Wer ist hier eigentlich der Leidtragende?
Aus der Sicht von Robin
Die Wellen schlugen geräuschvoll gegen den Bug des Schiffes.
Ein eisiger Wind zog auf, brachte die Blätter der Orangenbäume zum Rauschen.
Aber was interessierten mich jetzt Namis Bäume oder dieses gottverdammte
Wasser?
Es gab schließlich andere, weitaus wichtigere Dinge, die in meinem Kopf
herumspuckten.
Schwer verdauliche Dinge. Dinge, die mein Leben verändern würden.
Wie sollte ich mit Zorros Entscheidung bloß klarkommen?
Ohne ihn ist die Strohhutbande nicht mehr das, was sie einst war.
Ohne ihn ist es nicht mehr die Strohhutbande.
Und dabei hatte er doch gerade damit angefangen, mich nicht mehr nur noch mit
verachtenden Blicken zu erniedrigen oder mich als Verräterin zu betiteln.
Zumindest hatte ich das Gefühl.
Und jetzt sitze ich hier, am Deck der Flying Lamb, die Arme um meine Knie
geschlungen, und denke an ihn.
Was sollte ich bloß tun?
Aufstehen und der Realität ins Auge sehen?
Sitzen bleiben und hoffen, das alles wäre bloß ein schlechter Traum?
Im Augenblick konnte ich nichts von beidem.
Wie soll ich bloß aufstehen, so tun, als wäre nicht gewesen und ihm in aller
Heimlichkeit nachtrauern?
Wie sollte ich hier sitzen bleiben, nichts tun und hoffen, wobei Hoffnung in
meinen Augen nichts mehr an Bedeutung hatte?
Aber was war heutzutage noch von Bedeutung?
Das Leben oder die Liebe vielleicht?
Aber selbst Liebe ist vergänglich und sterben tun wir alle irgendwann einmal.
Die Einen früher, die Anderen später. So war der Zyklus des Lebens. Man wurde
geboren, um irgendwann mal zu sterben, sobald man seinen Tribut gezollt und
seine Arbeit verrichtet hatte.
Ich könnte mir genauso gut vorstellen, Zorro seie tot. Denn so oder so, er
würde bald nicht mehr da sein.
Aber das würde meine wahren Gefühle auch nicht überspielen. Im Gegenteil, es
würde mir wahren Kummer bereiten.
Ob jeder vielleicht schon mal solche Momente erlebt hatte?
Tage, an denen einfach alles schiefging und man sich zurückzog, am liebsten
stundenlang geheult hätte, in der Hoffnung, so würde alles besser werden.
Stattdessen wurde es schlimmer, die darauffolgenden Tage bereiteten einen nur
noch mehr Kummer und irgendwann war man an einem Punkt angelangt, an dem man
sich fragte, ob es überhaupt noch von Nutzen sei, zu leben.
Fühlten Sanji und Nami auch manchmal so? Und über was dachten Ruffy, Chopper
und Lysop nach?
Und Zorro?
Wie ging es ihm mit der Tatsache, dass er bald nicht mehr bei uns sein würde?
An einem fremden Ort, mit fremden Leuten? Würde er traurig sein?
Würde er seine Freunde vermissen? Oder war ihm das alles vielleicht total egal,
ein wenig Abwechslung sogar ganz recht?
Während ich da so saß, über die Welt und meine Probleme und die Probleme
derer, die mir etwas bedeuteten, nachdachte, merkte ich gar nicht, dass ich
Gesellschaft bekommen hatte.
Ich schaute zur Seite und erblickte schwarze Lederstiefel.
"Was machst du denn hier?", fragte ich Sanji und sah zu ihm hinauf.
Doch Sanji schwieg, steckte sich eine Zigarette an und schaute aufs Meer hinaus,
welches die Sonne in gleißendes Licht hüllte.
"Weißt du, Robin!", setzte er an, ohne mich anzusehen. "Es gibt viele Dinge,
die einem falsch und unwirklich erscheinen. Aber im Grunde tut man bloß das,
was man für richtig hält.
Was ich damit sagen will, ist, dass Zorro, ganz egal, wie es in deinen Augen
aussieht, das Richtige tut. Er hat ja nicht leichtsinnig entschieden, sich
darüber Gedanken gemacht und einen Entschluss gefasst. Seiner Meinung nach ist
es besser, wenn er mitgeht.
Eigentlich hatte ich ihm versprochen, die Klappe zu halten, aber wenn ich dein
trauriges Gesicht sehe, kann ich nicht anders. Hör mir gut zu, Robin"
Er sah mich aus den Augenwinkeln an, ehe er wieder auf das Meer starrte und
fortfuhr.
"Zorro hat es mir erzählt. Alles. Seinen ganzen Plan. Er will mit den Fremden
mit, herausfinden, wie sie leben, wie gefährlich sie sind, ob überhaupt große
Gefahr von ihnen ausgeht. Dann will er sich in einem unbeobachteten Moment
wegschleichen, zur Not auch allein gegen die ganze Mannschaft kämpfen. Und wenn
er dann wieder hier ist, bei uns, ist er nicht nur stärker, sondern kann uns
vielleicht sogar ein paar nützliche Informationen preisgeben.
Es ist ja nicht so, dass er für immer wegbleibt, Robin. Nur so lange, wie es
braucht.
Ein Jahr, vielleicht auch zwei, und dann sehen wir unseren grünhaarigen Vizen
wieder.
Robin! Du kennst Zorro, er wird das schon deichseln. Und irgendwann kommt der
Tag, an dem wir uns an diesen schovinistischen Ratten rächen werden. Und wenn
sie einen Märtyrertod sterben!" Mit diesen Worten warf Sanji den Stummel seiner
Zigarette zu Boden und drückte ihn mit dem Fuß aus.
Er wandte sich zum Gehen, hielt allerdings inne und schaute noch einmal über
die Schulter.
"Und Robin!", murmelte er. "Du trägst keine Schuld, Liebes. Du am
allerwenigsten!"
Dann war er verschwunden.
Verdutzt sah ich ihm nach. Wenn dem, was Sanji mir gerade eben erzählt hatte,
so war, warum erzählte mir Zorro dies nicht persönlich?
Warum schickte er Sanji voraus, damit dieser mir von seinem Schlachtplan
erzählte?
Irgendwie fühlte ich mich unwohl, war verärgert.
Langsam erhob ich mich, fühlte mich ganz schwach auf den Beinen. Ich beschloss,
dem werten Herrn Schwerkämpfer mal einen Besuch abzustatten.
So unter Kameraden, versteht sich.
Wenn man recht überlegte, war es ein Unding, das sein Zimmer genau neben dem
meinen lag, wo er mich doch so hasste.
Ich wollte gerade anklopfen, als die Tür aufsprang und mich ein verwirrter Zorro
ansah.
"Robin?", fragte er und stützte sich mit einer Hand am Türrahmen ab.
"Was machst du denn hier?"
"Ich wollte mit dir reden!", brachte ich mühsam heraus. In meinem Hals bildete
sich ein fetter Kloß. "Ich meine, bevor du abreist"
Zorro schien zu verstehen, denn er nickte und bat mich herein.
Ich bahnte mir einen Weg durch den mit Kleidungsstücken und Essensresten
belagerten Fußboden und setzte mich auf den Stuhl, der in der Ecke des Raumes
stand.
Zorro könnte zwischendurch ja mal ein wenig aufräumen. Ich könnte mir gut
vorstellen, dass er dies ebenso gut beherrschen würde, wie alles andere.
"Also, was willst du von mir?", erkundigte sich Zorro und setzte sich auf das
Bett gegenüber von mir.
"Was ist dein Anliegen?"
Wie es weitergeht, erfahrt ihr im nächsten Kapitel.