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Illusion of Time/Gaia

von

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Illusion of Time
 

Die Bewohner Südkaps, einer kleinen aber äußerst wohlhabenden Hafenstadt, waren ein merkwürdiges Völkchen. Nichts war ihnen wichtiger als ihre Ruhe. Im ganzen Königreich brüsteten sie sich mit der Stille und dem Frieden ihrer Heimat. Und in der Tat - nichts an dieser perfekten Szenerie wirkte fehl am Platz, alles war ruhig, alles hatte seinen Platz und nicht einmal die streunenden Tiere konnten die Harmonie stören. Ein vollkommenes Bild der Idylle. Bis jetzt.

Letztendlich jedoch war der Augenblick gekommen, den die friedliebenden Bewohner Südkaps am meisten fürchteten - das Klingeln der Schulglocke. Das Unheil verkündende Geräusch war gerade verhallt, schon wurden die Türen der Schule aufgerissen, um der erstaunlich gewaltigen Masse an Schülern endlich Zugang ins Freie zu gewähren. Kaum war der Strom versiegt, trat auch einer der schlimmsten Störenfriede ins Tageslicht und streckte sich erst einmal ausgiebig. Gut gelaunt sah er sich um. Der Himmel war blau, das Meer ruhig; es versprach noch ein herrlicher Tag zu werden, wenn auch nicht mehr allzu viel davon übrig geblieben war.

Will hatte erst vor wenigen Tagen seinen vierzehnten Geburtstag gefeiert, und seine gute Laune deswegen schien kein Ende nehmen zu wollen - sehr zum Leidwesen der Stadtbewohner. Will war seit dem Tag, da das Schicksal ihn vor genau einem Jahr nach Südkap geführt hatte, nichts als ein Unruhestifter gewesen. Er jagte Katzen, scheuchte die Hühner auf und einmal hatte er sich sogar erdreistet - es war mittlerweile streng verboten, darüber zu sprechen - den Blumengarten der Frau des Bürgermeisters in dem Versuch zu ruinieren, deren Katze zu bestatten - lebendig.

Er hatte nur wenige Hobbys. Das eine war Flöte spielen. Zu seinem sechsten Geburtstag hatte er von seinem Vater eine Flöte bekommen, die er seitdem Tag und Nacht bei sich trug. Das andere war - springen. Ja, Will liebte es zu springen. Er sprang weiter und höher als jeder andere in der Stadt, was so ziemlich das Einzige war, worauf er stolz sein konnte. Nicht selten erschreckte er arme alte Frauen, indem er von meterhohen Häusern einfach auf die Straße sprang, nur um den Rausch der Geschwindigkeit zu genießen. Als drittes Hobby spielte er - wie gesagt - Streiche.

Einzig und allein Wills Vergangenheit hatte ihn bislang vor einem Ausschluss aus der Gemeinde bewahrt. Als er in Südkap angekommen war, war er kaum noch am Leben gewesen. Er hatte wirre Geschichten von seinem Vater und einem Abenteuer erzählt, das sie angeblich gemeinsam bestritten hatten. Am Eingang zum Turm von Babel seien sie getrennt worden, gerade als sie gedacht hatten, es sei vorüber. Will hatte es geschafft, sich zu seinen einzigen lebenden Verwandten hierher nach Südkap durchzuschlagen - seinen Großeltern. Sein Vater jedoch war seitdem verschollen… Will schien sich nicht daran zu stören. Ganz im Gegenteil, er hatte stets fest an die Wiederkehr seines geliebten Vaters geglaubt, und diese geduldig erwartet. Eines Tages würde er losziehen und seinen Vater finden.

Heute allerdings hatte er andere Pläne. Er würde sich und der Stadt eine kleine Pause gönnen und sich mit seinen Freunden an ihrem geheimen ‘Stützpunkt’ treffen.

Drei Stufen auf einmal nehmend rannte er die Treppen zum Hafen hinunter, vorbei an den Schiffen und Fischständen (ohne den missbilligenden Blicken feilschender Frauen besondere Beachtung zu schenken), immer weiter den Steg entlang, bis er schließlich vor seiner guten alten Seehöhle stand. Sie war nicht größer als fünf Quadratmeter, doch seit jeher diente sie Will und seinen Freunden als Zufluchtsstätte und Aufenthaltsort nach der Schule; für die kleine Gruppe war sie so etwas wie ihr zweites Zuhause.

Als Will die Höhle betrat, begrüßten ihn zwei seiner guten Freunde mit einem freundlichen Grinsen. Zu mehr war keine Zeit, schließlich waren sie gerade in eine erbarmungslose Partie ‘Fang-den-Fischer’ vertieft. Offenkundig war Seth am Gewinnen - wer auch sonst? Die bebrillte Intelligenzbestie mit dem spitzen Gesicht und den violetten Haaren war den Freunden in allem haushoch überlegen, was in irgendeiner Weise den Verstand beanspruchte; und in allem hoffnungslos, was auch nur ein Mindestmaß an körperlicher Aktivität benötigte. Der Junge, der ihm gegenübersaß, hieß Lance. Er war genauso alt wie Will, was die beiden des Öfteren zu spielerischen Machtkämpfchen veranlasste. Selbst sein Haar ähnelte dem von Will (er behauptete stur, Will habe seine Frisur kopiert).

Gerade als Will nach dem letzten im Bunde fragen wollte, kam dieser in die Höhle gestolpert. Erik war das Nesthäkchen der Gruppe. Mit seinen 11 Jahren war er nicht nur der Jüngste, sondern auch der Ängstlichste und Zurückhaltendste der Jugendlichen. (Auch wenn die anderen in letzter Zeit eifrig an ihm gearbeitet hatten: Vor ein paar Tagen hatte er - mit ein klein wenig Unterstützung - doch tatsächlich mit einem echten Mädchen gesprochen!)

Sein hübsches, eigentlich braun gebranntes Gesicht war nun aschfahl.

»Hey, Leute!«, begann er außer Atem. »Ihr erratet nie, was ich gerade gehört hab. Die Prinzessin soll abgehauen sein! Der König lässt überall nach ihr suchen; man vermutet sie sogar hier in Südkap!«

Sollte er von seinen Freunden eine ähnliche Reaktion erwartet haben, wie von sich selbst, so wurde er recht schnell von Lance enttäuscht.

»Das ist alles?! Du bist hier hereingeplatzt, als ob wir angegriffen würden. Sag mal, bist du in die Prinzessin verknallt oder was?«

Erik war bei diesen Worten knallrot geworden. »Ähm - natürlich nicht, aber vielleicht kommen die Soldaten ja hierher, um sie zu suchen. Wenn die hier auftauchen, kriegen wir einen Mordsärger. Wir dürfen hier eigentlich nicht spielen!« Als er erkannte, dass die anderen wohl doch nicht mehr vor Schreck im Kreis springen würden, gab er auf und setzte sich beleidigt auf seinen Platz. »Wir sollten trotzdem aufpassen…«

Lance schien die Geduld zu verlieren. »Egal jetzt. Mach schon, Will, setz dich hin, damit wir endlich anfangen können!«

»Wartet mal!«, warf Erik ein. »Ich möchte Wills telekinetische Kräfte sehen! - Hat er sie dir noch nicht gezeigt?«, fügte er an Lance gewandt hinzu, denn dieser hatte ihn mit fragendem Blick angestarrt. »Er bewegt Dinge, ohne sie zu berühren!«

Will schwieg. Es stimmte, er hatte diese Gabe, und er hatte versucht, sie geheim zu halten. Er hatte nicht die geringste Ahnung, weshalb er diese Dinge konnte, und er wollte den Stadtbewohnern nicht noch einen Grund geben, ihn wie ein Monster zu behandeln. Vor Erik jedoch - so schien es - konnte man einfach nichts geheim halten. Er hatte es doch tatsächlich zustande gebracht, Will genau zu dem Zeitpunkt einen Besuch abzustatten, in dem dieser gerade seine neu entdeckten Talente ausprobierte.

»Na los, Will!«, drängte Erik.

»Ja, Will, das will ich sehen!« Lance war nun Feuer und Flamme. Er hatte eine Vorliebe für Übernatürliches und Unbekanntes.

Schließlich gab Will nach und positionierte sich drei Meter vor einem lockeren Felsbrocken, der etwa das Gewicht von Erik hatte, und konzentrierte seinen Geist auf ihn. Während sich sein komplettes Wesen auf das Gestein fokussierte, wurde alles andere ausgeblendet. Nun gab es nur noch ihn und das Objekt, das er zu bewegen wünschte. Ein paar Sekunden lang stellte er sich vor, wie der Fels auf ihn zukam; dann mobilisierte er etwas in sich und übertrug es auf den Felsen. Lance und Seth staunten nicht schlecht, als der er sich tatsächlich auf Will zu bewegte.

»Wow…«, flüsterte Lance. Nun war er nicht mehr zu halten. Er nahm vier Karten und legte sie vor sich auf den Tisch. »Okay, Will. Welche ist das Karo-As?«

Nachdem Will zehnmal hintereinander ohne Schwierigkeiten das Karo-As gezogen hatte, pfiff Lance anerkennend.

Selbst Erik, der nun wirklich reichlich Gelegenheit gehabt hatte, Wills Fähigkeiten zu bestaunen, stotterte nur immer wieder »Unglaublich… Einfach unglaublich…« vor sich hin. »Hey, sag mal, Seth - das ist doch so eine Art Psycho-Kraft, oder?«

Seth fühlte sich sogleich bei seinem Ehrgeiz gepackt. Er räusperte sich kurz. »Es muss sich hierbei tatsächlich um eine Art psychische Kraft handeln. Die meisten Leute haben fünf Sinne: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen. Ich vermute, bei Wills Kräften handelt es sich um einen sechsten Sinn. Es gibt eine Menge ungemein interessanter Literatur, die sich mit genau diesem Thema befasst…«

Lance´ Gesicht brachte ihn zum Schweigen, denn es schrie förmlich das Wort ‘Langweilig!’. Er kratzte sich resigniert am Kopf.

»Aber, Leute -«, sagte Will mit besorgtem Blick. »Kein Wort! Zu niemandem, klar?«

Die anderen nickten eifrig.

»Wie auch immer, Psycho-Krims-Krams hin oder her, im Kartenspielen schlägt mich trotzdem keiner«, rief Lance und mischte die Karten neu.

Das war eine eindeutige Herausforderung, die Will keinesfalls ausschlagen durfte.
 

Als Will die Seehöhle endlich verließ, war es bereits dunkel. Seine Freunde hatten ihn noch stundenlang mit Fragen über seine Kräfte gelöchert, bis es ihm schließlich zu viel geworden war und er sich genervt verabschiedet hatte. Außerdem erwartete Oma Lola ihn zu Hause mit einer ihrer leckeren Pasteten.

Nun, er wurde erwartet, doch seiner Oma Lola sah das Wesen eigentlich nicht ähnlich. Er musste dreimal hinsehen, bevor er sich sicher war, seinen Augen trauen zu können. In seinem Wohnzimmer lief ein kleines Ferkel herum.

»Ähmm - Oma? Opa?«

Er hörte Schritte auf der Treppe, doch wieder gehörten sie nicht zu der Frau, die jetzt gefälligst eine Pastete zu servieren hatte; aber immerhin zu einem Menschen. Zu einem Mädchen, um genau zu sein. Einem ausgesprochen hübschen Mädchen. Sie trug ein bodenlanges, rosafarbenes Kleid, das schon einmal nicht gerade von armer Herkunft zeugte, und auch ihr schwarzes, schulterlanges Haar war mit einem kostbaren Haarreif geschmückt. Doch das Erstaunlichste an ihr waren ihre Augen - dieses Mädchen hatte die größten, wunderschönsten Augen, die er je gesehen hatte.

»Aber Hamlet!«, begann sie tadelnd. »Du sollst doch keine Fremden angrunzen!« Sie wandte sich an Will, ohne jedoch ihren Ton großartig zu ändern. »Ist das dein Haus?«

Will musste ein paar Mal schlucken, bevor er seine Stimme wieder fand. »Ähmm - es gehört meinen Großeltern.« Er räusperte sich noch einmal, dann bemerkte er, wie sie ihn musterte.

»Dann musst du Will sein. Du siehst ein bisschen schäbig aus…«

»Es gibt wichtigere Dinge«, antwortete er, nicht wissend, ob er beleidigt oder einfach nur genervt reagieren sollte. Wer war dieses Mädchen? Und was hatte sie in seinem Haus verloren?

Sie wechselte blitzschnell das Thema. »Was ist eigentlich mit deinen Eltern?« Als er nicht sofort antwortete, ging sie an ihm vorbei und betrachtete eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie. »Sind das deine Eltern?«

Will nickte. »Mein Vater war Forscher. Er -«

»Ich weiß«, unterbrach sie ihn. »Olman, der Forscher. Man sagt, er sei verschollen.«

»Eines Tages wird er zurückkommen…«, antwortete Will mit belegter Stimme.

Hamlet wählte diesen Augenblick, um ein beeindruckend lautes Grunzen zum Besten zu geben.

»Denkst du oft an deinen Vater? Es muss sehr schwer für dich sein. Ich fühle mit dir… Magst du eigentlich Musik?«

Diese Sprunghaftigkeit begann, Will auf die Nerven zu gehen. »Ja, schon. Meine Großmutter Lola ist eine begnadete Sängerin.«

»Ich habe sie oben singen gehört. Sie hat eine bezaubernde Stimme!«

Ah, Oma Lola war also doch hier! Er ließ das mysteriöse Mädchen einfach stehen und stieg die Wendeltreppe hinauf nach oben. Und dort stand sie, die Frau, die ihm noch eine Pastete schuldig war!

»Um Himmels Willen, Will!« Sie wirkte erschrocken. »Ist es schon so spät? Entschuldige, Spätzchen, wenn ich singe, verliere ich jegliches Zeitgefühl… Ich fürchte, du wirst noch etwas auf das Essen warten müssen.«

Will nickte missmutig; sein Großvater lächelte nur.

»Nimm´s ihr nicht übel«, sagte er vergnügt. »So wie heute habe ich sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr singen gehört! Weißt du, früher war sie eine große Sängerin. Ihre Stimme hat mich verzaubert; aus diesem Grund habe ich mich in sie verliebt.«

Oma Lola kicherte verlegen. »Ach, Liebling, das ist schon so lange her. Schau nicht so, Will ( - denn Will hatte über diese Information tatsächlich seine Pastete vergessen und seine alte Großmutter unverwandt angestarrt - ), ich war auch mal jung. Einmal habe ich sogar -«

Doch weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment hallte ein schriller Schrei durch das Haus.

»Das kam von dem Mädchen!«, rief Großvater alarmiert und rannte los, dicht gefolgt von seiner Frau und seinem Enkel. Unten angekommen blieben alle drei wie angewurzelt stehen. Im Raum standen zwei Soldaten des Königs und drängten das Mädchen in eine Ecke.

»Kara!«, stieß der eine hervor. »Wir haben Euch überall gesucht!«

»Ich kenne dich nicht! Verschwinde!«, schrie sie ihn an.

»Aber Kara!« Seine Stimme nahm nun einen weichen, bettelnden Ton an. »Wenn ich Euch nicht zurückbringe, werde ich um einen Kopf kürzer gemacht!«

»Was kümmert es mich, ob du deinen Kopf verlierst?«

»Prinzessin!«

An diesem Punkt machte etwas klick in Wills Kopf. Prinzessin?

»Glaubt Ihr, wir hätten nichts Besseres zu tun, als Euch hinterher zu jagen?! Ich muss Euch zurückbringen. Befehl des Königs.«

Gesagt, getan. Er griff nach der Prinzessin und zog sie an den Haaren nach draußen. Doch vorher rief sie ihm noch etwas zu.

»Will, es tut mir Leid! Ich bin Kara, die Tochter des Königs! Es kommt mir so vor, als würden wir uns schon lange kennen! Als wären wir gute Freunde!«

Damit verschwand sie endgültig. Will und seine Großeltern starrten ihnen nach - unfähig, sich zu bewegen. Oma Lola schien vollkommen in Gedanken verloren zu sein.

»Edwards Schloss…«, flüsterte sie. »Darunter… befindet sich eine große Unterführung.« Sie sah Will an. »Dein Großvater hat sie gebaut.«

Das brachte Will zurück ins Gespräch. »Opa? Ehrlich?«

Großvater wandte sich um. Direkter Augenkontakt schien im plötzlich peinlich zu sein. »Ich war früher Architekt. Unter dem Schloss ist ein Gefängnis. Es ist wie ein Labyrinth gebaut, um jede Flucht unmöglich zu machen. Ich bin nicht stolz darauf, etwas geschaffen zu haben, worin Menschen für immer verschwinden…«

Oma Lola sah ihren Mann einen Augenblick lang mitfühlend an. Dann setzte sie ein aufmunterndes Lächeln auf und sagte: »Genug geredet. Zeit zum Essen.«

Die Worte, auf die Will den ganzen Tag gewartet hatte, und die die merkwürdige Begegnung mit der Prinzessin schnell in den Hintergrund drängten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  TARA!!
2007-02-26T19:47:42+00:00 26.02.2007 20:47
Du hast nenn klasse schreibstil !!! und ich will weiter lesen jetzt!!!! schreib gaaaaaaaannnzzz schnell weiter bitte!


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