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Als ich lächelte

von

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Erwachsen werden

Ich war nie ein besonders großer Denker gewesen. Die anderen Kinder hatten mich deswegen früher oft ausgelacht. Wenn ich gefragt wurde, wieviel eins und eins gab, so antwortete ich oft elf, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben. Doch das interessierte mich nicht. Was ging es mich an, was andere Menschen durch ihre Erfindungen und hochkomplizierten Formeln in der Welt zustande brachten? Wozu brauchte ich das? Ich verstand weder ihre Theorien noch wollte ich sie verstehen und so lebte ich nach meinem eigenen Prinzip: Nur auf mich allein angewiesen.
 

Zugegeben, ich habe noch nie eine Schule von innen gesehen. Ich wuchs in einem Waisenhaus auf und erhielt dort Unterricht im Rechnen, Lesen und Schreiben. Mehr gab es nicht. Jeder Tag glich dem anderen; jeden Tag stand ich auf, wusch mein Gesicht, ging zum Frühstück, dann musste ich lesen, zwei volle Stunden lang immerzu lesen und lesen und wenn ich damit fertig war, mußte ich schreiben und schreiben und schreiben. Ich glaube, ich habe in meinem Leben bereits einen tausendseitigen Roman vollgeschrieben. Als ich das ewige Schreiben beendete hatte, bekam ich Rechenaufgaben, bei denen ich nie die richtige Lösung hatte, so leicht sie auch waren. Ich war eben kein großer Denker.
 

Über meine Eltern wusste ich nicht viel. Man hatte mir immerzu gesagt, dass mein Vater von einem Zug erfasst worden war und meine Mutter als schwere Alkoholikerin mich nicht mehr versorgen konnte, woraufhin sie mich hierher gebracht hatte. Ob sie noch lebte, hatte ich nie herausgefunden und auch nie versucht herauszufinden, denn wer möchte schon eine Person wiederfinden, die ihr Kind gegen ein verfluchtes und elendes Leben eintauscht? Vielleicht war es nur eine Lüge, vielleicht hatten mir die Betreuerinnen diese Geschichte nur eingebläut, damit sie, wenn sie um so brutaler klingt, mich endlich zum Schweigen brachte. Denn ich erinnere mich, dass ich ab meinem fünften Lebensjahr angefangen hatte, nach ihnen zu fragen und dies tagtäglich tat; ununterbrochen. Wie lästig ich nur gewesen sein muss. Wahrscheinlich hatten sie mir wirklich ein Märchen erzählt- damit ich endlich schwieg.
 

Und ich schwieg tatsächlich.
 

Als sie mir endlich eine Antwort auf meine unzähligen Fragen gaben, schloss ich meinen Mund und öffnete ihn seitdem fast nie wieder; nur wenn ich musste. Aber da ich kaum etwas musste, blieb ich die meiste Zeit stumm. Das war auch der Grund, weshalb ich keine Freunde hatte und weshalb mich die anderen immer zu meiden versuchten. Doch es war mir egal. Ich dachte- wie so oft- einfach nicht darüber nach und verbrachte den Rest des Tages immer an einem nahegelegenen See. Und wie die Erziehungsmaßnahmen mich schon geprägt hatten, hatte ich immerzu ein Buch dabei und las. Las stundenlang vor mich hin, manchmal drei, manchmal vier, manchmal nickte ich sogar zwischendurch ein, so lang ging es.
 

Auf diese Art und Weise verbrachte ich mein Leben- bis ich achtzehn Jahre alt wurde. Denn dann wurde mir plötzlich gesagt, dass ich ab sofort erwachsen und auf mich selbst angewiesen sei. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, was für ein ungutes Gefühl mich in diesem Moment durchströmte und ich laut: ,,Nein!” sagte. Das war das erste mal, dass ich etwas verweigerte. Das erste mal in meinem Leben. Die Direktorin blickte mich mit ihren Glubschaugen an und spitzte die ohnehin schon schmalen Lippen.

,,Was hast du gesagt?”

Ein weiterer Strom der Nervosität floß durch mich hindurch und versickerte in dem staubigen Teppichboden, der sich unter meinen Füßen befand. Innerlich schien ich zu verbrennen; ich wollte nicht weg. Auch wenn mir diese monotonen und immer gleichen Tage schon zum Hals raushingen, auch wenn mich niemand liebte und akzeptierte, auch wenn ich schon zu alt war- dies war der einzige Ort, an dem ich mich in gewisser Hinsicht sicher fühlte, den ich als mein Zuhause bezeichnete, unabhängig davon, dass ich immer allein war.

Und doch schwieg ich. Erneut.

Nichts hatte sich verändert, seit dem Tag, an dem sie mir von meinen Eltern erzählt hatten. Merkten sie das denn nicht oder wollten sie es nicht bemerken? Sahen sie nicht, dass ich noch nicht erwachsen war?

Mit ausdruckslosen Augen blickte ich die Direktorin an, mein Gesicht war wie versteinert. Eine gewisse Spannung lag plötzlich in der Luft und mit jeder Sekunde schien sie an Stärke zuzunehmen. Mein Atem wurde schwerer und lauter, die Laute um mich herum hörte ich nicht mehr. Alles schien sich zu drehen: Die Gegenstände, der Raum, ja selbst die Zeit und nur sie und ich standen still und starrten uns an.

Das war er also. Der Moment der Entscheidung- der Moment des Eintritts in das neue Leben. Nun war ich also erwachsen, wie sie sagten.
 

Am selben Tag noch wurde ich von Beamten abgeholt, die mich in ein Wohnheim brachten, in dem ich vorerst untergebracht war, so lange bis ich mir das Geld für eine eigene Wohnung zusammengespart hatte, welches ich mir als Gerüstbauer in einem heruntergekommenen Bauunternehmen verdiente.

An eines erinnere ich mich jedoch noch sehr genau: An dem Tag, als ich in das Wohnheim kam, regnete es. Vielleicht weinte jemand um mich und um mein Schicksal. Aber wer sollte dies schon tun? Denn es gab ja niemanden, der um mich weinen konnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  AndySixx
2008-06-19T13:39:03+00:00 19.06.2008 15:39
;-; das erste kapitel find ich schon voll schlimm..
ich liebe menschen die Dramatik oder Taruer oder sowas ins ihre Fanfics bringen..den ich bin meiner meinung nach nicht besonders gut darin XD
*knuddel*


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