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Chrysalis Soul

Oder: Was passiert, wenn sich vier Verzweifelte begegnen... [NEUES KAPPI IS DA! http://animexx.onlinewelten.com/weblog/benutzer.php?weblog=166198#eintrag321219]
von

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It's You

-"Mancher Mensch hat ein großes Feuer in seiner Seele, und niemand kommt, um sich daran zu wärmen."-

(Vincent Van Gogh)
 

~~
 

"WAS?! Sie haben also absolut nichts Nennenswertes gefunden, Johansen?!"

Johansen seufzte verärgert, bevor er sich wieder seinem Salatsandwich widmete.

"Mein Gott, Kinomoto, ich bin schließlich nicht das Jesuskind!"

Toya stieß einen Laut der Frustration aus und knallte seine halbvolle Kaffeetasse auf die Bahre.

"Ich glaube, sogar das Jesuskind hätte in der Zwischenzeit schon mehr rausgefunden! Werden Sie etwa senil?"

"Senil ist gut! Diese dumme Nuss von Geschäftsfrau bereitet mir ernsthaftes Kopfzerbrechen, mein Lieber!", verteidigte sich der biedere Gerichtsmediziner, "Die Autopsie beweist zwar, dass sie eindeutig nicht ihre Tage hatte, sondern getötet wurde, und das von einem Rechtshänder mit sehr kräftigen Extremitäten, und vielleicht noch, dass ihr Todeskampf kaum mehr als eine halbe Minute in Anspruch genommen hat--..."

"Eine halbe Minute?! Da hatte es aber jemand eilig."

"Blieb ihr leider auch gar nichts anderes übrig", meldete sich Yukito beflissen, der bis eben noch damit beschäftigt war, die tadellos zersäbelte Lunge der Unternehmerin in eine Plastiktüte zu verfrachten, "Ich hätte da nämlich eine Theorie-..."

"Gott, Tsukishiro, verschonen Sie uns bloß mit Ihren Theorien", schmatzte Johansen und legte sein Sandwich auf Nobuhikos Brust ab, um für die drohende Debatte beide Hände frei zu haben, "Die letzte hätte mich fast umgebracht!"

"Nein! Er soll es uns erzählen!", unterbrach Toya den Gerichtsmediziner bestimmt. "Was hast du herausgefunden, Yukito?"

"Naja-... gestern nacht habe ich mir noch einmal die Wunde angesehen", erklärte Yukito, "Und das hat mich an diesen Fall vor zwei Jahren erinnert- ihr wisst doch, die Geschichte mit dieser narzisstischen Hausfrau, die ihren Mann mit dem Tranchiermesser--..."

"Schon gut, schon gut, keine Details bitte", brummte Johansen, "Und was war damit?"

Yukito deutete auf die lange, hässliche Stoßwunde im Torso des toten Fräuleins. "Die Schnitte von dem Tranchiermesser erinnern mich stark an diese Wunde hier. Es sind fast die gleichen Merkmale. Geriffelte Haut. Kollabierte Aorta."

"Du meinst also im Ernst, dass-... dass es ein Tranchiermesser gewesen ist?"

Die rechte Hand des Gerichtmediziners schüttelte den Kopf. Als er den Blick hob, funkelten seine Brillengläser im kalten Licht der Neonröhren.

"Nicht ganz. Der Stich geht durch den Rücken durch. Es muss also etwas viel größeres und schärferes gewesen sein, mit einer leicht nach oben gekrümmten Klinge, weil die Wunde noch einen Ausläufer nach oben aufweist."

Schweigen. Toya warf Johansen einen bedeutsamen Seitenblick zu, worauf dieser nur entnervt ächzte.

"Sieht so aus, als hätten wir das neue Jesuskind gefunden, Johansen."

"Bah! Sind wir hier im Mittelalter oder was? Welcher Idiot nimmt denn noch ein Riesenmesser als Mordwaffe?"

"Jedem das seine. Unsere Nobuhiko war da nicht weniger exaltiert. Die reinste Sexfanatikerin."

"Aber das muss doch nicht gleich heißen, dass sie von einem Samurai oder sonst wem gekillt wurde!", rief Johansen aus und hieb mit der Faust auf die Bahre. Dies bewirkte jedoch nur, dass sein Sandwich geradewegs in Nobuhikos Torso hineinflutschte.

"Scheiße!!"

"Sie gehören wirklich ins Catering-Gewerbe, Johansen...", begann Toya kopfschüttelnd. Bevor sich jedoch der nächste zweifelhafte Disput anbahnen wollte, meldete sich plötzlich sein Handy mit einem nervtötendem Frolic-Klingelton zu Wort.

"Einen Moment bitte."

"Sie sind der arbeitsbesessenste Mensch, den ich kenne, Kinomoto", erklärte Johansen sichtlich angewidert, "Seit wann pflegen Sie eigentlich diese Macke, jeden Anruf vom Präsidium auf Ihr Handy umzuleiten?"

"Ich will eben auf dem neuesten Stand bleiben, sparen Sie sich also Ihr Rumgequake, Johansen!", war die gebellte Antwort.

"Oohhahaha, natüüürlich... wetten wir um ein Salatsandwich, dass auch dieser Anruf Ihre Arbeitspsychose nicht kaltlassen wird?"

"Also schön, Johansen, bittesehr!", knurrte der Kommissar ungehalten, bevor er sich das Handy ans Ohr hielt, "Dann wette ich eben dagegen, dass sich dieser Anruf in keinste Weise auf etwas auswirken wird, was mich auch nur irgendwie betreffen sollte! Weder in Sachen Arbeit noch Leben noch Tod! Und jetzt Si-len-ti-um, okay?"

"Ja, ja, Hasselhoff! Und vergessen Sie nicht: ich mag mein Salatsandwich am liebsten mit viel Tomate und ohne Essiggurken."

Toya ächzte nur enerviert. Dann nahm er den Anruf auf.

"Kommissar Toya Kinomoto am Apparat. Kann ich Ihnen helfen?"
 

Sonnenaufgang über Kingstonville.

Kurogane erwachte so plötzlich, als hätte ihm jemand eins mit der Peitsche übergezogen.

Heftig atmend fuhr er hoch. Fast schon reflexartig begannen seine Hände nach seinem Katana zu wühlen.

Erst, als er endlich wieder den rissigen, vom Feuer versengten Ledergriff zwischen seinen Fingern spürte, beruhigte sich sein fliegender Herzschlag allmählich wieder.

Mit einem lautlosen Ächzen ließ er sich nach hinten in den über Nacht gefallenen Schnee sinken.

Der leere Blick seiner zinnoberfarbenen Augen wanderte langsam über das schwarze, teilweise vom Schnee verdeckte Skelett, das einst sein Haus gewesen war. Die Straßen waren wie ausgestorben. Als er sich bewegen wollte, spürte er, dass außer seiner eigenen Jacke noch ein fremder, angenehm warmer Wintermantel über seinen schmerzenden Schultern lag.

Er stieß einen bodenlosen Seufzer aus. Hat's also immer noch nicht aufgegeben.

Als er jedoch den Blick hob, merkte er, dass zwar der Mantel seines selbsternannten Helferleins präsent war, das Helferlein selbst jedoch nicht. Mit einem weiteren Seufzen wuchtete sich Kurogane von dem Treppenabsatz hoch, auf dem er die Nacht verbracht hatte und sah sich nach dem Blondling um. Da die kärglichen Überreste seiner Wohnung keine reellen Hindernisse mehr darstellen, dauerte es auch nicht lange, bis er ihn schließlich gefunden hatte.

Er stand an der Straße.

Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen lehnte er am Laternenmast und hielt die blaugefrorene Nase in den Wind. Der kühle Winterswind fuhr durch seine zerzausten, schneebepuderten blonden Haare.

An seinen Wangen, den Händen und seinem dicken, blauweiß gemusterten Pullover klebte immer noch ein wenig Ruß, gegen den sich seine helle, von der Kälte leicht bläulich wirkende Haut abhob wie dünne Milch.

Kurogane blinzelte. In seinen Händen begann es zu kribbeln.

Voller Befremden spürte er, wie die Welt um ihn herum immer stiller zu werden schien. Für einige Augenblicke meinte er sogar, seinen eigenen Herzschlag so deutlich wahrzunehmen, als hätte er sein Ohr an jemandes Brust gedrückt und lausche nun. Lausche. Wie es Kinder immer bei anderen taten.

Denn dieser junge Mann wirkte, wie er so an der Straße stand und mit aufmerksamen, aber gleichzeitig leeren Augen in die Ferne sah, auf eine sehr beklemmende Weise wie ein--... ja, wie ein Kind.

Ein gebranntes Kind.

Augenblicklich fühlte Kurogane, wie ihm ein plötzlicher Impuls nach vorne gegeben wurde.

"He-... HE! Was tun Sie da?!", rief er misstrauisch und machte sich unverzüglich auf den Weg Richtung Grenze, wo das versprengte Schlachtfeld aufhörte und die Welt begann. "HE!!"

Endlich reagierte der junge Mann und wandte sich mit fragendem Gesichtsausdruck zu ihm um.

"Oh! Guten Morgen, Kurogane!", sagte er fröhlich und lächelte, als der Killer vor ihm zum Stehen kam, "Wie geht's Ihnen?"

"Auf so eine blöde Frage gebe ich keine Antwort", war die bittere Antwort, "Sagen Sie mir lieber, was das mit der Jacke sollte."

"Oh... ja also, ich--..."

Der Konditorlehrling senkte den Blick und starrte unbeholfen auf den Schnee zu seinen Füßen.

Wie ein Kind, dachte Kurogane wütend und spürte, wie ihm die Kehle zugeschnürt wurde. Wie ein kleines Kind.

"Nun ja, Sie sind gestern nacht auf einmal eingeschlafen. Und im Winter holt man sich draußen schnell eine Erkältung."

"Sieh an. Und Sie?"

"Ach, ich halt das schon aus. Ich war ja wach. Außerdem", setzte er leise hinzu, "Hab ich es gern gemacht."

Kurogane runzelte die Stirn und musterte das blasse, übermüdete Gesicht seines Gegenübers, bevor er diesem schroff den Mantel in die Hand drückte. "Darf ich mich dann erkundigen, was Sie die ganze Nacht über gemacht haben, während ich im Delirium lag?"

"Oh, eine ganze Menge!", ereiferte sich der Blondling sofort, "Ich hab mir Gedanken gemacht, wie es jetzt weitergehen soll! Und ein paar Ideen hatte ich auch schon! Das ist wie im Fernsehen: wir können ja zuerst eine Anzeige erstatten, dann erkundigen wir uns bei Ihrer Feuerversicherung wegen Schadenersatz, und zur Feuerwehr können wir auch fahren! Und Sie selbst könnten ja bei-... ähh-... naja, ich meine, Sie haben keinen Zweitwohnsitz, oder?"

"Nein. Was geht Sie das überhaupt an?"

"T-tja, es ist nämlich so, wissen Sie", stotterte der Blondling aufgeregt, "Ich hatte nämlich die Idee, dass Sie, nun ja, dass Sie ja bei mir einziehen könnten! Bis Sie eine neue Wohngelegenheit haben, meine ich! Meine Mitbewohner würden Sie gerne ken--..."

"WAS?!!", stieß Kurogane fassungslos hervor, "Sie-... Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich mir das antun-... ja sagen Sie mal, geht's Ihnen noch gut?!! Nach Ihren Beschreibungen muss das ja das reinste Irrenhaus sein! Nein, vergessen Sie's!"

"Aber wo würden Sie denn sonst wohnen wollen?", verteidigte sich Fye sofort, "In einem Blumentopf? Mein Haus ist zwar kein Edelschuppen, aber man kann drin leben! Und ich hab brilliante Nachbarn! Ach, kommen Sie schon, bitte!"

"Ach ja?!! Und warum sollte ich das tun, häh?!! Seh ich aus, als wäre ich lebensmüde?!"

"Meine Mitbewohner würden Sie aber wahnsinnig gerne kennenlernen! Und dann hätten Sie sogar schon drei freiwillige Helfer in spe! Wie beim 'dreckigen Dutzend'! Eben nur, dass wir dann die, die-... ähm-... die 'fetten Vier' sind!"

Kurogane starrte sein jüngeres Gegenüber unter geschwollener Zornesader an. Der ersehnte Brüllanfall blieb schon wieder aus, also musste er es wohl oder übel bei einem zentnerschweren Ächzen belassen.

"Hören Sie-... ich weiß, Sie wollen ganz furchtbar viel Nettes tun und so. Aber ich habe nun mal keinen blassen Schimmer, warum Sie sich das jetzt in den Kopf gesetzt haben. Könnten Sie mir auch nur einen plausiblen Grund nennen?"

Fye lächelte ein wenig. In seinen Augen glomm ein kleines Funkeln auf, wie ein schwacher Schein von Licht auf hellem Wasser.

"Ich glaube, weil mein Herz früher schlägt, als mein Kopf denkt", sagte er mit leiser Stimme und legte Kurogane die Hände auf die Schultern, "Ich habe kein Fünkchen Vernunft, ich weiß. Aber gestern habe ich gemerkt, dass ich dafür einen guten Willen habe."

"Ach ja?", gab der Schwarzhaarige nur lahm zurück, weil ihm beim besten Willen keine geistreichere Antwort einfallen wollte.

"Ja. Ich glaube, dieser Brand hat uns beiden einen Anstoß gegeben, den wir auf andere Weise nicht bekommen hätten."

Kurogane schluckte und starrte auf Fyes Hand auf seiner Schulter. Sehr weiß sah sie aus, sehr weiß und schmalgliedrig.

Was wäre, raste es ihm plötzlich durch den Kopf, Was wäre, wenn die plötzlich brechen würde? Was dann?

Augenblicklich schoss ihm das Blut in die Ohren. Sein Puls rebellierte, und plötzlich schämte er sich, als wäre er bei etwas Verbotenem ertappt worden, sodass er nur noch die Flucht nach vorne antreten konnte.

"Ich glaube einfach nicht, dass das eine sinnvolle Lösung wäre!", stieß er hart hervor.

"Es wäre auch keine sinnvolle Lösung, wenn Sie weiterhin in Ihrem inneren Koma vor sich hindümpeln, Kurogane", war die ruhige Antwort, "Denken Sie nicht, ich hätt's nicht bemerkt. Ich bin ein totaler Knallkopf, ich weiß, aber-... aber irgendwie glaube ich, dass es da etwas gibt, das wir beide haben. Gemeinsam haben, meine ich."

Der Blick des Blondlings wurde weich, sehr weich.

"Lassen Sie sich von mir helfen, Kurogane. Bitte. Ich-... ich will nicht nutzlos sein."

Kurogane stutzte. Seine Kiefermuskeln schmerzten. Er wollte antworten, er wollte einfach nur irgendetwas sagen, um nicht weiter diesem Blick ausgesetzt zu sein, diesem unerträglich ruhigen, unerträglich freundlichen Bl--

"Ah!", sagte Fye plötzlich und wandte sich ab, um nach vorne zu deuten, "Sehen Sie mal da!"

Der Killer fuhr herum und erblickte nach einigem Hin- und Herstarren ein einzelnes Auto, das in flottem Tempo die Straße hinaufgebraust kam. Es war ein Streifenwagen.

"Wer in aller Welt ist--..."

Der junge Mann strahlte. "Das müssen die zwei Polizisten sein, die ich angerufen habe!"
 

"Sind das die beiden Saubermänner?", fragte Yukito mit einem unterdrückten Seufzen in der Stimme.

Er hatte es doch gewusst. Auf Toyas Arbeitswut konnte man getrost Kopf, Hintern und Rente verwetten.

"Mhmm", nickte Toya und gab dem wie verrückt winkenden Blondling ein Zeichen, "Offenbar noch zwei, die der liebe Gott nicht ohne Knacks hingekriegt hat. Wer weiß, vielleicht gehört denen ja auch diese Schrottlaube vorne bei der Kreuzung..."

"Vergiss beim Rückweg nicht das Salatsandwich für Johansen."

Toya seufzte. "Ja, ja, ja... später. Ich habe eigentlich genug zu tun, wie du weißt."

"Immer noch keine Ahnung, wo sie stecken könnte?", fragte Yukito mit blassen Wangen.

"Nein." Mit einem schwungvollen Dreh am Lenkrad navigierte Toya den ausrangierten Streifenwagen in eine Parklücke. "Also, knöpfen wir uns die beiden mal vor. Die werden uns schon nicht fressen, so wie die aussehen."

Ohne auf eine Antwort seines Gehilfen zu warten stieß der Kommissar die Autotür auf. Der fremde Blondling wirkte, als hätte er gerade den Jackpot seines Lebens gewonnen. "Kommissar! Endlich! Ich bin ja so froh, dass Sie so schnell gekommen sind! Mein Name ist Ray Flückiger, freut mich, Sie kennenzulernen!", zwitscherte er und kam eilends auf Toya zugestolpert, um ihm die Hand zu schütteln, "Sagen Sie, heißen Sie denn jetzt ganz wirklich Kinomoto?"

"Das haben Sie mich schon sechzehnmal gefragt, aber ich heiße immer noch eindeutig Kinomoto", erwiderte Toya trocken.

"Na, dann ist es ja gut! Und Sie, mein Herr?"

"Yukito Tsukishiro. Angenehm."

"Haaach!", trällerte Fye überglücklich und riss auch Yukito mittels überschwänglicher, schüttelnder Bewegungen fast die Hand ab, "Sie wissen ja gar nicht, wie erleichtert mein Freund und ich sind! Wir haben eine fürrrchterliche Nacht hinter uns, aber sicher!"

"Ähh-... klar doch", sagte Toya ein wenig stutzig, "Darf ich mich erkundigen, wer von Ihnen beiden betroffen ist?"

"Mein Freund hier!", erklärte Fye fröhlich und deutete auf Kurogane, als wolle er einen Zombiekönig vorstellen, "Kurogane!"

" 'n Tag", sagte Kurogane einsilbig und nickte den beiden Gesetzeshütern kurz zu.

Toya spürte, wie sein Herzschlag einen kurzen Höhenflug in seinen Hals unternahm, als er in die wilden, flammend roten Augen des Schwarzhaarigen starrte.

"Kommissar Toya Kinomoto. Uns kam zu Ohren, dass Ihr Haus einen schweren Brandschaden erlitten hat, ohne dass die Feuerwehr hierauf reagiert hat. In solchen Fällen ist es am empfehlenswertesten, dass Sie zunächst Anzeige gegen Unbekannt erstatten und den Sachschaden von einem Gutachter feststellen lassen, bevor Sie bei Ihrer Versicherung Schadensersatz erlangen."

"Oh ja, natürlich, das machen wir!", plapperte der Blondling eifrig, "Könnten Sie das Feststellen auch unternehmen? Ich hab mal im Fernsehen gesehen, dass die Polizei das auch macht! Und zur Versicherung gehen wir natürlich auch! Übrigens, Kommissar, ich hab im Radio gehört, dass Sie gerade an einer Mordserie bedeutender Politiker dran sind? Haben Sie schon was rausgefunden? Laufen die Ermittlungen gut? Wie finden Sie denn da noch Zeit für solche Quizquilien wie Hausbrände?"

"Nichts für ungut. Diese Stadt ist wie Miami", erwiderte Toya, regelrecht plattgedrückt von dem Geschwätz des Blonden, der sich Ray Flückiger nannte, "Man kümmert sich um alles, was man kriegen kann. Darf ich erfahren, wie das passiert ist?"

"Keine Ahnung", war die träge Antwort des seltsamen, schwarzhaarigen Kerls, "Ich kam nach Hause und da stand schon alles in Flammen. Meine Nachbarn haben behauptet, die Feuerwehr hätte auf ihre Anrufe nicht reagiert."

"Ah... in Ordnung. Keine Sorge, wir sehen, was wir tun können. Und es ist wirklich nichts übrig geblieben?"

"Nein, es ist alles futsch, Kommissar, überzeugen Sie sich selbst", erklärte Fye, "Alles, was wir retten konnten, war sein Katana!"

Toya blinzelte. Irgendetwas in ihm begann zu ticken. "Ah?"

"Gut, dann wollen wir uns mal dranmachen", unterbrach Yukito ihn jedoch schnell in seinen verkorksten Gedankengängen, "Das ist in zwei Minuten erledigt."

"Exzellent!"

Toya wandte sich mit einem Seufzen um und wollte sich auch schon Richtung Brandplatz begeben, als ihm noch etwas einzufallen schien. Schwungvoll drehte er sich wieder zu dem dubiosen Männerduett um.

"Ach, und... bevor ich's vergesse... gehört Ihnen dieser halb verschrottete Bentley da vorne an der Kreuzung?"

Fyes Kichern bekam etwas leicht Nervöses. "Ähhehehe, ja, er gehört mir... ich habe ihn gestern gebraucht. Warum?"

Toya hob die Augenbrauen.

"Wenn Sie mich fragen, sollten Sie das Teil abschleppen lassen... das macht keinen Kilometer mehr. Wenn Sie wollen, können wir Ihnen noch helfen, einen halbwegs preisgünstigen Abschleppdienst zu Rate zu ziehen."

"Alles klar!", trällerte der Blondling strahlend, "Haben Sie vielen Dank! Wie schön, dass es Polizisten gibt, nicht, Kurogane?"

"Hmmh", brummte der Killer nur und warf Toya einen gefährlichen Seitenblick zu. "Kann sein."
 

"Mit diesen Typen stimmt etwas nicht", sagte der Kommissar mit tonloser Stimme, kaum dass er den Streifenwagen in die erstbeste Kurve gelenkt hatte.

"Ach Toya, das bildest du dir doch sicher wieder nur ein."

Der junge Mann seufzte tief. "Ich wünschte, dem wäre so, Yukito. Dieser schwarzhaarige Kerl lässt mich nicht mehr los."

"Was? Bist du etwa schwul?"

"Ach, hör doch auf damit", schnappte Toya gereizt, "Hast du nicht gemerkt, wie der mich angestarrt hat?"

"Mich doch auch. Als ob ich ein Insekt wäre."

"Und dieser Blonde erst... die ganze Zeit hat er gefragt, ob ich auch wirklich Kinom--... was ist überhaupt ein Katana?"

"Keine Ahnung. Ich kann ja mal in einem Wörterbuch nachsehen."

"Aha."

Als Toya spürte, wie er schon wieder rettungslos in seinen paranoiden Gedanken versank, schüttelte er mehrmals heftig den Kopf.

"Na, auch egal. Sie haben Anzeige erstattet, wir haben den Schaden geschätzt, ihnen empfohlen, wie man am besten weitermachen sollte, und ihnen geholfen, einen Abschleppdienst für diese klapprige Kamelle zu besorgen. Und damit basta. Die sehen wir wohl nie wieder. Lass uns zurück ins Institut fahren."

"Okay."
 

"... Un-... u-und die war wieder sssooo g-... hick!-... gemeeeinn su mir..."

Yuzuriha heulte Rotz und Wasser. Mit jedem Hicksen schwappte das halbvolle Sektglas ein wenig über.

"Hey-...Yuzuriha-chan!", bemühte sich Sakura ein wenig hilflos um ihre Freundin und streichelte ihre Schultern, "Komm schon! Miss Garfield hasst dich nicht, nur weil sie dir 'ne Scheißnote verpasst hat!"

"D-... doooch", heulte Yuzuriha und schmiegte sich schniefend an Sakuras Schulter, "Die hast m-... hick! die hast mich! A-ale hasen mich! W-weil ich so bl-... bllllöd bin-... hick!"

"Wer hat dir denn das ins Ohr gepustet, Yuzu-chan?", seufzte Ryo und bediente sich an den Chips.

Shaolan starrte geistesabwesend ins Leere. "Emo, Mann. Total emo, diese Feier. Wir hätten sie morgen machen sollen, Ryo."

"Schon klar. Eigentlich eine Scheißidee, die Party nach der Mathearbeit zu machen... naja, dann ist wenigstens Miss Garfield die Schuld. Mann, wieso musste mir diese Bitch auch eine Fünf vor den Latz knallen?! "

"Hey, jetzt kriegt euch doch wieder ein!", empörte sich Sakura, "Mann Ryo, heute ist dein Geburtstag, und was macht ihr? Ihr regt euch über eine schlechte Note auf! Weißt du was, nimm dir einfach 'n Stück Kuchen und vergiss den Rest, okay?"

Ryo lächelte ein wenig kläglich und nahm das Riesenstück Marmorkuchen von Shaolans Freundin entgegen.

"Danke. Ich weiß, ich benehm mich mal wieder wie der totale Arsch, aber-..."

"Wir doch auch", konstatierte Shaolan tonlos und schielte in sein Cocktailglas, "Emo, Mann. Alles emo."

"Was für eine stimmungsvolle Geburtstagsparty", frotzelte Sakura und setzte sich neben ihren Freund auf das knuddelige, hellrote Sofa im Wohnzimmer von Ryos Wohnung. Noch am Vortag hatten sie und Shaolan ihrem langjährigen Schulkumpel bei der Dekoration und Organisation seines siebzehnten Geburtstags geholfen. Heute waren sie alle gemeinsam, kaum dass der Schlussgong ertönt war, von der Schule zum Haus von Ryos Eltern abgewandert und hatten die Party offiziell eröffnet. Insgesamt waren sie nur acht Gäste, denn Ryo hasste Massenparties, trotzdem hatten sie es aufgrund ihrer Frustration über diese Mathearbeit bereits geschafft, fast alle Alkoholika aufzubrauchen und waren nun in dementsprechender körperlicher und geistiger Verfassung.

"Oh ja. Emo, Mann."

"Vielleicht ist's ja normal, dass man ständig emo sein muss, wenn man jugendlich ist...", seufzte Ryo und winkte Yumi und Jack zu, die draußen auf dem Balkon zu Hit Me With Your Rhythm Stick tanzten.

"Hallo? Natürlich ist das so! Die ganze Welt zwingt einen doch richtig dazu, vor allem, wenn man noch jugendlich ist... das ist irgendwie so: als Kind ist noch alles total klasse. Schön und so. Und dann kommt die Welt und macht dich emo."

"Alllleeee sin ja so eeemooo", schluchzte Yuzuriha hicksend und rieb ihre Wange an Sakuras linker Schulter. "A-aba-... hick! ich sag euch was-... wir müsn imer was- hick!-... was gudes aus unserm Leiden ziehen-..."

"Ja, das müssen wir", sagte Sakura geistesabwesend und streichelte Yuzurihas Rücken, "Mann, Leute, wir werden erwachsen."

"Erwachsen", sagte Shaolan mit leeren Augen. "Ich hab keinen Bock auf erwachsen sein."

Noch während der junge Brünette mit einem Kopfschütteln sein Cocktailglas endgültig trank, klingelte plötzlich sein Handy.

Der Teenager wurde augenblicklich kreidebleich. "Scheiße! Hat Desmond jetzt doch meine Handynummer?"

"Nimm einfach den Anruf auf, dann merkst du's ja", erklärte Ryo und stopfte sich eine Handvoll Chips in den Mund.

Zögernd kramte Shaolan sein Handy aus der Tasche seiner Jeans hervor.

"Hallo?... J-ja-... ahhhh, Fye-san! Mann, Alter, erschreck mich doch nicht so! ... Jepp, wir sind gerade auf Ryos Feier-... ja, ich richt's ihm aus. Wie? Emo, sag ich dir! Ja!... Wie? Du hast was getan?!! ... Ach sooo... okay, Sekunde-..."

Shaolan deckte die Sprechmuschel des antiken Alcatel-Handys für einen Augenblick ab und wandte sich an seine Freundin.

"Sakura? Fye-san ist dran. Stell dir vor, er hat's endlich geschafft, Missis Robinsons Auto zu Schrott zu fahren!"

"Na, da freut sie sich garantiert, sie wollte doch schon seit Jahrzehnten mal 'n neues ranschaffen! Und sonst?"

"Naja, er war beim Abschleppdienst und ist jetzt gerade mit diesem Kurogane an einer Telefonzelle in der Innenstadt. Da scheint was richtig Fettes für ihn am Laufen zu sein. Fällt völlig aus der Rolle. Bin mal eben draußen und besprech das mit ihm, okay?"

"Geht klar. Richt ihm Grüße aus!"

"Wer ist denn dieser Kurogane?", erkundigte sich Ryo, während Shaolan auf äußerste Vorsicht bedacht über Yuzurihas mittlerweile schnarchende Gestalt hinwegkraxelte und mit dem Handy am Ohr auf den Korridor stolperte.

"Da weiß ich genauso wenig wie du", gestand Sakura achselzuckend, "Ich weiß nur, dass er ein großer Japaner ist, der nie heiraten will. Aber Fye-san scheint total begeistert von diesem Typen zu sein. Seit 'ner knappen Woche redet er fast nur noch über ihn."

Der Blick des fuchshaarigen Mädchens wurde nachdenklich.

"Man könnte meinen, er wäre dem Messias in Menschengestalt begegnet."

"Na, wer weiß, vielleicht ist er für ihn ja auch so etwas wie der Messias", witzelte Ryo. Sakura lachte nicht.

"Das ist nicht witzig, Ryo."

"Warum denn nicht?"

Shaolans Freundin starrte gedankenverloren ins Leere.

"Fye-san hat uns früher oft erzählt, dass er mal Gott begegnet wäre. Ein einziges Mal. Und-... und jetzt kommt's mir fast so vor, als ob er denkt, dass dieser K-... weißt du, man merkt, wenn er über etwas spricht, das er für heilig hält."

Ryo starrte das Mädel perplex an. Ein Schweigen verging, in dem nur Yuzurihas Schnarchen und die Musik von draußen zu hören war, bis Shaolan wieder ins Zimmer kam. "Mann."

"Was ist denn los, Shaolan?", fragte Sakura besorgt, als sie bemerkte, dass ihr Freund blass wie Rübenkraut war. Dieser jedoch setzte sich nur mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck auf das Sofa zurück. Man konnte glatt denken, es hätte ihm jemand eine Ananas in den Hintern geschoben. "Mann."

"Wie wär's, wenn du uns ganz einfach mal erzählst, was los ist?", bot Ryo an. Shaolan biss sich auf die Unterlippe.

"Mann. Ihr werdet mir's ja doch nicht glauben. Fye-san hat-... oh Mann."

"Versuch's doch wenigstens", bat Sakura ihren langjährigen Freund, "Fye-san ist ja bekannt für seine Geschichten, oder?"

Shaolan stieß ein Ächzen aus. "Also gut, ich probier's. Ich hab aber selber kaum mehr als die Hälfte kapiert."

"Gibt es 'ne Konstante bei der Sache? Also, etwas, das schon mal auf jeden Fall feststeht?"

Der brünette Teenager kratzte sich ein wenig überfragt am Hinterkopf.

"Naja. Auf jeden Fall steht schon mal fest, dass wir bald einen neuen Mitbewohner haben."
 

"Okay", verkündete Fye feierlich und blieb mitten auf dem Bürgersteig stehen, "Hier ist die Grenze."

Kurogane blieb schweigend neben seinem selbsternannten Begleiter stehen und hob den Blick.

Vor ihnen erhob sich das Hippieviertel von Kingstonville- und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn all seine Häuser, kleinen Geschäfte und öffentlichen Einrichtungen schmiegten sich in eine künstliche Erhebung des Landstrichs, die schon bei der Gründung der Stadt gebaut worden war, um den Anschein eines mäßigeren Albhügels zu erwecken. Es lag feinflockiger Schnee in der Luft, und es lag ein schweigender Frieden über der Landschaft, obwohl die zahllosen Gebäude und Wohnhäuser nicht immer auf neuesten Stand zu sein schienen. Einige wenige Leute waren auf den Straßen als ferne, graue Schemen erkennbar.

Kurogane stieß ein bodenloses Seufzen aus und wollte sich in Bewegung setzen, als ihn der Blondling am Arm zurückhielt.

"Noch nicht."

"Was ist denn jetzt schon wieder los?! Sind wir hier auf 'nem Bombenteppich oder was?!"

"Nein. Aber wie gesagt, hier ist die Grenze. Hier im Hippieviertel gelten ein paar Regeln, die man besser einhalten sollte."

Der Schwarzhaarige nickte nachdrücklich vor sich hin. Hatte er's doch gewusst- ein Stadtviertel voller Verrückter, Vergewaltiger, Möchtegern-Mafiabosse und Zuhälter, die man offenbar ständig mit irgendwelchen Parolen ansprechen musste.

"Oha, ich zittere ja schon. Und was sind das für Regeln?"

Fye lächelte ein wenig bei so viel Starrsinn und nahm seinen unfreiwilligen Gast am Arm.

"Es ist das du, Kurogane. Nicht mehr und nicht weniger. Hier gibt's keine Förmlichkeiten, an denen man ständig festhalten muss. Das 'Sie' benutzt man eigentlich nur bei älteren Personen. Egal von welcher Nationalität. Außerdem", setzte er mit einem warmen Ausdruck in den Augen hinzu, "Würde es auch mich sehr freuen, wenn wir diese Floskeln endlich ablegen würden."

Kurogane blinzelte irritiert. Und das ist etwa schon alles?

"Wollen Sie mich verarschen?"

"Oh, keineswegs. Ich sage nur wie's ist. Also, Kurogane. Was hältst du davon?", fragte Fye lächelnd.

"Wenn's denn unbedingt sein muss, bitteschön, wie S--... du willst", war die lustlos gebrummte Antwort.

Der Killer hob abschätzig die Augenbrauen und wartete darauf, dass sich das Lächeln seines Gegenübers zu dem breiten, doofen Grinsen ausweitete, das ihm schon allzu bekannt war; es passierte jedoch nicht.

Im Gegenteil sogar- Fyes Lächeln schien in diesem Augenblick allein von seinen Augen auszugehen.

Nicht breiter, sondern tiefer. Von-... ja, von innen.

"Schön! Also, dann komm mal mit, Kuro-nyan! Ganz oben hat man einen tollen Ausblick auf die restliche Stadt!", erklärte er schließlich fröhlich, "Shaolan und Sakura-chan sind zwar noch nicht zu Hause, aber vielleicht kann ich Ih--..."

"Halt", setzte Kurogane plötzlich patzig dazwischen und packte den Blondling hart bei der Schulter.

"Wie", fragte er langsam, "Hast du mich eben genannt?"

"N-naja, ich dachte mir, wenn wir jetzt schon einmal beim Du sind, kann ich dir ja auch einen Spitznamen geben!", war die fröhliche Antwort, "Kuro-nyan, klingt doch drollig! Und dazu tausendmal besser als Kurogane! Kurogane ist so ewig lang!"

Er warf einen fragenden Blick zum Gesicht seines schwarzhaarigen Kompagnons empor.

Da ihn dieser nur aus Augen anglotzte, deren Ausdruck im Moment einfach nicht zu entschlüsseln war, machte er weiter.

"Wobei... es muss ja nicht immer Kuro-nyan sein! Wie wär's zur Abwechslung mit Schwarzkopf? Blackman? Kuro-pyon? Kuro-wan? Kuro-chii? Kuro-rin? Kuro-wanko? Blacky? Kuro-ne? Kuro-ronron? Kuro-kuro? Kuro-mek--..."

"SIE MACH ICH FEEEEERTIIIIIIG!!"

Fye stieß einen überraschten Laut aus und schaffte es gerade noch, sich unter einem gepfefferten Faustschlag wegzuducken.

Johlend vor Lachen ergriff er die Flucht, als Kurogane mit einem schrecklichen, wutschnaubenden Geräusch die Arme hob und hinter ihm herpflügte wie Kingkong auf einem LSD-Trip der abartigsten Sorte.

"Juuuuuuuuhuuuuh!! Sie sind ja richtig cholerisch, Kuro-myu!", quietschte er entzückt und drehte sich auf dem zugefrorenen Asphalt wie ein verrücktgewordener Kreisel, "Das hätte ich ja niemals von Ihnen erwartet, Sie olle Beruhigungspille!"

"ICH BIN KEINE BERUHIGUNGSPILLE!!", war die gebrüllte Antwort, "UND NENNEN SIE MICH NIE WIEDER SO!!!"

"Wie denn nicht mehr? Kuro-chii? Kuro-persil? Kuro-asango? Black Jack?"

"AAAAAAAAARRRRRGH!!!"

Die wenigen Leute, die bei diesem Schneefall noch draußen waren, drehten sich fragend um, als zwei weißbepuderte Gestalten an ihnen vorbei den Weg zur Beethovenstraße hochpreschten, die eine wie verrückt lachend, die andere wie verrückt schreiend.

"Wuiiiiiiii! Das wird eine schööööne Zeiiiiiiit! Eine schööööne Zeit!", jubilierte Fye und schlug im Laufen die Hacken zusammen.

"ICH GEB DIR GLEICH SCHÖNE ZEIT!!"

"Nimmst du's mir etwa krumm, dass ich dir helfen will, Kuro-wan?"

"Das geht dich 'nen verdammten Dreck an!!"

Der Konditorlehrling grinste breit über die Schulter und verlangsamte seinen Schritt.

"Okay! Übrigens, ein toller Einfall von dir, diese irre Hetzjagd! Jetzt sind wir schon bei meinem und Missis Robinsons Haus angekommen! Da vorne, siehst du? Nummer dreiunddreißig!"

Mit einem weiteren Lächeln wandte er sich wieder um. Auf diese Weise bemerkte er auch nicht die leise Verwirrung, die sich in den Blick seines neuen Mitbewohners gestohlen hatte, bevor ihm dieser rasch folgte.

Kurogane biss sich auf die Unterlippe. Wieso hakte dieser verdammte Blondschopf nie nach, kreuzkruzifix nochmal?

Es wäre viel leichter, sich aufzuregen.

Ja aber-... warum? Warum will ich mich überhaupt aufregen?

Mit einem zentnerschweren Seufzen räumte Kurogane seine Wut beiseite und überredete sich dazu, einen Blick auf das vom Schnee überpuderte Häuschen mit dem blass dotterfarbenen Verputz, der schlicht überdachten Veranda und dem kleinen Vorgarten vor ihnen zu werfen. Mhhm. Er hatte sich das Haus von diesem Typen irgendwie anders vorgestellt.

"Es ist nicht gerade der Palast von Zamunda, ich weiß", gab Fye zu, der dem Blick seines Begleiters gefolgt war, "Aber du wirst sehen, es lässt sich durchaus darin leben. Missis Robinson wohnt gleich nebenan in Nummer vierunddreißig. Komm!"

Widerwillig ließ sich der Killer am Arm durch den zugeschneiten Vorgarten zur Eingangstür des Nachbarhauses zerren.

"Wieso konnten S-... du nicht einfach vom Abschleppdienst aus anrufen? Die haben sich ja schier in die Hosen gemacht, als sie diese abgetakelte Schindkarre zu Gesicht bekommen haben!"

"Weil man so etwas persönlich macht", erklärte Fye nachdrücklich, während er den Klingelknopf betätigte, "Das nennt man gute Kinderstube! Außerdem ist Missis Robinson sehr nett, du wirst sie sicher mögen!"

"Bah", war die gebrummte Antwort, "Ich hasse breitbusige Altsommerweiber..."

"Woher willst du denn wissen, dass sie ein breitbusiges Altsommerweib ist? Und wo hast du nur diese Bezeichnungen her?"

"Jetzt klingst du schon wie ein breitbusiges Altsommerweib!"

"Und wie klingt ein breitbusiges Altsommerw-...", fing Fye zweifelnd an, er blieb jedoch mitten im Satz stecken, als die Eingangstür zu Nummer vierunddreißig mit einem Knall aufflog, ein damenhafter Juchzer erklang, zwei Hände sich ausstreckten und ihn geradewegs an eine überdimensionale Brust pressten. Kurogane machte unwillkürlich einen Satz nach hinten.

Jesus! Also doch!

"Fye-kun! Mein lieber, lieber Fye-kuuuun!! Gott, komm an mein Herz, Junge, komm an mein Herz! Ich hab mir solche Sorgen gemacht, mein lieber Junge, solche Sorgen, solche grässlichen Sorgen! Mein Junge!"

"Viiielmmpfdnkmssspffhh-... isrobnnnsnnn", keuchte Fye mühsam zwischen den Massen aus Brust, Hauskittel, schottengemustertem Fleeceschal und damenduftigen Armen hervor, in denen er soeben versunken war, "Mmmpfichhh-...wlllltnnnurr-...."

"Oh-... natürlich", antwortete Missis Marjory Robinson, eine wahrhaft pompöse Frau in den Fünfzigern, schuldbewusst und ließ den blonden, jungen Mann sofort wieder aus ihren Armen, "Tut mir leid! Ich habe mir nur solche Sorgen gemacht! Mein Douglas sagt natürlich, es wäre lächerlich, mich ständig zu sorgen, aber ich habe ja solche Ängste durchlitten! Solche Ängste!"

"Das geht völlig in Ordnung, Missis Robinson", sagte Fye und lächelte seine beflissene Nachbarin an, "Wie geht's Ihnen und Ihrem Mann? Geht das Graffiti immer noch nicht weg?"

"Wahrscheinlich werden sogar meine Urgroßenkel noch flüssig sein, bis das endlich abgeht", erwiderte die beleibte Hausfrau achselzuckend, "Aber keine Sorge, mein Douglas und ich machen das schon. Also, was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?"

"Zwei Sachen. Zuerst möchte ich Ihnen gerne jemanden vorstellen!", erklärte Fye fröhlich und zerrte Kurogane am Arm nach vorne.

Dieser blinzelte skeptisch und musste mit sich ringen, um nicht ständig auf die massige Brust seiner neuen Nachbarin zu starren.

"Ach?", fragte diese soeben erfreut und strahlte den Schwarzhaarigen herzlich an, "Wie nett! Ist das ein Freund von dir, Fye-kun?"

"Ja!", antwortete Fye stolz und tätschelte Kurogane die Schulter, als wäre er das Ei des Kolumbus, "Das ist Kurogane! Er wird ab heute bei Shaolan, Sakura-chan und mir im Haus wohnen! Kuro-chii, das ist Missis Marjory Robinson, meine Nachbarin!"

"A-... angenehm", gab Kurogane zögernd zurück und starrte Fyes Nachbarin krampfhaft auf die Stirn.

"Das ist ja nett! Was für eine Freude!", erwiderte diese herzlich und konnte anscheinend nicht umhin, auch ihren neuen Nachbarn in die Arme zu schließen, obwohl sie sich dafür auf die Zehenspitzen stellen musste. Kurogane japste innerlich auf, als er unwillkürlich nach unten gezogen wurde, und versuchte verzweifelt, nicht mit der Nase auf dieser Riesenbrust zu landen.

"Wir haben noch eine Menge vor, Missis Robinson", fiel Fye vorsorglich ein, dem es nicht schwer fiel zu erkennen, worin Kuroganes Problem bei seiner neuen Nachbarin bestand, "Wir sind eigentlich gekommen, um Ihnen Aufklärung bezüglich Ihres Autos zu geben, Sie wissen ja, ich hatte es mir gestern ausgeliehen--..."

"Ach so, stimmt ja! Du hast es hoffentlich zu Schrott gefahren? Ich will mir endlich diesen superscharfen neuen Ferrari leisten-...", setzte die pompöse Hausfrau hoffnungsvoll an, als vom Hausflur aus eine Stimme ertönte.

"Missis Robinson? Wo haben Sie eigentlich-... oh!"

Diesem überraschten Ausruf folgte eine junge, hell rothaarige Frau, die mit einem Lächeln in den Eingang trat.

Kurogane wurde es fast schwarz vor Augen, als sein Blick auf den enormen Bauch fiel, den sie vor sich herschob.

Verdammt nochmal! Erst Riesentitten, dann ein Riesenbauch! Was kommt als Nächstes, ein Riesenarsch?

"Bist du's, Fye-kun?"

"Wer soll ich denn sonst sein, Claire?", fragte Fye lachend und schloss das schwangere Mädchen in die Arme, obwohl sie ihm nur bis knapp an die Schultern reichte, "Wie geht's euch beiden?"

"Ach, uns geht es gut", war die vergnügte Antwort, "Man will noch ein paar Tage warten, bis es ins Krankenhaus geht. Hey, wer ist denn der Gast, den du uns da mitgebracht hast? Machst du uns bekannt?"

"Aber gern! Claire, ich hab das Vergnügen, dir Kurogane vorzustellen, er wohnt ab heute bei mir im Haus! Kuro-pyon, das ist Claire Leeds, sie wohnt die Straße runter in Haus Nummer fünfundzwanzig. Ach, und das ist Kyle!", rundete Fye ab und deutete auf den Babybauch der jungen Frau, was diese jedoch lediglich zu einem Lachen animierte.

"Nett, dich kennen zu lernen, Kurogane! Du kannst dich wirklich glücklich schätzen, ab heute bei Fye-kun zu wohnen!"

"Hey, was soll das werden, ein 'Wer zuerst rot wird, verliert'-Spiel?", fragte Fye kichernd.

"Wieso kommt ihr beiden nicht auf einen Tee rein und erzählt, wie ihr euch kennengelernt habt?", fragte Missis Robinson gutgelaunt, "Mr. Cortez, Mitsuru und Patrick sind auch gerade da, dann können wir auch gleich die Sache mit dem Auto bereinigen!"

"Klar! Gern!", entzückte sich der Blondling und nahm seinen unfreiwilligen Gast am Arm, "Komm schon, Kuro-pi!"

Kurogane stieß einen unterdrückten Seufzer aus und ergab sich bereitwillig in sein unausweichliches Schicksal, als er sich von Fye in Missis Robinsons Wohnung zerren ließ.

Ein altes Weib mit Riesentitten, eine Schwangere, drei Schrullväter und ein ewig quatschender Blondschopf.

Wie werd ich das bloß überstehen?
 

"Auf Wiederseeeeeeeeehn! Und vielen Dank für den Tee, es war ganz ausgezeichnet!"

"Gerngeschehen! Bis dahaaaaann!"

Kurogane schnaubte ungeduldig. "Jetzt machen Sie schon hinne! Verdammt, war das peinlich!"

"Warum denn?", fragte Fye mit großen Augen, als er sich endlich vom Nachbarhaus abgewandt hatte und nun gemeinsam mit seinem neuen Mitbewohner den Weg zu Haus Nummer dreiunddreißig hochschlenderte, "Hat der Tee dir denn nicht geschmeckt?"

"Ach, darum geht's doch gar nicht!", keifte der Killer gereizt, "Mit-... mit diesen Riesentitten könnte man ja ganz Afrika ernähren!"

"Mit einem Wort, du störst dich an schwangeren Frauen", stellte Fye simpel fest. Augenblicklich nahm Kuroganes Gesicht die Farbe eines frisch gescheuerten Kupferkessels an.

"WAS?!! V-... von wegen! Ich störe mich nicht an schw-... an schwangeren-..."

"Ist das niedlich, Kuro-chii wird verlegen, wenn er eine schwangere Frau sieht", kicherte der Blondling fröhlich und förderte einen leicht eingedellt wirkenden Hausschlüssel aus seiner linken Manteltasche zutage.

"Nenn mich nicht so", kam es fauchend zurück.

"Tut mir leid, ich werde in Zukunft drauf achten, Kuro-wan", meinte Fye mit einem Zwinkern, "Ich bin ja nur froh, dass Missis Robinson die Sache mit ihrem Auto so gut aufgenommen hat!"

"Wenn sie eh schon ein neues wollte", erwiderte der Schwarzhaarige achselzuckend, "Sind Ih-... deine Mitbewohner überhaupt schon da? Ich will dieses ewige Herumgevorstelle schleunigst hinter mich bringen..."

"Nein, da muss ich dich enttäuschen. Sakura-chan und Shaolan sind noch auf der Party eines Freundes und kommen erst heute nacht zurück. Morgen beim Frühstück werdet ihr aber sicher Gelegenheit haben, euch bekannt zu machen."

Argwöhnisch beobachtete der Killer, wie das Lächeln seines Gegenübers etwas Traumverlorenes bekam.

"Die zwei sind einfach wunderbare Menschen. Du wirst sehen, sie werden dir ganz sicher gefallen!"

"Das hast du auch schon gesagt, als du bei der Robinson geklingelt hast", erwiderte Kurogane trocken.

Fye beobachtete aufmerksam das Gesicht seines Gasts. "Wieso willst du eigentlich jeden sofort hassen, wenn du ihn kennenlernst?"

"Weil das-...", fing er an, brach jedoch abrupt ab und starrte den Konditorlehrling irritiert an.

Weil das so viel einfacher ist. Fyes Blick bekam wieder dieses Weiche.

"Kurogane. Glaubst du an Gott?"

"WAS?!"

"Naja, ich wollte dich das schon immer fragen. Glaubst du an Gott? Hast du ihn schon mal getroffen?"

"Nein. Du etwa?"

Fye lächelte ein bisschen. "Ja. Einmal. Und ich mag seinen Stil, weißt du? Ich würde ihn dir gerne eines Tages vorstellen."

"Ach ja? Wo ist er denn, dein Gott, dass ich ihn noch nie getroffen hab?", schnappte Kurogane gereizt.

"Ich glaube, er wohnt in der Kirche. Vor einer knappen Woche hab ich mich das letzte Mal mit ihm unterhalten, und ich denke, er würde sich sicher sehr freuen, dich kennenzulernen."

Der Blondling legte wieder seine Hand auf Kuroganes Schulter.

"Bald ist Weihnachten, Kuro-chii. Christi Geburt. Und wenn man dieses Fest feiert, sollte man es mit reinem Gewissen tun. Würdest du-... würdest du mal mit mir zur Kirche gehen wollen?"

Der Killer runzelte skeptisch die Stirn. Was soll das werden, eine Missionierung?

Nach einem langen Schweigen stieß er schließlich ein Seufzen aus.

"Du willst dich unbedingt ändern, stimmt's? Und ich soll mich auch ändern", sagte er leise und starrte sein Gegenüber an.

Dieses lächelte. Seine Augen lächelten nicht mit.

"Wieso denn nicht? Veränderung ist nichts Schlechtes. Veränderung ist was Gutes."

"Ach ja?", fragte Kurogane. Als Fye nicht reagierte, trat er unwillkürlich einen Schritt näher an ihn heran.

"Ich denke allerdings, dass sich in meiner ständigen Gegenwart zuviel für dich ändern würde. Ich hasse es zum Beispiel, wenn man mich belügt. Hinzu kommt, dass ich es immer merke. Stell dir das bloß vor: du müsstest aufhören zu lügen."

In Fyes Augen flackerte ein seltsamer Ausdruck auf. Sein Mund lächelte jedoch immer noch.

"Und du müsstest aufhören zu morden."

Schweigen.

Kurogane spürte, wie sich alles in ihm als Reaktion auf diese schlichte Feststellung zu verkrampfen und zu versteinern begann.

Seine Kehle schmerzte. Er konnte sein Herz dumpf und beharrlich in seiner Brust hämmern fühlen.

Er weiß es.

Er starrte den Blondling aus tauben, fassungslosen Augen an. Für einen Moment spürte er einen plötzlich einsetzenden, heftigen Reflex, seine Hände um diesen hellen, wehrlosen Hals zu legen und so lange zuzudrücken, bis der andere sein Lichtlein aushauchte. Im nächsten Moment fühlte er einen steinharten Kloß im Hals. Sämtliche Kraft schien aus seinen Händen zu entweichen.

Und plötzlich schämte er sich unglaublich.

Er schämte sich so sehr, dass er sich nur noch in eine Ecke verkriechen und die Augen zuhalten wollte, um nicht gesehen zu werden.

"I-ich--..."

Fye lächelte immer noch.

Nach einer langen Stille klopfte er ihm auf die Schulter.

Dann steckte er den Schlüssel ein und drehte ihn herum.

"Schon gut. Komm, ich geb dir eine exklusive Führung durchs Haus!"
 

Später Abend.

Der Schnee auf den Dächern der Häuser im Hippieviertel glänzte vom Licht des Mondes wie verzaubert.

Ein eiskalter, grimmiger Wind fauchte durch die Straßen und wirbelte den Schneestaub hoch, ließ die dürren Äste der Bäume am Bürgersteig rascheln und zittern, als könnten auch sie die Kälte fühlen.

Kurogane spürte, wie seine Haut zu beben begann und zog den Mantel, den er sich vorsorglich übergeworfen hatte, ein wenig enger um seine Schultern. Obwohl er mittlerweile schon das Gefühl hatte, dass ihm jeden Moment der Arsch am Treppenabsatz festfrieren musste, auf dem er schon seit Beginn des Abends herumgesessen war, konnte er sich nicht überreden, aufzustehen und wieder ins Haus zu gehen. In der Ferne glänzten die Lichter von Kingstonville wie ein Handwurf Diamantensplitter.

Die ganze Welt um ihn herum war still. Aber es war nicht das Gleiche als ob er mal wieder in seiner Wohnung vor sich hinvegetieren würde- nicht dieses totengleiche, trübe Schweigen. Diese Stille konnte man greifen und fühlen, denn sie war lebendig.

Man wusste, dass es noch andere Menschen auf diesem Planeten gab, weil sie so nahe waren.

Kurogane stieß ein Seufzen aus und spürte resigniert, wie schon wieder Bilder der vergangenen Nacht in seinem Kopf emporsteigen wollten. Scheiße. Die ganze Geschichte hatte ihn wohl doch mehr mitgenommen, als er es sich eingestehen wollte.

Und es war lästig, immer wieder daran denken zu müssen, denn es bereitete Schmerzen. Diese Art des Denkens war völlig anders als dieses stumpfe Vor-sich-Hindämmern von früher. Es war, als hätte der Brand auch dieses Vakuum in seinem Kopf zerstört.

Der Killer spürte die Verkrampfung in sich und wollte auch schon aufstehen, als er plötzlich eine unerwartete, flüsterleise Stimme hinter seinem Rücken hörte. "Kuro-chii?"

Ein tiefes Seufzen.

"Ich hab Ihn-... dir doch gesagt, du sollst mich nicht so nennen."

Als keine Antwort kam, drehte er sich zu seinem ungeladenen Besucher um.

Fye hatte seinen hellen Morgenmantel an und trug zwei dicke Wolldecken auf dem Arm. Mit einem fragenden Ausdruck in den Augen legte er den Kopf schief und kam ein paar kleine Schritte näher heran.

"Bitte", fragte er leise, "Darf ich?"

"Hmhh", brummte Kurogane bloß und ließ es geschehen, dass ihm der Blondling eine der beiden Decken um die Schultern legte und sich neben ihn auf den Treppenabsatz setzte.

"Möchtest du nicht reinkommen?"

Mit einigem Befremden spürte der Schwarzhaarige, dass sich nicht die übliche Wut über das Gesabbel seines selbsterklärten Begleiters einstellte. Vielleicht, weil es diesmal kein Gesabbel war. Das ganze Gebaren des Blondlings hatte sich geändert.

"Ich glaube nicht", gab er schließlich mit rauer Stimme zur Antwort, "Ich muss nachdenken."

Fye sah sein älteres Gegenüber nur mit einem schweigenden Blick an. Kurogane blinzelte irritiert.

"Ich, ich meine-... über den Brand und alles", stieß er schnell hervor, um die ungewohnte Stille zwischen ihnen zu überbrücken, "Das beschäftigt mich immer noch ziemlich, und tja, deswegen will ich es mir lieber von der Seele denken, bevor ich ins Bett gehe-... daran zu denken strengt sehr an, desha--... Mann, ich frage mich, seit wann ich dir eigentlich Erklärungen schulde", schloss er schließlich verbittert und ließ die Schultern heruntersacken.

"Ich bin froh, dass du es mir sagst. Denken strengt mich manchmal auch an."

"Schätze, damit muss man leben, wenn man kein großer Denker ist", versuchte Kurogane einen halbherzigen Scherz.

Fye lachte nicht.

"Nein, das ist es nicht. Du bist mit deinen Gedanken allein. Deshalb."

Der junge Mann hob den Blick und starrte sein jüngeres Gegenüber wortlos an.

"Wenn man immer alleine denken muss, kann man sich nicht dagegen wehren", sagte dieser leise, "Dein Kopf ist so voll, dass er platzen könnte, aber man muss immer weiterdenken. Mit der Zeit tut es sogar weh."

Stille. Der Blick des Blondling wurde weich.

"Würdest du mir die Hälfte von deinem abgeben? Bitte, Kuro-chii."

Kurogane spürte, wie sein Herz in seinem Brustkorb kleine, pochende Aussetzer machte.

"Ich will einfach nicht glauben, dass es ein Unfall war", flüsterte er heiser, "Ich bin mir schon seit gestern sicher, dass das jemand mit Absicht getan hat. Mein Haus ist mit Absicht angezündet worden. Aber wenn ich das denke, denke ich auch, dass-... dass ich vielleicht jetzt schon total spinne. Ist das normal? Wenn ein Unfall passiert, und man sofort denkt, dass es jemand anders mit Absicht getan hat? Denn wenn es jetzt doch--... ich will nicht spinnen. Ich bin doch jetzt schon so verdammt kaputt."

"Was würdest du tun, wenn es jemand mit Absicht getan hat?"

"Ich würde nach ihm suchen, ihn fragen, warum er das gemacht hat, und ihn dann umlegen."

"Und dann?"

Etwas in Kurogane verkrampfte sich schmerzhaft auf diese Frage.

"Und dann würde ich wahrscheinlich weiterleben wie vorher."

"Ohne Änderung?"

"Ohne Änderung. Ich bin so kaputt, Mann. Ich hab's gestern nacht bemerkt."

"Und ich konnte nicht schlafen, weil ich Alpträume hatte. Vielleicht spinne ich ja auch. Vielleicht spinnen wir beide, Kuro-myu, und haben es erst seit gestern bemerkt."

Fye hob den Blick und sah zur fernen, silbrig glänzenden Scheibe des Mondes empor, bevor er weiterredete.

"Vielleicht spinnen wir aber auch nicht und sind einfach nur zwei Menschen, die sich Sorgen machen."

"Ja. Vielleicht."

Ein langes Schweigen verging, in dem die beiden jungen Männer nur die kalt funkelnden Sternen am Nachthimmel betrachteten.

Als Kurogane flüchtig Fyes Gesicht mit den Augen streifte, merkte er, dass er lächelte.

"Danke, dass du mit mir geteilt hast, Kurogane."

Der Schwarzhaarige deutete ein Nicken an. Der kühle Nachtwind strich über sein Gesicht, und mit einem Schaudern spürte er, wie seltsam real er auf einmal zu sein schien. Die Luft war noch luftiger geworden, der Schnee noch weißer. Die Wolldecke greifbarer.

Er lebte und war hier. Hier und genau jetzt.

Viel zu spät quoll auf einmal die Überrumpelung ob all dieser fremden Eindrücke in ihm hoch.

"Ich-... ich denke, ich geh jetzt ins Bett-...", stieß er zu plötzlich und zu patzig hervor und stand zu schnell auf.

"Ich bin müde, und die ganze Nacht mit Gequatsche zu verschleudern bringt's ja wohl auch nicht-... wegen morgen eben--..."

Fye nickte und lächelte freundlich zu ihm hinauf. Das blasse Mondlicht ließ seine schlanke Gestalt wie eine Erscheinung wirken.

"In Ordnung. Geh ruhig. Wenn du Durst bekommst, Wasser steht neben der Treppe. Morgen muss ich wieder zur Arbeit, jetzt hab ich schon fast drei Tage am Stück gefehlt, mein Chef wird mich vierteilen. Aber wenn ich wieder da bin, können wir alles machen, was wir vorhatten! Zur Feuerwehr, zur Versicherung, zur Bank, und so. Musst du morgen früh auch noch wohin?"

"Auch zur Arbeit", hörte er sich sagen, "Und jemanden besuchen. Aber bis zum Frühstück bin ich wieder da."

Der Blondschopf nickte abermals. "Okay. Frühstück gibt es morgen um acht, weil Shaolan und Sakura-chan zur Schule müssen. Magst du Spiegeleier mit Speck?"

Kurogane wurde es heiß in den Ohren, und er spürte, wie es sich ihm elend im Magen ballte.

"Ja, geht so-... ich... ich bin dann oben."

Fye legte immer noch lächelnd den Kopf schief.

"Schlaf gut. Wenn was los ist, weck mich einfach. Ich schlafe in der Küche."

"G-gut--..."

Der Killer flüchtete regelrecht ins Hausinnere.

Sein Herzschlag ging wie das Rattern eines Presslufthammers, und sein fliegender Atem beruhigte sich erst, nachdem er die Treppe zum ersten Stock hochgepoltert war, seine Zimmertür hinter sich zugeknallt und den Schlüssel im Schloss umgedreht hatte.

Keuchend presste er sich eine Hand vor die Augen. Hilflos spürte er, wie sich seine gesamte Gedankenwelt wie besessen kreisend nur noch um eine einzige Frage drehte.

Wieso-... wieso ist er nur so--...

Langsam löste er sich vom Türrahmen und starrte zum Fenster hinaus. Richtung Schwelle, auf der immer noch Fye saß.

Seine dick in Decken eingepackte Gestalt wirkte seltsam unstet.

Sein blondes, vom Mondlicht leicht silbern angehauchtes Haar zauste sich im kühlen Nachtwind.

Wie ein Kind. Wie ein kleines Kind.

Es war fast Mitternacht, als sich Kurogane endlich dazu überreden konnte, ins Bett zu gehen.

Betäubt wie ein Ohnmächtiger sank er zwischen die Kissen und fiel in einen unruhigen, traumverworrenen Schlaf.



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Kommentare zu diesem Kapitel (12)
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Von: Maryhase
2011-08-27T20:17:54+00:00 27.08.2011 22:17
hey XD

der bentley hier, hieß nicht zufällig auch kermit?
auch wenn er schrottreif ist...
lisa und ich mussten sehr lachen als der bentley kam ^^

liebe grüße,
caro (vorleser ^^)
lisa (zuhörer)
Von:  Bito
2008-10-02T17:10:54+00:00 02.10.2008 19:10
Yay~
Die Spitznamen xDDD
*rofl*
Und Missis Robinson find ich echt genial xDDD
Von: abgemeldet
2008-09-21T09:27:47+00:00 21.09.2008 11:27
Du hast "Schwärzli" vergessen XDD
Der Stimmungswandel im Kapi hat mir richtig gut gefallen- vor allem weil er nicht einfach so plötzlich da war sondern sich sozusagen eingeschlichen hat- wenn du verstehst was ich meine^^
Mir hat die Ruhe am Schluss jedenfalls sehr gut getan; ich bin richtig zufrieden geworden. So, wie ne Katze die auf einem bequemen Platz liegt und sich die Sonne auf den Pelz scheinen lässt =) So richtig ausgeglichen halt.
Hoffentlich gibt's noch mehr solcher Momente!
Grüssle, Ildi
Von:  Soffel
2007-07-24T14:37:21+00:00 24.07.2007 16:37
ich bin wirklich begeistert >_<
die ff ist wirklich gut strukturiert und so
dein Schreibstil gefällt mir zudem auch gut.
vor allem die Geheimnisse die sich erst stück für stück lüften sind klasse ausgebaut
die beziehung zu Kurogane und Fye wird auch immer besser ins Licht gerückt x3
ich habe kaum eine so gutete ff gelesen^^
also mach schnell weiter
ich würde mich wirklich freuen
Von:  Schreiberling
2007-06-04T11:05:39+00:00 04.06.2007 13:05
Schönes Kapi.
Aber irgendwie total traurig.
Kommt ab hier eine gedankliche und gefühlsmäßige Wende von Kurogane?
Kam mir so vor.
Frage mich ob Toja und Yukito ihnen auf die Schliche kommen, wenn sie das Wort Katana nachschlagen.
Spinnt Fye oder hat er echt Gott getroffen?
Fand die Missis total witzig beschrieben.
VLG
Von:  Loveless
2007-05-31T19:53:33+00:00 31.05.2007 21:53
Ein wirklich tolles Kapitel.
Die Spitznamen (endlich)und die Szene auf der Treppe *schmacht*
An der Stelle, wo Fai sagt:"Und du müsstest aufhören zu morden." habe ich eine Gänsehaut bekommen.
Zudem möchte ich dir ein großes Kompliment machen.
Mir ist bei diesem Kapitel das erste Mal so richtig bewusst geworden, dasss du ein großes Talent für Dialoge hast.
Du schaffst es hauptsächlich mit deinen Dialogen deine Geschichte zu beleben und dass ist meiner Meinung nach ein großes Talent.
Mach weiter so.^^
Lieben Gruß
Loveless
Von: abgemeldet
2007-05-30T19:30:12+00:00 30.05.2007 21:30
Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!!!!! Endlich ein neues Kappi!!! *freu freu freu*
*totlach* Sandwich im Brustkorb ° °
Und sie duzen sich ....und endlich kommen die Spitznamen!! *ausflipp*
Und wie die Beziehung zwischen Kro und Fay sich weiterentwickelt......total toll!!!!!
Das hier ist immer noch meine absolute LieblingsFF!
Bitte schreib schnell weiter!!! *schon jetzt nicht mehr abwarten kann*
Von: abgemeldet
2007-05-30T19:23:53+00:00 30.05.2007 21:23
"Ich hasse breitbusige Altsommerweiber..." höhöhö
ach, kuro hat geniale vorurteile!
und der teil an der treppe war so wundervoll! *sniff*
deine fanfic ist soooo supi!!
Dyok
Von:  BabyTunNinjaDrac
2007-05-30T18:34:02+00:00 30.05.2007 20:34
Es war soubi schön... das Ende, wo sie beide an der TReppe saßen, war so herzzereißend ;__; Mah ;__;

Aber du schaffst es auch immer wieder, witzige Dialoge in deine FF einzubauen xD ICh fand das soubi geil, als Yukito Touya fragte: Bist du schwul? xDD
Und ich dachte nur: Tja, Touya, wir wissen es xD
Von:  CptJH
2007-05-30T17:58:43+00:00 30.05.2007 19:58
Wie gesagt: Genial!
Ich hoffe, Johansen konnte sein Sandwich noch essen? XD Soviel BLut war ja sicher nicht mehr da~
*komische Ansichten hat*
Und Missis Robinson ist klasse~
XD


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