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Wahre Liebe - falsches Spiel

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Oops oder warum Brüder ein Fehler der Natur sind

Nach einer langen Zeit des Wartens hier nun der Epilog.

Gewidmet: meiner lieben Freundin Gloria, die mich immer bestärkt und mit der man die besten Buchunterhaltungen führen kann, und dem Schuschu, weil es die Story liest und mich gelobt hat *grins*

Vorhang auf für den letzten Teil...
 


 

Wahre Liebe, falsches Spiel - Epilog
 

Tai wachte auf. Hellgrelle Lichtstrahlen durchbrachen die gemütliche Schattenwelt seines Schlafes und erste Geräusche drangen an sein Ohr: das Brummen eines Staubsaugers über seinem Kopf, das Ticken einer Uhr direkt an seinem Ohr und seltsame Tierlaute, die er nicht genau einzuordnen wusste.

Gegen den Staubsauger konnte er nichts tun, aber das Ticken gehörte zu seiner Armbanduhr und er musste nur versuchen den eingeschlafenen Arm unter seinem Kopf hervor zu ziehen... naja, konnte er auch später machen... dann würde es bestimmt nicht mehr so kribbeln... blieben noch die seltsamen Tierlaute, deren Verursacher allem Anschein nach er selbst war.

Diese befremdliche Erkenntnis, leichte Kopfschmerzen und der Nachhang eines fantastischen Traums begleiteten also Tais Erwachen. Drei gute Gründe gar nicht erst richtig wach zu werden. Das Bett war auch so wunderbar weich. Allerdings störte ihn das Ticken auch weiterhin. Und seine Augen sandten ihm inzwischen brauchbare Bilder einer ihm gänzlich unbekannten Umgebung. Zusammen mit dem Gefühl irgend etwas extrem wichtiges verpasst zu haben hielten sie den Gebeutelten vom erneutem Einschlafen ab.
 

//Ich hasse Montage - ist heute Montag? Gosh, ich hab keine Ahnung welchen Monat wir haben... haben wir einen Monat? Oder ist die Welt explodiert? Hey, das würde dieses fremde Zimmer erklären... ich wurde von Außerirdischen aufgelesen... //

Müde starrte er die Decke über sich an.

//...weiss... diese Aliens sind ziemlich einfallslos...

...

...

WO BIN ICH? !//
 

Tai drehte den Kopf nach links.

//Fenster... nette Aussicht... Bikiniwerbung... kein Schimmer... //

Tai drehte den Kopf nach rechts.

//Schrank... hellbeige... uninteressant... Tür... seltsames Schloss... seltsa - Hotel? //

Das wäre zumindest eine wahrscheinlichere Erklärung für die ungewohnte Umgebung. Aber... warum sollte er in einem Hotel schlafen, wenn er sich gerade in Tokio befand? Oder war er etwa gerade auf Tour mit seinem Team? Konnte ihm sein nutzloses Gehirn nicht mal ein paar brauchbare Infos lie - ah, ok, DAS schien etwas brauchbares zu sein.

//Tiss... //

Hatte seine EX-Freundin ihn nicht aus SEINER Wohnung geworfen, weil er sie mit IHRER Affäre konfrontiert hatte? Wie er sich kannte hatte er sich anschließend bestimmt irgendwo zugesoffen, wahrscheinlich sogar - jep, genau, sein bester Kumpel war mit von der Partie gewesen. Auf echte Männerfreundschaften konnte man sich eben verlassen. Eigentlich seltsam, dass er nicht nach Hause gefahren war, sondern ihn in dieses Hotel gebracht hatte.

Der Wuschelkopf wandte sich wieder der Fensterseite zu.

//Die Gegend kommt mir Null bekannt vor... er hätte mich doch bestimmt nicht extra mit dem Taxi in ein bestimmtes Hotel gefahren... //

Also... was war denn dann passiert? Tai glaubte sich schwach zu erinnern, dass er sich von seinem Teamkollegen verabschiedet hatte und dann allein losgezogen war, weil...

//Allein an der Theke sitzen und sich betrinken, das taten nur totale Versager.//

Tai grinste.

Und hatte er dann nicht jemanden getroffen? Eine Frau? Eine blonde Schönheit, die er auf einen Drink eingeladen hatte und mit der er ZUSAMMEN die Bar wieder verlassen hatte?

Sorgfältig glitt der Blick des Fußballprofis durch den Raum und suchte nach irgendeinem Anhaltspunkt, der ihm sagte, dass er nicht allein im Zimmer war...

//Ein Kleidungsstück... Lippenstift... eine Handtasche... Nachricht... //

Aus den Augenwinkeln erspähte er etwas weißes. Etwas weißes, das auf dem Nachtschränkchen lag. Etwas weißes, das aussah als könnte es eine Nachricht enthalten.

Schwerfällig drehte sich der Braunschopf auf die Seite und stützte sich auf. Sein Gesicht verzog sich schmerzhaft, als der taube Arm sich lautstark zu Wort meldete. Trotzdem streckte er tapfer den zweiten Arm nach dem weißen Etwas aus und schon beim zweiten Anlauf bekam er das dünne Zettelchen zu fassen. Es war tatsächlich eine Nachricht. Allerdings hatte sie keinerlei Ähnlichkeit mit dem, was Tai erwartet hatte. Im Gegenteil. Anstatt ihn über seine Lage aufzuklären trug sie nur noch mehr zu seiner Verwirrung bei.

<Zimmer bereits bezahlt. Vielen Dank für die letzte Nacht. Sayonara, M. >
 

//M. ?//

Tai hatte die Nachricht inzwischen oft genug gelesen um sie auswendig zu kennen, aber verstehen tat er sie immer noch nicht.

//Bis auf den ersten Satz... //

Was war letzte Nacht passiert? Und wer war M.?

<Zimmer bereits bezahlt.>

Entschlossen setzte er sich weiter auf und griff nach dem Telefonhörer. Das Zimmer war bereits bezahlt, also musste irgend jemand hier auch wissen was Sache war.

"Hotelrezeption, guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?"

"Äh... ähm, guten Morgen. Ich... hab leider keine Ahnung in welchem Zimmer ich bin, aber hier neben mir liegt eine Nachricht, dass das Zimmer bereits bezahlt sei und unterschrieben ist nur mit "M.". Können Sie mir bitte weiterhelfen?"

"Ihre Zimmernummer ist "118". Wenn Sie einen Moment warten würden, ich schaue im Computer nach von wem die Rechnung beglichen wurde..."

"Danke."

Das Hotelpersonal musste ja extrem gut geschult sein. Nichts konnte den jungen Mann an der Rezeption überraschen. Er wusste genau, welches Problem Tai hatte und machte sich sofort daran es für den liebenswürdigen Chaoten zu lösen. War das nicht toll?

Geduldig wartete unser halbwacher Fußballer darauf, dass seine Erinnerung aufgefrischt wurde. Danach würde sich alles klären, er würde noch kurz dem Luxus dieses weichen Bettes frönen und sich dann einer heissen Dusche hingeben, bevor er ganz gemütlich zurück zu seiner Wohnung gehen würde. Und im Taxi... bliebe immer noch genug Zeit um sich wegen Tiss Gedanken zu machen.
 

"Yagami-san? Es tut mir Leid, aber ich finde keinen Eintrag über die Person, die Zimmer 118 bezahlt hat."

Das war's dann wohl mit gemütlich im Bett liegen bleiben.

"Aber das Zimmer ist doch bezahlt, oder?"

"Ja, das Zimmer ist bereits bezahlt. Allerdings ist kein Name vermerkt. Wenn Sie möchten frage ich beim Hotelmanager nach..."

"Ja, bitte, das würde mir sehr weiterhelfen."

"Gut. Ich rufe Sie dann sofort zurück, wenn ich genaueres weiss."

"Ah, ok, Danke."

Verwirrt legte er den Hörer zurück. Konnte man ein Zimmer bezahlen ohne seinen Namen angeben zu müssen? Er kannte das bisher nur von einer ganz bestimmten Art Hotel - und dieses Zimmer wirkte viel zu wohnlich um stundenweise vermietet zu werden. Unruhig schlug er die Decke zurück und schwang die Beine über die Bettkante. Er war noch komplett angezogen.

//Also ist gestern Nacht doch nicht mehr passiert, als das, an was ich mich erinnere... oder?//

Tai knöpfte nie den obersten Knopf zu. Aus Gewohnheit nicht. Und doch war er jetzt zugeknöpft. Ganz ohne Zweifel, jemand anderer hatte sein Hemd zugeknöpft. M.?

Er schnupperte.

//Das ist nicht nur mein Eau de toilet. Da ist noch mehr... lecker mehr.//

Der Geruch gefiel ihm. Sein Hemd hatte noch nie so gut gerochen... aber warum?

//Denk nach, denk nach!//

Frustrierend solche Blackouts aufgrund erhöhter Alkoholzufuhr. Vielleicht sollte er dafür sorgen, dass man ihn nicht mehr verließ. Dann würden diese Art Probleme bestimmt nicht wieder auftreten.
 

Lautes Telefonklingeln schreckte ihn aus seinen Gedanken.

"Yagami-san? Ich kann Ihnen leider nicht viel weiterhelfen. Anscheinend wurde Ihr Zimmer von einem geschätzten Gast bezahlt, der darum gebeten hat nicht namentlich erwähnt zu werden."

"..."

"Yagami-san? Sind Sie noch dran?"

"...Ja... Danke..."

Er legte auf.

...

Oookaaay. Das... war ja nun weniger als nichts.

//Verdammt! //
 

Eine hastige Dusche und eine kurze Taxifahrt später sperrte Tai die Tür zu seiner Wohnung auf. Er durchsuchte alle Zimmer nach Tiss und musste zu seiner Enttäuschung feststellen, dass sie schon von selbst gegangen war. War wohl nichts mit dem rauswerfen...

Nachdem er sich ein großes Glas Cola gegönnt hatte tätigte er genau drei Anrufe. Der erste verlief sehr befriedigend und der Mann vom Schlüsseldienst wollte noch am selben Tag vorbeikommen und das Schloss an Wohnungstür auswechseln. Der zweite bestätigte ihm nur, was er schon wusste: er hatte sich tatsächlich zusammen mit seinem Kumpel in seiner Lieblingskneipe vollaufen lassen, bis dieser auf seinen Zug gemusst hatte. Der dritte schließlich endete relativ rasch, da das Taxiunternehmen sich - anders als im Film - hartnäckig weigerte Informationen zu ihren Gästen oder den gestern Nacht zurückgelegten Strecken herauszurücken.

Erschöpft aber relativ zufrieden lehnte sich der Fußballer auf seiner Couch zurück.

//Nachdenken, Tai... Bar... Frau... Bar... //

Die Bar in der er mit ihr gewesen war. Sie war nicht weit von seiner Kneipe entfernt gewesen. Der Name war... egal. Er wusste wo diese Bar lag, das sollte kein Problem darstellen. Aber dann? Wie sollte er dann weiter vorgehen?

Sie waren mit dem Taxi weitergefahren. Zu ihrer Wohnung. Sie hatte ihn kurz draußen warten lassen und er hatte an Matt gedacht. Ja, genau, so langsam viel es ihm wieder ein. Aber würde er sich auch an den Weg erinnern, wenn er im Taxi saß? Wohl kaum. Er war gestern schon ZIEMLICH sehr angetrunken gewesen...

//Aber irgendwie muss das doch zu finden sein... argh, hätte ich nicht besser aufpassen können, als sie dem Fahrer die Adresse nannte? //

Genervt schloss er die Augen und zermarterte sich das Gehirn nach irgendeinem Anhaltspunkt - und dieses Mal durfte er auf keine Nachricht hoffen.

//Nur eine Kleinigkeit... ein Strassenname... ein Schild... eine Reklame... IRGENDWAS! //

Ein Geräusch?

Als er aus dem Taxi gestolpert war und das Mädchen ihn lachend gestützt hatte war noch ein anderes Geräusch an sein Ohr gedrungen, das Geräusch von rauschendem Wasser. Ein Fluss vielleicht...

//Nur das "Fluss" mir nicht wirklich weiterhilft.//

Aber es war schon mal ein Anfang. Er musste einfach nur weitermachen... langsam, Schritt für Schritt alle Gedächtnisfetzen zusammenklauben bis er das Puzzle zusammensetzen konnte.
 

Das Haus... war mehrstöckig gewesen. Aber es war keines dieser riesengroßen grauen Ungetüme gewesen, sondern ein schickes Apartmentgebäude. Und drum herum war für Tokios Verhältnisse ziemlich viel freier Platz gewesen... mit Zierbüschen und Rasen und so. Waren sie vielleicht gar nicht mehr in Tokio direkt gewesen, sondern in einem Vorort? Er selbst wohnte ja auch nicht direkt in der Stadt. Und jetzt da er darüber nachdachte hatte die Taxifahrt ungefähr genauso lang gedauert wie zu ihm nach Hause.

//Klasse, ich wurde von meiner unbekannten Nachbarin verführt... //

Nachbarin... da war doch noch etwas gewesen... etwas in der Nachbarschaft... ah, genau: Musik. Live-Musik um genau zu sein. Man hatte sie bis ins Haus hören können und seine Bekanntschaft hatte ihm erzählt, dass sich in der Nähe eine Art Club befand. Ein Club, der öfters Indie-Bands live auftreten ließ. Und der Name des Clubs war...

//...hatte mich an irgendwas erinnert. Irgendwas mit Essen... und dem Coach... Coach... Essen... Coach... Sushi... Coach... Miso... Co- SUMI! //

Er hatte die Marotte des Coachs Sushi in Misosuppe zu tunken nie verstehen können, aber das war der Name des Clubs.

//Und jetzt sollte es doch wohl ein Kinderspiel sein dieses Haus zu finden.//

Sehr, sehr zufrieden mit sich selbst angelte Tai nach seinen Schlüsseln, rief sich ein Taxi und verließ die Wohnung um ein wenig durch die Gegend zu fahren.
 

"Hallo Matt, hier ist TK. Falls dus wieder vergessen hast: ich komm heut gegen 15 Uhr vorbei. Und vergiss nicht den Film auszuleihen!"

"Oops."

Grinsend hörte Matt seinen Anrufbeantworter zu Ende ab, bevor er die Nachricht von TK und seinem Manager löschte. Da hatte er doch tatsächlich wieder vergessen, dass ihn sein jüngerer Bruder besuchen kam. Allerdings hatte er diesmal eine gute Entschuldigung dafür. Eine lecker braungebrannte Entschuldigung mit schokoladenfarbenen Augen und einem Lächeln zum Dahinschmelzen. Da konnte man schon mal seinen nächsten Verwandten vergessen...

Aber der Kleine würde ihm nie verzeihen, wenn er den versprochenen Film nicht da hätte. Tai hin oder her - der Film war seit langem versprochen gewesen und Matt wusste einfach nicht, wie lange er diesmal hierbleiben konnte.

//Na dann geh ich doch besser gleich los... und einkaufen kann ich bei der Gelegenheit auch gleich.//
 

//...//

Fassungslos starrte Tai an der blütenweissen Fassade des Hauses nach oben. Er hatte es geschafft. Nach etlichen Umwegen und Zwischenstops, bei denen er Passanten nach dem Weg gefragt und versucht hatte ihnen das Gebäude zu beschreiben stand er nun direkt davor. Er hatte es gefunden. Er hatte Marina gefunden.

Selig stand er auf dem ruhigen Platz und ließ das Gefühl des Sieges auf sich wirken. Hach, es tat so gut zu wissen, dass man ein Genie war. Jetzt musste er nur noch da rein gehen und jemanden nach Marinas Apartmentnummer fragen. Seltsam, dass er sich daran nicht erinnern konnte - schließlich hatte er lange genug auf die Zahl an der Tür gestarrt. Aber das war jetzt nebensächlich. In wenigen Augenblicken würde er an Marinas Tür klopfen, das überraschte Mädchen in den Arm nehmen und für den Rest seines Lebens nicht mehr loslassen.

Soweit der Plan. Aber was wenn es einen guten Grund dafür gab, dass Marina keine Hinweise auf ihre Person hinterlassen hatte? Vielleicht war sie unheilbar krank...

//Dann werde ich bis zum Ende nicht von ihrer Seite weichen.//

Oder sie hatte bereits eigene Kinder...

//Ich könnte ihnen Fußball beibringen und sie zu meinen Spielen mitnehmen.//

Verheiratet?

//...//

Entschlossen schüttelte der Braunschopf seine Mähne. Nein, nichts da. Er würde da jetzt reingehen und dann würde er schon sehen, was passiert.

Schnell lief er auf den Eingang zu und betete, dass er nicht zu lange warten musste bis ihm jemand über den Weg lief, den er nach der Blondine fragen konnte.

Anscheinend waren ihm die Götter wohlgesonnen, denn während er noch auf das Gebäude zumaschierte konnte er einen milchigen Schatten hinter der Glastüre erkennen und kurz darauf trat ein junger Mann in seinem Alter nach draußen.

"Ah, Entschuldigung! Hallo? Könnten Sie mir kurz helfen?"

Hastig rannte er auf den Fremden zu, der ihm verwundert entgegenblickte.

"Sorry, aber ich suche eine Bekannte, die hier wohnen muss. Vielleicht kennen Sie sie. Ihr Name ist Marina und sie hat kurze blonde Ha-"

"Tut mir Leid, aber hier wohnen nur Männer. Sind sie sicher, dass dies das richtige Gebäude ist? Die Häuser hier in der Gegend wurden fast alle vom gleichen Architekten entworfen und sehen sich sehr ähnlich. Man kann sich leicht im Haus irren..."

Tai starrte den Mann an, als rede er klingonisch.

//Nur Männer...?//

"Nein, nein, ich bin mir hundertprozentig sicher, dass es das richtige Haus ist. Sind Sie sicher, dass hier nur Männer wohnen? Vielleicht wohnt sie noch nicht lange hier..."

Der Fremde warf Tai einen mitleidigen Blick zu.

"Leider ja, Kumpel. Die Vermieterin will damit alleinstehenden Männern eine Möglichkeit geben auf eigenen Beinen zu stehen oder so ähnlich."

Geknickt hörte der Braunschopf zu.

//Aber ich bin mir so sicher, dass es das richtige Haus ist! //

In einer aufmunternden Geste klopfte der junge Mann Tai auf die Schulter.

"Du findest das richtige Haus bestimmt noch, also nicht aufgeben. Viel Erfolg!"

"Danke."

Versucht lächelnd schaute er dem davoneilenden Mann nach.

//Und jetzt? //

Seufzend ging er in die Hocke und starrte den Boden an. Das war das richtige Haus. Er war sich SICHER, dass es das richtige war - aber wieso wohnten hier dann nur Männer? Tai verstand es einfach nicht...
 

"Tai?"

Eine verwunderte Stimme schlich sich in seine Wahrnehmung und ein Schatten in sein Sichtfeld.

Der Fußballer schaute auf.

"Kann ich Ihnen helfen?"

Zu spät bemerkte er, dass vor ihm ein Teenager stand. Ein blonder Teenager, der ihm irgendwie bekannt vorkam. Sehr bekannt.

"Sag mal, hast du eine Schwester die Marina heisst?"

Der Junge lachte auf.

"Eine Schwester? Aber du weisst doch, dass ich keine Schwester hab, Tai."

Schon wieder diese vertrauliche Anrede. Als ob der Kleine ihn kennen würde. Vielleicht war er ja ein Fan... aber er erinnerte sich doch nicht an alle seine Fans!

"Weiss ich das?"

Der Blonde rollte mit den Augen.

"Du erkennst mich nicht, oder?"

Tai schwieg verbissen. Nein, man konnte wirklich nicht von ihm erwarten, dass er alle seine Fans erkannte.

"TK?"

Der Junge wurde ungläubig angestarrt.

"Ah, wenigstens scheint dir mein Name noch was zu sagen. Sehr schön."

Matts jüngerer Bruder lächelte vergnügt und Tai konnte ihn nur weiter anstarren. Was machte plötzlich TK hier? Seit Jahren hatten sie keinen Kontakt mehr, da Matt ihn untersagt hatte und nun stand das zweitjüngste Mitglied ihrer Digi-Gang einfach so vor ihm.

//Irgendwas muss in den Drinks gewesen sein. Ich bin schon tot... oder doch von Aliens aufgesammelt worden. //

"Hat's dir die Sprache verschlagen? Was machst du eigentlich hier? Hat Matt dich eingeladen? Habt ihr euch endlich wieder versöhnt?"

"Matt? Wieso Matt?"

Dieser Tag wurde immer verwirrender.

"Na, er wohnt doch hier."

TKs Stimme klang etwas genervt. Also soviel Begriffsstutzigkeit hätte er auch einem Fußballer nicht zugetraut.

"Hier? In diesem Haus?"

"Ja, hier, in diesem Haus - zumindest solange die Band in Tokio ist."

Der Jüngere musterte ihn.

"Wolltest du gar nicht zu Matt? Wohnt hier ein Freund von dir?"

Langsam stand der Braunschopf wieder auf.

"Äh, nein, ich... hab jemanden gesucht. Aber ich hab mich wohl im Haus geirrt..."

TK strahlte ihn an.

"Na super, dann kannst du ja mit zu Matt kommen."

"Ich glaube nicht, dass das so eine tolle Idee ist. Matt wäre sicher nicht sehr erfreut, wenn ich so plötzlich vor seiner Tür steh..."

"Achwas, er freut sich bestimmt. Ihr habt euch schließlich seit sieben Jahren nicht mehr gesehen..."

"Acht..."

Ganz leise verlies dieses Wort Tais Mund.

"Was? Ach egal, er wird sich siche-"

Das Geräusch einer runterfallenden DVD-Hülle ließ die beiden herumfahren. Tai schluckte trocken, als er sich seinem Jugendfreund gegenübersah. Was sollte er jetzt tun? Und was störte ihn an Matts Erscheinung?
 

//Tai.//

Einfache Feststellung. Erforderte bestimmt weniger als 1% seiner Gehirnkapazität. Also... warum war er dann plötzlich zur Regungslosigkeit verdammt?! Und wieso drehte sich in seinem Kopf alles im Kreis? Hatte da jemand auf den großen roten Knopf mit der Aufschrift <AUF KEINEN FALL DRÜCKEN!> gedrückt?

//Tai.//

Soweit waren wir schon. Das da vorne neben seinem Bruder - ja, genau, sein Name war TK - war der Fußballprofi Taichi Yagami. Das war ein Fakt und zwar seit etwas längerer Zeit. Daran konnte er rein gar nichts ändern. Aber er könnte so langsam mal herausfinden WARUM Tai dort neben seinem Bruder stand - direkt vor seiner Haustür.

//Tai.//

Ok... der Knopf schien wirklich sehr gut zu wirken. Vor der nächsten Jahrtausendwende wurde das sicher nichts mehr. Ob man seine Statue gut behandeln würde...?

"Hi, Bruderherz."

Stimmt, da war ja noch einer.

"Tai hat sich verirrt und ich hab ihn zu dir eingeladen. Du hast doch nichts dagegen, oder?"
 

* * *
 

Aufmerksam beobachtete Tai den blonden Sänger. Obwohl in seinem Inneren ein Orkan widerstrebender Gefühle tobte funktionierte sein Verstand messerscharf und analysierte die Situation: Matt, den er seit acht Jahren nicht gesehen hatte, stand plötzlich vor ihm und er hatte nicht das Gefühl so lange von ihm getrennt gewesen zu sein. Und das war total irre, denn in den letzten Jahren hatte er jeden einzelnen Tag die Trennung von seinem besten Freund gespürt. Wo war die Widersehensfreude? Die Überraschung? Der Schock? Irgendwas stimmte hier doch nicht... Und was würde Matt nun antworten?
 

* * *
 

"Matt?"

Unter größster Anstrengung schüttelte Matt den Kopf und konnte nun wenigstens auf einen Teil seiner Gedankenwelt zugreifen.

"Nö, geht klar. Aber ich hab kaum Chips da..."

Etwas stockend und verwirrt zwar, aber immerhin hatte er es geschafft zu antworten. Bravo, Matt. Und was kam als nächstes? Achja, die DVD war auf den Boden gefallen und er sollte sie vielleicht besser wieder aufheben...
 

* * *
 

Erleichtert vernahm Tai die positive Antwort. Er hatte keine Ahnung, was er gemacht hätte, wenn Matt ihn weggeschickt hätte. Aber darüber musste er sich nun zum Glück auch keine weiteren Gedanken machen. Viel eher sollte er sich überlegen, wie er die Sache vor acht Jahren am Besten bereinigen könnte...

Irritiert unterbrach der Fußballer seine eigene Gedankenkette und starrte Matt an, der sich gerade nach der runtergefallenen DVD bückte - nur dass er statt seines besten Freundes das Mädchen von letzter Nacht sah: Marina.

//Das ist doch absurd. In Marinas Gegenwart hab ich mich ständig an Matt erinnert und nun denke ich an Marina. Sind die beiden irgendwie miteinander verwandt?!//

Aber das Schlimmste war ja gar nicht, dass er an Marina dachte. Oh nein, er dachte an Marina, aber er sah Matt die DVD aufheben und es war MATTs Anblick, der ihm die Röte ins Gesicht trieb. Und seine Gedanken werden hier mal eben schön brav zensiert.

"... Tai."

"Äh, was?"

Auf die Realität konzentrieren, sehr gut. TK zuwenden und Matt erstmal ausblenden - perfekt.

"Na, wenn dein Megahunger nicht in den letzten Jahren abgenommen hat ist das ziemlich schlecht."

Der blonde Ex-Zwerg grinste ihn breit an und Tai versuchte noch dahinter zu kommen worum es überhaupt ging. Ah... Chips...

Schwach grinste er zurück.

"Ich werds schon überleben."

"Na hoffentlich. Gehn wir dann mal rein? Sieht bisschen seltsam aus, wenn wir hier so im Dreieck rumstehen..."
 

* * *
 

Das war eine Aufforderung, oder?

"Klar."

Dann gehen wir eben rein in die gute Stube und - rein?! In seine Wohnung? Wo noch immer die ganzen Kissen und Decken auf dem Boden verstreut lagen, da Matt nach TKs Nachricht einen DVD-Abend im Kissenlager ganz nett gefunden hatte. In die Wohnung, die Tai auch ohne Augenbinde gesehen hatte und die er doch bestimmt sofort wieder erkennen würde, selbst wenn keine Kissen auf dem Boden lägen. Er war ja sowas von geliefert, außer...

Nein, keine Chance. TK wusste welches Apartment ihm gehörte und wie sollte er es dem Jüngeren erklären, wenn er den DVD-Abend ins Apartment seines Nachbarn verlegte? TK dachte doch er sei schon längst über Tai hinweg und wäre neu verliebt. Sein "Freund" müsse noch was in den USA erledigen und käme dann nach, hatte er gesagt. Na ganz toll...

//Das kommt davon, wenn man lügt.//

Tolle Erkenntnis. Half ihm auch unheimlich weiter. Und warum hatten sich seine Beine schon von alleine auf den Weg gemacht und die Distanz zwischen sich und Tai auf einen Meter dezimiert? Sein Verräterkörper würde doch wohl nicht dem Drang nachgeben und Tai.... er ging an dem Fußballer vorbei auf die Glastür zu. TK folgte ihm munter... und Tai anscheinend auch. Gut - schlecht! Ach, verdammt, was denn jetzt?

//Aufzug.//

Häh? Oh, ok, er war am Aufzug angekommen... moment... DAS beschäftigte sein tolles Gehirn gerade? Wofür hatte er es zig Jahre in der Schule trainiert, wenn es sich jetzt als völlig wertlos herausstellte? Hallo? Er hatte hier ein riesen Problem, das sich "Tai wird die Wahrheit herausfinden" nannte und sein Gehirn hatte nichts besseres zu tun als dafür zu sorgen, dass er der Eskalation seines Problems immer näher kam?!

Das war nicht fair! Und er konnte nicht einmal etwas dagegen tun, denn gerade eben hatte sich ein fremdkontrollierter Arm gehoben und den Knopf zu seinem Stockwerk gedrückt. Tai und TK waren auch im Aufzug. Warum fiel der Strom nie dann aus, wenn man es wollte? Oder ein Absturz. Wäre bestimmt auch ganz nett...
 

"Hier wohnst du?"

Erschrocken zuckte der Sänger zusammen. Man, sah der sexy Kerl denn nicht, dass er sich mitten im Krieg befand?

"Ja. Warum?"

Warum? Warum?! Wie dämlich konnte man ohne funktionierendes Gehirn eigentlich sein?

"Nur so. Kommt mir bekannt vor..."

<Bum-babum-bum-bum>

Na wenn das mit dem unregelmäßigem Herzschlag schon jetzt anfing würde der Abend noch mit einem Todesfall enden.

"Wenn dein Freund in einem ähnlichen Haus wohnt sieht es da bestimmt genau so aus..."

Schnell schlüpfte TK durch die aufgeschlossene Tür, bevor Matt es sich doch noch anders überlegte. Sein Bruder verhielt sich aber auch seltsam. Ob das an Amerika lag? Dann wollte er nie da hin...

"Dein Freund?"

<Bum-ba-bumbum-bum>

"Äh... eher eine gute Bekannte, die ich unbedingt wiedersehen will..."
 

* * *
 

Ah, hallo? Hatte er das gerade wirklich gesagt? Man sollte doch meinen, dass acht Jahren ausreichten um zu lernen, aber nein, Herr Tai musste ja wieder genauso anfangen wie damals: mit einer Frau.

"Also ich-"

Bevor der Braunschopf der kleineren Ausgabe des Blonden folgen konnte wurde die Tür sanft wieder zugezogen. Tais irritierter Blick glitt zu Matt, der interessiert den Boden betrachtete.

//Was ist denn jetzt los? Will er mich jetzt doch abweisen?//

Tais Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Hatte Matt nur TK gegenüber freundlich sein wollen und zeigte jetzt seine wahren Gefühle? Würde er, Tai, nun den verdienten Hass abbekommen? Konnte er gleich im Regen nach Hause laufen?

"Tai, bevor.... bevor du in meine Wohnung gehst sollte ich dir vielleicht... sollte ich dir etwas sagen."

//Er wird mich nicht rauswerfen. Er wird mir sagen, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben will, dass ich einer Vergangenheit angehöre mit der er abgeschlossen hat, aber dass ich gerne da bleiben könne, da TK sich freue...//
 

* * *
 

Schweigend betrachtete Matt seinen Jugendfreund. Das wuschelige braune Haar, das allen Gesetzen der Schwerkraft zu trotzen schien und das dem Fußballer frech in die Stirn fiel. Der athletische Körper, mit den wunderbar starken Armen und der sexy Halsgrube. Die feinen Lippen, die sich selten anders als in ein Lächeln gekleidet zeigten. Und natürlich diese wunderschönen schokobraunen Augen in die sich Matt immer wieder aufs Neue verliebte. All das würde er jetzt vielleicht wirklich zum letzten Mal sehen. Als er sich gestern von dem Schlafenden verabschiedet hatte war das eigentlich endgültig gewesen. Matt hatte auch gedacht, dass es kaum möglich sei in dieser Millionenstadt ein zweites Mal rein zufällig einer Person über den Weg laufen zu können. Und es war von Anfang an klar gewesen, dass dieser Abend einmalig sein würde. In dem Moment in dem er sich als Marina ausgegeben hatte - aber wem wollte er hier denn etwas vormachen? Er liebte diesen trotteligen Fußballer mit Schwarzem Loch im Magen und Dauergrinsen im Gesicht. Er liebte ihn und er würde ihn nie endgültig verabschieden können. Er hatte es die letzten acht Jahre nicht geschafft und daran würde sich auch in den nächsten achtzig Jahren nichts ändern.

Aber dennoch, er musste Tai die Wahrheit erzählen. Und dann würde dieser ihn wahrscheinlich abweisen, ihn für krank erklären und sich womöglich sogar vor ihm ekeln. Vielleicht würde er wütend werden, ihn anschreien und verfluchen. Er hatte Tai noch nie richtig wütend erlebt. Aber wenn er ihm nichts sagen würde, was dann? Er könnte unmöglich eine "normale" Freundschaft zu Tai aufbauen. In Soaps und Büchern konnte das funktionieren, in seinem Leben nicht. Und mit Tai - was er kaum zu hoffen wagte - eine Beziehung anzufangen, weil dieser das gleiche für ihn empfand, konnte er auch nicht mit dieser großen Lüge zwischen ihnen.

//Warum muss das Leben nur so kompliziert sein?//

Weil es sonst langweilig wäre.

"Tai, ich... also i-"

"Hey, wo bleibt ihr denn?"

Unsaft wurde die Tür gegen seinen Rücken gedrückt und TKs Kopf lugte zur Öffnung heraus.

"Oder soll ich den leeren Bildschirm etwa alleine anstarren?"

Wann hatte der Junge denn Sarkasmus gelernt? Als er ihn zuletzt gesehen hatte war der Kleine noch viel zu naiv dazu gewesen. Wie schnell die Zeit verging... aber das war nicht der richtige Zeitpunkt um über das Mysterium Zeit zu sinnieren.

"Wir kommen ja schon, du ungeduldiger Zwerg du."

Grinsend öffnete er die Tür ganz und bedeutete Tai einzutreten. Wie gut, dass er inzwischen etwas vom Showbusiness verstand. TK's Timing war aber auch echt nicht zu toppen.
 

* * *
 

Verwirrt ging Tai an Matt vorbei durch die Tür. Was war das? Wollte Matt ihm nicht etwas wichtiges sagen? Und dann ließ er sich einfach von TK unterbrechen? Waren seine Gedanken etwa richtig gewesen und Matt wollte den Kleineren nicht enttäuschen? Spielte er jetzt wieder Heile Welt? Und wie sollte er sich verhalten, wenn...

Seine Gedanken wurden rüde unterbrochen, als sich ein Déjà-vu in sein Bewusstsein drängte. Er war schon einmal durch diese Tür gegangen, an genau dieser Person vorbei, in genau diesen kleinen Flur. Und dort rechts war das Wohnzimmer mit den Kissen auf dem Boden und den Teelichtern. Und Marina... Nein, stop. Die Suche nach Marina musste warten. Jetzt hatte er erstmal etwas mit Matt zu klären. Etwas, das schon acht lange Jahre hatte warten müssen.

Kopfschüttelnd schlüpfte er aus seinen Schuhen und stellte sie ordentlich neben die Tür.

"Sorry, aber ich war zu lang in Amerika um an Gästeschlappen zu denken..."

Tai musste grinsen, als er die verlegene Stimme hörte. Das war typisch Matt. Etwas das sich auch in acht Jahren nicht geändert hatte. Und irgendwie freute es ihn, festzustellen, dass es etwas an Matt gab, das er noch kannte. Wieviel würde er noch wiedererkennen? Und was hatte sich alles verändert? Wie war die Person "Matt" heute?

Schmerzlich wurde dem jungen Fußballer wieder bewusst, dass er das wahrscheinlich nie rausfinden würde. Dieser DVD-Abend würde einmalig sein und danach würden ihm nur die Erinnerungen bleiben. Die Erinnerungen an Matts feines, blondes Haar, das er ihm am liebsten sanft aus dem Gesicht streichen würde. Die porzellanhelle Haut, durch die an den Handgelenken bläuliche Adern schimmerten. Die schlanke Gestalt, die sich mit einer Anmut bewegte, die jeder Tänzerin Konkurrenz machen konnte. Der sinnliche Mund, der das zauberhafteste Lächeln hervorbringen konnte, das er kannte. Und die Augen. Matts unvergleichliche, jeansblaue Augen.

//Wenn man meine Gedanken so betrachtet könnte man meinen ich sei in ihn verliebt. Aber das ist natürlich total absurd... total absurd.//

Schnell wechselte er wieder auf Realität und beeilte sich TK ins angrenzende Zimmer zu folgen. Er sollte vielleicht doch mal einen dieser Seelenklempner aufsuchen. Diese Realitätsflucht war ja schon regelrecht krankhaft. Und sie wurde immer realistischer, denn anstatt Matts jugendliches Wohnzimmer zu betreten, das typisch nach Junggesellenbude aussah, befand er sich plötzlich wieder in Marinas Zimmer. Die Kerzen fehlten, aber die Kissen lagen noch genauso da wie er sie verlassen hatte.
 

* * *
 

Matts Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Nicht etwa, weil es sich mit dem Problem der fehlenden Schlappen beschäftigte, die er in dem kleinen Supermarkt zwei Blocks weiter gerade zum Angebotspreis bekommen würde, nein, der junge Sänger überlegte fieberhaft wie sich doch noch alles zum Guten wenden ließ.

//Irgendwas muss ich doch tun können...//

Und dann betrat Tai hinter TK das Wohnzimmer. Mit einem lauten <Zing> rissen alle Gedankenfäden in Matts Gehirn und er starrte den Fußballer an. Jetzt konnte er nichts mehr machen, nur noch zu den Schicksalsgöttern beten und sich ihrer Willkür überlassen.
 

Mit keiner Wimper wagte er zu zucken, als Tais Blick hektisch durch den Raum glitt, während sein Körper starr am Eingang stehen geblieben war.

//Vielleicht wird doch noch alles gut. Er wird irritiert sein, dass mein Zimmer genauso eingerichtet ist wie Marinas, aber es gibt viele Leute mit ähnlichem Geschmack. Ich kann behaupten mein Zimmer wäre einem Beispielzimmer aus einem Katalog nachempfunden. Ja, genau, purer Zufall. Es... //

Hoffnung war eine grausame Erfindung, denn um so mehr Hoffnungen man sich machte um so brutaler wurden sie zerstört.

Ergeben schloss Matt die Augen, bevor er wieder die kleine Perle anfixierte, die Tai gerade mechanisch vom Boden aufhob.

//Das war's dann. Ende der Geschichte.//

"TK?"
 

* * *
 

Verdammt, sogar die Muster der Kissen waren absolut identisch mit denen aus Marinas Zimmer. Wieso verfolgten ihn die Bilder hier auf Schritt und Tritt?

//Weil es keine Einbildung ist. Dies hier ist wirklich Marinas Zimmer.//

Aber das war absolut unmöglich. Schließlich befand er sich hier in Matts Wohnung und der hatte keine Schwester. Und wenn Marina seine Freundin sein sollte war sie eine verdammt linke Frau und Tai sollte seinen besten Freund vor ihr warnen.

//Er ist nicht mehr dein bester Freund. Und er hat dich belogen.//

Nein, Tai glaubte dieser schmeichelnden Stimme in seinem Kopf kein Wort. Matt war sein Freund und würde ihm nie so einen üblen Streich spielen.

//Aber dies ist doch Marinas Wohnung, oder? Das Haus passt, die gesamte Einrichtung passt - du hast sogar gefühlt, dass du schon mal hier warst. Du musst nur zwei und zwei zusammenzählen: Marina ist blond - Matt auch, in Marinas Wohnung lagen Kissen auf dem Boden - genau wie hier und zuletzt: Matts einzigartige jeansblaue Augen - Marina hatte sie auch, nicht wahr? Ist das nicht etwas seltsam...?//

Aufhören! Tai wollte nichts mehr hören. Warum musste ihm diese Stimme diese Dinge erzählen? Warum musste sie sein Herz in Stücke reissen und den Aasgeiern vorwerfen? Das waren doch alles völlig ungerechtfertigte Anschuldigungen. Es konnte sich immer noch alles als purer Zufall erweisen. Die Adresse hatte er auf gut Glück rausgefunden, es gab viele Leute, die sich die Zimmer nach einem bestimmten Beispiel einrichteten. Und verdammt noch mal es gab haufenweise blonde Personen... aber nur einen Menschen mit jeansblauen Augen.

Wie in Trance bückte er sich und streckte die Hand nach dem kleinen Holzkügelchen am Boden aus. Warm schmiegte es sich an seine Finger und bestätigte ihm, dass es sich tatsächlich um eine Perle aus seinem Armband handelte. Dem Armband, das heute Nacht bei Marina zerrissen war.

Fassungslos starrte er die Perle an, ignorierte die hämische Stimme in seinem Kopf, die ihm vorhielt, dass sie es schon die ganze Zeit gewusst habe.

//Du bist ein Idiot, Tai, ein Idiot! Die ganze Zeit wolltest du dieser falschen Schlange trauen. "Er ist mein bester Freund, nie würde er mich belügen". Siehst du jetzt was für ein toller Freund er ist? Er hat dich belogen. Er hat deine Situation ausgenutzt und sich an dich rangemacht. Er hat seine Spielchen mit dir gespielt, dich dazu gebracht, dass du dir ein Leben ohne ihn nie wieder vorstellen kannst. Und dann hat er dich fallen gelassen. Es war schließlich nur ein Spiel. Die Rache für dein Verhalten vor acht Jahren. Jetzt seid ihr wirklich quitt.//

Ein kleiner Teil in ihm weigerte sich noch immer das zu akzeptieren, aber die hämische Stimme wurde immer lauter und dominanter.

//Wahrscheinlich hat er sich mit deiner Ex abgesprochen und nur darauf gewartet, dass ihr euch trennt und du am Boden zerstört einen trinken gehst. Deinen Kumpel hat er bestochen, damit er dich abfüllt und dann alleine nach Hause gehen lässt. Es war kein Zufall, dass er in dich gerannt ist. Es war alles von Anfang an geplant. Er hat dich manipuliert und dazu gebracht, dass du ihm in seine Wohnung folgst. Was meinst du, warum er dir diese Augenbinde umgebunden hat - damit du sein triumphierendes Grinsen nicht sehen kannst...//
 

"TK?"

Die Stimme drang nur entfernt an sein Ohr.

"Mhm?"

Der jüngere der beiden Brüder war etwas unruhig. Tai starrte jetzt schon seit Minuten diese Kugel in seiner Hand an und Matt schien mit einem Mal alle Kraft verlassen zu haben. Müde und zerbrechlich lehnte er am Türrahmen, den Blick auf Tai gerichtet.

"Könntest du uns allein lassen? Das mit dem DVD-Abend tut mir Leid, aber wir werden ihn auf jeden Fall wiederholen, ja?"

Der Blondschopf nickte nur. Was sollte er auch tun? Schnell schlüpfte er in seine Schuhe und schaute dann noch mal zu seinen beiden Freunden. Er hoffte, dass was immer gerade los war sich schnell auflöste und die beiden wieder genauso gute Freunde wurden wie früher.

"Ich geh dann..." leise murmelte er diese Worte, bevor er still die Tür hinter sich zu zog. Nun waren Matt und Tai die einzigen in der Wohnung.
 

* * *
 

"Tai? Bitte schau mich an."

Der Blonde hatte keine Ahnung, was er sagen wollte, aber Tai sollte ihn ansehen, während er ihm alles erzählte. Alles...

Der zornige Blick des Fußballers traf ihn allerdings gänzlich unvorbereitet und brannte sich tief in ihm ein. Ohja, er hatte Tai nie wütend erleben wollen und jetzt wusste er auch wieso. Aber da musste er jetzt durch, nicht wahr? Schließlich war es seine Schuld, dass alles so gekommen war...

Er schluckte.

"Ich... ich bin Marina. Das war es, was ich dir vorher vor der Tür sagen wollte. Ich... ich wollte dich nicht belügen..."
 

* * *
 

//Lügner! Es war alles geplant! Du hast mich aufs gemeinste belogen und betrogen. Du hast mein Vertrauen missbraucht, meinen alkoholisierten Zustand ausgenutzt und meinen Körper geschändet.//

Hass und Wut in Tais Blick verstärkten sich. Trotzdem war er bereit zuzuhören, was der Blonde zu erzählen hatte.

"...ich... gestern... wir hatten ein Shooting für das ich ziemlich weiblich geschminkt wurde..."

//Ziemlich weiblich? Nur ein alkoholisierter Dummkopf wie er würde das erkennen...//

"...das Shooting... wir hatten vorher kaum Gelegenheit richtig hier anzukommen. Ich... ich wollte nur noch in meine Wohnung und mich ausruhen. Deshalb hab ich mich nicht abschminken lassen. Ich dachte nachts ist sowieso nicht viel los und zu Hause hätte ich genug Gelegenheit dazu. Und dann... ich war so überrascht. Ich hätte nicht gedacht dir so schnell über den Weg zu laufen. Ich war geschockt, hatte Angst, wusste nicht, was ich tun sollte. Du warst bestimmt immer noch sauer auf mich..."

//Worauf du wetten kannst, Kleiner. - nein, eigentlich überhaupt nicht...//

"...und dann hast du mich nicht erkannt. Du hast gedacht ich sei eine Frau und mich auf einen Drink eingeladen. Ich war total überrumpelt. Das konnte doch nur ein Scherz sein. Aber du hattest so einen ernsten Blick drauf. Deshalb bin ich mitgegangen. Spätestens in der Bar wirst du deinen Irrtum bemerken und vielleicht ist dann das Eis schon gebrochen... dachte ich..."

Aufmerksam hörte Tai zu, seine Stimme war immer leiser geworden, konnte dem Erzählten nichts entgegensetzen. Bis hierhin schien alles total logisch, keine falschen Absichten, keine Verschwörung.

//Das ist eine Falle, lass dich nicht von ihm einlullen!//

Der Blonde strich sich automatisch eine störende Strähne zurück bevor er fortfuhr.

"... dann waren wir in der Bar. Wir haben gelacht, geredet, getrunken... es war toll sich ganz normal mit dir unterhalten zu können... als hätten die letzten acht Jahre nicht existiert. Als du mir aus deinem Leben erzählt hast, von deinem Training, der Mannschaft, euren Spielen, Kari, hatte ich das Gefühl dabeigewesen zu sein. Das war toll... und deswegen konnte ich mich dir nicht offenbaren. Innerlich suchte ich mich selbst zu rechtfertigen, indem ich behauptete du würdest schon noch erkennen, wer ich bin... aber es war klar, dass du es nicht erkennen würdest."

Die Worte des Sängers holten in Tai die Erinnerungen an den Abend zurück. Jetzt erinnerte er sich wieder an die kleine Bar, in die er mit Marina gegangen war. Sie waren an einem kleinen Tischchen gesessen und hatten einfach nur geredet. Nur geredet, und Tai hatte das unglaublich gut getan. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich das erste Mal vorgenommen dieses Mädchen nie wieder gehen zu lassen...

"Dein Angebot hat mich total überrumpelt. Ich wusste genau, jetzt musste ich das Spiel beenden und alles aufklären - aber ich konnte nicht. Ich... ich wollte mich weiterhin der Illusion hingeben, dass wir zwei ganz normale Personen waren, die sich zufällig auf der Strasse getroffen hatten und jetzt dabei waren sich ineinander zu verlieben. Ich wusste genau, dass das die einzige Gelegenheit werden würde dir so nah zu kommen. Deshalb hab ich nichts gesagt. Ich... ich hab dich absichtlich betrogen."

Dass es Matt unglaublich schwer fiel den letzten Teil zu sagen bekam Tai gar nicht mit. Viel zu laut johlte die Stimme in seinem Kopf auf.

//Ich hatte Recht. Er hat dich betrogen. Er hat selbst zugegeben, dass er dich betrogen hat. Es war alles Absicht. Diese falsche Schlange hat das alles geplant um dir weh zu tun!...//

Doch ein anderer Teil in Tai fing an nachzudenken. Distanziert von den Emotionen, die sein Bewusstsein eingenommen hatten, analysierten sie Matts Worte und versuchten die Wahrheit darzustellen.
 

* * *
 

"Ich wünschte ich wäre nie aus Amerika zurückgekehrt..."

//...dann hätte ich dir diese Trauer und diese Wut ersparen können.//

Das war's. Er hatte alles gesagt und nun besaß er kaum noch die Kraft zu stehen. Aber er musste stehen, musste hier ausharren bis Tai sich entschieden hatte. Vielleicht würde er ihn zusammenschlagen, vielleicht auch einfach nur anschreien - oder er verließ stumm die Wohnung. Matt war es gleich. Er wusste, dass er verloren hatte. Es war unbedeutend, was jetzt noch passierte.

Plötzlich spürte er einen festen Griff an seinen Unterarmen und er wurde von Tai an die Wand neben der Tür gepinnt.

"Warum?!"

Schmerzhaft stieß sein Kopf gegen die Wand, als Tai ihn kurz nach vorne zog und dann wieder an die Wand drückte.

"Warum sagst du so was?! Du behauptest es hätte dir Spaß gemacht mit mir zu reden, du wärst glücklich gewesen, als ich von meinem Leben erzählt hab. Du hast gesagt du wolltest mir nah sein und konntest deshalb nicht zeigen wer du bist. Wie kannst du dann jetzt behaupten, dass es besser gewesen sei, wenn du nie hierher zurück gekommen wärst?!"

Dem Braunschopf liefen die Tränen in Bächen übers Gesicht und auch Matt biss sich auf die Unterlippe in dem sinnlosen Versuch die Tränenflut einzudämmen.

"Warum?"

Die zornige Stimme von eben war nun kaum mehr als ein rauhes Flüstern. Und Yamato konnte nicht antworten. Er wusste nicht was. Schließlich stellte er sich selbst die Frage, wieso er das gesagt hatte. Für nichts in der Welt würde er die Erinnerung an diesen Abend eintauschen, oder?

//Doch... wenn Tai dann nicht mehr traurig sein müsste.//

"Ich habe gedacht ich bedeute dir etwas. Wie kannst du dann so etwas sagen? Willst du wieder wegrennen wie vor acht Jahren? Willst du es dir wieder leicht machen, ohne an die zu denken, die du hier zurücklässt? Meinst du, das würde mir gefallen?"

Langsam baute sich die Wut wieder in Tai auf. Matt konnte spüren wie der Griff um seine Arme wieder fester wurde.

"Ich renne nicht weg!"

"Du rennst weg. Genau wie vor acht Jahren versuchst du deine eigenen Gefühle und Gedanken für dich zu behalten um ja nicht zu Schaden zu kommen. Du bist doch Marina - dann verhalt dich auch so!"

Noch bevor Matt etwas erwidern konnte pressten sich Tais Lippen fest auf seine eigenen.

//Nein! Nicht so.//

Seine Arme wurden weiter festgehalten und Tais Körper drückte ihn zusätzlich gegen die Wand. Er fühlte sich hilflos, ausgeliefert. Die harten Lippen auf seinem Mund gehörten nicht dem liebevollen Tai mit den warmen Schokoaugen, sondern einem Unbekannten.

Er wehrte sich gegen die Hände, die ihn fesselten, den Körper, der ihn erdrückte und die Lippen die ihm etwas aufzwangen, das er nicht wollte. Er wehrte sich und plötzlich änderte sich das Szenario: die Lippen verwandelten sich in zärtliche Schmetterlingsflügel, die seine eigenen sanft streiften; ihre verschränkten Hände klebten an der Wand und Tais Körper schmiegte sich warm und schutzspendend an ihn.
 

Jeansblaue Seelenspiegel tauchten in schokofarbene Seen und ertranken in dem Wirbel aus Emotionen. Was hatte er denn noch zu verlieren?

"Warum?"

Nur einen Schritt hinter Tai würde man Matts leise Stimme nicht mehr hören können.

"Weil ich dich liebe."
 

* * *
 

Tais Herz hämmerte bis zum Hals. Er war selbst überrascht über seine Aktion. Gerade eben noch war er unglaublich wütend auf seinen Freund gewesen, wütender als der Gedanke an den Betrug allein ihn machen konnte. Und schon im nächsten Augenblick hatte sich das Gefühl von Matts weichen Lippen in seinem Körper ausgebreitet. Sein Körper erinnerte sich sofort an diese Berührung und stellte sich auf sofort auf Marina ein. Verliebt schmiegte er sich an den vertrauten Körper und hauchte zarte Küsse und auf die leicht salzig schmeckenden Lippen. Er wusste, dass es nicht Marina war, die er da küsste. Er wusste, dass es Matt war, den er da küsste. Matt, sein bester Freund seit der Mittelschule. Matt, der Marina war. Und Tai liebte Marina.

Als er den Kuss löste und Matt in die wirklich einzigartigen Augen schaute, in diesem Moment merkte er, dass es ihm egal war ob Marina Matt war oder andersrum. Er liebte den Menschen mit den jeansblauen Augen und dem strahlenden Lächeln.

//"weil ich dich liebe"//

Sanft vereinte der Fußballer ihre Lippen in einem erneuten Kuss. Matt hatte ihm seine Liebe gestanden. Was acht Jahre zwischen ihnen gestanden hatte war nun ausgesprochen worden. Und Tai hatte sich selbst eingestanden, dass er Matt liebte. Nun bedurfte es keiner weiteren Worte mehr. Das falsche Spiel hatte eine wahre Liebe ans Licht gebracht.
 

ENDE
 


 


 

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*an der Nase kratz* eigentlich schaff ich es nie meine Stories mit einem gelungenen Schluss zu versehen, aber irgendwie find ich das gerade richtig stimmig^^

Vielen Dank an alle, die meine FF bis hierher durchgelesen haben. Durch euch fühle ich mich jetzt richtig toll ^-^

Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat.
 

Los ab jetzt, geht los und sucht eure Liebe. Lebt ein glückliches Leben... ach, seid einfach was ihr seid und stolz drauf. Ich hab euch alle lieb T_T
 

Sayônara, Akki.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2008-08-03T12:55:18+00:00 03.08.2008 14:55
Echt ein richtig gelungenes ende!!!!
hasste richtig super gemacht!!! ich konnte mir alles richtig gut vorstellen und deine schreibweise ist echt geil!!!

lg Soria


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