Dinge, die ich nicht verstehe
~Dinge, die ich nicht verstehe~
Tatsurou´s Sicht
Der Auftritt war wieder mal ein voller Erfolg gewesen. Es ist schön auf der Bühne zu sein, bewundert zu werden und von oben auf diese glücklichen Menschen zu sehen. Manchmal jedenfalls. Doch jetzt, hier, in diesem dunklen Hotelzimmer, in diesem kalten, fremden Bett, auf dem es mir schwer fällt einzuschlafen, fühle ich mich plötzlich so allein und verlassen...so unwichtig, als würde mich niemand vermissen, wenn ich heute nacht sterben würde. Eigenartig, so etwas zu denken, wen man doch, jedenfalls eigentlich, glücklich sein sollte, zumindest in meiner Lage. Ich sollte mich wirklich nicht beschweren, mir geht es besser als manch anderem und doch kann ich dieses Gefühl nicht einfach abstellen, aber verstehen kann ich es auch nicht.
Mir wird immer kälter und ich rolle mich auf dem unbequemen Bett zusammen. Tränen bilden sich in meinen Augen. Wieso heule ich den jetzt? Tatsu, du bist echt ein Fall für die Klapse. Der Sarkasmus hat mir schon immer geholfen über Dinge, die nicht zum lachen sind, trotzdem zu lachen und sie so schnell wie möglich zu vergessen. Heute geht das nicht, ich bin mit meinen Gedanken alleine. Nicht mal Yukke kann ich heute Ärgern, denn dieses mal hat jeder ein Einzelzimmer bekommen. Mein durch Tränen vernebelter Blick schweift durch den Raum. Das erste, das ich sehe, ist der kleine Tisch an der Wand vor dem ein billig aussehender Stuhl platziert ist. Unwichtig. Ich sehe mich weiter um und mein Augenpaar bleibt am Fenster hängen. Es ist Vollmond. Wer mag den Mond nicht? Er hat eine faszinierende Wirkung auf körperliche und geistige Fähigkeiten, spielt in der Poesie und Literatur eine gewisse Rolle und in der Romantik eine Geige. Was denke ich den da? Naja, wenigstens ist es eine Ablenkung.
Mir mit dem Ärmel übers Gesicht wischend, stehe ich auf und gehe zum Fenster. Die Heizung darunter spendet wenigstens ein bisschen wärme. Ausdruckslos starre ich durch die nacht, fixiere irgendeinen Punkt am Himmel.
Einfach wieder in mein Bett gehen, einen ruhigen und erholsamen Schlaf haben, auf Konzerten singen, Freude am Leben haben, das alles will ich. Doch bekomm ich es? Kann sein, bis auf letzteres. Manchmal hasse ich mich selbst für meinen Pessimismus, aber verdrängen kann ich ihn nun mal nicht. Und das diese Grübelei, mitten in der Nacht, irgendwas bringen wird, glaube ich auch nicht. Es scheint alles so friedlich da draußen zu sein. Erst als ich Rauch aufsteigen sehe, wende ich meinen Blick vom Himmel. Ein Mann raucht, an einer Straßenlaterne angelehnt, eine Zigarette. Mir kommt er sehr vertraut vor.
Damit ich ihn besser erkennen kann beuge ich mein Gesicht weiter vor, das kalte Glas der Fensterscheibe die ich mit meiner Stirn berühre, außer acht lassend. Langsam dämmert es mir. Durch das Licht des Mondes und die Laterne kann ich die Konturen seines Gesichtes erkennen - eine kleine Stupsnase, Kulleraugen, die ein schwarzer Glanz prägt und diese Mütze die ich schon immer so niedlich an ihm fand. Es besteht kein Zweifel, das muss Yukke sein. Aber wieso ist er noch wach? Diese Gedanken verdrängen die anderen, depressiven Gedanken aus meinem Kopf. Plötzlich verspüre ich das Gefühl, mit meinem Bandkollegen reden zu wollen. Ich hab ihn schon immer gemocht. Er scheint immer glücklich zu sein, nie müde und wen doch, dann zeigt er es nicht. Wenn ich mir sein Lächeln vorstelle, dann muss ich selbst lächeln. Es macht mich glücklich, er macht mich glücklich.
Ohne groß nachzudenken, greife ich nach meiner Jacke, ziehe meine Schuhe an und gehe schnell, ja renne fast, aus dem Hotelzimmer Nr. 49 und fliege regelrecht die Treppe hinunter. Je näher ich meinem Ziel komme desto breiter wird mein Grinsen. "Wie ein Kind", geht es mir durch den Kopf. Aber im Grunde ist es mir egal, ob ich mich nun wie ein Baby, Kleinkind, eine Diva oder Zicke benehme, um diese Zeit gibt es sowieso keine Reporter oder kreischende Fans, die mir auf die Nerven gehen können. Jetzt zählt nur noch Yukke, der mich von meiner quälenden Einsamkeit befreien wird.
Die Eingangstür macht ein unangenehmes Geräusch, als ich sie öffne - und ein nicht gerade leises, doch zum Glück ist niemand da und gehört hat es glaube ich auch niemand. Meine Schritte werden immer langsamer, mein Atem immer leiser. Ein paar Meter vor ihm komme ich zum stehen, sehe ihn mir an. Er hat mich noch nicht bemerkt. Es scheint so, als würde er tief in Gedanken sein. Sein Gesicht regt sich nicht, als hätte die Kälte dieser Nacht seine Züge, seine Mimik, eingefroren. Ich kann es zwar nicht ganz erkennen, da ich nur sein halbes Profil sehen kann, aber er scheint etwas traurig und sehnsuchtsvoll Gestimmt zu sein. Auf einmal dringt ein leises Seufzen aus seiner Kehle. Ein Seufzen das ich, obwohl es so leise und schwach ist, hören kann und es mir einen Schauer über den Rücken jagt. Langsam mache ich mir Sorgen, denn dieses Verhalten ist so gar nicht "Yukkemässig".
"Yukke?", dringt meine Stimme jetzt durch die Stille, will das sagen was schon die ganze Zeit in meinem Kopf rumschwirrt, "Was ist los?". Mit einer ruckartigen Bewegung dreht er sich zu mir um. Er sieht aus wie ein Kind das von seiner Mutter bei etwas verbotenem Erwischt wurde. Der Schock steht ihm ins Gesicht geschrieben. Und man kann noch etwas anderes erkennen, etwas das seine Wangen hinabläuft. Weint er etwa?
"Yukke...", meine Lippen bewegen sich aber kein Laut ist zu vernehmen. Mit langsamen, kurzen Schritten gehe ich auf ihn zu und flüstere seinen Namen, frage ihn, wieso er weint und was überhaupt los ist. Er steht nur da, rührt sich keinen Zentimeter, wie eine Skulptur aus Stein. Selbst als ich ihm mit meinen Fingerspitzen an seiner Wange berühre und seine Tränen mit meinem Daumen wegwische, ist das einzige Anzeichen von Leben, seine Augen, die auf meine Hand sehen.