Hopeless
Der Bus fuhr auf direktem Weg zum Flughafen. Es würde nur eine halbe Stunde dauern. Nur eine halbe Stunde, dann würde ich an den Schalter gehen und ein Ticket nach Rom kaufen. Sechs Stunden Flug, vielleicht auch sieben, bis ich dort war und dann? Egal es würde sich schon eine Möglichkeit finden weiter zu kommen. Autos gab es schließlich auch in Italien. Neben mir schmiegte sich ein dicker, schwitzender Mann in den ausgeblichenen Plastiksitz, sein penetranter Geruch stach mir in die Nase, doch ich nahm in kaum war. Es war als wären alle meine Sinne taub, wie der Rest von meinem Körper, als hätte man ihn mit einem Schlag gelähmt. „Sie ist tot. Es ist vorbei, du kann zurück kommen und wir können wieder einer Familie sein.“ Rose kalte, gehässige Stimme flammte plötzlich in meinem leeren Kopf auf und die kalte Lähmung wich einem schneidenden Stich, der meinen Oberkörper zum einknicken brachte. Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte laut aufgeschrieen vor Schmerz. Der schnaufende Mann warf mir einen fragenden Blick zu, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte. Steif setzte ich mich wieder auf, aber der Schmerz blieb und pochte wie eine eiternde Wunde. Deine Schuld, es ist alles deine Schuld! Schrie sie „Was hast du ihr angetan? Du Monster, du Ungeheuer!“ Ich kniff die Augen zusammen. Doch das war noch schlimmer, denn dann sah ich ihr Gesicht. Ihr Lächeln, das verschwand, als ich ihr sagte, dass ich sie nicht mehr will, das ich sie verlasse und nie wieder komme. Ihr stummes Entsetzen, dass ihre Züge zu einer Maske verwandelte, bis selbst das Funkeln aus ihren Augen wich, als sie mir tatsächlich glaubte. Plötzlich wurde es mir klar, so furchtbar klar. Ich hatte sie schon damals zerstört, obwohl ich sie doch retten wollte. Vor mir und den anderen. Vor den blutgierigen Bestien, die wir alle waren. Ohne das ich es merkte krallten sich meine Finger in meine Knie. Sie sollte doch leben, glücklich, frei ohne mich als Gefahr an ihrer Seite. Jetzt hörte ich Alice flehende Stimme aus der Erinnerung „Glaubst du wirklich das du einfach so aus ihrem Leben verschwinden kannst? Sie liebt dich Edward, genauso sehr wie du sie und damit solltest du wissen, dass es unmöglich sein wird. Alles was du damit erreichen wirst wird dir hinter her leid tun“ Meine Kehle begann zu brennen, aber nicht vor Hunger. Der Schmerz war einfach zu gewaltig, zu mächtig. Ich biss mir auf die Lippen, als das Schluchzen meine Brust schüttelte. Wieder konnte ich spüren, dass mich der Kerl misstrauisch von der Seite beäugte, sollte er doch! Was kümmerte es mich. Sollte er mir dabei zu sehen wie mich die Verzweiflung zerriss. Ich hatte das Einzigste was ich auf dieser Welt liebte ausgelöscht. Vernichtet! Für immer!
Da hatten wir beide Monate lang gelitten. Ich, weil ich glaubte das Richtige zu tun und sie, weil ich... Gott warum war ich nicht längst zurück geflogen um sie anzuflehen mir zu verzeihen? Mir meine ungeheuren, bösen, blasphemischen Lügen zu verzeihen und mir noch eine Chance zu geben sie zu lieben, denn das war das Einzigste zu was ich fähig war, das Einzigste was ich überhaupt konnte und weshalb es jetzt auch keinen Grund mehr gab in dieser Welt zu bleiben. „Ich liebe dich Isabella“ flüsterte ich so schnell das niemand auch nur bemerkte, dass sich meine Lippen bewegten. Der Klang ihres Namens verbrannte mir die Zunge. Kurz flammte in mir ein Funken Hoffnung auf, vielleicht bekam ich noch eine Chance. Nicht in dieser Dimension aber vielleicht? Wenn nicht, hatte ich für all das die Hölle verdient.
Der Bus hielt mit einem lauten Zischen und ich öffnete wieder die Augen, dann stand ich auf. Ich spürte weiterhin den Blick des Mannes in meinem Rücken, als ich den Bus verließ und langsam durch eine der Schiebetüren der Abflughallen ging.
Einen Tag später, am Ende der Piazza....
Mir blieb nicht viel Zeit, aber die brauchte ich auch nicht. Ich blinzelte aus dem Schatten heraus zum Glockenturm hinüber, dessen goldene Uhr mir zeigte, was ich wissen wollte. Noch eine Minute bis zur Mittagsstunde, dann würde die Sonne auf dem höchsten Punkt stehen. Schnell warf ich einen Blick zu beiden Seiten der kleinen Gasse um mich zu vergewissern, dass sie mich und mein Vorhaben nicht zu früh entdeckten, doch Nichts deutete darauf hin, dass mich die zahlreichen Diener der Volturifamilie schon wahrgenommen hatten. Gestern hatten sie sich noch geweigert mich zu töten, heute würde ihnen nichts anderes übrig bleiben, wenn sie sich nicht verraten lassen wollten.
Der Platz vor mir quoll fast über vor Menschen, die lachend und singend feierten. Ihr durchdringender Duft machte meinen Hunger wild, doch es war egal. Es würde ihn so wie so bald nicht mehr geben. Hauptsache war nur, dass sie da waren, perfekt für mich. Ich gestattete mir noch einmal einen Gedanken an Carlisle und Esme und an den Kummer den ich ihnen bereiten würde, doch dann wischte ich meinen Kopf leer. Ich musste es einfach tun. Es war ein verzweifelter Versuch, doch egal wie er ausgehen würde, es gab keine andere Möglichkeit.
Plötzlich fing die Uhr an schlagen. Ihr tiefes Dröhnen brachte die Steine unter meinen Füßen zum beben und so schnell ich konnte, riss ich mir das Hemd, das ich anhatte vom Leib. Lautlos fiel es vor mir auf dem Boden. Wieder donnerten die Glocken, als wenn sie mich antreiben wollte und gehorsam schloss ich die Augen. Zwei Schritte, die mich vom dem hellen Sonnenlicht trennte, dass sich nur wenige Zentimeter vor mir ausbreitete. Ich streckte mich noch mal und dann traf es mich wie ein Schlag. „Edward nein!“ Ich erstarrte, für eine Sekunde glaubte ich sie zu hören. Ihre Stimme zu hören! Dann waren da nur wieder die Glocken. War es der nahe Tod, der meine Sinne so verwirrte, so dass ich hörte, wonach ich mich so sehnte? Trotz der leichten Furcht vor dem, was gleich mit mir passieren würde, breitete sich endlich wieder das warme unbeschreibliche Gefühl in meiner Brust aus, dass ich nur verspüren konnte, wenn sie bei mir war. Vielleicht würde ich sie ja so gar noch einmal sehen bevor... War der erste Schritt noch zögerlich gewesen, war der Folgende regelrecht fordernd.
Fast zeitgleich schrie sie mir ins Ohr „ Nein, Edward, sieh mich an!“ Es war so schön, so schön. Ich lächelte und wollte noch mehr. Mein Fuß hob sich für den nächsten Schritt, dann stieß etwas gegen mich und ganz automatisch schlangen sich meine Arme darum, bis die süße, einzigartige Welle meine Nase durchströmte. In meinem Kopf begannen Sterne zu tanzen. Konnte das wirklich sein?
Langsam, aus Angst doch noch enttäuscht zu werden, öffnete ich die Augen und was ich sah machte mich sprachlos. Sie stand tatsächlich vor mir atemlos keuchend, ihre langen Haare zerzaust und wild, ihre herrlichen Augen strahlend wie zwei Sterne mit Wangen unter denen das Blut zu rasen schien.
Entweder starb ich noch, oder ich war tatsächlich im Himmel, bei ihr und nicht verdammt im Fegefeuer der Hölle. Sollte ich wirklich so viel Gnade erfahren haben, nach all den Sünden, die ich begangen hatte?