Schwäche
Ich hätte sie nicht fragen sollen ob sie mit mir nach Seattle fährt. Es war ein Fehler und wenn ich nicht aufpasste sogar ein folgenschwerer, aber ich konnte nicht anderes. Diese Gefühle und diese Neugierde brachten mich fast um. Die helle Sonne stieß ihre verräterischen Strahlen durch das dichte Blätterwerk um mich herum, aber meine Sinne versicherten mir, dass ich vollkommen alleine war. Der Wald gehörte mir. Langsam schlich ich mich durch die dichten Farne ohne das kleinste Geräusch zu verursachen. Selbst die Vögel, die dicht neben mir im Gebüsch saßen, bemerkten mich zu ihrem eigenen Schrecken viel zu spät und so stobten aufgeregt davon. Ich wollte nur den Tag hier verbringen versuchte ich mir selber einzureden, um meine wirren Gedanken zu ordnen und um mich vielleicht mit einer kleinen Jagd abzulenken, nicht um vor den andere und ihren Vorwürfen davon zu laufen. Alice hatte mir sofort angeboten mich zu begleiten, doch ich wollte lieber alleine sein und sie verstand sofort. „Keine Sorge du machst keine Dummheiten“ hatte sie mir meine unausgesprochene Frage beantwortet, bevor ich mich zwischen den Bäumen davon gestohlen hatte. Heute Abend würde ich mir garantiert noch einige bissige Kommentare von Seiten von Rose anhören dürfen, die sie sich meinet wegen sparen konnte, auch wenn sie zweifelsohne im Recht war. Ich gefährdete unsere Maskerade, unsere Sicherheit unser zu Hause und warum? Wegen eines Menschen dessen Duft mich wahnsinnig machte und dessen Gedanken mir zu allem Überfluss auch noch vollkommen verborgen blieben. Unwirsch riss ich im vorbei gehen ein Büschel Blätter von einem Gebüsch, wobei ich fast die ganze Pflanze entwurzelte. Ich begriff mein irrationales Verhalten ja selbst nicht. Seufzend schüttelte ich den Kopf. Warum waren da noch diese anderen Gefühle? Diese unverständlichen, komischen, fremden Gefühle, die noch viel beunruhigender waren, als der unbeschreibliche Durst und die Frustration über die Grenzen meiner Fähigkeiten.
Gefühle dich sich nicht auf ihr süßes Blut bezogen, sondern alleine auf ihre Person. Ihr zartes Gesicht tauchte vor meinen Augen auf. Das Gesicht mit der durchscheinenden, feinen Haut, den tiefen braunen Augen, in denen man am liebsten versinken mochte, wenn man in sie hinein schaute. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen. Oh nicht schon wieder. Es passierte schon wieder. Ich dachte an sie in dieser Art und Weise, dabei wollte ich es nicht. Wollte es nicht, weil es so falsch war.
Plötzlich fuhr ein heftiger Windstoß durch die Bäume und was er mit sich trug, ließ mich augenblicklich erstarren und dass Tier in mir frohlocken.
Ich hatte bei meiner Grübelei einfach nicht mehr darauf geachtet wohin ich lief.
Sie musste draußen sein, ansonsten hätte ich sie niemals so stark gerochen. Mühsam presste ich meine Kiefer zusammen und versuchte gegen den Drang zu gewinnen, mich sofort auf ihre Fährte zu stürzten. Das Gift verklebte meine Zunge und versuchte ebenfalls meinen Verstand zu verdrängen, während ich mich stocksteif machte und meine Beine dazu zwang dort zu bleiben, wo sie waren. Es kostete mich so viel Kraft. Das Ungeheuer in mir trommelte unentwegt gegen meinen Schädel und forderte die sofortige Freilassung, doch ich war stärker. Keuchend, ballte ich die Hände zu Fäusten, bis ich wusste, dass ich gewonnen hatte. Erst dann traute ich mich einen Schritt zu tun. Der, wenn es nach der Vernunft ging mich in Richtung unseres Anwesens bringen sollte, weit weg von ihrem verlockenden Duft, aber welche Rolle spielte bei mir noch die Vernunft? Die Briese war Gott sein dank vorüber, aber ich wusste dennoch welchen Weg ich gehen musste, um sie erneut zu riechen, auch wenn es ein Fehler war.
Die Hinterseite des kleinen Häuschen von Chief Swan tauchte wie eine Erscheinung hinter den letzten schmalen Stämmen des Waldes auf, als ich mich wie ein Dieb an den Rand des Gartens heran pirschte. Die leeren Fenster im ersten Stock sahen mich strafend dabei an, doch es war mir egal, denn was meine Augen sahen, ließ meinen Verstand erneut schmelzen. Sie lag mitten auf der Wiese, auf einer Decke, ausgestreckt, völlig bewegungslos. Im ersten Moment durchfuhr mich der Schreck ihr könnte erneut etwas passiert sein, doch ihr regelmäßiger, ruhiger Herzschlag verriet mir, dass sie unverletzt war. Das sie schlief. Unschuldig und vollkommen hilflos. Wieder erwachte das Tier, denn es witterte seine Chance. Niemand war hier. Kein Mensch, der mich dabei sehen würde, wie ich mich über sie beugte. Über ihren nackten freien Hals, der mich mit seinem Aroma wie eine unwiderstehliche Sirene zu sich lockte. Hol mich! Auch sie würde mich nicht sehen, mich nicht einmal spüren, wenn meine Zähne sich rasend schnell durch ihre Haut bohrten um meiner Kehle endlich den ersehnten Saft zu schenken, nach dem sie sich so sehr verzehrte.
Ich wollte es nicht, ich wollte es wirklich nicht aber bevor ich überhaupt richtig denken konnte, lag ich bereits über ihr. Beide Arme rechts und links von ihrem Kopf abgestützt, die Zähne gefletscht, bereit dem Tier zu geben was es wollte.
Nein!! Knurrend riss ich mich herum. Obwohl ich mit zuckenden Fäusten neben ihr lag, wachte sie nicht auf. Ihre Lider blieben schlossen, der friedliche Ausdruck den sie mir zu wandte blieb bestehen. Verzweifelt nach Beherrschung ringend blickte ich sie an. Unsere Gesichter waren nur wenige Zentimeter von einander entfernt. Sie ist ein unschuldiges Mädchen, schrie ich das Monster an, dass immer noch nach ihr gierte. Ein unschuldiges, hübsches, einzigartiges Mädchen. Ich blinzelte, ihre braunen, lange Haare umwehten ihre feinen Züge, während der Wind mit ihm spielte. Je länger ich sie betrachtete und mir dabei vorstellte wie ich wieder mit ihr sprach, desto schneller gewann ich endlich wieder die Kontrolle über mich zurück. Ihre Stimme stellte ich mir vor, wie ich sie hörte, die immer ein Tick tiefer wurde, wenn sie sauer war. Trotz der ernsten Situation in der wir uns immer noch befanden, sie unwissend schlafend ich dafür um so bewusster wach und erregt musste ich bei diesem Gedanken lächeln. Sie konnte so herrlich wütend werden, vor allem wenn sie wusste dass man ihr etwas vor machte, dann funkelten ihre Augen wie Sterne. Dieser Gedanke allerdings ließ das Lächelns schnell wieder verschwinden. Er machte mir klar wie nahe ich sie schon an die Wahrheit hatte ran kommen lassen, zu nahe, viel zu nahe. Wenn sie doch nur einen Funken Ahnung in sich hätte, in welcher Gefahr sie schwebte. Sie wäre bestimmt so schnell wie möglich von hier geflohen. Zu ihrer Mutter nach Florida in Sicherheit vor mir, aber diesen Gefallen tat sie mir nicht. Sie blieb. Meine Kehle flammte erneut auf, als noch einmal der Wind über uns hinweg blies. Wie lange würde dieses Spiel noch gut gehen, wann würde ich und damit sie verlieren? Meine Hand schob sich vorsichtig zu ihr heran. Wie ein Stück Metal von einen Magnet unwiderstehlich angezogen. Doch bevor ich sie berühren konnte, hörte ich ihren Vater und dann seinen Wagen, der in die Straße einbog.
Das letzte was ich sah, als ich mich wieder im Wald versteckte, war ihr Kopf der schlaftrunken hoch fuhr und dann suchend um her schaute. Fast schon, als wenn sie mich suchte. Ich schauderte innerlich, doch dann stand sie stolpern auf und verschwand samt Decke im Haus. Verschwand aus meinen Augen, aber nicht aus meinem Sinn.