Mund zu hören und war die Andeutung noch so unterschwellig, waren Uruha und Yune verwundert über Aois Sticheleien, mit denen der sonst so liebenswürdige Gitarrist nie von selbst anfing. An diesem gingen die Worte des Kleineren runter wie Öl und den weiteren Weg bis zur U-Bahnstation brachte er mit einem zufriedenen Lächeln hinter sich.
 

Die drei neuen Bandmitglieder verabschiedeten sich mit einem Händeschütteln und Reita war ein wenig enttäuscht darüber, dass Uruha ihn nicht wie das Letzte Mal umarmt hatte, doch er selbst wagte diesen Schritt nicht zu gehen. Einen Augenblick später war er mehr als froh darüber denn es versetzte ihm einen Stich als er sah wie Yune dem Brünetten einen Arm um die Taille legte und mit ihm und Aoi im Untergrund verschwand.
 

„Komm schon! Oder willst du da Wurzeln schlagen?“
 

Reita zuckte zusammen als Ruki ihn am Arm fasste und mit sich zog.
 

„Und was sagen die Katzen zum Gold?“, grinste Ruki den Größeren an.
 

„Sie wetzen ihre Krallen daran.“
 

~*~
 

Bedächtig schwenkte Yune das Glas mit der roten Flüssigkeit in seiner Hand und warf Uruha einen bedeutungsvollen Blick zu.
 

„Wann willst du es ihnen sagen?“ Er nippte an dem Wein, der einen feinherben Geruch verströmte.
 

Uruha zuckte die Schultern und sank zurück in die Kissen. Wenige Kerzen erhellten das kleine Wohnzimmer und der Brünette folgte mit den Augen den zitternden Schatten an der Zimmerdecke. Yune stand auf und setzte sich mit einem leisen Rascheln neben ihn, zog den Größeren sanft in eine Umarmung und küsste ihn beruhigend auf die Schläfe.
 

„Ich konnte doch nicht ahnen, dass er ausgerechnet Aoi für die Band anheuern würde.“
 

Uruhas Wispern verhallte noch während sanfte Lippen die seinen versiegelten.

Die Woche schien sich für Reita dahin zu ziehen wie zähflüssiges Karamell. Den nachfolgenden Tag hatte er mit einem nachmittäglichen Kinobesuch über die Runden gebracht und hatte innig gehofft Ruki würde den Samstag frei haben, denn Videogames alleine zu zocken hatte ihm noch nie viel Spaß bereitet, im Gegensatz zu dem Sänger. Doch er wurde enttäuscht. So musste er sich auch diesen Tag wenigstens bis zum späten Nachmittag allein vertreiben. Immerhin ließ ihn die bevorstehende Bandprobe nach dem Wochenende eine einigermaßen gute Laune bewahren.
 

Nach einem warmen Mittagessen beschloss er, sich einen Satz neuer Basssaiten zu besorgen. Das letzte Mal war er zusammen mit Ruki in einem Musikladen gewesen um Kopfhörer für den Verstärker zu kaufen, weil die Nachbarn sich über die Lautstärke beschwert hatten. Und das lag schon eine Weile zurück. Auf dem Weg dorthin fragte er sich in welchem Laden Uruha wohl sein Geld verdienen mochte und erwischte sich dabei wie er auf den verschiedenen Etagen nach dem Brünetten Ausschau hielt.
 

Ihm war bewusst, dass der hübsche Gitarrist in der letzten Zeit vorwiegend seine Gedanken beherrschte, doch es viel ihm schwer ihn auszublenden und er musste sich eingestehen, dass er dies auch gar nicht wollte. Der Anruf, der ihn erreichte während er sich in dem Geschäft umsah, ließ seine Gedanken noch wilderen Purzelbäume schlagen und Uruha bis zum frühen Abend nicht vergessen.
 

„Ruki? Hast du meine Nasenbinde gesehen?“
 

Müde blickte der Sänger von seiner Zeitschrift auf.
 

„Welche? Die Dunkelblaue, die Weiße, die Schwarze, die weiß Geriffelte, die schwarz Gemusterte, die…“
 

Er grinste als Reita ihn mit einem bösen Blick bedachte, denn er könnte schwören Ruki war gerade dabei sich über ihn lustig zu machen.
 

„Die Weiße“, brummte er.
 

„Mann, bin ich froh wenn der Gips abgenommen wird. Du bist doch sonst nicht so zerstreut.“
 

Der Brünette richtete sich langsam auf, strampelte die Wolldecke von seinen Füßen und legte die aufgeschlagene Zeitschrift auf den Tisch.
 

„Wo bewahrst du deine neuste Modekreation denn normalerweise auf?“
 

„Rechte Schrankschublade.“
 

Während Reita sich sein Polohemd zuknöpfte, machte Ruki sich daran in der Schublade nach Reitas verloren geglaubten Nasenschmuck zu forschen.
 

„Bei dieser Ordnung ist es ja nahezu unmöglich etwas zu finden.“
 

„Bring mir nichts durcheinander!“ Reita hob missbilligend eine Augenbraue und begutachtete das undurchsichtige Suchsystem des Sängers. Doch trotz der scheinbar wahllos herausgezogenen Textilstücke hielt Ruki wenige Sekunden später triumphierend das Gesuchte in der Hand. Brummelnd band der Blonde sich das Stück Stoff um die Nase.
 

„Und du willst wirklich nicht mit?“
 

„Er hat ja nicht ausdrücklich verlangt mit uns beiden zu sprechen und ich bin wirklich verdammt müde. Noch eine Tasse Tee und dann ist Sense.“
 

Reita nickte und zog den Knoten noch etwas fester. Die Aussicht mit Uruha alleine zu sein erschien ihm reizvoll und er würde die Gelegenheit nur zu gerne nutzen.
 

„Dann bis später.“
 

Der Bassist beugte sich zu dem Kleineren hinab, der mittlerweile wieder auf dem Sofa platz genommen hatte und hauchte ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. Ruki lächelte.
 

Es war eine heimelige Atmosphäre wie man sie nur noch selten fand, die Reita erwartete als er die Bar betrat. Helle Holzverkleidung säumte die Wände und zusammen mit dem Dämmerlicht der alten Lampen strahlte der Raum eine Ruhe aus, die sich auf die Gäste zu übertragen schien. Aus den Lautsprechern drang gerade so laut Jazzmusik, dass man sie zwischen den Gesprächen leise im Hintergrund dahinplätschern hören konnte.
 

Suchend glitt sein Blick über die Tischreihen bis hin zur Bar, die sich am Ende des Raumes in einer geschwungenen Linie erhob und sich nach rechts in einem Bogen schloss. Dahinter hantierten zwei Männer in mittlerem Alter mit Flaschen und Gläsern und bedienten routiniert ihre Gäste.
 

Endlich entdeckte er Uruha, der mit dem Rücken zu ihm saß und sein Glas abwesend in der Hand drehte. Reita zog den Hocker neben dem Brünetten zurück und setzte sich neben ihn. Er machte einen der Barkeeper mit Handzeichen auf sich aufmerksam und bestellte sich einen Brandy Sour. Scheinbar bemerkte Uruha den Blonden erst als er dessen Stimme vernahm.
 

„Hei.“
 

Reita lächelte und glaubte einen Moment lang Uruha würde die Geste nicht erwidern.

Doch auch seine Lippen bogen sich geschwungen nach oben und in Reita machte sich Erleichterung breit. Seit Uruhas Anruf hatte er das ungute Gefühl, dass etwas nicht stimmte, denn er hatte sich nicht erklären können weshalb Uruha so dringend mit ihm sprechen wollte.
 

„Hast du Ruki nicht mitgebracht?“
 

„Nein, er war ziemlich erledigt. Wäre es denn wichtig gewesen?“

Reita hob zweifelnd eine Augenbraue und wartete während Uruha an seinem Drink nippte auf eine Antwort. Er beobachtete die feinen Perlen, die an seiner voller Unterlippe hingen wie Tautropfen auf Klee, als der Brünette sein Glas zurück auf den Tresen stellte, und diese schließlich mit seiner Zunge tilgte. Er presste seine Lippen einen Moment zusammen ehe seine schlanken Finger erneut damit begannen das Glas auf dem Tresen zu drehen. Unwillig schüttelte er schließlich den Kopf.
 

„Ich glaube es wäre mir einfach leichter gefallen mit euch beiden zu sprechen, aber eigentlich macht es keinen Unterschied. Ich hätte dann vielleicht nicht das Gefühl, ich würde dich zu tief fallen lassen.“
 

Er zog eine Zigarette aus der Schachtel, die vor ihm lag, klemmte sie sich zwischen die Lippen und zündete sie an. Seit Reita sich zu ihm gesetzt hatte, hatte der Gitarrist ihn kaum angesehen und auch jetzt heftete sich sein Blick fest auf die klare Flüssigkeit in seinem Glas.

Noch immer verstand der Blonde nicht auf was dieses Gespräch hinauslaufen sollte. Innerhalb von Sekunden schien es um Grade kälter geworden zu sein. Reitas ungutes Gefühl schlich sich zurück in seine Blutbahn und rauschte mit Höchstgeschwindigkeit durch seinen Körper und er hatte Mühe seine aufkeimende Wut zu unterdrücken. Die Undeutlichkeit in Uruhas Worten und das, was sie durchscheinen ließen brachten ihn innerlich vollkommen aus der Fassung, ließen seine Stimme harscher klingen als er es eigentlich wollte.
 

„Auf was willst du hinaus?“
 

„Ich kann nicht in der Band spielen.“
 

Diese Worte zogen Reita den Boden unter den Füßen weg. Obwohl er es geahnt hatte, trafen die Worte einen Punkt in seinem Inneren, der ihn stolpern und ins Straucheln geraten ließ. Er sah Uruhas traurigen Gesichtsausdruck. Seine Miene strafte seine Worte lügen, tiefer noch glaubte Reita Verzweiflung zu erkennen, spürte den Wunsch Musik zu machen, der in dieser Band seine Erfüllung gefunden hätte und einzig und allein eine Frage stellte sich ihm, wirbelte in seinem Kopf und er glaubte er müsse zerbersten würde er nicht, ganz gegen seine sonstige Devise, Entscheidungen anderer ohne Vorbehalte zu akzeptieren, seine Frage stellen, die ihm mittlerweile auf der Zunge brannte.
 

„Warum?!“
 

Uruha schien der Tonfall nicht aus der Ruhe zu bringen. Er wirkte in sich gekehrt als wollte er einen Schutzwall aufbauen. Nachdem er einen weiteren Zug von seiner Zigarette genommen hatte blickte er auf.
 

„Es ist etwas kompliziert.“
 

Er drückte die Zigarette in dem vorhandenen Aschenbecher aus.
 

„Ich kann die Band nicht mit meinem Studium vereinbaren. Es ist im Gespräch, dass ich ein Semester ins Ausland gehen werde.“
 

Reita sah ihn einen Moment stumm an. Er hatte sich schon Gedanken darüber gemacht wie sich das Studium und Uruhas Absichten für die Zukunft auf die Band auswirken würde, doch er hatte fest damit gerechnet, dass Uruha hinter der Musik stehen würde. Es war offensichtlich, dass Uruha das Musikmachen liebte und Reita würde ihn aus solch einem Grund nicht ziehen lassen.
 

„Es gibt genügend Wege wie wir trotz Distanz zusammenarbeiten können. Wir müssen uns zu allererst eine Grundlage schaffen und dann versteifen wir uns das halbe Jahr, dass du abwesend bist, schlichtweg darauf Songs zu schreiben und uns um Auftritte zu kümmern.“
 

Doch Uruha schüttelte den Kopf.
 

„Es geht nicht.“
 

„Was ist es noch? Was hält dich davon ab bei uns zu spielen?!“
 

„Aoi.“
 

Reitas Gesichtsausdruck wandelte von überrascht zu entsetzt bis er Uruha schließlich vollkommen überfordert anblickte.
 

„Verstehst du nicht? Ich wollte nur ein wenig nebenher in einer Band spielen. Zumindest bis ich mein Studium abgeschlossen habe. Meine Eltern sind nicht reich und das Studium kostet Geld. Ich kann mich nicht auf beides gleichermaßen konzentrieren. Ich möchte dieses zweite Standbein um meiner Familie unter die Arme greifen zu können sollte es mit der Musikkarriere nicht klappen.“
 

Aber Reita verstand nur Bahnhof. Noch immer sah er ihn verwirrt an und seine Gedanken drehten Kreise, in denen er versuchte einen roten Faden zu finden. Was zur Hölle hatte Aoi damit zu tun?!
 

„Das war dir doch sicher davor klar. Ich meine du hast doch genügend Zeit für dein Studium. Von heute auf morgen wird die Band nicht durchstarten können.“
 

Uruha runzelte die Stirn und nach und nach schlich sich Erkenntnis in seine Miene.
 

„Aoi hat es dir noch gar nicht gesagt“, hauchte er und blickte verunsichert vor sich auf den Tresen.
 

Es entstand eine kurze Pause ehe Reita das Wort ergriff.
 

„Was nicht gesagt?“
 

„Den Grund weswegen Artia sich getrennt haben.“
 

„Doch, er….“
 

Reita stockte. Aoi hatte ihm gesagt es hätte Spannungen in der Band gegeben, doch den Grund dafür hatte er ihm nicht genannt.
 

Uruhas leises, gedehntes Seufzen mischte sich mit der Jazzmusik, verklang nach und nach in dem von fremden Stimmen erfülltem Raum und Reita hatte das Gefühl Uruha versuchte einer Antwort auszuweichen. Seine Stirn zog sich nachdenklich in Falten. Es schien als ob er seine Worte in Gedanken abwog und versuchte eine imaginäre Waagschale ins Gleichgewicht zu bringen. Schließlich räusperte er sich und nahm das Gespräch mit rauer Stimme wieder auf.
 

„Früher oder später würdest du es sowieso erfahren. Ich weiß nicht weshalb Aoi ein Geheimnis daraus macht. Vielleicht will er warten bis er seine Schäfchen im Trockenen hat. Ich selbst weiß es von Yune. Es ging um einen Plattenvertrag. Der Haken an der ganzen Sache war, dass sie nur Aoi unter Vertrag nehmen wollten. Das sorgte natürlich für Zwist in der Band. Immerhin hätte Aoi an diesem Tag ohne sie nicht auf der Bühne gestanden. Aber so wie wir ihn kennen und lieben machte er dem Produzenten klar, dass es ihn nur mitsamt der Band gäbe. Während darüber nun diskutiert und beraten wurde versuchten Artia ihr Glück auf dem letzten Event, dass mit deiner gebrochenen Nase endete. Was niemand von den Bandmitgliedern ahnte war, dass Aoi den Vertrag mittlerweile so gut wie unter Dach und Fach hatte. Für Aoi war dieser Auftritt eine Generalprobe. Er wollte sehen ob die Band bereit dafür war einen Schritt weiter zu gehen, Bestand für die Zukunft zu haben. Doch er wurde bitter enttäuscht wie du miterleben musstest.“
 

Er machte eine kurze Pause, fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.
 

„So verloren Artia nicht nur Gitarrist und Drummer sondern gleichzeitig auch einen Plattenvertrag, denn diesen nahm Aoi mit. Verstehst du auf was ich hinaus will? So wie die ganze Sache momentan aussieht wird es nicht mehr lange dauern und ihr habt ein Label.“
 

In Reitas Kopf rauschte es. Er versuchte das Gehörte zu verarbeiten, die Informationen wie Teile in einem Puzzle zu einem Ganzen zusammenzufügen. Uruha würde nicht für sie spielen weil Aoi einen Plattenvertrag an Land gezogen hatte und er sein Studium für eine nicht so frühzeitig geplante Musikerkarriere an den Nagel hängen müsste? Wusste Uruha eigentlich was er mit seinen Worten angerichtet hatte!? Er hatte seinem und Rukis Traum Flügel verliehen und gleichzeitig riss er gewaltsam an den weißen Schwingen, ließ eine Feder nach der andere mit dem harten Boden der Realität kollidieren und Reita begreifen, dass seine Kalkulationen sich von Anfang an in Träumen verstrickt hatten. Ihm wurde schwindlig. Halt suchend hing sein Blick an Uruhas tiefbraunen Augen und dasselbe Gefühl wie schon Minuten zuvor schlich sich ein.
 

Doch diesmal erkannte er, dass es keine Wut war, die er auf den Gitarristen hatte. Er war wütend auf sich selbst weil man ihm seine Gefühle anmerkte, seine Angst den Brünetten zu verlieren. Uruha hatte ihn durchschaut und nicht einmal Ruki hätte seinen freien Fall jetzt stoppen können.

„Reita! Reita, wach auf!“
 

Reita spürte feste Griffe an seinen Schultern ehe sein Körper unter einem Rütteln erbebte. Er schlug die Augen auf, sah graue Farben ineinander laufen, presste seine Lider einen Augenblick zusammen bevor er endlich Rukis Gesicht erkennen konnte, das im fahlen Licht der Nachttischlampe noch blasser erschien als sonst. Seine Hand senkte sich auf Reitas Stirn und erst jetzt fühlte der Blonde das Laken unangenehm an seinen Beinen kleben.
 

„Alles in Ordnung?“
 

Die sanfte stimme des Sängers klang wie aus weiter Ferne und erst als seine Sinne nach und nach in das Hier und Jetzt zurückfanden spürte er das Brennen in seiner Speiseröhre und den Drang sich übergeben zu müssen. Trotzdem richtete er sich langsam auf.
 

Rukis Hände schnellten vor, stützten den offensichtlich geschwächten Körper, als Reita wie von der Tarantel gestochen aus dem Bett sprang, nicht voraussehend, dass ihn die Schwärze im nächsten Moment einholen und in ihre kreisenden Bahnen ziehen würde.
 

„Mach doch langsam!“
 

Der Brünette hatte sichtlich Mühe den Größeren in Richtung Bad zu führen. Zu spät stieß er die Tür mit dem Fuß auf und taumelnd kollidierte Reitas Schulter mit dem hellhölzernen Rahmen. Er nahm den Schmerz kaum mehr wahr, konzentrierte sich einzig und alleine darauf seinen Mageninhalt nicht auf dem Boden zu verteilen. Kaum da er sich vor die Toilette gekniet hatte, spürte Reita die Ansammlung von Speichel in seinem Mund. Er begann zu würgen. Keine Sekunde später stieg die brennende Flüssigkeit seine Speiseröhre hinauf.
 

Rukis Finger fingen Reitas lose Haarsträhnen geschickt ein, strichen sie zurück und hielten sie fest bis der Blonde sich mit dem Handrücken über die feuchten Lippen strich. Die Spülung rauschte, nahm den letzten Rest des gestrigen Abends mit sich und sog Reitas Gedanken in einen Strudel aus Erinnerungsfetzen.
 

„Wie spät ist es?“
 

Reitas Kopf dröhnte und die ersten Worte seit er aufgewacht war klangen heiser. Sein Gegenüber warf einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr.
 

„Halb drei…“
 

Durchdringend sahen ihn braune Iriden an, musterten das bleiche Gesicht unter dessen Augen sich anfängliche Ringe bildeten.
 

„Was ist eigentlich passiert?! Ihr kamt polternd nach Hause und du bist ohne ein Wort der Erklärung ins Schlafzimmer verschwunden. Du hättest wenigstens was sagen können…. Reita?“
 

Schon nach Rukis Frage hatte der Blonde aufgehört ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Denn genau diese Frage war es die fadenscheinig wie ein Gespenst in seinem Kopf spukte und nach deren Antwort er verzweifelt suchte. Er wusste er hatte nach Uruhas Worten den Überblick über seinen Alkoholkonsum verloren. An die weitere Unterhaltung mit dem Brünetten fehlte ihm jegliche Erinnerung, er wusste nur noch, dass er irgendwann in Uruhas Wagen gestiegen war. Seine Kopfschmerzen erschwerten ihm das Nachdenken und ließen ihn schließlich resignieren.
 

„Uruha sagte du wärst sauer wegen seinem Entschluss.“
 

Langsam sickerten die Worte des Sängers in Reitas Gehörbahnen, doch es dauerte bis er ihre Bedeutung begriff.
 

„Er war hier?!“
 

Langsam half Ruki dem Größeren auf.
 

„Er hat dich hier hoch gebracht. So kenn ich dich gar nicht, Reita. Du hast ihn einfach stehen gelassen und bist in dein Zimmer verschwunden.“
 

Und so kannte Reita sich selbst nicht. Sicher, er war wütend gewesen, enttäuscht, doch niemals hatte er es jemand andere in dieser Form spüren lassen. Doch bis jetzt hatte ihn auch niemand auf solch eine Art fallen gelassen.
 

„Hat er dir den Grund erzählt?“ Reita sah auf die verschwommene Gestalt Rukis, spürte dessen Hände erneut an seiner Taille.
 

„Hat er.“ Ruki führte seinen geschwächten Freund zurück ins Schlafzimmer. Schwerfällig ließ der Blonde sich auf die Matratze sinken.
 

„Und es ist dir egal?“
 

„Natürlich nicht.“ Ruki setzte sich neben ihn, blickte auf seine Füße. „Aber du kannst niemanden zwingen. Wenn ihm sein Studium so wichtig ist dann sollte er das wählen, was für ihn mehr zählt.“
 

Reita wusste nicht wie viel Uruha dem Sänger erzählt hatte, doch gerade der Umstand, dass womöglich ein Plattenvertrag zustanden kommen würde, sah Reita als Grund für den Gitarristen zu bleiben. Genau jetzt bot sich ihm die Chance das zu tun, was er wirklich wollte; mit Musik sein Geld zu verdienen, seine Musik zu machen, die Musik zu leben. Er konnte und wollte es einfach nicht begreifen.
 

„Er könnte sein Studium abbrechen und später fortsetzen wenn es mit der Musikkarriere nicht klappt.“ Reita klang trotzig.
 

„Damit würde er den Studienplatz im Ausland aufs Spiel setzen.“ Es war ein Gespräch der ganz anderen Art, das sie gerade führten und Reita selbst kam es seltsam vor, dass Ruki den vernünftigen Part übernahm. Er kam nicht umhin sich die Frage zu stellen, ob Ruki den Brünetten nicht einfach aus der Band haben wollte.
 

„Du solltest dich erst einmal ausruhen und morgen sieht die Welt schon wieder anders aus.“
 

Reita tat schweigend wie ihm geheißen. Er unterdrückte den Impuls zu zittern und legte sich unter die wärmende Decke. Viel mehr Energie um zu diskutieren hätte er ohnehin nicht mehr aufgebracht.
 

Doch Ruki sollte mit seinen Worten Unrecht behalten. Als Reita am nächsten Morgen die Augen aufschlug fühlte sich alles noch schlimmer und verwirrender an als es in der Nacht der Fall gewesen war. Zwar hielt sich seine Übelkeit in Grenzen, doch die Kopfschmerzen waren nahezu unerträglich. Leichenblass stand er in der Küche und suchte die Schränke nach irgendeinem Schmerzmittel ab, dass ihm wenigsten ein bisschen Linderung verschaffen würde. Mit einem Glas Wasser stürzte er schließlich eine der runden, weißen Pillen hinunter. Im Stummen trank er darauf, nie wieder zuviel Alkohol anzurühren.
 

Das Radio war ausgeschaltet und über dem kleinen Raum hing eine bleierne Stille. Reitas Finger strichen über die hölzerne Tischplatte und er versuchte seine Gedanken zu ordnen, überlegte wie er Uruha überhaupt wieder unter die Augen treten konnte. Noch während er nach verschollenen Erinnerungen kramte klingelte sein Handy unerträglich laut wie ihm schien und nur um dem Lärm ein Ende zu setzen, nahm er ab.
 

„Reita, bist du dran?!“
 

Noch bevor der Blonde überhaupt die Möglichkeit hatte sich zu melden schlug ihm schon Aois Stimme entgegen.
 

„Ich weiß wir haben morgen Probe aber wir müssen sie absagen. Artia haben morgen einen Auftritt.“
 

Aoi fuhr schon fort bevor Reita anfangen konnte sich zu wundern.
 

„Das heißt sie hätten einen Auftritt wenn es sie noch geben würde. Deswegen habe ich dafür gesorgt, dass wir den Auftritt übernehmen können. Ich weiß es ist noch viel zu früh, aber vier bis fünf Lieder schaffen wir doch locker oder? Coversongs wären auch kein Problem wurde mir versichert. Und?! Was sagst du?!“
 

Reita fehlten die Worte. Weswegen konnte er nicht einmal sagen. Er spürte Aois wachsende Ungeduld auf der bleiernen Stille lasten. War es wirklich klug sich schon jetzt auf die Bühne zu wagen? Aber vielleicht war es eine Chance, die sie sich nicht entgehen lassen sollten. Die Versuchung war zu groß.
 

„Abgemacht.“
 

Im Hintergrund hörte er Yunes Freudenschrei und musste unwillkürlich lächeln. Sie würden also morgen auf der Bühne stehen. Irgendwie musste er es schaffen Uruha davon zu überzeugen ihnen noch einmal seine Dienste zur Verfügung zu stellen.
 

Ruki war wider erwarten vollkommen aus dem Häuschen. Nicht mal einen Vortrag darüber, dass der Bassist sich schonen sollte, musste Reita über sich ergehen lassen. Er wusste nicht woher sein plötzlicher Mut kam, doch die Neuigkeit schien ihm neuen Aufschwung gegeben zu haben und so stand er wenige Stunden später vor Uruhas Haustüre. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend, das wohl nicht zuletzt von dem übermäßigen Alkoholkonsum herrührte, suchten seine Augen die Klingel nach dem richtigen Nachnamen ab. Er atmete tief durch, heftete den Blick auf den Namen, hob die Hand und fuhr schrecklich zusammen als ihn plötzlich jemand von hinten antippte. Dunkle Augen musterten ihn offensichtlich erfreut.
 

„Wolltest du zu mir?“, Uruha lächelte sanft und nahm ihm seine Antwort vorweg indem er aufschloss und ihn hereinbat. Schweigend nahm Reita die Aufforderung an und begab sich mit dem Brünetten in den Aufzug. Die 15 auf dem viereckigen Knopf leuchtete auf und der Aufzug schloss leise ratternd die Türen und setzte sich in Bewegung. Stahlseile hielten den rechteckigen Kasten und zogen sie hinauf bis sie das gewünschte Stockwerk erreicht hatten.
 

„Soll ich dir was abnehmen?“ Reita deutete auf den schwarzen Gitarrenkoffer und nahm ihn kurzerhand am Griff.
 

„Danke.“ Uruha lächelte wieder und trug die Sporttasche mit verschiedenem Equipment aus dem Fahrstuhl. Er ging den länglichen Flur entlang und blieb schließlich bei einer Türe unweit des Aufzuges stehen. Reita trug den Koffer in die Wohnung und das Klickende Geräusch der Türfalle verriet ihm, dass Uruha ihm in seine vier Wände gefolgt war. Er streifte seine Schuhe von den Füßen während er das Gepäck abstellte und blickte schließlich zu Uruha, der es ihm gleich tat.
 

„Magst du etwas trinken?“
 

Reita fühlte sich von dieser einfachen Frage überrumpelt. Sie schien jede Logik vollkommen außer Gefecht zu setzen. Doch er nickte, ließ sich von Uruha in die Küche führen und nahm auf einem der drei Stühle, die um den kleinen, viereckigen Tisch standen, platz. Er beobachtete wie Uruha zwei Gläser aus dem kleinen Küchenschrank nahm und sie mit stillem Wasser füllte. Er stellte sie vorsichtig vor sich und Reita auf die Tischplatte und setzte sich ihm gegenüber.
 

„Tut mir leid, ich habe nichts anderes da. Es sei denn du möchtest vielleicht einen Tee?“
 

Reita schüttelte den Kopf, eine blonde Strähne verfing sich in der Nasenbinde. Er zupfte kurz daran bis er es für gut befand und blickte den brünetten Gitarristen an.
 

„Ich komme wegen der Band.“ Feine Haarsträhnen verfingen sich noch immer in seinen Wimpern, reizten seine Augen. Er versuchte sie wegzublinzeln, doch umso mehr begann sein Auge sich mit Tränenflüssigkeit zu füllen. Er glaubte Unbehagen auf Uruhas Gesicht erkennen zu können, ja sogar Wut. Der Gitarrist streckte seine Hand nach Reita aus und dieser wollte schon zurückweichen als vorsichtige Finger die einzelnen Strähnen aus seinem Gesicht strichen.
 

„Um was genau geht es?“
 

Reita blinzelte verwundert bevor er sich räusperte um die Festigkeit in seiner Stimme wiederherzustellen.
 

„Wir hätten morgen einen kurzen Auftritt und… und ich… wir“, verbesserte er sich, „ bräuchten deine Gitarrenkünste. Es… ist sehr kurzfristig, ich weiß.“
 

„Ich würde gerne einspringen.“ Uruhas Züge wirkten entspannt und auch sein Lächeln war auf die vollen Lippen zurückgekehrt. Reita fühlte sich einerseits erleichtert doch andererseits behagte ihm Uruhas letztes Wort so gar nicht. Es klang so furchtbar endgültig. Doch Uruha war kein Ersatz… Er war viel mehr als das.
 

Als Reita und Ruki sich am nächsten Abend in dem Club einfanden, beschäftigte den Blonden noch immer die Frage warum Uruha ihn nicht auf den vorgestrigen Abend angesprochen hatte. Er hatte so getan als wäre nichts passiert, hatte ihm keine Fragen gestellt. Aber er hatte erzählt. Erzählt wie seine Eltern durch den Betrug eines Freundes den Großteil ihres Vermögens verloren hatten. Wie ihm sein früherer Musiklehrer den Proberaum vermittelt hatte, den er durch die gute Freundschaft des Lehrers mit dem Vorsitzenden kostenlos nutzen durfte. Und wie er alles versuchte um seine Eltern nicht zu enttäuschen. All das ging Reita durch den Kopf während sie in dem kleinen Hinterraum warteten. Ihm kamen diese Worte so bekannt vor und der Verdacht, dass Uruha ihm all dies schon einmal gesagt hatte machte sich in ihm breit.
 

Innerhalb einer halben Stunde waren sie komplett. In ausgewetzten Anzügen, mit Sicherheitsnadeln, in Schwarz, Dunkelblau und Nadelstreifen. Sie sahen aus wie eine schräge Combo auf dem Weg zu einer ebenso ausgefallenen Hochzeit. Die Haare geglättet und mit Wachs zurechtgestriegelt traten sie auf die beleuchtete Bühne.
 

Es war fantastisch. Besser als Reita es sich vorgestellt hatte. Er sah Ruki, der sich austobte als würde er sich nirgendwo anders als auf einer Bühne heimisch fühlen. Uruha und Aoi, die Rücken an Rücken spielten und Yune der sich hinter seinem Schlagzeug verausgabte. Und er selbst fühlte sich federleicht. War das das Gefühl, das man spürte wenn sich ein Teil eines langen Traumes erfüllte? Es schien als ob die Schwingen wieder an seinem Platz saßen.
 

Viel zu schnell verging der Auftritt und Reitas Adrenalin rauschte noch immer durch seine Blutbahnen als er mit Ruki in den Umkleideraum verschwand. Er fing eine Flasche auf, die der Sänger ihm zuwarf und trank einen großen Schluck.
 

„Es war unglaublich.“ Ruki strahlte von einem Ohr zum anderen. Reita nickte bekräftigend und sah jäh auf als Aoi zur Tür herein stürzte.
 

„Wir haben ihn!“ Ein breites Grinsen zierte seine Lippen. „Wir haben einen Plattenvertrag!“
 

Ruki sankt auf dem Stuhl zusammen.
 

„Wir haben was?“, hauchte er ungläubig.
 

„Die Produzenten haben sich den Auftritt angesehen. Ich hielt es für besser euch nichts zu sagen um die Aufregung nicht noch größer zu machen.“ Er schnappte nach Luft. „Aber wir haben sie überzeugt!“
 

Während Ruki versuchte diese Neuigkeit zu verdauen, machte Reita sich auf um die anderen beiden zu suchen. Sie wollten darauf anstoßen, den Erfolg gebührend feiern. Es fiel ihm nicht schwer Aois Nachricht aufzunehmen. Immerhin hatte er davon gewusst und trotz, dass der Schwarzhaarige denselben Trick angewandt hatte wie bei Artia, warer ihm nicht böse. Mit jedem Schritt den er tat prägte sich ihm die Bedeutung der Worte immer mehr ein. Er lächelte. Als er um die Ecke bog gefror ihm das Lächeln jedoch augenblicklich. Er erstarrte in seiner Bewegung.
 

Sein Blick ruhte auf Yune und Uruha, die sich in den Armen lagen. Bilder flimmerten vor Reitas Augen. Sie küssten sich. Er stützte sich an der kalten Wand ab. Ihre Lippen trafen sich. Es war wie ein Film, der sich automatisch abspielte. Reita schüttelte den Kopf. Es war die Realität, die ihn einholte, ihn wie ein Hammer zu erschlagen drohte. So wie Yune den brünetten Gitarristen küsste, hatte er es zwei Tage zuvor getan.

Es dauerte nur Sekunden doch es kam Reita vor wie eine Ewigkeit. Uruhas Augen hatten seinen Blick eingefangen und ihm stockte der Atem. Der Ausdruck in seinen Augen glich Wehmut und Reitas Herz schlug bis zum Hals.
 

Es erinnerte ihn an ihren letzten Abschied. Uruha war so freundlich gewesen und in seinen Augen hatte etwas Undefinierbares geglänzt. Doch nachdem Reita einen Fuß aus dessen Wohnung gesetzt hatte war es verschwunden. Und nun wusste er den Grund. Er hatte ihn verletzt, ihn restlos enttäuscht, denn er hatte sich an nichts erinnern können. Nicht an ihr Gespräch und viel schlimmer noch, ihr Kuss war durch seine Trunkenheit nicht nur getrübt sondern darüber hinaus von dem dichten Nebel in seinem Kopf geschluckt worden. Und nach und nach lichtete er sich, ließ Erinnerungen in sein Bewusstsein strömen. Und mit ihnen folgten die Fragen.
 

Wieso stand Uruha hier so vertraut mit ihrem Schlagzeuger, der offensichtlich mehr war als nur ein Freund. Wie hatte er so blind sein können? Doch Uruhas Verhalten ihm gegenüber war, wenn er richtig darüber nachdachte, so hoffend gewesen. Hatte er verspielt oder hatte es nie etwas bedeutet?
 

Er hatte das Gefühl zu fallen. So tief, dass seine Stimme sich anhörte als würde sie aus einem leeren Brunnen, an steinernen Mauern, widerhallen.
 

„Aoi wollte mit uns auf den Plattenvertrag anstoßen. Kommt ihr?“
 

Der Bassist wartete die Antwort nicht ab. Während er den schlauchartigen Flur zurücklief wurde ihm klar, dass er Yune ab sofort mit anderen Augen sehen würde.
 

„Hast du sie gefunden?“
 

Aoi hielt es anscheinend keine Minute länger in diesem Club.
 

„Ich denke sie kommen gleich.“ Reita rieb sich den Nacken. „Sag mal, wollt ihr eigentlich so angezogen bleiben?“, fügte er leicht grinsend hinzu um seine Zerstreutheit gekonnt zu überspielen.
 

Nachdem auch Yune und Uruha zu ihnen gestoßen waren und sie sich ihrer verschwitzen Bühnenkleidung entledigt hatten traten sie ihren Weg zu einem weiteren Club an diesem Abend nicht weit entfernt an, um auf den plötzlichen Erfolg anzustoßen. Sehr schnell mussten sie feststellen, dass voll bepackte Taschen und Rücksäcke eher hinderlich waren als sie sich einen Platz durch die Masse hindurch erkämpften.
 

„Was wollt ihr trinken?!“, rief Aoi als sie endlich alle einen Platz gefunden hatten. Er musste schreien um gegen die laute Musik anzukommen und hatte Mühe seine Bandkollegen zu verstehen. Ruki erhob sich schließlich und bot Aoi seine Hilfe an, mit der Begründung, dass sie sonst den Boden wischen und kehren konnten. Der schwarzhaarige Gitarrist brummte etwas Unverständliches bevor er sich mit dem, gut einen Kopf, Kleineren, einen Weg durch die Menge bahnte um die Getränke zu besorgen.
 

Ehe Reita es sich versah, saß er alleine mit Uruha und Yune an dem Tisch mit, der im bunten Licht momentan orange leuchtenden, Plastikplatte. Die Musik dröhnte in seinen Ohren doch zwischen ihnen herrschte angespannte Stille. Zumindest hatte Reita das Gefühl, denn sein ganzer Körper hatte sich verkrampft und er versuchte keinen der beiden anzusehen. Die Plattenfarbe wechselte von orange nach blau und wieder abwechselnd von grün nach gelb. Sein Blick heftete sich in der Menschenmasse fest und suchte scheinbar angestrengt nach seinen beiden Freunden, die wie er hoffte bald mit den Getränken auftauchen würden.
 

„Habt ihr euch überlegt wie wir Uruhas Ausstieg Aoi beibringen sollen?“, ergriff Yune plötzlich das Wort.
 

Reita wandte sich zu ihm um und sah ihn überrascht an.
 

„Ich dachte er wüsste bescheid!“
 

Uruha und Yune tauschten einen verlegenen Blick aus.
 

„Es fiel mir etwas schwer…“, versuchte Uruha gegen die laute Musik anzukommen, „Ich hab irgendwie das Gefühl ich würde euch verraten.“
 

„Dann bleib!“ Reitas Einwurf klang drängend und entschieden und ihm war bewusste, dass es unfair von ihm war, wusste er schließlich um Uruhas Situation. Dieser hatte die Hände in seinem Schoß vergraben und spielte unstetig mit seinen Fingern. Er schien hin und her gerissen und schon tat Reita seine Unüberlegtheit leid. Wieso konnte er wenn es um den brünetten Gitarristen ging nur keinen kühlen Kopf bewahren?
 

Das metallene Knallen einer Kollision von Glas und Tischplatte ließ die drei verwirrt aufsehen und ein Blick in Aois Gesicht ließ schnell erahnen, dass Ruki ihnen die unliebsame Aufgabe abgenommen hatte, dem Schwarzhaarigen Uruhas Ausstieg aus der soeben neu entstandenen Formation, beizubringen.
 

„Wieso erfahre ich das erst jetzt?!“, schnaubte Aoi und ließ sich neben Uruha auf seinen Platz sinken, „Ich dachte dir wäre klar geworden, dass dein Leben der Musik gilt als du hier eingestiegen bist!“
 

„Aoi, versteh doch, es ist für mich nicht leicht…“, versuchte Uruha sich zu erklären, doch Aoi hob die Hand und gebot ihm zu Schweigen.
 

„Lass mich dir eine Frage stellen. Wieso bist du heute mit uns aufgetreten?“

Uruhas Stirn legte die Stirn in Falten, er überlegte einen Moment bevor er antwortete.
 

„Weil Reita mich darum gebeten hat und ich euch nicht von einem Tag auf den anderen hängen lassen wollte.“
 

Auf Aois Lippen schlich sich ein überlegenes Grinsen.
 

„Falsch!“
 

Ruki, der sich mittlerweile gesetzt und scheinbar desinteressiert an seinem Drink genippt hatte, richtete seinen Blick nun ebenfalls wie alle anderen auf den Gitarristen. Uruhas Lippen kräuselten sich und er wirkte angespannt. Beinahe erweckte er den Eindruck verärgert über Aois Widerwort zu sein, doch er schwieg und wartete mit zusammengebissenen Zähnen darauf, was der andere ihm als nächstes zu sagen hatte.
 

„Es ging dir nicht um uns. Wir hätten unseren Auftritt schon gemeistert, wenn vielleicht auch weniger gut als geprobt war. Aber es war deine Neugier auf ein Leben, das du nur zu gerne leben würdest. Du wolltest wissen wie es ist auf einer Bühne zu stehen, jetzt wo sich dir die einmalige Chance bot. Und im Grunde genommen hast du dich damit doch schon entschieden. Du kannst dein Studium jederzeit fortsetzen, aber ist dir ein Auslandsjahr wirklich wichtiger als dein Traum?!“
 

Mit diesen Worten hatte er die so sicher geklungene Entscheidung Uruhas ins Wanken gebracht und Reita schöpfte neue Hoffnung. Seine Augen fingen Uruhas Profil ein und dessen Züge wirkten noch angespannter als zuvor.
 

„Du willst mir doch nicht sagen, der Auftritt heute hätte dir nicht gefallen?!“, neckte Aoi ihn weiter und Reita war sich nicht sicher ob es gut wäre Uruha noch mehr zu provozieren.
 

„Natürlich hat er das“, presste Uruha hervor. Es schien im schwer zu fallen sich in dieser Situation zurecht zu finden. Aoi hob abschätzend eine Augenbraue.
 

„Dann hättest du dir bei deinem Solo ruhig mehr Mühe geben können“, stichelte er. Yune schnappte nach Luft. Wenn es etwas gab, das Uruha nicht ausstehen konnte, dann war es Kritik an seiner Spielweise. Uruhas Züge verhärteten sich, doch ganz gegen Yunes Annahme wurde er nicht wütend sondern blitze Aoi herausfordernd an.
 

„Das nächste Mal spiele ich dich an die Wand“, grinste er. Aoi stieß einen Freudenschrei aus noch ehe der Rest der Band sich der Bedeutung dieser Worte bewusst wurde. Aoi umarmte den Gitarristen so stürmisch, dass Yune vorsichtshalber Uruhas Stuhl festhielt.
 

Reita musste bei der Überschwänglichkeit des Schwarzhaarigen unweigerlich schmunzeln und warf einen Seitenblick zu Ruki, der das Ganze eher missmutig zu beobachten schien. Der Bassist runzelte die Stirn bevor er Ruki schließlich freundschaftlich in die Seite knuffte, was diesen endlich dazu brachte seine versteinerte Mine zu lösen und ein Lächeln zustande zu bringen.
 

„Auf Gazette!“ Aoi hob sein Glas. Der Rest der Band folgte seiner Aufforderung und auch sie erhoben ihre Gläser und gemeinsam stießen sie an.
 

Reita hatte aus seiner letzten unliebsamen Begegnung mit zuviel Alkohol gelernt und stieg nach seinem ersten Drink, zur allgemeinen Erheiterung, auf Fruchtsäfte um. Doch er nahm Aois Feixen gerne in Kauf, wenn er so einem Kater entgehen konnte. Ruki hingegen schien es darauf angelegt zu haben, denn er kippte einen Drink nach dem anderen und bald ruhte nicht nur Reitas sorgenvoller Blick auf ihm.
 

„Ist er immer so?“ Yune hatte sich zu Reita gebeugt und sein leicht alkoholisierter Atem kitzelte Reitas Ohr. Dieser bemühte sich das Gesicht nicht zu verziehen, die Nähe des anderen war ihm unangenehm.
 

„Ab und an“, antwortete er, „Er ist standhaft.“
 

Ruki, der bis eben eine wahnwitzige Diskussion über Quallen und deren prozentualen Bestandteil aus Wasser geführt hatte um Aoi, der den glitschigen Lebewesen nur wenig Begeisterung entgegenbringen konnte, einen Schauer nach dem anderen über den Rücken zu jagen, horchte bei diesen Worten unwillkürlich auf. Er kicherte leise.
 

„Reita ist auch standhaft, in anderer Hinsicht“, grinste er breit und griff Reita mit der Hand in den Schritt, was diesem ein ungehörtes Keuchen entlockte bevor er ruckartig aufstand. Aoi und Yune hoben anerkennend die Daumen ehe sie anfingen in Rukis Grinsen mit einzustimmen. Reita schnaubte kurz, verschwand dann aber zielstrebig in Richtung der Toilette. Uruha, der den Blonden mit gemischten Gefühlen beobachtet hatte, erhob sich ebenfalls, lächelte flüchtig in die Runde und folgte dem Bassisten schließlich.
 

Reita war gerade dabei sich zu erleichtern als er aus den Augenwinkeln wahrnahm wie Uruha sich an einem Gast vorbei zu ihm hinein schlängelte. Wie selbstverständlich stellte er sich neben ihn und öffnete seinen Hosenladen. Reita schluckte trocken, wandte den Blick nun gänzlich ab und versuchte nicht auf gewisse Stellen des Brünetten zu achten. Als er zog schloss auch Uruha seine Hose wieder und folgte ihm schweigend an die beiden, kleinen Waschbecken gegenüber.
 

Die weißen Kacheln spiegelten das Licht unnatürlich hell wider und Reita fühlte sich wie so oft aus der Realität gerissen, was wie er vermutete nicht zuletzt mit der Anwesenheit des Gitarristen zu tun hatte.
 

„Seid ihr zwei zusammen?“ Uruha trocknete sich die Hände unter der heißen Luft des Händetrockners, an dem die weiße Lackierung zu Teilen schon absprenkelte. Reita glaubte zunächst sich aufgrund des lauten Geräusches, das das Gerät verursachte, verhört zu haben, doch Uruhas Augen sahen ihn mit solch einer Intensität an, begierig darauf eine Antwort zu erhalten, dass seine Ohren wohl gut genug zu funktionieren schienen. Endlich schüttelte er den Kopf.
 

„Nein, wir sind nicht zusammen.“
 

Uruha nickte, schien nachdenklich.
 

„Was ist los?“
 

Argwöhnisch hob Reite eine Braue.
 

„Ich weiß nicht ob ich mich über diesen Umstand freuen sollte oder nicht“, lächelte er matt.
 

Reita blickte ein wenig verwirrt auf die schmächtige Gestalt Uruhas bis es ihm dämmerte auf was dieses Gespräch hinauslaufen sollte.
 

„Was ist mit dir und Yune?“ Hätte Uruha nicht damit begonnen hätte er womöglich nie danach gefragt und einfach versucht es zu verdrängen.
 

„Ich fürchte wir spielen das gleiche Spiel wie du und Ruki.“
 

Er strich sich über die Arme und Reita empfand diese Geste als so hilflos, dass er ihn am liebsten in die Arme geschlossen hätte. Doch er brachte es nicht über sich, schon allein die Situation erschien im zu seltsam und unwirklich und so probierte er es metaphorisch und versuchte Uruha mit seinen Worten in eine wärmende Schutzhülle zu kleiden.
 

„Ich… hab mich an unseren Kuss erinnert.“
 

Und es schien zu funktionieren. Uruhas Wangen zierte ein feiner Hauch rosa und seine Lippen deuteten ein Lächeln an.
 

„Aber es tut mir leid, dass es passiert ist als ich betrunken war“, fügte Reita geknickt hinzu.
 

„Vielleicht wäre es sonst nie passiert“, lächelte der brünette Gitarrist, „Außerdem lässt sich so etwas nachholen.“
 

Uruhas melodiöse Stimme jagte Reita ein Kribbeln über die Haut und unsicher machte er einen Schritt auf sein Gegenüber zu. Langsam neigte Uruha seinen Kopf um Reitas Lippen entgegenzukommen als in diesem Moment die Türe aufflog und einige betrunkene, lärmende Clubgäste den kleinen Räum füllten. Etwas peinlich berührt blickte Reita den Brünetten an, doch dieser lächelte nur sanft. Mit einem Kopfnicken deutete Reita in Richtung Tür und zusammen drängten sie sich aus zwischen den Männern hindurch. Der Moment, der ihre Distanz hätte brechen können, verstrich ungenützt.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Reita hatte sich nach der Nacht mit dem Gitarristen den Kopf darüber zerbrochen, was er Ruki sagen sollte, ob er sich entschuldigen oder ihn nicht direkt darauf ansprechen sollte, doch diese Frage löste sich von selbst. Er dachte es würde ihm unglaublich schwer fallen wieder normal mit dem Sänger umzugehen, aber Ruki signalisierte von sich aus wie es zwischen ihnen laufen sollte. Reita wusste nicht was Aoi dem kleinen Blonden gesagt hatte, denn nie war Ruki so souverän mit gefühlsmäßig überladenen Situationen umgegangen wie er es jetzt tat. Er verlor kein Wort über den Abend, verhielt sich die kommenden Wochen wie zuvor und fast war es so als wäre nie etwas vorgefallen.
 

Es war wie die Ruhe vor dem Sturm nur ohne das Gefühl davon erfasst und davon gewirbelt zu werden. Denn Ruki heuchelte ihm keine Freundschaft vor, es war ihm ernst, das wusste der Bassist. Aber mit Sicherheit war es auch nur eine Frage der Zeit bis Ruki ihn zur Rechenschaft ziehen würde.
 

Kaum hatten sie ihren ersten Plattenvertrag unter Dach und Fach, fanden sie sich auch schon in einem Haufen Arbeit wieder. Eine Single wurde aufgenommen, bearbeitet und Reita ging das Herz vor Freude über als er endlich ihren ersten Tonträger in den Händen hielt.
 

„Und? Spürst du das Wesen der Musik? Die Seele?“, neckte Aoi den Bassisten, der die Platte nun seit gut zehn Minuten in den Händen hin und her balancierte ohne den Blick davon abzuwenden. So in Gedanken versunken schien er nicht einmal zu registrieren, dass Aoi mit ihm sprach, sodass dieser mit einem langgezogenen Seufzer neben Yune in die Polster sank.
 

„Diese Träumer“, grinste er, doch Yune warf ihm nur einen langen, undeutbaren Blick zu. Aoi zog die Brauen zusammen. Ihm gefiel nicht wie der Drummer sich seit Tagen verhielt. Unkameradschaftlich versuchte er sich aus allem herauszuhalten was sie besprachen. Er mied die Nähe der anderen und es grenzte an ein Wunder, dass er sich hatte überreden lassen heute bei Uruha auf ihre erste Platte anzustoßen. Doch ihnen allen waren die Hände gebunden. Niemand wollte es ihm vorwerfen, denn er war zuverlässig was seine Arbeit als Musiker anging und in stillem Einvernehmen hatten sie beschlossen, dass es besser wäre abzuwarten bis Yune sich von selbst beruhigt hatte. Ein und derselbe Verdacht hatte sich bei allen eingeschlichen. Dass das heutige Auftauchen des Drummers das Fundament der Band erschüttern und das Warten ein Ende haben würde, ahnte bis zum frühen Abend niemand.
 

„Ich spüre keinen Puls“, sagte Yune ehe er den Blickkontakt abbrach. Es kam Aoi wie eine Ewigkeit vor und Yunes Worte schienen seine Lippen so langsam zu verlassen, dass er ihre Bedeutung nur schwer erfassen konnte. Der Schlagzeuger drückte seine Zigarette im Aschenbecher vor sich aus. „Es ist keine Seele in dieser Musik.“
 

„Du redest von unserer Musik?“
 

Ungläubig hob Ruki die Brauen und auch Reita hielt in seiner Bewegung inne und schien das Geschehen um sich herum wieder wahrzunehmen.
 

„Ganz richtig“, nickte Yune und schob den Aschenbecher mit einer geschmeidigen Handbewegung über den Tisch zu Uruha, der ihn bis zu diesem Moment schweigend beobachtet hatte.
 

„Und was willst du dagegen tun?“, fragte er ruhig, sich sicher die Antwort zu kennen.
 

„Ich steige aus.“
 

Er sagte es so unberührt, dass kein Zweifel aufkam. Yune war sich sicher. Er hatte seine Entscheidung gefällt und diese schlug ein wie eine Abrissbirne, die ein Loch in die Fassade hämmerte und Risse hinterließ, die wie geplatzte Äderchen einen feinen Schmerz hinterließen und den Raum für Sekunden in Stille tauchte bis Aoi wütend aufsprang.
 

„Das kannst du nicht machen! Nur weil dir die Musik nicht tiefgründig genug ist?! Das ist unsere erste Single, was erwartest du eigentlich?! Wir haben noch nicht einmal richtig angefangen!“
 

Aufgebracht gestikulierte er mit den Armen und schnappte schließlich nach Luft, die er mit den Worten fast in einem Atemzug verbraucht hatte. Yune wirkte gelassen, so als hätte er schon mit allem abgeschlossen. Aois Ausbruch kam nicht überraschend und genauso wenig wie das Schweigen der anderen. Denn außer Aoi schien es jeder begriffen zu haben. Langsam richtete er sich auf. Nicht die Musik war der Grund, sondern Uruhas Liebe, die nicht ihm galt. Und Uruha wusste es, Reita wusste es, ja selbst Ruki war sein Stimmungswechsel nicht entgangen, seit Reita seinen Gefühlen Luft gemacht hatte. Und der Sänger müsste es ja am besten verstehen, wie es sich anfühlte abgewiesen zu werden. Aber er war selbst schuld, das wusste er.
 

„Ich wünsche euch viel Erfolg.“
 

„Du kannst doch jetzt nicht einfach so abhauen!“, rief Aoi aufgebracht. Seine Wangen leuchteten rot vor Zorn. „Du hast einen Vertrag unterschrieben!“
 

Yune stockte in seiner Bewegung und sein Blick traf den schwarzhaarigen Gitarristen so vernichtend wie seine Kundgebung vor wenigen Minuten.
 

„Von dir hätte ich erwartet, dass du auf Freundschaft und nicht auf Verträge setzt“, konterte er eisig bevor er geschmeidigen Schrittes aus der Wohnung verschwand und einen sprachlosen Aoi zurückließ, der davon selbst überrumpelt schien.
 

Nachdem die Nachricht sich gesetzt und sich der erste Schock gelegt hatte brachte Uruha seine Gäste dazu keine halsbrecherischen Aktionen zu starten um Yune in die Band zurückzuholen.
 

„Ich habe fast den Eindruck du bist froh, dass er gegangen ist oder wieso willst du nicht einmal einen Versuch unternehmen ihn wieder für uns zu gewinnen? Ohne uns einen Grund zu nennen einfach zu verschwinden, finde ich, ist das Letzte. Er sollte uns…“
 

„Halt die Luft an Aoi“, unterbrach ihn der brünette Gitarrist und schnippte seine Zigarette in den Aschenbecher vor sich. Empört über Uruhas Tonfall blies Aoi die Backen auf. „Ich glaube uns allen ist der Grund bekannt. Verstehst du es wirklich nicht?!“
 

Ruki stieß Aoi mit dem Ellenbogen in die Rippen, der Uruhas Unterbrechung übertrieben ernst nahm und sich weigerte auszuatmen bis dieser ihn darum bat. „Musst du so ein Kindskopf sein?“, brummte er missbilligend, doch Aoi ließ nicht locker. Erst als er ihm mit den Handflächen auf die aufgeplusterten Wangen klatsche, pustete dieser die angestaute Luft mit einem surrenden Geräusch aus. Mit Schmolllippen blickte er Uruha an.
 

„Nein, ich weiß es nicht!“, gab er widerwillig zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

Uruhas Gesichtzüge wurden weicher und er leerte sein Sektglas bevor er sich nachschenkte. Reita betrachtete das Ganze mit Unbehagen. Der Gitarrist hatte die Flasche zum Großteil alleine getrunken während die anderen beiden auf Bier und er auf Saft umgestiegen waren.
 

„Lass uns gehen“, forderte Ruki den Schwarzhaarigen auf und erhob sich. Er zupfte seine Hose zurecht und sah den Gitarristen drängend an. „Wenn wir jetzt nicht gehen verpassen wir die letzte Bahn und Uruha hat zu tief ins Glas geschaut als dass er uns noch fahren könnte.“
 

„Aber ich will den Grund wissen!“, ereiferte sich der Älteste und fuchtelte mit dem Finger in der Luft herum um sich auf einen erneuten Ausbruch einzuspielen.
 

„Komm jetzt! Ich erklär’s dir auf dem Weg“, stöhnte Ruki gequält und tatsächlich erhob sich der andere, packte die leeren Bierflaschen und trabte zur Türe. Das alles geschah schneller als Ruki gucken konnte.
 

„Ich stell die dir in die Küche, ja?“, sagte er, verschwand für einen Augenblick und streckte seinen Kopf wieder zur Tür herein als der andere ihm nicht folgte. „Was ist nun, willst du Heim laufen oder was?“ Er tippte mit dem Zeigefinger auf seine Uhr. „Wir verpassen die Bahn!“
 

Genervt verdrehte der Sänger die Augen.
 

„Danke, dass du mich darauf aufmerksam machst“, brummte er und setzte sich in Bewegung.
 

Grinsend sah Reita den beiden nach. Er mochte die Kabbeleien der beiden, denn sie munterten Ruki auf auch wenn der Sänger vehement versuchte Aoi aus seinem Gefühlsleben herauszuhalten. Doch dafür war es längst zu spät. Gerade die unterschwelligen Sticheleien zeigten Reita, dass sich zwischen den beiden eine Freundschaft anbahnte, die Ruki in schwierigen Situationen den Halt geben würde, den er zuvor von Reita erhalten hatte.
 

Der Bassist wandte sich Uruha zu als die Haustüre ins Schloss fiel und seine freudige Mine wich einem besorgten Ausdruck und er erhob sich umgehen als er Uruha so dort sitzen sah. Seine Schultern waren eingefallen und das Haar hing ihm in wirren Strähnen in sein hübsches Gesicht. Reita ging vor ihm in die Hocke, blickte zu ihm hoch und suchte vergebens seinen Blick.
 

„Uruha?“, fragte er leise und strich sanft über dessen Hand bis diese sich, nach einer schieren Ewigkeit, so kam es Reita vor, um die seine schloss. Doch als Uruha noch immer keine Anstalten machte mit ihm zu sprechen, beschloss er die Sache selbst anzukurbeln. Denn er war sich sicher zu wissen wieso Uruha sich betrunken hatte.
 

„Neulich sagtest du mir, du hast dasselbe wie Ruki erlebt.“ Er blickte ihn forschend an. „Es war Yune, der dich so kalt abblitzen ließ, habe ich Recht? Aber er wollte keine Liebe sondern nur deinen Körper. Und du glaubtest es würde sich ändern und hast dich darauf eingelassen, nicht wahr? Und heute ließ er dich fallen so wie er dich damals fallen ließ. Diesmal aber aus verletztem Stolz, weil du einen anderen Mann vorziehst. Weil du neu liebst. Das ist der Grund wieso er ging. Und du musst dich deshalb nicht schlecht fühlen. Du hast Stärke bewiesen.“
 

Reita wusste nicht woher er den Mut nahm das alles offen auszusprechen, aber er hatte das Gefühl, dass es ihre Beziehung belasten würde, würden sie nie über dieses Besondere, das zwischen Uruha und Yune geherrscht hatte, reden. Er wollte es aus der Welt schaffen und Yunes Ausstieg hatte den Anstoß dazu gegeben.
 

Endlich hob Uruha den Kopf, erwiderte Reitas Blick und ein mattes Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
 

„Du liest in mir wie in einem Buch“, sagte er leise.
 

Seine Stimme klang heiser und sein Atem roch nach Alkohol. Er schlang die Arme um Reitas Hals und endlich spürte Reita Tränen auf seiner Haut. Uruhas Tränen.
 

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Das Kapitel ist etwas kürzer geworden als die Vorherigen, aber es erschien mir am passendsten an dieser Stelle aufzuhören.

Ich hoffe ihr verzeiht mir nochmal ^_~

Kommischreiber werden ab sofort über neue Kapitel benachrichtig, soll ja schließlich auch belohnt werden und ich freue mich über positive aber auch negative Kritik!

Es war das letzte Mal, dass Reita Yune in diesem Zusammenhang erwähnte. Die kommenden Wochen waren überschattet vom Ausstieg des Schlagzeugers und die Promotion der Single gestaltete sich durch Auftritte anfangs schwer. Zwei Mal schon mussten sie mit einem Aushilfsschlagzeuger auftreten und ihren Auftritt daher so kurz wie möglich halten. Denn oft fand sich nur kurzfristig ein Ersatz und dieser konnte die Songs nicht in so kurzer Zeit mit dieser Formation einstudieren.
 

„Vielleicht hätte ich warten sollen bis ich meine Ausbildung schmeiße. Wenn wir nicht bald einen geeigneten Schlagzeuger finden drehe ich noch durch“, tat Ruki seinen Unmut in aller Öffentlichkeit kund.
 

Reita warf einen Seitenblick auf Uruha. Dieser lächelte allerdings nur müde und Reita schwieg zu dem Umstand, dass Uruha mehr als sie alle aufgegeben hatte, um einen Traum zu Leben, der auf wackligen Stelzen stand. Und auch Aoi schien ratlos. Lustlos stocherte er mit den Stäbchen in seiner Misosuppe und blickte abwesend vor sich hin.
 

„Schmeckt es Ihnen nicht?“
 

„Könnte würziger sein“, brummte Aoi geistesabwesend. Vier Augenpaare richteten sich auf ihn und als Aoi die Blicke auf sich ruhen spürte, hob er missmutig den Kopf. Sein Blick streifte den Koch, der mit verschränkten Armen vor ihm stand. Er schluckte trocken als ihm klar wurde wem er die Frage gerade beantwortet hatte.
 

„Aber das tut der Sache keinen Abbruch! Im Gegenteil, zuviel Salz ist ungesund!“
 

Aoi rutschte nervös auf seinem Hocker hin und her und blickte abwechselnd zwischen seiner Suppe und dem jungen Koch hin und her bis dessen Gesicht schließlich ein grübchenreiches Lächeln zierte. Erleichtert atmete Aoi aus, rieb sich verlegen den Nacken.
 

„Ich kann das trotzdem nicht auf mir sitzen lassen“, lächelte der Koch und zupfte seine Schürze zurecht. Augenblicklich spannten sich Aois Gesichtszüge erneut an. Der Rest der Truppe verfolgte das Szenario gespannt und gerade der, vor wenigen Minuten noch so schlecht gelaunte, Sänger schien seinen Spaß zu haben.
 

„Ich habe dafür Sorge zu tragen, dass meinen Gästen das Essen schmeckt. Ich lade sie morgen auf ein und dasselbe Essen ein, so lange bis sie mir sagen, dass ihnen die Suppe schmeckt“, lächelte er vergnügt. Aoi war nicht der Einzige, der in diesem Moment verblüfft aussah. Noch eher hätte er mit einem geschäftsschädigenden Rausschmiss gerechnet als mit einer solchen Einladung!
 

„In Ordnung“, stotterte er perplex und schien seinem Gegenüber damit eine große Freude bereitet zu haben, denn dieser machte sich hinter der Theke mit frischer Energie daran den Fisch auf der heißen Platte zu braten. Reita beobachtete den muskulösen Japaner mit der weißen Kochmütze aufmerksam. Geschickt hantierte er mit den Kochstäbchen, wendete den Fisch und das Gemüse. Der Bassist spürte wie er erneut Hunger bekam und sah auf seinen leeren Teller. Es roch einfach zu gut. Einen Moment spielte er mit dem Gedanken es so wie Aoi zu machen und das Sushi zu kritisieren. Vielleicht würde er ebenfalls eine kostenlose Möglichkeit bekommen das Sushi umsonst einzuheimsen. Doch er wollte nicht unverschämt werden und so begnügte er sich mit dem feinen Geruch, der das kleine Lokal erfüllte.
 

Als auch Aoi seine Suppe endlich geleert hatte, bezahlten sie und Aoi bedankte sich zum Abschied noch einmal für die morgige Einladung. Ganz im Gegensatz zu sonst verhielt er sich dabei eher zurückhaltend und Reita beschlich der Verdacht, dass sich der Gitarrist innerlich dafür schalt den jungen Koch gekränkt zu haben. Die Sonne schien noch immer als sie aus der Gaststätte traten. Reita knöpfte seinen Mantel zu, denn trotz der wärmenden Strahlen war es recht frisch. Es war keine unangenehme Kälte. Vielmehr erfrischte den Bassisten die Mischung aus kühler Luft und wärmender Sonne. Er schloss einen Moment die Augen und atmete durch. Dabei spürte er wie eine Hand zu der seinen in die Manteltasche schlüpfte. Er blinzelte, erblickte Uruha neben sich und ein sanftes Lächeln legte sich auf seine Züge.
 

„Und was machen wir nun?“, seufzte Ruki und rieb sich den Bauch. Er hatte von allen am meisten zugeschlagen. Die Probe für den morgigen Clubauftritt hatten sie mit einem Aushilfsschlagzeuger schon hinter sich gebracht und so hatten sie den restlichen Nachmittag Zeit für sich. Sie tauschten ratlose Blick aus bis Ruki sich seine Frage selbst beantwortete.
 

„Zeigt uns doch den Musikladen in dem ihr gearbeitet habt.“
 

Uruha sah überrascht aus während Aoi eher den Eindruck erweckte auf eine scharfe Peperoni gebissen zu haben. Ruki grinste triumphierend.
 

„Hast du Lust? Mich würde es auch interessieren.“
 

Reita sah den anderen erwatungsvoll an und schenkte Aois finsterer Mine keine Aufmerksamkeit. Bemerkt hatte dies allem Anschein nach sowieso nur der kleine Sänger. Uruha nickte lächelnd. Immerhin hatte er diesen kleinen Laden in sein Herz geschlossen. Überstimmt trotte Aoi hinter dem eingeschworenen Team hinter her.
 

„Willst du, dass ihm noch etwas einfällt was ich abarbeiten könnte Ruki?“, knurrte er.
 

Ruki wandte sich im Gehen zu ihm um.
 

„Sag nicht, du hast noch mehr Inventar demoliert!“
 

„Nein, habe ich nicht!“, gab Aoi patzig zurück und augenblicklich kühlte die Atmosphäre merklich ab. Reita konnte sich nicht erklären, weshalb sich Aois Laune dermaßen verschlechterte. Sicherlich hatte er schon zuvor nicht vor Fröhlichkeit gesprüht, doch dass ein Besuch in dem Musikladen, in den er Uruhas und seinen Erzählungen nach zu urteilen, gerne gegangen war, so auf seine Stimmung drücken würde, damit hatte der Bassist beim besten Willen nicht gerechnet. Ruki, der nur beschwichtigend die Hände gehoben hatte, setzte seinen Weg kommentarlos neben Uruha und Reita fort. Es dauerte nicht lange und der Laden rückte an der nächsten Straßenecke in ihr Blickfeld.
 

„Das ist er?“, fragte Ruki und steuerte geradewegs auf den Eingang zu.
 

„Das ist er“, sagte Uruha als er neben dem Sänger zum Stehen kam.
 

Mit einem Seitenblick auf Aoi, drückte Ruki die Glastür an der dafür vorgesehen Halterung auf, die sich bronzefarben, wie ein Rechteck von einem bis zum anderen Ende der Tür zog. Nacheinander betraten sie unter dem Klingeln eines Windspiels den Laden, der von außen gar nicht so geräumig ausgesehen hatte, wie er in Wirklichkeit war. Wenige Meter vor ihnen erstreckte sich eine breite Theke, hinter der sich eine Kasse befand und auf der neben Programmheften und Flyern, auch eine Halterung mit verschiedenen Plektren ihren Platz fand. Rechts von ihnen führte sogleich ein Raum ins Reich der Percussion. Becken in unterschiedlichen Größen und Handtrommeln füllten den Raum und erinnerten Reita schmerzlich daran, dass ihnen noch immer ein Drummer fehlte.
 

Sie gingen an dem Raum vorbei und Reita blickte erstaunt auf die klassischen Gitarren, die sich in einem großen Erker neben der Theke an Wänden und in Ständern reihten. Uruha hingegen sah sich augenscheinlich nach jemandem um. Es war nicht sonderlich voll und neben einer Verkäuferin, die gerade ein Kundengespräch führte und einigen Schülern, die sie an ihrer Uniform erkannten, waren sie so ziemlich die Einzigen. Plötzlich setzte sich Uruha abrupt in Bewegung.
 

„Shunpei!“, strahlte er und Reita vernahm ein gedehntes Seufzen seitens Aoi.
 

Mit dem Blick folgte er Uruha, der auf einen gut gebauten Japaner im Muskelshirt zuging. Der Mann trug eine Brille, ein Lippenpiercing und einen schmalen Bart an seinem Kinn. Reita runzelte die Stirn als er die tatoowierten Oberarme bemerkte. Wenn er ehrlich sein sollte, hatte er sich einen älteren Musikalienhändler vorgestellt und keinen zweiten Travis Barker. Sein Blick schweifte über einige Keyboards bis hin zu den elektrischen Gitarren und Bässe, die die andere Seite des Raumes säumten. Eine weitere Türe führte in einen Hinterraum, in dem er klassische und E-Drums vermutete. Aus den Augenwinkeln bekam er mit wie Uruha zu ihnen hinüber deutete und Shunpei wenige Sekunden später zu ihnen führte.
 

„Aoi, altes Haus“, begrüßte Shunpei den Gitarristen kaum bei ihnen angekommen und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Dieser gab ein mürrisches Brummen von sich, was Shunpei ein schiefes Lächeln auf die Lippen zauberte. Uruha schenkte dem ganzen keine besondere Beachtung und auch Shunpei ging mit Aois Reaktion so um als wäre es das normalste von der Welt. Irritiert blickte Reita zu Ruki, der ebenso ratlos aussah wie der Bassist selbst. Zeit sich weiter darüber Gedanken zu machen hatten sie keine, denn schon begann die allgemeine Vorstellungsrunde. So erfuhren sie auch, dass Shunpei der Sohn des eigentlichen Besitzers war, der zu Aois Zeiten im Laden noch regelmäßig nach dem Rechten gesehen hatte bis er schwer erkrankte und seinem Sohn die Aufgabe gänzlich überlies. Ruki zeigte sich überaus begeistert und ließ sich mit Reita den Laden zeigen. Uruha lief hinter ihnen und gab hier und da einige Erläuterungen ab, was nicht nur Reita zum Schmunzeln brachte. In einem unbemerkten Moment drückte er ihm einen Kuss auf den Hals bevor er sich wieder umwendete und sich von Shunpei einige Verstärker zeigen ließ. Aoi hatte sich die ganze Zeit über bei den Gitarren verschanzt und seine Laune schien sich seit ihrem Ankommen nicht verbessert.
 

„Steht noch alles“, vergewisserte Ruki sich grinsend als er zu dem Gitarristen trat.
 

„Sehr witzig“, brummte dieser und stellte eine schwarze Ibanez zurück in den Ständer.
 

„Hei, was ist denn los?“, lenkte der Sänger ein. Er wollte nicht Schuld sein, wenn Aoi das Publikum morgen mit seiner griesgrämigen Miene vertreiben sollte.
 

„Nichts“, raunzte Aoi, „Ich will einfach nach Hause.“
 

Ausweichend machte Ruki einen Schritt zurück und hob zum zweiten Mal an diesem Tag beschwichtigend die Hände.
 

„Ich hab dir nichts getan, also lass deine schlechte Laune nicht an mir aus.“
 

Betreten senkte Aoi den Blick.
 

„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht so angehen“, sagte er und sprach dabei so leise, dass Ruki zwei Mal hinhören musste, um ihn zu verstehen. Und langsam begann ihm Aoi Sorgen zu bereiten.
 

„Willst du mir wirklich nicht sagen was los ist?“, fragte er noch einmal ohne Nachdruck, sondern fast so leise wie Aoi zuvor. Es war als hätte er damit eine unsichtbare Mauer durchbrochen.
 

„Er hat’s mit meiner Mutter getan“, sagte er mit gesenktem Blick zwischen Standwänden und besaiteten Instrumenten und Ruki glaubte ihm würde der Boden unter den Füßen weggerissen werden als er die Bedeutung der Worte realisierte. Er wusste nicht was er sagen sollte, doch Aoi begann zu erklären. Ihm selbst schien klar zu sein, dass er diese Fragen aufwerfende Aussage nicht so stehen lassen konnte.
 

„Offiziell arbeitet sie als Hostess.“ Er machte eine kurze Pause bevor er fort fuhr. „Aber genau genommen ist sie nichts anderes als eine Edelhure.“ Seine Lippen pressten sich zu einem schmalen Strich zusammen und schon jetzt war Ruki klar, dass er diesen Laden nie wieder betreten konnte ohne Aois Bild vor seinen Augen zu sehen. Er sah ihm den Schmerz an, dem das Dasein seiner Mutter ihm bereitet hatte, auf welche Art und Weise auch immer. Das es nicht einfach für ihn war, konnte Ruki erahnen. Er machte einen Schritt auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. Mehr konnte er nicht tun und das wusste er.
 

„Reita kommst du? Du wolltest den Bass doch testen“, winkte Uruha den Bassisten zu sich.
 

Reita stieß sich mit den Händen leicht vom Rücken der Gitarrenholzwand ab. Er hatte sich lange gefragt wieso Aoi bei den Worten des ex-Artia Sängers so in Rage geraten war und hätte auf die unverhoffte Erklärung gerne verzichtet, jetzt da er sie kannte. Es gab so vieles was sie nicht voneinander wussten und gerade gab ihm das Gespräch zwischen Aoi und Ruki das Gefühl außen vor zu sein. Uruha wusste, seiner vorherigen Reaktion nach zu urteilen, darüber Bescheid, nur er hatte sich in die Lage gebracht es ohne Aois Einverständnis zu erfahren. Es war der Grund weshalb er sich aus dem Leben anderer heraushielt so gut es ging. Es kostete ihn seine Kraft weil er ein Mensch war, der nicht tatenlos zusehen wollte, weil er ein Mensch war, der eine Lösung für alles finden musste, damit sich wichtige Menschen um ihn herum gut fühlen konnten. Er versuchte das eben Gehörte auszublenden, denn die Situation verwirrte ihn und seine Gedanken kreisten schon jetzt strudelförmig in seinem Kopf während er die Saiten des Basses zupfte.

Wohlig seufzend lehnte Aoi sich auf dem Hocker zurück. Seine Hand rieb beständig über seinen Bauch.
 

„Das war köstlich!“
 

„Das will ich doch hoffen! Nachdem du gestern so gemeckert hast“, grinste der Koch erfreut.
 

„Zugegeben… ich hatte wohl nicht die beste Laune“, sagte Aoi schuldbewusst und rieb sich verlegen den Nacken.
 

„Dabei warst du doch mit deinen Freunden hier. Solltest du da nicht Spaß haben?“
 

Aoi sah den Koch einen Moment lang nachdenklich an, zog die Stirn kraus.
 

„Wir sind Musiker“, begann er zu erklären, „Und momentan ist es etwas stressig. Ich will mich nicht beschweren! Aber wegen Differenzen ist uns der Schlagzeuger abgehauen.“
 

Der junge Koch wendete etwas Gemüse auf der Platte.
 

„Bis jetzt konnten wir niemanden finden, der zu uns passt. Dabei finde ich, dass unsere Musik gar nicht so eigenwillig klingt.“
 

„Wie klingt sie denn?“
 

„Nach uns! Rockig natürlich!“
 

Er kramte seinen Discman aus der Umhängetasche und hielt ihm einen Ohrknopf des Kopfhörers hin. Aoi drückte die Play-Taste und wartete gespannt auf das Urteil des Kochs.
 

„Ich glaube ich wüsste da jemanden“, lächelte er und seine Grübchen schienen auf seiner Wange zu tanzen.
 

Rhythmisch wippte Reita mit dem Fuß, während er auf dem Sofa lag und den Klängen einiger seiner Idole lauschte.
 

„Holst du dir Inspiration?“
 

Unvermittelt war Ruki im Türrahmen aufgetaucht, doch Reita schien ihn nicht zu bemerken. Zu vertieft war er in die bekannten Melodien.
 

„….Inspiration?!!“, drang es so nur noch plötzlich an sein Ohr und ließ ihn erschrocken zusammenfahren. Hektisch zog er sich die Stöpsel aus den Ohren und setzte sich auf.
 

„Erschreck mich doch nicht so!“, knurrte er als Rukis Grinsen immer breiter wurde.
 

„Dann solltest du die Musik etwas leiser drehen.“
 

Leise brummend drehte Reita sich zu der Anlage und stellte sie aus.
 

„Was gibt’s?“
 

„Meinst du nicht wir müssten los?“
 

Reita zog eine Grimasse als er die Zeiger seiner Uhr eingehend studiert hatte und sprang schließlich auf die Beine. Er packte das Nasenband, band es sich über die Nase, deren Bruch mittlerweile verheilt war. Auf Ruki war verlass. Er hatte kein Wort über Aois Geheimnis verloren und auch Reita würde schweigen. Soviel stand fest. Jeder von ihnen brachte Einflüsse aus seiner Vergangenheit mit, die sich an manchen Tagen positiv oder negativ auf sie, als Band, auswirken würden. Doch Reita wusste auch, dass jeder von ihnen einen Ruhepol gefunden hatte. Und das beruhigte ihn ungemein.
 

„Schaffen wir die U-Bahn noch?“ fragte er, seinen Reisverschluss zuziehend.
 

Ruki beäugte das Ankleideverfahren des Bassisten kritisch ehe er nickte. „Wenn du dich nicht weiter an deinem Reißverschluss aufhängst dürften wir es mit Ach und Krach schaffen“, meinte er, die Lippen zu einem Schmunzeln nach oben gebogen.
 

„Mach dich nur lustig… verflixt! Er ist eben nicht mehr der Jüngste.“
 

Ruki lächelte nachsichtig. Er freute sich, dass Reita die Jacke nicht längst in die Altkleidersammlung gesteckt hatte. Sie war nichts besonderes, kein Markenartikel sondern eine einfache, schlichte Winterjacke. Noch dazu aus dem Schlussverkauf. Er hatte sie ihm zu Weihnachten geschenkt. Reita sagte, es sei die wärmste Jacke, die er bis jetzt gehabt hatte. Insgeheim hoffte Ruki, dass es so bleiben würde.
 

Als sie den Club erreichten, dämmerte es bereits. Die roten und blauen Leuchtschriften drangen von weitem durch den feinen Nebel und ließen Reitas Herz höher schlagen. Zusammen mit Ruki bog er in die vertraute Nebengasse ein. Die Luft kam ihm zwischen den dichten Hausmauern feuchter vor. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er Makoto wie immer am Nebeneingang stehen sah. Auch er grinste, hob grüßend die Hand.
 

„Da ist ja der Main Act für diesen Abend! Na ja gut, zumindest ein Teil davon“, witzelte er. „Großartig was ihr Jungs bis jetzt auf die Beine gestellt habt“, lobte er und klopfte Reita anerkennend auf die Schulter.
 

„Weißt du ob die anderen schon da sind?“, erkundigte sich Ruki.
 

Makoto zuckte unwissend mit den Schultern. „Kann gut möglich sein, gesehen hab ich sie noch nicht, aber das will nichts heißen.“
 

„Gut, wir sollten uns beeilen!“ Ruki knuffte Reita in die Seite, der von dem Lob noch ganz benebelt schien und betrat, unter Makotos guten Wünschen, das Gebäude.
 

„Schön wieder hier zu sein“, lächelte der Sänger. Reita nickte. Hier hatte alles seinen Anfang genommen. Mit einer gebrochenen Nase, dem Widertreffen alter neuer Bekanntschaften. Und nicht nur Gazette hatte hier seinen Anfang gefunden, auch eine Liebe, die der Bassist nicht mehr missen wollte.
 

„Da seid ihr ja“, begrüßte Uruha die beiden lächeln. Er steckte schon in seinem Bühnenoutfit und Reita musste zugeben, es saß wie angegossen. Uruha sah umwerfend aus. Sanft drückte Reita ihm einen Kuss auf die wohl geformten Lippen. Die Wangen des Gitarristen röteten sich augenblicklich. „Für was war der denn?“, haucht er überrascht.
 

„Weil es dich gibt“, murmelte Reita ehe er sich seine Sachen schnappte um sich umzuziehen. Ruki und Aoi sahen sich nur viel sagend an. Um Aois Mundwinkel herum zuckte es leicht.
 

„Ich habe nachher noch eine Überraschung für euch!“, verkündete er schließlich mit vor Stolz vibrierender Stimme.
 

„Was kann das sein? Hast du in der Spielhalle endlich den Highscore geknackt?“, witzelte Ruki und erntete einen finsteren Blick seitens des Gitarristen.
 

„Du wirst mich dafür vergöttern!“ Aoi wippte mit den Brauen.
 

„Oh Gott…“, stöhnte Ruki gequält woraufhin Aoi grinsend mit dem Finger schnippte.
 

Fertig gestylt standen die vier Musiker mitsamt Supportmember hinter der Bühne, bildeten einen Kreis und legten die Hände aufeinander wie die Musketiere. Einer für alle, alle für einen. Auch eine Band bedeutete Zusammenhalt. Nacheinander betraten sie die Bühne. Schon nach wenigen Minuten glänzte eine feine Schweißschicht auf den Gesichtern der Musiker. Die Scheinwerfer heizten die Bühne auf, sodass Reita sich ein wenig vorkam wie in einer Sauna. Zum Glück funktionierte die Klimaanlage und ein feiner, kühler Windhauch umschmeichelte seine erhitzen Wangen. Aus den Augenwinkeln hatte er Uruha im Blick, der neben dem kleinen Wirbelwind seine Frisur überstrapazierte, indem er den Kopf im Takt der Musik hin und her warf. Reita leckte sich den salzigen Schweiß von der Oberlippe. Uruha war schon eine Attraktion für sich. Irgendwann stand er vor ihm, spielte ihn an und seine Lippen umspielte ein keckes Lächeln. Reita ging auf die Aufforderung ein, zupfte fest an den Saiten und brachte den Bass zum vibrieren. In der Luft knisterte es. Das Publikum schien jede Faser ihrer Musik widerzuspiegeln und den Raum statisch aufzuladen, bis sich die Energie in einem Schub entlud und ihr Auftritt seinen Höhepunkt erreichte. Ruki sprang vom Podest hinab in die jubelnde Masse, nahm ein Bad in der Menge. Die Security tat sich schwer den aufgedrehten Sänger wieder zurück auf die Bühne zu befördern und ihn dort zu behalten. Auch durch Reitas Adern rauschte das Adrenalin. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte ihn als er seinen Arm nach oben riss und sich grölend beim Publikum bedankte. Er war wirklich froh, dass so viele gekommen waren um sie zu sehen.
 

Ruki zog sich das schweißnasse Shirt über den Kopf während Reita sich die Haare mit einem Handtuch durchrubbelte. Uruhas Lachen ließ ihn aufsehen. Auch dessen Kleidung klebte an seiner Haut, spannte und Reita malte sich in Gedanken schon einmal den heutigen Abend aus.
 

„Was macht ihr?!“, rief Aoi empört in den Raum, „Ich habe euch doch gesagt, dass ich noch eine Überraschung für euch habe! Wollt ihr nackt vor ihr stehen?“
 

Ruki hob murrend eine Braue und schlüpfte in sein weißes Hemd, dass sich vor Falten kaum mehr retten konnte. „Und was ist es großartiges?!“
 

Aoi setzte ein triumphierendes Lächeln auf. „Du kannst reinkommen!“
 

Rukis Augen weiteten sich überrascht, doch dann schienen sie förmlich zu glänzen. „Der Koch?! Du hast uns Gratishäppchen besorgt?!“
 

Für einen Moment blieb Aoi die Spucke weg und er versuchte den Gedankengang des Sängers, der gar nicht so abwegig war, nachzuvollziehen.
 

„Nein! Das ist Kai, unser neuer Schlagzeuger!“
 

In allen drei Gesichtern spiegelten sich eine Fülle an Emotionen ab und was blieb war die Verwunderung über den muskulösen, scheinbar immer lächelnden Koch, mit den tiefen Grübchen in der Wange, der jetzt statt Stäbchen die Drumsticks schwingen wollte.

Schließlich stellte sich bei Sushihäppchen und Sake heraus, dass Kai schon früher einmal an seiner alten Schule in einer Band gespielt hatte. Nach seinem Abschluss hatte er eine Ausbildung zum Koch angefangen und ist in diesem Restaurant geblieben. Das er das nicht ewig tun wollte war ihm von vorneherein klar gewesen und als Aoi ihm plötzlich diesen Floh ins Ohr setzte, wollte er die Chance als Sprungbrett nutzen.
 

„Wenn du mit deinen Sticks so gut umgehen kannst wie mit den Stäbchen hat Aoi einen guten fang gemacht“, kaute Ruki und blickte Kai forschend an. Dieser lächelte selbstbewusst.
 

„Ich werde euch nicht enttäuschen“, versicherte er und ließ eine Sushirolle in seinem Mund verschwinden.
 

„Ich bin richtig stolz auf uns, dass wir es geschafft haben einen Schlagzeuger zu finden, ohne uns vom Label einen aufdrücken lassen zu müssen“, meinte Uruha und hob seinen Becher.
 

Die anderen rund um den Tisch versammelten Männer nickten beipflichtend und taten seiner Armbewegung gleich. Klackend stießen ihre Becher zusammen.
 

„Auf Gazette!“
 

the end.
 


 

~~EXTRA~~
 

Vorsichtig löste Reita das Papier um das dünne Päckchen. Ein weißer, flacher Karton kam zum Vorschein. Schmunzelnd beäugte er die mit Edding aufgemalte Pandazeichnung, die ihm einen schönen Geburtstag wünschte. Er zupfte den Tesafilm an einem Ende der Pappe ab und ließ den Inhalt auf seine Hand flattern. Ein schwarzes Halstuch aus Baumwolle hatte sich darin verborgen. Der Bassist breitete es vor sich auf dem Tisch aus und betrachtete die feinen Stickereien aus festem weißem Garn. Ein hübsches Muster zierte das tiefe Schwarz und seine Initialen prangten auf der Hinterseite des Tuches.
 

„Alles Gute zum Geburtstag“, lächelte Uruha. Seine wangen zierte ein feines Rot.
 

„Vielen Dank, Uruha.“
 

Reitas Blick richtete sich einen Moment lang auf die, mit Pflastern umwickelten, Finger des Gitarristen bevor er Uruhas Hände sacht in die seinen nahm.
 

„Danke“, hauchte er lächelnd gegen die Lippen des anderen, verschloss sie zärtlich zu einer stummen Liebeserklärung.



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Kommentare zu dieser Fanfic (30)
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Von:  Kanoe
2010-05-02T16:27:55+00:00 02.05.2010 18:27
Eine Wunderschöne geschichte vielen dank
Von:  aloha
2009-06-14T09:12:17+00:00 14.06.2009 11:12
Alsooooo~
Ich muss sagen es war schöln deine FF zu lesen. Du schraibst sehr schön, behalte dir den Stil bei~~~~~
und das ist eine sehr süße Story~ ich bin richtig hin und weg
Von der Charakterisirung und deren Darstellung der Figuren bishin zu liebevollen Destails alles da~ achjaaaa~
ich glaub die geschichte werde ich öfter lesen.~

Super~
Von:  MoonJellyfish
2009-02-16T12:02:06+00:00 16.02.2009 13:02
Hallo Yue~
hier ist Mero-kun
Ich gebe zu mein Kommi kommt spät - aber immerhin ^^"

Zu erst muss ich dir sagen das sie sich wunderschön lesen lässt und die Worte immer genau so fallen wie man es möchte XD
Es ist als schwälge man mitten drin.
Vieles ist genau beschrieben und man kann sich einfach hinein träumen.

Vor einer längeren Zeit bin ich angefangen deine FF zu lesen, im Zug, aufm Weg nach Berlin. Ich muss sagen ich war sehr gefesselt.
Damals war die FF noch nicht beendet und ich habe mir auch einiges an Zeit gelassen, doch jetzt bin ich wieder mal nach Berlin gefahren und habe mir zuvor deine FF ausgedruckt und als Ringbuch mitgenommen. So als Fahrtlektüre. ^^
Und ich liebe sie immer noch... und nun bin ich gestern auch fertig geworden ^^ *kicher*
Toll, einfach klasse~
Ich liebe die FF von vorne bis hinten.
Das miteinander der Jungs.
Ich bin ja auch ein großer Reituki Fan und es tat ganz schön weh das die zwei immer NUR Sex miteinander hatten und da nicht viel mehr zwischen ihnen war... und dann Uruha~
^3^ Ich habe noch nie eine Uru x Rei gelesen
ich bin Reita-Fan(atiker) XD ... und der passt EIGENTLICH
nicht mit so was wie Uru... *umkipp*
aber wow... die zwei ham mir gefallen, ich liebe es
ALLES!! ♥
Auch Koch-Kai-chan XDD *schnurr*
Also noch einmal... vielen vielen Danke ~♥~

ich verrat dir auch meine Lieblingsstelle
*leider find ich grad die genaue stelle nich XD*
yumindest ist es der spruch der rei nicht ausn Kopf geht
von Ruki, dem kleinen Hobbzphilosophen ♥

Von: abgemeldet
2009-01-28T03:03:21+00:00 28.01.2009 04:03
Oh meien Gott...Die fanficton ist nur toll...ich konnt gar nciht aufhören sie zu lesen...manchmal fand ich dne sprung zwischen den einzelenen charas etwas verwirrend, aber ansonsten großartig. du hast hier meine LieblingsFF geschrieben...Vielen lieben Dank. ich würde mcih freuen mehr von dir zu lesen. Ich bin auch ein besónderer Freund von Yune x uruha.^^
Und wie du die einzelnen Charas dargestellt hast ist einfach nur wundervoll. Das ist eine wundervolle fanfiction. Ich würde gerne mehr von dir lesen.
Von:  babam
2008-10-08T20:03:54+00:00 08.10.2008 22:03
jaaa, ich finds toll, dass die Story nicht zu Ende ist *__*
Und das mit dem "Wie alles begann" im Titel ist doch neu, oder irre ich mich da @@??
Auf jeden Fall macht mich das noch gespannter, auf das was folgen wird hehe
Und Uru und Rei find ich ja eh total toll zusammen, vorallem, wie sie in deiner Story sind
*mit Lob überschütt*^^

gruß

TERU
Von:  kaei
2008-09-29T18:15:42+00:00 29.09.2008 20:15
>.< Aoi... die arme... nya... Socke oô~
Das ist echt scheiße sowas zu erfahren und dann noch da zu arbeiten <.<~
wenn er das equitment zerdebbert kann ich ihn da gut verstehen u.u
wird das was mit ruki und aoi? o.ô

un rei is ja goldig <3 drückt uru mal eben nen kuss auf xDD
und uru mit der hand in der manteltasche =3~

hach und zu allerletzt: der koch X3 *freuz*
Von: abgemeldet
2008-09-29T14:30:26+00:00 29.09.2008 16:30
yay <3
also ich hab deine ff auf ff.de gefunden und jetzt auch hier. sie gefällt mir wirklich x333
Nur wie sich das ganze grad entwickelt... >.< jaaa man sieht es an meinem nick lol
XD
LG

Von: abgemeldet
2008-09-29T13:20:16+00:00 29.09.2008 15:20
ich mag die geschichte mach schnell weiter^^
Von:  Ruki_
2008-08-09T18:29:37+00:00 09.08.2008 20:29
ich find deine ff toll <3
du hast die gefühle super rübergebracht, echt klasse^^
freu mich schon aufs nächste kapi^^
bai bai
Moe
Von:  babam
2008-05-30T20:25:46+00:00 30.05.2008 22:25
boah, ich mag deine FF! XD
Nee, is 'n wirklich guter Schreibstil und vorallem irgendwie realistisch, man kann sich die Personen, so wie sie sind, gut vorstellen.


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