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Glaubst du an Geister...?

Eine Kurzgeschichte
von

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Glaubst du an Geister...?

Glaubst du an Geister?
 

Ich spreche mit einem Mann. Er sagt, er kenne meinen Großvater.

“Woher?” frage ich erstaunt. Seine kalten, grauen Augen sehen durch mich hindurch in weite Ferne.

“Von früher...” antwortet er schlicht. Ich traue mich nicht, noch etwas zu sagen.
 

Wir sitzen einander gegenüber auf einem verlassenen Bahngleis. Er hatte schon lange hier gesessen als ich mich schließlich verloren neben ihm niederließ. Verwundert drehte ich mich um, als er mich ansprach.

“Warum bist du hier?” fragt der Mann und ich sehe sehnsüchtig nach vorn.

“Vielleicht hoffe ich, dass, obwohl das Gleis verlassen ist, doch noch ein Zug kommt und mich abholt.” seufze ich und der Alte lacht: “Ein Zug? Der Bahnhof ist schon seit über 60 Jahren außer Betrieb.”

Ich lächle und nicke versonnen. Stille kehrt ein. Wir beide sehen auf die verlassenen Gleise, das halbverfallene Gebäude und die völlig verwilderte Umgebung.

Ich beiße mir auf die Lippen und frage ihn: “Warum sitzen sie hier?”

Der Anflug eines Lächelns streift über sein Gesicht, doch er antwortet nicht.
 

Wir sitzen schweigend nebeneinander. Die Stille ist nicht unangenehm, wie die, die bei großen Versammlungen oder Festen eintreten kann. Wir hören zu. Wir hören der Stille zu. Ich, völlig aus dem Trott des Alltags gerissen und er, wer auch immer er ist.

“Wie geht es ihm?” fragt er auf einmal ganz leise.

“Ich... weis es nicht wirklich...” murmel ich und höre wie er “Ach so...” seufzt.
 

Eine Schwalbe fliegt über uns hinweg zu ihrem Nest in einer Mauer...
 

“Er war ein Wissenschaftler wie du sicher weist.” Ich schüttle gedankenlos den Kopf. Der Mann merkt es nicht und spricht tonlos weiter: “ Sein Weg führte den jungen Mann, der er damals war, nach Mexiko. Er steckte noch voller Enthusiasmus und Ziele. Die Hauptaufgabe für ihn bestand darin, die Echtheit von Knochenfunden zu bestätigen. Es wurden zahlreiche Gebeine entdeckt, auf den Ausgrabungsstätten und dein Großvater kam zu einer ganz bestimmten.” Der Mann stoppt in seiner Erzählung. Ich merke, dass er nicht häufig mit jemanden spricht.

“Es war die Gräberstätte eines uralten Kultes. Mexikaner mieden diesen Ort. Der Glaube an böse Geister war zu stark und die Geschichten über diesen Ort, zu weit verbreitet. Er kam dorthin... mitten im Sonnenschein, 35 Jahre alt und ein strahlendes Gesicht. Viele Tage verstrichen... aus ihnen wurden Wochen, daraus Monate und schließlich sogar Jahre. Irgendwann wich die Sonne dem stetigen Regenwolken und die Euphorie wich dem Trott und der Trauer. Die Nächte waren voll von Alpträumen und die Tage voll von den Schatten die seine Mitarbeiter und Freunde waren. Sein Wesen bröckelte vor sich hin, während er immer in dem Zelt im Lager war, wo er arbeitete.

‘Kommt’ sagte einer zu ihm nach zwei Jahren ‘Kommt, ich will ihnen etwas zeigen...’ und dein Großvater ging mit ihm. Der Andere führte ihn verschlungene Wege, bis sie, es war schon dunkel, zu einem Eingang kamen. Es war das unmittelbare Mausoleum jenes Kultes gewesen.” Er hört auf mit reden und starrt einfach vor sich hin.

Ich habe das Gefühl, dass die Geschichte noch nicht zu Ende ist und warte, doch er spricht nicht mehr weiter.

Mein Blick schweift ebenfalls ab. Die Schwalbe fliegt wieder über uns hinweg und ich höre irgendwo weit, weit entfernt eine Sirene. Doch sie verstummt und um uns herum herrscht wieder diese angenehme Stille.
 

Der Mann seufzt. Mein Ohr zuckt bei diesem Geräusch ein wenig, ‘Vielleicht wird er ja doch weitererzählen?’, geht es mit durch den Kopf und sehe ihn an. Seine Augen sind leer.

“Glaubst du an Geister?” fragt er schließlich unvermittelt. Ich lächle: “Nein, nicht wirklich.”

“Hmm, das dachte ich mir... und doch bist du heute hier...” Er sieht mit direkt in die Augen nachdem er das gesagt hat.

“Wie meinen sie das?” Nun ist er derjenige der lächeln muss.

“Du wartest auf einem verlassenen - ja, eigentlich toten - Bahnhof auf einen Zug der dich mitnimmt.” Ich muss wohl ziemlich dumm aussehen, als ich darüber nach denke und merke es auch viel zu spät.

“Ich glaube nicht... an Geister wie aus dem Klischée... ach... ist doch egal..” murmel ich, versuche von meiner Unwissenheit abzulenken. Ich gestand mir, wenn auch nur unwillig, ein, dass ich nie wirklich über diese Dinge nachgedacht habe.

“Mexiko, Schottland... Tibet... Kreta und Neuseeland, so viele Orte auf dieser Welt, wo die Menschen an Geister glauben und wo Dinge geschehen, die rational nicht zu erklären sind. verstehst du? Aber so sagen es nur Stümper, Idioten - kurz... Wissenschaftler.

Dein Großvater war damals lächelnd über den Aberglaube der Mexikaner hinweggegangen und der starke religiöse Glaube sowie die allgegenwärtige Ahnenverehrung überstiegen sein Verständnis. An Geister hat er vor Mexiko auch nicht geglaubt.”

Ich halt es nicht mehr aus dieses darum- herum- Gerede :”Was war denn nun in dem Mausoleum passiert?”

“Ich weis es nicht.” antwortet er ohne nachzudenken.

“WAS?” Ich konnte mich nicht zurückhalten und das wird mir klar, als ich meine Stimme an den Wänden wiederhallen höre. Sofort schäme ich mich für den Ausbruch, doch der Alte lächelt mich verständnisvoll an.

“Ich habe ihn erst danach wiedergesehen.” Ich verstehe ihn nicht und streiche mir unwirsch das Haar aus dem Gesicht.
 

“Wie haben sie ihn kennen gelernt?” frage ich, doch er geht nicht darauf ein, sondern erzählt weiter: “Er war völlig verändert. Nicht äußerlich... jedenfalls nicht direkt. Nach weiteren drei Monaten fuhr er wieder nach Hause. Alle Knochenfunde waren echt gewesen.”

Mir läuft es kalt den Rücken runter. Der Klang seiner Stimme hat sich bei diesem letzten Satz ‘verdüstert’, das ist jedenfalls das einzige Wort das dazu zu passen scheint.
 

“Wieso weißt du nicht wie es ihm geht?” fragt er kalt.

Ich blicke in den Himmel. Erhoffe ich mir von ihm eine Antwort?

“Ich habe schon seit sehr langer Zeit keinen Kontakt mehr zu ihm.” sage ich schließlich fest. “Ich weiß noch wie er uns alle behandelt hat. Das war... unangenehm. Aber man hat mir ohnehin die Entscheidung abgenommen, denn als meine Eltern den Kontakt abbrachen war ich noch zu klein um etwas dazu sagen zu können.”

Er antwortet nicht, dafür bin ich dankbar. Ich muss meine Gedanken neu ordnen.
 

Ja, ich war noch jung gewesen als ich meinen Opa das letzte mal gesehen habe. Sieben oder Acht Jahre alt, ganz genau weiß ich es nicht mehr. Seine Augen waren so dunkel und leer gewesen. Sein ganzes Wesen schien eine gewisse Traurigkeit auszustrahlen. Die Bewegungen waren ruhig, seine Stimme monoton. Selbst meine Großmutter verließ ihn, weil er keine Gefühle mehr zu haben schien, so sagt sie.

Ich werde niemals vergessen wie er mich ganz zum Schluss an gesehen hat. Ich Träume sogar noch davon.
 

Der Mann neben mir kramt in seiner Tasche herum, bis er schließlich gefunden hat was er sucht. Er hält es mir unter die Nase. Salbei...

“Auch eins?” fragt er ohne mich anzusehen. Ich nicke und schiebe mir eines der Salbei-Bonbons in den Mund. Es schmeckt angenehm, nicht zu süß oder zu bitter. Auch er nimmt sich eins und steckt daraufhin die Schatulle wieder weg.

“Im Winter ist es hier sehr schön...” sagt er verträumt.

“Kann ich mir vorstellen...”
 

Der Wind bläst uns durch das Haar und mir fliegen alle Gedanken davon. Ich habe keine Möglichkeit sie aufzuhalten und möchte es eigentlich auch gar nicht.
 

“Er ist also allein...” sagt der Alte schließlich.

Der Himmel hat inzwischen ein helles violett angenommen. Wer weiß wie lange ich schon hier sitze.

Ich habe keine Lust auf seine Feststellung einzugehen.
 

“Das Mausoleum ist absolut schmucklos, einige uralte Kultgegenstände liegen auf einem riesigen steinernen Altar und die offenen Särge oder Sarkophage sind innen voll verkrustetem Blut. Es gibt eine Granitene Platte mit Gravur im Boden, doch bisher ist es noch nicht gelungen diese anzuheben oder gar wegzuschaffen. Selbst die Inschrift konnte noch nicht entziffert werden.

Man hat überall auf der Ausgrabungsstätte Knochen gefunden, aber in dem Mausoleum, einem Ort der für so etwas geschaffen ist, hat man nicht einen Einzigen entdeckt. Nur Blut...”

Ich schweige.

“Ein Kult... Die Archäologen haben noch immer keine handfesten Hinweise gefunden was es für einer war.” es klingt irgendwie selbstgefällig.

“Was sind sie?” frage ich kühl.

“Was bin ich? Wer bin ich. Woher komme ich...” er lächelt nicht, legt keine Betonung in die drei Fragen, die ich ihm stellen will oder gestellt habe.

“Es ist nicht wichtig.” sagt er schließlich klar und fest.
 

“Wieso hoffst du hier auf einen Zug der dich fort bringt?” flüstert er mit dem Wind.

Ich spüre warme Tränen meine Wangen entlang laufen während ich über die Frage nachdenke. Mein Blick verschwimmt als ich mit gebrochener Stimme hauche: “Ich bin leer... mein Leben - alles! Wenn hier tatsächlich ein Zug käme... so würde er mich weiter bringen können als ein gewöhnlicher Zug es kann. Ich habe nichts mehr was mich hier hält, ich habe alles verloren...”

“Träume? Hoffnungen? Und Freunde? Kann schon sein.... und das ist traurig, nicht wahr? Doch du spürst es noch... das Leid, oder? Das wiederum ist gut.”

Ich blicke ihn an, versuche ihn klar zu sehen und verstehe auf einmal was er meint. “Dieser Kult...” beginne ich mit schwacher Stimme “Hat den Menschen ihren... Geist genommen?” frage ich den Mann. Er nickt.

“Aber... woher kommt das ganze Blut?”

Er sieht mich an. Ich glaube ein wenig Verlegenheit in seinen Augen zu entdecken. “Menschen ohne Geist weinen Blut... tagelang.”

- ’Alpträume... Schatten die seine Kollegen und Freunde waren...’ -

Mir wird schlecht. Ich halte mir eine Hand vor den Mund. Als ich glaube das mein Magen sich beruhigt hat nehme ich sie wieder weg.

“Und mein Großvater?” Nein, sage ich in Gedanken, er nicht, nicht bei seinem letzten Blick.

“Ich bin mir nicht sicher.” sagt der Mann.

“Sie?”

“Nein...”

Ich denke kurz nach. “Was passiert mit den Geistern?”

“Sie gehen fort.”

Ich stutze.

“Weißt du... der Geist geht wandern, wenn ein Mensch stirbt und der Mensch weint Blut, wenn ihm der Geist vor dem Tod entrissen wird.
 

Dein Großvater hat dir nachgesehen, mit einem Blick voll der Gefühle, die er für verloren geglaubt hat, deswegen ging er dir bis heute nicht aus dem Kopf - du musstest wissen was ihn gebrochen hat. Es war der Kult - es war Mexiko. Dieser Kult existiert heute nicht mehr, doch die Geister schon, jeder Mensch hat einen.”

“Ich verstehe...” der Gedanke an meinen Großvater wird schwächer und mir wird klar, dass er mir mit einem Blick alle Gefühle lehrte, die ich gebraucht hab. Deswegen habe ich so oft von ihm geträumt - ihn nie vergessen.
 

“Weine ich nun auch Blut?” frage ich nach einiger Zeit verträumt.

“Nein...” antwortet er lächelnd.

“War es mein Herz?”

“Ja... es war schon immer schwach.”

“Ich weiß.” Ich höre ein Geräusch. “Endlich....” hauche ich erleichtert.

“Dein Zug kommt.” sagte der Mann neben mir sanft und steht auf. Seine Augen treffen meine. “Gute Reise!” wünscht er.

Ich bedanke mich, stehe auch auf und steige in einen Wagon, während er sich zum gehen wendet.
 

Sonnhild Weirauch 26.5.o6 - 20.6.06



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2007-01-08T21:46:26+00:00 08.01.2007 22:46
ui *_* toll toll toll.. weißt du eigentlich, das du toll Gefühle beschreiben kannst!!!!
ich liebe deine Kurzgeschichten *seufz* *fahne schwenk* hab eine Gänsehaut bekommen ._.
Von:  Sariei
2007-01-02T10:40:44+00:00 02.01.2007 11:40
halleluja was für eien geschichte -wirklcihe sehr sehr schön geschreiben
sehr leidenschaftlich - ich meine die gefühle der handelnden ,sind fast anwesend!
Im obrigen kommie les ich grad :das Mädchen schon tot ist... ehrlich? also der abfahrenden nicht anwesende zug ist eine matapher für dne tod aber tatsächlich... interessant...Jedenfalls finde ich die Geschichte äußerst gelungen und mich würde es ncith wundern wenn du mal an eine verlag gehen würdest!
Lg Curo
Von:  Caralein
2007-01-01T16:20:59+00:00 01.01.2007 17:20
Wow.... oke ich muss mich erst einmal Sammeln um das zu verarbeiten...^^ also mir gefiel diese Story besonders gut, so tiefgründig... wundervoll mysteriös... melancholisch. ich mag die Art wie die beiden ihr Gespräch führen. Ich konnte es förmlich vor mir sehen... die Wendung am Schluss war sehr passend. Ehrlich gesagt wäre ich gar nicht darauf gekommen dass das Mädchen schon tot ist... eher der Mann ^^" aber es war wirklich interessant, du schreibst tolle Kurzgeschichten^^

Liebe Grüsse *knuddel* Caralein^^


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