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Anubis Black

JadenxChazz, AtticusxZane (Kapitel 22 ist da!!!)
von

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Schatten

So, hier ist also meine neue GX-Fanfiction, und natürlich geht es auch wieder um mein Lieblingspairing! Erst mal nur der Prolog, das erste Kapitel kommt auch bald, versprochen!^^
 

~~~ *** ANUBIS BLACK *** ~~~
 

Prolog: Schatten
 

Schritte hallten durch die dunklen Korridore der Duellakademie. Es war Nacht und der bleiche Mond schien durch die Fenster, beleuchtete die Gestalt eines rennenden Mannes. Der Schweiß perlte ihm von den Schläfen und seine Augen irrten in der Finsternis umher, als fürchte er, jede Sekunde einem namenlosen Grauen in die Hände zu fallen. Unter seinem Arm trug er eine reichverzierte Schmuckkassette, die mit schwarzem Samt überzogen und mit goldenen Mustern bestickt war. Auf ihrem Deckel prangte das vergoldete Porträt eines Schakals. Der Mann umklammerte die Kassette, als hinge sein Leben davon ab und lief immer weiter; sein Atem ging bereits keuchend und die Anstrengung verengte ihm die Brust. Er musste es schaffen! Zu viel hing davon ab!! Er erreichte das Auditorium Maximus, die größte Vorlesungshalle der Schule und stolperte hinein, die Tür leise hinter sich schließend. Mit einem Taschentuch tupfte er sich den Schweiß von der Stirn und blickte sich suchend um. Nein, sie waren nicht hier....noch nicht! Jetzt galt es, schnell zu handeln! Er eilte zum Lehrerpult hinüber und drückte die Lampe zur Seite, die darauf stand. Ein Mechanismus setzte sich in Gang und das Möbelstück bewegte sich zur Seite. Unter sich gab es eine Treppe frei, die nach unten in die Tiefe führte. Der Mann stieg die Stufen hinunter und das Pult schob sich wieder wie von selbst in seine ursprüngliche Position. Er befand sich nun in einem unterirdischen Gang, den er mit raschen Schritten durchmaß. Sein Herz klopfte wie rasend und er gestattete sich erst ein kurzes, erleichtertes Aufatmen, als ein großes gusseisernes Tor vor ihm aufragte. Er legte seine Hand auf eine Schaltfläche und ließ seine Fingerabdrücke einscannen, danach die Augennetzhaut. Das Tor öffnete sich und er schlüpfte hindurch. Er gelangte zu einem Rondell, das von sieben Säulen umsäumt war und in der Mitte einen Sockel aufwies. Er stellte die Kassette darauf ab und der Schakal auf dem Deckel begann zu glühen. Von jeder der Säulen, die plötzlich ebenfalls zu leuchten anfingen, schoss eine Kette auf die Kassette zu und schlang sich teils um sie, teils um den Sockel. Die Versiegelung war vollendet.

Er sank erschöpft auf den Boden und fuhr sich über den kahlen Schädel. Er hatte es geschafft. Nicht auszudenken, wenn die „Schlüssel der Götter" in die falschen Hände gefallen wären! Auf einmal zuckte er jedoch instinktiv zusammen und sprang auf die Füße.

„Wer ist da?" flüsterte er heiser, doch seine Anspannung wich, als er eine großgewachsene, vertraute Gestalt erkannte. „Ach, Sie sind es. Ich dachte schon...."

Die Person lächelte, doch es war kein freundliches Lächeln und dem Mann gefror buchstäblich das Blut in den Adern. Die dunkle Aura, die sein Gegenüber plötzlich auszustrahlen schien, schnürte ihm fast die Kehle zu.

„Ich weiß, was Sie dachten. Unglücklicherweise haben Sie recht, mein Lieber. Bedauerlich, aber nun einmal nicht zu ändern. Ich danke Ihnen, dass Sie so freundlich waren, mich zum Ort der Versiegelung zu führen."

„Sie sind zu spät! Einzig die Auserwählten können diese Versiegelung lösen! Die Tore werden sich nicht für Sie und die Schatten öffnen!"

„Sie sind nicht in der Situation, aufmüpfig zu sein, mein Bester. Sie sollten einen der unseren niemals herausfordern!"

Eine Hand, die in einem schwarzen Handschuh steckte, wurde von dem sanften Licht der sieben Säulen beleuchtet. Die Gestalt murmelte eigenartig klingende Worte in einer altertümlichen Sprache und der Mann, der die Kassette versiegelt hatte, hatte den Eindruck, als würden unsichtbare Finger damit beginnen, ihn zu würgen.

„Zu Hilfe....zu Hilfe, Seelen der Vergangenheit!" röchelte er hervor, als der Druck zunahm, und aus dem Bildnis des Schakals auf dem Deckel brach eine durchsichtige Erscheinung hervor, die den Feind innehalten ließ. Sie schwang zwei blitzende Schwerter und der Unbekannte zuckte zusammen, als die scharfen Klingen seinen Arm verwundeten. Er fluchte und verschwand in einer Rauchwolke. Sein zurückgelassenes Opfer rang nach Atem und verneigte sich anschließend vor der Erscheinung.

„Ich danke Euch für Euren Beistand, mein Anführer. Ich hätte niemals erwartet, dass er....ein Verräter ist. Aber jetzt ist es offenbar - und das heißt, dass es kein Zurück mehr gibt. Die Ära der Auserwählten ist angebrochen...."

Die durchschimmernde Gestalt nickte und verschwand wieder im Inneren der Kassette. Er sah ihr nach und wusste, dass er nichts mehr tun konnte. Die Schatten waren zurückgekehrt und nur die Hüter der Sieben Tore konnten sie besiegen, wie die Prophezeiung es besagte:
 

„Eines Tages kehren sie zurück,

die Schatten der Nacht.

Und was sie suchen, ist der Kreaturen Macht.

Verhindern kann ihren Triumph,

wer als Hüter geboren,

bereit zu kämpfen vor den alten Toren.

Im ersten wird zum Kampf vereidigt,

am zweiten wird die Hoffnung verteidigt.

Das dritte ist Freiheit, das vierte die Liebe,

worauf fünftens der Ewige Frieden noch bliebe.

Im sechsten prüft manchen die Wahrheit vergebens,

das siebte Tor ist die Pforte des Lebens."
 

Er seufzte tief. Er wusste, dass er es den Auserwählten nicht ersparen konnte, erneut eine Schlacht zu schlagen, die sie einstmals verloren hatten. Aber was hatte er schon für eine Wahl?
 

PROLOG ENDE
 

Ich gebe zu, die Versiegelungsszene ist von "X" inspiriert...bis zum 1. Kappi!^^

Das Spiegelbild im Wasser

So, und hier ist, wie versprochen, das 1. Kapitel! Ich war am Wochenende weg, sonst wär's etwas früher gekommen. Viel Spaß beim Lesen!^^
 

Kapitel 1: Das Spiegelbild im Wasser
 

Chazz Princeton sass in der ersten Vorlesung dieses Tages und langweilte sich, beschönigend ausgedrückt, einfach zu Tode. Die Vorträge von Professor Crowler waren ohnehin nur bis zu einem gewissen Maß erträglich und da es heute um „Berühmte Duellanten und ihre Erben" ging und der gute Professor sich natürlich gleichfalls zu ihnen zählte, was eine übertriebene Selbstbeweihräucherung zur Folge hatte, die bis zum Himmel stank, war es nicht weiter verwunderlich, dass Chazz mental abschaltete (wie die meisten Studenten in diesem Kurs). Statt dessen holte er sein Deck aus seiner Tasche und begann, sich ein paar Strategien auszudenken, was er allerdings auch nicht lange durchhielt, da eine Reihe schräg vor ihm jemand hockte, den er noch interessanter fand als seine Karten. Das war 1.) relativ ungewöhnlich und 2.) hätte jeder in diesem Fall den besagten Jemand als Alexis Rhodes identifiziert, denn schließlich war es offensichtlich, dass Princeton in sie verliebt war. Ja. Dieser Meinung war er bislang auch gewesen. Nur befand er sich momentan in einer Situation, die ihn klar verwirrte und ihn an seinem Verstand zweifeln ließ - denn in dieser einen Reihe schräg vor ihm sass eben nicht das blonde Mädchen, sondern ein brünetter Jüngling.
 

>>Ich kapiere das nicht....was ist bloß in mich gefahren?! Wenn ich ihn ansehe, beginnt mein Herz schneller zu schlagen....das ist vollkommen idiotisch! Vielleicht sollte ich mich untersuchen lassen, eventuell stimmt irgendwas nicht mit meinen Herzklappen oder sonst was ist nicht ganz korrekt. Hm....er passt mal wieder nicht auf. Okay, in dieser Vorlesung tut das ohnehin keiner, aber bei mir beeinträchtigt das nicht meinen Notendurchschnitt. Bei ihm dagegen....ist er überhaupt in irgendeinem Fach gut? Vermutlich nicht, von so einer Slifer-Niete kann man ja auch nichts anderes erwarten! Trotzdem....er bringt mich....durcheinander. Und das schaffen in der Regel nur sehr wenige! Richtig begriffen habe ich diesen Kerl sowieso nie. Ich meine, selbst wenn er mal verliert, was jemanden mit so einer unverschämten Glückssträhne wie er sie hat, ziemlich frustrieren müsste, ist er begeistert und läßt sich nicht entmutigen. Nach vorne schauen, sich mit Enthusiasmus in jede neue Aufgabe stürzen und sich nicht unterkriegen lassen, das ist seine Philosophie. Das muss anstrengend sein. Und wie er sich um seine Freunde kümmert! Kein Duell ist ihm zu gefährlich oder zu risikoreich, wenn es darum geht, seine Freunde zu retten. Ob ich jemals für andere Menschen so viel durchgestanden hätte? Aus freien Stücken? Für meine Brüder? Nein. Jagger und Slade....in ihren Augen war ich immer nur ein Instrument, das man gebraucht, um dem Familiennamen zu noch mehr Größe zu verhelfen, bis das Werkzeug sich abgenutzt hat und weggeworfen werden kann. Möglicherweise hätte ich mich für Alexis angestrengt. Sie ist ein tolles Mädchen....hübsch, klug, eine klasse Duellantin, hilfsbereit und immer für einen da. Ich bin doch verliebt in sie....oder nicht? Hm, wenn ich mich fragen muss, kann es mit der Liebe nicht weit her sein....Ich freue mich immer, wenn ich sie sehe. Allerdings - was heißt das wirklich? Sosehr es mir widerstrebt, das zuzugeben, ich freue mich im Grunde auch, wenn ich ihn sehe....und es will mir scheinen, als freute ich mich bei ihm sogar noch mehr. Aber das kann ja schlecht sein! Ich kann ihn nicht leiden, ich verachte ihn!....Wobei....denkt man so viel über jemanden nach, den man verachtet? Was genau mag ich eigentlich nicht an ihm? Erstmal ist er ein Slifer....aber das sagt nichts über den Menschen aus, der in der Uniform steckt. Moment! Stammt das von mir??? Alexis färbt allmählich auf mich ab....! Versuche ich es anders. Seine Duellfähigkeiten gehen gegen Null. Keiner kann mir weismachen, dass da Können und Taktik eine Rolle spielen, bei ihm ist es nur verdammt viel Glück! Das nervt mich - vor allem, weil er sich einbildet, gut zu sein! Aber Einbildung ist ja bekanntlich auch eine Bildung. Dass er mich in meiner Revancherunde als Vertreter der Nordakademie geschlagen hat, steht nicht zur Debatte!!! Dieses verfluchte Duell! Meine Brüder haben mich bei dieser Gelegenheit endlich offiziell vor laufenden Kameras aus der Familie ausstoßen können. Ich gehe jede Wette ein, dass sie darauf schon lange gewartet haben! Ich war schließlich ein faulendes Glied am sonst so unbefleckten und unbesiegbaren Körper des Princeton-Imperiums und ein faulendes Glied schneidet man ab, bevor es Schaden anrichtet! Ein Hoch auf die Blutsverwandtschaft! Meine Eltern haben nichts dazu gesagt. Wieso auch? Mutter interessiert sich nicht für mich, für niemanden in der Familie. Und Vater? Ha!! Weiß er überhaupt, dass er einen dritten Sohn hat? Seinem Benehmen nach zu urteilen, hat er es erfolgreich verdrängt! Nur gegenüber meinen Brüder habe ich mich beweisen wollen, weil ich hoffte, ich könne mir dadurch ihre Liebe verdienen, aber da habe ich mich getäuscht....ich bin gescheitert....und wer ist an jenem Tag für mich aufgestanden und hat den beiden die Meinung gesagt? Wer hat mich verteidigt und meine Niederlage durch seine entschlossenen Worte auf seltsame Weise in einen Sieg verwandelt? Er. Ich begreife bis heute nicht, warum er es getan hat. Ich hatte geglaubt, er würde mich hassen. War ich nicht sein Rivale? War das nicht das, was man für einen Rivalen empfand? Man half ihm nicht, unterstützte ihn nicht! Aber er, er musste das alles über den Haufen werfen! Er hat sich für mich ausgesprochen, wie er es für einen seiner Freunde getan hätte. Aber ich bin doch gar nicht sein Freund! Warum also? Er ist mir ein einziges Rätsel. Und stets ist er so....so fröhlich. Ich habe ihn wirklich noch nie traurig oder unglücklich erlebt. Das ist wohl seine Natur. Sogar mich könnte er zum Lachen bringen.... he? Typisch. Er ist eingeschlafen. Ganz ruhig und friedlich sieht er aus. Die Sonne kitzelt ihn ein bisschen und jetzt zieht er die Nase kraus. Süß....<<
 

Kaum hatte er das gedacht, als er auch schon mental auf die Bremse trat. SÜß?!?!?! Hatte er gerade tatsächlich das Wort „süß" im Zusammenhang mit Jaden Yuki gebraucht?!?! Okay, das lag an....an....an dieser Vorlesung!! Er war nervlich schon dermaßen strapaziert, dass ihm unsinniges Zeug einfiel!! Süß....wie kam er bloß auf süß!?! Er fuhr sich hektisch durchs Haar und begann erneut, eine Patience mit seinen Karten zu legen, als Professor Crowler seinen erbaulichen Vortrag unterbrach und zu dem 16jährigen Slifer hinüber schielte, der soeben zu schnarchen anfing. Syrus, der neben ihm sass, stupste ihn an, und da das nichts half, rüttelte er ihn heftig.

„Jay, wach auf! Crowler schaut her!"

„Und wenn schon...." nuschelte der Braunhaarige und schickte ein Gähnen hinterdrein. Der Lehrer war mittlerweile an seinen Tisch herangetreten und starrte mit einer zuckenden Augenbraue auf den unverschämten Bengel, der es wahrhaftig wagte, seinen Worten kein Gehör zu schenken.

„WACHEN SIE AUF, YUKI!!!!"

Jaden fuhr in seinem Sitz hoch und blickte abwechselnd von Sy zu dem Dozenten und wieder zurück, bis ihm die Situation aufging. „Äh....ja, guten Morgen, Professor! Wunderschöner Tag heute, was? Wovon sprachen Sie gerade?"

„Eine Stunde Nachsitzen, Yuki!" erklärte Crowler nur und der Slifer Red biss sich verärgert auf die Lippen. Na toll, das hatte er ja wieder klasse hingekriegt! Aber war es denn seine Schuld, dass er in letzter Zeit ständig solche Alpträume hatte, die ihn wachhielten?! Sobald er zu sich kam, war er schweißgebadet und konnte nicht mehr einschlafen. Statt dessen wälzte er sich von einer Seite auf die andere und fand keine Ruhe. Kein Wunder, dass er am nächsten Morgen im Unterricht das nachzuholen versuchte, was ihm des nachts verwehrt geblieben war! Aber dass er an einem so herrlichen Tag nachsitzen sollte, wo doch die Sonne schien und der Himmel strahlend blau war, war einfach nicht fair!! Dabei hatte er heute noch einen Sprung in den Akademiepool machen wollen, aber das konnte er sich jetzt wohl abschminken! Er zog einen Schmollmund und sank an seinem Platz zusammen. Syrus klopfte im aufmunternd auf die Schulter und sagte: „Ärgere dich nicht. Der Pool hat bis 20 Uhr geöffnet, du kannst also noch ein paar Runden schwimmen. Weißt du was? Unser Seminar fällt doch heute aus, wenn du gleich in der Stunde nachsitzt, in der wir normalerweise Unterricht hätten, kommst du sogar noch vor drei Uhr aus der Schule! Chumley und ich treffen dich dann um viertel nach drei am Eingang zum Pool, okay? Vielleicht hat auch Bastion Lust, mitzukommen."
 

„Ja, das könnte klappen. In Ordnung, super! Da fällt mir das Aufpassen schon wieder viel leichter!"

„Das ist dir doch noch nie leichtgefallen!" neckte ihn der Türkishaarige und Jaden verpasste ihm einen freundschaftlichen Knuff in die Seite. Professor Crowler bat sich erneut Ruhe aus und fuhr in seinem Vortrag fort. Chazz rümpfte klammheimlich die Nase angesichts des vertrauten Umgangs zwischen seinem Rivalen und dem abgebrochenen Gartenzwerg. Er wusste nicht, wieso, aber diese Zurschaustellung von Zuneigung und Sympathie vermieste ihm die Stimmung für den ganzen restlichen Tag. Um viertel nach drei im Akademie-Bad, ja? Nun, der Pool war schließlich für alle da! Und ein bisschen Entspannung konnte ihm gewiss nicht schaden! Kaum waren diese Überlegungen zu ihrem Ende gelangt, als er sich auch schon wunderte, weshalb er so energisch war. Warum ärgerte er sich, sobald der Schrumpfkaktus mit der Slifer-Niete vertraulich wurde? Das sollte ihm doch gleichgültig sein, oder nicht?

>>Ich werde noch verrückt! Ich habe nun wirklich andere Dinge zu tun, als mir mein Hirn über diesen Blödmann zu zermartern! Ich muss mich auf die folgenden Unterrichtsstunden konzentrieren - und danach auf die Hausaufgaben! In meinem Zeitplan ist ein Abstecher zum Pool überhaupt nicht vorgesehen! Und bloß weil ich Jaden bei der Gelegenheit so gut wie unbekleidet zu Gesicht kriegen würde....HALT, WAS ZUM TEUFEL DENKE ICH DA?!?!<<

Das. War. Nicht. Sein. Tag. Absolut nicht. Möglicherweise war er krank? Oder er hatte sich einen Sonnenstich zugezogen? Aber nein, doch nicht um halb neun Uhr morgens!

„Du bist wirklich ein einziges Nervenbündel, Boss!" bemerkte eine störende Stimme direkt neben seinem Ohr und Chazz fuhr beinahe aus der Haut, allerdings weniger vor Schreck als vor Missbilligung. Nicht schon wieder dieses grässliche....Ding!

„Warum kannst du mich nicht in Frieden lassen?!" flüsterte er dem aufdringlichen gelben Ojama zu, denn mitten im Unterricht konnte er wohl kaum lautstark zu schimpfen anfangen.

„Es ist nicht meine Schuld, wenn du deinen Verstand nicht beisammen hast. Seit Tagen hast du nur noch diesen Yuki im Kopf, wie mir scheint! Und ich war tatsächlich mal der irrigen Annahme erlegen, du könntest in diese Blondine verliebt sein!"

„Du meinst Alexis? Also, ich bin doch in sie...."

Er verstummte abrupt. War er in sie verliebt? Natürlich, er mochte sie sehr, aber merkwürdigerweise benahm sich sein Herz in ihrer Nähe relativ normal, während es in Jadens Gegenwart neuerdings Sambatänze aufführte. Ziemlich befremdlich. Er schwärmte eventuell für sie - oder hatte es getan. Aber ernsthaft verliebt war er irgendwie nicht....es sei denn, „ernsthaft verliebt" fühlte sich wirklich nur so....na ja, lasch an. Konnte eigentlich auch nicht sein. Als was betrachtete er den Slifer im Grunde? Als Rivalen, Kontrahenten? Sicher. Immerhin hatte er ihn geschlagen und sein Ego angekratzt. Andererseits war er aber nie boshaft oder schadenfroh gewesen, was zu einem typischen Widersacher passen würde. Und er hatte ihm geholfen, das konnte er nicht leugnen, auch wenn er dies vorgezogen hätte. War er also mehr ein Freund für ihn? Nein. Er mochte ihn schließlich nicht. Allerdings war da die Sache mit seinem fehlgeleiteten Herzklopfen....

>>Verdammt, warum habe ich einen Kopf? Man denkt nach und grübelt, bis alles nur noch verfahrener und komischer geworden ist, aber der Lösung ist man keinen Schritt näher....! Und wenn dieses Ding mich weiter so blöd angrinst, vergesse ich mich!<<

„Boss, du siehst vollkommen erschlagen aus....fehlt dir was?"

„Tse....wenn ich das wüsste...."
 

Es war kurz nach viertel nach drei und entgegen seines ursprünglichen Vorhabens, sich sofort um die Hausaufgaben zu kümmern, war Chazz gerade damit beschäftigt, ein Handtuch um seine Taille zu wickeln und in die Pool-Landschaft hinauszutreten. Kaiba-san, der Gründer der Akademie, hatte sich die Ausstattung durchaus etwas kosten lassen - das Ganze war überdacht, aber die Kuppel war so hoch, dass man durch die üppige Bepflanzung und die großen Thermalbecken, die wie natürliche Felsbäder wirkten, sehr leicht den Eindruck gewinnen konnte, im Freien zu sein. Er ließ sich aufseufzend in das warme Wasser gleiten und streckte seine beanspruchten Gliedmaßen aus. Er war total verkrampft....aber bei dem Chaos in seinem Inneren war das nicht besonders erstaunlich.

„Wuhuuuu! Das Wasser ist klasse!" hörte er plötzlich die Stimme des Gartenzwergs und nach einem ordentlichen Platsch! tauchte der nasse türkisfarbene Schopf wieder aus den Fluten auf. Chumley hechtete ihm hinterher und da er nun mal voluminöser war als Syrus, erzeugte er eine ordentliche Welle, die Chazz mitten ins Gesicht klatschte, obwohl seine Nerven ohnehin schon zum Zerreißen gespannt waren. Er unterdrückte den Wunsch, die beiden Idioten auf der Stelle zu erwürgen und versuchte, sich in eine unbeteiligte Haltung zu versenken - was missglückte, als er die fröhliche Stimme seines „Problems" vernahm, das sich offensichtlich gerade mit Misawa unterhielt. Der Schwarzhaarige watete ins Wasser und streckte und reckte sich geschmeidig, was seinen muskulösen Körper bemerkenswert gut in Szene setzte. Sosehr es dem Dunkelblauhaarigen widerstrebte, er musste leider zugeben, dass dieser Intelligenzbolzen recht attraktiv war....konkurrenzfähig attraktiv. Moment mal. Konkurrenz um was? Wobei? Hm, er verstand sich ausgezeichnet mit Jaden....nein, mit Yuki!! Er hatte sich bereits abgewöhnt, ihn beim Nachnamen zu nennen, das war....unakzeptabel. Zurück zu Mr. Megahirn. Okay, er war ein hervorragender Duellant, äußerst intelligent und gut aussehend. Ob Yuki so jemand gefiel?

Natürlich. Wem würde so ein Kerl nicht gefallen. Also doch Konkurrenz. HE?!?!
 

>>Ich tue es schon wieder! Ich muss endlich damit aufhören! Das klingt, als würde ich in Erwägung ziehen, mich an diese Slifer-Niete ranzumachen! Das ist völlig grotesk, ich bin doch nicht schwul!! Und selbst wenn, wäre Yuki nun wirklich der letzte, für den ich mich interessieren würde! Apropos....da kommt er....<<

Ja, er kam. Und sein Anblick war der Grund dafür, warum sich der ehemalige Obelisk Blue (Als Slifer Red eingestuft zu sein, seit er an die Schule zurückgekehrt war, war eine Tatsache, die er erfolgreich verdrängte!) mit einem Mal im Glauben an seine Sexualität erschüttert fühlte.

Die Sonnenstrahlen, die durch die gläserne Kuppel fielen, zauberten einen rötlichen Schimmer in Jadens dichtes Haar und gossen einen matten Glanz auf seine leicht gebräunte Haut. Er war schlank, aber nichtsdestotrotz bemerkenswert athletisch gebaut, denn sein Torso wies makellos geformte, deutlich sichtbare Muskeln an den entscheidenden, wünschenswerten Stellen auf, auch der Bauch war durchtrainiert und seine Beine waren wundervoll geschwungen. Das Handtuch sass beunruhigend tief auf seinen Hüften und man konnte ein Stück seines Lendenansatzes erkennen. Seine Schokoladenaugen strahlten vor Begeisterung über diesen herrlichen Tag und das bevorstehende Bad, und sein schöner Mund verbreiterte sich zu einem seiner üblichen, charmanten Lächeln, als er ins Wasser sprang, seinen Freunden hinterher. Das war ungünstig. Sehr ungünstig. Er sah aus wie....wie....Chazz fand keine Beschreibung, die ihm annähernd gerecht erschien. Er beobachtete, wie der andere wieder nach oben schwamm und seine Haare schüttelte. Silberne Tropfen perlten über seinen anmutigen Körper und glitzerten verheißungsvoll auf seiner nackten Haut. Er musste sich abwenden, bestürzt, erschrocken, irritiert von der Hitze, die in ihm aufwallte. Das lag am Wasser, nur am warmen Wasser! Es konnte nicht sein, dass ausgerechnet diese Niete....dieses Prickeln in ihm hervorrief!? Während Jaden eine Wasserschlacht begann, indem er Bastion nass spritzte, entfernte sich Princeton mit kräftigen Kraulbewegungen von der Gruppe und verschwand hinter einer der Felswände. Er hatte wirklich nicht erwartet, dass er in solchen Aufruhr geraten würde, bloß weil er den Körper dieses Versagers anschaute! Er strich sich über seine schweißbenetzte Stirn und seine Augen ruhten auf dem Wasser, von wo aus ihm sein Spiegelbild entgegenblickte. Da kräuselte sich die Oberfläche plötzlich und der junge Mann blinzelte. Ungläubig starrte er auf sein Spiegelbild. Es war immer noch sein Gesicht, aber seine Haut war braungebrannt und um seinen Hals hing eine Kette mit einem seltsam geformten goldenen Schmuckstück, das ein wenig an einen Schlüssel erinnerte.
 

Was zum....?! Er schlug Wellen mit einer Hand und das Spiegelbild verschwamm, aber die Gestalt des Antlitzes änderte sich nicht. Der Ähnlichkeit zum Trotz war das doch nicht er....!? Er besass das, was man in Romanen gerne als vornehme Blässe bezeichnete, die dabei keineswegs ungesund war. Sein Teint hatte etwas von Alabaster oder Elfenbein und passte gut zu seiner eleganten Ausstrahlung. Und nun war sein Spiegelbild auf einmal braungebrannt?! Von der Kette gar nicht erst zu reden, denn sie spiegelte sich, ohne dass er sie tatsächlich trug!

Halluzinierte er? Selbstverständlich. Oder? Schließlich war es hier nicht so heiß und überhaupt war das hier das Innere eines Gebäudes, auch wenn sich darüber eine Glaskuppel befand! Welche andere halbwegs logische Erklärung gab es dann dafür? Eine simple Sinnestäuschung? Aber es wirkte so....eigentümlich real. Fast so, als wäre es gar kein Spiegelbild, sondern....tja, sondern was? Als das Gesicht sich verzerrte, wich es einer anderen Erscheinung, die absolut nichts mehr mit einer Reflexion gemeinsam hatte - er sah sich, bewaffnet mit zwei dreißig Zentimeter langen Spießen, und vor ihm erhob sich ein riesiger, geifernder Skorpion. Dann war die Szene überraschend schnell verschwunden und endlich konnte er wieder seine eigenen Züge betrachten. Was um alles in der Welt war das eben?! Also, jetzt hatte er doch im Ernst einen Sonnenstich! Dennoch verspürte er eine seltsame Vertrautheit mit dem, was er beobachtet hatte. Sein dunkelhäutiges Ich hatte gegen das Rieseninsekt gekämpft....um etwas Wichtiges zu schützen. Glaubte er zumindest. Aber wie kam er denn eigentlich darauf?! Das war reine Einbildung, solche Phänomene gab es nicht, sie waren wissenschaftlich nicht zu beweisen und somit unmöglich!!

>>Aber was habe ich dann gesehen....? Es wirkte so....echt. Wie etwas, das wirklich passiert - oder irgendwann einmal passiert ist. Oh Mann, ich kriege schon Kopfschmerzen....!<<

„Hey Chazz!"
 

Er zuckte zusammen und wandte sich um. Jaden paddelte neben ihm und lachte ihn an. „Wow, ich habe gar nicht gemerkt, dass du auch da bist! Hast du Lust, mit uns Wasserball zu spielen? Chumley hat einen mitgebracht!"

„Nein danke. Ich lehne es ab, mich an derartigen Kleinkinderalbernheiten zu beteiligen."

„Mensch, musst du denn immer gleich alles madig machen? Sowas ist einfach lustig und man hat Spaß dabei! Sei doch nicht immer so ein Langweiler!"

„Ich habe ‚nein‘ gesagt."

„Och, nun komm schon! Wenn du nicht mitspielst...." Er tauchte geschwind unter und der Dunkelblauhaarige fühlte, wie jemand ihm das Handtuch wegzog. „....klaue ich dir dein Handtuch!" vollendete der Brünette seinen Satz, als er wieder nach oben kam und schwenkte sein Diebesgut wie eine Trophäe hin und her.

„Gib das sofort her!!"

„Erst musst du mich kriegen, mein Chazzalein!"

„Nenn mich nicht so!!"

Die beiden Sechzehnjährigen jagten sich durch das halbe Becken und als Yuki ihm einen Spritzer verabfolgte, konnte er das natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Wenig später entspann sich zwischen ihnen eine Wasserschlacht, in deren Verlauf Jaden ans Ufer flüchtete, das andere Handtuch fest umklammert. Nackt wie er war, hätte Chazz dennoch hinterhergehen können, da sein Rivale ja ebenfalls ein Junge war, aber er wollte nicht, dass dieser ihn vollständig entblößt sah. Es war ihm peinlich, obwohl er nicht genau wusste, weshalb.

„Was ist? Willst du dein Handtuch nicht zurück?"

„Gib es her und hör auf, dich wie ein Säugling zu benehmen!"

„Sei kein Spielverderber! Du musst mich schon fangen, wenn du es wiederhaben willst!"

„Ach, dann behalte es doch!" knurrte der einstige Obelisk Blue und schwamm zu seiner Felswand zurück. Jaden schürzte enttäuscht die Lippen, ließ sich aber nicht entmutigen. Er sprang mit einem gewaltigen Satz zurück ins Becken und versuchte nun seinerseits, seinen Klassenkameraden zu erwischen. Er war ein sehr guter Schwimmer und so fiel es ihm nicht weiter schwer, den anderen einzuholen.

„Hab dich!" rief er vergnügt, als er seine Arme von hinten um den mehr oder minder schockierten Chazz legte und ihn auf diese Weise umschlungen hielt. Er spürte die warme Haut des Slifers auf seiner eigenen, seinen Atem an seinem Ohr und die wohlgestaltete Brust, die sich gegen seinen Rücken schmiegte. Die Hitze von vorhin kroch erneut in im hoch und schien mit einem Mal viel intensiver zu sein. Sein Herz begann zu rasen wie unter einem Fieberanfall. Es war, als brenne sich diese Berührung in sein Fleisch, ohne ihn zu verletzen.

„He....du zitterst ja. Was hast du?" erkundigte sich der Braunhaarige besorgt und drehte das Gesicht seines Mitschülers zu sich herum, wobei er ihn am Kinn umfasste. Der direkte Blick in diese wunderschönen Seelenspiegel hätte Chazz‘ Widerstand beinahe gebrochen - aber er entzog sich ihrem Bann und schnappte sich das Handtuch, das über Jadens Schultern hing. Dann entwand er sich ihm, stolperte ans Ufer und von dort Richtung Umkleidekabine.

„Nanu? Was ist denn mit dem los?"
 

Princeton rannte, als gälte es das Leben. Er stürzte in die Garderobe und warf die Tür hinter sich geräuschvoll ins Schloss. Seine Wangen waren gerötet und in seinen Lenden war ein seltsames Ziehen entstanden. Er reagierte auf Jadens Reize - und zwar eine Etage tiefer?!?! Nein, nein, das konnte einfach nicht sein!! Er konnte unmöglich....erregt sein!?! Aber das Gefühl dieser sanften Hände....und dieses Körpers, der ihm so nah war....argh, das gab es nicht!! Das war verrückt! Mindestens so verrückt wie die Sache mit dem mysteriösen Spiegelbild! Und doch....oh Gott, er konnte dieses Wahnsinnsgefühl nicht vergessen, als der Brünette ihn umarmt hatte!

„Uh, Boss, du bist ja rot wie eine Tomate!"

„Nicht du schon wieder!!"

„Aber ich kann doch nichts dafür, wenn du Yuki anschmachtest!" verteidigte sich der gelbe Ojama missmutig. „Es ist schließlich nicht meine Schuld, wenn du dich in ihn verknallst!"

„Wer behauptet, dass ich das tue!?!" Seine Stimme rutschte durch mehrere Oktaven und klang nun ziemlich bedrohlich. Das kleine Monster starrte seinen Besitzer ängstlich an und löste sich rasch ins Nichts auf. Zurück blieb eine lastende, fast unheimliche Stille.

Verknallt.

Dieses lästige Vieh hatte den Nerv, so etwas zu sagen?! Solch einen Unsinn, so etwas Verlogenes, von sich zu geben?! Aber sein verfluchtes Herz trommelte gegen seinen Brustkorb wie ein Vorschlaghammer....Mist!! Er trat ans Waschbecken und drehte das kalte Wasser auf. Mit beiden Händen schöpfte er etwas von der kühlen Flüssigkeit ab und verteilte sie in seinem erhitzten Gesicht.

„Jaden...." murmelte er leise. Was hatte dieser verflixte, nervtötende, idiotische, hilfsbereite, mutige, liebenswerte, wunderschöne Slifer nur mit ihm angestellt?! Stopp, irgendwie passten da einige Begriffe nicht ganz. Verflixt, nervtötend, idiotisch, das war okay. Aber hilfsbereit, mutig, liebenswert und wunderschön war garantiert nicht okay!! Da durchzuckte seinen linken Arm ein stechender Schmerz und er untersuchte augenblicklich den besagten Arm. Mit glühenden Linien erschien auf seiner Haut ein Zeichen, das wie ein X aussah, nur wirkten beide Striche mehr wie tiefe Schnitte - kam daher der Schmerz? Als das Glühen nachließ, verebbte auch die physische Pein, aber das seltsame X blieb zurück.

„Also, was ist denn das jetzt?! Dieser Tag wird immer verrückter....! Was soll der Schwachsinn!? Verdammt, dieses blöde X geht nicht ab!!"

Chazz konnte natürlich nicht wissen, was los war. Und doch verspürte er mit einem Mal ein Gefühl der Gefahr, das ihn dazu veranlasste, sich hastig umzuschauen. Angst befiel ihn wie ein Raubtier und sein Körper verkrampfte sich. So lächerlich es ihm schien - er war....nicht allein?!

Nach einer Weile ließ die unheimliche Präsenz jedoch nach und eine unaussprechliche Erleichterung bemächtigte sich seiner.

„Oh Mann....ich werde allmählich paranoid....!"
 

Die Hausaufgaben waren erledigt. Der Dunkelblauhaarige genoss eine heiße Dusche, schlüpfte in seinen Schulpyjama und streckte sich auf seinem Bett aus. Crowler hatte ihnen mal wieder eine Menge aufs Auge gedrückt, als wenn sie keine anderen Fächer zu bewältigen hätten! Sogar nach dem Abendessen hatte er noch etwas machen müssen!

>>Diese verkappte Tunte ist das schlimmste, was je auf diese Akademie losgelassen wurde! Schön, ich gebe zu, wenn ich nicht noch zum Pool gegangen wäre, hätte ich mir das vermutlich sparen können, aber....oh nein, ich denke schon wieder an Jaden! Das ist doch zum Kotzen!<<

Er warf sich angesäuert in sein Kissen zurück und starrte grummelnd an die Decke. Was war das heute bloß für ein beschissener Tag! Sein Blick fiel auf den Wecker auf dem Nachtkästchen. Halb acht. Eigentlich gar keine Zeit, um schon richtig ins Bett zu gehen, aber irgendwie war er total gestresst....So las er noch ein bisschen in seinem momentanen Lieblingsschmöker und löschte zehn Minuten später das Licht. Selbst auf seine Ohrstöpsel verzichtete er, da der gelbe Ojama keine Anstalten machte, ihn zu nerven. Überraschend schnell versank er im Reich der Träume, aber nicht einmal dort konnte er diesmal Ruhe finden....
 

~~ TRAUM ~~
 

Chazz öffnete die Augen und musterte seine Umgebung neugierig, aber gleichzeitig erfüllt von leiser Unruhe. Wo war er? Wenn er sich nicht irrte, war das hier eine Art Tempel oder vielleicht sogar ein Palast? Alles war prächtig ausgekleidet, eine Öllampe spendete ein schwaches Licht und beleuchtete ein großzügiges Bett. Eine milde abendliche Brise wehte durch die purpurfarbenen Vorhänge und er schob sie zur Seite, um hinaussehen zu können. Wie er feststellte, handelte es sich nicht um ein Fenster, sondern um einen Balkon. Er trat hinaus und betrachtete die Landschaft - in der Ferne konnte er Sandhügel und vereinzelte Palmen erkennen, ansonsten schweifte sein Blick über Gebäude aus hellen Steinen hinweg....und waren diese Monumente in der Wüste etwa Pyramiden? Er eilte in das Gemach zurück und kam an einem Spiegel vorbei. Erschrocken wandte er sich dem Bild zu, das er reflektierte. Seine Haut war braungebrannt und schimmerte bronzefarben. Sein Oberkörper war frei, um die Taille trug er einen Hüftrock, der ihn an Abbildungen von Ägyptern in seinem Geschichtsbuch erinnerte. Sandalen steckten an seinen Füßen und um die Arme waren Goldreifen geschlungen.

„Shezar!!" (Schesahr gesprochen, mit langem a) ertönte eine ihm vertraute Stimme und jemand tauchte in dem Zimmer auf. Was um alles in der Welt....?! Jetzt begegnete ihm der Kerl schon in seinen Träumen?! Das konnte doch nicht....!!

Aber es war so. Vor ihm stand Jaden Yuki, gehüllt in einen schwarzen Umhang, unter dem ein ebenfalls schwarzes Gewand zu erahnen war. Auch seine Arme und Beine waren mit Gold geschmückt, an seinem Hals baumelte eine Kette mit einem schlüsselähnlichen Anhänger. Der dunklere Ton seiner Haut wirkte äußerst reizvoll in dem schwachen Licht und irgendetwas lag in seiner Haltung, dass ihm eine autoritäre Ausstrahlung verlieh, eine lässige und nichtsdestotrotz anmutige Grazie.
 

„Du hast den Dämon zweifellos besiegt", begann der Brünette und verschränkte die Arme. „Du hast dich bewiesen, Shezar, obwohl ich immer noch nicht ganz überzeugt bin. Du bringst für deine Ausbildung nicht den nötigen Ernst mit, den ich mir von meinen Schülern wünsche. Als der verzärtelte Adelige, der du bist, darf ich das wohl auch nicht erwarten. Aber du besitzt ohne Frage genug Potential, um dich eines Hüters würdig zu erweisen. Ich werde dich demnächst prüfen. Bereite dich gut darauf vor, denn ich werde dir nichts schenken!"

Damit wandte er sich zum Gehen und Chazz bemerkte, dass er zwei Schwerter auf seinen Rücken geschnallt hatte, über Kreuz, um beide Griffe problemlos erreichen zu können. Warum war er bewaffnet? Und wovon hatte er eigentlich gesprochen? Und warum nannte er ihn „Shezar"? Und was hieß das, er würde ihn prüfen?

„Leb wohl!"

Jaden zog die Kapuze des Umhangs über seinen Kopf und schob ein Stück des Stoffes an seinem Kragen über seine Kinnpartie, sodass der Mund und die Nase verdeckt waren. „Ich hoffe, du bist reif genug für einen Kampf gegen mich." fügte er hinzu und entschwand.
 

~~ ENDE DES TRAUMS ~~
 

Der Dunkelblauhaarige schreckte hoch. Was war das denn für ein wirres, abstruses Zeug, das sein Unterbewusstsein sich da zusammengereimt hatte? Aber weshalb sollte er sich unnötig damit herumquälen? Schließlich, morgen war auch noch ein Tag....

Die Initiation (Teil 1)

Hm, es geht also weiter!^^ Hier auf animexx ist das Leserinteresse für diese FF irgendwie gering...ich hab bisher nur 3 Kommis bekommen. Na ja, aber trotzdem werde ich die Story weiterhin hier posten, vielleicht findet sich ja noch jemand, der es liest.
 

Kapitel 2: Die Initiation (Teil 1)
 

Jaden träumte. Er wanderte durch tiefe Finsternis und das Herz schlug ihm wild in der Brust, erfüllt von einer seltsamen Angst, die er sich nicht erklären konnte. Endlich gelangte er zu einem großen steinernen Tor, auf dem die Gestalt eines Schakals prangte. Es war genau wie in all seinen Träumen zuvor. Das Tor tat sich vor ihm auf und er ging zögernd hindurch, obwohl er bereits wusste, was ihn im Inneren erwarten würde, aber es war, als hätten seine Beine ein Eigenleben. „Komm näher." Diese kalte Stimme schon wieder! Ein eisiges Schauern rann über seinen Rücken und er trat vor. Ein Thron erhob sich vor ihm und darauf sass ein Mann, der in einen schwarzen Umhang gehüllt war. Die Griffe von zwei Schwertern ragten seitlich hinter seinem Kopf hervor und zu seinen Füßen lag die blutende Leiche eines Mannes. Jaden wurde unweigerlich schlecht und er hielt sich die Hand vor den Mund.

„Wer bist du? Warum kannst du mich nicht in Ruhe lassen?! Ich will das nicht träumen! Ich will das nicht sehen! Antworte mir endlich einmal! Wer bist du? Hast du diesen Mann getötet?"

„Ja."

„Wieso?!"

„Das ist meine Aufgabe. Er hat den Heiligen Bezirk betreten. Außer dem Pharao darf niemand seinen Fuß auf diesen Boden setzen."

„Der....Pharao?"

„Tutangaton. Seine Herrschaft begann im Jahr des Schakals."

Jaden musterte seinen Gegenüber. Er verspürte Furcht, aber nichtsdestotrotz auch ein eigentümliches Gefühl der Vertrautheit. In seinen bisherigen Träumen hatte der andere nie gesprochen und sobald er des Leichnams ansichtig geworden war, wachte er auf. Doch nun....es fröstelte ihn. Die Umgebung war von einem dunklen Zauber durchzogen, der sich um ihn zu klammern schien wie eine schleimige Hand. Der schwarzgekleidete Bursche stand auf und neigte sich zu dem Ohr des Brünetten.

„Ich kann nicht verhindern, was das Schicksal vorherbestimmt hat. Du wirst den Schlüssel annehmen müssen, wenn ich dich rufe, so will es das Gesetz der Götter. Meine einzige Bitte ist: Rette den Mann, den ich liebe." (Und nein, er redet nicht von dem, an den Ihr jetzt denkt!)

Was, den MANN?!?! Jaden wollte widersprechen, aber da drang ein Lichtstrahl in die Dunkelheit und jemand rüttelte ihn vorsichtig. Er schlug die Augen auf und blickte in das lächelnde Antlitz von Syrus, der soeben die Vorhänge aufgezogen hatte.

„Aufwachen, Jay! Die Sonne scheint genauso toll wie gestern! Es ist echt klasse, das heute Sonntag ist und wir keinen Unterricht haben! Was wollen wir unternehmen?"

„Sy, ich bin noch nicht mal richtig auf, und schon bombardierst du mich mit deiner Früher-Morgen-Stimmung. Lass mich noch ein bisschen schlafen...."

„Du hattest die ganze Nacht zum Schlafen! Benutz sie doch mal dafür! Was hast du bloß in letzter Zeit? He....du bist so blass. Hast du schlecht geträumt?"

Der Slifer hatte sich aus seinen Laken geschält und postierte sich neben dem Kleineren am Fenster. Es versprach in der Tat, ein wunderbarer Tag zu werden, aber Jaden nahm, entgegen seiner eigentlich lebensfrohen Natur, eine merkwürdige Aura wahr, die ihn beunruhigte. Seine Sinne waren übernatürlich geschärft und das Zittern, das ihn in seinem Traum gepackt hatte, kehrte wieder.

>>Wer ist dieser vermummte Mann, der mir begegnet ist? Von welchem Schlüssel hat er geredet? Und was war das für eine komische Bitte?! Und dann die Leiche....und das Blut....Er hat ihn getötet, weil es seine Aufgabe ist? Wer kann schon so eine Aufgabe haben? Verdammt, was ist bloß mit mir los?! Es passt nicht zu mir, so viel zu grübeln!<<
 

Eine Tür fiel krachend zu. Der Braunhaarige erblickte Chazz, der sein Zimmer verließ und mit großen Schritten davon stapfte. Mit seinem stoischen Freund stimmte auch einiges nicht, wie er mittlerweile festgestellt hatte. Er war sich im Klaren darüber, dass die Allgemeinheit Mr. Princeton niemals als seinen Freund bezeichnet hätte, aber Jaden konnte ihn nicht anders benennen. Chazz war für ihn immer eine Herausforderung gewesen, denn er war ein super Duellant und nichts schien ihn wirklich erschüttern zu können. Nun, außer Niederlagen. Zwar verstand er es unlängst besser, damit fertigzuwerden, aber seine Niederlagen als Lektionen zu akzeptieren, um aus ihnen zu lernen, hatte er noch nicht geschafft. Anfangs hatte er absolut kein Verständnis für diesen Ehrgeiz aufgebracht, hatte dieses beinahe krankhafte Streben nach Perfektion mit Argwohn betrachtet....doch seit er erlebt hatte, wie die beiden älteren Brüder seines Kameraden ihn verstoßen hatten, als wäre er nur noch ein wertloser Gegenstand, den man wegwerfen konnte, sobald er in ihren Augen nichts mehr taugte, war er nachdenklich geworden. Wie mochte es in dieser Familie zugehen, wenn nicht einmal Blutsverwandtschaft sie dazu bewegen konnte, zu vergeben, zu verzeihen?

>>Sie waren einfach unfair zu ihm....Er hat sich an seine eigenen Prinzipien gehalten und hat mit seinem Deck gekämpft. Er ist sich selbst treu geblieben und dafür haben sie ihn in den Schmutz getreten! Ich fand diese Szene scheußlich! Ich meine, sie sind doch seine Brüder - bedeutet er ihnen denn gar nichts? Was sagen seine Eltern dazu? Wissen sie es überhaupt oder kümmert es sie auch nicht? Nur, weil Chazz den Familiennamen entehrt hat? Das ist doch ein Witz! Ich musste diesen Mistkerlen einfach die Meinung sagen! Wie kann man nur auf den Gefühlen eines anderen so rücksichtslos herum trampeln!? Ich weiß, ich bin auch kein Genie darin, besonders taktvoll zu sein, aber....trotzdem....haben sie nicht gemerkt, dass sie Chazz mit ihrer Ablehnung und ihrer Verachtung verletzt haben? Er versteckt es, doch ich bin sicher, dass es ihm wehgetan hat, tief in seinem Innersten. Er sagt zwar immer, dass er meine Kumpel und mich nicht leiden kann, aber letztendlich sind wir diejenigen, zu denen er kommt, wenn er Gesellschaft sucht, so selten das auch der Fall sein mag. Er ist mein Rivale, meine Nemesis, mein Mitschüler....und mein Freund. Ich weiß nicht viel von ihm, aber ich glaube, dass er sehr einsam ist....bei so einer Familie, für die du nur einen Wert hast, wenn du ein hohes Preisschild trägst oder an der Spitze von irgendwas stehst? Ich würde ihm gerne helfen. Ich würde mir wünschen, dass er mehr lacht und mal öfter aus sich herausgeht, er ist meistens so reserviert und zurückhaltend. Obwohl er durchaus ein etwas hitziges Temperament besitzt....<<

Jaden musste schmunzeln, während er der Momente gedachte, in denen der ehemalige Obelisk seine Geduld verloren hatte. Sie bewiesen eine Leidenschaft in ihm, die er offensichtlich zu verbergen bemüht war. Schade, dass er sie versteckte....

~~ Jaden! ~~
 

Er fuhr herum. Jemand hatte ihn gerufen, ohne Zweifel....aber es war die Stimme aus seinem Traum! Wie konnte das sein?! „Äh, Sy....hast du das auch gehört?"

„Falls du Chumleys Schnarchen meinst, das ist nicht zu überhören!" erklärte der Jüngere und brüllte ihrem dicken Zimmerkameraden dermaßen laut ins Ohr, dass er aufschreckte und einen Moment lang gar nicht begriff, wo er sich überhaupt befand.

„Komm endlich zu dir, Chum, du schläfst wie ein Toter! Heute ist Sonntag. Sag schon, hast du vielleicht eine Idee, was wir machen könnten? Jay ist nicht besonders gesprächig....bestimmt befindet er sich noch im Halbschlaf."

„Da befinde ich mich auch. Es ist doch erst neun! Pennen wir noch eine Runde!"

„Aber die Sonntags-Muffins mit Schokoladenstückchen werden aus sein, wenn wir uns nicht wenigstens ein bisschen beeilen!"

„Die Muffins? Was sitzen wir noch hier herum?"

„Frühstückt ohne mich, Jungs", ließ sich Jaden vernehmen. „Ich habe keinen Hunger. Ich gehe in die Bibliothek." Damit verschwand er im Baderaum, um sich zu duschen, und seine Freunde starrten perplex hinterdrein. Er verzichtete freiwillig darauf, etwas zu essen?! Und statt dessen wollte er lieber in der Bibliothek zwischen ein paar hochkomplizierten Duellbüchern hocken?! Er musste krank sein!! Der vermutete „Kranke" wusste genau, dass Syrus und Chumley ihn vermutlich für komplett übergeschnappt hielten, aber er war nicht in der Stimmung, um diesen unterrichtsfreien Tag zu genießen. Es stimmte, die meiste Zeit gab er sich albern und war immer fröhlich und vergnügt, aber seine Träume stellten für ihn ein Problem dar, zu dem er verzweifelt eine Lösung suchte. Er konnte ernst und konzentriert sein, wenn die Situation es erforderte, obgleich kaum einer ihm dies zutraute. Er legte den Kopf in den Nacken, während das heiße Wasser seine Muskeln lockerte und er versuchte, sich an jedes Detail aus seinem letzten Traum zu erinnern. Er hatte zum ersten Mal Informationen erhalten, die ihm vielleicht etwas nützen konnten, und aus diesem Grund wollte er auch in die Bibliothek. Zehn Minuten später verabschiedete er sich fertig angekleidet von seinen Freunden und steuerte Richtung Schulgebäude. Es war so warm, dass er seine rote Jacke auszog und sie sich um die Hüfte band, wodurch seine nackten, sehnigen Oberarme gut zur Geltung kamen. Er begegnete nur wenigen Schülern auf seinem Weg und die meisten blickten verwirrt zu ihm herüber, als könnten sie es nicht fassen, ihn am Wochenende in der Nähe der Akademie zu sehen. Bald hatte er die Bibliothek erreicht und verdrückte sich in die Ecke mit den Geschichtsbüchern, die er normalerweise mied wie Doktor Crowler oder die Pest. Er wanderte an den Regalen vorbei, bis er jenes mit der Aufschrift „Ägyptische Zeit" ausfindig gemacht hatte. Mehrere Bände mit über hundert Seiten, bebildert oder nicht, reihten sich dort aneinander und Jaden griff aufs Geratewohl hinein, um ein, zwei Exemplare auszuwählen. Mit seiner Ausbeute unter dem Arm setzte er sich an einen der Arbeitstische und begann zu blättern.

>>Mumifizierung....die Götterwelt....Das alltägliche Leben....die Pyramiden....die Sphinx....Amulette und Symbole....die Hieroglyphenschrift....die Pharaonen, hier! Das könnte was sein! Eine Chronologie....Späte Prädynastische Epoche, Frühzeit. 1. Dynastie, von 2920 bis 2770 vor Christus. Was stehen da für Könige? Narmer, Aha, Djer, Den, Semerchet. Hm, jedenfalls kein Tutangaton. Gibt‘s hier nicht auch ein paar bekanntere Namen? Doch, da - Neues Reich, 18. Dynastie, von 1550 bis 1307 vor Christus. Ahmose I., Thutmosis III., Hatschepsut....bla, bla, bla....he, der komische Echnaton war eigentlich Amenophis IV.? Und der berühmte Tutanchamun gehört ebenfalls in diese Zeit, sieh einer an! Aber der Typ, von der meine Traumerscheinung gesprochen hat, ist nicht aufgeführt. Probiere ich es mit dem anderen Historienschinken.<< Leider konnte er auch in dem zweiten Buch keine Erwähnung des Namens entdecken, der ihm genannt worden war. Möglicherweise hatte er sich einfach zu viel erwartet....es war schließlich nur ein blöder Traum, merkwürdige Zwiegespräche hin oder her! Vermutlich hatte dieser Tutangaton nie existiert!
 

„Ich kann nicht verhindern, was das Schicksal vorherbestimmt hat. Du wirst den Schlüssel annehmen müssen, wenn ich dich rufe, so will es das Gesetz der Götter. Meine einzige Bitte ist: Rette den Mann, den ich liebe." So lauteten die Worte des Fremden. Warum wurde er das Gefühl nicht los, als verberge sich doch mehr hinter dieser Angelegenheit, als sich auf den ersten Blick feststellen ließ?

~~ Jaden! ~~

Schon wieder! Das bildete er sich doch nicht einfach nur ein?! Jemand rief ihn, und dieser Jemand besass dieselbe Stimme wie seine Traumgestalt. „....wenn ich dich rufe...." Richtig, das hatte er gesagt. Was sollte er tun? Gehorchen? Sein Name hallte erneut in seinen Ohren wider, und sogar noch ein drittes Mal.

~~ Begib dich in den großen Vorlesungssaal.~~

Der Slifer beugte sich dieser Anordnung und suchte den gewünschten Raum auf. Da kein Unterricht stattfand, war die Halle mit den zahllosen Sitzrängen vollkommen leer und wieder meldete sich bei ihm ein negatives Gefühl. Wie unheimlich so ein verlassenes Zimmer sein konnte, vor allem bei solchen Ausmaßen! Also schön, nun war er da, wo er sein sollte. Und jetzt? „Jaden! Junge, was machst du denn hier?"

„Hä? Oh, Sie sind es, Direktor Sheppard! Es ist nichts, ich bin....aus Spaß hier, genau!"

„Es ist Sonntag, warum sitzt du nicht bei deinen Freunden in der Cafeteria? Und wenn du dir unbedingt eine Ausrede ausdenken musst, versuche es bitte mit einer weniger fadenscheinigen."

„Ich kann es Ihnen nicht erzählen, Sie würden mich sonst für bekloppt halten! Also dann...."

~~ Jaden! Du darfst nicht gehen! ~~

Sheppard schoss zu dem braunhaarigen Jungen herum und starrte ihn an, als könne er es nicht fassen. Es ließ sich nicht mehr stoppen, das erkannte er nun schmerzlich. Er hing an seinen Schülern und wollte nur ihre Sicherheit, aber das Schicksal, das er sich aufgeladen hatte, seit er die Kassette mit dem Schakal angenommen hatte, ließ ihn nicht mehr los. Er konnte es den Auserwählten nicht ersparen, jene Aufgabe antreten zu müssen, die ihnen alles abverlangen würde....Er hatte es immer gefürchtet. Der Sechzehnjährige seinerseits bemerkte, dass der Direktor erschüttert war und es dämmerte ihm, dass der andere offensichtlich gehört hatte, was alle anderen nicht verstehen konnten.

„Sie....Sie haben es auch gehört, nicht wahr?"

Er nickte und seine Hände krampften sich zu Fäusten. „Es soll geschehen, ich kann es nicht ändern. Mein Junge, du kannst ganz unbesorgt frühstücken - ich werde dich allerdings später noch in mein Büro bitten."

„Habe ich was angestellt? Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, irgendwas verbockt zu haben...."

„Nein, deswegen will ich dich gar nicht sprechen. Das hat wichtigere Gründe."

„Wichtigere Gründe?"

„Geh frühstücken!" Er schob den Brünetten sanft zur Tür hinaus und trat an das Dozentenpult, wo er die Lampe zur Seite drückte, sodass sich der Öffnungsmechanismus in Bewegung setzte. Schweren Herzens stieg er die Treppe zu dem unterirdischen Korridor hinab und gelangte nach den Sicherheitsüberprüfungen in den hohen Raum mit der versiegelten Kassette.
 

„Mein Anführer?" Ein milchweißer Strahl brach aus dem Behälter hervor und materialisierte sich vor ihm. Die durchsichtige Erscheinung trug ein ägyptisches Gewand in Schwarz, sein Antlitz wurde von einem gleichfarbigen Umhang verborgen. Sie nahm die Kapuze herunter und Direktor Sheppard blickte dem Ebenbild des Schülers ins Gesicht, den er soeben fortgeschickt hatte. „Warum habt Ihr ihn bereits so früh gerufen? Weshalb gewährt Ihr keinen Aufschub?"

~~ Das ist unmöglich. Er hat schon von mir geträumt. Sein Körper spürt das Erwachen der Schatten in jeder Faser, und deswegen bedrängt ihn der Eindruck, dass irgendetwas nicht stimmt. Natürlich kann er sich das jetzt noch nicht erklären, aber das wird nicht mehr lange der Fall sein. Unsere Seelen haben die Zeit aus einem einzigen Grund überdauert: Um unser Erbe an unsere Wiedergeburten weiterzugeben. Wenn das geschehen ist, werden wir endlich unsere verdiente Ruhe finden....und sie werden unseren Kampf fortsetzen. ~~

„Sind sie stark genug dafür?"

~~ Das wird sich zeigen. Wir können nicht mehr warten. Unglücklicherweise spüre ich nur sechs zukünftige Hüter - der siebte ist verschwunden, wie du mir sagtest. Das ist bedauerlich, aber die erste Attacke wird nicht lange auf sich warten lassen. ~~

„Dabei sind sie doch noch völlig unerfahren...."

~~ ....Ja. Das ist nicht zu ändern. Hör zu, mein Freund....es behagt mir ebensowenig wie dir, ihnen diese Verantwortung aufzuzwingen, doch wenn die Menschheit es nicht büßen soll, haben wir keine Wahl! Um zwölf Uhr mittags, wenn die Sonne am höchsten steht, beginnt die Initiation! Und vergiss nicht: Es gibt kein Zurück! ~~

Er löste sich auf und der Kanzler der Akademie versank in ein brütendes Schweigen. Konnte er ihnen denn bereits die ganze Wahrheit offenbaren? Nein, das....das wäre....aber andererseits, was nützte es ihnen, wenn er es leugnete? Wenn doch sein Bruder noch leben würde! Er hätte ihm geholfen, diese verzwickte Situation zu meistern! Vielleicht war es besser, abzuwarten.... schließlich war nicht unbedingt erwiesen, dass die Auserwählten ihm glaubten oder ihre Mission annahmen - besonders bei Chazz und Zane hatte er da so seine Zweifel. Aber eine Alternative existierte nicht....Plötzlich riss er die Augen auf und alles in seinem Körper verkrampfte sich. Er fühlte die Präsenz der Schatten....
 

Bastion Misawa, seine Zeichens Ra-Yellow-Student und wohl einer der intelligentesten Schüler der DA (Duellakademie), hockte vor seinem Schreibtisch und kaute auf seinem Bleistift herum, eine Unart, die er besiegt zu haben glaubte, doch im Moment beschäftigte ihn etwas, das ihn äußerst nervös machte.

>>Wissenschaftlich betrachtet ist es völlig unmöglich, dass man plötzlich Stimmen hört, wenn außer einem selbst niemand im Raum ist! Ich hätte schwören können, das mich jemand gerufen hat, aber das kann nur Einbildung gewesen sein! Meinen Berechnungen zufolge weht der Wind in südwestliche Richtung, er kann also nicht um mein Wohngebäude herum heulen und merkwürdige Geräusche erzeugen, die man als Rufe interpretieren könnte. Vielleicht habe ich gestern zu lange an meinem Hausaufsatz gearbeitet? Oder ich hätte das Referat links liegen lassen sollen oder das Exzerpt von der letzten Vorlesung....apropos....wieso ist eigentlich die Vorlesung von Prof. Banner ausgefallen? Ich habe gehört, er wäre krank....<<

~~ Bastion! ~~

Er zuckte zusammen und blickte sich suchend in seinem Zimmer um. Schon wieder diese Stimme! Sie kam ihm bekannt vor, aber gleichzeitig mutete ihn dieses Phänomen auch absolut absurd an. Er war von Natur aus ein vorsichtig kalkulierender und verstandesbetonter Mensch, sodass mysteriöse Vorkommnisse ihm nicht mehr als ein schwaches Stirnrunzeln abringen konnten, doch bei dieser Stimme verhielt er sich unerklärlicherweise anders. Sein Herzschlag hatte sich beschleunigt und feiner Schweiß perlte ihm auf der Stirn, als sein Name zwei weitere Male eindringlich wiederholt wurde. Ihn umfing ein Gefühl der Gefahr und es schien ihm, als wolle ihn diese Stimme davor warnen. Seine Beklemmung verstärkte sich und in einer impulsiven Regung der Ungeduld holte er das Mathematikbuch aus seinem Rucksack, um zur Entspannung ein paar Rechnungen zu machen (ja, er tut sowas zur Entspannung!!). Allerdings gelang es ihm nicht, sich zu konzentrieren, denn die negative Aura, die er zu spüren meinte, wuchs offenbar an und hüllte seine Umgebung ein.
 

>>Ach Unsinn, das ist einfach lächerlich! Ich bin überarbeitet, das wird es sein. Es stimmt, ich sollte in Zukunft mehr schlafen und nicht bis spät abends lesen, dann wäre ich nicht so schnell erschöpft. Trotzdem muss ich zugeben, dass ich noch nie zuvor ein solches Unbehagen empfunden habe....es ist, als krieche irgendetwas....Kaltes....meinen Körper hinauf....!<<

Es kam lautlos, wie ein Alptraum. Er griff gerade eben erneut nach seinem Bleistift, als eisiger Atem seinen Nacken streifte und sein Herzschlag setzte für eine bange Sekunde aus. Wie in Zeitlupe drehte er sich um - und starrte in das Gesicht einer riesenhaften Kreatur mit mächtigen Krallen, einer schwarzen Schuppenhaut, einem furchteinflößenden Maul und einem langen, peitschenden Schwanz. Das Wesen erinnerte an ein Krokodil, aber die Bosheit in seinen Augen ließ keinen Zweifel daran, dass es mehr war als das. Bastions logischer Verstand sträubte sich entschieden gegen die Existenz einer solchen Bestie, aber wie konnte etwas, das mit den Gesetzen der Wissenschaften nicht vereinbar war, dennoch so erschreckend real sein? Lähmende Sekunden verstrichen, bis das Ungeheuer mit einer seiner Pranken ausholte, um ihn zu verwunden, doch der Ra Yellow wich mit einem geschickten Überschlag aus. Verstört blickte er sich nach einem Gegenstand um, den er als Waffe verwenden konnte und da er nichts fand, ergriff er die Flucht. Aus einem unerfindlichen Grund hatte dieses Ereignis etwas vertrautes, auch fragte er sich ernsthaft, seit wann er eigentlich so akrobatisch veranlagt war. Er vernahm das Brüllen der Kreatur hinter sich und rannte um sein Leben. Sein Instinkt sagte ihm, dass das Geschöpf hinter ihm her war. Warum, das vermochte er nicht einmal zu ahnen, aber das war im Moment ohnehin von zweitrangiger Bedeutung. „Bastion!" Der Sechzehnjährige wandte sich um und erkannte Direktor Sheppard, der in seiner Hand einen goldenen Stab hielt, der mit Hieroglyphen verziert war und oben mit einem Schakalskopf abschloss. Er murmelte Worte in einer fremden Sprache vor sich hin und das Ungeheuer kreischte auf, als aus den Augen des Schakals zwei Lichtstrahlen hervorbrachen und ihm tiefe Wunden ins Fleisch brannten. Mit einem wütenden Heulen versank es in einem Loch im Boden und der Kanzler seufzte erleichtert auf.

„Das war knapp, fast zu knapp. Es ist jetzt erst einmal aufgehalten, aber es wird wiederkommen. Ich hätte nicht gedacht, dass es tatsächlich so bald passieren würde. Es bleibt mir also nicht erspart, alle Beteiligten zu einem kleinen Gespräch zu bitten. Bist du in Ordnung, mein Junge?"
 

„So in Ordnung, wie man nach so einem Erlebnis sein kann. Sagen Sie, Mr. Sheppard....was war das für ein Tier?"

„Das war kein Tier, auch wenn es so aussah. Das war ein Schattendämon, eine Kreatur der Finsternis. Komm mit in mein Büro." Der Schwarzhaarige folgte ihm widerspruchslos, war aber mehr als verwirrt. Träumte er vielleicht bloß? War er über seinem Mathebuch eingenickt und schlief? Das hier war einfach viel zu grotesk, um echt zu sein! Zehn Minuten später erscholl eine Durchsage auf dem Schulgelände und im gesamten Gebäude: „Hier spricht Kanzler Sheppard! Ich bitte folgende Schüler, sofort in meinem Büro zu erscheinen: Jaden Yuki, Chazz Princeton, Zane Truesdale, Syrus Truesdale und Alexis Rhodes!"

Bastion, der sich mittlerweile mehrmals gekniffen hatte, nur um relativ niedergeschmettert festzustellen, dass er offenbar nicht träumte, horchte auf. Weshalb rief er so unterschiedliche Duellanten zusammen? Er beäugte misstrauisch den Stab, den der Direktor an seinen Schreibtisch gelehnt hatte und wurde den Eindruck nicht los, dass er diesen nicht zum ersten Mal sah. Aber das war ja unsinnig. Oder nicht....? Als die anderen Schüler eingetroffen waren und Bastion sich zu ihnen gesellt hatte, musterte Sheppard sie eine Weile schweigend, ehe er sich erkundigte: „Ist jemandem von euch in letzter Zeit....etwas Merkwürdiges widerfahren?"

„Was ist denn das für eine Frage?! Behaupten Sie bloß noch, deswegen hätten Sie uns beim Frühstück gestört!" zischte Chazz, der mit sich selbst und der ganzen Welt grollte, weil es ihm nicht gelang, die Gefühle abzutöten, die eine gewisse Person in ihm erzeugte.

„Diese Frage ist sehr wichtig. Habt ihr vielleicht etwas Ungewöhnliches geträumt?"

„Nun, also...." fing Jaden an, „....ich....habe etwas geträumt. Ist es das, weswegen Sie mich sprechen wollten? Woher können Sie davon wissen?"

„Das spielt im Moment keine Rolle. Euer Kommilitone, Misawa-kun, wurde von einem Schattendämon angegriffen, den ich vorübergehend in die Flucht schlagen konnte, aber nicht auf Dauer. Daher ist es wichtig, dass ihr mir alles erzählt, was euch seltsam erscheint."
 

„Von einem Schattendämon angegriffen?" wiederholte Zane mit spürbarem Spott und einer beträchtlichen Portion Skepsis in der Stimme. „Verzeihen Sie, Sir, aber solche Geschichten sind höchstens für Grundschüler geeignet. Ich wollte mich noch auf einen Duelltest in der nächsten Woche vorbereiten. Entschuldigen Sie mich bitte...."

„Bleib hier, Zane! Es könnte dir nämlich durchaus passieren, dass du in Zukunft größere Duelle zu bestreiten hast als welche mit Karten!"

„Der Direktor sagt die Wahrheit. Ich bin tatsächlich von einem....Dämon verfolgt worden. Und nein, ich scherze auch nicht oder erlaube mir einen Spaß. Ich habe die Bestie mit meinen eigenen Augen gesehen....es war etwas Bösartiges um sie herum, etwas Grausames...."

„Wissen Sie, mein Traum....Ich habe ihn schon seit einiger Zeit. Da ist ein Tor mit dem Bild eines Schakals vor mir. Ich trete hindurch und treffe auf einen schwarzgekleideten Mann. Zu seinen Füßen liegt eine Leiche. Sie blutet noch, der Tote ist also erst vor kurzem verschieden. An dieser Stelle bin ich bisher immer aufgewacht. Aber heute....heute konnte ich mit dem Mann sprechen. Er sagte, er hätte den anderen getötet, weil es seine Aufgabe sei. Er habe den Heiligen Bezirk betreten und außer dem Pharao sei das niemandem gestattet."

„Hat er seinen Namen genannt? Oder den dieses Pharaos?"

„Tutangaton. Das war der Name des Pharaos. Deshalb bin ich in die Bibliothek gegangen, weil ich hoffte, ich würde dort etwas über ihn finden, aber ich war erfolglos."

„Aber Jay, warum hast du mir denn nicht von diesen Träumen erzählt?" Syrus betrachtete seinen Freund sorgenvoll und drückte fest seine Hände. „Ich hätte dir doch helfen können!"

„Das ist lieb, Sy, aber ich wollte niemanden damit belasten. Ich war ja nicht sicher, was ich davon halten sollte, also wollte ich es auch keinem verraten. Und dann ist da noch diese Stimme....Sir, ich bin überzeugt, dass es der Mann aus meinen Träumen ist, der mich gerufen hat! Er hat mich dazu aufgefordert, die große Vorlesungshalle aufzusuchen!"
 

„Eine Stimme hat dich gerufen? Mich auch, aber ich hielt es für reine Einbildung. Nachdem ich allerdings dieses....Monstrum gesehen habe, bin ich mir nicht mehr so sicher. Hat es damit ebenfalls eine bestimmte Bewandtnis?"

„Hat keiner von euch etwas dazu zu sagen? Hat niemand sonst etwas Ungewöhnliches erlebt?"

Alexis, ziemlich durcheinander von dem, was bisher gesprochen wurde, schüttelte nur den Kopf, und auch die beiden Brüder zuckten lediglich mit den Schultern, wobei besonders Zane durchblicken ließ, dass er sich in höchstem Grade veralbert vorkam.

„Ich....ich habe auch etwas....gesehen...." bemerkte Chazz widerwillig und berichtete von seiner Vision und dem Spiegelbild im Wasser. Das X an seinem linken Oberarm, das dort so plötzlich aufgetaucht war, erwähnte er jedoch nicht. Kanzler Sheppard lauschte der Erzählung und legte schließlich seinen Stab auf den Tisch.

„Was ist das?" fragte das blonde Mädchen.

„Damit habe ich den Schattendämon vertrieben, aber das gewährt uns nur einen Aufschub. Das ist ein Anubis-Zepter. Es ist das äußere Zeichen der Priester des Anubis."

„Anubis? Ist das nicht der ägyptische Gott der Toten?"

„Ganz richtig, Bastion. Über Tutangaton findet sich deshalb nichts in den Geschichtsbüchern, weil er zu einer Zeit regierte, die niemals in die Geschichtsschreibung eingegangen ist. Seine Herrschaft geht über viertausend Jahre zurück in die Vergangenheit und sie begann im Jahr des Schakals. Tutangaton war Hohepriester des Anubis gewesen und zudem Tjaty, ehe er von den Ministern des Reiches zum neuen Pharao gewählt wurde, denn sein Vorgänger hatte keine Nachkommen gehabt."

„Was ist denn ein Tjaty?"
 

„Die Ägypter lebten in der Überzeugung, dass nur das Geschriebene von Dauer ist und so rekrutierten sich die Minister des Landes aus der Kaste der Schreiber, die Männer von hohem Rang und ausgezeichneter Bildung waren. Nicht selten gehörten auch Priester dazu, die ebenfalls über eine fundierte und gute Ausbildung verfügen mussten. Der Tjaty war so etwas wie der ‚Wesir‘ des Pharaos und nach dem Herrscher der zweitmächtigste Mann im Staat. So war es nicht verwunderlich, dass Tutangaton seinem verstorbenen König auf den Thron folgte. Er war es auch, in dessen Besitz sich drei uralte Karten befanden, die einst für die Spiele der Schatten gebraucht worden waren, die euch sicherlich ein Begriff sind. Ja, es gab sie wirklich, diese Schattenduelle - und die drei Kreaturen, die Tutangaton sein eigen nannte, waren die Heiligen Ungeheuer, Bestien von unvorstellbarer Macht. Und diese Macht zog viele Feinde an....Um die Heiligen Geschöpfe zu schützen, ließ er sie im Inneren einer gigantischen Tempelanlage versiegeln, durch sieben magische Tore von der Außenwelt getrennt. Jedes einzelne dieser Tore konnte nur mit einem speziellen Schlüsselamulett geöffnet werden und jeder dieser Schlüssel befand sich in den Händen eines Torwächters. Diese Schlüssel waren Tutangaton von sieben Göttern überreicht worden, denn die Heiligen Ungeheuer waren ebenfalls göttliche Wesen, deren Macht um keinen Preis missbraucht werden durfte. Jedes Tor besass also neben seinem Wächter noch einen himmlischen Schutzpatron. Außer dem Pharao war es niemandem gestattet, diese Tempelanlage, den ‚Heiligen Bezirk‘, zu betreten. Wer es dennoch wagte, wurde von den Wächtern getötet. Man nannte sie die ‚Krieger des Anubis‘ oder auch die ‚Wächter der Schlüssel‘. Sie waren für die Sicherheit des Reiches verantwortlich. Wenn die Polizeikräfte versagten, kümmerten sich die Anubiskrieger um das anfallende Problem. Eines Tages sammelte der neue Tjaty, Onuris, Mitstreiter um sich, um Tutangaton vom Thron zu stürzen und sich die Macht der drei Heiligen Geschöpfe zu holen. Mit Hilfe des Buches der Schatten, einer Sammlung von finsteren und gefährlichen Magien, erschuf er sieben Schattentalismane für seine treuesten Vasallen und bezeichnete sie als Schattenreiter. Als der Krieg zwischen beiden Parteien offen ausbrach, begann eine dunkle Zeit für Ägypten und sein Volk, denn es war ein langer und leidvoller Kampf, in dessen Verlauf der Pharao, sein Sohn und drei der Anubiskrieger ihr Leben ließen. Den überlebenden Torwächtern gelang es, die übrigen Schattenreiter in die Flucht zu schlagen - ja, auch dort hatte es Verluste gegeben - und Onuris zu besiegen."

„Eine reizende Geschichte", bemerkte Zane, der seine Ungeduld kaum mehr zurückhalten konnte und auch Chazz sah immer wieder genervt auf die Uhr. „Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, Sir, aber dass ich wegen Ihrer....Märchenstunde mein Training unterbrechen musste, missfällt mir. Ich habe noch etwas anderes zu erledigen, also...."

„Es gibt einen Grund, weshalb ich euch das alles erzähle. Onuris ist zurückgekehrt, er wurde wiedergeboren, weil seine Seele damals keine Ruhe fand in ihrem Streben nach Rache. Wie in jenen Tagen hat er es auf die Heiligen Ungeheuer abgesehen, die unter dem Schulgebäude versiegelt sind und wie einst werden sie von sieben Toren geschützt, denen der alte Zauber der Vergangenheit innewohnt."

„Wie bitte?!" stieß Syrus fassungslos hervor. „Diese komischen Karten befinden sich unterhalb der Schule?!"

„Genau. Die Krieger von einst bzw. ihre Seelen erwarten euch heute um Punkt zwölf zur Initiation in der großen Vorlesungshalle. Sie können erst in ihre Gräber zurückkehren, wenn sie ihre letzte Aufgabe erfüllt und ihre Schlüssel an ihre Nachfolger weitergegeben haben, die sich erneut dem Kampf gegen die Schattenreiter stellen werden. Ich meine euch. Ihr seid die Reinkarnationen der Krieger des Anubis!"
 

Syrus war damit ganz und gar nicht einverstanden. Er schüttelte wild den Kopf, als könne er auf diese Weise das Gesagte so rasch wie möglich vergessen. Alexis fragte sich nach wie vor, ob sie nicht einfach auf einen wohlvorbereiteten Scherz hereingefallen war und Bastion grübelte darüber nach, ob es tatsächlich wissenschaftlich verbürgte Fälle von Wiedergeburt gab. Er selbst hielt sich natürlich für keine, aber die Eindrücke, die er während der Verfolgungsjagd mit dem Dämon gewonnen hatte, stimmten ihn nachdenklich. Zane rümpfte die Nase und Chazz tippte sich unmissverständlich an die Stirn, während Jaden in Heldenträumereien und fantastischen Abenteuern versank.

„He, da fällt mir was ein....war nicht die Rede von sieben Toren und sieben Hütern? Wir sind doch nur zu sechst!" erklärte der Brünette plötzlich und zählte noch einmal nach.

„Ja, ich weiß. Der siebte eures Bundes wäre Atticus Rhodes - der leider verschollen ist."

„Was, mein Bruder?! Das ist doch nicht Ihr Ernst!! Was soll dieser Unsinn überhaupt?! Hören Sie, Mr. Sheppard, ich weiß nicht, was der Zweck dieser merkwürdigen Unterredung sein soll, aber ich für meinen Teil habe genug! Sehen wir der Realität ins Auge: Dämonen, magische Wesen, Reinkarnation, Schlüssel, Talismane, Schattenreiter, das kauft Ihnen niemand ab! Es könnte vielleicht ein Bestseller werden, aber uns halten Sie aus Ihren schriftstellerischen Ideen bitte heraus, ja?"

„Ich kann Alexis nur zustimmen", mischte sich ihr ehemaliger Verehrer mit ein und verschränkte die Arme. „Das ist einfach lächerlich! Na schön, ich habe etwas Seltsames gesehen, aber vermutlich war es nichts weiter als eine Luftspiegelung! Zumindest war es nicht real, so viel ist sicher! Ersparen Sie uns den Rest!"

„Du hast Angst, nicht wahr, mein Chazzalein?" säuselte Jaden und grinste ihn frech an.

„Du solltest erst einmal dein Gehirn wiederfinden, ehe du den Mund aufmachst, du Niete! Was heißt hier: Ich habe Angst? Ein Princeton hat nie vor etwas Angst, merk dir das! Aber so eine bescheuerte Story reicht gerade mal dafür aus, um Erstklässler zu beeindrucken, bei mir läuft das nicht! Und jetzt entschuldigt mich!" Damit verließ er erhobenen Hauptes das Büro des Direktors und Zane, nicht weniger angefressen als er, obgleich er es nicht so deutlich zeigte, schloss sich ihm an. Das Mädchen zögerte, eilte aber schließlich hinterdrein.

„Ich wäre wahrscheinlich auch weg, wenn ich diesem....Vieh....nicht leibhaftig gegenübergestanden wäre, Sir. Ihre Geschichte entbehrt jeglichen Beweises, zumindest wäre das mein Statement gewesen, wenn ich nicht die Wirkung ihres Stabes miterlebt hätte. Doch so, wie die Dinge im Moment liegen, muss ich Ihnen offenbar glauben...."

„Ich glaube Ihnen auch, selbst wenn mein Bruder anderer Meinung ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich sowas einfach ausdenken, nur um uns durcheinanderzubringen."

„Ich glaube es auch! Meine Träume....und die Stimme, die ich hörte....Ich habe von Anfang an gespürt, dass ich das ernst nehmen musste....mit mir können Sie rechnen!"

Kanzler Sheppard betrachtete seine verbliebenen drei Schüler eingehend und nickte lächelnd. „Ich danke euch...."

Die Initiation (Teil 2)

So, da bin ich wieder! Ich werde demnächst versuchen, die Kapitel, die ich schon habe, ein bisschen schneller on zu stellen, versprochen! *verneig* Und nun viel Spaß beim Lesen!^^
 

Kapitel 3: Die Initiation (Teil 2)
 

Zane hatte seine Karten vor sich ausgebreitet und überlegte sich gerade eine Strategie, als an seine Zimmertür geklopft wurde. „Kaiser? Da ist ein Slifer-Bengel, der behauptet, dein Bruder zu sein!" Einer seiner Klassenkameraden hatte den unglückseligen Syrus am Kragen seiner Uniform gepackt und schwenkte ihn herum wie ein Bündel Wäsche.

„Lass ihn los, aber sofort! Er sagt die Wahrheit, er ist mein Bruder!"

„HÄ?!?!"

Der Grünhaarige schlug dem perplexen Mitschüler die Tür wieder vor der Nase zu und wandte sich an seinen Ototo, der vergnügt die vornehmen Einzelheiten des Raumes, wie etwa die feinen Möbel oder den teuren Teppichboden, untersuchte und schließlich dazu überging, die tollen Karten zu begutachten, die auf dem Tisch lagen, wie abgezirkelt natürlich.

„Was tust du hier?"

„Ist es jetzt nicht einmal mehr erlaubt, seinen eigenen Bruder zu besuchen? Es hat mich ohnehin schon einen Haufen Mumm gekostet, einfach ins Obelisk-Haus zu marschieren und bei meinem üblichen Pech musste ich ausgerechnet ich einen echten Obersnob reinrennen, der alles für minderwertig hält, was auch nur im entferntesten was rotes anhat!"

„Du hast meine Frage nicht beantwortet."

„Wirst du heute um zwölf in der großen Vorlesungshalle sein?"

„Das ist hoffentlich nicht dein Ernst. Weshalb sollte ich mich im Audimax aufhalten? Nur wegen dieser lächerlichen Geschichte, die uns der Direktor aufgetischt hat? Sei nicht albern. Ich weiß zwar nicht, warum er sich dieses Märchen ausgedacht hat, aber ich werde ihm nicht die Genugtuung gönnen und bei dieser Farce mitspielen!"

„Aber Onii-san, siehst du denn nicht, dass Mr. Sheppard die Wahrheit gesagt hat? Und dann das, was Bastion erzählt hat! Warum sollte ein sonst so vernünftiger und logisch denkender Charakter wie er plötzlich an Dämonen glauben? Weil er tatsächlich einem begegnet ist! Der Direktor hat gesagt, dass das Monster zurückkommen wird. Wir sollten das nicht auf die leichte Schulter nehmen!"

Zane war ein wenig überrascht, denn Syrus war selten so energisch. Aber er war einfach zu überzeugen und hatte viel Fantasie, daher war es nicht weiter verwunderlich, dass der Kanzler seinen kleinen Bruder mit seiner zugegebenermaßen interessanten Geschichte hatte begeistern können. Doch er, von Natur aus ein Skeptiker, sehr nüchtern und nur bereit, Dinge zu glauben, die er als real einstufen konnte, betrachtete die Erzählung als das, was sie zweifellos war: Die Ausgeburt eines kreativen, aber verwirrten Geistes, der allmählich anfing, den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren. Andererseits konnte er sich das bei Mr. Sheppard nur schwer vorstellen, da er ihn im Grunde für einen fähigen Mann hielt.

~~ Zane! ~~
 

„Ja, Syrus?"

„Was, ja? Was ist denn?"

„Das frage ich dich, du hast mich doch gerade angesprochen."

„Ich?? Kein Sterbenswort habe ich gesagt!"

„Das ist nicht witzig, Ototo. Ich arbeite an einer Strategie und habe keine Zeit, mich um irgendwelche Fantastereien zu kümmern. Geh bitte zu deiner Unterkunft zurück und hör auf, dir Scherze zu erlauben."

Der Kleinere pumpte Luft in seine Backen und blickte schmollend zu dem ellenlangen jungen Mann hinauf. „Ich scherze nicht. Ich habe dich ganz bestimmt nicht angesprochen."

~~ Syrus! ~~ tönte es jetzt, und der Türkishaarige zuckte zusammen. Jemand hatte ihn gerufen und es war ganz sicher nicht Zane! Hatten nicht auch Jaden und Bastion davon berichtet, dass jemand mit ihnen geredet habe? Oder bildete er sich das ein? Aber nein, die Stimme hatte völlig klar geklungen....und sie erinnerte ihn ein wenig an seine eigene, auch wenn sie sich tiefer und reifer anhörte.

„Man hat mich soeben gerufen, genau wie Jay und Bastion es uns berichtet haben! Bestimmt ist dir gerade dasselbe passiert. Begreifst du es denn nicht, Onii-san? Ich glaube, dass wir dabei sind, in eine Sache verwickelt zu werden, die unseren Verstand übersteigt! Ja, ich verschlinge Abenteuerromane und solches Zeug, aber dass ich deswegen so....berührt davon bin, hängt nicht mit meiner Faszination für diese Art von Themen zusammen! Ich spüre etwas....ich kann nicht genau erklären, was es ist....so etwas wie....eine....Aura. Genau, eine Aura! Allerdings ist es eine dunkle Aura....vielleicht fühlt sich der Dämon so an? Es ist Mr. Sheppard sehr ernst mit seinen Worten und ich will ihn nicht im Stich lassen. Bitte begleite mich zur Vorlesungshalle!"

Der Ältere stieß einen Seufzer aus und packte sein Deck zusammen. Wenn Syrus nicht von seiner Seite zu weichen gedachte, würde er heute nicht mehr mit dem Training weiterkommen, also war es besser, er unterbrach es. Er missbilligte die Tatsache, dass sein Bruder sich dermaßen in die Angelegenheit hineinsteigerte, zumal er befürchtete, dass er enttäuscht werden würde. Was den Ruf betraf, so hatte er sich einfach getäuscht. Er wusste, dass Chazz und Alexis seiner Meinung waren, weitgehend jedenfalls, denn das Mädchen wirkte vor allem irritiert, und er hatte genau wie diese beiden nicht die Absicht, sich um zwölf Uhr in der großen Vorlesungshalle einzufinden. „Ich merke, dass ich es dir nicht ausreden kann, Sy. Wenn du unbedingt willst, kann ich mich nicht dagegenstellen. Aber erwarte nicht, dass ich dich begleite. Du kennst meine Ansicht und ich werde sie in der nächsten Dreiviertelstunde gewiss nicht ändern. Wenn du dem noch etwas hinzuzufügen hast, sprich dich aus, anderenfalls möchte ich dich ersuchen, mich allein zu lassen."

„Aber Zane....!"

„Nein, Syrus, nicht betteln."

Ein strafender Blick richtete sich auf den Slifer-Red-Studenten und der Türkishaarige zog sich zurück. Mit seinem Nii-san konnte man einfach nicht diskutieren - schon gar nicht über Übernatürliches! Aber er war ja offenbar auch ein - wie sollte er es nennen? - ein Auserwählter, und trotzdem bevorzugte er es, von der ganzen Sache nichts zu wissen!

>>Mann, es ist manchmal echt schwierig mit dir, Zane! Ich meine, okay, klar, es hörte sich schon alles sehr abstrus an für zwei chronisch skeptische Ohren wie die seinen, aber es würde doch gar keinen Sinn machen, wenn der Direktor uns nur aus Spaß so etwas erzählen würde! Noch dazu sechs so verschiedenen Leuten! Ich bin beinahe so weit, Zane den Dämon an den Hals zu wünschen, damit er seine Haltung noch einmal überdenkt....sonst bekehrt den wahrscheinlich gar nichts. Und dann ist da noch Chazz, der genauso stur ist wie mein Bruder, obwohl er selbst ein ungewöhnliches Erlebnis hatte. Apropos Chazz....habe ich mir das bloß eingebildet, oder hat er Jaden während des Treffens im Büro ständig angestarrt? Nee, unmöglich, warum sollte er?<<
 

Es war viertel nach elf. Chazz sass im Lesesaal der Akademie, ihm gegenüber hatte Alexis in einem der bequemen Sessel Platz genommen. Sie hielt einen dicken Wälzer über Ägyptens Geschichte in den Händen und dem Dunkelblauhaarigen wurde klar, dass ihr die Worte des Kanzlers offenbar doch näher gegangen waren, als sie behauptet hatte. Er war sich, wenn er ehrlich war, auch nicht unbedingt zu hundert Prozent sicher, wie viel Argwohn er sich in dieser Angelegenheit gestatten durfte. Immerhin hatte er dieses Spiegelbild im Wasser gesehen, diese Vision - und irgendetwas sagte ihm, dass es auch mit dem x-förmigen Schnitt an seinem Oberarm eine eigene Bewandtnis hatte. Außerdem, es war nicht zu leugnen, schien Jaden Feuer und Flamme für diese wilde Story um irgendwelche Anubiskrieger zu sein und der begeisterungsfähige Optimist würde sich ohne Zögern in dieses Abenteuer hineinstürzen, egal, wie gefährlich es werden mochte. Nicht, dass er sich Sorgen machte, oder so, dieser Gedanke behagte ihm nur einfach nicht....er linste verstohlen zu dem hübschen Mädchen hinüber und betrachtete sie ausgiebig. Er wartete darauf, dass sich sein Herzklopfen von einst einstellen würde, aber nichts dergleichen geschah, sein Herz blieb ungerührt. Seine Schwärmerei - er hatte mittlerweile erkannt, dass es nicht mehr gewesen sein konnte als das - war vorbei, er fühlte sich als Mann nicht mehr zu ihr hingezogen. Statt dessen kribbelte es ihn überall im Körper, wenn der verdammte Slifer ihn anlächelte....! Hier lief doch eindeutig was falsch!!

>>Ich brauche dringend Ferien....aber bis dahin sind es noch Monate! Dabei würde es mir gut tun, wenn ich mal ein paar Wochen fort wäre von dieser Schule, von den Duellen und natürlich von dieser Niete....eine süße Niete, aber immer noch eine Niete....AH, BIN ICH DENN NOCH ZU RETTEN?!?! Wieso geht mir der Blödian nicht aus dem Kopf?! Was habe ich nur verbrochen, dass ich so gestraft werde!? Das ist wirklich nicht lustig....als wenn merkwürdige Träume, seltsame Visionen, das hirnrissige Gerede über Dämonen und ausgeflippte Direktoren nicht schon genügen würden, mein Gefühlsleben muss noch eins draufsetzen und sich in ein einziges Chaos verwandeln! Mist!!<<
 

Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und schloss die Augen, während seine Gedanken sich auf Wanderschaft begaben. Er marschierte durch einen langen Korridor, der von Fackeln hell erleuchtet war und dessen Seitenwände von Fresken übersät waren. Bilder und Symbole wechselten sich ab....waren das nicht....Hieroglyphen? Aber warum konnte er sie dann lesen? Endlich gelangte er nach draußen auf ein Rondell, von dem aus man auf eine große Stadt herabschauen und sie überblicken konnte. Bastion, braungebrannt und in ein schwarzes Gewand mit Umhang und Kapuze gehüllt, mit Goldreifen an Armen und Beinen geschmückt und mit einem furchteinflößenden Krummschwert bewaffnet, das an einem Gürtel befestigt war, winkte ihn heran. Was denn, erst die Slifer-Niete und jetzt Mr. Einstein Junior? Wer würde als nächstes diese Träumereien bevölkern, etwa Professor Crowler in der Rolle der bösen Hexe? „Ich weiß, dass du sehr leidest, Shezar." erklärte Bastion soeben und der Angesprochene runzelte die Stirn. Ach, er litt also? Wie interessant. „Aber glaubst du, dass dein Schweigen etwas ändert? Was nützt es dir, wenn du deine Gefühle versteckst? Das kann dir auf Dauer nur noch mehr Kummer bereiten. Er liebt einen anderen, aber das ist kein Grund, ihm nicht zu gestehen, was du für ihn empfindest!"

„Chazz?"

Er schlug abrupt die Augen wieder auf und gewahrte Alexis vor sich, die ihn behutsam schüttelte. Na klasse, jetzt hatte er schon Tagträume! „Was ist los mit dir? Du wirkst so geistesabwesend. Fühlst du dich nicht wohl?"

„Nein, nein, es ist alles in Ordnung!" meinte er wider besseren Wissens, denn tatsächlich war nichts in Ordnung. Diese Träume nervten echt! Was genau war es überhaupt, was er da sah? Mr. Sheppard hatte ja die Dreistigkeit besessen, sie als Reinkarnationen dieser komischen Krieger zu bezeichnen....waren das, was er wahrnahm, demnach Ausschnitte aus seinem früheren Leben? Aber das war doch verrückt, total unerklärlich, himmelschreiender Unsinn! Er rieb sich die Schläfen, als sein ganzer Körper sich mit einem Mal anspannte und eine Eiseskälte ihm über den Rücken rann. Auch die blonde Duellantin schien es zu spüren, denn sie schoss pfeilschnell herum und maß mit scharfen Blicken den Lesesaal ab, als verberge sich hier etwas Fremdartiges, Gefährliches. Zu ihren Füßen sprudelte plötzlich eine Art schwarzer Schleim nach oben, der sich zu einem abscheulichen Masse verdichtete und schließlich die Gestalt eines krokodilähnlichen Wesens annahm. Es bleckte die spitzen Zähne und wenn Chazz jemals den Ausdruck ungläubigen Entsetzens auf einem Gesicht gesehen hatte, so stand es nun in Alexis‘ fassungslosen Zügen. Er selbst war allerdings auch mehr oder weniger geschockt, denn ein ähnliches Tier in einer Vision zu sehen und ihm dann in grausiger Realität und voller Größe gegenüberzustehen, waren zwei Paar Schuhe. Speichel tropfte von den weitgeöffneten Lefzen der Kreatur und seine blutunterlaufenen Augen bohrten sich wie Brandpfeile in die ihrer Opfer. So widerwärtig es war, sie konnte ihre Blicke nicht abwenden oder die lähmende Angst abschütteln, die eine Reaktion unmöglich machte. Schreie und wildes Getrampel waren zu hören, die anderen Studenten und der Präsenzlehrer im Lesesaal flohen in heilloser Panik. Niemand achtete auf seinen nächsten, jeder wollte der erste an der Tür sein und verschwinden, obwohl das Geschöpf sich nicht im geringsten um sie kümmerte, es fixierte allein Chazz und Alexis. Es stieß ein grässliches Brüllen aus und holte mit einer seiner mächtigen Pranken aus. Der Dunkelblauhaarige duckte sich nicht rechtzeitig genug weg und die Krallen trafen ihn in die linke Schulter. Er stöhnte auf vor Schmerz und bemerkte mit Schrecken, wie warmes Blut durch den Stoff seines Mantels sickerte. Das konnte kein Traum sein! Das war die Wirklichkeit - eine grausame Wirklichkeit! Das Mädchen stützte ihn und untersuchte sorgenvoll die Verletzung. „Verflixt, das Biest hat voll zugeschlagen! Das muss bestimmt genäht werden! Auf jeden Fall benötigst du professionelle Hilfe!"
 

„Jetzt benötigen wir erst einmal flinke Beine!" Er packte sie am Arm und zerrte sie hinter sich her. Sie liefen, so schnell sie konnten, während der Dämon sie gnadenlos verfolgte, wobei er alles zerfetzte, was ihm an störenden Hindernissen in den Weg kam. Sessel, Bücher und Regale flogen durch die Luft und wurden in Stücke gerissen oder zerhauen.

„Chazz, wir können nicht einfach hinaus und abhauen! Das Vieh wird uns bis auf den Campus jagen und unsere Mitschüler angreifen!"

„Das wird es nicht. Es hat die anderen komplett ignoriert. Es ist wegen uns hier, uns soll es töten! Ich schwöre dir, wenn wir das überleben, werde ich Sheppard nie wieder als senil bezeichnen! Nanu, was ist das?"

Der Lesesaal war zugleich Aufenthaltsraum, galt als eines der Herzstücke der Akademie und verfügte als besondere Attraktion über einen Kamin, den sie gerade erreicht hatten und der Blick des Sechzehnjährigen fiel auf die Schürhaken. Er griff sich eine der Metallstangen und als das Ungeheuer eine weitere Attacke startete, verteidigte er sich mit gezielten Hieben. Er benutzte den Schürhaken wie ein Schwert und wich mit gekonnten Sprüngen und Überschlägen aus, im Moment nur von seiner Furcht gelenkt und gleichgültig gegen den pochenden Schmerz in seiner Schulter. Alexis stand staunend daneben.

„Wow, wo hast du das alles gelernt?"

Er hielt inne und registrierte offenbar erst jetzt, was er eigentlich tat. „Ich habe nicht die geringste Ahnung", erwiderte er und bohrte in einer günstigen Gelegenheit die Stange tief in den Rachen der abstoßenden Kreatur. Sie schlug um sich und wand sich am Boden, konnte aber den Gegenstand in ihrer Luftröhre nicht loswerden und erstickte. Der Todeskampf dauerte nur wenige Minuten und endlich verschied es mit einem scheußlichen Röcheln. Die Umgebung glich einem Schlachtfeld.

„Der Direktor hat uns gewarnt", murmelte die Blondine wie betäubt. „Er hat uns gewarnt, dass der Dämon zurückkommen würde und ich habe ihm nicht geglaubt. Nichts habe ich ihm geglaubt und nun wären wir fast getötet worden!"

„Wie hättest du es ihm glauben können? Du bist nicht so vertrauensselig wie der Gartenzwerg und sein bester Freund - und im Gegensatz zu Misawa-kun hatten wir bis dato noch nicht das Vergnügen, einen Dämon kennen zu lernen! Ursprünglich hatte ich nicht vor, die Verabredung um zwölf einzuhalten, aber jetzt....jetzt sieht es anders aus. Vielleicht....vielleicht sollten wir kommen, damit etwas Licht ins Dunkel fällt...."

Die Tür zum Lesesaal wurde aufgerissen und der Kanzler stolperte hindurch, mit dem Anubis-Zepter in seinen Händen. Er musterte bestürzt das Durcheinander, das die Schattenkreatur hinterlassen hatte und erstarrte, als er des Leichnams ansichtig wurde. Dann entdeckte er seine beiden Schüler.

„Ihr habt ihn also besiegt....meinen Respekt, ich habe eure angeborenen Fähigkeiten offenbar unterschätzt. Ich habe die böse Präsenz gespürt, konnte aber leider nicht schnell genug hier sein. Es ist anzunehmen, dass eure Mistreiter die Anwesenheit der Bestie ebenfalls wahrgenommen haben. Ich verlasse mich darauf, auch euch zum vereinbarten Termin im Audimax anzutreffen, nicht nur Jaden, Syrus und Bastion. Bis gleich!" Er entfernte sich und ließ ein betretenes Schweigen zurück. Vereinzelte neugierige Studenten besahen sich das Chaos und fingen an zu tuscheln, während sie das Monster mit abergläubischer Scheu umrundeten und Chazz und Alexis mit bewundernden Blicken bedachten. Der ehemalige Obelisk Blue seufzte resigniert. Fabelhaft....nun konnte er wohl kaum einen Rückzieher machen! Aber nach diesem Erlebnis....was sollte er da schon tun?
 

Es schlug zwölf Uhr. Die Mensa war wie gewöhnlich um diese Zeit fast überfüllt und niemandem wäre es aufgefallen, wenn vier oder fünf Schüler gefehlt hätten. Man sprach immer noch über das schreckliche Ereignis, das sich im Lesesaal zugetragen hatte und Zane horchte auf. Andere wollten diesen Dämon ebenfalls gesehen haben, nicht nur Princeton und Alexis? Das war doch absurd! Allerdings waren die beiden nicht anwesend, und auch die Plätze neben Chumley, der mit nicht zu bremsender Begeisterung sein Mittagessen verspeiste, waren leer. Na grandios, wundervoll, der Virus der Verrücktheit war nun dabei, die Hälfte der Schülerschaft zu befallen! Was sollten diese lächerlichen Gerüchte über dieses unheimliche Wesen? Er wusste natürlich, dass seine Kameraden auf ihn warteten, aber er würde dieses geschmacklose Spiel auf gar keinen Fall mitspielen!

Mr. Sheppard bemerkte sein Fehlen mit Betrübnis, aber er konnte niemanden dazu zwingen, eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen. Er bedeutete Jaden und den übrigen Duellanten, die nun vor ihm in der Halle standen, ihm zu folgen und er betätigte den Öffnungsmechanismus für das Professorenpult. Sichtlich überrascht und möglicherweise auch ein wenig verstört, ließen sich die fünf Jugendlichen von ihm in den unterirdischen Gang führen, wo sie schließlich den Raum mit der versiegelten Kassette erreichten.

„Wie ich euch bereits erzählte, wurde die Kammer, in der die Heiligen Ungeheuer verwahrt wurden, von sieben magischen Toren geschützt, die nur von sieben Schlüsselamuletten geöffnet werden konnten. Diese Schlüssel befinden sich in dieser Kassette und sie beherbergen in sich die Seelen eurer Vergangenheit. Sie haben die letzten viertausend Jahre überdauert, um ihre Aufgabe an ihre Erben - ihre Wiedergeburten - weiterzugeben. Erst dann ist es ihnen gestattet, ihren wohlverdienten Frieden zu erlangen. Eine Prophezeiung besagt, dass die Wächter von einst sich erneut den Mächten der Finsternis entgegenstellen werden, sobald sie wiederkehren sollten: Eines Tages kehren sie zurück, die Schatten der Nacht. Und was sie suchen, ist der Kreaturen Macht. Verhindern kann ihren Triumph, wer als Hüter geboren, bereit zu kämpfen vor den alten Toren. Im ersten wird zum Kampf vereidigt, am zweiten wird die Hoffnung verteidigt. Das dritte ist Freiheit, das vierte die Liebe, worauf fünftens der Ewige Frieden noch bliebe. Im sechsten prüft manchen die Wahrheit vergebens, das siebte Tor ist die Pforte des Lebens. So lautet die Prophezeiung. Sie beschreibt die jeweiligen Schlüssel, die zu den Toren gehören. Ich habe die Kassette hier versiegelt, aber den Bann für die einzelnen Amulette könnt nur ihr lösen. Jaden, mein Junge....berühre bitte diese Säule zu deiner Rechten. Chazz nimmt die daneben und Bastion die nächste. Alexis, als nächste folgst du....nein, Syrus, du berührst nicht die darauffolgende Säule. Es ist die dritte, sie wäre für deinen Bruder bestimmt, weil er damals der Wächter des Dritten Tores war. Nimm die zweite."
 

„Die erste Säule wäre für Atticus, nicht wahr? Wissen Sie, was mit meinem Nii-san passiert ist, Sir? Niemand hat je wirklich herausgefunden, was in der leeren Unterkunft geschehen ist. Glauben Sie denn, dass noch Hoffnung besteht? Ich meine....werde ich meinen Bruder irgendwann einmal wiedersehen?"

„Ich würde es dir wünschen, mein Kind. Aber über die Aktivitäten der Schatten in diesem Punkt ist mir nichts bekannt. Man kann jedoch berechtigterweise vermuten, dass sie ihre Hände dabei im Spiel haben. Und nun zu eurer Initiation! Sprecht mir nach: Gott Anubis, deine Krieger sind hier und erwarten deinen Befehl."

„Gott Anubis, deine Krieger sind hier und erwarten deinen Befehl!"

Kaum war der fünfstimmige Chor verklungen, als sich ein paar der Ketten lösten und der Deckel der Schatulle sich öffnete. Silberweiße Lichtstrahlen, für jeden der Auserwählten einer, schossen daraus hervor und manifestierten sich im Raum. Die Jugendlichen sogen verblüfft die Luft ein, als ihnen mit einem Mal ihre ägyptischen Ebenbilder gegenüberstanden. Genaue Ebenbilder waren sie allerdings nicht, denn sie schienen älter zu sein, so um die achtzehn, neunzehn oder zwanzig. Jene, die Jaden, Chazz und Bastion glichen, waren ausgewachsen und während der Schwarzhaarige von seinem Alter Ego nur um wenige Zentimeter überragt wurde, mussten seine Freunde ein bisschen weiter nach oben schauen, um ihren älteren Ichs in die Augen sehen zu können. Alexis betrachtete ihren Gegenüber scheu - sie erkannte sich selbst sehr wohl, aber diese Frau hatte viel längere Haare, die zu einem strengen Zopf geflochten waren und bis zu ihren Oberschenkeln reichten. Syrus hingegen war sich nicht sicher, ob seine damalige Existenz, um die es sich hier angeblich handelte, tatsächlich „er" war. Immerhin war der Bursche fast so groß wie Zane, und sein türkisfarbenes Haar stand nicht links und rechts vom Kopf ab, sondern war im Nacken zusammengebunden. Der Brünette indessen, kam sich seltsam klein vor, während er von seinem anderen Ich eindringlich unter die Lupe genommen wurde.
 

>>Der Typ ist mindestens vier Jahre älter als ich....und viel größer....und ernster. Dieser Blick ist echt zum Fürchten....aber um seinen Mund spielt ein leichtes Lächeln. Sage ich ihm zu? Mag er mich? Findet er mich okay?<<

~~ Jaden....~~ begann der Ägypter und die Aufmerksamkeit aller Anwesenden wandte sich ihm zu. ~~ Ich habe in dein Herz geblickt und viel Mut darin gefunden. Bewahre ihn dir, denn du wirst ihn brauchen für das, was kommt. Der Direktor hat euch mitgeteilt, weshalb ihr hier seid. Unsere Seelen sehnen sich nach Ruhe und wir können sie nur erwerben, wenn wir unsere Aufgabe an euch übergeben. Es ist eine schwere Aufgabe, die auf euren Schultern lasten wird, ich weiß es. Aber wir sind tot, unsere Zeit ist vor Jahrtausenden schon abgelaufen. Wir können nicht mehr kämpfen. Doch ihr, die ihr unsere Reinkarnationen seid, könnt es tun. Ich bitte euch im Namen von Pharao Tutangaton, dem wir die Treue geschworen haben, und im Namen der Menschheit, diese Aufgabe anzunehmen. Sobald ihr die Schlüssel erhalten habt, werdet ihr anfangen, euch an die Vergangenheit zu erinnern. Ich sage nicht, dass das eine schöne Erfahrung für euch sein wird, denn unser Leben war nicht einfach. Aber ich sage, dass diese Erfahrung nötig ist, denn der Kampf gegen das Böse verlangt viel von einem Krieger und ihr müsst Reife erlangen, um siegen zu können. Es wäre mir lieber, ihr wäret älter, aber das Schicksal drängt uns zur Eile, das hat der Angriff des Schattendämons bewiesen. Beginnen wir mit der Initiation. Knie nieder. Jaden Yuki, ich, Kail, der Anführer der Sieben Krieger des Anubis, übergebe dir hiermit den Schlüssel des Lebens! ~~

Er ließ das goldene Amulett in die Hand des Sechzehnjährigen gleiten und fuhr fort: ~~ Der göttliche Schutzpatron dieses Schlüssels ist Ra, der Herr der Götter. Ab heute bist du der Wächter des Siebten Tores und du wirst es verteidigen - damit! ~~

Er löste die Gurte um seinen Oberkörper und gab zwei prachtvolle Langschwerter an seine Reinkarnation weiter. Jaden betrachtete die Klingen ehrfürchtig und sagte: „Aber....ich kann doch gar nicht damit umgehen....wie soll ich...."

~~ Du kannst sehr wohl damit umgehen, denn es liegt dir im Blut. Wie ein Anubiskrieger zu kämpfen, ist dir angeboren, wie jedem von euch. Erhebe dich nun, Hüter des Siebten Tores! ~~
 

Nun war Chazz an der Reihe. Er verneigte sich vor seinem Alter Ego und er spürte, wie dessen graue Augen kühl und durchdringend auf ihm ruhten.

~~ Chazz Princeton, ich, Shezar, einer der Sieben Krieger des Anubis, übergebe dir hiermit den Schlüssel der Wahrheit! Sein Schutzpatron ist die Göttin Maat. Verteidige dein Tor mit diesen beiden Waffen. Erhebe dich nun, Hüter des Sechsten Tores! ~~

Die fünfundvierzig Zentimeter langen Spieße mit den elegant geschwungenen Griffen kannte er bereits aus seiner Spiegelbild-Vision. Sie waren hervorragend gearbeitet und am Knauf mit blauen Juwelen geschmückt. Als nächstes kam Bastion.

~~ Bastion Misawa, ich, Taris, einer der Sieben Krieger des Anubis, übergebe dir hiermit den Schlüssel des Ewigen Friedens! Sein Schutzpatron ist der Gott Osiris. Verteidige dein Tor mit diesem Schwert. Erhebe dich nun, Hüter des Fünften Tores! ~~

Er hängte sich die Kette mit dem Schlüssel um den Hals und schwang das Schwert mit der gekrümmten Klinge ein paar mal hin und her. Es lag ihm gut in der Hand und war ihm keineswegs fremd, eher empfand er es wie einen alten Freund.

~~ Alexis Rhodes, ich, Nefretaria, einer der Sieben Krieger des Anubis, übergebe dir hiermit den Schlüssel der Liebe! Sein Schutzpatron ist die Göttin Hathor. Verteidige dein Tor mit diesen Dolchen. Erhebe dich nun, Hüter des Vierten Tores! ~~

Das Mädchen bezweifelte, dass es in der Lage sein würde, diese kunstvollen Waffen richtig zu gebrauchen, ob es ihr nun angeboren sein mochte oder nicht. Die Griffe waren mit Gold überzogen und die matt glänzenden Schneiden waren gezackt, messerscharf und tödlich. Ein Schauer durchrieselte sie.

~~ Ich sehe mit schwerem Herzen, dass dein Bruder nicht hier ist und auch der Wächter des Ersten Tores fehlt. Aber wenn es sich nicht ändern lässt....Syrus Truesdale, ich, Sokat, einer der Krieger des Anubis, übergebe dir hiermit den Schlüssel der Hoffnung! Sein Schutzpatron ist die Göttin Isis. Verteidige dein Tor mit Pfeil und Bogen. Erhebe dich nun, Hüter des Zweiten Tores! ~~

Sokat übergab ihm einen herrlichen Bogen und einen wunderschön verzierten Köcher mit Pfeilen, den er sich sofort auf den Rücken schnallte. „Ich will nicht anmaßend erscheinen, aber....aber glaubst du, dass Zane es sich noch einmal überlegen wird? Es darf doch nicht sein, dass zwei Tore ohne Wächter sind!"

~~ Nein, das darf nicht sein, aber im Moment geht es nicht anders. Mein Bruder Anares ist also auch in diesem Leben eine schwierige Persönlichkeit, wie? Gräme dich nicht, kleiner Freund. Er ist auserkoren. Er kann seinem Schicksal nicht entfliehen. ~~

Da erhob Kail noch einmal seine Stimme: ~~ Eure Initiation ist beendet. Uns bleibt nichts mehr zu tun, außer, euch viel Glück zu wünschen. Und du, Jaden - erinnere dich an meine Worte aus deinem Traum. Es ist meine erste und letzte Bitte an dich. Rette den Mann, den ich liebe. ~~
 

Damit fing seine Gestalt an, zu verschwimmen und durchsichtig zu werden, bis sie sich vollständig auflöste. Seine Gefolgsleute schwanden ebenfalls dahin, denn ihre Mission war erfüllt und sie konnten endlich ihren wohlverdienten Frieden finden. Ehe Shezar jedoch endgültig zu einer Erinnerung wurde, flüsterte er: ~~ Chazz....meine Zeit ist vorüber. Ich hätte dir gerne so vieles gesagt, aber ich kann nicht. Dennoch rate ich dir: Wenn du eines Tages vor die Wahl gestellt wirst, zu schweigen oder zu sprechen, dann bitte, sprich! Denn wenn du schweigst, könntest du es bereuen....für den Rest deines Lebens....~~

„Was? He, warte, bleib hier! Was meinst du damit....?"

Doch zu spät. Die Seelen der Krieger waren erloschen. Nur diejenigen von Zane und Atticus waren noch in der Kassette versiegelt. Würden auch sie einmal befreit werden? Der Kanzler der DA verabschiedete die Geister der Vergangenheit in Gedanken und wandte sich danach an seine Schüler.

„Nun ist es also vollendet. Kommt mit in mein Büro, ich möchte euch etwas zeigen." Mit den Schlüsseln und den Waffen versehen, kehrte die Gruppe ins Arbeitszimmer von Mr. Sheppard zurück und er präsentierte ihnen auf dem dortigen Bildschirm einen Grundriss des Akademiegebäudes. Die Umgebung war ebenfalls eingezeichnet, wie etwa der Wald und die verlassene Unterkunft. Bastion trat vor und unterzog die Darstellung einer inwendigen Überprüfung. „Hier ist ein Durchgang vermerkt, in der Nähe des Audimax. Dort befindet sich aber doch gar keiner, da steht der Glasschrank mit den Duelltrophäen, die von den besten Studenten der Schule gewonnen wurden!"

„Ja, da steht er. Trotzdem gibt es dahinter einen Gang, der zu eurer neuen Unterkunft führt. Jetzt, da ihr Krieger des Anubis seid, spielen eure Ränge als Slifer, Ra oder Obelisk keine Rolle mehr, denn nun habt ihr einen neuen Rang inne, weshalb ihr auch neue Uniformen bekommen werdet. Keine Schul-, sondern Kampfuniformen, auch wenn sie äußerlich von den üblichen Modellen kaum zu unterscheiden sind, sieht man von der Farbe ab."

„Wir werden in einen anderen Rang eingestuft? Gemeinsam?"

„Ganz genau, Jaden. Slifer Red, Ra Yellow, Obelisk Blue, das ist ab heute uninteressant für euch, denn ihr steht als Wächter der Schlüssel an der Spitze des Systems. Ihr werdet den vierten, bisher unbekannten Rang der Schule bekleiden: Anubis Black!!"

Der neue Rang

Hier ist das neue Kapitel von "Anubis Black"!^^ Danke, dass Ihr mir Kommis geschrieben habt! *sich verneig* Ich wünsche Euch viel Vergnügen beim Lesen!^^
 

Kapitel 4: Der neue Rang
 

Eine Prozession aus fünf Duellanten, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten, folgte Kanzler Sheppard auf dem Fuße, als er sie zu ihrer neuen Unterkunft geleitete. Jaden bemerkte bei dieser Gelegenheit, dass der Mantel von Chazz an der Schulter zerrissen war und außerdem Blutspritzer aufwies.

„He, wie ist denn das passiert, Kumpel?"

„Das war der Dämon, der Alexis und mich angegriffen hat. Ich habe gegen ihn gekämpft und dabei bin ich verletzt worden. Ich war vor der Initiation auf der Krankenstation, wo der Arzt die Wunde desinfiziert und genäht hat. Zusätzlich bekam ich noch diesen festigenden Verband, damit ich die Schulter nicht zu viel bewege, bis die Verletzung verheilt ist."

„Du hast wirklich gegen das Monster gekämpft, von dem Bastion erzählt hat? War es ein harter Gegner? Es muss ziemlich brutal gewesen sein, wenn du sogar genäht werden musstest. Tut es sehr weh oder hältst du es aus?"

Chazz blickte in diese besorgten, liebevollen Augen und schluckte. Warum zum Teufel konnte Jaden nicht nachtragend und unfreundlich sein, so wie er es war? Warum musste er ihn wie einen Freund behandeln, obgleich sie doch offiziell immer noch Rivalen waren, unabhängig davon, dass sie zum selben Haus gehörten?

„Was kümmert es dich überhaupt, ob ich verwundet bin oder nicht?" knurrte er abweisend. „Das kann dir doch egal sein! Hör auf, dich wie ein barmherziger Samariter aufzuführen und lass mich einfach in Ruhe!!"

„Aber....aber ich wollte doch nur...."

„Ich sagte: Lass - mich - in - Ruhe!!"

Der Braunhaarige zog sich daraufhin enttäuscht zurück. Er wünschte sich, dass der andere endlich seine störrische Ablehnung aufgeben würde, denn er war überzeugt davon, dass Chazz ihn in Wahrheit gar nicht so sehr verachtete wie er immer wieder bekräftigend wiederholte, denn gerade dieses ständige darauf pochen ließ das Gegenteil vermuten. Er hätte gerne richtige Freundschaft mit dem hübschen Jungen geschlossen, aber wenn er unbedingt auf stur schalten wollte....hübsch? Hatte er Chazz gerade als „hübsch" bezeichnet? Auweia, es hatte ihn doch nicht am Ende erwischt? Jaden errötete, als er sich bei diesem Gedanken ertappte. Aber eigentlich stimmte es....das herrliche dunkelblaue Haar, das manchmal sogar fast schwarz erschien, die wunderbaren grauen Augen, die immer all seine Emotionen verrieten, obwohl er sich einbildete, ein Pokerface zu besitzen, die athletische Gestalt und die Haut wie aus Perlenstaub....er war definitiv hübsch. Wobei dieses Wort fast zu schwach war, um ihn treffend zu beschreiben. Sein Blick glitt über das makellose Profil mit der hohen Stirn, der süßen Nase und den vollen Lippen hinweg. Ein klassisches, vornehmes Gesicht, kühl und distanziert, beinahe königlich. Wer würde da nicht schwach werden?

>>Da gibt es doch so ein Märchen....mit einem Spiegel und einer eifersüchtigen Königin und sieben Zwergen....genau, Schneewittchen! ‚Haut so weiß wie Schnee, Lippen so rot wie Blut und Haare so schwarz wie Ebenholz.‘ Seine Haut hat einen ganz ähnlichen Ton....und sein Haar ist heller als das von Schneewittchen, kontrastiert aber mit dem Alabaster seiner Haut äußerst reizvoll. Seine Lippen sind eher rosig denn rot....aber sehr anmutig geformt....sehr....sehr sinnlich....Hübsch, was sagt hübsch schon aus? Er ist....schön.<<

„Was starrst du mich so an, Slifer-Niete?!"

„Ich habe dich angesehen."

„Ach was?! Stell dir vor, das ist mir gar nicht aufgefallen!"

„Du bist schön, Chazz. Weißt du das eigentlich?"
 

Ein intensives Rot kroch in die sonst so blassen Wangen. „Spinnst du jetzt total!?! Wie kommst du dazu, einem Jungen zu sagen, er wäre schön?! Hast du den kümmerlichen Rest deines armseligen Gehirns nun auch noch verloren?!"

Aber Jaden war so. Er sprach die Dinge aus, wie sie seiner Meinung nach waren und scherte sich nicht darum, wie andere das aufnehmen könnten. Das ließ ihn mitunter taktlos wirken, denn er hatte nie gelernt, seine Ansichten für sich zu behalten (sofern es nicht gerade mysteriöse Träume waren). Seine Ehrlichkeit war von schonungsloser Natur. Er sagte, was er dachte, ohne lange das Für und Wider abzuwägen.

„Warum sollte ich dir kein Kompliment machen, wenn du es verdienst? Man kann es doch offen zugeben, wenn man etwas schön findet! Was ist so schlimm daran?"

„Aber du kannst doch mich nicht schön finden!"

„Wieso nicht?"

„Ich bin ein Junge, genau wie du, Idiot! M. Ä. N. N. L. I. C. H. Kapiert?"

„Macht das einen Unterschied?"

Verflixt und zugenäht, entweder war dieser Kerl mit einer nicht zu überbietenden Naivität „gesegnet" oder er verstand es einfach nicht, weil er keine Lust dazu hatte und ihn ärgern wollte. Ersteres war wahrscheinlicher. Princeton sammelte also seine verbliebene Selbstbeherrschung zusammen und erklärte von oben herab: „Es macht in der Tat einen Unterschied. Es gehört sich nicht für einen Jungen, einem anderen Komplimente dieser Art zu machen. Man kann vielleicht mal sagen, der oder der sieht gut aus, aber schön ist kaum die passende Beschreibung, das riecht zu sehr nach....dem anderen Ufer."

„Ach - du hast demnach Probleme mit Schwulen?"

Was zum Teufel....?! Okay, Jaden war eventuell nicht komplett naiv. Immerhin hatte er die Anspielung begriffen, während er sich insgeheim schon darauf eingestellt hatte, ihm erläutern zu müssen, was denn das „andere Ufer" sei.

„Ob ich Probleme damit habe....? Nun, um es näher zu spezifizieren, ich hatte noch nie mit einem Homosexuellen zu tun, daher habe ich mir noch keine Meinung darüber gebildet." Das war eine erschreckend ausweichende Antwort, wenn man es genau nahm....und der Grund dafür waren die Hormonwallungen, deren er den Brünetten anklagte, da er sich seither seiner Sexualität nicht mehr sicher war.

„Dann kannst du gleich mit der Meinungsbildung anfangen. Ich bin schwul."

WIE WAR DAS?!?!
 

Es war höchst selten, dass Chazz die Gesichtszüge entgleisten, aber diesmal geschah es. Eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Erleichterung malte sich auf seinem Antlitz ab, wobei letzteres ein Schock war. Weshalb sollte er erleichtert sein, dass Yuki schwul war!? Weil er dann Chancen bei ihm hatte, oder was?! Oh nein, ganz falsche Gedanken!!

„Und woher weißt du das?"

„Ich habe es mit vierzehn gemerkt. Frauen haben mich nie sonderlich interessiert, ich schaute immer nur nach hübschen Jungs, nie nach Mädchen. Ich hatte auch einmal acht Monate lang einen Freund, aber die Beziehung ging in die Brüche. Da war ich fünfzehn und seitdem bin ich solo. Keine Ahnung, woran das liegt. Vielleicht bin ich zu anspruchsvoll." Er zuckte die Achseln und schenkte seinem Gesprächspartner ein charmantes, herzliches Lächeln.

„Du und anspruchsvoll? Entschuldige, aber ich habe schon bessere Witze gehört!"

„Ich bin nicht so einfach zu kriegen, wie du glaubst. Mein Auserwählter sollte attraktiv sein - ja, ich weiß, es heißt immer, man soll nicht nur aufs Äußere schauen, die inneren Werte sind wichtiger, aber hey, wer hält sich schon daran? Das Aussehen ist stets ein erstes Auswahlkriterium! - und er sollte was auf dem Kasten haben."

„Das sagt der Richtige!"

„Die Anspielung auf meine miesen Zensuren hättest du dir sparen können." erwiderte Jaden ungewohnt nüchtern. „Etwas auf dem Kasten haben bezieht sicht nicht nur auf die Bildung oder die Intelligenz. Er sollte einen Blick für menschliche Werte haben, die Bedeutung eines Lächelns, einer vertrauensvollen Berührung kennen. Und natürlich muss er ein toller Duellant sein, damit ich mich auch mal mit ihm duellieren kann. Er sollte Spaß verstehen und humorvoll sein, Sauertöpfe sind nicht so mein Ding. Und ich stehe auf romantische Typen, die sich für ihren Schatz ordentlich ins Zeug legen und nicht nur zum Geburtstag oder zum Valentinstag mit Blumen vor der Tür stehen. Ich hab‘s gern ein bisschen kreativer. Er sollte natürlich auch meine Freunde mögen und nicht darauf bestehen, dass ich sein Privateigentum bin. Zu eingeengt darf eine Beziehung auch nicht sein. Wenn er stur oder ein wenig zickig ist, stört mich das nicht, mit sowas kann ich umgehen, zum Beispiel bin ich selbst ein heilloser Dickschädel. Und er sollte Temperament besitzen. Ist dir das anspruchsvoll genug?"

Wie sollte er ahnen, dass Chazz die Kriterien gerade auf seine eigene Person bezog und seine Tauglichkeit überprüfte?

>>Attraktiv....na, er hält mich für schön, das wäre also kein Problem. Auf dem Kasten habe ich auch was. Nur das mit den menschlichen Werten ist etwas kompliziert....wer meine Familie kennt, weiß, wieso. Als Duellant bin ich top, keine Frage. Spaß verstehe ich bis zu einem gewissen Grad, aber leider bin ich nachtragend. Humorvoll kann man mich nicht nennen, fürchte ich. Wie auch, bei meiner Erziehung? Bin ich romantisch? Doch, eigentlich schon. Ich würde mich für meinen Liebsten sicher anstrengen! Aber seine Freunde mögen....oh je, da sieht‘s schlecht aus. Den Schrumpfkaktus und den Fresssack? Hm. Persönliche Freiheit ist klar, die schätze ich ebenfalls. Mit Temperament kann ich auch dienen. Das Ergebnis ist etwas durchwachsen....AUGENBLICK MAL, WAS TUE ICH DA EIGENTLICH?!?!<<

„Wir sind da."

Durch die Türen des Audimax drang Professor Crowlers penetrante Stimme. Er hielt gerade eine Vorlesung ab, denn es war Unterricht, weshalb niemand sich im Korridor aufhielt und folglich auch nicht mit ansah, wie der Schrank mit den Trophäen sich zur Seite bewegte, nachdem der Direktor einen verborgenen Schalter hinter dem Möbel betätigt hatte. Eine Tür kam zum Vorschein und leitete in einen Flur über. Sie schritten hindurch und der Schrank kehrte an seinen Ausgangspunkt zurück, als wäre nichts geschehen. Sie gelangten in einen kleinen Raum, der ganz von dem imposanten, rechteckigen Tisch beherrscht wurde. Darum herum standen sieben Stühle, drei links, drei rechts, der letzte erhob sich an der Stirnseite. Es waren Regale in die Wände eingelassen, die mit unzähligen Büchern vollgestopft waren. Eines dieser Regale war allerdings eine Tür, wie sich herausstellte, als Mr. Sheppard ein bestimmtes Buch herauszog. „Hier gelangt ihr zu euren Zimmern. Einzelzimmer, um genau zu sein." Die Aufteilung der Räume war genauso wie die der Stühle, das siebte Zimmer befand sich am Ende des Ganges. An jeder Tür war ein Schakalskopf aufgemalt, der in seinem Maul ein Schildchen mit einer Zahl trug. „Ich habe eure Uniformen in Jadens Raum verstaut. Ich hoffe, das stört dich nicht." Der Sechzehnjährige schüttelte den Kopf, wie die anderen noch viel zu überwältigt von den Eindrücken, die er in den letzten Minuten gewonnen hatte. Das Zimmer selbst war geschmackvoll eingerichtet, mit einem ägyptischen Touch wie etwa goldenen Applikationen. Auf dem gemütlichen Bett lagen sieben Uniformen, die dem normalen Schülermodell der Obelisk Blue glichen - nur dass sie eben schwarz-gold gefärbt waren und nicht blau-weiß. Die Ärmel waren oben auch nicht so aufgebauscht wie bei diesen, sondern lagen flach an wie bei der Version, die beispielsweise Zane trug. Dazu gehörten noch schwarze Hosen und kniehohe schwarze Stiefel.
 

„Was denn, keine Mädchenausführung?"

„Möchtest du wirklich in einem kurzen Rock gegen Dämonen kämpfen, Lex?" erkundigte sich Jaden und die Blonde verwehrte sich entschieden dagegen, als er sie auf dieses Handicap aufmerksam machte, das ihr noch gar nicht bewusst geworden war.

>>Natürlich, warum habe ich nicht selbst daran gedacht? In meiner normalen Schulkleidung wäre ich nicht dafür ausgerüstet, mich in eine Schlacht zu werfen! Aber was ist nun so besonders an diesen Uniformen? Huh? He, die sind schwerer als normal....<<

Sie hatte prüfend eines der Gewänder hochgehoben und befühlte den Stoff. Weich und anschmiegsam, aber dieses Gewicht...."In die Uniformen sind Panzerhemden eingenäht. Sie sollen euch schützen, wenn es hart auf hart kommt."

„Und wie hart genau könnte es werden?" meldete sich ein verzagtes Stimmchen, das Syrus gehörte. „Ich sehe, dass Chazz verwundet ist, sonst würde er keinen Verband tragen. Es wird doch....es wird doch kein Blut fließen?"

Der Kanzler schwieg lange. „Doch. Ich fürchte, es wird Blut fließen."

„Aber....aber...."

„Ihr seid die Kämpfer in einem Krieg, der vor viertausend Jahren mit vielen Opfern entschieden wurde. Onuris hat Rache geschworen, ehe er starb. Er sprach einen Zauberfluch aus, um sich seine Wiedergeburt zu sichern und sich die Herrschaft anzueignen, die ihm seiner Meinung nach zusteht. Ohne die Macht der Heiligen Ungeheuer kann ihm das nicht gelingen und deshalb ist es die Aufgabe seiner Schattenreiter, die Schlüssel der Tore in ihren Besitz zu bringen. Die Gesetze der Götter schreiben jedoch vor, dass die Schlüssel in einem Kampf errungen werden müssen - und es muss einen endgültigen Sieger geben."

„Was heißt das, einen ‚endgültigen‘ Sieger?"

„Das heißt, einer der beiden Kontrahenten muss sterben. Es handelt sich um Duelle auf Leben und Tod!"

Die Gesichter der Jugendlichen wurden bleich und ein namenloses Entsetzen hüllte sie ein. Sie begriffen allmählich, dass sie Teil einer schicksalsschweren Mission waren, die ihre bisherigen ruhigen Existenzen über den Haufen warf und sie mit einer Verantwortung belastete, vor der sie allenfalls hätten fliehen können, ohne ihr jedoch wirklich zu entkommen. Syrus erkannte ganz klar, dass sein Bruder zwar der gesamten Angelegenheit den Rücken zuwenden konnte, aber er würde ihr nicht entgehen, weil sein Dasein als Krieger des Anubis seine Bestimmung war.

„Warum haben Sie uns das nicht früher gesagt?" fragte Alexis zutiefst erschrocken. „Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir doch niemals....!"

„Nein?" unterbrach sie Mr. Sheppard. „Du hast den Dämon selbst gesehen. Seine Aufgabe war es, euch zu töten, deshalb hat er sich nicht um die anderen Schüler gekümmert. Aber was ist, wenn ein Dämon auftaucht, der beauftragt ist, die Schule zu zerstören, um an den unterirdischen Tempelkomplex zu gelangen, in dem die drei magischen Karten ruhen? Wie viele Unschuldige könnten dabei ihr Leben verlieren, was meinst du? Wie viele könnten sterben, wenn ihr die Kreatur nicht vernichtet? Wie viele von deinen Freunden und Kameraden? Nein, ich glaube nicht, dass du den Schlüssel abgelehnt hättest, nicht wahr?"

Ihre Hände waren zu Fäusten geballt und zitterten. Sie erinnerte sich an den ernsten Ausdruck in den Zügen von Nefretaria, ihrem Alter Ego. Diese Frau, die sie einstmals gewesen war, hatte ihr Leben in den Dienst der Gerechtigkeit gestellt und gekämpft, um ihre Heimat und die Menschen, die ihr etwas bedeuteten, vor dem Bösen zu verteidigen. Nein. Selbst wenn sie es von Anfang an gewusst hätte....sie hätte den Schlüssel nicht abgelehnt.

„Das wäre nun vorläufig alles. Hier sind noch eure Zimmerschlüssel. In eurem kleinen Gemeinschaftsraum könnt ihr euch beratschlagen und Strategien ausarbeiten, wenn es erforderlich sein sollte. Außerdem könnt ihr euch jederzeit an mich wenden. Ich muss jetzt gehen und mein Proseminar abhalten. Ihr könnt heute ausnahmsweise schwänzen, ab morgen werdet ihr jedoch wie gehabt am Unterricht teilnehmen." Damit verschwand er und die Gruppe stand ein wenig unentschlossen herum, bis Jaden die Initiative ergriff.

„Ich schlage vor, dass wir unsere Sachen - Klamotten, Schulzeug, Waschbeutel etc. - in unsere Koffer packen und umziehen! Jeder richtet sich in seinem neuen Zimmer ein und wechselt die Uniform. Danach setzen wir uns zusammen und....versuchen, unsere Gedanken zu ordnen."
 

Niemand erhob Einwände gegen diese Entscheidung, nicht einmal Chazz, und so waren die Fünf einige Minuten später mit dem Packen beschäftigt. Der gelbe Ojama war sichtlich enttäuscht, dass sein Herrchen die „gastliche Stätte" verließ, um woanders zu wohnen.

„Ach komm schon, Boss, hier zieht es nachts so herrlich durch die Ritzen und meine Kakerlakenfreunde sind auch hier! Ich will nicht weg!!"

„Dann bleib doch da! Meinst du, ich würde dich vermissen?! Ich schenke dir die Bruchbude, wenn sie dir so gefällt, so bin ich dich wenigstens endlich los! Wenn mein neues Zimmer nur annähernd so klasse aussieht wie das von Jaden, ziehe ich mit Freuden um!"

„Aber Boss, wie könnte ich dich allein lassen! Du denkst doch nicht im Ernst, dass ich dich irgendwo einsam und unglücklich herumsitzen lasse und das ohne meine anregende Gesellschaft? Das würde ich dir nie antun!" erklärte der kleine Kobold gewichtig und schwebte zur Bekräftigung seines Treueschwures einmal tanzend um den Kopf seines Besitzers herum.

„Hast du eine Ahnung, wie sehr ich mir wünsche, dass du mir das antust!!"

Er klappte seinen Koffer zu und kehrte zu dem Schrank in der Nähe der großen Vorlesungshalle zurück. Der Brünette war schon dort und hatte den Mechanismus betätigt, sodass sie gemeinsam in den Geheimgang traten. Sie liefen schweigend nebeneinander her und der Dunkelblauhaarige ertappte sich dabei, wie er seinen Begleiter aus den Augenwinkeln musterte.

>>Er hat ein schönes Profil....das ist mir noch nie aufgefallen, weil er sonst immer so albern grinst. Er wirkt so ernst, das bin ich gar nicht gewohnt....aber das bringt seine Attraktivität besser zur Geltung....<<

Er runzelte die Stirn. Verdammt, ging dieses Theater schon wieder los?! Es war schlimm genug, dass diese Niete seinen Hormonhaushalt durcheinander brachte, doch dass er sich aufzuführen begann, als würde er sich irgendwie im romantischen Sinne zu ihm hingezogen fühlen, verstärkte seinen Unmut. Es lag nicht unbedingt daran, dass er diese Gefühle abstoßend fand. Gewiss, er wollte sie nicht, verweigerte sie, aber dass diese Emotionen als solche überhaupt vorhanden waren, widerte ihn nicht an, wie man es bei einer gleichgeschlechtlichen Neigung hätte erwarten dürfen. Er konnte nicht genau erfassen, woran das lag und das verwirrte ihn zusätzlich. Dass er Jaden hasste, wäre eine glatte Lüge....und dass er ihn lediglich nicht leiden konnte, schützte er vor, um sich mit dem Chaos in seinem Inneren nicht näher beschäftigen zu müssen. Sie trennten sich bei ihren Zimmern und Princeton fing an, seinen Habseligkeiten in dem hübschen Raum ihren Platz zu geben. Nachdenklich berührte er die beiden Spieße, die um seine Hüfte gegürtet waren. Wo sollte er sie verstauen? Er musste sie griffbereit haben, das stand fest.
 

~~ Wenn du eines Tages vor die Wahl gestellt wirst, zu schweigen oder zu sprechen, dann bitte, sprich! Denn wenn du schweigst, könntest du es bereuen....für den Rest deines Lebens....~~

So lauteten Shezars Worte, doch was meinte er damit? Worauf bezog er sich? Das war zum Auswachsen! Dabei hatte dieses Schuljahr so gut angefangen....! Nein, nicht so gut, wie es wünschenswert gewesen wäre, denn die Slifer-Niete war an die Akademie gekommen und hatte sein Leben umgekrempelt mit seinem wunderschönen Lächeln, seiner kameradschaftlichen Art und seiner Unterstützung....er unterbrach seinen Gedankengang und setzte sich verärgert auf das Bett. Es hatte ihn ziemlich schockiert, als Jaden Doktor Crowler besiegt hatte. Er wurde neidisch und redete sich immer wieder ein, dass es nichts weiter als Anfängerglück war....aber zwischenzeitlich hatte der Kerl bewiesen, dass Glück vielleicht nicht alles war, das ihm dabei half, seine Duelle zu gewinnen. Seinem Charakter war ein Strahlen eigen, das niemand besass, den er sonst kannte. Selbst Niederlagen betrachtete Jaden als eine Lektion, und er konnte sich sogar für seinen eigenen Untergang begeistern, sofern er einem hervorragenden Duellanten gegenüberstand und Spaß hatte. Er war sein Rivale....und möglicherweise tatsächlich sein Freund. Chazz sank in die Kissen und starrte die Decke an. Konnte er behaupten, je echte Freunde gehabt zu haben? Nein, höchstens Mitläufer, die ihn umschmeichelten und um ihn herumkrochen, weil er reich, attraktiv und ein ausgezeichneter Duellant war, aber sie hatten ihn fallengelassen, nachdem er ein Slifer geworden war. Nichts weiter als Speichellecker, die sich für ihn, für den Menschen, der er war, nie interessiert hatten. Ganz anders als der Braunhaarige. Dieser hatte sich nicht gegen seine Brüder gestellt, um den ehemaligen Star der Akademie zu verteidigen oder sich dadurch Vorteile zu verschaffen, sondern weil er ihm wirklich helfen wollte - und weil er ihn als Person akzeptierte, für die zu kämpfen es ihm wert war. Wem war er je etwas wert gewesen, bis zu diesem Tag?
 

Es klopfte. Missmutig bellte er ein „Herein!" und Jaden trat ein, in die neue Uniform gewandet. Princeton maß ihn von Kopf bis Fuß und sein Urteil war sehr positiv. Die kniehohen schwarzen Stiefel glänzten im Licht der Deckenlampe und leiteten perfekt zu der schwarzen Hose über, die erstaunlich eng sass und die Beine wurden wunderbar betont. Der Mantel mit den goldfarbenen Applikationen, die an der üblichen Obelisk-Version weiß waren, verliehen ihm eine ungewohnt reife Ausstrahlung. Sexy. Er war einfach nur sexy.

„Na, wie findest du mich? Die Uniform steht mir doch super, oder? Es ist zwar ungewohnt, weil der obere Teil wegen dem eingenähten Panzerhemd schwerer ist, aber man kann es aushalten. Und dass sie wie die Obelisk-Uniform geschnitten ist, also wie ein Mantel mit diesem schicken Schlag, ist absolut cool! Die Stiefel sind übrigens auch klasse, mega-bequem! He, was ist denn? Du sagst ja gar nichts!"

„Eh....nicht übel. Du siehst....nett aus."

„Ehrlich? Aus deinem Mund ist das ein richtiges Kompliment!" meinte Yuki und bedankte sich erneut mit einem überwältigenden Lächeln, das die blassen Wangen des anderen mit einem Hauch Rosa überzog. „Willst du deine Uniform nicht auch anprobieren?"

„Du erwartest doch hoffentlich nicht von mir, dass ich mich vor deinen Augen entkleide?"

„Wieso nicht? Wir sind beide Jungs."

„Hast du etwa vergessen, dass du mir heute gesagt hast, dass du schwul bist?"

„Und? Du hast doch nicht etwa Angst, dass ich über dich herfalle? Obwohl ich natürlich nicht bestreite, dass ich auf diese Idee kommen könnte, wenn du nur in Shorts vor mir stehst." erwiderte der Brünette in einem irritierend vieldeutigen Ton. „Oder soll ich dir beim Ausziehen behilflich sein?"

Nun schoss Chazz eine nicht mehr zu leugnende Röte ins Gesicht. Er packte Jaden am Kragen und beförderte ihn zur Tür hinaus. „Danke, ich verzichte!!!" Da er diese Tür sofort danach wieder zuknallte, sah er nicht, wie der frischgebackene Anubis Black vor sich hin schmunzelnd in sein Zimmer zurückkehrte. Der Dunkelblauhaarige streckte sich wie vorhin auf seinem Bett aus und verschränkte die Arme im Nacken. Er stieß einen tiefen Seufzer aus und murmelte: „Offenbar ist der Typ doch nicht so naiv, wie ich dachte...."
 


 

Ja, ich wollte Jaden mal nicht ganz so furchtbar naiv darstellen, immerhin ist er bei mir sechzehn Jahre alt - und ich mag es, wenn Jaden unseren Chazzi ein bisschen aus der Fassung bringt!^^ Bis zum nächsten Kapitel!

Unter dem Regenschirm

Sodala, es geht weiter!^^ Ab nächsten Samstag bin ich für zwei Wochen in Urlaub, da ist dann eben Sense, nichts zu machen!

Vielen Dank für Eure Kommis! *sich verneig* Bis zum nächsten Kappi!
 

Kapitel 5: Unter dem Regenschirm
 

Die erste Nacht als Anubis-Black-Mitglied war vergangen. Es fiel sämtlichen Schülern auf, als Jaden, Chazz und die anderen den Vorlesungsraum betraten, denn ihre schwarz-goldenen Uniformen waren ein perfekter Blickfang. Syrus, der daran gewöhnt war, von den Obelisk-Blue-Studenten äußerst abfällig gemustert zu werden, merkte deutlich, wie sie ihn verwundert anstarrten und das hob sein Selbstbewusstsein ungemein. Auch seinem Bruder blieb das neue Outfit natürlich nicht verborgen und dieser sprach ihn darauf an, als er an seinem Platz vorbeikam.

„Was ist das, Ototo?"

„Das ist meine neue Uniform als Krieger des Anubis. Ich bin aufgestiegen - in den vierten Rang, Anubis Black."

„Hängt das etwa mit dieser Geschichte zusammen, die Direktor Sheppard uns erzählt hat? Hast du immer noch nicht genug von diesem Unsinn?"

„Wenn du es genau wissen willst: Nein! Nach dem, was ich erlebt habe, bin ich vielmehr vollends überzeugt. Außerdem müssten dir die Gerüchte über das Monster zu Ohren gekommen sein, das im Lesesaal aufgetaucht ist. Was immer du davon halten magst, es ist wahr - Chazz wurde sogar verwundet. Du kannst dich weiterhin weigern, die Sache ernst zu nehmen, aber du wirst ihr nicht entkommen." fügte er in Erinnerung an die Worte seines Alter Egos Sokat hinzu. Zane rümpfte die Nase, sagte aber nichts. Die Uniformen waren zweifellos echt und er nahm nicht an, dass der Kanzler sie aus Willkür hatte anfertigen lassen, weil sie im System der Akademie zu viel Bedeutung hatten. Aber das würde heißen, dass die Geschichte über die Sieben Krieger der Wahrheit entsprach und das konnte er sich einfach nicht vorstellen. Er wollte sein Brüderchen noch ein paar Dinge fragen, als Professor Crowler zur Tür herein wirbelte. Er postierte sich wichtigtuerisch am Lehrerpult und erklärte geziert: „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Doktor Banner nach wie vor krank geschrieben ist. Daher werde ich seine Stunden übernehmen. Allerdings empfinde ich die Kartenalchemie als Witz der Wissenschaft und aus diesem Grund werde ich die für mich neu angefallenen Stunden für meine Vorlesungsreihe über Duellstrategien nutzen!"
 

Er hievte einen Stapel Blätter aus seiner Aktentasche und begann mit seinem Vortrag. Selbst Bastion, der normalerweise ein mustergültiger Schüler war, hegte bei Crowler den verzweifelten Wunsch, in einem ganz anderen Fach zu sitzen und fing an, mathematische Formeln auf seinen Block zu kritzeln. Syrus unterdrückte ein Gähnen und holte aus seinem Rucksack einen spannenden Krimi hervor. Chazz vertiefte seine Aufmerksamkeit ebenfalls in eine interessantere Lektüre, während Jaden dabei war, ins Reich der Träume abzugleiten. Alexis schließlich, sortierte alte Fotos auf ihrem Tisch, Bilder aus einer Zeit, da ihr Bruder noch bei ihr gewesen war. Atticus war vor Monaten verschollen, aber da die Polizei nie Anhaltspunkte im Fall der verschwundenen Studenten ausfindig machen konnte, hatte man die Angelegenheit irgendwann zu den Akten gelegt und kümmerte sich nicht mehr darum. Auf eigene Faust zu ermitteln, war ihr nicht gut bekommen, aber nichtsdestotrotz hoffte sie noch immer, sie würde eines Tages eine Spur von ihm entdecken....Betrübt sah sie zum Fenster hinaus. Heute war kein schöner Tag, es regnete in Strömen, ein wilder Wind pfiff um die Bäume und....und schwarzgekleidete Gestalten lungerten vor Fensterscheiben herum?! Das Mädchen sprang auf die Füße und starrte zu der Stelle hinüber, als wolle sie ein Loch in das Glas brennen. Kein Zweifel - das stand ein Mann in einem schwarzen Kostüm und mit einer Maske vor dem Gesicht, damit man ihn nicht erkennen konnte! Wer war das? Konnte er ein Schattenreiter sein!? Plötzlich verschwand die Gestalt in den grauen Wasserkaskaden, die vom Himmel herabflossen und in diesem Moment wurde sie von Professor Crowler aufgerufen.

„Miss Rhodes, setzen Sie sich wieder hin und hören Sie auf, zum Fenster zu schauen, als hätten Sie ein Gespenst gesehen! Ich habe Sie etwas gefragt!"

„En....entschuldigen Sie bitte, Professor. Ich habe nicht aufgepasst", gab sie kleinlaut zu und da sie sonst eine aufmerksame Studentin war, zog der Dozent eine Augenbraue nach oben, um seiner Verblüffung Ausdruck zu verleihen. Bastion, der hinter ihr sass, flüsterte ihr schnell die Frage zu, die man ihr gestellt hatte und sie beantwortete sie. Er hatte seine Rechnungen unterbrochen und ließ seine Gedanken zum gestrigen Abend zurückschweifen. Sie hatten sich in ihrem Gemeinschaftsraum zusammengefunden, an der rechteckigen Tafel Platz genommen und hatten einen Teil ihrer Ängste, Vermutungen und Unklarheiten ausgetauscht.
 

~~ RÜCKBLENDE ~~
 

Jaden kam sich an der Stirnseite des Tisches ein wenig seltsam vor, denn diese Position hatte etwas von Anführerschaft und Verantwortung, um die er nicht gebeten hatte. Rechts von ihm sass Syrus auf dem Stuhl, der mit der Zahl 2 bezeichnet war, die Sitze 1 und 3 waren leer. Links blickten ihm Chazz, Bastion und Alexis entgegen, sechs, fünf und vier.

„Nun, also...." begann er unsicher, „....was haltet ihr von der ganzen Sache? Man hat innerhalb von ein paar Tagen unser Leben vollkommen umgekrempelt. Plötzlich sind wir hochrangige Schüler, müssen gegen Dämonen und irgendwelche Schattenreiter kämpfen, um die Schlüssel zu beschützen, die wir um den Hals tragen und haben erfahren, dass wir Wiedergeburten von sieben Kriegern sind, die vor viertausend Jahren gelebt haben. Kail, mein Alter Ego, hat gesagt, dass wir uns nach und nach an unser früheres Leben erinnern werden. Ist das einem von euch schon passiert?"

Princeton meldete sich nach einigem Zögern. „Ich wollte damit nichts zu tun haben....ich habe Sheppards Worte auch nicht ernst genommen....und das hat mir diese Verletzung eingebracht. Ich hatte bereits einen Traum....und einmal eine Vision, kurz bevor das Monster uns im Lesesaal angriff. Aber die Geschehnisse sind völlig zusammenhangslos, ich verstehe nicht, worum es darin ging. Vielleicht erklärt es sich, wenn ich erst mehr von meinen Erinnerungen zurückbekommen habe....das soll doch schließlich eintreffen."

„Ich wünschte, ich könnte Zane überzeugen. Er ist Teil dieser Geschichte, er kann nicht ewig davor davonlaufen. Mein Bruder ist ein nüchterner Mensch und nur schwer zu beeindrucken. Ich weiß nicht, ob er sich uns je anschließen wird, aber ich möchte es. Er könnte uns sicher helfen, uns unterstützen! Außerdem müssen wir doch zu siebt sein, oder?"

„Du meinst, wegen unseres Titels? Die ‚Sieben Krieger des Anubis‘? Schön und gut, aber da sind immer noch einige Dinge, die ich nicht ganz verstehe. Woher hat Mr. Sheppard zum Beispiel sein Wissen? Wie hängt er da mit drin? Wer hat ihm die Schlüssel gegeben? Ich werde das Gefühl nicht los, dass noch vielmehr dahintersteckt...." meinte der einstige Ra Yellow und verschränkte die Arme. „Momentan scheint alles auf den traditionellen Kampf Gut gegen Böse hinauszulaufen, aber irgendetwas ist da, das mich beunruhigt. Ich kann es nicht einordnen.... nennt es Intuition, wenn ihr wollt."

„Mir geht es ähnlich. Ich frage mich die ganze Zeit, ob Atticus‘ Verschwinden....damit zusammenhängt, dass er die Reinkarnation eines Anubiskriegers ist. Unsere Feinde wissen, wer wir sind. Was ist, wenn es Onuris und seine Schergen waren, die ihn entführt haben? Er ist einer ihrer Gegner! Würden sie ihn nicht töten, wenn sie ihn in ihrer Gewalt haben?!"
 

Sie biss sich auf die Lippen, um die Tränen zurückzudrängen, die sich in ihr Bahn brechen wollten. Jaden sah sie an und schüttelte entschieden den Kopf. Er hasste es, wenn seine Freunde traurig waren und bemühte sich daher stets, irgendein aufbauendes Wort für solche Fälle parat zu haben. „Ich glaube nicht, dass er tot ist. Wenn der Kreis der Sieben nicht mehr zu vervollständigen wäre, hätte der Direktor das bestimmt gewusst. Nein, Atticus ist sicher am Leben. Außerdem wäre es unsinnig, ihm etwas anzutun, denn er ist der einzige, der die Versiegelung des ersten Schlüssels rückgängig machen kann. Anders kämen sie nie in seinen Besitz. Tja....und was jetzt? Um ehrlich zu sein, mir schwirrt der Kopf von all den Veränderungen und Geheimnissen. Ich bin müde und total fix und fertig. Wir sollten ins Bett gehen, ab morgen müssen wir wieder den Unterricht besuchen."
 

~~ ENDE DER RÜCKBLENDE ~~
 

Bastion war überrascht gewesen von der ungewohnten Ernsthaftigkeit, die der Brünette an den Tag gelegt hatte. Er war wohl der einzige, der mehr hinter der fortwährend fröhlichen Fassade des Sechzehnjährigen vermutete, als dieser zeigte. Gewiss, Jaden war ein unheilbarer Optimist, für jeden Spaß zu haben, hatte ein ehrliches Herz und war bereit, jedem eine zweite Chance zuzubilligen, doch war das alles? Was wussten sie letztendlich von ihm? Kail war damals der Anführer der Sieben Krieger gewesen und der hochintelligente Duellant war der Ansicht, das Potential eines echten Anführers auch in seinem heiteren Freund entdeckt zu haben, ungeachtet seiner lockeren Art und seiner unerschöpflich strahlenden Laune. Er war mutig und entschlossen, und konnte konzentriert und ernst sein, wenn es erforderlich war. Diese Eigenschaft war relativ neu an ihm, aber sie schien ein seit langem bestehender Teil seiner Persönlichkeit zu sein. Gehirnakrobatik war nicht gerade seine Stärke, das stimmte. Sein Verstand ließ sich täuschen, aber sein Herz niemals. Er dachte mit seinem Herzen, anders konnte man es nicht beschreiben. Ob das der Grund war, weshalb Jaden vor versammeltem Publikum für Chazz eingestanden war und ihn verteidigt hatte? Weil er seinen wahren Wert erkannt hatte, während jeder sonst nur seine Arroganz, seine Verbohrtheit und seinen Hochmut zu sehen vermochte? Er konnte in die Seele eines Menschen blicken, das schmückende Beiwerk außen herum interessierte ihn nicht. Wer sich mit Jaden anfreundete, konnte sich darauf verlassen, als derjenige akzeptiert zu werden, der er war, ganz gleich, welchen Status, welchen familiären Hintergrund oder welche Herkunft man hatte. Bei ihm würde man immer mit offenen Armen empfangen werden. Sein Blick glitt zu dem bewussten Jüngling hinüber, der soeben den Schlaf des Gerechten schlief und Doktor Crowlers Nerven damit blank scheuerte. Der Dozent rüttelte seinen ungehorsamen Schüler und Yuki blinzelte ihn verwirrt an.

„Hä? Oh, Sie sind es. Hat Ihnen eigentlich schon mal jemand gesagt, dass rosa Rüschen Ihnen überhaupt nicht stehen?"

Syrus hielt sich beide Hände vor den Mund, um nicht laut heraus zu lachen. Jay war immer noch nicht richtig wach, offenbar wähnte er sich nach wie vor in einem Traum - aber diese Bemerkung war einfach klasse, gar nicht erst zu reden davon, dass Crowler die Zornesröte ins Gesicht stieg und er empört nach Luft schnappte. Einige Studenten begannen zu kichern.

„WAS FÄLLT IHNEN EIN?!?! VOR DIE TÜR!!!!"
 

Da stand er nun. In den leeren Flur geschickt, wie schon so oft in seiner schulischen Laufbahn. Er stieß einen Seufzer aus und hockte sich auf den Boden. Sich hier die Beine in den Bauch zu stehen, bis die Vorlesung zu Ende war, dazu hatte er wirklich keine Lust. Warum zum Teufel war Professor Banner krank und lieferte sie dieser peinlichen Tunte aus?! Aber na ja, er konnte ja nichts dafür....Er hatte wohlweislich seinen Rucksack mitgenommen, als der erboste Pädagoge ihn vor die Tür schickte und holte seinen Zeichenblock heraus. Niemand (außer einem) wusste, dass Jaden zeichnen konnte, aber er betrieb dieses Hobby seit seinem sechsten Lebensjahr. Er klappte das Umschlagblatt um und betrachtete zufrieden sein aktuellstes Werk: Es zeigte Chazz in seiner neuen Uniform, vor dem Hintergrund eines Sonnenuntergangs. Es war ein sehr sanftes Bild mit Pastellfarben, das man einem burschikosen Jungen wie ihm kaum zutrauen würde und er hatte beileibe nicht vor, irgend jemanden in sein kleines künstlerisches Geheimnis einzuweihen. Er hatte das Bild gestern Abend begonnen und war erst sehr spät zu Bett gegangen. Es war fast fertig, nur die Augen waren noch nicht ausgemalt. Es fiel ihm schwer, den richtigen Farbton für Chazz‘ Augen zu finden. Im Licht schimmerten sie bisweilen hellgrau, beinahe silbern, dann wieder waren sie dunkler, etwa so wie der Regen, der draußen gegen die Scheiben klopfte und schließlich gab es Momente, in denen sie fast schwarz wirkten.

>>Er hat wirklich unbeschreiblich schöne Augen....den Glanz seiner Haare einzufangen, ist auch ziemlich schwer und im Großen und Ganzen bin ich mit der Coloration nicht recht glücklich....Es müsste ein tieferes Dunkelblau sein, mehr Mitternachtsblau, das diesen Stich ins Schwarze besitzt....die perlfarbene Haut ist mir jedoch prima gelungen. Jede Wette, dass er mich in der Luft zerreißen würde, wenn er wüsste, was für ein Hobby ich habe! Aber in letzter Zeit bringe ich ihn ein bisschen durcheinander, scheint mir....ob ihn mein Geständnis, dass ich schwul bin, so aus der Bahn geworfen hat? Jedenfalls sieht er unheimlich süß aus, wenn er rot wird....<<

Er fügte ein paar Schatteneffekte hinzu und hielt plötzlich inne. Ja, Chazz war süß, auch wenn er ihn für diese Betitelung zweifellos gevierteilt hätte. Er spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte und ließ seinen Stift beschämt sinken. Sein ehemaliger Rivale gefiel ihm ernsthaft, er konnte es nicht länger leugnen. War er bzw. Shezar vielleicht der Mann, von dem Kail gesprochen hatte? Aber wovor sollte er ihn retten? Oder ließ er sich lediglich irreführen, weil er automatisch annahm, sein Alter Ego hätte dieselben romantischen Interessen gehegt wie er? Er blickte in den Regen hinaus und stutzte. Bildete er sich das sein, oder beobachtete ihn ein maskierter Fremder durch das Fenster? In einer instinktiven Bewegung zuckten seine Hände nach oben, bis ihm einfiel, dass er die zwei Langschwerter ja gar nicht auf seinen Rücken geschnallt hatte, weil er kaum bewaffnet beim Unterricht auftauchen konnte, ohne sich eine Rüge einzufangen. Die Gestalt verschwand ebenso rasch, wie sie gekommen war, aber dennoch konnte der Braunhaarige ein ungutes Gefühl nicht abschütteln. Es war so ähnlich wie das bei dem Dämon, und doch irgendwie stärker, unheimlicher....etwa ein Schattenreiter!?
 

>>Sicher wird bald das erste Duell um einen Schlüssel stattfinden....und wenn der Typ tatsächlich ein Schattenreiter ist, wen wird er dann als seinen Gegner auswählen? Ein Kampf auf Leben und Tod....Ich wollte so gerne auf die DA, und jetzt ist alles komplizierter geworden....Hoffentlich können wir unsere Feinde besiegen.<<

Da klappte hinter ihm die Tür auf und sein bester Freund schlich heraus, mit hängenden Schultern. „Sy! Was ist passiert?"

„Doktor Crowler hat mich beim Lesen meines Krimis erwischt" erklärte der Kleinere missmutig und zog einen Schmollmund. „Dabei war ich gerade an so einer spannenden Stelle und genau da musste er mich ankeifen! Mist! Er hat mich angeschaut, als stünde er kurz vor einem Herzinfarkt....weißt du was? Ich glaube, er benutzt Lidschatten!"

„Leute wie er sorgen dafür, dass meinereiner für geisteskrank gehalten wird!"

„Du meinst, weil du homosexuell bist? Erzähl mir nicht, du wirst mit Tunten wie Crowler in einen Topf geworfen!" entrüstete sich Syrus, der natürlich als Jadens engster Vertrauter über ihn im Bilde war. Er war auch der eine, der über sein künstlerisches Talent Bescheid wusste.

„Leider doch, Kumpel. So ist die Gesellschaft nun mal, behaftet mit Vorurteilen. Aber lassen wir das, wenn wir das Thema anschneiden, rege ich mich nur wieder unnötig auf! Hat Zane deine neue Uniform gesehen?"

„Ja, und er hat mich danach gefragt. Leider ist er nicht überzeugter als vorhin, na ja, vielleicht ein bisschen, aber das nützt uns nichts. Ich bin dafür, ihm einen blutrünstigen Dämon vor die Nase zu setzen, damit er endlich Vernunft annimmt!"

„Du hast ja fromme Wünsche....so rabiat kenne ich dich gar nicht!"

„Ich bin schrecklich ungemütlich, wenn ich sauer bin!"

„Ach, und im Augenblick bist du sauer auf Zane?"

„Nicht direkt, aber verärgert. Ich hasse es, wenn er auf stur schaltet....ich meine, schließlich geht es um das Schicksal der Welt!"

„Er wird es sich noch anders überlegen, da bin ich sicher...."
 

Der Alltag bestimmte den Ablauf, ungeachtet der wilden Gerüchte über Ungeheuer und schwarze Uniformen. Nachdem er seine zweistündige Vorlesung über die technischen Raffinessen eines Hologrammprojektors hinter sich gebracht hatte, verspürte Zane das dringende Bedürfnis, sich ein wenig Ruhe zu gönnen. Sein Block war mit lauter schwierigen und hochtrabenden Fachbegriffen zugekleistert und er trug sich ernsthaft mit dem Gedanken, diese Vorlesung künftig nicht mehr zu besuchen. Und da es Gott sei Dank keine Pflichtveranstaltung war....Er erreichte sein großzügiges Einzelzimmer, zog sich die Schuhe aus und schlüpfte aus seinem Uniformoberteil, unter dem er ein enges Tank Top anhatte. Er legte sich auf das gemütliche Bett und streckte und reckte seine angespannten Muskeln. Er hatte nun drei Freistunden, bevor er in sein Taktikseminar musste, da konnte er es sich leisten, ein kurzes Nickerchen zu machen. Er rollte sich auf die Seite und schloss die Augen. Es dauerte gar nicht lange und da war er eingeschlafen....
 

~~ TRAUMSEQUENZ ~~
 

„Anares?" rief ihn eine unbekannte Stimme, die ihm seltsamerweise zugleich vertraut war. Er blinzelte, setzte sich auf und sah sich erstaunt um. Was war das für ein Raum? Und....waren diese Monumente dort drüben Pyramiden oder halluzinierte er? Nein, er träumte, das war es. Aber warum von Ägypten? Irgendwie hatte er Kopfschmerzen....

„Bewege dich nicht, du bist noch erschöpft von dem Kampf gegen den Werwolf. So ein Leichtsinn, sich ohne Hilfe in ein Gefecht gegen Camilla zu stürzen! Halt still, die Verletzung an deiner Schläfe blutet noch." Mit einem kühlen Tuch wurde die schmerzende Stelle behutsam betupft und er registrierte erstmals seinen Gegenüber, brachte aber keinen Ton über die Lippen. Goldenes Sonnenlicht rahmte die großgewachsene, schlanke Gestalt des jungen Mannes ein, der sich um ihn kümmerte. Seine gesunde gebräunte Haut schimmerte wie Bronze und das schulterlange Haar in der Farbe von dunklem Holz sowie die warmen, unergründlichen Augen vervollkommneten seine makellose Erscheinung. Sein Oberkörper war entblößt, um die Hüften war ein schwarzer Gehrock geschlungen, Arme und Beine waren prächtig mit Gold geschmückt. Um seinen Hals hing ein schlüsselähnliches Amulett.

>>Wunderschön....<<

Das war der einzige Gedanke, der noch in Zane regierte; und etwas derartiges geschah wirklich nicht oft. Er hielt sich selbst für anspruchsvoll, und selten beeindruckte ihn jemand binnen weniger Sekunden. Er war sich sicher, noch nie zuvor einen schöneren Mann gesehen zu haben und fühlte sich nervös, ein ihm ebenfalls eher fremder Zustand.

„Wer....wer bist du? Wo bin ich hier?"

„Der Schlag gegen deinen Kopf scheint dir sehr schlecht bekommen zu sein. Du befindest dich in deinem Gemach im Wohngebäude der Sieben Krieger auf dem Gelände des Heiligen Bezirks....und ich bin Hiron, der Wächter des Ersten Tores."

„Heiliger Bezirk? Sieben Krieger? Erstes Tor?" wiederholte er ungläubig. Verfolgte ihn diese alberne Geschichte nun sogar bis in seine Träume?! Er erhob sich schwankend und trat auf den Balkon hinaus, von wo aus man die Anlage überblicken konnte. Gegenüber des Wohngebäudes ragte eine weitere Pyramide in die Höhe, die von gigantischen Mauerringen eingefasst war, sieben an der Zahl. Ein von liegenden Schakalstatuen gesäumter Weg führte schnurstracks auf sie zu. Dieser Weg war Teil eines riesigen Innenhofes und er konnte dort unten zwei weitere Männer erkennen, die offensichtlich in ein reges Gespräch vertieft waren. Sie waren so gekleidet wie Hiron und erinnerten ihn an Jaden und Chazz. Er schüttelte energisch den Kopf und taumelte zu seiner Bettstaat zurück.

„Ein Schlag gegen den Kopf, sagst du? Wer....wer bin ich?"

„Dich hat es ja wirklich schlimm erwischt. Du bist Anares, der ältere Bruder von Sokat, der Wächter des Dritten Tores und Hüter des Schlüssels der Freiheit. Hast du das tatsächlich vergessen? Das würde bedeuten...."

Hiron starrte ihn bestürzt an und fiel ihm plötzlich in die Arme. Der Grünhaarige war verwirrt und wusste nicht genau, wie er auf diese impulsive Gefühlsregung reagieren sollte. So entschied er sich nach einer Weile, die Umarmung zu erwidern und erschauerte bei der Berührung der weichen Haut. Braune Augen brannten sich in die seinen und er war betroffen von dem Kummer, den er in ihnen las.

„Ist das möglich? Hast du dein Gedächtnis verloren? Hast du alles vergessen? Sogar mich? Oh bitte, sag, dass das nicht wahr ist, mein Geliebter!"

Geliebter!?! Er und dieser Adonis....ein Paar?!?! Er war völlig überrumpelt von dieser Feststellung und seine Nervosität nahm zu, insbesondere, als Hiron sich an ihn presste und flüsterte: „Vielleicht erinnerst du dich daran...." Damit drückte er ihm einen heißen Kuss auf die Lippen und Zane überkam ein Schwindel. Der betörende Geschmack dieses Mundes....so zärtlich und fordernd in einem....
 

~~ ENDE DER TRAUMSEQUENZ ~~
 

Der Wecker klingelte und zerstörte den berauschenden Moment. Warum hatte er sich die Uhr gestellt?! Um nicht zu verschlafen, richtig....aber in diesem Fall hätte er es vielleicht bleiben lassen sollen....Was für ein unglaublich realistischer, intensiver Traum! Auf einmal rann ihm ein unangenehmes Prickeln über den Rücken, kalt und furchteinflößend. Er hatte den Eindruck, als wäre eine Gefahr aufgetaucht, deren Aura er spüren konnte. Aura? Hatte Syrus nicht das gleiche Wort benutzt, als er von dem Dämon gesprochen hatte, dessen Ausstrahlung sich angeblich so anfühlte? Aber das war doch Irrsinn! Ungeheuer, böse Mächte, Magie, Reinkarnation, das alles gehörte in die Welt der Fantasie, nichts davon war wirklich! Und dennoch....sogar Bastion, der als verstandesbetonte Persönlichkeit der Wissenschaft huldigte, war ein „Anubis Black" geworden, wie er anhand der Uniform erkannt hatte. Er glaubte an die Dinge, die er sehen und anfassen konnte....also blieb nur eine Erklärung für seinen Entschluss, Mr. Sheppard zu trauen - er war tatsächlich einem Dämon begegnet. Er hatte dem Schrecken ins Gesicht gestarrt....und hatte danach gehandelt, unabhängig von seinen bisherigen Überzeugungen, weil er die Wahrheit erlebt hatte. Trotzdem erschien Zane das alles so paradox und unmöglich. Andererseits....er erinnerte sich der Gerüchte und fragte sich, ob mehrere Schüler gleichzeitig dieselbe Halluzination haben konnten. Vermutlich nicht. Musste er also an die Geschichte der Sieben Krieger glauben?
 

Die Nacht hüllte die Duellinsel und ihre Schule in ihren samtenen Schleier. Es hatte zu regnen aufgehört und der Mond leuchtete hell und klar am Firmament wie ein silberner Taler, umringt von zahllosen Sternen. Jaden, der nicht einschlafen konnte, weil er sich im Unterricht zu viel ausgeruht hatte, beschloss, noch einen kleinen Spaziergang zum Anlegesteg und zurück zu machen, ehe er sich ins Bett verkroch. Er mochte sein neues Zimmer sehr, auch wenn es ein wenig seltsam war, nicht mehr mit Syrus und Chumley in einem Raum zu wohnen. Er hängte seinen Uniformmantel mit einem Bügel zum Auslüften außen am Schrank auf und zog über das ärmellose Top, das er unter dem Mantel trug, eine wasserabweisende Jacke. Dann verließ er den geheimen Trakt mit den Unterkünften für den vierten Rang und eilte nach draußen. Chazz war mit Lesen beschäftigt und horchte auf, als eine Tür zufiel. Er linste hinaus und sah den Brünetten durch die Regalwand verschwinden, die sich lautlos wieder hinter ihm zuschob.

>>Wo will er hin? Er ist schon komisch....geht spät ins Bett, pennt regelmäßig im Unterricht deswegen ein und wundert sich dann, wenn er Ärger bekommt.<<

Schließlich siegte die Neugier und Princeton schlüpfte rasch in seinen Regenmantel, denn nach dem ordentlichen Guss, der den ganzen Tag lang angehalten hatte, war es ungemütlich nass und kalt. Welch ein Kontrast zu dem strahlenden Wetter der vergangenen Wochen! Vorsichtshalber nahm er einen Schirm mit, für den Fall, dass sich die Schleusen des Himmels noch einmal öffnen sollten. Er folgte Jaden bis zur Anlegestelle und beobachtete verwundert, wie der andere sich ganz ans Ende begab und auf das Wasser hinausblickte. Zögernd näherte er sich ihm, und blieb nach einer Weile unschlüssig hinter ihm stehen. Das Meer in seiner unendlichen Weite breitete sich vor ihnen aus und ein kühler Wind wehte. Er brachte einen frischen, würzigen Duft mit sich, den Duft nach Feuchtigkeit, Natur und Erde.
 

„Eine traumhafte Kulisse, was?"

„Du....du weißt, dass ich da bin?"

„Es ist so still, dass man unseren Atem hören kann. Warum bist du hier?"

„Ich habe mich gefragt, was du um diese Uhrzeit vorhast und bin dir gefolgt."

„Ich kann nur nicht schlafen, das ist alles. Ich dachte, ein kleiner Spaziergang könnte das Problem lösen. Zu dumm, dass ich in der Schule immer wieder wegtrete....hm...." Er drehte sich um und sah dem Dunkelblauhaarigen direkt in die Augen.

„Im Licht des Mondes sind sie auch anders....nicht silbern, nicht grau, nicht schwarz....anthrazit vielleicht? Ungefähr, ja. Nicht schwarz, aber auch nicht hell genug für gewöhnliches Grau....Du hast wunderschöne Augen, Chazz."

Diese Bemerkung brachte seinen Gegenüber in Verlegenheit, obwohl in seinem Hinterkopf ein lästiges Stimmchen meinte, er solle sich über Komplimente dieser Art doch eigentlich ärgern. Er wusste, dass Jaden die Dinge beim Namen nannte, ohne Aufhebens darum zu machen. Er konnte nicht anders, weil er dazu einen viel zu aufrichtigen Charakter besass. Er war so ungezwungen, so natürlich, so geradeheraus, kein Vergleich zu den schmeichlerischen Heuchlern, die die Rolle seiner Freunde gespielt hatten, ohne sich für den Menschen zu interessieren, der er war.

„Fängst du schon wieder an?! Ich hatte dir doch gesagt...."

„....dass du solche Komplimente nicht magst, ich weiß. Oh, sieh mal...." Der Brünette deutete zum Himmel hinauf, wo ein herrlicher Stern klar und intensiv glänzte. „Das ist der Abend- bzw. Morgenstern, der Planet Venus. Meine Mutter hat mir früher immer erzählt, dass die Göttin der Liebe dort oben wohnt und dass sie einem einen Wunsch erfüllt, wenn man die Augen schließt und den Wunsch dreimal wiederholt. Natürlich kümmert sie sich vor allem um Menschen, die verliebt sind. Man sagt auch, dass ihr Sohn Amor zwei Herzen zusammenbringt, wenn sie in einer Mondnacht gemeinsam zu dem Stern beten. Hübsch, nicht wahr? Meine Mutter ist eine sehr romantische Frau....manchmal ein bisschen weltfremd und unpraktisch, was sie wohl an mich weitervererbt hat, aber sie hat immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Mitmenschen."

>>So wie du....<< dachte Chazz unwillkürlich, der sich dem Zauber der Situation nicht entziehen konnte. Diese sanfte Seite an Jaden war vollkommen neu für ihn, aber er mochte sie auf Anhieb. Während er ihn verstohlen von der Seite ansah, merkte er plötzlich, wie sein Herz schneller zu pochen begann, als müsse er jede Sekunde zu einem Marathonlauf antreten.

„Miau!"
 

Die beiden jungen Männer hoben zeitgleich die Brauen und schauten sich verwirrt um. An dem Punkt, wo der Steg wieder ins Ufer überging, sass eine dicke getigerte Katze und maunzte. „Das ist ja Pharao, der Kater von Professor Banner! Was tut er hier?" Der Braunhaarige sank in die Knie und lockte das Tier mit Rufen, aber Pharao putzte sich nur lässig hinter dem Ohr und trottete gleichgültig davon.

„Merkwürdig, dass er nicht bei dem Professor ist, der läßt ihn doch sonst nie aus den Augen!"

„Vielleicht ist er davongelaufen? Katzen gelten als sehr eigenwillig. Außerdem ist Banner krankgeschrieben, wahrscheinlich kann er sich nicht um diese Speckrolle auf vier Beinen kümmern! He? Na toll, es fängt wieder an zu gießen!"

Wolken waren heraufgezogen und verdeckten den Mond. Es blitzte in der Ferne und Donner grollte, während nach und nach dicke Tropfen auf sie hernieder prasselten. Chazz fluchte und spannte geschwind seinen Schirm auf. Ohne zu überlegen, hielt er ihn auch über Jaden und der andere schenkte ihm dafür ein warmes Lächeln. Oh Gott, sein Lächeln....! Unter dem Schirm vereint, blieb ihnen nur, eng nebeneinander herzugehen. Der ehemalige Obelisk war sich der unmittelbaren Nähe seines „Rivalen" nur zu deutlich bewusst und sein Herz klopfte ihm bis zum Hals hinauf. Seine Kehle war seltsam trocken und eine eigentümliche Hitze erfüllte seinen Körper wie Fieber. Was war nur los mit ihm!? Wenn es Alexis gewesen wäre, hätte er keine Fragen gestellt, aber so....?! Allerdings hatte er in ihrer Gegenwart nie so stark empfunden wie jetzt....verdammt, warum musste es ausgerechnet Jaden sein!?!

Doch auch für den einstigen Slifer war es gar nicht so einfach, der Lage Herr zu werden. Es war bis dato noch nie geschehen, dass er mit dem Dunkelblauhaarigen ein einfaches Gespräch geführt hatte, ohne dass sie zu streiten anfingen und die nette Geste mit dem Schirm überzeugte ihn vollends davon, dass der andere ihn gern hatte. Diese Erkenntnis beglückte ihn weit mehr, als es in einer rein freundschaftlichen Beziehung erlaubt war, und er versuchte, sein heftiges Herzklopfen zu ignorieren, hatte aber keinen Erfolg.

>>Was mache ich bloß? Was ist, wenn ich anfange, mehr für ihn zu empfinden? Er würde das niemals akzeptieren. Er steht auf Alexis, glaube ich. In diesem Fall brauche ich mir überhaupt keine Chancen auszurechnen....er mag Mädchen, keine Jungs. Lex ist zwar meiner Ansicht nach nicht die Richtige für ihn, aber meine Meinung ist nicht gerade objektiv. Es ist nass und ungemütlich, und trotzdem ist mir warm ums Herz, einfach, weil er mir so nah ist....das ist kein gutes Zeichen....was soll ich tun....?<<
 

Schweigend kehrten sie ins Schulgebäude zurück und von dort zu ihrer geheimen Unterkunft hinter dem Trophäenschrank. Unschlüssig blieben sie vor ihren Zimmertüren stehen, als hätten sie vergessen, was sie eigentlich hier wollten. „Hat dir....der Spaziergang etwas gebracht?"

„Ja, ich denke schon. Ich werde sicher prima schlafen."

„Tja....dann gute Nacht, Jaden."

„Gute Nacht, Chazz. Träum was schönes. Ach, und übrigens...."

Chazz war schon halb in seinem Raum, als er sich noch einmal umwandte und seinen Gegenüber fragend anblickte. „Ja?"

„....es gefällt mir, wenn du meinen Vornamen benutzt." Damit verschwand er und ließ eine betretene Stille zurück. Graue Augen starrten lange auf die geschlossene Tür, als fiele es ihnen unendlich schwer, sich davon zu lösen.

Jaden.

Er schmeckte diesen Namen auf seiner Zunge, verband damit das Gefühl von Treue, Mut, Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit. Jaden. Es klang süß, ein bisschen verspielt, vermischt mit einer ernsten Nuance. Weshalb empfand er so? Sollte er ihn nicht hassen oder wenigstens nicht leiden können?

„Warum, zum Teufel....!?" murmelte er und ein Schatten fiel auf seine Züge. „Warum ausgerechnet....er....?"
 


 

Soviel für diesmal. Dass Jaden malen könnte, war ein spontaner Einfall. Ich wollte ihm noch irgendein verborgenes Talent verpassen, weil man im Anime ja nur so wenig über ihn erfährt. Das mit Venus und ihren Wünschen habe ich mir auch ausgedacht, es war so eine nette Idee. Bis dann!^^ *wink*

Dunkelheit

*Leser anspring und abknuddel* Danke für Eure Kommis!^^ Tut mir leid, dass ich schon wieder so lange gebraucht habe mit dem Upload, aber ich hatte Stress! Dafür geht's jetzt weiter - wie der Titel schon verrät, tritt diesmal Darkness auf den Plan...
 

Kapitel 6: Dunkelheit
 

Ein Gewitter tobte draußen, rüttelte an den Ästen der Bäume und riss Blätter herunter. Der Regen klatschte gegen die Scheiben der Bogenfenster, die in die Kuppel eingelassen waren, die sich als Dach über dem Raum erhob, in dem ein runder Tisch stand, umgeben von sieben Stühlen, auf denen sieben Personen sassen. Die Kerzen an den Wänden spendeten nur sehr wenig Licht. Der Fremde mit der Maske, der bereits vor drei Tagen an der Duellakademie gewesen und sowohl von Alexis als auch von Jaden bemerkt worden war, hatte die Arme verschränkt und erklärte: „Ich werde den ersten Kampf übernehmen. Ihre Initiation liegt noch nicht lange zurück, und ihre Fähigkeiten als Krieger sind ihnen zwar angeboren, aber sie haben keinerlei Erfahrung in einem Schattenduell. Es dürfte kein Problem sein, ihnen die Schlüssel abspenstig zu machen. Ich würde gerne gegen ihren Anführer antreten!"

„Ein sehr riskantes Unterfangen", mischte sich eine Frau mit langen dunkelgrünen Haaren ein und bei ihrem maliziösen Lächeln entblößte sie zwei spitze Eckzähne. „Unerfahren oder nicht, sie sind die Reinkarnationen unserer Feinde und dieser Jaden war einmal Kail. Demnach wäre es leichtsinnig, ihn zu unterschätzen. Ich habe damals stärkere Kämpfer als dich an ihm scheitern sehen! Aber was kann man von einem Anfänger wie dir schon anderes erwarten als die übliche Selbstüberschätzung? Du bist kein Ersatz für den wahren Darkness!"

Der Angesprochene wollte auffahren, aber eine gebieterische Stimme ließ ihn innehalten. In dem schummrigen Dämmer des Raumes konnte man ihn kaum erkennen, doch er trug eine Gesichtsmaske und einen Kopfschleier, der mit einer Art goldenem Reif geschmückt war.

„Schweigt still! Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für unsinnige Streitereien. Fordere heraus, wen du willst - aber Kail gehört mir!"

„Oho, so besitzergreifend?" neckte ihn die Frau und schlug grazil ihre Beine übereinander. „Glaubst du denn wirklich, dass du ihn nach viertausend Jahren erneut erobern kannst? Ihr Menschen seid eine seltsame Rasse - versteigt euch in euren Gefühlen, leidet unter euren Skrupeln und eurer Unfähigkeit und macht doch immer wieder dieselben Fehler. Ihr seid eine furchtbar langweilige Spezies....kein Vergleich mit dem hochherrschaftlichen Volk der Vampire. Wenn niemand deinen wertvollen Kail antasten darf, wird sich Darkness wohl einen anderen Gegner suchen müssen. Gegen wen ich antrete, weiß ich bereits...."

„Da wirfst du mir vor, ich ließe mich überflüssigerweise von meinen Gefühlen leiten, und dabei tust du genau dasselbe? Wo ist der Unterschied, Camilla?"

Sie antwortete nicht, sondern strafte den anderen durch Nichtachtung. Derjenige, der mit dem Namen „Darkness" benannt war, erhob sich von seinem Platz und deutete selbstbewusst auf das Amulett, das um seinen Hals baumelte.

„Mit diesem Schattentalisman, den unser Meister mir gegeben hat, kann ich gar nicht verlieren! Ich werde euch beweisen, dass ich es wert bin, ein Mitglied der Sieben zu sein! Ich werde diesen Jaden herausfordern und ihn besiegen!"

Damit löste er sich in einer schwarzen Rauchwolke auf und Camilla schüttelte missbilligend den Kopf. „Er ist für den Anführer der Anubiskrieger kein ernstzunehmender Kontrahent. Jedenfalls nicht ohne seine Erinnerungen. Und besässe er seine Erinnerungen, wäre er gar nicht auf unserer Seite. Es ist besser für uns, wenn er stirbt."

„Du hast recht."
 

Alexis packte ihre Schultasche und verließ das Unterrichtsgebäude. Zane begegnete ihr und hielt sie an. Aus seinen Augen sprach Unsicherheit, während er sie in ihrer schwarzen Uniform musterte - er war es nicht gewohnt, das blonde Mädchen in Hosen zu sehen, noch dazu mit dem Mantel darüber, der normalerweise den männlichen Schülern vorbehalten war.

„Gut, dass ich dich treffe, Alexis. Ich....ich hätte gerne einen Rat von dir."

„Was, ausgerechnet du?" fragte sie verblüfft und zog eine Braue nach oben. „Das ist sehr untypisch für dich, also beschäftigt dich etwas Wichtiges. Geht es um die Geschichte der Sieben Krieger? Ich dachte, du glaubst nicht daran?"

„Ich....ich hatte einen Traum. Einen sehr intensiven Traum, um genau zu sein. Ich habe den Wächter des Ersten Tores darin gesehen und....ich kannte ihn nicht. Demnach muss es sich bei ihm um das verschollene Mitglied der Anubis Black handeln, deinen Bruder. Besitzt du vielleicht ein Foto von ihm? Ich....ich brauche Gewissheit."

„Natürlich habe ich ein Foto von ihm, ich trage es immer bei mir." Sie holte es aus ihrer Hosentasche hervor und reichte es ihm. „Das ist Atticus."

Zane starrte das Bild an, als könne er es nicht fassen. Die fröhlichen braunen Augen, das schulterlange Haar, die makellosen Gesichtszüge und das einnehmende, bezaubernde Lächeln, alles vereinte sich darin. Das war der Mann aus seinem Traum! Wie hatte er von ihm träumen können, wo er ihn doch nie zuvor gesehen hatte!? Die einzige Erklärung, die ihm einfiel, war der Umstand, dass Direktor Sheppard ihn als die Reinkarnation eines der Sieben Krieger bezeichnet hatte, was bedeutete, dass er sich an seine Vergangenheit erinnert haben musste. Aber das konnte nie und nimmer wahr sein! Dennoch....dieses Gesicht....Es gab keinen Zweifel. Sein Adonis existierte. Während er die Fotografie betrachtete, strömten wirre Gefühle auf ihn ein, die er nicht unter Kontrolle bringen konnte. Da waren Freude und Glück, Kummer und Schmerz, dicht beieinander, in rascher Abfolge, und wie in einem wilden Reigen tanzten diese Emotionen in seinem Inneren hin und her. Sein Körper verkrampfte sich und er drückte das Bild mit einem schwer zu deutenden Ausdruck in seinem Antlitz wieder in die Hand des Mädchens. Sein Herz trommelte dumpf gegen seinen Brustkorb, während seine Gedanken einem einzigen Chaos glichen. Der Kanzler hatte nicht gelogen, so schien es jedenfalls. Was sollte er nun tun? Zu ihm gehen und sein Schicksal annehmen, wie Syrus es formuliert hätte? Wollte er das denn überhaupt? Er hatte ein ruhiges Leben, er war Top-Duellant der Akademie, beliebt, hervorragend in sämtlichen Prüfungen und war nicht mit unnötigen Pflichten belastet. Hatte er die Absicht, sich in einen Kampf gegen irgendwelche Ungeheuer zu stürzen? Nein, keineswegs. Und Weltenretterambitionen hatte er auch nicht. Er schwieg.
 

„Du hast Angst, nicht wahr? Ich auch. Die Sache, in die wir hineingezogen wurden, ist größer als wir selbst. Die Seelen der Vergangenheit, die uns die Schlüssel und unsere Waffen übergeben haben, waren älter als wir. Sie hätten es vorgezogen, ihre Verantwortung an Menschen zu übertragen, die ein wenig reifer sind. Aber die Zeit ist ihnen davongelaufen. Wir müssen es also akzeptieren, denn davor fliehen können wir nicht. Ich weiß, dass du skeptisch bist und zu nichts gezwungen werden willst, aber du hast keine Wahl. Es ist dein Schicksal, egal, wie hochtrabend sich das jetzt anhört."

„Somit rätst du mir, ein Anubis Black zu werden?"

„Das ist nicht der Rat, den du bekommen wolltest, richtig?"

„Nicht ganz der, den ich erhofft hatte."

„Ich wollte damit auch nichts zu tun haben. Doch als ich diesem Untier gegenüberstand....Ich halte mich nicht für eine Heldin und übermäßig tapfer bin ich genauso wenig. Aber ich bin mit Fähigkeiten geboren worden, die dabei helfen können, andere zu schützen. Ich bin der Meinung, dass ich diese Fähigkeiten nutzen sollte, wenn ich damit etwas bewirken kann. Du könntest für uns eine wertvolle Unterstützung sein, Zane. Überlege es dir."

Damit nickte sie ihm freundlich zu und entschwand in Richtung des Obelisk-Blue-Hauses für Mädchen, wo sie mit ihren Freundinnen Jasmine und Mindy verabredet war. Die beiden erwarteten sie bereits ungeduldig und bewunderten ausgiebig ihr neues Outfit.

„Das steht dir toll, ehrlich! Ist bestimmt auch sehr praktisch, da muss man zumindest nicht mehr befürchten, dass einem die Jungs unter den Rock schauen", bemerkte Jasmine, was von ihren Kameradinnen mit den berühmten Schweißtropfen quittiert wurde. Mindy war nicht ganz so enthusiastisch, obwohl sie zu lächeln versuchte.

„Sag mal, Lex....dieses Monster im Lesesaal....was war das eigentlich?"

„Das war ein Schattendämon. Unsere Feinde benutzen sie für die niederen Aufträge, die übliche Drecksarbeit. Sie sind die Diener der Schattenreiter."

„Und wer sind diese Schattenreiter?"

„Um ehrlich zu sein....ich weiß es nicht. Die Story ist ziemlich kompliziert, aber wenn ihr wollt, kann ich sie euch erzählen. Sie beginnt vor viertausend Jahren und...." Sie unterbrach sich, als eine eisige Aura ihren Körper hinaufkroch, die ihr nur allzu vertraut war. Es konnte kein Dämon sein, die Präsenz war viel unheimlicher, viel gefährlicher....Sie blickte zum Himmel hinauf und sah, wie dicke schwarze Wolken sich über das Firmament schoben und es verdunkelten. Wo vorhin noch die Sonne geschienen hatte, ragten riesige Wolkenmauern empor und tauchten die gesamte Insel in erdrückende Finsternis. Jasmine und Mindy schraken zusammen und zitterten unwillkürlich.
 

„Zurück mit euch ins Wohnhaus! Wir werden unseren gemeinsamen Ausflug wohl verschieben müssen! Jetzt steht da nicht rum, los doch!" Nachdem sie sicher war, dass ihre Freundinnen das Gebäude nicht mehr verlassen würden, machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte zur geheimen Unterkunft der Anubis Black. Die Studenten, die ein Hitzegewitter hinter dem plötzlichen Wolkenaufgebot vermuteten, trollten sich davon, um Schutz vor dem Regen zu suchen, doch Alexis war überzeugt, dass ihnen etwas weitaus schlimmeres bevorstand als ein Sturm. Sie stolperte in ihr Zimmer und schnallte sich die zwei Dolche um ihre Oberschenkel, einen links, einen rechts. Sie hörte Schritte durch die Tür und als sie hinaustrat, kam ihr Bastion entgegen, der sein Krummschwert angelegt hatte. Im Gemeinschaftsraum liefen ihnen Jaden, Syrus und Chazz in die Arme und zur allgemeinen Überraschung war es der Brünette, der die Situation sofort überschaute.

„Dass wir alle hier sind, kann nur heißen, dass auch ihr es gespürt habt: Die Aura der Schatten! Wartet auf uns, wir bewaffnen uns rasch und dann gehen wir der Sache auf den Grund."

Gesagt, getan. Zehn Minuten später wanderten fünf schwarzgekleidete Gestalten durch den Wald, der Teil des Akademiegebietes war und hielten Ausschau nach etwas Verdächtigem. Sie waren sich einig, dass diese machtvolle Präsenz von einem Schattenreiter stammen musste und er war zweifellos auch für die Dunkelheit verantwortlich, die den einstmals blauen Himmel bedeckte. Syrus hatte einen Pfeil auf die Bogensehne gesetzt und seine Muskeln waren in einer beinah übermenschlichen Konzentration angespannt. Er zeigte eine für ihn ungewöhnliche Entschlossenheit und schien auf jeden noch so unbedeuteten Laut zu reagieren. Als es in einem Gebüsch hinter ihm raschelte, fuhr er herum und schoss den Pfeil mit einer Präzision ab, die ihn selbst verblüffte. Ein verächtliches Lachen war zu hören und ein großgewachsener junger Mann erschien auf der Bildfläche; den Pfeil hatte er lässig mit einer Hand aufgefangen. Die Maske machte ihn unkenntlich und um seinen Hals hing ein rundes Amulett. „Du bist derjenige, den ich vor ein paar Tagen gesehen habe!" stieß Alexis hervor und zückte einen ihrer Dolche. „Wer bist du und was willst du von uns?"

„Mein Name ist Darkness und ich bin der Erste Schattenreiter. Und was ich will, muss ich euch nun wirklich nicht erklären. Gebt mir die Schlüssel lieber gleich, das erspart euch einen schmerzhaften Tod."

„Das göttliche Gesetz verlangt, dass um jeden einzelnen Schlüssel gekämpft wird", erinnerte ihn Chazz in spöttischem Tonfall, aber Darkness war von dieser Bedingung offensichtlich nicht beeindruckt, er behielt sein abfälliges Grinsen bei. „Das habe ich nicht vergessen. Interessiert es euch denn gar nicht, um welchen Schlüssel ich kämpfen möchte? Ich entscheide mich für den Schlüssel des Lebens. Meine Herausforderung gilt dir, Kail."
 

„Um eines klarzustellen: Ich bin Jaden Yuki, nicht Kail, also merke dir meinen Namen. Und ich nehme deine Herausforderung an!"

„Ausgezeichnet - dann möge der Kampf beginnen!" Er schnippte einmal mit den Fingern und die Umgebung begann sich radikal zu verändern. Der Boden unter ihnen verwandelte sich in brodelnde Lava, und nur ein paar Felsbrocken, die aus dem flüssigen Feuer herausragten, verhinderten, dass sie hineinstürzten. Feste Mauern aus Gestein ragten um sie herum in die Höhe und es war, als befänden sie sich im Krater eines aktiven Vulkans.

„Was zum Teufel....?!"

„Das hier ist ein Duell der Schatten, mein Junge! Vergiss die albernen Spielchen mit irgendwelchen Karten! Du stehst jetzt deinen wahrgewordenen Ängsten gegenüber! Beweise mir, ob du den Mut hast, dich ihnen zu stellen! Ach ja - und natürlich brauchst du noch ein kleines Handicap!" Er schnippte ein zweites Mal und eine magische Kugel schloss Syrus und die anderen ein, schwebte über das Lavabecken und blieb dort.

„Was soll das!?"

„Ich will es dir erklären: Immer, wenn das Kampfgeschick ungünstig für dich steht, wird sich ein Teil dieser Blase auflösen und nach und nach wird jeder deiner Freunde unliebsame Bekanntschaft mit der Lava machen. Es geht hier also nicht nur um dein Leben."

Jaden spürte, wie eine Woge heißen Zorns in ihm hochstieg, doch er zwang sich zur Ruhe. Jetzt den Kopf zu verlieren und sich wütend in dieses Gefecht zu werfen, damit war niemandem gedient. Er atmete tief aus und ein, was ihm in der erhitzten Luft jedoch wenig nützte und zog in einer fließenden Bewegung die beiden Schwerter, die er auf den Rücken gegürtet trug. Er sah, wie Darkness eine Formel murmelte, aber verstehen konnte er sie nicht. In der nächsten Sekunde dachte er aber auch gar nicht mehr daran, denn sein Gegner hatte soeben einen riesenhaften schwarzen Drachen beschworen, aus dessen Nüstern Rauchschwaden stiegen. Der Braunhaarige war nicht leicht zu beeindrucken, doch diese Kreatur, die er nur aus seinen Märchenbüchern kannte und die ihm nun in majestätischer Größe und unergründlicher Bosheit gegenüberstand, flößte ihm eine rasende Angst ein. Schweiß perlte ihm auf der Stirn und seine Hände wurden feucht. Nein! Er durfte sich nicht von seiner Furcht bezwingen lassen! Er musste gegen diese Bestie kämpfen, ob er wollte oder nicht!

„Was sind denn das für Methoden?! Du schickst ein Monster los, anstatt dich persönlich mit mir zu messen?! Du bist ein Feigling!"

„Ein Feigling? Aber, aber, was für ein böses Wort. Ich hatte dich gewarnt, Kleiner. Das hier ist ein Spiel der Schatten, und hier gelten sehr einfache und klare Regeln: Entweder du verlierst, oder du gewinnst. In einem Duell der Finsternis existiert keine Ehre, keine Gnade, kein Edelmut, sondern nur ein einziges Ziel - überleben um jeden Preis, egal, wie grausam oder blutig er auch sein mag!"

Jaden schluckte und visierte das Geschöpf an, das ihn mit seinen dunklen Augen unheilverkündend musterte. Im Schein der Lava glänzten seine spitzen Zähne wie Messerklingen und ehe der Anubis Black reagieren konnte, fuhr eine der gigantischen Krallen hernieder und verpasste ihm einen Hieb gegen das linke Bein. Er sackte in die Knie, als ein teuflischer Schmerz ihn durchzuckte und unterdrückte einen Fluch. Eines der Schwerter verwendete er als Stütze und richtete sich mühsam wieder auf. Durch einen Schleier aus Qual, die in seinem Bein pochte, hörte er einen Aufschrei und seine Augen flirrten zu der schwebenden Kugel hinauf. Chazz baumelte über dem feurigen Abgrund, Bastion umklammerte seine Arme und verhinderte seinen Sturz.

„Chazz! Halt dich ja gut fest!"
 

„Denk jetzt....nicht an mich, Slifer-Niete!" stieß der Dunkelblauhaarige hervor, obwohl seine Stimme sich fast überschlug. „Du musst diesen Mistkerl besiegen, sonst müssen wir alle dran glauben! Steht da nicht rum, du Idiot! Tu endlich was!!"

Jaden wusste nicht, wie ihm geschah. Er starrte in das verzerrte Gesicht des anderen und sein Herz krampfte sich brutal zusammen. Es waren die erschrockenen, verzweifelten Züge eines Menschen, der unter sich den Tod gähnen sieht. Seine Finger schlossen sich um die Griffe der zwei Klingen und als der Drache zu einer neuen Attacke ausholte, fuhr der Brünette blitzschnell herum und schlug ihm mit einem Kampfschrei die Pranke ab. Die Kreatur heulte auf und spie einen Schwall Flammen aus, dem der Sechzehnjährige mit geschickten Sprüngen und Überschlägen auswich. Zuletzt parierte er einen Angriff des peitschenden Echsenschwanzes, indem er die Schwertschneiden kreuzte und als Schild benutzte. Von Darkness kam ein schriller Pfiff und der Drache stürzte sich mit seinem mit Reißzähnen gespickten Rachen auf sein Opfer, doch Jaden rollte sich flink zur Seite, und als die Bestie ihm hinterher hechtete und sich drohend über ihm aufbaute, rammte er das rechte Schwert tief in ihre Brust und schlug ihr mit dem linken eine blutende Wunde in den Hals. Kail hätte es nicht besser gemacht.

Der Drache schwankte einen Moment, dann fiel er zu Boden und durch das Gewicht seines sterbenden Körpers brach ein Teil des Felsplateaus ein, auf dem der junge Mann gekämpft hatte. Der riesige Leib des Wesens donnerte zusammen mit den Gesteinsbrocken in die Tiefe und wurde von der Lava verschluckt. Der Schattenreiter verzog missbilligend die Mundwinkel und überwand die Entfernung zwischen sich und Jaden mit einem gewaltigen Sprung. Bevor der Duellant überhaupt begriffen hatte, was sein Feind plante, raste ein Schwerthieb auf ihn zu, der ihn hätte umbringen können, wenn der Anubiskrieger nicht instinktiv auf den Arm seines Kontrahenten gezielt hätte. Mit einem einzigen Streich schlitzte er ihm den Oberarm auf und Darkness schrie auf. Er ließ seine Waffe fallen und presste eine Hand auf seine Verletzung.

„Dass deine Fähigkeiten in dieser kurzen Zeit bereits so ausreifen konnten, ist wahrlich des Anführers der Sieben Krieger würdig. Ich habe dich unterschätzt. Aber noch ist dieses Gefecht nicht entschieden!" Er trat dem anderen die Beine weg und der Braunhaarige spürte, wie seine Wunde schmerzhaft dagegen protestierte. Er landete unsanft auf dem Rücken und stöhnte verhalten. „Hilfeeee!!" Das konnte nur Syrus sein - und richtig, der Kleine baumelte über dem Abgrund; verzweifelt hatte er Chazz‘ Taille umfasst und hielt sich mit aller Kraft an ihm fest. Bastion, durch das doppelte Gewicht ebenfalls knapp davor, hinuntergezogen zu werden, stemmte sich mit seiner gesamten physischen Kraft dagegen und der Blick, den er Richtung Darkness warf, war kälter als Eis. Jemand, der Menschen in Lebensgefahr brachte, nur um seinen Gegner in Gewissensnöte zu versetzen, verdiente nichts als Verachtung.

>>Halte durch, mein Freund. Ich glaube an dich!<<
 

Onuris‘ Scherge lachte triumphal und boshaft. Er nahm das Schwert mit seiner gesunden Hand auf und näherte sich dem Sechzehnjährigen, der immer noch auf dem Rücken lag. Die Luft war ihm weggeblieben, als er fiel, und das peinigende Brennen in seinem Bein erschwerte es ihm, sich aufzurichten. Vor seinen Augen drehte sich alles und der Schwefeldampf kratzte ihm in der Kehle. Er sah, wie seine Freunde über ihrem bevorstehenden Ende hingen und sein Mund presste sich zu einer harten Linie zusammen. Über ihm ragte sein Feind auf, die Klinge in der erhobenen Hand. „Es ist vorbei!" Jaden zwang sich zu einer fast übermenschlichen Anstrengung. Als die Waffe hernieder sauste, schwang er sich herum, grub die Spitzen seiner Schwerter in die Risse im Fels, kam auf die Füße und stieß sich kraftvoll ab, den Schmerz ignorierend. Eine Weile wirkte es, als schwebe er in der Luft und der Hieb des Schattenreiters verfehlte ihn knapp. Im Flug drehte er seinen Unterkörper und verpasste diesem mit seinem unverletzten Bein einen ordentlichen Tritt ins Gesicht, sodass die Maske zerbrach. Dann verließ ihn die Kraft, die Griffe seiner Waffen entglitten ihm und er stürzte erneut. Chazz, der sich eigentlich um sich selbst hätte sorgen sollen, fühlte plötzlich, wie ihn eine weitaus schlimmere Angst befiel - die Angst, dass Jaden diesen Kampf nicht überstehen würde. Der ehemalige Slifer Red lag regungslos dort unter ihnen, blutete und war erschöpft.

„Steh auf, du Niete!" rief er lautstark, aber nichts geschah. „Was ist los mit dir?! Antworte, verdammt! Nun sag doch was! Steh endlich auf!! Warum stehst du denn nicht auf!?!"

„Der Kerl ist wirklich gut", ließ sich Darkness vernehmen und erhob sich, nachdem ihn der Tritt ziemlich unvorbereitet getroffen hatte. „Aber jetzt hat er sich wohl überanstrengt. Es ist beinahe schade, so einen famosen Kämpfer zu töten, aber so will es das göttliche Gesetz." Er sammelte die beiden Bruchstücke seiner Maske auf und blickte zu den Unglückseligen hinüber, die noch immer über der Lava schwebten. Alexis starrte zurück und bewegte tonlos die Lippen. Fassungslos erkannte sie das Gesicht des Schattenreiters.

„Das war‘s! Ihr habt verloren!" Die Kugel löste sich komplett auf und die Gruppe fiel unaufhaltsam in ihren Untergang. Jaden, der keineswegs bewusstlos, sondern nur am Ende seiner Belastbarkeit war, hörte ihre Entsetzensschreie und konnte nicht verhindern, dass sich Tränen in seinen Augenwinkeln bildeten.

>>Ich habe alles versucht....und doch konnte ich sie nicht retten. Was bin ich nur für ein Versager....Ich hätte wissen müssen, dass ich nicht der Richtige für diese Aufgabe bin....<<
 

Plötzlich flog von irgendwoher ein Wurfmesser auf Darkness zu und traf genau seinen Schattentalisman. Das Amulett strahlte ein gleißendes Licht aus und zerbarst in zwei Hälften. Eine goldene Flamme hüllte den Träger ein und ein dunkler Geist schien aus ihm hinauszufahren und mit einem schrecklichen Schrei zu verschwinden, als hätte es ihn nie gegeben. Es war, als würde das Böse förmlich aus ihm herausgepresst. Der Vulkan löste sich auf und mit ihm die gefährliche Lava. Die vier Anubis Black landeten wohlbehalten im Gras der Waldlichtung und Direktor Sheppard schnaufte ihnen entgegen, wegen seines Alters und seiner Korpulenz nicht unbedingt glücklich über Dauerläufe. Das Mädchen achtete jedoch nicht auf ihn, sondern ging zu dem ohnmächtigen Schattenreiter hinüber, während Bastion und Chazz den Kanzler mit Dankesworten empfingen. Syrus kniete sich zu seinem besten Freund und bettete vorsichtig dessen Kopf auf seinem Schoß.

„Haben Sie vielen Dank, Sir. Ohne Ihr Einschreiten wären wir alle gegrillt worden."

„Du irrst dich, Bastion. Nicht ich war das mit dem Wurfmesser." Er wies auf eine Gestalt, die sich hinter einigen Bäumen verborgen gehalten hatte und nun hervorkam. „Er war es, der euch geholfen hat. Erlaubt mir, euch den Wächter des Dritten Tores vorzustellen!"

Zane trat zu ihnen, gekleidet in die schwarze Uniform, die seinen neuen Status symbolisierte. Um seine Hüfte waren zwei Gürtel geschlungen, jeder davon mit einem Satz Wurfmesser bestückt. „Du willst dich uns anschließen? Wie wunderbar, Onii-san! Ich wusste doch, dass du es dir anders überlegen würdest. Aber was ist mit Jaden, Sir?"

„Natürlich muss er sofort auf die Krankenstation. Genau wie er."

„Wie wer?"

Der Grünhaarige eilte mit ausgreifenden Schritten zu Alexis hinüber und legte seine Arme um die regungslose Person. Sie sass stumm daneben, immer noch wie betäubt von einem Schock. Zane konnte ihr Schweigen verstehen und obwohl er sich ebensowenig einen Reim auf diese ungewöhnliche Entdeckung machen konnte, war er unfähig, sich dem Zauber jener Schönheit zu entziehen, die dieser junge Mann besass. Sein Teint war makellos und die süße Nase leitete in perfekter Linie zu einem Paar sinnlicher, voller Lippen über, die jeden das Verlangen verspüren lassen mussten, sie wund zu küssen.
 

„Er hat uns angegriffen!" widersprach der Dunkelblauhaarige. „Warum soll er auch auf die Krankenstation? Er ist ein Schattenreiter - und außerdem hat er Jaden verletzt!"

„Dass er uns rösten wollte, scheint dich weniger zu kümmern", meinte Misawa mit einem dezenten Grinsen, wofür er einen niederschmetternden Blick erntete. Alexis schüttelte verbissen den Kopf. „Das hier ist nicht einfach nur ein Schattenreiter. Das ist mein Bruder."

„Dein....dein Bruder!?" Mr. Sheppard nickte.

„Ja, das ist Atticus Rhodes, der Wächter des Ersten Tores. Ich verständige das ärztliche Personal der Schule, die beiden müssen umgehend versorgt werden. Morgen sollten wir überlegen, wie es dazu kommen konnte, dass er ein Schattenreiter wurde."

Die Wolken schoben sich langsam auseinander, während Jaden und Atticus von den herbeigerufenen Pflegern auf Bahren abtransportiert wurden. Der Himmel erstrahlte wieder im herrlichsten Blau und die Sonne schien wie schon lange nicht mehr. Die Dunkelheit war vorüber....aber der Kampf hatte gerade erst begonnen.

Memory

Schön, dass ich doch noch ein paar Kommis gekriegt habe! Hier ist also das siebte Kapitel der Geschichte!^^ Viel Vergnügen!
 

Kapitel 7: Memory
 

Jaden und Atticus wurden in zwei getrennten Zimmern untergebracht. Ihre Verletzungen wurden untersucht und sachgemäß behandelt. Alexis verharrte bei ihrem Bruder und Zane stand in einer dunklen Ecke und beobachtete, wie sie seine Hand berührte und murmelte: „Jetzt wird alles gut, Nii-san. Das Böse hat dich manipuliert, da bin ich mir sicher. Du wirst gesund und dann sind wir endlich wieder zusammen."

Syrus hielt sich natürlich bei Jaden auf, und auch Bastion und Chazz waren dort. Der bebrillte Junge schluchzte leise vor sich hin, während Misawa ihm die Schulter tätschelte und seinen Freund sorgenvoll musterte. Der Dunkelblauhaarige zeigte sich weniger beeindruckt von den letzten Ereignissen; stumm wie ein Fisch lehnte er neben der Tür und rümpfte die Nase über die ganze Gefühlsduselei. Freilich war seine Gleichgültigkeit nur äußerlich, auch wenn er die größte Mühe damit hatte, es zuzugeben. Die Krankenschwester trat ein und bat sie, den Patienten jetzt allein zu lassen.

„Er sieht so erhitzt aus. Was ist mit ihm?"

„Er hat Fieber bekommen, Mr. Princeton. Offenbar war er vor seiner Verwundung starkem Stress ausgesetzt. Da reagiert der Körper manchmal sehr heftig. Aber sein Zustand ist stabil, Sie müssen sich keine Sorgen machen."

„Ich mache mir keine Sorgen!!" Es klang, als hätte man ihn beleidigt. Er blickte zu dem hübschen Brünetten hinüber und spürte, wie sein Herz sich schmerzlich zusammenzog. Verdammt, er konnte sich doch unmöglich sorgen?! Während er den anderen ansah, schossen ihm plötzlich ohne Vorwarnung Bilder durch den Kopf, die einen Sturm aus Emotionen in ihm erzeugten. Vor seinem geistigen Auge tauchten Sanddünen und Palmen auf. Eine große Stadt kam in Sicht....und schließlich eine gigantische Anlage, die von einer Pyramide beherrscht wurde....der „Heilige Bezirk"....
 

~~ Ägypten vor 4000 Jahren, Theben ~~
 

Drückende Hitze lastete über der Hauptstadt des Königreiches am Nil. Die Luft flirrte und schon die kleinste Bewegung ließ einem den Schweiß ausbrechen. In genau diesen Zeitpunkt fiel die erste Begegnung Shezars mit dem Anführer der Sieben Krieger des Anubis. Er stand ungeduldig wartend vor dem furchteinflößenden Tor, das den einzigen Einlass in der hohen Mauer bildete, die den Heiligen Bezirk umschloss. Es war schmucklos, aber ganz oben prangte ein Schakalskopf, dessen geschlitzte gelbe Augen dem jungen Mann das Gefühl gaben, durchbohrt zu werden. Er schwitzte und wünschte sich mit einem Mal, überhaupt nicht hergekommen zu sein. Plötzlich jedoch öffnete sich das Tor und ein schwarzhaariger Bursche in einem ebenfalls schwarzen Hüftrock kam heraus. Er war mit einem Krummschwert bewaffnet und um seinen Hals hing eines der Schlüsselamulette, von denen Shezar schon gehört hatte. „Bist du der letzte Bewerber? Mein Name ist Taris. Ich bin der Wächter des Fünften Tores und habe die Weisung, dich zu meinem Anführer zu bringen. Folge mir."

Gemeinsam durchmaßen sie den riesigen Innenhof, dessen Zentrum zweifellos die Pyramide darstellte, die zusätzlich von sieben Mauerringen umgeben war. Ihr gegenüber erhob sich ein Gebäude im villenähnlichen Stil, das Wohnhaus der Kämpfer. Taris brachte ihn jedoch zu dem dritten Bauwerk innerhalb des Bezirks - zum Tempel des Anubis, wo sich unterirdisch der Trainingsplatz für seine Krieger befand. Vor einer Wand hinter dem Altar blieben sie stehen und sein Führer berührte eine bestimmte Freske, die in sich einsank und die Geheimtür schwenkte zur Seite. Der freigelegte Korridor, der nach einer Weile in eine Treppe überging, war von Fackeln hell erleuchtet. Das gesamte Szenario hatte etwas Unwirkliches, fast Unheimliches und Shezar wagte nicht, auch nur einen Ton von sich zu geben. Wenn er ehrlich war, existierte nur ein einziger Grund für seine törichte Bewerbung zur Anubis-Prüfung: Sein Vater, Abkömmling aus dem ägyptischen Adel und seit seiner Jugend ein bewunderter Soldat, hatte beschlossen, seinem Sohn eine exquisite Kampfausbildung zu gönnen - er sollte einer der Sieben Krieger werden, da sein Herr Papa meinte, er wäre verweichlicht und zu überzeugt von sich selbst. Aber um in den „Genuss" dieser vielgerühmten harten Ausbildung zu kommen, musste er erst einmal den Eignungstest absolvieren, seine Rivalen um den Posten aus dem Feld schlagen und schließlich die eigentliche Prüfung bestehen, obwohl er nicht die geringste Lust dazu hatte. Was hatte ihm sein Vater da nur wieder eingebrockt!
 

Sie erreichten einen großen Saal, in dem unzählige andere Jünglinge darauf warteten, dem Anführer der Anubiskrieger vorgestellt zu werden, sogar ein paar Mädchen waren darunter. Taris bedeutete ihm, zu warten und gesellte sich zu vier anderen schwarzgekleideten Personen hinüber, die wie er ein Schlüsselamulett trugen. Eine von ihnen war tatsächlich eine Frau. Shezar fragte sich zum hundertsten Mal, was er eigentlich hier tat. Nur weil er aus dem Kriegswesen keine Religion machte, rümpfte sein Vater die Nase und wollte ihn zu diesem ganzen Unsinn zwingen! Pah! Dieser dämliche Kram interessierte ihn doch überhaupt nicht! Plötzlich formierten sich die fünf Krieger vor einer Art Thron, der mit dem Rücken zu den Anwesenden stand. Zwei links, zwei rechts, Taris postierte sich vorne, und alle hielten Fackeln in den Händen. Sie entzündeten die großen Feuerstellen im Raum, löschten die Fackeln und säumten den Weg, der von dem Thron, der auf einem erhöhten Rondell stand, bis zu den Bewerbern hinunterführte. Der Thron war beweglich, da er auf einer steinernen Drehscheibe angebracht war und endlich erkannte der junge Adelige, dass wirklich jemand darauf sass. Ein Raunen lief durch die Menge, als die Drehscheibe in Aktion trat.

„Ihr seid also diejenigen, die glauben, eines Anubiskriegers würdig zu sein. Dann lasst euch gesagt sein, dass die Ausbildung anstrengend und erschöpfend ist und alles von euch fordern wird - ganz einfach deshalb, weil ich es sein werde, der euch ausbildet!"

Er sprach kühl und ernst. Shezar starrte ihn an und war unfähig, das wirre Gefühl zu beschreiben, das in ihm aufstieg. Der Wächter des Siebten Tores konnte nicht sehr viel älter sein als er, er war mit Sicherheit ebenfalls um die neunzehn, zwanzig Jahre alt. Er war großgewachsen, schlank und von herrlicher Gestalt. Die Flammen warfen einen matten Schein auf seine Bronzehaut und ließen die einzelnen Sehnen und Muskeln seiner Arme, Beine und seines Oberkörpers höchst vorteilhaft hervortreten. Das braune Haar, dicht und glänzend, bekam einen leicht rötlichen Schimmer, während die intensiven, faszinierenden Augen auf einmal mit Gold betupft zu sein schienen. Seine berückenden Lippen waren feucht und der schwarze Hüftrock ließ seinen Lendenansatz erkennen. Zwei Langschwerter waren auf seinen Rücken gegurtet, und in seinem linken Ohr glitzerte ein Ohrring in Form des Ankh-Symbols. Eine Aura von Autorität, von Stärke und Tapferkeit ging von ihm aus, gepaart mit einer Art innerem Feuer, das Shezar einen heißen Schauer über den Rücken jagte. Seine Knie wurden ihm weich, im Magen wurde es ihm flau und seine Kehle war wie ausgedörrt. Sein Herz klopfte, schnell und hektisch. Er spürte, wie die brennenden Augen sich auf ihn richteten und das Blut rauschte ihm in die Wangen.
 

„Ich bin nicht umsonst der Anführer der Sieben Krieger, das heißt, ich fasse niemanden mit Samthandschuhen an, auch die Frauen nicht! Ich bin ein strenger Lehrmeister und wer nicht mit mir zurechtkommt, hat Pech gehabt! Ich nehme nur den Besten....und ich kriege den Besten! Wer von euch das ist, wird die Ausbildung zeigen. Mit Feiglingen, Faulenzern, Weichlingen und Schwachköpfen mache ich kurzen Prozess! Und ehe ich es vergesse - mein Name ist Kail."

Kail.

Shezar wiederholte den Namen und wusste kaum, wie ihm geschah, als sein Herz erneut das Tempo beschleunigte. Wenn er doch nur die Achtung dieses Mannes erringen könnte....! Mit einem Mal war er gar nicht mehr wütend auf seinen Vater, denn jetzt hatte er ein Ziel gefunden: Er würde ein Anubiskrieger werden, um Kail nahe zu sein....
 

„Zu langsam!!"

Shezar landete unsanft im Sand der Trainingsarena. Über ihr schraubten sich hohe Säulen in den blauen Himmel, denn es war einer der sieben Innenhöfe des Anubis-Tempels, der erste, um genau zu sein. Die mittelgroße Arena war in den Boden eingelassen und die Sitzränge außen herum gruppiert. Die Ausbildung hatte vor einem Monat begonnen und die Zahl der Bewerber war zusammengeschmolzen wie Schnee in der Sonne. Kail ragte über ihm auf, in seinen Händen hielt er zwei lange Schlagwaffen, deren Enden zu Haken umgebogen waren.

„Zu langsam!" wiederholte er und spuckte aus. „Deine Reaktion ist zu zögerlich, du denkst zu viel nach! Warum sind dir die Bewegungsabläufe immer noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen?! Ich werde dir sagen, warum! Weil du diese Sache nicht ernst genug nimmst! Du übst weniger als die anderen, die bis jetzt durchgehalten haben! Du strengst dich nur halb so viel an! Du bist zu oberflächlich! Ich hatte dich gewarnt - die Ausbildung ist kurz, aber hart. Sehr hart. Wenn du dich nicht mehr zusammenreißt, werde ich dich aus dem Heiligen Bezirk hinauswerfen! Und wehe, wenn du noch einmal zurückkehren solltest, dann bist du tot! Außer uns und dem Pharao darf niemand den Bezirk betreten, eine Ausnahme gibt es nur in der Ausbildungszeit für die Rekruten! Heb dein Schwert auf und konzentriere dich besser!"

Shezar erhob sich missmutig und stellte sich in Positur für die nächste Attacke. Kail warf seine Waffen zur Seite und holte sich ebenfalls eine Klinge. Die Metallschneiden trafen sich in der Mitte mit einem Klirren und schabten aneinander entlang, ehe die beiden Kämpfer ihre Hiebe austeilten. Der dunkelblauhaarige Ägypter hatte kaum eine Chance, denn er musste sich gegen Schläge verteidigen, die mit voller Wucht ausgeführt wurden. Das Schwert des Brünetten war stumpf aber schartig, sodass er viele blutende Schnitte und Kratzer verpasst bekam, bis die Klinge plötzlich an seinem Hals lag. Er schloss die Augen....und nichts geschah.

„In einem echten Kampf wärst du jetzt tot. Dir läuft das Blut in dünnen Rinnsalen über den Körper und ich habe nicht einmal einen blauen Fleck. Ich habe dir doch gesagt, du bist zu langsam. Und du denkst zu viel, das lenkt dich ab. Du sollst nicht denken, wenn du kämpfst. Du sollst nur fühlen! Egal, welche Waffe du in die Hand nimmst und egal, auf welche du dich später spezialisierst - gesetzt den Fall, du kommst überhaupt so weit -, die Waffe ist immer wie eine Verlängerung deines eigenen Körpers, sie muss dir ebenso vertraut sein wie du selbst. Immerhin, du bist stärker geworden. Du warst verweichlicht, als du hierher kamst, ein verwöhntes Adelsbalg, nichts weiter. Aber du fängst an, dich zum Mann zu entwickeln. Machen wir Schluss für heute....und schau nicht so unglücklich", meinte er und seine Züge erhellten sich durch ein bezauberndes Lächeln. Jeder, der dieses Lächeln sah, vergass sofort all seine Mühen, denn obwohl Kail streng war und äußerst unerbittlich sein konnte, besass er doch Humor und Mitgefühl. „....die anderen sind im Grunde nicht sehr viel geschickter als du. Komm mit, ich werde deine Wunden reinigen und sie verbinden."
 

Sie verließen die Arena und gingen hinüber in den Zweiten Innenhof, der die Funktion eines Krankensaales erfüllte. In seiner Mitte befand sich ein Badebecken mit heißem Wasser, das mit Kräuteressenzen und heilendem Öl angereichert war. Mit flinken Fingern entkleidete Kail den verwirrten Shezar, dem die Situation entsetzlich peinlich war. Mechanisch stieg er ins Becken und zuckte zusammen, als das Wasser über seine Verletzungen strömte. Der Wächter des Siebten Tores zog sich aus und kletterte ungeniert hinterdrein. Seinem armen Schüler brach der Schweiß aus; die geschmeidige, schöne Erscheinung des anderen in kompletter Nacktheit jagte Blitze der Erregung durch ihn hindurch. Weiche Hände wuschen behutsam und sorgfältig das Blut ab und während sie über entblößte braune Haut strichen, ballte der Dunkelblauhaarige seine Hände zu Fäusten, um seiner schwelenden Begierde Herr zu werden. Seine Wangen hatten sich gerötet und sein Atem ging stoßweise.

„So, das dürfte reichen. Komm heraus, damit ich dich abtrocknen kann." Er gehorchte automatisch dieser Anweisung, zumal Kail keinerlei Anstalten machte, sich wieder anzukleiden. So standen sie da, goldene Sonnenstrahlen fluteten den Hof und verfingen sich in den Wassertropfen, die über ihre nackten Körper rannen, während der Braunhaarige umsichtig die Wunden mit einem Tuch betupfte und sie schließlich mit sauberen Verbänden umwickelte.

„Weißt du, Shezar....ich halte dich durchaus für fähig. Ganz überzeugt bin ich noch nicht von dir, aber wenn du es wirklich willst, könnte es dir gelingen. Nicht jeder Dahergelaufene wird einfach so ein Krieger des Anubis. Du verfügst über ein gewisses Potential, das du nutzen solltest. Oh?"

Hiron, der Wächter des Ersten Tores, war eingetreten und verneigte sich. „Mein Anführer, Euer Besucher ist eingetroffen. Er wartet auf Euch am Fuße der Tempeltreppe." Damit verschwand er und Kail schlüpfte rasch in seine Gewänder. Er wirkte fröhlich und sehr ungezwungen, wie man ihn eher selten erlebte. Er eilte hinaus und Shezar folgte ihm heimlich und auf leisen Sohlen, nachdem er sich wieder angezogen hatte. Er spitzte hinter einer Säule hervor und beobachtete, wie der Brünette einem jungen Mann in die Arme fiel, der ihn leidenschaftlich an sich presste. Ein schmerzhafter Stich durchzuckte sein Herz. Was hatte das zu bedeuten? Hatte Kail einen Geliebten? Nein, das konnte doch nicht wahr sein! Aber der innige Blick, den die beiden austauschten....die Finger, die in einer Geste der Zärtlichkeit ineinander verschränkt waren....das offene, herzliche Lachen aus dem Mund des Kämpfers....das alles schien so eindeutig, so unmissverständlich zu sein! Als das Paar sich küsste, unterdrückte er einen Schrei und lief ins Innere des Tempels zurück. Tränen traten ihm in die Augen und sein Herz pochte wie in irrsinniger Qual gegen seinen Brustkorb. Nein, nein, das durfte nicht sein! Das konnte, wollte er nicht glauben! Er hatte die Strapazen der Ausbildung auf sich genommen, um Kail nahe sein zu können....und nun war alles umsonst?! Er war vergeben?! Das war nicht gerecht! Einfach nicht gerecht! Sein schöner, stolzer Kail - verliebt in einen anderen?! Er rannte und rannte, bis er den Siebten Innenhof erreicht hatte, der in eine Veranda mündete, von wo aus man die Stadt überblicken konnte. Ein sanfter Wind wirbelte sein Haar durcheinander, aber er achtete nicht darauf.

»Wie grausam die Liebe ist! Warum nur darf ich es nicht sein, der in Kails Armen liegt? Welchen Sinn hat es jetzt noch, ein Krieger des Anubis zu werden? Aber er hat gesagt, ich sei fähig....er erwartet von mir, dass ich mich mehr anstrenge. Ich kann ihn doch nicht enttäuschen! Was soll ich bloß tun? Ich möchte ihn nicht verlassen....selbst wenn er mich nicht liebt, ich könnte ihn niemals vergessen, nicht einmal, wenn ich die Ausbildung abbrechen würde. Mein Herz schlägt wie wild, sobald ich nur an ihn denke! Nein, ich kann nicht zurück. Mir Kails Gunst zu verscherzen, ist das letzte, was ich wünsche. Ich muss weitermachen....!«
 

„Mr. Princeton? Ist Ihnen nicht gut?"

Die Krankenschwester schüttelte ihn behutsam und er schreckte auf. Er fühlte sich wie ausgehöhlt und ein heftiger Schmerz pochte in seinem Herzen. Shezar hatte Kail also geliebt....! Geliebt!! Und nun wiederholte es sich!? War er etwa dabei, sich in Jaden zu verlieben!?! Das konnte unmöglich sein! Chazz bäumte sich auf gegen diese ungeheuerliche Idee und hämmerte sich ein, wie sehr er diese Niete hasste und verachtete, aber es nützte ihm nichts. Er spürte, wie sein ganzer Körper sich erwärmte, während er an seinen „Rivalen" dachte und mit einem Ausdruck entsetzter Fassungslosigkeit stürzte er hinaus aus der Krankenstation, gleichgültig gegen die übrigen Anubis Black, die ihm verwirrt nachsahen. Auch Alexis und Zane hatten das Zimmer verlassen, in dem Atticus schlief und verfolgten Chazz‘ hastigen Aufbruch.

„Was hat er? Vielleicht sollte ich nachher mal mit ihm reden...."

„Nein."

„Nein?" Sie wandte sich zu Bastion um, der ruhig und mit verschränkten Armen vor ihr stand. „Er muss jetzt allein sein. Irgendetwas hat ihn erschüttert, das habe ich an seinen Augen erkannt. Er will bestimmt mit niemandem sprechen, und ich finde, wir sollten das respektieren. Zane, erzähl uns lieber mal, wie es dazu kam, dass du deinen Entschluss geändert hast."

„Genau, Onii-san! Weshalb hast du dich uns plötzlich angeschlossen?"

„Also, das war so...."
 

~~ RÜCKBLENDE ~~
 

Gedankenverloren war er auf dem Weg zu seinem Seminar, immer noch unzufrieden mit dem Rat, den das blonde Mädchen ihm gegeben hatte. Andererseits war er äußerst irritiert von der Tatsache, dass Atticus Rhodes dem Mann aus seinem Traum wie aus dem Gesicht geschnitten war. Wenn er auch in diesem Leben existierte, würde er ihn gerne kennen lernen...."Du könntest für uns eine wertvolle Unterstützung sein." Das waren Alexis‘ Worte. Sie hatte mit vollem Vertrauen in seinen aufrichtigen Charakter über sein Schicksal gesprochen, denn sie wusste, dass er seine Freunde nie im Stich lassen würde, mochte er auch nach außen immer sehr reserviert und kühl sein. Außerdem - konnte er Syrus mit einer solch schweren Bürde allein lassen? Er zeigte es nicht oft, aber sein kleiner Bruder bedeutete ihm viel und er wollte ihn vor Gefahren beschützen, so gut es möglich war. Und dann natürlich....Atticus. Oder Hiron, wie er sich im Traum genannt hatte. Aus ihm unerklärlichen Gründen kehrten seine Erinnerungen immer wieder zu diesem Gesicht mit dem gewinnenden Lächeln zurück, das er auf dem Foto gesehen hatte, kostete er immer wieder den Geschmack dieser Lippen, die sich auf die seinen gepresst hatten, auch wenn dies nicht in der Realität geschehen war. Es hatte sich jedoch unglaublich real angefühlt....Er blieb abrupt stehen. Über seine Haut krochen mit einem Mal eisige Schauer und seine Nackenhaare stellten sich auf. Bedrohung....Angst....das war es, was sich seinem Wesen mitteilte, während der Himmel blitzartig von schwarzen Wolken überzogen wurde. Das war doch nicht normal! Es wurde dunkel über der Duellakademie und der Eindruck von Furcht verstärkte sich. Er trat ans Fenster.

»Finsternis....warum kommt mir das so bekannt vor? Ich spüre....Zorn....Hass....und diese Kälte, diese tödliche Kälte! Die gesamte Umgebung liegt im Schatten....Schatten? Schattenreiter....Unsinn, das ist lächerlich! Und dennoch....«
 

Seine schlanken Finger betasteten die Glasscheibe und zuckten zurück.

»Sie vibriert! Es ist, als laste eine erdrückende Aura auf ihr....Mr. Sheppard....ich muss zu Mr. Sheppard....!«

Der Direktor empfing ihn sofort, denn er hatte dieselben Wahrnehmungen gehabt wie sein Schüler. „Ich befürchte, dass der Feind aufgetaucht ist - und diesmal ist es kein Dämon."

„Sie vermuten, dass es einer von Onuris‘ Kämpfern ist, nicht wahr?"

„Ja, ein Schattenreiter. Ich hoffe, dass unsere Anubiskrieger das Duell gegen ihn bestehen können. Doch sag mir, mein Junge....warum bist du hier? Ich dachte, du hältst die ganze Geschichte für ein Lügenmärchen meinerseits?"

„Ich....ich bin mir nicht mehr so sicher. Könnte ich....könnte ich mir einen dieser geheimnisvollen Schlüssel einmal ansehen?"

Der Kanzler stimmte zu und führte ihn in den unterirdischen Raum, in dem die letzten beiden Amulette versiegelt waren. Zane musterte die Konstruktion mit Verblüffung und gehorchte stumm, als Mr. Sheppard ihm gebot, die dritte Säule zu berühren.

„Sprich mir nach: Gott Anubis, dein Krieger ist hier und erwartet deinen Befehl."

„Ist das unbedingt notwendig?"

„Du wolltest den Schlüssel sehen. Anders kann die Versiegelung nicht gelöst werden."

„Also, wenn es denn sein muss: Gott Anubis, dein Krieger ist hier und erwartet deinen Befehl!"

Die vorletzte Kette sprang ab und aus der Kassette schoss ein weißer Lichtstrahl. Zane war zunächst ein wenig erschrocken, aber er bekam sich rasch wieder unter Kontrolle. Vor ihm materialisierte sich sein vergangenes Alter Ego und einen Moment lang war der berühmte „Kaiser" ernsthaft sprachlos. Sein Gegenüber war fast wie ein Zwilling, nur dass seine Haut braungebrannt und sein Haar ein Stück länger war.

~~ Ich freue mich, dich zu sehen, der du meine Wiedergeburt in dieser Zeit bist. Knie nieder. Zane Truesdale, ich, Anares, einer der Sieben Krieger des Anubis, übergebe dir hiermit den Schlüssel der Freiheit! Sein Schutzpatron ist der Gott Horus. Verteidige dein Tor mit diesen Wurfmessern, die so treffsicher und schnell ihr Ziel finden mögen wie der Falke, der auf seine Beute herabstößt. Erhebe dich nun, Hüter des Dritten Tores! ~~

„Und....was wird nun mit dir geschehen?"

~~ Ich werde endlich meine wohlverdiente Ruhe finden. Meine Seele sehnt sich nach Frieden. Du kennst deine Aufgabe und wirst sie nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen. Ich wünsche dir viel Glück....und pass auf deinen Bruder auf. ~~

„Das werde ich."

Anares‘ Erscheinung erlosch und der Direktor geleitete den Grünhaarigen zum geheimen Eingang des Anubis-Black-Traktes, wo er ihm sein neues Zimmer zuwies. Zane zog sich die schwarze Uniform an, bewaffnete sich und eilte zusammen mit dem Kanzler zum Ort des Gefechts, um seinen Kameraden zu helfen....
 

~~ ENDE DER RÜCKBLENDE ~~
 

„Da haben wir ja wirklich Glück gehabt, dass du noch rechtzeitig gekommen bist, anderenfalls wären wir gegrillt worden. Ist dir eigentlich dasselbe passiert wie mir?"

„Was meinst du, Syrus?"

„Ich habe einen meiner Pfeile verschossen, aber es sind wieder genauso viele wie vorher im Köcher. Das ist doch merkwürdig, nicht?"

„Es handelt sich um Waffen, die von einem Anubispriester gesegnet wurden, wie Mr. Sheppard mir erzählt hat. Mein fehlendes Wurfmesser wurde automatisch durch ein neues ersetzt. Es ist wohl eine Art Zauber dafür verantwortlich."

„Ehrlich? Das ist ja klasse!"

„Du akzeptierst also jetzt die Situation mitsamt ihrer Magie und ihren Monstern?" erkundigte sich Misawa neugierig und der andere nickte. „Was bleibt mir übrig? Die Begegnung mit einem viertausend Jahre alten Ebenbild kann einen schon bekehren....und nachdem ich zum ersten Mal ein Schattenduell gesehen habe, kann ich es doch nur noch akzeptieren. Ich frage mich allerdings, wie es möglich ist, dass Atticus, der eigentlich zu uns gehört, ein Schattenreiter wurde. Ob man ihn manipuliert hat?"

„Das kann nur er uns sagen. Hoffen wir, dass er bald wieder aufwacht...."

„Ja....und hoffentlich geht es auch Jay bald wieder gut...."
 

Chazz rannte noch immer, hinaus aus dem Hauptgebäude der Schule, Richtung Wald, wo der erste große Kampf stattgefunden hatte. Nein, es konnte einfach nicht sein!! Diese Erinnerung an sein früheres Leben....er und verliebt in diesen Idioten, in diesen blöden, hirnlosen, kindischen, untalentierten Trottel?! Niemals, niemals, niemals!! Das waren Shezars Gefühle, die mit seinen eigenen überhaupt nichts zu tun hatten! Er stand nicht auf Kerle! Endlich gelangte er zu der Klippe, die steil zum Meer hin abfiel und stoppte in seinem wilden Lauf. Sein Herz hämmerte schwer gegen seine Brust und zog sich unangenehm zusammen, als das Bild des küssenden Paares durch seinen Geist schwamm. Mist, warum tat es weh!?

„Jaden ist mir vollkommen egal", sagte er laut vor sich hin, aber er musste zugeben, dass es sich nicht besonders überzeugend anhörte. Ob er rasch genesen würde? Das Duell hatte ihn eine Menge Energie gekostet und verwundet war er auch....sein Gesicht, so erschöpft und fiebrig, so angreifbar und so....schön. Schön? Selbst im Leid? Matt glänzendes Haar, wie Seide, und die makellose Linie von Stirn, Nase und Mund....dieser Mund....Eine Welle des Verlangens schwappte in ihm nach oben und Chazz stieß einen unterdrückten Schrei aus.

»Nein, nein, nein!! Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr!! Ich empfinde nicht das geringste für ihn, Jaden ist mir gleichgültig! Wir sind Gegner, und keine Freunde! Ich muss doch nur wegen dieser blöden Anubis-Sache mit ihm zusammenarbeiten! Ich will das nicht fühlen....!«

Er....und Liebe?

Er sank auf die Knie und starrte auf das Wasser hinaus. Die Sonne ging gerade unter und malte goldrote, flammende Schleier über den Himmel. Sein Verstand und sein Stolz sagten „Nein".

Ihnen gab er den Vorzug. Aber sein Herz sagte „Ja".

Blutopfer (Teil 1)

So, es geht weiter! Heute ist der 25.11. und morgen hab ich Geburtstag! *jubel* *freu* Den zweiten Teil von "Blutopfer" werde ich auch bald hochladen, damit Ihr bei dem Zweiteiler nicht so lange warten müsst. Nun ist also Camilla am Zug - es wird ein bisschen horrormäßig...

Schreibt mir bitte Kommis, beim letzten Kappi bekam ich nur zwei! *seufz*
 

Kapitel 8: Blutopfer (Teil 1)
 

Es war Nacht über der Insel der Duellakademie. Der Himmel hatte sich bewölkt und selbst der Mond schien sich heute nicht zeigen zu wollen. Über dem Hauptgebäude materialisierte sich die schwebende Gestalt einer grünhaarigen Frau mit blutroten Lippen, die sie zu einem grausamen Lächeln verzog.

»Viertausend Jahre habe ich auf dich gewartet, mein Liebster. Ich werde dich endlich zu meinem Gefährten machen....und jener, den dein Herz statt meiner erwählte, wird mit seinem Tode dafür büßen! Kein Sterblicher sollte es wagen, sich einem Vampir in den Weg zu stellen, sobald er sich einen Gespielen erwählt hat! Dass Darkness versagt hat und keinen Schlüssel für uns erobern konnte, wundert mich nicht im geringsten. Dieser verachtenswerte ehemalige Anubiskrieger trug lediglich die Seele des wahren Schattenreiters der Dunkelheit in sich, und außerdem war er ein Anfänger. Ich werde die Schande tilgen, die er auf unseren edlen Kreis geladen hat und ihn auslöschen! Und wenn er nicht mehr ist, wirst du mir gehören, Anares!«

Sie verwandelte sich in eine Fledermaus und flog gezielt zur Krankenstation, wo sie durch das gekippte Fenster in Atticus‘ Zimmer gelangte, wo sie ihre ursprüngliche Gestalt wieder annahm. Ihre Augen erglühten in teuflischem Hass, als sie ihn sah und sie trat leise wie eine Katze an sein Bett. Ihre Hand, bewehrt mit klauenartigen Fingernägeln, packte ihn grob und sie lösten sich in einem Wirbel schwarzen Rauchs auf. Niemand hatte etwas bemerkt....und sie würde ihre Rache genießen, jede einzelne Sekunde!
 

Zane erwachte und blickte gähnend auf die Uhr. Halb sieben! Seine erste Vorlesung an diesem Tag begann erst um zehn! Er drehte sich auf die andere Seite und wollte weiterschlafen, aber es misslang ihm. Er wälzte sich hin und her und gab es schließlich auf. Nachdem er sich ausdauernd geduscht und angezogen hatte, beschloss er, sich in die Bibliothek zu setzen und ein paar Bücher herauszusuchen - vielleicht konnte er irgendwo Informationen über Tutangatons Herrschaft finden. Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihn in seinem Vorhaben, denn die Bibliothek öffnete bereits um sieben Uhr, also schon in fünf Minuten. Er verließ die Anubis-Black-Unterkunft und steuerte auf sein Ziel zu, wobei er auch den Korridor entlanggehen musste, der zur Krankenstation führte. Als er die Treppe zur medizinischen Abteilung erreicht hatte, blieb er unschlüssig unten stehen. Die Morgenschwester begann ihren Dienst um sechs. Vielleicht....konnte er kurz nach Atticus sehen?

»Was ist nur in mich gefahren?! Ich kenne ihn doch gar nicht, alles, was ich über ihn weiß, stützt sich auf meinen Traum! Er war schön und liebevoll....und schön ist er auch jetzt, aber sein Charakter ist mir fremd. Noch dazu hat er uns angegriffen. Ich glaube zwar nicht, dass er für seine Handlungen verantwortlich war, doch das löscht das Geschehene nicht aus. Und dennoch....dennoch mache ich mir Sorgen. Ich verstehe das nicht....das ist so....untypisch für mich. Weshalb sollte ich mich um einen Fremden sorgen? Nach dem Traum zu urteilen, waren er und ich damals ein Liebespaar. Ob es das ist? Ich meine, ich bin mir seit einiger Zeit schon im Klaren über meine Sexualität, aber dass ich mich zu einem Unbekannten hingezogen fühle....Ich würde gerne wissen, wie er wirklich ist. Wofür interessiert er sich? Was mag, was verabscheut er? Und warum wurde er zu einem Schattenreiter?«

Ohne es zu merken, war er während seiner Überlegungen die Treppe hinaufgestiegen und als es ihm auffiel, entschied er sich, die Krankenstation nun auch aufzusuchen. Die diensthabende Schwester, eine vergnügte Frau mittleren Alters mit angegrautem Haar, das sie zu einem sorgfältigen Dutt gesteckt hatte, begrüßte ihn freundlich.

„Guten Morgen, Mrs. Carmichael. Ich komme, um mich nach dem Befinden eines Ihrer Patienten zu erkundigen, Atticus Rhodes."

„Oh? Das sieht Ihnen gar nicht ähnlich, dass Sie sich so offenkundig um jemanden sorgen, Mr. Truesdale. Ich hatte noch keine Gelegenheit, nach den beiden Patienten zu sehen, ich musste zuerst die neu gelieferten Medikamente katalogisieren und einräumen. Sie haben sich den richtigen Zeitpunkt ausgesucht, ich mache jetzt meine Runde."

Zuerst ging sie in Jadens Zimmer. Sie untersuchte seinen Zustand, maß seine Temperatur und nickte befriedigt. Leise erklärte sie dem Studenten: „Er hat kein Fieber mehr und sein Kreislauf ist völlig normal. Seine Beinwunde dürfte so ohne Probleme ausheilen." Doch als Schwester Carmichael den Raum betrat, in dem sie ihren zweiten Patienten vermutete, stieß sie einen überraschten und fassungslosen Schrei aus.

„Aber....aber wie ist das möglich? Er kann doch nicht verschwunden sein! Sehen Sie nur, die Laken sind zerknittert, er hat also ganz sicher im Bett gelegen! Er muss in der Nacht aufgestanden sein....aber in seinem Zustand kann ich mir das eigentlich nicht vorstellen. Wo mag er hin sein? Ich begreife das nicht! Warum müssen solche Sachen immer mir passieren?"

Ihr Blick glitt zu der Wand neben dem Bett und der Schrei, der diesmal folgte, war markerschütternd. Zane schoss herum und starrte auf die Mauer, auf der in harten Druckbuchstaben der Name „Anares" stand - sein Name!

„Wie grässlich!" flüsterte Mrs. Carmichael tonlos. „Wer kann so etwas getan haben? Das ist ja wie ein übler Scherz aus einem Kriminalroman! Anares....was soll das heißen? Und dann auch noch mit roter Farbe geschrieben, wie eine Warnung....unheimlich!"

Er näherte sich der Wand und berührte den Schriftzug, der noch feucht glänzte. Er betrachtete den intensiven Farbton auf Zeige- und Mittelfinger, und einer plötzlichen Eingebung folgend, leckte er kurz darüber hinweg. Es schmeckte seltsam süßlich und irgendwie metallisch.

„Holen Sie sofort Kanzler Sheppard her!" befahl er, während kaltes Entsetzen seinen gesamten Körper erfüllte und ihm förmlich die Luft abpresste. „Das ist keine Farbe. Das ist Blut!"
 

Die arme Krankenschwester war ziemlich verstört und der Direktor erlaubte ihr, sich für den Rest des Tages freizunehmen. Er begutachtete, flankiert von Zane, Syrus, Bastion, Alexis und Chazz, die blutige Schrift, die keinerlei Zweifel über ihren Urheber aufkommen ließ.

„Ein Schattenreiter!" zischte das Mädchen zornig. Sie war kalkweiß im Gesicht und konnte nur mit Mühe ihre Wut über die Entführung ihres Bruders verbergen. Erst gestern hatte sie ihn wiedergefunden und heute schon wollte man sie erneut von ihm trennen! Ihre Feinde verloren wirklich keine Zeit! Diesmal würde sie das Duell bestreiten, um Atticus zu befreien!

„Ich sehe dir an, was du denkst", erklärte der Grünhaarige, „....aber ich kann das nicht zulassen. Der Schattenreiter hat mich herausgefordert, nicht dich. Das ist mein Kampf."

„Jedenfalls scheint er ein anderes Kaliber zu sein als Darkness", meinte Chazz leicht beunruhigt und verschränkte die Arme. „Immerhin muss er Alexis‘ Bruder in der Nacht gekidnappt haben. Da das Blut noch einigermaßen frisch ist, muss er später noch einmal zurückgekehrt sein, um diese Herausforderung an die Wand zu malen. Ich teile deine Ansicht, Zane. Unser neuer Gegner hat es auf dich abgesehen. Aber was nützt es ihm in diesem Fall, Atticus in seine Gewalt zu bringen?"

„Atticus stellt den Köder dar."

„Den Köder? Wäre nicht....ich weiß nicht....eher Syrus als Köder geeignet? Er ist schließlich dein kleiner Bruder."

„Ich habe den Verdacht, dass es hier nicht um brüderliche Gefühle geht", murmelte er und der Jüngere musterte ihn verwirrt. Was wollte er damit sagen? Er besah sich noch einmal den Schriftzug und erschauerte. Mit Blut....! Abscheulich, das war einfach nur abscheulich! Er schüttelte sich und fuhr fort: „Aber wo soll das Duell stattfinden? Noch hat sich unser Feind nicht offenbart und zu allem Überfluss hat er auch noch eine Geisel. Und obwohl die Herausforderung dir gilt, sollte der Rest von uns dich trotzdem begleiten. Schließlich wissen wir nicht, wie fair der zweite Schattenreiter spielt - dem Anschein nach äußerst unfair, wenn du mich fragst. Du solltest nicht allein gehen."

„Das wird er auch nicht!"

Sheppard und seine Schüler drehten sich um und gewahrten Jaden im Türrahmen, der im Patientenpyjama vor ihnen stand und nach Atem rang. Seine Augen funkelten in einem entschiedenen Feuer und er rief: „Keiner von uns wird je alleine sein, wenn es sich um ein Duell der Schatten handelt! Wir wissen nicht, wozu der neue Schattenreiter fähig ist, aber offensichtlich gehört er zu einer besseren Liga als Darkness. Wir werden dich begleiten!"

„Ich will aber niemanden von euch in diese Angelegenheit mit hineinziehen, am allerwenigsten Syrus! Unser Gegner hat mich ausgesucht und ich bin es, den er erwartet. Haltet euch raus!"

„Nein!! Das verbiete ich!!!"

Die Versammlung war vollkommen perplex. So autoritär kannten sie den heiteren und frohgemuten Brünetten gar nicht und seine Stimme, die keinen Widerspruch duldete, verriet zum ersten Mal etwas von Kail in diesem tapferen Charakter. Sy war jedoch noch aus anderen Gründen erstaunt - sein Bruder hatte zugegeben, dass er ihn von der Gefahr fernhalten wollte. Er wollte, dass er in Sicherheit blieb.

»Onii-san....ich danke dir. Ich weiß, dass du deine wahren Gefühle nur sehr ungern offen zeigst. So bist du seit jeher gewesen....kühl und reserviert, genau wie Vater. Und daher bedeutet es mir unendlich viel, wenn du mal erkennen lässt, dass du mich liebst und dich um mich sorgst. Nur eines hast du bisher nicht über dich gebracht: Mir mehr zuzutrauen. Deswegen habe ich von mir selbst nie besonders viel gehalten, bis ich Jaden begegnete. Er hat mir Selbstvertrauen und ein größeres Selbstbewusstsein verliehen, weil er an mich geglaubt hat. Ich bin nicht glücklich über diese Geschichte, in die ich da hineingezogen wurde, aber ich bin auch kein kleines Kind mehr. Ich bin ein Krieger des Anubis und kann dich beschützen!«

„Hör zu, Nii-san", sagte er laut und deutlich, „....ich freue mich, dass du mich in Sicherheit wissen willst und nicht möchtest, dass ich in Schwierigkeiten gerate, aber ich habe mich entschieden. Ich kann dir helfen, sollte es erforderlich sein. Ich komme mit."

„Das kann ich nicht erlauben, Ototo! Es....es könnte dir etwas Ernstliches passieren."

„Tatsächlich? Dann halt mich doch auf....wenn du kannst!"
 

Türkise und grüne Augen tauchten ineinander ein und fochten einen stillen Kampf des Willens aus. Äußerlich mochten sich die Brüder nicht sonderlich gleichen und auch in ihrem Wesen gab es Unterschiede, aber im Kern ihres Ichs waren sie sich ähnlich - für einen Menschen, der ihnen wichtig war, würden sie beide die Hölle überwinden und sie waren beide treue Freunde von ehrlicher Natur und unumstößlicher Loyalität.

„Na schön....wenn du so wild entschlossen bist, kann ich es wohl nicht ändern." meinte Zane schließlich und ließ sich zu einem seiner seltenen Lächeln herab. Syrus strahlte über das ganze Gesicht und umarmte den Älteren, der von dieser spontanen Gefühlsäußerung ein wenig peinlich berührt war. Er war eben nicht der Typ dafür.

„Dann wäre das also geklärt."

„Falsch!"

„Falsch?" Jaden glotzte Chazz irritiert an und wich in ein verlegenes Lachen aus. „Wieso falsch? Der Gedanke behagt mir einfach nicht, dass einer von uns ganz allein einem Schattenreiter gegenübersteht!"

„Davon rede ich nicht. Du bist es, der uns nicht begleiten wird."

„Was?! Warum nicht?!"

„Weil du verletzt bist."

„Und was ist mit deiner Schulter, die der Dämon bearbeitet hat?"

„Verglichen mit deiner Wunde ist das harmlos, das weißt du genau. Außerdem warst du nach dem Gefecht ausgezehrt und furchtbar erschöpft. Das ist erst 24 Stunden her! In deinem Zustand ist ein Kampf nicht zu verantworten. Du bleibst hier!"

„Ich bin der Anführer dieses Teams. Willst du etwa meine Kompetenzen anzweifeln?"

„Nein, nur deinen gesunden Menschenverstand!"

„Ich kann euch nicht alleine lassen, Chazz! Kapierst du das denn nicht? Ihr seid meine Freunde und es tut mir weh, wenn ihr in Gefahr seid. Ich habe euch sehr gern und ich will nicht, dass euch etwas passiert."

Da mischte sich Direktor Sheppard ein: „Das ehrt dich zwar, mein Junge, aber er hat recht. Es wäre besser, wenn du auf der Krankenstation bleibst. Sei vernünftig."

„Aber....ach, das ist doch doof!" Er trollte sich in sein Zimmer zurück und auf einen Wink des Kanzlers hin folgte ihm der Dunkelblauhaarige. Der ehemalige Slifer Red hockte auf der Bettkante und schmollte. Auf seinem Nachtkästchen stand ein Tablett mit Frühstück.

„Du hast noch nicht einmal gegessen, wie willst du da Kraft tanken? Sei kein Idiot, verdammt! Wir gewinnen nichts, wenn du ein weiteres Mal verletzt wirst. Du brauchst Zeit, um vollständig zu genesen."

„...."

„Was ist los mit dir?"
 

„....Ich muss immer wieder an den Kampf gegen Darkness denken. Ist dir gar nicht klar, was daran so schlimm für mich war? Ich habe verloren! Ich konnte euch nicht retten, verstehst du?! Ohne Zanes Eingreifen wärt ihr alle gestorben, verbrannt von Lava! Von wegen Anführer! Eine Null bin ich, eine Niete, wie du es stets so treffend ausgedrückt hast! Das Duellieren hat mir alles bedeutet und jetzt....jetzt hat es sich in einen Alptraum verwandelt! Ich hatte mit Niederlagen nie Probleme, aber nun könnte ich so viel mehr verlieren als nur ein Spiel. Ich könnte Menschen verlieren, die mir wichtig sind - und das schon in der ersten Auseinandersetzung! Ich habe versagt. Ich hätte euren Tod nicht verhindern können....und dieser Gedanke tut weh....grauenhaft weh!"

Chazz war wie vom Donner gerührt. Er bemerkte die Tränen, die in Jadens dunklen Wimpern hingen und musste schlucken. Das konnte nicht sein! Er war fröhlich, optimistisch, nur schwer zu beeindrucken und gab niemals auf! Nichts konnte ihm sein Strahlen, die unbändige Kraft seines Wesens nehmen! Unwillkürlich fasste er sich ans Herz. Er ertrug es nicht, den schönen Jungen so zu sehen! Verzweifelt, traurig - das konnte doch nicht sein Jaden sein!

»MEIN Jaden?!?! Bin ich total übergeschnappt?!«

„Nun komm schon....du packst das", versuchte er, dem anderen Trost zuzusprechen, was er nie zuvor getan hatte. „Du bist stark und das weißt du auch. Du lässt dich von nichts und niemandem unterkriegen. Sei zuversichtlich, so wie immer." Er setzte sich neben ihn und legte ihm unbeholfen den Arm um die Schultern.

„Stark....ja, ich bin stark. Aber ich kann nicht fortwährend nur stark sein. Ich bin stark für meine Freunde, für meine Familie, für mich selbst. Doch manchmal....manchmal möchte auch ich schwach sein dürfen. Immer hofft man auf mich, dass ich jemanden auffange oder ihm beistehe....aber ich will mich genauso anlehnen dürfen, will nicht immer nur Stütze sein, sondern auch einmal gestützt werden. Ist das zu viel verlangt?"

„Nein. Das ist nicht zu viel verlangt."

Der Braunhaarige hob die feuchten Augen zu dem Antlitz empor, das ihn so betörte. Graue Seelenspiegel offenbarten ihm ein Verständnis, das er nie bei seinem stolzen Kameraden vermutet hätte und doch war es da. Das seidige Haar bildete einen wundervollen Kontrast zu seiner Alabasterhaut und die herrlichen Lippen schimmerten ganz zart im dezenten Licht des Raumes.

„Chazz....oh Chazz....!"

Bevor Princeton recht wusste, wie ihm geschah, hatte sich Jaden in seine Arme geworfen und verbarg sein Gesicht an seiner warmen Brust. Beinahe automatisch erwiderte er die Umschlingung und zog ihn fest an sich. Die Hitze in ihm wuchs an und er bettete sein Kinn in dem weichen braunen Schopf, der nach Vanille duftete. Ein süßes Shampoo für einen süßen Burschen....sein Herz schlug unglaublich heftig und seine Wangen röteten sich.

»Oh Gott, bitte....das kann unmöglich sein....aber seine Nähe....sein Duft....seine Wärme....Ich halte das nicht aus! Ich habe noch nie so empfunden....Nicht einmal Alexis hat je so etwas in mir ausgelöst....«

»Er umarmt mich....hoffentlich dauert dieser Moment bis in alle Ewigkeit. Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet er es sein würde, der kommt, um mich zu trösten. Er soll mich nicht loslassen....er soll mich niemals mehr loslassen....!«

„Versprich mir, dass du dich ausruhen wirst", bat der Dunkelblauhaarige sanft und schob ihn behutsam in eine liegende Position. „Ich verstehe jetzt, warum du sosehr darauf bestanden hast, Zane nicht alleine gehen zu lassen und wir werden deinem Befehl Folge leisten. Du kannst auf uns zählen. Aber du musst gesund werden, ja?"

Er deckte ihn fürsorglich zu und Jaden bedankte sich mit einem wunderschönen Lächeln. „Ich werde nicht vergessen, dass du heute für mich da warst. Von nun an....sind wir Freunde, oder?"

Chazz räusperte sich beschämt und antwortete: „Ja. Ja, wir sind Freunde."
 

Damit verließ er ihn und traf im Flur auf Bastion, der ihn mit einem freundlichen Grinsen bedachte. „Was ist?!"

„Er ist sehr liebenswert, nicht wahr? Ich will nicht behaupten, dass ich besonders viel von Gefühlen verstehe, das ist wirklich nicht mein Spezialgebiet, aber ich erkenne es, wenn Menschen beginnen, sich zu verändern. Du verlierst deine emotionale Kühle und fängst an, ehrlicher zu dir zu sein. Du achtest jetzt mehr auf die persönlichen Werte als auf die Äußerlichkeiten. Ich glaube, dass es Jaden ist, der das bewirkt hat. Freundschaft ist ein wertvolles Geschenk, und jemand, der meint, es ständig ablehnen zu müssen, betrügt sich meistens nur selbst. Niemand kann in Einsamkeit leben und niemand verdient es, der Liebe entfremdet zu werden. Ich habe auch gesehen, wie deine Brüder dich nach deiner Niederlage im Duell der Schulen behandelt haben....als wärst du ein Werkzeug oder weniger als das. Das war nicht richtig. Gab es mal eine Zeit, in der du deine Geschwister geliebt hast?"

„Als ich noch ganz klein war, aber das ist lange her. Diese kurze Zeit der Liebe kann die Verachtung nicht aufwiegen, die ich jetzt für sie empfinde. Ich habe keine Brüder mehr!"

Es klang hart und verbittert und Bastion musterte den Jüngeren mit aufrichtigem Mitgefühl. „Solltest du jemals das Bedürfnis verspüren, dich bei jemandem auszusprechen oder jemandem dein Herz auszuschütten, kannst du gerne zu mir kommen. Ich bin seit meiner Kindheit eine Anlaufstelle für andere, wenn‘s Schwierigkeiten gibt."

„Ich....ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt."

„Eh? Bedankt? Wofür denn?"

„Na ja, im Kampf gegen Darkness, als die Blase sich auflöste, die uns von der Lava fernhielt. Du hast verhindert, dass ich hineinstürze."

„Aber das war doch selbstverständlich! Du musst dich nicht bedanken!"

„Nein, das war eben nicht selbstverständlich. Dass man sich für andere einsetzt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, dass man einem anderen zuhört und sich nicht nur für sich selbst interessiert....in meiner Familie gibt es das nicht. Es ist für mich nicht selbstverständlich."

„Weder deine Eltern noch deine Brüder sind hier, Chazz. Du bist in der Duellakademie und du kannst hier dein Glück finden, wenn du bereit bist, es zu akzeptieren."

„Was soll das heißen?"

„Das soll heißen, dass man vor seinen Gefühlen nicht davonlaufen darf. Dein Stolz und dein Verstand sind nicht immer die Garanten für richtige Entscheidungen, manchmal stehen sie denen sogar im Weg. Ich habe auch nicht auf meinen Verstand gehört, als ich mich dazu entschloss, ein Anubis Black zu werden. Begreifst du, worauf ich hinaus will? Ich spreche von Jaden. Und wenn ich du wäre, würde ich in diesem Fall auf das hören, was mein Herz mir sagt."

Mit einem vieldeutigen Zwinkern entfernte er sich und ließ den einstigen Obelisk Blue nachdenklich im Korridor zurück. Er hatte sich nie überlegt, wie sich ein älterer Bruder wohl normalerweise verhielt, weil er keine Vorbilder hatte, aber insgeheim hatte er sich stets einen Bruder gewünscht, der für ihn da war und ihm half und ihn als Menschen annahm. Vielleicht sollte er diese Hand ergreifen, die Bastion ihm entgegengestreckt hatte....
 

Atticus war nach wie vor ohnmächtig. Sein regloser Körper war an ein eisernes Gerüst gekettet und von seiner entblößten Brust bis über seinen flachen Bauch zog sich eine blutende Wunde.

Das Gerüst war über einem kleinen Wassergraben angebracht, der jedoch nicht mit Wasser, sondern mit Benzin gefüllt war. Camilla betrachtete gerade zufrieden ihr Werk, als der Mann mit der Goldmaske sich zu ihr gesellte.

„Was machst du hier? Ich habe dir nicht gestattet, meinen Kerker zu betreten!"

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber ich bin nun mal nicht ans Gehorchen gewöhnt. Eine reizende Behausung, zweifellos. Anares wird gar nicht entzückt sein, wenn er herausfindet, was du mit seinem Geliebten angestellt hast."

„Nenn ihn nicht seinen Geliebten! Anares wird mein sein, sobald ich ihm Hiron aus dem Herzen gerissen habe! Außerdem werde ich die übrigen Anubiskrieger gleich mit vernichten! Unser Meister wird stolz auf mich sein, wenn ich ihm die sieben Schlüssel überreiche!"

„Du vergisst eine Kleinigkeit."

„Und die wäre?"

„Der Schlüssel des Ersten Tores ist immer noch versiegelt und außer Hiron kann niemand die Versiegelung brechen. Wenn du ihn umbringst, werden wir uns mit sechs Schlüsseln zufriedengeben müssen, und das dürfte unser Meister weniger lohnenswert finden. Wie willst du überhaupt die restlichen Krieger vernichten?"

„Ich werde das Phantom-Tor beschwören, das ihre Seelen einsaugen und sie in leblose Puppen verwandeln wird!"

„Du willst das Phantom-Tor beschwören? Aber ich dachte, diese Beschwörung ist ein Vampirritus? Verlangt sie nicht ein Blutopfer?"

Camillas spitze Eckzähne blitzten hervor, als sich ihre geschminkten Lippen zu einem maliziösen Lächeln verbreiterten. Sie wies auf Atticus und sagte grausam: „Oh ja - sie verlangt ein Blutopfer!"

Blutopfer (Teil 2)

Und wie versprochen, gleich das neue Kapitel!^^
 

Kapitel 9: Blutopfer (Teil 2)
 

Alexis sass in ihrem Einzelzimmer und bürstete sich ihr langes Haar. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen und auf der Kommode lagen ihre beiden Dolche, die sie ernst betrachtete. Sie hatte trotz Zanes Weigerung die feste Absicht, um ihren Bruder zu kämpfen, mochte die Herausforderung auch nicht ihr gelten. Sie besah sich das Foto, das in der linken Ecke des Spiegels klemmte und das sie als kleines Mädchen an der Seite ihres Onii-san zeigte. Er hatte beschützend den Arm um sie gelegt und strahlte mit ihr gemeinsam in die Kamera. Ihre Mutter hatte das Bild aufgenommen. Atticus trug eine Schuluniform, er war damals in die erste Klasse gekommen. Seit seiner Entführung war eine ganze Nacht und fast ein weiterer Tag verstrichen und der Schattenreiter machte keinerlei Anstalten, sich ihnen zu enthüllen. Warum nicht? Weshalb zögerte er? Versprach er sich etwas davon? War das eine Art krankes Spielchen? Was konnte ihm diese Warterei nützen? Sie schüttelte den Kopf. Warum versuchte sie überhaupt, einen Gesandten der Schatten zu begreifen? Sie legte die Bürste beiseite und dachte darüber nach, ob sie vor dem Abendessen noch die Zeit hatte, sich mit Mindy und Jasmine zu treffen. Seit sie eine Anubis Black war, war der Kontakt zu ihren Freundinnen geschmälert, auch wenn sie sich während des Unterrichts immer sehen konnten. Mindy hatte sich einen Verehrer angelacht und sie wusste noch gar nichts näheres darüber, weil sie keine Gelegenheit gehabt hatte, privat mit ihnen darüber zu reden - der Kampf gegen Darkness war dazwischengekommen.

»Also, auf - es ist noch etwa eine Stunde hell und das Abendessen gibt‘s um acht. Ich gehe sie besuchen! Das wird mich ein wenig von meinen Sorgen ablenken....«

Sie verließ das Zimmer, schlüpfte durch die Geheimtüren und machte sich auf den Weg in Richtung des Frauenhauses der Obelisk Blue. Zu ihrer Überraschung begegnete sie auf halber Strecke Chazz, der auf einer der Bänke sass, die die Umgebung der Schule in unregelmäßigen Abständen säumten. Er hatte die Arme im Nacken verschränkt und starrte in die Luft, als erhoffe er dort die Antworten auf seine Fragen zu finden.

„Oh, hallo, mein Freund!"

„Hm? Ach. Hi, Alexis."

„Du siehst ja ungemein begeistert aus. Stimmt etwas nicht?"

„Nein, alles in Ordnung."

„Und wer soll dir das bei deiner Leichenbittermiene abkaufen?"

„Niemand." erwiderte er kurzangebunden.

Alexis verdrehte die Augen gen Himmel und setzte sich neben ihn. „Du bist mal wieder überwältigend charmant, Chazz. Dich beschäftigt doch etwas. Oder vielleicht sogar jemand?"

„Darf ich dir eine Frage stellen?" erkundigte er sich, ohne auf ihre vorhergehenden Worte zu achten. Bei derartigen Dingen konnte er ganz einfach auf „taub" schalten.

„Natürlich. Was möchtest du wissen?"

„Nehmen wir einmal an, ich wäre....krank. Die Symptome sind Schweißausbrüche, Trockenheit im Mund, ein dumpfes Gefühl in der Magengrube, Herzklopfen und Hitzewallungen. Sie treten auf, sobald ein bestimmter Faktor in meiner unmittelbaren Nähe ist. Was ist los mit mir?"

„Ein bestimmter Faktor löst diese Symptome aus, wenn er in deiner unmittelbaren Nähe ist?" wiederholte sie schmunzelnd. „Ist es ein....hübscher Faktor?"

Er errötete bis unter die Haarwurzeln. Mr. Princeton in höchstem Grade verplant zu erleben, war ein ziemlicher seltener Anblick. „Ja", würgte er schließlich hervor. „Es ist ein....sehr hübscher Faktor."

„Nur hübsch?"

„Wie, nur hübsch?"

„Ist das alles, was dich an diesem Faktor....reizt?"

„Nein. Da wären noch das Lächeln, die Hilfsbereitschaft, der Mut, die ansteckende Fröhlichkeit und das Herz. Ein warmes, freundliches, starkes Herz."

„Ich verstehe. Wenn es so ist, würde ich folgende Diagnose vorschlagen: Du bist verliebt."

Er starrte sie erschrocken an. Offenbar hatte er das nicht hören wollen, denn er stand auf und rannte davon, als wäre ein Rudel Wölfe hinter ihm her. Sie sah ihm irritiert hinterdrein und musste unwillkürlich lächeln. Er war wohl mit seinen Gefühlen noch nicht im reinen....
 

Chazz beendete seinen Dauerlauf erst vor Bastions Zimmertür. Er klopfte an, aber da sich niemand meldete, ging er einfach hinein. Das Geräusch von fließendem Wasser verriet ihm, dass das Genie gerade duschte und so setzte er sich abwartend auf das Bett. Neugierig musterte er den Raum. Entgegen seiner üblichen Gewohnheit hatte der Schwarzhaarige diesmal davon abgesehen, die Wände mit Gleichungen vollzukritzeln, dafür türmten sich auf seinem Schreibtisch etliche Blöcke, die mit Sicherheit die verschiedensten Rechnungen beinhalteten. Auf dem Nachtkästchen lag ein wissenschaftliches Werk über Rückführung und Wiedergeburt sowie ein Ägyptenwälzer. Daneben stand eine gerahmte Fotografie, die den kleinen Bastion in kurzen Hosen und mit einem Riesenteddy im Arm zeigte, hinter ihm lächelten eine schöne Frau mit schwarzen Locken und ein imposanter Mann mit einem Vollbart in die Kamera.

»Das sind bestimmt seine Eltern. Wie glücklich sie zusammen aussehen. Solche Bilder gibt es von meiner Familie gar nicht....«

„He, hallo Chazz! Ich habe gar nicht gehört, dass du reingekommen bist. Vermutlich hatte ich zu viel Wasser in den Ohren."

Bastion trug lediglich ein Paar gelbe Shorts und seine Haare waren nass, sodass der andere ihn zunächst fast nicht erkannt hätte; so ungewohnt sah er aus ohne seine Gel-Frisur. „Was treibt dich denn zu mir? Hast du ein Problem?"

„Du hast mir doch das Angebot gemacht, dass ich mit dir darüber reden könnte, wenn mich irgendetwas beschäftigt....war das ernst gemeint?"

„Aber natürlich. Warum hätte ich es dir sonst anbieten sollen? Hast du vielleicht ein bisschen Hunger? Ich hab Sandwiches da. Oder möchtest du was trinken? Saft, Cola? Meine Eltern schicken mir regelmäßig einen Vorrat an Proviant, weil sie immer befürchten, ich bekäme hier keine ausreichende Verpflegung! Da fällt mir ein, um acht ist Abendessen, also vergessen wir die belegten Brote. Hm....wenn du ein Problem hast, ist Süßkram angesagt." Er öffnete die obere Schublade des Nachtkästchens und holte eine Tafel Schokolade daraus hervor, gefolgt von einer Tüte Erdnussflips.

„Nein, danke. Das ist nett, aber ich möchte nichts."

„Verstehe. Dann ist es was sehr ernstes." Er hockte sich dem Jüngeren gegenüber auf das Bett, rubbelte sich mit seinem Handtuch noch einmal durch die Haare und ließ es anschließend unbeachtet über der Schulter baumeln.

„Worum handelt es sich?"

„Also....das ist irgendwie....schwer zu erklären...."
 

„Aha. Eine Gefühlssache, wie ich mir dachte. Ist es eine Sie oder ein Er?"

„Wie kommst du darauf, dass es auch ein Kerl sein könnte!?"

„Na ja, es war ziemlich deutlich, dass du mal was für Alexis übrig hattest, aber das ist ja nun kein Thema mehr."

„Wie bitte? Warum nicht?"

„Warum wohl? Wegen Jaden! Hör mal, ich selbst bin bi, ich hab ein Gefühl für sowas!"

Chazz wurde in Sekundenbruchteilen fast dunkelrot im Gesicht und rief aus: „Ich dachte, Gefühle wären nicht dein Spezialgebiet?!?!"

„Sind sie auch nicht", entgegnete der Ältere mit der stoischen Gelassenheit, die für ihn so typisch war. „Aber ich laufe nicht mit Scheuklappen durch die Welt. Wer jetzt noch nicht gemerkt hat, dass du auf unseren süßen Anführer stehst, muss blind, taub oder überirdisch naiv sein! Zane ist zwar emotionsmäßig auch nicht gerade ein Genie, aber er ist schwul, also hat er einen einigermaßen geschulten Blick dafür. Alexis ist eine Frau, die können sowas von Geburt an, das ist eine Tatsache. Bleiben also noch Syrus und Jaden. Sy ist naiv und Jay...."

„Um ehrlich zu sein, der ist längst nicht so naiv wie du glaubst!"

„Das weiß ich. Er hatte schon mal einen festen Freund, Geoffrey oder so ähnlich, der war sein Nachbar. Jay vermutet es trotzdem nicht. Der heimliche Angebetete ist immer derjenige, der es als letzter erfährt, das liegt in der Natur der Sache."

„Jeder hier scheint hundertprozentig davon überzeugt zu sein, dass ich in diese Slifer-Niete verknallt bin!! Alexis, du...."

„Lex auch? Kluges Mädchen."

Der Dunkelblauhaarige warf ihm einen eisigen Blick zu, der unter normalen Umständen einen Wasserfall hätte einfrieren können, aber Bastion war vollkommen immun gegen derartige Attacken. Chazz begann, in dem Zimmer hastig auf und ab zu gehen, während der andere ihm amüsiert dabei zusah.

„Noch dazu ist niemand in meinem Bekanntenkreis normal gepolt! Jaden steht auf Männer, du bist bi und Zane ist deiner Meinung nach auch ein warmer Bruder! Als nächstes erzählt mir dann irgendwer, dass Alexis lesbisch ist, oder was?!"

„Solche Bezeichnungen wie ‚warmer Bruder‘ schätze ich nicht besonders. Außerdem, weshalb regst du dich so auf? In unserer modernen Gesellschaft die Homosexualität als Werk Satans zu betrachten, ist nicht nur intolerant, sondern in höchstem Grade lächerlich! Du benimmst dich genau wie die ältere Generation, die das Schwulsein, oder, allgemeiner ausgedrückt, das Nicht-Hetero-sein, als etwas Krankes oder Perverses verurteilt. Ich wette, dass keiner von ihnen sich je mit einem Schwulen oder mit einer Lesbe unterhalten hat, um herauszufinden, wie sich diese Menschen fühlen, wenn sie feststellen, dass sie nicht ‚normal‘ sind! Die meisten sind nur Zuschauer mit abgegriffenen Moralideen, die der gültigen Norm entsprechen! Du kannst doch selbst denken, oder nicht? Musst du dich immer nach dem richten, was andere sagen?"

Der ehemalige Obelisk Blue schwieg und unterbrach sein unruhiges Hin und Her. Obwohl Bastion nur ein paar Monate älter war als er, hatte er den Eindruck, im direkten Vergleich wesentlich unreifer abzuschneiden. Er war noch nicht lange sechzehn und die Frage nach seiner Sexualität hatte er sich nie gestellt, weil er einfach darauf vertraut hatte, hetero zu sein - doch seit er Jaden halbnackt im Thermalbad der Akademie gesehen und Erregung verspürt hatte, war sein Weltbild ins Wanken geraten; ein Weltbild übrigens, das er seiner konservativen Familie zu verdanken hatte. Er konnte es nicht leugnen, er mochte Jaden. Er mochte ihn sogar sehr. Konnte das wahr sein? Dass er genauso fühlte wie Shezar vor viertausend Jahren?

„Und was soll ich tun?"

„Erst einmal musst du dir über deine Empfindungen klar werden, ob es dir ernst ist oder nur eine vorübergehende Schwärmerei, so wie im Fall von Alexis. Wenn du dir sicher bist, musst du es ihm gestehen."

„Bist du verrückt?!"

„He, du wolltest einen Rat und du bekommst ihn! Was würde dir dein Schweigen bringen? Was nützt es, seine Gefühle zu verstecken, wenn du sie doch nicht auslöschen kannst?" Er hielt verwirrt inne. „Mir ist gerade, als hätte ich so etwas ähnliches schon einmal zu dir gesagt. Aber wie dem auch sei - du hast eine Menge übrig für Jaden, und wenn du dich auf den Kopf stellst!"

Chazz streckte ihm schmollend die Zunge heraus und seufzte. Hätte ihm jemand vor einem Monat erzählt, dass er eines Tages eine Schwäche für die Slifer-Niete entwickeln würde, hätte er ihn in die geschlossene Abteilung einweisen lassen. Und heute?

„Bastion?"

„Ja?"

„Gib mir mal die Tüte mit den Erdnussflips...."
 

Die Sonne war vor einigen Stunden am Horizont versunken und die Gruppe der Anubis Black war von gespannter Erwartung erfüllt. Sie waren nur zu fünft, denn Jaden war auf der Krankenstation geblieben. Die Nacht war die Zeit der Schattenreiter, und die starke Aura von Bedrohung und Gefahr, welche die Schule und ihre Umgebung einhüllte, hatte sie zu dem Schluss kommen lassen, dass der Entführer sich endlich zeigen würde. Sie standen bewaffnet vor dem Eingangstor und tatsächlich mussten sie nicht lange auf ihren Widersacher warten. Eine Fledermaus flog aus einem Baum direkt auf sie zu und verwandelte sich vor ihren Augen in eine Frau. Sie war schön, aber ihre spitzen Zähne und ihr grausames Lächeln ließen keinen Zweifel daran, dass sie ein Vampir war. Syrus wurde ein wenig flau im Magen, aber sein Bruder war vollkommen unbeeindruckt.

„Wer bist du?"

„Oh, hast du mich wirklich vergessen, mein geliebter Anares? Ich bin Camilla, der Zweite Schattenreiter. Ich fordere dich zu einem Duell heraus....und wenn ich gewinne, wirst du mir gehören, mit Haut und Haaren!"

„Niemals!"

Er musterte sie voller Abscheu und in seinem Kopf tauchten Bilder seiner Vergangenheit auf. Er kannte sie. Ja, er kannte sie....und plötzlich erinnerte er sich auch daran, wie er Hiron zum ersten Mal begegnet war....
 

~~ RÜCKBLENDE ~~
 

Anares wand sich im Griff seines Vorarbeiters. Der Mann hielt ihn fest und seine Hand wanderte unter den verschlissenen Gehrock seines Opfers.

„Ich werde dir deinen Widerwillen und deinen Stolz schon noch austreiben", raunte der Kerl nahe an seinem Ohr und der Geruch nach Schweiß und Alkohol verursachte dem Grünhaarigen Übelkeit. „Einem Bauarbeiter wie dir steht es nicht zu, aufmüpfig zu sein!"

Obwohl ihm die Angst vor seiner Schändung die Kehle zuschnürte, bäumte er sich auf. Er würde sich nicht nehmen lassen wie ein Liebessklave aus dem Vergnügungsviertel! Sein Knie schnellte nach oben und traf seinen Angreifer zwischen den Beinen. Der Vorarbeiter stöhnte auf vor Schmerz und ließ von ihm ab, um seine Männlichkeit zu schützen. Anares sprang über ihn hinweg und rannte davon, zurück zur Baustelle. Er war der erste Sohn eines armen Dieners und zusammen mit seinem jüngeren Bruder Sokat hatte man ihn zum Bau der Pyramide abkommandiert, die später das Grabmal von Pharao Tutangaton sein sollte. Es war Mittag und die Hitze fast unerträglich. Er hasste es, von den Vorarbeitern ausgepeitscht zu werden, wenn er nicht spurte oder von ihren lüsternen Blicken verfolgt zu werden. Ein Vorfall wie vorhin war keine Seltenheit, aber bisher hatte er es vermeiden können, dass ihm tatsächlich Gewalt angetan wurde. Doch jeder seiner abgewiesenen „Verehrer" würde es ihn büßen lassen - weitere Peitschenschläge, kein Essen, kein Wasser, zusätzliche Aufgaben, keine Ruhepause mehr....Er fluchte und ließ sich von einem seiner Vorgesetzten einen Korb mit Ziegeln auf den Rücken laden, die für den Bau der Grabkammer verwendet werden sollten. Mit schweren Schritten transportierte er sie in Richtung Pyramide, während die Sonne gnadenlos auf ihn herniederbrannte. Vor sich erkannte er Sokat, der angestrengt nach Luft rang und schließlich unter seiner Last zusammenbrach. Sofort war einer der Vorarbeiter da und ließ seine Peitsche knallen.

„In die Höhe mit dir, du Stück Dreck! Los, weiter! Wofür glaubst du, dass du bezahlt wirst?!"

Er holte erneut aus, doch in diesem Moment warf Anares den Korb ab und fing den Schlag mit seinem Arm ab. Die Peitsche wickelte sich um sein Handgelenk und er entriss sie dem Peiniger mit einer schwungvollen Bewegung.

„Wagt es nicht noch einmal, meinen Bruder zu bestrafen! Er hat Euch nichts getan! Er ist nur erschöpft und muss sich ausruhen!"

„Soso, muss er das?" höhnte der andere. „Dann hast du sicher keine Probleme damit, seinen Korb ebenfalls mitzunehmen, oder?"

Anares biss sich auf die Lippen. Sokat war halb bewusstlos und lechzte nach einem Tropfen Wasser. So packte er die beiden Tragekörbe, lud sie sich rechts und links auf die Schultern und setzte seinen Weg fort, während man seinen Bruder in den Schatten legte, wo Amphoren mit dem kostbaren Nass standen. Eine alte Dienerin erfrischte den Jüngling. Stunden später schleppte der Grünhaarige noch immer Ziegel hin und her, obwohl schon längst Essenszeit war. Er konnte sich allerdings denken, warum er nicht abgelöst wurde. Er erlebte alles nur noch in einem merkwürdigen Dämmerzustand; der Schweiß rann ihm in Strömen vom Körper, seine Glieder schmerzten höllisch, seine Kehle war rau und trocken und die Riemen des Korbes schnitten ihm ins Fleisch. Er sackte in die Knie, verlor seine Last und stürzte zu Boden. Durch einen Nebel aus Qual hörte er das Klappern von Hufen und das Wiehern von Pferden. Dann erhob sich eine Stimme über den Tumult: „Was geht hier vor?! Die Vorarbeiter zu mir, alle! Meine Schwester Nefretaria und ich sind gekommen, um im Namen des Pharaos die Baustelle zu überprüfen! Habt Ihr noch nicht begriffen, dass das Auspeitschen Eurer Untergebenen per Gesetz verboten ist!? Was ist mit diesem Arbeiter? Wollt Ihr ihn da liegenlassen? Bringt mir eine Schale Wasser, sofort!"
 

Anares merkte, wie Schritte sich näherten und sein Körper angehoben wurde, damit er trinken konnte. Seine Lider flatterten, als der Unbekannte ihm die Schale an die Lippen setzte und er trank gierig, in langen Schlucken. Als es ihm gelang, die Augen zu öffnen, blickte er in das Antlitz, das er niemals mehr vergessen sollte. Er trug ein schwarzes Gewand, gerafft mit einer goldenen Schärpe, dazu einen schwarzen Umhang und eine Kette mit einem eigenartig geformten Anhänger. Sein Goldschmuck funkelte in der Sonne und ein prachtvolles Langschwert war auf seinen Rücken gegurtet. Er besass ein edel geschnittenes, schönes Gesicht mit ausdrucksstarken braunen Augen, einer geraden Nase und sinnlichen Lippen, umrahmt von einer Flut braunen Haares, das auf seine breiten Schultern fiel. Er lächelte ihn an und sagte freundlich: „Ich habe sie beauftragt, dir die Essensration zu geben, die jedem Arbeiter zusteht. Wie ist dein Name?"

„Ich....ich heiße Anares, Herr. Und darf ich fragen, wer Ihr seid?"

„Ich bin Hiron, der Wächter des Ersten Tores, einer der Krieger des Anubis. Unser Pharao sucht noch immer nach fähigen Rekruten für die freien Posten bei uns. Momentan sind wir zu viert, es fehlen also noch drei Mitglieder. Wenn du etwas Besseres mit deinem Leben anfangen willst, kannst du dich bewerben. Die Ausbildung ist kurz, aber sehr hart. Würdest du dir das zutrauen?"

„Warum....macht Ihr mir dieses Angebot?"

Hiron strich ihm sanft über die Wange und er erschauerte bei dieser Berührung. „Ich weiß nicht genau....vielleicht, weil deine Augen mich verzaubert haben und ich mir wünsche, dich wiederzusehen? Ich habe wirklich noch nie solche Augen gesehen....tief und bestechend und grün wie die Wasser des Nils....Ich erkenne den Stolz in ihnen. Diese schlechte Arbeit ist deiner nicht würdig. Sehen wir uns wieder?"

„Ich möchte Euch wiedersehen."

„Dann wirst du erreichen, was du dir vorgenommen hast...."
 

Er war damals neunzehn Jahre alt gewesen und Sokat siebzehn. Es war ihnen beiden gelungen, die Ausbildung zu meistern und die abschließende Prüfung - einen Kampf gegen Kail, den Anführer der Krieger - zu bestehen. In einer feierlichen Zeremonie erhielten sie von Kardasch, dem Hohepriester des Anubis und Kails Vater, den Schlüssel der Freiheit und den Schlüssel der Hoffnung, um jeweils ein Tor zu bewachen. Ein Jahr später trat Shezar der Gruppe bei und die Siebenzahl wurde komplett. Während dieser Zeit entwickelte sich zwischen Anares und Hiron eine enge Freundschaft, die letztendlich zu einer tiefen Liebe heranreifte. Sie waren glücklich zusammen....bis....

Bis Onuris, der zweitmächtigste Mann Ägyptens, seinen Pharao verriet und die Schattenreiter um sich sammelte. Viele leidvolle Kämpfe wurden ausgefochten, um die Kräfte der Heiligen Ungeheuer zu beschützen, die in drei alten Steintafeln ruhten (damals gab es ja noch keine Spielkarten), verborgen im Inneren der großen Pyramide, die den Heiligen Bezirk dominierte. So kam es auch zu der Schlacht, die Anares bis an sein Lebensende in Alpträumen verfolgen sollte - die Schlacht, in der er seinen Geliebten verlor. Hiron kämpfte verbissen gegen die Vampirin Camilla, die genau wie Kail mit zwei Schwertern angriff, obwohl sie in ihrer Handhabung nicht ganz so perfekt war. Sie drängte ihn immer weiter zurück, bis er eine Hauswand im Rücken spürte und nicht mehr ausweichen konnte. Durch den Tumult der übrigen Gefechte, die sich um ihn herum abspielten, hörte er Anares‘ Stimme, die seinen Namen rief.

„Endlich ist es soweit....ich werde dir die Kehle durchschneiden und mich an deinem Ende weiden, du verfluchter Bastard! Wenn es dich nicht gäbe, wäre der schöne Hüter des Dritten Tores schon längst mein Gefährte! In jener Nacht, da ist erstmals meinen Blick auf ihn richtete, wusste ich es sofort: Dieser Mann war würdig, mein Begleiter durch die Jahrtausende zu sein! Aber du....du warst an seiner Seite! Du warst derjenige, dem er sein Herz schenkte! Für mich hatte er nichts als Verachtung!" Ihre ebenmäßigen Züge verzerrten sich in blindem Hass und sie hob eine ihrer Klingen.

„Also wirst du sterben....und Anares und ich werden gemeinsam die Ewigkeit erleben!"

„Wage es nicht!!" Ein Wurfmesser verletzte ihr die Hand und sie ließ das rechte Schwert fallen. Der junge Mann hatte sich vor Hiron aufgebaut und fixierte sie mit seinen grünen Augen. Im Gegensatz zu den anderen Anubiskriegern (außer seines Anführers, denn Kail hatte sie ausgebildet und beherrschte demzufolge mehrere Kampfstile hervorragend, auch wenn er die Zwei-Schwerter-Technik bevorzugte) hatte er sich nicht nur auf eine, sondern auf zwei Waffen spezialisiert, von denen er die eine, die zweischneidige Lanze, jedoch nur selten benutzte. Diesmal hatte er sie aber bei sich und er schwang sie drohend im Kreis, um Camilla einzuschüchtern. Sie lächelte.

„Glaubst du denn wirklich, du hättest eine Chance gegen mich? Warum zögerst du unsere Verbindung hinaus? Sobald ich dich gebissen habe, bist du mein - und niemand wird deine Verwandlung in einen Vampir verhindern können."

Er antwortete nicht, sondern stürzte sich auf sie. Er verabreichte ihr mit der Lanze, die er geschickt und schnell einsetzte, klaffende Schnittwunden an Armen und Oberkörper, doch die gewalttätige Konfrontation schien sie eher zu begeistern denn zu ängstigen. Erneut schlug er zu - doch zu seiner Verblüffung löste sich Camilla ins Nichts auf, als sein Hieb sie traf. Eine Illusion! „Dummer Junge....du musst noch eine Menge lernen", bemerkte sie geringschätzig, sie, die in Wahrheit hinter ihm war, nicht vor ihm. Sie hatte Hiron am Hals gepackt und würgte ihn. Als Anares herumfuhr, blitzte ihr Schwert im fahlen Mondlicht und drang tief bis in die Eingeweide ihres Opfers.

„HIRON!!!"

Er stieß sie grob beiseite und kniete sich zu dem Brünetten hinunter, der zitternd eine Hand auf die Wunde gepresst hatte. Der Sandboden wurde nass von seinem Blut.

„So endet es also....Verzeih, dass ich dich in so einer schweren Stunde allein lasse, mein Liebster...."

„Sag das nicht! Die Blutung muss nur gestoppt werden und dann...."

„Nein. Das genügt nicht. Sie hat meinen Körper durchstoßen. Richte meiner Schwester aus, dass sie nicht zu traurig sein soll....sie schafft es auch ohne mich. Und du....du weinst ja....Das habe ich bei dir noch nie gesehen....sei jetzt tapfer....Geliebter...."

Sein Kopf kippte nach hinten, ein dünner Faden Blut quoll ihm aus dem Mund. Er war tot. Anares umklammerte ihn in einer wilden, fassungslosen Geste des Schmerzes, während heiße Tränen über seine Wangen liefen.

„Nein....NEIN!!!!"
 

~~ ENDE DER RÜCKBLENDE ~~
 

In Zane wallte mit plötzlicher Wucht eine Woge glühenden Zorns nach oben, die ihm fast den Atem abschnürte. Atticus war zwar praktisch ein Fremder für ihn, aber die Gefühle in dieser Erinnerung waren zu machtvoll, zu intensiv, um ihnen zu widerstehen.

„Wo ist mein Bruder?!" rief Alexis aus und richtete einen ihrer Dolche auf die Vampirin. „Du lässt ihn auf der Stelle frei oder ich töte dich!!"

„Starke Worte für eine so unbedarfte Sterbliche wie dich. Du hast Mut, das muss ich dir neidlos zugestehen. Unglücklicherweise hast du nicht ebensoviel Verstand, sonst wüsstest du, dass man einen Vampir nicht einfach so umbringen kann. Deine Waffen können mich verletzen, mich aber nicht töten. Wenn du deinen teuren Bruder unbedingt wiedersehen willst, bitte!"

Sie schnippte einmal mit den Fingern und in der nächsten Sekunde befanden sie sich in dem unterirdischen Kerker, wo Atticus noch immer an das Gerüst gekettet war. Sein regungsloser Zustand und die scheußliche Wunde fachten die Wut des Mädchens und des Grünhaarigen noch mehr an. Auf seiner linken Wange war ebenfalls eine Verletzung - sie hatte ihm ein Pentagramm in die Haut eingeritzt. In ihren Händen materialisierten sich zwei Schwerter und Zane umfasste den Schlüssel um seinen Hals. Er begann zu leuchten.

„Lanze!" befahl er und wunschgemäß erschien die Waffe, ordentlich auf seinen Rücken geschnallt. Er entfernte die schützenden Scheiden von den Klingen und kreuzte eine davon mit den Schwertern. Sie schnippte ein weiteres Mal und aus einem Korridor des Kerkers kam ein Rudel Werwölfe herein marschiert. Einer von ihnen trug eine Fackel.

„Aus eurem Duell mit Darkness dürftet ihr eins gelernt haben: Ihr bekommt immer ein Handicap!"

Die Kreatur entzündete das Benzin in dem Becken, über dem das Gerüst schwebte und die Flammen hüllten Atticus ein wie in einem Inferno. Alexis schrie verzweifelt auf. „Und jetzt zeig, was du kannst, mein irregeleiteter Gefährte!"

„Ich bin nicht dein Gefährte!!"

Hart klirrten die Waffen aufeinander, während Chazz und Co. sich mit den Werwölfen auseinander setzen mussten. Es war ein erschreckend ausgeglichener Kampf, denn Camilla wurde von ihrem jahrtausendealten Verlangen getrieben und Zane von seiner Wut. In der Regel gab er seinen Emotionen nie so bewusst nach, aber das hier war eine Ausnahme. Die Lanze beschrieb tödliche Bögen, denen sie immer wieder elegant auswich. Sie wehrte seine Attacken erfolgreich ab und blockte seine Finten, wobei sie nicht darauf verzichtete, ihr höhnisches, aufreizendes Lachen erklingen zu lassen. Bastion war unterdessen damit beschäftigt, einem der Werwölfe den Schädel mit seinem sichelförmigen Schwert zu spalten und Syrus streckte mit seinen Pfeilen nacheinander ihre Angreifer nieder. Chazz wirbelte mit seinen beiden Spießen durch die Luft, als hätte er nie etwas anderes getan und schlitzte dabei seinen Gegnern die Kehlen auf. Alexis bohrte ihren Dolch gerade in einen zottigen Unterschenkel und schlug den zweiten in den Bauch der Bestie, ehe die brutalen Krallen sie erwischten. Ihre Augen flirrten zu den grässlichen Flammen hinüber, denen das Leben ihres Bruders ausgeliefert war. Was konnte sie nur tun, um ihn zu retten? Sie sah sich um. Die Kerzen an den Wänden boten nur ein dämmriges Licht, leblose Körper mit schmutzigem Fell türmten sich auf dem mit Blut besudelten Steinboden, und ihre Freunde wehrten sich mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Horde von Werwölfen, die ihnen zahlenmäßig überlegen waren. Das Feuer ließ die Luft stickig werden und der Rauch kratzte im Hals. Zane drehte sich gerade um die eigene Achse, um die Vampirin in der Magengegend zu verwunden, als dieser fledermausartige Flügel aus dem Rücken wuchsen und es ihr erlaubten, sich in die Höhe zu erheben. Sein Schlag ging ins Leere. Camilla flog zu Atticus hinüber und zückte eines ihrer Schwerter. Ihr Gesicht war zu einer grausamen Fratze verzerrt und sie lächelte boshaft, als sie ihm vorsichtig die linke Pulsader anschnitt. Blut floss in einem dicken Strahl in das brennende Becken hinunter und sie hielt das Handgelenk an ihre Lippen, um zu trinken. Dann murmelte sie eine Zauberformel in irgendeiner alten Sprache und mit einem lauten Getöse aus Blitzen und Donner manifestierte sich das Phantom-Tor im Raum. Es tat sich auf und ein gigantischer Sog drohte, sie alle hineinzuziehen.
 

Die Blonde verfolgte entsetzt, wie die Seelen der Werwölfe sich von ihren Körpern lösten und im Inneren des Tores verschwanden. Die hässlichen Leiber der Kreaturen verwandelten sich in Voodoopüppchen. Die magischen Schlüssel reagierten prompt und hüllten ihre Träger in ein goldenes Licht ein, das Seele und Körper zusammenhielt. Nichtsdestotrotz machte es ihnen der Sog unmöglich, sich zu bewegen. Zane stemmte sich gegen den tosenden Wind und stand nun dicht vor der Flammenwand, hinter der sich Camilla mit ihrem Opfer verschanzt hatte. Atticus würde verbluten, wenn er nicht bald etwas unternahm! Er hörte die Schreie seiner Kameraden, hörte seinen kleinen Bruder, starrte ins Feuer, starrte in das spöttische, selbstzufriedene Antlitz der Vampirin - und entschied sich. Ohne sich um seine eigene Person zu kümmern, stieg er in das Becken und watete durch die Feuersbrunst auf sein Ziel zu. Das Licht des Schlüssels schütze ihn, aber dennoch konnte er die sengende Hitze des Infernos spüren. „Lass ihn frei." sagte er mit kalter Stimme.

„Du kannst nichts mehr für ihn tun, er ist so gut wie tot. Wirklich bedauerlich, dass eure Liebesgeschichte so frühzeitig enden muss!" Sie neigte sich vor und küsste ihn auf den Mund. Zane wurde schlecht, ein ungeahnter Ekel kroch in ihm hoch und lähmende Angst bemächtigte sich seiner. Er fühlte, wie sie ihre Arme in die richtige Position brachte, um ihn zu halten, damit sie ihre Zähne in seinen Hals graben konnte. Ihr eisiger Atem streifte sein Ohr....jede Sekunde würde es vorbei sein....

Sie kreischte auf und ließ von ihm ab. In ihre linke Schulter war ein Pfeil eingedrungen und als Zane sich umdrehte, gewahrte er in ein paar Metern Entfernung von dem Feuer die Gestalt seines Ototo. Syrus stand dort mit erhobenem Bogen, eine Entschlossenheit im Gesicht, die ihm völlig neu war. Die Brüder nickten sich gegenseitig zu und der Wächter des Dritten Tores zögerte nicht länger. Er schwang seine Lanze und schlitzte Camilla den Bauch auf. Sie fiel zuckend in die Flammen und ihre mentale Verbindung mit dem Phantom-Tor wurde unterbrochen, sodass die Beschwörung in einem grellen Lichtblitz erlosch. Er achtete nicht darauf, sondern nahm ihr den Schlüssel für die Ketten ab, den sie um den Hals trug. Hastig befreite er Atticus von seinen eisernen Fesseln und schleppte ihn auf seinen Armen nach draußen. Der Körper des Braunhaarigen wies Brandwunden auf und war auch sonst schlimm zugerichtet, aber er lebte. Die fünf Anubis Black ergriffen die Flucht und fanden die Treppe, die aus dem Kerker nach oben führte. Sie stolperten ins Freie und schöpften frischen Atem, als Camilla hinter ihnen erschien. Ihre Verletzungen heilten bereits von selbst und sie grinste teuflisch.

„Du hast noch nicht gesiegt, Anares! Ich bin ein anderes Kaliber als dieser beschämende Darkness-Verschnitt, der für die Schattenreiter eine einzige Schande war! Der wahre Darkness würde sich im Grabe umdrehen, wenn er miterlebt hätte, wie Hiron seinen berühmten Namen in den Dreck zieht! Ich habe mir geschworen, dass ich dich kriege, dass du mein Geliebter wirst....und ich lasse mich....nicht aufhalten!"

„Da muss ich dich leider enttäuschen. Es ist aus mit dir!" entgegnete Chazz und zeigte zum Horizont, wo die ersten Strahlen der Morgensonne über den Himmel spitzten. Sie loderten mit grausamer Reinheit auf Camillas Haut und sie stieß unartikulierte Flüche aus, während ihr Körper sich langsam in Staub auflöste.

„Nein, so darf es nicht enden! Ich will das nicht! Ich will das nicht!!!"

Aber es war zu spät. Alles, was von ihr übrig blieb, war ein formloser Haufen Asche - und ihr Schattentalisman, ein goldener Halsreif. Bastion, das Haar zerzaust und Schmutzflecken sowie blutige Kratzer im Gesicht, hob ihn auf und flüsterte: „Gott sei Dank....es ist vorbei."

Alexis betrachtete schluchzend ihren Bruder, der in Zanes Armen lag. „Er ist schwer verwundet. Wir brauchen einen Notarzt. Er hat viel Blut verloren. Hoffentlich schafft er es....ach Nii-san, das ist einfach nicht fair...."

Princeton holte sein Kommunikationsgerät aus der Tasche und schickte eine Nachricht an die Krankenstation. Auf dem kleinen Bildschirm tauchte wenig später das Konterfei von Doktor Ishida auf, dem Oberarzt, der heute Nachtschicht hatte.

„Guten Abend, Sir. Oder besser: Guten Morgen. Wir haben hier einen Notfall...."
 

~~***~~
 

Atticus lag in der Intensivabteilung der schulischen Krankenstation. Man hatte ihn fachmännisch versorgt, seine Verletzungen gereinigt und verbunden und vor allem die Blutung der angeschnittenen Pulsader gestoppt. Doktor Ishida hielt sich nicht groß mit Fragen auf, wie das dem armen Burschen hatte passieren können, er machte einfach seinen Job, gut, sicher und schnell. Die Schwestern kümmerten sich um die leichten Wunden der übrigen Patienten. Direktor Sheppard war mit von der Partie; er sah äußerst besorgt aus.

„Wie geht es meinem Schüler, Ishida-san? Er wird doch wieder gesund?"

„Er hat ein paar Verbrennungen ersten Grades an den Beinen, aber die heilen ohne Probleme aus. Die anderen Verletzungen sind risikoreicher, doch der Junge hat eine Rossnatur. Trotzdem braucht er viel Ruhe und Zeit, damit sein Körper sich regenerieren kann. Was den Schnitt über seine Brust und seinen Bauch betrifft - es war ein gerader Schnitt, daher glaube ich, dass keine Narbe zurückbleiben wird. In eineinhalb bis zwei Monaten ist er so gut wie neu."

Alexis seufzte erleichtert, als sie die Diagnose hörte und erkundigte sich: „Kann ich kurz zu ihm? Er ist mein Bruder, wissen Sie."

„Gern, junge Dame."

„Dürfte ich auch....?"

„Sind Sie mit ihm befreundet, Mr. Truesdale?"

„Das ist schon in Ordnung. Er darf mitkommen." erklärte das Mädchen lächelnd.

Sie verschwanden im Zimmer von Atticus und Chazz stahl sich heimlich davon, in die Abteilung der weniger kritischen Fälle, wo Jaden untergebracht war. Er war wirklich froh, dass der vergnügte Sechzehnjährige diesen abscheulichen Kampf nicht hatte miterleben müssen - die erdrückende nervliche Anspannung, die um vieles anstrengender gewesen war als bei ihrem ersten Duell der Schatten, Camillas Grausamkeit, das Blut und die furchterfüllte Atmosphäre, die Aura von Hass und Tod....Dennoch hatte er neue Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel....ja.

Syrus, der „Gartenzwerg", hatte sich in seinen Augen bewiesen. Natürlich prägte ihn dieses Ereignis, doch er schien weitaus selbstbewusster damit fertig zu werden, seit er Zane vor dem Vampirbiss gerettet hatte. So viel Mumm hätte er dem Kleinen niemals zugetraut! Er hielt vor der Tür, neben der das Schild mit dem Namen „Jaden Yuki" hing. Er klopfte an und wurde hereingebeten. Der Brünette sass aufrecht in seinem Bett und hatte einen Skizzenblock auf den Knien. Auf dem Nachtkästchen lag eine Schachtel mit Kohle- und Bleistiften und dazwischen ein Radiergummi, ein Spitzer und ein paar Pastellkreiden.
 

„Du bist schon wach? Um diese Uhrzeit?"

„Hallo Chazz. Wie schön, dass du mich besuchen kommst. Ich konnte nicht schlafen. Ich habe die Aura eines Schattenreiters gespürt und fragte mich die ganze Zeit, wie es euch wohl ergangen ist. Die Aura ist erloschen, also habt ihr gewonnen, nicht wahr?"

„Ja. Unser Feind war diesmal eine Vampirfrau, sie hieß Camilla. Ihr schien es gar nicht so sehr um die Schlüssel als vielmehr um Zane zu gehen. Er sollte ihr Gefährte werden."

„Oho. Und sonst? Ist Atticus wieder zurück? Was ist alles passiert, erzähl doch!"

„Könnten wir damit noch warten? Ich muss das alles selbst erst einmal verdauen. Nanu, ein Block? Ich wusste gar nicht, dass du zeichnen kannst. Darf ich das Bild mal sehen?"

„Es ist nichts besonderes...." wehrte Jaden verlegen ab und wurde rot. Der Dunkelblauhaarige runzelte die Stirn. Er hatte noch nie gesehen, dass der andere errötete, aber es war irgendwie reizend. Er wirkte plötzlich so schüchtern und süß....

„Möchtest du nicht, dass ich es mir anschaue?"

„Ich weiß nicht recht....es ist noch nicht fertig...." Schließlich drehte er es um, damit sein Freund sehen konnte, woran er gerade malte. Von dem Papier lächelte Chazz Princeton in die Welt; es war ein Porträt in zarten Farbtönen, nur die Augen waren noch nicht koloriert.

„Ich scheitere immer an deinen Augen....Es gelingt mir nie, ihre Einzigartigkeit einzufangen. Ihre Schönheit lässt sich von meinen Händen einfach nicht fassen."

„Eh? Aber....aber, ich....Jaden....das Bild ist wunderschön...."

»Mist, warum werde ich rot?! Diese Komplimente entnerven mich echt! Ich hätte nie gedacht, dass er so ein Talent hat! Das Porträt strahlt förmlich, es ist richtig lebendig! Wie konnte er mich nur so malen, so....so voller Gefühl?«

„Findest du das im Ernst?"

„Natürlich. Du kennst mich gut genug, um zu wissen, dass ich nicht ohne weiteres was Nettes sage - es sei denn, ich habe einen akzeptablen Grund dafür!"

„Es gefällt dir also? Das freut mich sehr, ehrlich! Vielen Dank, Chazz!"

Er drückte ihm einen Kuss auf die Wange und wäre in diesem Moment nicht Schwester Carmichael hereingekommen, um nach ihrem Patienten zu sehen, wäre der Hüter des Sechsten Tores wohl in Konkurrenz mit einer Tomate getreten. Zwar hatte sich sein Gesicht deutlich erhitzt, doch aufgrund der Anwesenheit einer dritten Person schaffte er es, seinen letzten Rest an Selbstbeherrschung zusammenzukratzen und auf butterweichen Beinen das Zimmer zu verlassen. „Ich besuche dich morgen noch einmal und erzähle dir alles", würgte er mühsam hervor und wurde mit einem umwerfenden Lächeln belohnt. Draußen berührte er diese Wange, auf die Jaden seine sanften, warmen Lippen gepresst hatte und erschauerte. Sein Herz begann zu rasen.

»Scheiße....verdammte Scheiße! Ich bin....verliebt....in den Kerl....! Ich bin verliebt in ihn!!«

Das Geisterfest

Meine lieben Leser! Dieses Kapitel wäre eigentlich schon seit zwei Wochen online, aber aus irgendeinem Grund ist es praktisch von animexx verschluckt worden. Zwar steht es immer noch unter "noch nicht freigeschaltet" in der FF-Verwaltung, aber es ist offensichtlich in Vergessenheit geraten. Daher lade ich das zehnte Kapitel noch einmal hoch, in der Hoffnung, dass es diesmal freigeschaltet wird.

Ich wünsche Euch viel Vergnügen!
 

Kapitel 10: Das Geisterfest
 

Drei Wochen waren nach Camillas Vernichtung vergangen und das berühmte Duel Monsters Geisterfest, das alljährlich an der Akademie gefeiert wurde, stand bevor. Es gab Musik, Attraktionen und gutes Essen; außerdem war es üblich, sich an diesem Tag als eines der Kartenmonster zu verkleiden. Aus diesem Anlass hatte Direktor Sheppard seine Anubis Black zu sich ins Büro gerufen, um mit ihnen zu sprechen. Diesmal waren sie zu sechst, denn Jaden war mittlerweile genesen und hatte die Krankenstation verlassen dürfen. Atticus war leider immer noch nicht wieder aufgewacht und Alexis besuchte ihn jeden Abend, um sich nach seinem Zustand zu erkundigen. Die Schwester hatte ihr berichtet, dass er manchmal Alpträume habe, in denen er vor den „Schatten" fliehe, aber sie hielt das für die normalen Schreckensbilder, die einen Menschen heimsuchen konnten. Das Mädchen wusste es besser. Ihr Bruder verarbeitet seine Erlebnisse mit den Schattenreitern.

„Ihr habt euch bisher sehr gut geschlagen - Darkness ist wieder der, der er einmal war und die Vampirin Camilla ist tot. Die Sieben Schlüssel befinden sich nach wie vor in unserem Besitz und für drei Wochen war es uns vergönnt, die vergangenen Ereignisse zu verdauen. Heute steigt das große Geisterfest und ich möchte, dass ihr euch keine Sorgen macht. Natürlich sollt ihr die Augen offen halten, aber das wichtigste ist, dass ihr euch amüsiert und euch nicht euer junges Leben ruinieren lasst, nur weil man euch diese Verantwortung aufgelastet hat. Habt Spaß, kostümiert euch und feiert, versprecht ihr mir das?"

„Jawohl, Sir!" riefen Jaden und Syrus im Chor und sie freuten sich über ihr Einverständnis. Bastion hatte all seine Überredungskünste aufbieten müssen, um Chazz davon zu überzeugen, sich ebenfalls in eine Karte zu verwandeln und während Alexis zu ihren beiden Freundinnen eilte, mit denen zusammen sie als die Drei Harpyienschwestern auftreten wollte, trafen sich Misawa und Mr. Princeton in dessen Zimmer, um sich umzuziehen. Der Ältere wurde zum berühmten Flammenschwertkämpfer und dieses Outfit sass an seinem durchtrainierten und muskulösen Körper wirklich hervorragend. Der Jüngere trat als der Schwarze Magier in Erscheinung und war einfach ungemein sexy in dem schwarz-violetten Kostüm, das verdammt eng anlag. Sein bewaffneter Kamerad sorgte sogar dafür, dass Chazz mit ein wenig Make-up umgestaltet wurde: Seine Augenlider waren nun dunkel geschminkt, fast ein wenig ägyptisch. Das Endergebnis konnte sich jedenfalls sehen lassen. So gekleidet, waren sie bestens dafür geeignet, sowohl weibliche als auch männliche Herzen zu beunruhigen und diese Aussicht wirkte sich auf den bislang missgestimmten jungen Mann bemerkenswert gut aus, denn auch wenn er es nicht zugab, wollte er Jaden beeindrucken.
 

»Es war schwer für mich, mir einzugestehen, dass ich mehr als Freundschaft für ihn empfinde - doch jetzt, wo ich mir über meine Gefühle klar geworden bin, scheint die quälende Verwirrung der vorigen Wochen nur noch ein böser Traum zu sein. Ich weiß, dass mein Stolz sich dagegen gesträubt hat, dass mein Verstand sich gegen diese Erkenntnis stemmte, als müsse er einen Feind zurückdrängen....aber die Wahrheit ist immer besser als jedes Leugnen, das habe ich nun gelernt. Ich frage mich, ob sich Jaden in einen Typen wie mich verlieben könnte?«

Die Sonne strahlte auf sie herunter und munteres Stimmengewirr erfüllte die Luft. Das gesamte Akademiegelände glich einem Basar, man hatte Lampions für die späteren Stunden aufgehängt, Girlanden und Bänder schmückten die Bäume und Verkaufsbuden. Hier lockte ein Schießstand mit süßen Plüschtieren, dort konnten Karten getauscht und Decks erweitert oder aufgestockt werden; hier erhob sich eine ganze Gasse aus Häuschen, hinter deren Theken köstliche Leckereien feilgeboten wurden und dort wurden bunte Lose verkauft. Die Schüler und Schülerinnen, die meisten von ihnen verkleidet, glichen einem farbenfrohen Meer, das langsam hin und her wogte. Bastion gönnte sich eine kleine Sünde und kaufte sich eine Schokobanane, während Chazz das lustige Treiben mit stillem Vergnügen beobachtete.

„Hallo, Leute! Ihr seht ja echt toll aus!"

Sie brauchten eine Weile, um den kleinwüchsigen Jungen zu erkennen, der sie lächelnd begrüßte. Es war tatsächlich Syrus, der sehr putzig aussah. Er war ein Geflügelter Kuribo. Er hatte eine gebauschte braune Perücke mit lauter Zotteln ausgewählt, sein gleichfarbiger Ganzkörperanzug mit dem Fellbesatz und dem Flügelpaar am Rücken vervollkommnete seine Erscheinung. Eine alte Sonnenbrille mit runden Gläsern war so bemalt, dass man sie als Kuribos Augen betrachten konnte. Hinter ihm kam Zane zu ihnen herüber. Auch er hatte sich zu einer Kostümierung breitschlagen lassen, und zwar von seinem kleinen Bruder, der ihn gnadenlos mit seinem niedlichsten Hundeblick traktiert hatte, bis es ihm gelungen war, seinem Onii-san eine Zustimmung abzuluchsen. Als Elfenschwertkämpfer war er mit der Rüstung, der schimmernden Klinge und den spitzen Ohren äußerst imposant.

„Sieh an, der Flammenschwertkämpfer und der Schwarze Magier. Ich habe auch Alexis gesehen. Sie und Mindy und Jasmine bilden die Harpyienschwestern. Sie wirken richtig echt."

„Und Jaden? Ist er dir schon über den Weg gelaufen?"

„Wenn du Jay suchst, musst du zu dem gemalten Duellfeld auf der Festwiese gehen." erklärte der Türkishaarige und rückte seine Sonnenbrille zurecht. „Dort finden die Kostümduelle statt, moderiert von Professor Crowler. Er ist mit Abstand am schrägsten verkleidet!"

„Was ist er?"

„Mokie-Mokie."
 

„Im Ernst?! Das muss ich sehen!" rief Bastion aus und lief los, dicht gefolgt von Chazz, der durchaus nichts dagegen hatte, den hübschen Brünetten in einem Duell zu erleben. Eine große Menschenmenge hatte sich um die künstliche Rasenarena versammelt, umringt von dem jubelnden Publikum stand Professor Crowler in seinem unzurechnungsfähigen Outfit und erklärte den Zuschauern die Wirkung der Karte, die das Mädchen gespielt hatte, das im übrigen die „Finstere Todesangst" darstellte. Mit ihrer unheimlichen Lache benahm sie sich auch sehr rollenkonform. Ihr Gegner war natürlich Jaden, der mit 800 Lebenspunkten hinten lag.

„Es wäre besser für dich, du würdest aufgeben, du armseliges gefiedertes Hühnchen!"

Er zuckte mit keiner Wimper. Er war als Avian verkleidet und sah absolut heiß aus. Die drei Farben des Kostüms, grün, weiß und rot, passten hervorragend zu seinem brünetten Typ. Der hautenge Anzug, der die Körperzeichnungen des Monsters nachahmte, überließ praktisch nichts der Fantasie, und das Bustier, das Avians Muskeln (Sixpack etc.) verdeutlichte, war insgesamt besser bestückt als Jaden selbst, aber es war leicht durchsichtig und ließ aufgrund dessen erkennen, dass der Sechzehnjährige wohltrainiert und sportlich war und eine gute Figur besass. Das eindrucksvolle Flügelpaar am Rücken und die Maske, die Jadens Augenpartie verdeckte und ihm eine geheimnisvolle Ausstrahlung verlieh, taten das übrige, um diesen Anblick für Chazz unvergesslich zu machen.

„Wenn du jemanden gefragt hättest, der mich kennt, hätte er dir mit Sicherheit gesagt, dass ich niemals aufgebe! Mein Zug! Ich rufe Elementarheld Avian aufs Feld und spiele Fusion! Jetzt kann ich Avian und Burstinatrix miteinander verschmelzen und erhalte den Flammenflügelmann!"

„Oh nein!!"

„Oh doch!! Sag deinem Verteidigungsmonster und deinen Lebenspunkten Lebewohl!"

Der Flammenflügelmann ging zum Angriff über und in einem gigantischen Feuerwirbel fiel der Punktezähler der „Finsteren Todesangst" auf Null. Crowler war offenbar nicht begeistert.

„Und schon wieder hat Mr. Yuki gewonnen....das wird allmählich langweilig....Möchte noch jemand gegen ihn antreten?...." Mehrere Hände schossen nach oben. „....ohne dabei mit ihm ausgehen zu wollen?" Die Hände senkten sich wieder und der Dunkelblauhaarige bemerkte, dass sich neben den Mädchen wirklich ein paar Jungs gemeldet hatten. Unwillkürlich stieg Ärger in ihm auf, den er zu unterdrücken versuchte.

„Hmmm....wirklich ein schickes Kostüm....und eine sehr schicke Figur...."

„Starr ihn nicht so an, Bastion!"

„Was knurrst du denn so? Wenn du einem jungen Mann verbietest, einen hübschen Burschen anzuschauen, wirst du die gesamte homosexuelle Natur in Unordnung bringen, Chazz."

„Ich denke, du bist bi?!"

„Woraus folgt, dass mir auch Kerle gefallen, du Witzbold! Du bist nicht der einzige hier, der mitgekriegt hat, was für ein süßer Junge Jaden ist. Und im Gegensatz zu mir dürften die meisten ernstere Absichten haben. Jay ist mein Freund und ich bewundere ihn, aber ich stehe nicht auf ihn!"

„Ehrlich?"

„Selbstverständlich. Wäre es anders, würde ich dir das sagen. Ich meine....wir haben begonnen, uns anzufreunden, oder nicht? Es kommt mir jedenfalls so vor."

„Ja, mir auch."
 

Sie wechselten ein Lächeln, als Jaden das Duellfeld verließ, weil er gegen einen anderen Herausforderer ausgetauscht worden war und sie entdeckte. Er winkte ihnen zu und lüftete seine Maske, wodurch seine schönen Augen wieder klar zum Vorschein kamen. Bastion gefiel ihm außerordentlich, aber seine künstlerische Inspiration, die bisher mindestens fünf Blätter Zeichenpapier besetzt hatte, sprengte fast seine Selbstbeherrschung. Nicht nur waren die atemberaubenden grauen Augen umrandet und wurden somit noch stärker betont als sonst, sondern der großgewachsene, schlanke Körper, der sich stets mit so viel ungezwungener Eleganz bewegte, steckte in schwarz-violettem Latex, unter dem sich jede Sehne deutlich abzeichnete. Drei Buchstaben: H - O - T!!

„Wow...." Es klang mehr wie ein Krächzen und er räusperte sich verlegen. „Super, eure Verkleidungen! Ihr seht klasse aus, besonders du, Chazz. Wollt ihr ein Kostümduell bestreiten?"

„Nein, wir wollten vor allen Dingen Crowler als Mokie-Mokie sehen. Was hast du jetzt vor, nachdem du nicht mehr Herausforderer bist?"

„Oh, ich gehe zum Karaoke! Sie haben eine Anlage aufgebaut, gleich neben dem Stand mit den Duel-Monsters-Snacks. Ich will die Kuribo-Fleischbällchen probieren und dann werde ich irgendwas singen, ein fröhliches Lied, das zu diesem tollen Tag passt oder so. Ich werde schon was finden! Wollt ihr mitkommen?"

„Eh....ich kann nicht, ich bin in fünf Minuten mit....mit, eh, Dimitri verabredet, genau! Aber Chazz würde dich sehr gerne begleiten!" erklärte Bastion im Brustton der Überzeugung und zwinkerte dem erbosten Jüngling zu, der neben ihm stand und nicht fassen konnte, dass er hier einfach so mir nichts, dir nichts mit seinem Schwarm alleingelassen wurde. Er wollte den Schwarzhaarigen zurückhalten, doch dieser tauchte in der Menge ab und verschwand.

»Das wird er mir büßen!!«

„Schade, dass er schon eine Verabredung hat."

»Ja, er hat sie gerade erfunden!!«

„Gehen also wir zwei. Komm mit!" Jaden schnappte sich den anderen bei der Hand und steuerte zielstrebig auf die Karaoke-Anlage zu. Da er nicht unbedingt freiwillig mitging, musste der Brünette ihn hinter sich her zerren, wobei Chazz eine hervorragende Aussicht auf den knackigen Hintern hatte und sich deshalb nicht zur Eile veranlasst sah. Gott, diese süße Niete wirkte so unschuldig und konnte dennoch so verdammt sexy sein! Konnte man sowas nicht verbieten?! Wie sollte man denn da seine Gedanken beisammenhalten?!

Sie erreichten die Bude mit den Snacks und Yuki bestellte eine Portion von den Kuribo-Fleischbällchen. Es waren zehn Stück, bequem mit einem Zahnstocher hochzuheben, gewendet in einer pikanten Sauce.

„Wie praktisch! Fünf für mich und fünf für dich!"

„Ich soll mitessen?"

„Na, deswegen habe ich doch die große Portion genommen. Hm....echt lecker, die schmecken prima! Und jetzt du, mach den Mund auf!"

„Wa-was?! Hör mal zu, du Komiker: Ich bin kein Kleinkind mehr, das man füttern muss!"

„Das weiß ich, aber so macht es mehr Spaß!"

Er hatte diesem strahlenden, entwaffnenden Lächeln nichts entgegenzusetzen. Also ließ er sich widerspruchslos das Fleischbällchen zwischen die Lippen schieben, kaute und schluckte. Es schmeckte wirklich ausgezeichnet.
 

„Ich mag solche Feste mit vielen Buden, wo man Essen kaufen oder Spiele spielen kann. In meiner Heimatstadt gibt es im Sommer auch immer einen großen Jahrmarkt. Als kleiner Junge bin ich oft mit meinen Eltern da gewesen und später mit meinen Freunden. Meine Eltern waren aber in der Regel auch irgendwo auf dem Jahrmarkt, nur waren wir eben getrennt unterwegs. Einmal war ich mit Geoffrey dort, und damals auf dem Riesenrad hat er mir gestanden, dass er sich in mich verliebt hat."

„Geoffrey ist dein Ex-Freund, oder? Bastion hat mir von ihm erzählt."

„Stimmt. Er war mein Nachbar und wir kannten uns seit dem Kindergarten. Zwei Monate bevor ich auf die Duellakademie kam, wurde sein Vater in eine andere Stadt versetzt und seine Familie und er zogen weg. Ich war traurig, obwohl wir zu diesem Zeitpunkt schon kein Paar mehr waren, aber selbst nach unserer Trennung blieben wir gute Freunde. Und dann wurde die neue Ausstellung von meiner Mutter eröffnet!"

„Ausstellung?"

„Ja, sie ist Malerin von Beruf. Früher hat sie als Designerin von Duel-Monsters-Karten gearbeitet, aber ihr eigentlicher Traum war es, als freischaffende Künstlerin berühmt zu werden. Aquarelle, Porträts, Bleistift....sie macht fast alles. Vater ist Drehbuchautor - vielleicht ist das der Grund, warum ich mehr für kreative Sachen tauge als für irgendwelches hochkompliziertes Zeug wie Mathematik oder Physik. Dinge, die Herz erfordern, sind kein Problem für mich, aber da, wo viel Logik und räumliches Vorstellungsvermögen nötig sind, bin ich eine Null. Was ist eigentlich mit deiner Familie? Deine Brüder sind ziemlich unsympathisch, das weiß ich. Aber was ist mit deinen Eltern?"

„Die sind genauso." erwiderte Chazz monoton. „Mein Vater ist der Chef des Princeton-Konzerns. Technik und Motoren und sowas. Meine Brüder sind in der Finanzwelt und in der Politik tätig und ich hätte die Duel-Monsters-Domäne erobern sollen. Das Spiel ist als Sport anerkannt und ein Weltmeister in der Familie würde eine Menge hermachen. In ihrer perfekten Welt ist kein Platz für das Zweitbeste. Wenn du nicht der Beste sein kannst, bist du ein Nichts. Meine Mutter ist in ihrer Ehe unglücklich und interessiert sich nicht für ihre Kinder. Es war eine arrangierte Hochzeit, die zwei prestigeträchtige Clans miteinander verbinden sollte. Von Liebe war nie die Rede. Ich beneide dich um deine Familie, Jaden."

Der hübsche Junge sah ihn mitfühlend an; er schien sogar die Fleischbällchen vergessen zu haben, was bei seinem gesegneten Appetit durchaus etwas hieß. „Geborgenheit, Schutz, Trost - das hast du....niemals von ihnen bekommen? Ist das wahr?"

„Ja. Unsere Eltern kümmerten sich kaum um uns, das wurde den Kindermädchen überlassen. Als Nesthäkchen fand ich noch weniger Beachtung als Jagger und Slade, sie als die Älteren wurden immer bevorzugt. Deshalb wirst du in meinem Zimmer auch nie Fotografien meiner Familie finden!"

„Darf ich dir wenigstens meine zeigen?" erkundigte sich Jaden ungewohnt schüchtern und der andere nickte. Wieder nahm ihn der Brünette an der Hand und brachte ihn zu seinem Zimmer im Anubis-Black-Trakt. Er fischte ein älteres Bild aus seinem Nachtkästchen hervor und reichte es Chazz. Der kleine Jaden, etwa vier oder fünf Jahre alt, war darauf zu sehen, an der Hand einer schönen Frau mit dunkelblonden Haaren und grünen Augen. Und links von ihm....Er blinzelte überrascht und wusste nicht, was er sagen sollte. Der kräftig gebaute Mann mit dem breiten Grinsen, das stark an seinen Sohn erinnerte, sass in einem Rollstuhl.

„Dein Vater....er...."

„Ich war drei Jahre alt, als er einen schlimmen Unfall hatte. Seither ist er querschnittsgelähmt."

„Das tut mir leid. Ich....ich...."

„Du weißt nicht, wie du reagieren sollst? Das ist nichts neues. Die wenigsten wissen es, wenn sie meinem Vater begegnen. Meist sind sie zurückhaltend und benehmen sich verkrampft, obwohl sie ihn ganz normal behandeln könnten. Vielen fällt das schwer, das ist mir klar. Ich werfe ihnen nichts vor."

„Ist das der Grund, warum du auf Äußerlichkeiten nichts gibst?"

„Möglich. Ich bin damit aufgewachsen, jeden Menschen nach seinem Wesen zu beurteilen, nicht nach dem, was ich sehe. Das tun bei weitem auch nicht alle. Nach dem Äußeren zu schließen ist einfacher. Es erspart einem, sich Gedanken zu machen."
 

„....Du bist ein bewundernswerter Mensch, Jaden." flüsterte der Dunkelblauhaarige und legte das Foto fein säuberlich in die Schublade zurück. Er hatte das Gefühl, seinen ehemaligen Rivalen überhaupt nicht gekannt zu haben. Er hatte nur auf die Oberfläche geblickt - genauso wie jene, die sich nicht für seine Person, sondern nur für seinen Namen und sein Geld interessiert hatten und ihn sonst für einen arroganten Mistkerl hielten. Arrogant war er in der Tat, ehrgeizig und ebenso stur wie stolz....aber das war es nicht allein. Er war noch mehr als das - doch wer hatte je darauf geachtet? Niemand.

„Du auch."

„Wie....wie bitte?"

„Du bist auch bewundernswert, Chazz."

„Das bin ich bestimmt nicht. Ich bin ein hervorragender Duellant, das ist richtig, ich habe immer gute Noten und man beneidet mich. Aber Bewunderung rufe ich nicht hervor, wegen meiner unfreundlichen und kaltschnäuzigen Art erwecke ich nur negative Gefühle."

»Negative Gefühle....wenn er wüsste, was ich empfinde, würde er nicht so sprechen. Für andere mag das gelten, aber ich sehe hinter die Maske, die er nach außen präsentiert. Ich biete niemandem meine Freundschaft an, der es nicht wirklich verdient. Sein Herz muss ehrlich sein, ehrlich und tapfer. Chazz ist nicht nur schön, er hat mehr Qualitäten.«

Ein seltsames Schweigen hatte sich auf sie herabgesenkt. Sie standen sich in ihren Kostümen gegenüber und doch schien es, als wären sämtliche Schleier gefallen. Jaden ergriff die blassen Hände und zog den anderen näher zu sich heran.

„Damals, vor dem Duell der Schulen....habe ich dich gesehen. Du warst gerade im Waschraum und knietest am Boden. Ich habe alles gehört....deine Worte, dein Schluchzen....und deine Verzweiflung. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich zwar geahnt, dass du etwas vor deiner Umwelt verstecktest, aber das war für mich der Beweis. Als wir uns duellierten, warst du jedoch so tough und entschlossen wie stets. Du hast deinen Schmerz verborgen und bist mit dem Druck deiner Familie, mit dieser Last in die Arena gegangen und hast mir einen grandiosen Kampf geliefert! Du warst unglaublich. Trotz der Anordnung deiner Brüder hast du nicht ihre seltenen Karten benutzt, sondern dein eigenes Deck. Du wolltest als Chazz Princeton gegen mich gewinnen, nicht als die Marionette deiner Geschwister. Du bist deinen Prinzipien treu geblieben, obwohl du wusstest, was dir blühen würde, solltest du verlieren. So etwas verlangt Charakterstärke und Willenskraft. Von dieser Stunde an bewunderte ich dich sehr."

Die Erde hätte beben und auseinander klaffen können, sie hätten es nicht bemerkt. Stumm blickten sie einander in die Augen, gebannt von unergründlichem Grau und funkelndem Braun.

Die Zeit war stehen geblieben. Sie wagten kaum zu atmen. Es war unendlich still im Raum, nur unterbrochen von ihrem eigenen heftigen Herzklopfen. Kein Laut drang über ihre Lippen, sie waren, wie man so schön sagte, nicht von dieser Welt.

Es klopfte.

Da sich drinnen niemand rührte, wurde noch einmal geklopft, lauter und energischer, aber die beiden jungen Männer nahmen immer noch keine Notiz davon. Yuki legte einen Finger unter das Kinn seines Gegenübers, völlig taub gegen seine Umgebung.

„ZUM DONNERWETTER, WARUM DAUERT DAS SO LANGE?!?!" Die Tür flog auf und Syrus rumpelte herein; seine Perücke war verrutscht.

„Oh....störe ich gerade?"
 

»JA!!« dachten die Gefragten gleichzeitig, aber da der Kleine sehr aufgeregt war und sichtlich beschämt wirkte, weil er im falschen Moment hereingeplatzt war, unterließen sie es, ihm eine Strafpredigt zu halten. Und außerdem hatte er ja höflich geklopft, nur sie hatten es ignoriert. Der Fünfzehnjährige hatte vor lauter Anspannung rote Flecken im Gesicht und stotterte erst ein paar zusammenhangslose Wörter heraus.

„Jetzt beruhige dich erst mal, Sy, du bist ja kurz davor, in Ohnmacht zu fallen! Was ist los?"

„Schwester Carmichael hat Alexis über ihr Kommunikationsgerät verständigt (ich weiß nicht, wie diese Teile heißen, gomen) und gesagt, dass Atticus aufgewacht ist!"

„Ehrlich wahr? Nichts wie hin!"

„Darf ich die Fleischbällchen haben, Jay?"

„Welche Fleischbällchen?"

„Die in dem Plastikschälchen."

„Hoppla, die hab‘ ich ganz vergessen...."

Binnen weniger Minuten hatte sich die bunt verkleidete Truppe in der Krankenstation eingefunden und sie wurden zu dem Patienten geführt. Atticus sass aufrecht in seinem Bett, seine Arme und seine Brust waren verbunden, auf seiner Wange, wo Camilla das blutige Pentagramm eingeritzt hatte, prangte ein großes Pflaster. Sicherlich waren auch seine Beine eingewickelt, aber diese lagen verborgen unter der Bettdecke. Er lächelte matt. Das Mädchen starrte ihn an und brach schließlich in Tränen aus. Sie stürzte zu ihm und umarmte ihn.

„Onii-san!"

„Meine liebe kleine Schwester....Nefretaria...."

Sie hob bestürzt den Kopf. „Nefretaria? Aber nein! Das heißt, doch, das war ich einmal, aber in der Gegenwart bin ich Alexis Rhodes!"

„Du hast deinen Namen geändert? Oh, da ist ja auch Taris....und Shezar und Kail. Ich freue mich, euch wiederzusehen. Und wer ist das? Von der Haarfarbe her würde ich vermuten, du bist Sokat....aber du bist viel zu jung, um er zu sein. Wenn ich es mir genau überlege, seid ihr alle jünger, als ich euch in Erinnerung habe....Was habt ihr da eigentlich für merkwürdige Gewänder an? Ist das eine neue Mode?" Sein Blick fiel auf Zane. „Anares....!"

Er streckte unbeholfen eine Hand nach dem Grünhaarigen aus und dieser trat zögernd näher, reichte dem schönen Jüngling seine Rechte.

„Mein Liebster....wie lange ist es her, seit wir zusammen waren? Ich weiß nur noch, wie diese Vampirin mich tötete....bin ich etwa im Jenseits? Ist das hier das Leben nach dem Tod?"

In diesem Moment kam Kanzler Sheppard herein und Alexis berichtete ihm verwirrt, dass ihr Bruder sich offenbar für Hiron hielt und nicht für Atticus. Als der Direktor das hörte, stellte er dem Brünetten ein paar Fragen zu dem Alltag auf der Duellakademie.

„Mein Herr, ich verstehe Euch nicht. Wo bin ich?"

„Oh je...."

„Was ist denn mit ihm?!"

„Atticus war einst ein Anubiskrieger, das heißt, als er gegen euch kämpfte, muss er von der Seele des echten Darkness besetzt gewesen sein. Eine Seele kann aber nur dann von einer anderen Seele beherrscht und unterdrückt werden, wenn die Seele des Wirtskörpers ihre Essenz verliert, das, was sie ausmacht - und bei einem Menschen sind das seine Gefühle und Erinnerungen. Ich befürchte, dass die Schattenreiter sein Gedächtnis gelöscht haben. Nachdem der Bann von ihm genommen war, hat sich seine Seele mit den Erinnerungen und Gefühlen seiner ersten Existenz, seiner ersten Identität regeneriert: Hiron."

„Soll das bedeuten, dass er sich an sein Leben als Atticus Rhodes nicht erinnern kann?!"

„Genau. Die Erinnerungen sind in ihm verschüttet und werden erst wieder freigesetzt, wenn der Schattenreiter besiegt wurde, der seine Seelenessenz gestohlen hat. Euer früheres Leben ist irgendwo in eurem Unterbewusstsein gespeichert, aber es tritt nur sporadisch an die Oberfläche, weil ihr jetzt andere Seelen in euch tragt. Als man Atticus seine Erinnerungen nahm und Darkness sich seiner bemächtigte, blieb das Wissen um die Vergangenheit erhalten und hat nun den Platz dessen eingenommen, was vorher das Individuum Atticus Rhodes bestimmte."

„Ich muss also diesen Schattenreiter finden, der ihm die Gehirnwäsche verpasst hat und ihn töten, wenn ich meinen Bruder zurückhaben will, richtig?"

„Ja. Bis dahin bitte ich euch, euch Hirons anzunehmen und ihm dabei zu helfen, sich in dieser modernen Zeit zurechtzufinden, denn ohne die Erinnerungen seiner Reinkarnation ist er eben nicht Atticus. Ach...." Er stieß einen tiefen Seufzer aus. „Wenn ich nicht schon kahl wäre, würde ich jetzt mit Sicherheit ein paar graue Haare bekommen...."

„Verzeihung? Könnte mir jemand erklären, wovon hier die Rede ist?" Zane betrachtete den Mann aus seinem Traum, der irritiert und ängstlich wirkte. Seine sanften Finger umfassten noch immer seine Hand und ihm wurde eigentümlich warm ums Herz.

„Ich werde dir helfen." versprach er.
 


 

So, ich hoffe, diesmal wird es on gestellt. Wie Ihr gesehen habt, habe ich den Jungs andere Kostüme verpasst als in der Serie. Ich war nämlich nicht mit denen einverstanden (Chazz als XYZ-Drachenkanone und Jaden war nichts Halbes und nichts Ganzes, also wirklich...), und habe ihnen welche gegeben, die meiner Meinung nach besser zu ihnen passen! Bis zum nächsten Mal!^^ *wink*

Im Käfig der Katzen

*reinschleicht* Sorry, meine lieben Leser! Ich wollte eigentlich dieses Kapitel schon vor einer halben Ewigkeit on stellen, aber ich hab's einfach vergessen *sich hau*! Nun, jetzt kommt also endlich der Teil mit Taniya und ihren Kätzchen - ist zwar ein Duell der Schatten, aber etwas humorvoller als die beiden anderen Schattenreiter. Viel Spaß beim Lesen!^^
 

Kapitel 11: Im Käfig der Katzen
 

Warme weiche Finger glitten über seine entblößte Brust. Ihre Berührung schien eine Spur von Feuer über seine weiße Haut zu ziehen und er schloss genießerisch die Augen. Zu den Händen kamen sinnliche Lippen hinzu, die sich langsam um seine linke Brustwarze legten und zu saugen anfingen. Schließlich streichelte eine heiße Zunge die rosige Knospe, bis sie fest wurde. Ein Stöhnen entfloh seiner Kehle und er versuchte, sich noch näher an diesen makellosen Körper zu drängen, der nackt auf ihm lag. Seine eigenen Finger ließen das Bettlaken los, in das sie sich gekrallt hatten und fuhren zärtlich durch braunes Haar, während die Erregung in ihm anwuchs. Die geschickte Zunge wanderte zur anderen Brustwarze und von dort quälend langsam hinunter bis zu seinem Bauchnabel. Er keuchte auf.

„Aaah....Jaden...."

Ein schrilles Klingeln unterbrach das leidenschaftliche Spiel. Es war der Wecker, der seiner üblichen Aufgabe nachkam. Chazz schrak hoch und fegte den armen Wecker, der doch eigentlich gar nichts dafür konnte, gnadenlos vom Nachtkästchen herunter auf den Teppich.

„Du verdammtes Mistding....! Immer beim besten Teil....!"

Er stand missmutig auf und warf einen abschätzenden Blick in seinen Kommodenspiegel. Seine Wangen waren gerötet und er schwitzte leicht. Seine untere Region sah er im Spiegel zwar nicht, aber darauf konnte er auch verzichten - er wusste ohnehin, was dort los war. Und an allem war nur dieser verfluchte Beinahe-Kuss schuld!

»Oh Gott....er war mir so nah....ich konnte seinen Atem auf meiner Haut spüren. Mir wurde ganz heiß und kribbelig....und seine Lippen so deutlich vor sich zu haben....Ihre Linie ist perfekt, sie sind voll und sinnlich....warum musste uns Syrus unbedingt stören?!?!«

Es klopfte und eine Sekunde später stand, ohne ein „Herein" abzuwarten, Bastion in seinem Zimmer. „Guten Morgen, Chazz! Tut mir leid, dass ich so hereinplatze, aber....oh....oh!"

„Mach die Tür zu und hör auf, auf mein Problem zu starren!" fauchte der Jüngere, und sein Freund gehorchte ohne zögern.

„Ist ja interessant....wie bist du denn dazu gekommen? Hast du was Feuchtes geträumt?"

„Das geht dich gar nichts an!!! Was willst du überhaupt so früh hier? Es ist erst sieben und du bist schon angezogen!"

„Merkst du es denn nicht?"

Er sah ihn an und konzentrierte sich. Eine unterschwellige Aura von Gefahr und Düsternis....die Präsenz eines Schattenreiters! Da konnten sie sich ja glücklich schätzen, dass sie das Geisterfest gestern noch gefeiert hatten!

„Wie kann das sein? Zeigen sich diese Kerle normalerweise nicht erst bei Dunkelheit?"

„Keine Ahnung, vielleicht macht der hier eine Ausnahme. Jedenfalls ist seine Aura da."

„Gut. Ich dusche schnell und ziehe mich an, dann können wir nachsehen. Das heißt....was soll ich....machen?"

„Damit? Was wohl!"

„Das kann ich nicht!!!"

„Nur, weil du es noch nie getan hast, bedeutet das nicht, dass du es nicht kannst. Stell dich nicht so an, du kannst Jaden nicht mit dieser Beule in der Hose unter die Augen kommen. Ich werde den Mantel des Schweigens darüber breiten und es niemandem verraten, falls es das ist, was dich hindert."

Das sonst so blasse Gesicht seines Gegenübers war plötzlich hochrot. „Danke." piepste er und entfernte sich ins Bad, während Bastion ihn mit einem amüsierten Grinsen bedachte. Fünfzehn Minuten später hatte Chazz sich wieder in den kühlen Anubis Black verwandelt, als den man ihn kannte. „Und?"
 

„Das ist alles deine Schuld!"

„Hä??? Ich dachte, du hättest von Jaden geträumt!"

„Habe ich auch....aber wenn du dich gestern nicht mit deiner Pseudo-Verabredung davongestohlen und Jaden und mich alleingelassen hättest, hätte er mir nicht von seiner Familie erzählt und mir das Foto gezeigt und ich hätte ihm nicht mein Herz ausgeschüttet und er hätte mich nicht fast....!"

Er unterbrach sich abrupt, als ihm klar wurde, dass er immer hastiger gesprochen hatte und kurz davor war, den Beinahe-Kuss zu erwähnen. Bastion hörte ihm neugierig zu und hatte ein Lächeln aufgesetzt, das entweder als frech oder brüderlich-verständnisvoll zu deuten war.

„Ich wollte dir eine Chance geben, ihn etwas näher kennen zu lernen. Das ist doch kein Verbrechen!"

„Kommt darauf an, wie man‘s betrachtet...."

„Was hätte er denn ‚fast‘ getan?"

Stille war die Antwort und der Schwarzhaarige hielt es für klüger, seinen Kameraden nicht weiter zu bedrängen. Sie verließen das Zimmer und gelangten zum Gemeinschaftsraum, wo die restlichen Mitglieder ihres Ranges bereits versammelt waren, nur ihr Anführer fehlte, denn der Brünette war nun mal von Haus aus ein Langschläfer, böse Aura hin oder her. Erst, nachdem eine ganze Weile verstrichen war, stolperte Jaden zu seinen Gefolgsleuten, die er mit einem Gähnen begrüßte und dann hinaus scheuchte. Die Schule schien selbst noch in tiefem Schlaf zu liegen, nur ein paar vereinzelte Lehrkräfte begegneten ihnen.

„Die Aura strömt aus dem Wald", meinte Alexis und musterte die Umgebung genau, konnte aber nichts feststellen. Dafür machte Zane eine beunruhigende Entdeckung. Es hatte in der Nacht geregnet und auf dem aufgeweichten Boden waren die Pfotenabdrücke einer riesigen Katze zu erkennen.

„Was haltet ihr davon?"

„Das könnte eine Wildkatze gewesen sein. Es gibt hier Höhlen und teilweise bergige Landschaft, da fühlen sie sich wohl."

„Sind die Spuren für eine Wildkatze nicht zu groß? Es sieht mehr nach....ich weiß nicht....mehr nach einem Tiger aus...."

„Mein Bruder könnte uns vielleicht aufklären. Er erinnert sich zwar nicht an seine Existenz als Atticus, aber als Hiron hat er doch sicher alle sieben Schattenreiter getroffen. Er könnte uns helfen."

„Ob das in seinem Zustand zu verantworten ist? Ich bin gestern noch drei Stunden bei ihm gewesen und habe versucht, ihm beizubringen, dass er sich in einer anderen Zeit befindet. Er war sehr schockiert und überfordert. Vielleicht wäre es besser, wir würden ihm noch etwas Ruhe gönnen."

„So besorgt, Zane? Das kenne ich ja gar nicht von dir!" neckte ihn das Mädchen und der junge Mann errötete dezent. Es war nicht einfach gewesen, mit „Hiron" über die aktuelle Situation zu sprechen, zumal dieser in ihm Anares sah, denjenigen, den er einst geliebt hatte....
 

~~ RÜCKBLENDE ~~
 

„Habe ich das richtig verstanden? Wir befinden uns im 21. Jahrhundert und du und die anderen seid Wiedergeburten der Menschen, die ich kannte?"

„Ja, so ist es. Auch du bist eine Reinkarnation, aber die Schattenreiter haben dir die Erinnerungen an deine moderne Identität gestohlen."

Der Braunhaarige ließ sich mit einem tiefen Seufzer in sein Kissen zurückfallen und bemühte sich, diese Fülle an neuen Informationen zu verarbeiten, doch es gelang ihm nur teilweise. Seine schönen Augen flirrten durch den Krankenraum, registrierten die Fenster mit der Verglasung, die merkwürdigen medizinischen Geräte, die herumstanden und das elektrische Licht an der Decke. Ein Schatten von Betrübnis verhärtete seine Züge.

„Dann sind also jene, die mir wichtig waren, nicht mehr hier? Gewiss, sie wurden wiedergeboren, aber dadurch sind sie nicht zwangsläufig die selben Menschen wie damals. Die Schattenreiter haben das Gedächtnis meines Alter Egos gelöscht, sagst du? Das sieht ihnen ähnlich....Wie ist dein Name?" fragte er unvermittelt.

„Wie bitte?"

„Na ja....du bist Anares‘ Reinkarnation, du heißt bestimmt anders. Wie?"

„Ich bin Zane, Zane Truesdale."

„Zane....kurz und leicht zu merken. Du bist vielleicht nicht der, den ich kannte, aber....aber du siehst genauso aus wie er, bis auf die Tönung deiner Haut....Das gleiche grüne Haar und die gleichen unergründlichen Augen in der Farbe des Nils....die gleiche hohe Stirn...." Er streckte seine Hand aus und fuhr zärtlich die Konturen dieses Antlitzes nach. „....die gleiche süße Nase....die gleichen Wangen....der gleiche Mund...."

Seine Stimme glich einem Flüstern. Der Zeigefinger verblieb auf seinen Lippen und der Duellant musste unwillkürlich schlucken. Ihn brachte für gewöhnlich nichts so schnell aus der Ruhe, doch Alexis‘ Bruder verwirrte seine Sinne mehr, als er zugeben wollte. Sie blickten einander in die Augen und die Zeit schien stehen geblieben zu sein.

„Zane...."

„....Ja?"

„Es spielt keine Rolle für mich, dass du nicht mehr Anares bist. In deinen Augen erkenne ich dasselbe Herz, das Herz, in das ich mich verliebte. So werde ich auch dich lieben, gleichgültig, ob du meine Gefühle erwiderst oder nicht."

„Das....kann doch nicht dein Ernst sein!"

„Es kann." entgegnete Hiron leise, aber entschlossen und neigte sich vor. Ganz sanft küssten seine Lippen die von Zane und er wich zurück, rot bis über beide Ohren, ein mehr als seltener Anblick bei dem sonst so gefassten und überlegenen „Kaiser". Der Brünette lachte herzlich und irritierte ihn dadurch noch stärker.

„Du und Anares, ihr seid euch doch nicht so unähnlich wie ich angenommen hatte. Auch er vermied es, offene Gefühlsbezeugungen zu zeigen oder sich Freude oder Schmerz anmerken zu lassen. Könnte ich morgen meine kleine Schwester sehen?"

Dieser unerwartete Themawechsel trug nicht gerade dazu bei, das Durcheinander im Kopf des Siebzehnjährigen zu mindern. Niemand hatte ihn je mit solcher....mit solcher Ungezwungenheit behandelt, so ohne Zurückhaltung oder Scheu, die ihm viele Schüler aufgrund seines Titels und seiner Position entgegenbrachten. Er nickte also stumm und verabschiedete sich. Als er die Tür hinter sich zuziehen wollte, vernahm er einen unterdrückten Schluchzer und blieb stehen wie versteinert. Er spitzte zurück ins Zimmer und sah, wie Hiron sich in sein Kissen warf und in Tränen ausbrach. Was sollte er auch anderes tun, nachdem er erfahren hatte, dass das, was ihm vertraut gewesen war, den Weg alles Irdischen gegangen war? Und unabhängig von seinen eigenen Gefühlen den Gedanken ertragen zu müssen, dass jener, den er innig liebte, ihn nicht mehr liebte? Dennoch hatte er seinen Kummer versteckt, bis er fort war - ein Zeichen von Stolz, den Zane ihm zugestehen musste und der ihm ein gewisses Maß an Bewunderung abverlangte. Trotzdem schnitt ihm jeder weitere gepresste Schluchzer ins Herz wie ein Messer und er verließ eiligst die Krankenstation.

»Was ist los mit mir? Ich kenne ihn doch kaum - weshalb sollten mich seine Tränen im Innersten treffen? Das ist verrückt! Aber warum verwirrt er mich dann sosehr? Nur wegen dem Traum? Nein, es ist vielmehr seine Art....was rede ich da, er ist praktisch ein Fremder!«

Er hielt an und strich über seinen Mund, der so unsagbar zärtlich geküsst worden war. Noch nie zuvor hatte ihn ein Mann so aus dem Konzept gebracht....!
 

~~ ENDE DER RÜCKBLENDE ~~
 

Alexis konnte nicht umhin, zu grinsen. Ihr war sehr schnell aufgefallen, dass ihr Gesprächspartner etwas für Atticus übrig hatte, aber sie verkniff es sich, ein zweideutiges Kommentar hierzu abzuliefern.

„Es ehrt dich, dass du ihn schonen willst", erklang Jadens Stimme, wieder einmal ungewohnt autoritär, „....aber im Moment ist er die einzige Informationsquelle, die wir besitzen. Der Schattenreiter ist anwesend, doch es ist an ihm, sich bei uns zu melden. Es kann nicht schaden, vorbereitet zu sein, wenn es zum Kampf kommt. Wir sollten ihn wenigstens fragen."

„Aber...."

„Was ist? Er wird dich bestimmt nicht beißen!"

„....Das ist meine geringste Sorge."

Doktor Ishida untersuchte den Braunhaarigen gerade, als die sechs Anubis Black hereinkamen. Das Mädchen umarmte ihren Bruder so schwungvoll, dass er fast aus dem Bett gerollt wäre und der Arzt entfernte sich mit einem Lächeln. Bevor er ging, sagte er noch: „Sie machen sich gut, Mr. Rhodes. Ende nächster Woche dürfen Sie aufstehen."

„Vielen Dank. Und nun zu euch - was gibt es?"

Sein Anführer trat zu ihm und er nickte leicht mit dem Kopf, um seinen Respekt auszudrücken. „Spürst du dasselbe wie wir?"

„Ihr meint diese dunkle Aura? Ja. Es ist zweifellos ein Schattenreiter, der uns mit seiner unerwünschten Anwesenheit beehrt. Ist das der Grund, weshalb Ihr mich aufsucht?"

„Genau. Die Präsenz ist im Wald der Duellinsel gegenwärtig und wir haben Katzenspuren am Boden gefunden. Na ja, sie sind ziemlich groß, vermutlich ist es...."

„....eine Raubkatze? Korrekt. Es ist ein Tiger, vielmehr eine Tigerin. Das ist die tierische Gestalt von Taniya der Amazone, Enkelin der legendären Hippolyta. Sie befehligt eine Gruppe von Kriegerinnen und ist....wie soll ich sagen?" Er grinste ein bisschen. „Hm, sie ist ein wenig....nymphomanisch veranlagt, ja. Ich an Eurer Stelle würde Nefretaria...."

„Alexis. Mein Name ist Alexis. Oder Lex."

„....Ich an Eurer Stelle würde Lex hinschicken, wenn Ihr nicht als Liebessklaven enden wollt."

„Wer ist eigentlich diese Hippolyta?"

Bastion verdrehte die Augen wegen Jadens Unwissenheit. „Das ist die Amazonenkönigin in der griechischen Mythologie. Sie kommt in der Herkules-Geschichte vor. Er musste ihren Gürtel herbeischaffen, das war eine seiner zwölf Aufgaben."

„Muss man sowas wissen?"

„Gehört zur Allgemeinbildung."

„Hn. Egal. Wie kann man sie besiegen?"

„Bei Taniya muss man sich nicht um sein Leben sorgen, sondern eher um seine Unschuld, sofern man sie nicht schon selbst losgeworden ist!"
 

Es folgte ein verlegenes Schweigen und Alexis schüttelte den Kopf. Derartige Bemerkungen ihres Bruders waren ihr nicht neu, denn auch wenn er sich nicht mehr an seine moderne Identität erinnern konnte, hatte er doch einige Wesenszüge, die viel von Atticus verrieten.

„Was ist, warum gucken mich alle so an?"

„....Wie kämpft sie?"

„Fair, das muss man ihr zugute halten. Aber sie ist eine meisterhafte Kriegerin und sollte nicht unterschätzt werden. Außerdem sucht sie sich ihre Gegner immer selbst aus."

„Immerhin sind wir jetzt klüger als vorher. Hab Dank, Hiron. Bleibt abzuwarten, wann Taniya uns zum Duell fordert." Der Gong dröhnte durchs Haus. „Und nun müssen wir ohnehin die Beine in die Hand nehmen, sonst kommen wir zu spät zum Unterricht!"

Professor Crowler hatte allen Grund, heute mit seinen Studenten unzufrieden zu sein. Keiner schenkte ihm so recht Aufmerksamkeit, nicht einmal Bastion; Chazz war permanent damit beschäftigt, die ehemalige Slifer-Niete anzustarren als hätte er ihn noch nie gesehen; die besagte Niete wurde, sobald er den Blick bemerkte, seltsam nervös und schien überhaupt krank zu sein, weil er in unregelmäßigen Abständen rot anlief (das lag natürlich daran, dass Mr. Princeton ihn beobachtete, aber auf diese Idee kam der Dozent nicht); Alexis führte mit Syrus eine Konversation im Flüsterton und Zane - ausgerechnet Zane - war offensichtlich mit seinen Gedanken woanders, und das, obwohl er sein bester Schüler war! Die übrigen Jungen und Mädchen folgten diesem schlechten Beispiel. Nein, er war definitiv nicht zufrieden! Am Ende der Stunde setzte er seine säuerlichste Miene auf und verkündete: „Da Sie es diesmal doch sehr an der notwendigen Aufmerksamkeit fehlen ließen, habe ich beschlossen, Ihnen eine entsprechende Hausaufgabe zu geben. Sie bilden Zweierteams und schreiben einen gemeinsamen Aufsatz über das Thema ‚Fallen- und Zauberkarten: Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten.‘ Ich erwarte von Ihnen, dass Sie jeweils zehn Fallen- und zehn Zauberkarten auswählen, sie beschreiben und verschiedene Präzedenzfälle schildern und analysieren, in denen sie gespielt wurden! Ich teile Sie jetzt ein!"

Großes Gemurre und Gestöhne erhob sich. Das Thema dieses Aufsatzes ließ sich dehnen wie Kaugummi, da konnte man ja zwanzig Seiten schreiben und nicht fertig sein! Gar nicht erst zu reden von der öden Recherchearbeit in der Bibliothek!

„Mr. Truesdale, Sie bilden ein Team mit Miss Rhodes. Syrus, Sie haben größere Hoffnungen auf eine gute Note, wenn Sie sich mit Mr. Misawa zusammentun. Und Sie, Mr. Princeton, sind der Partner von Mr. Yuki, nachdem Sie schon die ganze Zeit nichts anderes machen als ihn mit den Augen aufzufressen!" Einige Studenten kicherten und der Dunkelblauhaarige wäre am liebsten in einem Mauseloch verschwunden. Musste diese Schreckensvision von einer Tunte das auch unbedingt so formulieren!?!

»Okay, das war‘s. Meine Geduld ist beim Teufel. Crowler ist tot, jedenfalls so gut wie tot!«

Da landete ein zusammengeknülltes Briefchen auf seinem Platz und er schaute zu Jaden hinüber, der es geschickt zu ihm geworfen hatte. Er entfaltete es und las: „Hey, Chazz! Wir haben nachher beide eine Freistunde. Wollen wir da mit dem Aufsatz anfangen?"

Er schrieb zurück: „Ist in Ordnung." und ließ die Nachricht von den hilfreichen Händen seiner Sitznachbarn forttransportieren. Als es klingelte, verließen sie zusammen den Seminarraum und steuerten auf die Bibliothek zu, bewaffnet mit der Literaturliste, die der Professor ausgeteilt hatte. Sie fanden ein paar brauchbare Bücher und da es so schön war und die Sonne vom Himmel lachte, suchten sie sich draußen einen gemütlichen Platz. Eine Weile arbeiteten sie still, bis eine zögerliche, unsichere Stimme ertönte, die Chazz beinahe fremd vorkam - seine eigene. „Weißt du, wegen gestern....ähm....also....ich meine...." Er räusperte sich. „Was wäre passiert, wenn Syrus nicht hereingeplatzt wäre?"

„Ach, das....keine Ahnung." »Doch, natürlich. Ich hätte dich geküsst, du wundervoller Junge, aber du stehst auf Alexis....und im allgemeinen auf Mädchen. Ich habe keine Chance.«

„Keine....Ahnung? Du wolltest doch....ich dachte...." stotterte der ehemalige Obelisk Blue und spürte einen Stich im Herzen. »....ja, was dachte ich denn? Dass er mich küssen würde? Ich muss total übergeschnappt sein! Vor gar nicht allzu langer Zeit waren wir noch Rivalen, na, zumindest aus meiner Sicht. Und jetzt haben wir Freundschaft geschlossen - Freundschaft! Ich will das nicht kaputtmachen....«

Auf einmal schraken sie hoch. Ein Pferd galoppierte auf sie zu und obenauf sass eine muskulöse Frau mit rotem Haar und katzenhaft grünen Augen. Sie schnappte sich die beiden Burschen, klemmte sich einen unter den Arm und warf einen vor sich auf das Pferd, wendete und ritt in den Wald hinein. Das alles war so schnell gegangen, dass Jaden und Chazz kaum begriffen, wie ihnen geschah. Ihre Entführerin näherte sich einer Lichtung, wo sich ein mächtiges Kolosseum erhob, das vorher gewiss nicht da gewesen war. Sie durchquerte das Tor und stoppte inmitten einer riesigen Arena, wo sie ihre Opfer in den Sand fallen ließ. Einige andere Frauen, knapp bekleidet und mit furchteinflößenden Schwertern versehen, musterten sie ausgiebig und nickten. Neben ihnen lagen Zane und Bastion, die Hände auf den Rücken gefesselt. Ähnlich verfuhr man (oder besser frau) auch mit den Neuankömmlingen, während die Kidnapperin unter einem Baldachin auf einer Art Thron Platz nahm und das Schauspiel lächelnd verfolgte. Als sie fertig waren, zerrte man die vier jungen Männer vor die Rothaarige und sie begutachtete jeden einzelnen wie einen teuren Schmuckgegenstand.
 

„Ach, ihr seid noch genauso süß wie damals!" rief sie verzückt. „Nur schade, dass die Wiedergeburt von Sokat noch so unterentwickelt ist, abgesehen mal von der Haarfarbe erinnert nichts an deinen jüngeren Bruder von einst, Anares. Offensichtlich ein Spätzünder. Na ja, da kann man nichts machen. Dafür seid ihr sehr attraktiv, wenn auch für meinen Geschmack etwas zu blass um die Nase. Bis auf dich, Kail, du bist ein bisschen gebräunt. Also, ihr Prachtexemplare, mein Name ist Taniya. Ich bin der Dritte Schattenreiter und die Enkelin der berühmten Amazonenkönigin Hippolyta, deren Existenz heute in die Welt der Legenden gehört. Die Sache ist simpelst: Ihr wollt die Schlüssel verteidigen, um die Heiligen Ungeheuer zu schützen und ich will die Schlüssel, um sie meinem Meister zu übergeben. Ich kämpfe gegen euch vier, und zwar gleichzeitig, denn wenn ich gewinne, verliert ihr nicht nur eure Schlüssel, sondern müsst meinen Frauen und mir als Liebessklaven dienen."

„Bei mir wirst du wenig Glück haben", erwiderte Jaden grinsend, „Ich stehe auf Kerle."

„Tatsächlich? Nein, wie ärgerlich! Dann werde ich dich an einen Bordellbesitzer verkaufen, solltest du verlieren!" Sie hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als ein Dolch vom Himmel fiel und dicht vor ihren Füßen einschlug. Sie sprang auf.

„Wage es nicht, Taniya! Er gehört mir, ist das klar?!" donnerte eine majestätische Stimme, die von überall und nirgends zu kommen schien und die Amazone verzog ihre vollen Lippen zu einem beleidigten Schmollmund.

„Kein Liebesdiener, kein gutes Geschäft - du gönnst mir wirklich überhaupt nichts!" brüllte sie und stampfte mit dem Fuß auf. „Da begegnet man einmal im Leben ein paar richtig schönen Männern und man darf mit ihnen nicht tun, was man möchte!"

„Die anderen kannst du von mir aus haben - aber Kail ist mein!!" Die Stimme verschwand und der Dolch löste sich in schwarzen Rauch auf.

„Nieder mit den Machos!" knurrte die Rothaarige erbost und murmelte: „Muss der sich immer so herrisch aufführen?! Verwöhntes Prinzchen....! Wie soll ich denn so jemals meinen Harem zusammen kriegen? Das ist ungerecht!"

„Herrin", unterbrach sie eine ihrer Untergebenen, „....wir sind bereit, den Mechanismus zu aktivieren. Das Duell der Schatten kann beginnen."

„Ausgezeichnet!" Sie befahl den Anubis Black, sich eine Waffe aus einem der Körbe auszusuchen, die ringsum in der Arena aufgestellt waren und sich anschließend in der Mitte zu versammeln. Sie selbst wählte ein großes gezacktes Schwert. Nach ein paar Minuten traten ihre Kontrahenten zu ihr und sie winkte mit der Hand. Die Amazonen betätigten eine Art Ziehmechanismus und vom Rand der Tribünen aus erstreckte sich ein Beben durch das gesamte Kolosseum. Schwere Ketten, die sich in eisernen Gewinden drehten und von denen sich je zwei links und rechts von den beiden hochgelegenen Logen befanden, bewegten einen gigantischen Ring nach oben, der den Umfang der ganzen Arena besass. Als er oben war, begann er grünlich zu leuchten und aus dem Ring wuchs wie von Zauberhand ein runder Käfig.

„Was zum Teufel soll das?!"

„Das ist der Katzenkäfig, ein kleiner magischer Trick, den ich beherrsche, seit ich einen Schattentalisman trage. Ich kämpfe normalerweise fair, aber es ist nun mal ein ungeschriebenes Gesetz, dass jedes Duell der Finsternis ein Handicap beinhalten muss." Ihr freundliches Lächeln wurde grausam. „Und ihr werdet schon noch früh genug merken, was das ist....Duell!"
 

Syrus rannte, so schnell er konnte. Er war mit Bastion in der Bibliothek gewesen, als plötzlich das Fenster in Scherben zersprungen war und sich eine fremde Frau an einem Seil herein geschwungen hatte. Sie hatte sich den Schwarzhaarigen gekrallt und war geflohen. Vor Schreck konnte er zunächst nicht reagieren, bis es ihm einfiel, seine Freunde zu holen. Zu seinem Schrecken hatten sich auch Jaden und Chazz in Luft aufgelöst und nun war er auf der Suche nach Lex und seinem Bruder. Das Mädchen bog gerade um die Ecke und stieß prompt mit ihm zusammen, denn sie war nicht weniger gehetzt als er.

„Alexis, Bastion ist entführt worden!"

„Zane ist entführt worden!"

Sie hatten diese Sätze gleichzeitig hervorgebracht und starrten sich nun erstaunt an.

„Was, Bastion ist auch weg?!"

„Mein Bruder wurde gekidnappt?!"

„Wer war das?"

„Eine Unbekannte kam in die Bibliothek gestürzt und hat ihn einfach mitgenommen. Sie war bewaffnet und komisch gekleidet. Wie war es bei dir?"

„Derselbe Befund. Wir waren draußen, als eine Frau auf einem Pferd heran galoppierte und Zane schnappte. Ob das vielleicht....Amazonen waren?"

„Wäre möglich. Jay und Chazz sind auch verschwunden."

„Dann ist es eindeutig. Atticus, nein, ich meine Hiron....er hat doch erzählt, dass diese Taniya nymphomanisch veranlagt ist. Also ist es wohl üblich bei ihnen, attraktive Männer zu entführen. Deshalb haben sie uns verschont."

„Was soll denn das heißen?! Bin ich etwa nicht attraktiv?!"

„Sy, das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um das zu diskutieren! Wir müssen ihnen helfen!"

„Is‘ ja gut...."
 

Unterdessen lieferten sich die vier Anubis Black ein heftiges Gefecht mit der Amazonenkönigin, die wirklich überaus geschickt war. Während Zane ihre Schläge mit einer Lanze abblockte, wich sie seiner nächsten Attacke flink aus und wehrte zugleich drei Schwerthiebe ab, die alle auf ihre mächtige Klinge trafen. Sie schleuderte ihre anderen Angreifer zu Boden und grinste triumphal.

„Ihr haltet euch nicht schlecht....für Männer." erklärte sie geringschätzig. „Die meisten Kerle, die sich mit mir angelegt haben, wurden meine Liebessklaven, auch wenn sie von meiner Art des Liebesspiels nicht sonderlich angetan waren. Die wenigsten überleben es."

„Das kann ich mir vorstellen!" zischte Chazz und zielte auf ihren Hals, doch sie schlug sein Schwert zur Seite und verpasste ihm einen brutalen Tritt in die Magengrube, sodass er zusammensackte. „Vermutlich verstehst du unter Liebesspiel kratzen und beißen...."

„Ja, das kommt dem nahe." Jaden und Bastion stürmten von hinten auf sie zu, aber sie sprang davon wie eine Katze, drehte sich in der Luft und schlitzte den beiden den rechten Handrücken auf. Sie schrieen auf und umklammerten die blutenden Wunden. Der Grünhaarige konterte, indem er ihr die Lanze waagrecht an die Kehle hielt und sie auf diese Weise in den Schwitzkasten nahm. Sie wand sich hin und her, aber er umfasste sie mit eiserner Kraft, bis er ihre scharfen Zähne an seinen Fingern spürte und der Schmerz ihn zwang, sie loszulassen. Sie hatte ihn gebissen!

„Das macht ja richtig Spaß mit euch! Es wird Zeit für euer Handicap!"

Sie schnippte mit den Fingern und ein kleines Tor wurde geöffnet. Drohend und dennoch hoheitsvoll schritten vier Raubtiere ins Innere des Käfigs. Drei davon waren Tiger mit unheimlich leeren, leuchtenden Augen, das letzte war eine echte Sphinx mit dem Körper eines Löwen und dem Kopf einer Frau. Ihr langes blondes Haar glich einer Mähne und ihre Augen glitzerten böse. „Die Sphinx übernehme ich!"

„Nein, das ist viel zu gefährlich, Jaden!"

„Mach dir keine Sorgen, Chazz. Ich schaffe das schon." Damit stürzte er sich auf die Kreatur, die Klingen gezückt. Die Tiger kümmerten sich währendem um die übrigen Anubiskrieger und Taniya besah sich das Spektakel mit sichtlichem Vergnügen.

„Ich werde es dir nicht so einfach machen, junger Anführer. Beweise, ob du den Schneid hast, dich mit mir und einer Sphinx zu messen!"

„Beweise erst, ob du den Schneid hast, dich mit MIR zu messen!" erwiderte der Brünette selbstbewusst und die Amazone startete ihren Angriff. Mit überkreuzten Klingen (ja, er hat sich zwei Schwerter ausgesucht, das ist nun mal seine Spezialität), die er als Schild benutzte, wehrte er sie ab, ging in die Knie, wirbelte herum und verletzte sie mit einem perfekten Hieb am linken Unterschenkel, wobei er ihr aufgrund der Drehung den Rücken zuwandte. Sie stieß eine Art Fauchen aus und holte zu einem tödlichen Streich aus, während die Sphinx mit gebleckten Zähnen zu einem Spurt auf ihn ansetzte. Er zögerte keine Sekunde, sondern rannte ein Stück an der Käfigwand nach oben, stieß sich ab und trennte der Sphinx während des Überschlags mit der rechten Hand den hässlichen Kopf vom Rumpf, mit der linken parierte er das gezackte Schwert der Rothaarigen. All das geschah in atemberaubender Geschwindigkeit und Taniya stand da, vollkommen fassungslos, dass ihre Waffe erneut von einer anderen blockiert wurde. Sie blickte sich hastig um und konnte gerade noch sehen, wie Misawa seine Klinge tief in die Eingeweide eines Tigers bohrte. Chazz hatte die Bestie, die ihn in den Arm gebissen hatte, mit einem raschen Schlag in den Magen von allen Jagdinstinkten befreit und „Kaiser" zog soeben die Spitze der Lanze aus einer behaarten Brust. Die Leichname der Kreaturen (es war zweifelhaft, ob es sich tatsächlich um echte Tiger gehandelt hatte) begannen, in unnatürlichem Tempo zu verrotten und die Sphinx war zu einer formlosen Pfütze schwarzen Schlamms zusammengeschmolzen. Nein, das war unmöglich! Niemand besiegte sie im Käfig der Katzen, niemand! Sie visierte Jaden zornig an und drängte ihn mit ihrer körperlichen Kraft zurück. Er bemühte sich krampfhaft, dagegen zu halten und nahm sein zweites Schwert zu Hilfe.

„Gib lieber auf! Ich bin stärker als du! Ich möchte einen so schönen jungen Mann wie dich ungern töten, also rück den Schlüssel des Lebens lieber freiwillig heraus!"

„Niemals! Denkst du, ich lasse es zu, dass die Macht der drei Heiligen Ungeheuer in die Hände deines Meisters gelangt?!"

„Das sagst ausgerechnet du, Krieger des Anubis? Mein Meister würde diese Macht für ein ehrenvolles Ziel nutzen, ganz im Gegensatz zu diesem Pharao, dem du einstmals dientest!!"

„Ich fürchte, unsere Definitionen von einem ‚ehrenvollen Ziel‘ unterscheiden sich ziemlich!"
 

Ein neuer Schlagabtausch entspann sich zwischen ihnen und plötzlich grub sich die Amazonenklinge in die rechte Seite ihres Gegners. Der Sechzehnjährige schrie auf, dankte Direktor Sheppard im Geheimen für die Uniform mit Kettenhemd und ging wegen der Heftigkeit des Hiebes erst einmal in die Knie.

„Du hast recht. Unsere Definitionen von einem ‚ehrenvollen Ziel‘ unterscheiden sich sehr. Gib - mir - den - Schlüssel! Wenn nicht, wird die Tyrannei zurückkehren!"

„Du willst mir was von einer Tyrannei erzählen, nachdem dein ach so wunderbarer Meister Leid und Verzweiflung über Ägyptens Bevölkerung gebracht hast?! Dass ich nicht lache!!" Er trat ihr die Beine weg und sie stürzte zu Boden. Mit einem Fuß stieg er auf ihre Klinge und klemmte ihren Hals mit seinen beiden Schwertern ein wie in eine Schere.

„Beim Recht des Siegers - du bist mein!"

„Das hier ist ein Duell der Schatten, Kail. Du musst mich töten, so will es das Gesetz."

„Darkness wurde auch nicht getötet. Es muss nicht sein."

„Doch, es muss sein. Darkness ist tot, denn seine Seele wurde ausgelöscht. Camilla wurde vom Tageslicht verbrannt. Jetzt bin ich dran. Töte mich. Sei, was du bist."

Er zögerte. Feine Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und er atmete angestrengt. Es roch nach Blut und Verwesung und ein Kloß hing ihm in der Kehle. Mechanisch hob er eine Klinge, wirbelte sie herum und stieß sie in ihr Herz. Seine Treffsicherheit in diesem Punkt erschreckte ihn und die Hand am Schwertgriff begann zu zittern. Langsam verwandelte sich der Käfig in dünne, grünliche Rauchschwaden und mit ihm die Amazonen. Das Kolosseum wurde von einem Erdbeben erschüttert und Stein um Stein brach es zusammen. Bastion, Zane und Chazz schickten sich an, die Flucht zu ergreifen, als dem Dunkelblauhaarigen auffiel, dass ihr Anführer immer noch wie angewurzelt neben dem toten Körper ihrer Feindin stand.

„Jay, nun komm schon, das Ding stürzt ein! Du hast getan, was du tun musstest! Schattenduelle sind Kämpfe auf Leben und Tod! Hätte sie überlebt, wärst du gestorben! Ist das denn eine Alternative?! Los, beweg dich!"

Er zerrte Yuki hinter sich her und gemeinsam verließen sie das Bauwerk, bevor es endgültig in einer Explosion aus Sand und Staub versank. Die Trümmer lösten sich auf wie zuvor der Käfig und nachdem der Wind die letzten Spuren der merkwürdigen Schwaden weggeblasen hatte, war nichts mehr zu sehen, nur noch eine sonnendurchflutete Waldlichtung. Hinter einer Gruppe von Bäumen preschten Alexis und Syrus hervor, erschöpft und nach Luft ringend.

„Wir konnten euch einfach nicht finden!" keuchte der Kleine. „Was ist passiert? Wo ist die Schattenreiterin, diese Taniya? Es ist doch nicht etwa vorbei?"

„Doch, Ototo. Es ist vorbei. Und es ist gut, dass es vorbei ist."

„Schade", meinte die Blondine verschmitzt. „Dabei hatte ich mich schon so darauf gefreut, euch als Liebessklaven irgendwo angekettet zu sehen! Schließlich haben sie euch entführt, weil ihr so attraktiv seid!"

„Was immer noch nicht erklärt, weshalb das ein Grund ist, dass sie mich verschont haben!"

„Oh nein, fängst du schon wieder damit an....!?"
 

Es war Abend geworden und Jaden hatte sich nach einem kurzen Besuch auf der Krankenstation ins Thermalbad der Schule getrollt. Die Uhr zeigte fünf nach sechs und der Pool schloss um 20 Uhr, er hatte also noch ein wenig Muse, bevor das Abendessen serviert wurde. Dank des Kettenhemds hatte er nur einen etwas tieferen Kratzer abbekommen und war nicht ernstlich verwundet, obwohl ihm trotzdem alles wehzutun schien. Das heiße Wasser entspannte seine verkrampften Muskeln und übte eine beruhigende Wirkung auf ihn aus. Drei Schattenreiter hatten sie nun schon besiegt, fehlten noch vier. Ja, er hatte gewonnen, aber irgendwie konnte er sich nicht richtig darüber freuen. Es lag weniger daran, dass er sie letztendlich hatte töten müssen, denn in einem solchen Gefecht gab es eben nur zwei Möglichkeiten: leben oder sterben. Aber er konnte ihre Worte nicht vergessen. „Sei, was du bist." Was hatte sie damit gemeint? Er war ein Krieger des Anubis. Es war seine Aufgabe, die Sieben Schlüssel zu verteidigen. Dennoch - warum wurde er den Eindruck nicht los, dass sich dieses „Sei, was du bist" auf den Umstand bezog, dass er sie töten musste? Er grübelte noch lange darüber nach, aber er fand keine Antwort. Als er Stunden später ins Bett schlüpfte, fiel er in einen bleischweren Schlaf. Auch Chazz schlief schlecht in dieser Nacht; immer wieder warf er sich hin und her, denn in seinem Kopf jagten sich undeutliche Bilder, in denen er vor allem Schmerz, Wut und Tränen ausmachen konnte. Gequält suchte er eine kühle Stelle auf seinem Kopfkissen. Das Mondlicht erhellte seine schweißbenetzte Haut und glitt über seinen linken Arm hinweg. Der Unterarm war verbunden, denn dort hatte ihn der Tiger erwischt. Das X darüber glühte rot in der Dunkelheit....

Die Rache des Skorpions (Teil 1)

So, es geht weiter, und gleich der nächste Mehrteiler! "Die Rache des Skorpions" wird drei Teile haben und diesmal steht Chazz im Mittelpunkt sowie das geheimnisvolle X, das auf seinem Arm eingebrannt ist...Vorhang auf für die Geschehnisse um den Vierten Schattenreiter! *Tusch*
 

Kapitel 12: Die Rache des Skorpions (Teil 1)
 

Chazz rannte durch eine finstere, schwarze Welt. Um ihn herum war nichts als Dunkelheit. Er wusste, dass es im Grunde nicht er war, der hier lief, sondern Shezar, denn seine Haut war braungebrannt und er trug die Kleidung eines Anubiskriegers. Das Herz schlug ihm wild in der Brust und ein unerklärliches, unbeschreiblichen Gefühl von Grauen kroch ihm über den Rücken. Seine Nackenhaare stellten sich auf und mit gehetztem Blick sah er sich um - aber alles war schwarz. Und dann hörte er es. Ein Knacken, ganz in seiner Nähe. Irgendetwas....Riesiges krabbelte über den Boden. Er drehte sich um und starrte auf ein gigantisches Insekt mit vor Sabber triefenden Kiefern, unzähligen Gliedmaßen und einem drohend erhobenen, spitzen Schwanz....ein Skorpion. Genau wie in seiner Vision im Wasser! Kalte Angst bemächtigte sich seiner und seine Kehle wurde trocken, während ihm der Schweiß ausbrach. Die Furcht klammerte sich mit eisigen Krallen an seinen gesamten Körper und lähmte ihn. Fahrig suchte er nach seinen beiden Spießen, aber er fand nichts. Plötzlich dröhnte höhnisches Gelächter an seine Ohren, das weitere, undeutliche Eindrücke hervorrief. Der Skorpion schien mit einem Mal im Blut eines Menschen zu waten und das Gelächter wurde immer lauter. Er sackte in die Knie, ihm wurde übel. Seine Hände berührten etwas Warmes und er zuckte zurück. Vor ihm lag eine Person, erst vor kurzem getötet. Zitternd sah er in das Gesicht des Verstorbenen und ein namenloses Entsetzen packte ihn, drang in ihn ein und ließ all seine Empfindungen taub werden. Und dann kam ein Schrei in ihm nach oben, wie ein Würgen zuerst, und schließlich wie eine einzige, dem Wahnsinn nahe Verzweiflung....das Echo des abscheulichen Lachens hallte in der Finsternis wider, Tränen schossen ihm aus den Augen und rannen in Strömen über sein Gesicht. „Kail...." flüsterte er völlig gebrochen. „Kail....du kannst nicht tot sein....Ich habe dir noch gar nicht gesagt, dass ich dich liebe...." Seine Stimme erstickte vor Schmerz. Das Lachen hörte nicht auf und langsam erweckte es in ihm ein berauschendes Gefühl von Zorn. Auf seinem linken Arm erschien ein rot glühendes X.
 

Er wachte auf, schwer atmend. Seine Hände fuhren über seine Wangen, spürten, dass sie feucht waren. Er hatte also nicht nur im Traum geweint. Ein brennender Brechreiz quälte ihn und er stürzte hinaus in sein Badezimmer, klappte den Toilettendeckel hoch und übergab sich. Er fühlte sich elend....hundeelend. War es so passiert? Hiron war damals umgekommen, daran erinnerte er sich bereits. Kail also auch. Und er hatte ihm offensichtlich nie gestanden, was er für ihn empfand....das musste es sein. ~~ Wenn du eines Tages vor die Wahl gestellt wirst, zu schweigen oder zu sprechen, dann bitte, sprich! Denn wenn du schweigst, könntest du es bereuen....für den Rest deines Lebens....~~

Shezar hatte geschwiegen und den Mann verloren, den er liebte, ohne dass dieser es wusste. Daher seine Ermahnung. Chazz krempelte den Ärmel seines Pyjamas um und betrachtete das X. Wenn er es sich genau überlegte, sah es aus wie eine....Narbe. Von wem stammte sie? Sie war erst aufgetaucht, als die Sache mit den Schattenreitern allmählich begann, damals, als er im Thermalbad war. Schon an jenem Tag hatte er die Präsenz der Schatten gespürt, ohne sich darüber klar zu sein. Das nagende, bohrende Gefühl, nicht allein zu sein....ausspioniert zu werden....Er seufzte und löschte seinen Durst mit einem Schluck Leitungswasser, etwas anderes brachte er nicht hinunter. Er hockte sich wieder auf sein Bett, ließ das Licht jedoch ausgeschaltet. Die Dunkelheit, die vom Mond erhellt wurde, machte ihm keine Angst. Er musste an seinen feuchten Traum denken, den er vor ein paar Tagen gehabt hatte. Seine letzten Zweifel waren verschwunden. Er war schwul. Basta. Wie sonst ließ es sich erklären, dass ihn die bloße Vorstellung so erregt hatte? Seine Situation war katastrophal. Nicht nur, dass ihn Alpträume malträtierten, er musste sich auch noch mit seinen Gefühlen für Jaden herumschlagen: Liebe und Verlangen. Oh ja, das war eine Tatsache. Er begehrte ihn auch, eine Emotion, die seinem jungfräulichen Körper vollkommen fremd war. Die ausdrucksstarken, leidenschaftlichen Augen, die sinnlichen Lippen, die anmutigen Bewegungen, die schöne Brust, die reinen Schultern, diese unwiderstehlichen Hüften, die schlanken Beine, dieser unglaublich süße Hintern....in seinem Kopf und in seinem Herzen herrschte Chaos.
 

Er sank erschöpft ins Kissen, nun befreit von seiner Übelkeit, aber unruhig, hin und her gepeitscht von seinen Empfindungen. Er wollte nicht mehr einschlafen, obwohl es erst drei Uhr morgens war. Der Schlaf würde den Alptraum zurückbringen und das wollte er nicht. Er hatte schon Ringe unter den Augen, weil er nicht mehr anständig durchschlief. Aber er konnte nicht. Immer wieder das Skorpionmonster, immer wieder die blutüberströmte Leiche des geliebten Mannes, immer wieder diese schreckliche Furcht und dieses grässliche Gelächter, das ihn verspottete....der Schmerz, die Tränen, die Wut. Der Ekel in seiner Kehle, die Finsternis um ihn herum - und das X. Er hatte versucht, sich an seine Existenz vor viertausend Jahren zu erinnern, aber über Kails Tod konnte er nichts finden, dort klaffte eine Lücke. Er blickte zum Fenster hinaus und stutzte. Unten lief eine dicke Katze vorbei....das war doch Pharao, der Kater von Professor Banner! Warum war dieser komische Kerl eigentlich noch immer krankgeschrieben? Durfte man als Dozent so lange vom Unterricht fernbleiben? Er verfolgte, wie der Kater hin und her sprang und Stöckchen durch die Gegend schleppte, ein höchst ungewöhnliches Verhalten für das sonst so faule Tier. Chazz beobachtete die merkwürdigen Eskapaden noch eine Weile, bis die Neugier ihn besiegte. Er schlüpfte in seine Stiefel und einen Mantel und verließ den Anubis-Black-Trakt. Als er hinter der Trophäenwand hervortrat, schauderte es ihn doch ein wenig, denn so ein verlassen wirkendes Gebäude hatte etwas unheimliches. Er ging hinaus und entdeckte nach einiger Zeit den Kater, der prompt auf ihn zulief und leise miaute. Er streichelte durch das weiche Fell und fragte: „Na, was machst du hier, Speckrolle? Wo ist denn dein Herrchen? Seit wann lässt der dich alleine herumrennen? Noch dazu um diese Uhrzeit?"

Pharao maunzte und tapste zu seinen akkurat ausgelegten Stöckchen hinüber. Chazz folgte ihm - und war fassungslos. Im Gras hatte der Kater aus Zweigen eine Nachricht niedergeschrieben, die ausgebreiteten Ästchen hatten die Form von Buchstaben.

H I L F M I R

„Hilf mir...." las er und schüttelte verwirrt den Kopf. Er starrte das Tier an und zermarterte sich das Hirn, welche Verbindung es zu ihrem Kampf haben mochte - und wer oder was es in Wirklichkeit war. Seit er mit Magie und Dämonen konfrontiert worden war, stand er seltsamen Erlebnissen ganz anders gegenüber und so nahm er diese Botschaft sehr ernst.

„Ich soll dir helfen? Was soll ich tun?"
 

Pharao umschmeichelte ihm dankbar die Beine und lief auf die Schule zu. Er führte den Sechzehnjährigen in die Bibliothek, in die Abteilung Geschichte. Es gab dort einen Bücherschrank, der stets abgeschlossen war und niemand hatte sich je danach erkundigt, was darin wohl für Schriftstücke verwahrt wurden. Der Kater tippte ein Nippesfigürchen an, das als Dekoration in einer der Schranknischen stand und Chazz ergriff es gehorsam. Er stellte fest, dass sich in dem Sockel eine Klappe befand und er öffnete sie. Ein Schlüssel fiel heraus und der Jugendliche probierte ihn sofort aus. Er passte. Ehrfürchtig wanderten seine Hände über die Bücher, die er nun erreichen konnte. Die meisten davon schienen uralt zu sein, sogar Schriftrollen waren darunter und lose Blätter, die man einfach in eine Mappe gesteckt hatte. Pharao miaute eindringlich und er hob das Tier hoch, damit es ebenfalls in den Schrank sehen konnte. Es berührte eine Schriftrolle mit schwarzgoldener Kordel und Chazz zog sie vorsichtig heraus. „War‘s das?" Er interpretierte die folgende Kopfbewegung als ein Nicken und sperrte den Schrank wieder sorgsam zu, verbarg den Schlüssel in seinem Versteck und schlich nach draußen. „Was nützt uns diese Schriftrolle?"

Pharao fing erneut damit an, Stöckchen zu sammeln und trug sie zu denen hinüber, die er bereits zum „Schreiben" benutzt hatte. Er arbeitete einige Minuten und präsentierte schließlich sein Werk. Der Dunkelblauhaarige hatte plötzlich ein dumpfes Gefühl in der Magengegend, obgleich er nicht genau wusste, weshalb.

W A H R H E I T

„Wahrheit....was bedeutet das? Enthält diese Schriftrolle die Wahrheit? Aber was für eine Wahrheit soll das sein? Ich meine....heißt das, es gibt da noch etwas, von dem wir nichts wissen? Ach verdammt, ich wünschte, du könntest richtig sprechen!"

Er hob den Kopf, der Instinkt des Kriegers erwachte in ihm. Seine geschmeidigen Muskeln spannten sich an, seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Die Aura eines Schattenreiters! Pharao hatte sich erschrocken und floh, bevor Chazz ihn daran hindern konnte. Hatte er es auch gespürt? Er war nicht bewaffnet, aber ein Kämpfer des Anubis wurde auch in waffenloser Selbstverteidigung unterwiesen, sodass er sicher war, den Feind wenigstens k. o. schlagen zu können. Auf einmal wurde die Aura jedoch schwächer, bis sie gänzlich verblasst war und er gab seine Gefechtshaltung auf.

»Das ist vielleicht eine verrückte Nacht....und was mache ich jetzt mit dem Ding? Bestimmt ist es besser, wenn ich die Schriftrolle irgendwo einschließe. Beim Frühstück werde ich dann den anderen davon erzählen.«

Er kehrte in sein Zimmer zurück und kroch müde in die Federn. Diesmal schlief er, tief und traumlos. Ein paar Stunden später, in der allgemeinen Schulcafeteria (es gab je eine in jedem Wohnhaus, aber wer sich im Unterrichtsgebäude aufhielt, ging in der Regel hier zum Essen. Die Anubis Black besassen keine eigene Cafeteria, sie waren ja nur zu siebt), wo man der schwarzuniformierten Gruppe einen separaten Tisch zur Verfügung gestellt hatte, berichtete Chazz seinen Freunden von den seltsamen Ereignissen.

„Und Pharao hat dir tatsächlich diese Nachrichten buchstabiert?" erkundigte sich Bastion zum mindestens vierzigsten Mal. „Ich hatte immer schon den Verdacht, dass dieser Kater nicht ganz normal ist, aber so abnormal....Puh....!"
 

„Ist denn ein gebildeter Kater, der Wörter mit Zweigen schreiben kann, so abnormal für unsere Verhältnisse?" kicherte Syrus und zwinkerte in die Runde. „Wir hatten es mit Monstern zu tun, Drachen, Vampiren, Werwölfen, Zauberei, Amazonen....wir haben schon lange keinen ‚normalen‘ Alltag mehr."

„Da ist was Wahres dran", seufzte Alexis und schaute sich kurz nach den übrigen Schülern um, die um den Tisch der Anubis Black einen respektvollen Bogen machten. Es wurde über sie getuschelt und Gerüchte verbreitet, wie immer, wenn niemand etwas genaues wusste.

„Kannst du uns diese Schriftrolle zeigen?" wandte sich Jaden an den Dunkelblauhaarigen und erntete eine Zustimmung. Gemeinsam brachen sie zu ihrem Trakt auf und versammelten sich in dem Gemeinschaftraum mit der rechteckigen Tafel und den nummerierten Stühlen. Ihr Anführer nahm an der Stirnseite Platz und Chazz holte das Schriftstück aus seinem Zimmer. Die Kordel wurde entfernt und das Papier auseinander gerollt. Es begrüßte sie ein Bild, aufgeteilt in zwei Bereiche. Rechts waren drei Kreaturen aufgemalt, die jeder Duellant sofort erkennen musste: Es handelte sich um die legendären Göttermonster aus Yugi Mutos Deck! „Was hat denn das zu bedeuten?" Zane fuhr die Konturen der Zeichnungen nach. „Sie sind es - Obelisk der Peiniger, Slifer der Himmelsdrache und der Geflügelte Drache des Ra. Aber was sind dann die hier?"

Links hatte man drei ähnliche Geschöpfe verewigt, nur schienen sie im Vergleich mit den lebendiger wirkenden Gottheiten eigentümlich knochig und weniger beeindruckend zu sein. Zwischen den beiden Bildhälften stand das Porträt eines Mannes, bekleidet mit einem Lendenschurz, einer Tunika mit Federmuster und einer ebenfalls mit Federn geschmückten Doppelkrone, in traditioneller ägyptischer Pose und, wie gewöhnlich, in Profilansicht.

„Wer ist denn der Kerl?"

„Keine Ahnung, Sy", entgegnete sein bester Freund und kratzte sich verwirrt am Kopf. „Könnte ein Herrscher sein oder sowas. Offensichtlich hat er was mit den Göttermonstern und den anderen Wesen zu tun. Glaubt ihr....glaubt ihr, das könnten die Heiligen Ungeheuer sein?"

„Diese Idee hat etwas für sich. Die Möglichkeit besteht."

„Ich weiß nicht, Zane. Ich habe mir die Heiligen Bestien irgendwie....na ja, majestätischer vorgestellt und nicht so....furchteinflößend." meinte das Mädchen nachdenklich.

„Bleibt noch herauszufinden, was uns diese Malerei sagen soll." Jaden erhob sich und trat zu dem hohen Bogenfenster, durch dessen blinde Scheiben fahles Sonnenlicht fiel. Er konnte zwar hinausblicken, aber niemand sah ihn. Wieder erinnerte er sich an Taniyas Worte. „Sei, was du bist." Und nun diese Sache mit Pharao, der sich ganz und gar nicht katzenhaft benahm und ihnen diese geheimnisvolle Schriftrolle in die Hände spielte. Was sollte er davon halten?

„Spekulieren ist erlaubt. Die drei anderen Kreaturen könnten die Heiligen Ungeheuer sein. Deswegen wissen wir aber noch lange nicht, was Yugi Mutos mächtigste Karten auf einem höchstwahrscheinlich sehr alten Bogen Papyrus zu suchen haben. Wer ist außerdem dieser Mann, der zwischen ihnen abgebildet ist? Gibt es dafür Hypothesen?"

„Du kennst ein so schwieriges Wort wie Hypothese?"

„Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für Scherze, Bastion!"
 

Der Schwarzhaarige schwieg und musterte seinen Anführer mit Überraschung. Er selbst hatte nie an Jadens Leitqualitäten gezweifelt, doch die neue Ernsthaftigkeit, die er bisweilen an den Tag legte, erstaunte ihn. Er wusste, dass der Jüngere so sein konnte, aber er machte davon eher selten Gebrauch - jedenfalls war es bisher so gewesen. Spürte er Zweifel bei ihm oder täuschte er sich? War da Unsicherheit, Ratlosigkeit? Was hatte Taniya zu ihm gesagt, bevor er sie besiegte? Gewiss, es gab noch die eine oder andere ungeklärte Frage, aber am Sinn ihrer Mission ließ sich nicht rütteln....oder? Er starrte auf das Bild. Irgendetwas hatte Pharao ihnen damit mitteilen wollen....nur was?

„Der Mann könnte ein König sein, vielleicht auch ein Priester."

„Er ist auf alle Fälle bedeutend. Eventuell ist er die Ikonographie einer Gottheit?" schlug der Grünhaarige vor und die anderen fanden diese Vermutung ebenso einleuchtend. Sie hätten sich noch geraume Zeit darüber auslassen können, wenn die Glocke nicht geläutet hätte. Chazz verstaute das ihm anvertraute Werk in einem abschließbaren Fach in seinem Schrank und eilte mit den übrigen Anubis Black zum Unterricht. Die erste Stunde dieses Vormittags hielt eine Überraschung für die Studenten bereit - Professor Banner war wieder gesund und die geplante Vertretungsstunde bei Doktor Crowler war somit hinfällig. Die Schüler begrüßten ihren langvermissten Dozenten mit begeisterten Rufen und Klatschen, denn auch wenn normalerweise irgendetwas während seiner Experimente missglückte oder explodierte, mochten sie ihn doch alle gern wegen seiner fröhlichen und gutmütigen Art. Er nahm nie etwas übel.

„Guten Tag, meine lieben Studiosi. Ich bin hocherfreut, Sie wiederzusehen. Ich habe mich bestens von meiner Krankheit erholt und kann frisch und gestärkt an die Arbeit gehen. Hoffentlich hat Ihnen Professor Crowler das Leben nicht zu schwer gemacht! Übrigens darf ich Ihnen heute gleich einen neuen Kommilitonen vorstellen: Chick Scorpion, eingewiesen in Slifer Red. Stellen Sie sich vor."

Ein Junge etwa in Syrus‘ Alter und nicht übermäßig größer als dieser, mit einer punkähnlichen Frisur und neugierigen Augen, grinste die Anwesenden an, verneigte sich nach allen Seiten und sagte: „Hallihallo, freut mich, Euch kennen zu lernen! Ich heiße Chick und bin schon gespannt auf die Duelle, die hier so ausgefochten werden!" Er schickte noch ein strahlendes Lächeln hinterher und suchte sich einen Platz aus. Der Zufall wollte es, dass er direkt neben Syrus landete und bald hatte sich zwischen ihnen ein Gespräch entwickelt. Sie hatten schnell einen Draht zueinander entdeckt aufgrund ihrer geringen Körpergröße und den damit verbundenen Problemen und Erfahrungen wie Spott oder Kränkungen. Professor Banner begann mit seiner Vorlesung und am Ende der Doppelstunde waren die zarten Triebe einer neuen Freundschaft entstanden. Als es zwölf schlug und die Schüler in die verschiedenen Mensen strömten, blieb der Türkishaarige hinter seinen Rangmitgliedern zurück.

„He, Sy! Was ist, kommst du? Heute steht Curry auf der Speisekarte!"

„Nein, geht ihr ruhig vor, ich....ich warte noch auf Chick. Er ist nun mal neu und ich dachte, ich könnte ihm vielleicht ein bisschen helfen...."
 

Da tippte ihm Chick auf die Schulter und die zwei Fünfzehnjährigen schlenderten in Richtung Slifer-Red-Haus davon. „Ist das echt in Ordnung, wenn du bei uns isst? Die Slifer-Mensa ist nicht gerade berühmt für ausgesuchte Küche und du könntest was besseres haben."

„Nein, ist okay. Ich war es bis vor einiger Zeit gewohnt, nichts anderes als Slifer-Menüs zu verspachteln, ich bin total abgehärtet! Hast du ein schönes Zimmer bekommen?"

„Na ja....verglichen mit den Luxusausführungen der Obelisken sind wir ja fast das Armenviertel. Kakerlaken und sonstige Insekten....da kann ich garantiert nicht schlafen, wenn ich ständig daran denke, dass es irgendwo wuselt und krabbelt. Aber solange das Bett nicht unter mir zusammenbricht oder Drecksbrühe aus dem Wasserhahn kommt, kann ich alles ertragen! Zumindest haben wir einen coolen Hauslehrer!"

„Stimmt, Banner ist voll nett, auch wenn er seine kleinen Eigenheiten hat, aber Lehrer ohne Eigenheiten existieren vermutlich gar nicht!"

Sie lachten vergnügt und aßen zusammen zu Mittag. Danach hatte Chick eine Freistunde, sodass Syrus sich von seinem neu gewonnenen Freund verabschieden musste. Er winkte ihm auf halbem Weg zum Unterrichtsgebäude noch einmal zu und lief davon. Der Zurückgebliebene schloss die Tür seines Zimmers und schälte sich aus der roten Jacke. An seinem rechten Oberarm wurde eine Tätowierung in Form eines Skorpions sichtbar. Er strich darüber hinweg und stieß einen tiefen Seufzer aus. Eine schwarze Substanz sprudelte durch die Bodenbretter und manifestierte sich in Gestalt eines muskulösen Mannes mit kantigem Gesicht, der eine identische Tätowierung besass. Sein rechtes Auge war zudem unter einer Art Augenklappe aus Gold verborgen.

„Du hast dich erfolgreich eingeschleust. Ausgezeichnet. Und du hast dir das anfängliche Vertrauen eines Anubiskriegers erworben. Perfekt, wirklich perfekt. Aber von meinem Sohn erwarte ich auch nichts anderes. War Shezar dabei?"

„Ja, Vater."

„Wunderbar! Also wird er mein Gegner im nächsten Duell der Schatten sein! Er hat mit mir nämlich noch eine alte Rechnung zu begleichen und dazu will ich ihm Gelegenheit geben!" Er löste die Lederriemen der goldenen Augenklappe und nahm sie ab. Chick wäre am liebsten vor diesem Anblick geflohen. Das Antlitz seines Vaters war um das Auge herum völlig entstellt; von der Stirn bis hinunter zum Kinnansatz bahnte sich eine brutale, kreuzförmige Narbe ihren Weg, das Fleisch um die Wunde war faltig, verrunzelt und sah aus, als hätte man versucht, die beschädigte Haut durch verschiedenfarbige Hautflecken zu flicken. Rechts war er blind.

„Ich werde ihn für diese Verstümmelung bezahlen lassen! Und er wird kommen, wenn ich ihn herausfordere, denn zwischen uns steht unverrückbar der Schwur der Rache!!" Er zog seinen Dolch und donnerte zwei sich überschneidende Kerben in die Tür. Ein X....
 

Dunkelheit.

Rennen, rennen, rennen.

Angst.

Schweiß.

Blut.

Tränen.

Zorn.

Schmerz, Schmerz, Schmerz!

Der Stachel eines riesigen Skorpions, der auf ihn herniederfuhr, ihn lähmte. Seine Beine gehorchten ihm nicht. Ein Mann lächelte grausam auf ihn hinunter. Er wehrte sich verzweifelt. Und dann....nichts mehr. Kälte. Tod.

Das war Kails Ende. Und er stand jetzt neben seiner Leiche. Hilflos. Einsam. Verloren. Hielt ihn im Arm, weinte. Schüttelte den Kopf. Wollte es nicht glauben und musste es doch. Schmerz erfasste sein stolzes Herz, höhlte es aus, zerriss es in kleine Stücke, ließ es ausbluten. Die gleiche Kälte, die Kails Körper zu erobern begann, breitete sich auch in seinem Inneren aus. Er fror entsetzlich. Noch immer tropften die Tränen. Noch immer tönte dieses arrogante, beleidigende Gelächter an seine Ohren. Hass und Wut brachen in ihm hervor, berauschend, wie ein Sturzbach, überschwemmten alles in ihm, raubten ihm die Luft, ließen ihn auf Rache sinnen. Eisig wurden die Finger der Hand, die er umklammerte. Der Tod hatte sein finales Stadium erreicht. Wieder Schmerz, in geballter Ladung, gnadenlos, hart, heftig, um ihn endgültig niederzuschmettern, den letzten Rest seiner Seele zu zermalmen. Und er schrie.

„NEEEEEEEEIIIIIIIIIN!!!!!"

Er riss die Augen auf. Er lag in seinem Bett, schweißgebadet, nach Atem ringend. Das Buch, das er gelesen hatte, war heruntergefallen, als er eingeschlafen war. Wie spät war es? Der Unterricht war vorüber. Halb fünf. Definitiv, der Wecker log nicht. Er hatte seine letzte Vorlesung verpasst. Das Herz klopfte ihm wie rasend in der Brust, die bekannte Übelkeit loderte in seiner geschundenen Kehle.

»Oh, ich möchte diese Alpträume einfach ausspeien! Ausspeien und nie wieder von ihnen behelligt werden! Mir ist schlecht....und ich fühle mich wie gerädert. Von dieser komischen Schriftrolle habe ich mir etwas mehr erhofft....aber vielleicht bringt es was, wenn wir herausfinden, wer der Mann auf dem Bild ist bzw. war. Kanzler Sheppard müsste uns helfen können. Was diesen neuen Schüler betrifft....Sy hat sich ein bisschen mit ihm angefreundet. Ich bin davon nicht begeistert. Nicht, dass er die Aura eines Schattenreiters hätte, nein, aber da ist etwas an ihm, das mich beunruhigt....und Jaden, Jaden, Jaden! Warum bringe ich es nicht über mich, ihm meine Liebe zu gestehen?! Sobald die Chance da ist, lasse ich sie ungenutzt verstreichen! Möglicherweise ist es besser so, sonst zerstöre ich bloß unsere Freundschaft und es hat lange genug gedauert, bis wir sie errichtet hatten. Andererseits kann ich nicht ewig stillbleiben und meine wahren Gefühle ignorieren! Was soll ich tun? Da fällt mir ein....wem mag diese Stimme gehören, die Taniya unterbrach? Er hat ihr sogar einen Dolch vor die Füße geschleudert. ‚Kail ist mein!‘, so hat er sich ausgedrückt. Wer....uh, aua!«
 

Chazz wusste, dass dieser Schmerz von dem X stammte. Er zog seinen Uniformmantel aus und begutachtete das Symbol. Es glühte rötlich und tat weh, als wäre der Schnitt noch ganz frisch. Er verschwand im Badezimmer und drückte einen nassen Waschlappen darauf, in der Hoffnung, dass das unangenehme Brennen aufhören würde. Ein Kratzen vom Fenster her lenkte seine Aufmerksamkeit in diese Richtung. Ein schwarzer Skorpion krabbelte von draußen auf das Fensterbrett und der Sechzehnjährige sprang auf. Hastig suchte er nach einem Gegenstand, mit dem er dieses Vieh loswerden könnte, als das Insekt plötzlich in Flammen aufging und zu Asche zerfiel. Chazz kam irritiert näher und das Blut in seinen Adern erstarrte zu Eis. Auf dem Fensterbrett stand in Hieroglyphenschrift: „Mein ist die Rache."
 


 

Chick ist im Original nicht der Sohn des Vierten Schattenreiters, aber ich hab mich mal darüber hinweggesetzt, weil es eine interessante Komponente mit einbringt und der Figur mehr Tiefe verleiht. Tja...und es wird immer mysteriöser...bis zum nächsten Kappi!^^ *wink*

Die Rache des Skorpions (Teil 2)

Ja, es geht weiter - endlich wird das Geheimnis des X auf Chazz' Arm gelöst, dafür tauchen neue Rätsel auf....es bleibt spannend!^^
 

Kapitel 13: Die Rache des Skorpions (Teil 2)
 

„Was halten Sie davon, Sir?"

Die sechs Anubis Black hatten sich in Kanzler Sheppards Büro versammelt und hatten ihm die Schriftrolle vorgelegt, die dieser nun ausgiebig musterte.

„Und es war wirklich der Kater, der dich zu diesem Schriftstück geführt hat?"

„Ja, Sir." erwiderte Chazz und unterdrückte ein Gähnen, denn seit dem Zwischenfall mit dem Skorpion und der Ankündigung „Mein ist die Rache" waren die Alpträume in regelmäßigen Abständen aufgetreten und machten es ihm unmöglich, richtig zu schlafen. „Er hat Botschaften aus Zweigen zusammengesetzt, um sich mit mir zu verständigen. Dann spürte ich auch noch die Aura eines Schattenreiters, aber sie erlosch kurz darauf. Trotzdem glaube ich, dass unser Feind noch in der Nähe ist. Können Sie denn etwas mit dieser Zeichnung anfangen?"

„Ja, Mr. Sheppard, sagen Sie es uns!" meldete sich Jaden zu Wort. „Da sind einmal die drei Göttermonster von Yugi Muto abgebildet und dann drei andere, die die Heiligen Bestien sein könnten! Und dann dieser Mann, der zwischen ihnen steht....wer ist das?"

„Keine Ahnung, auch ich weiß es nicht. Aber was die Göttermonster von Yugi Muto betrifft - wisst ihr eigentlich, woher Duel Monsters stammt?"

„Woher es stammt? Na, Maximilian Pegasus, der Chef von Industrial Illusions, hat es kreiert."

„Nein, ich meine, kennt ihr die Ursprünge des Spiels?"

Seine Schüler schüttelten die Köpfe und der Direktor erhob sich von seinem Sessel. „Mr. Pegasus hat nichts anderes getan, als ein uraltes Spiel wiederzuentdecken, das bereits vor vielen Jahrtausenden ausgetragen wurde, und zwar im alten Ägypten. Dort liegen die Wurzeln von Duel Monsters. Doch damals war es weit mehr als nur ein Spiel, es diente zur Austragung von Machtkämpfen jeglicher Art und die Duelle wurden mit echter Magie bestritten - und mit echten Kreaturen, eingeschlossen in magischen Steintafeln, die sich nur wahren Meistern unterwarfen. Könige, Priester, Zauberer, Richter, eine Menge hochstehender Persönlichkeiten, nahmen an diesen Gefechten teil, und nicht alle überlebten es, denn schließlich griff man sich gegenseitig mit Geschöpfen an, die aus dem Reich der Schatten stammten und ihre Kräfte konnten einen Menschen tatsächlich umbringen. Das waren die klassischen Duelle der Schatten, gefahrvoll, nervlich strapaziös und mitunter sogar tödlich. Auch die Göttermonster sind aus dieser Zeit überliefert, aber die Macht, sie zu rufen, blieb einem einzigen Mann in ganz Ägypten vorbehalten: dem Pharao. Sie wurden nicht für die ehrgeizigen und grausamen Schlachten um Reichtum, Macht und Ehre eingesetzt, sondern um das Volk des Landes zu schützen. Diese Schattenduelle hätten die Welt vernichten können, wenn nicht eines Tages ein mutiger Pharao die unheilvolle Macht der Schatten in sieben Millenniumsgegenständen eingeschlossen und für immer von diesem Planeten verbannt hätte, um zu verhindern, dass sich je wieder einer ihres Gebrauches erinnerte. Aus diesem Grund löschte er auch sein Gedächtnis, damit die unheilvollen Kräfte der Schatten niemals mehr zurückkehren könnten. Aber dann stieß Pegasus während seiner Ausgrabungen auf einen der Millenniumsgegenstände und fand Aufzeichnungen über das Spiel. Und natürlich hatte er nichts Besseres zu tun, als es gewinnbringend zu vermarkten - aus den Steintafeln wurden Karten und er stellte ein Regelbuch zusammen, um einen der größten Spielerfolge unserer Zeit zu schaffen: Duel Monsters. Das Schicksal wollte es offenbar, dass die Schatten ein letztes Mal unsere Welt bedrohen sollten, denn eines Tages bekam Yugi Muto von seinem Großvater das berühmte Puzzle geschenkt, das sein Markenzeichen wurde und jeder von euch kennt. Auch dieses Puzzle war einer der Millenniumsgegenstände, und als Yugi es zusammensetzte, hatte das die endgültige Rückkehr vom Spiel der Schatten zur Folge....und die Wiedergeburt des tapferen Pharaos, der es einst verbannt hatte....Yugi Muto trug die Seele dieses Pharaos in sich und deshalb gelang es ihm auch, König der Spiele zu werden, trotz schlimmster Hindernisse und vieler Gegner. Er hatte gar keine andere Wahl, denn er musste die Schatten erneut in die Knie zwingen, bevor es zu spät war. Und er war erfolgreich. Heute wissen nur noch sehr wenige Duellanten von diesen Tatsachen."

„Woher wissen Sie es?"

„Ich kenne Mr. Muto Senior, den Großvater eures Idols. Bevor er seinen Spieleladen eröffnete, war er als Dozent für Ägyptologie an der Universität von Domino City tätig. Ich war einer seiner Studenten und wurde nach meinem Abschluss sein Assistent, bis er sich dann eines Tages zur Ruhe setzte und das Game Shop ins Leben rief. Diese Geschichte erklärt hoffentlich, wie es möglich ist, dass die drei Göttermonster auf einer so alten Schriftrolle verewigt sind."

Die Gruppe nickte, schien aber noch nicht ganz zufrieden zu sein. Bastion wagte einen Vorstoß: „Und diese anderen Kreaturen? Sind das....?"
 

„Wie ihr bereits richtig vermutet habt, sind das die Heiligen Ungeheuer, genau."

„Und sie sind gemeinsam mit den Götterwesen abgebildet. Sie sagten, Obelisk, Slifer und Ra hätten die Aufgabe gehabt, das ägyptische Volk zu beschützen. Heißt das, die drei Ungeheuer hatten dieselbe Funktion?"

Der Kanzler hatte sich zu dem Panoramafenster seines Büros umgedreht und blickte hinaus, als wäre er mit seinen Gedanken weit fort. „Korrekt. Lasst mir die Schriftrolle da, vielleicht kann ich etwas über den Mann herausfinden, der hier porträtiert worden ist."

„Gern."

Die jungen Krieger verschwanden und begaben sich zum Unterricht, während Mr. Sheppard zurückblieb und sich in langes Schweigen hüllte, bis ein Klopfen die unheimliche Stille durchbrach. Professor Banner betrat den Raum.

„Ach, Sie sind es."

„Ja, Sie haben mich doch telepathisch herbestellt. Was kann ich für Sie tun?"

„Sie haben mir noch gar nicht erzählt, dass Ihnen Ihr Kater davongelaufen ist."

„Davongelaufen? Wer, Pharao? Oh nein, er unternimmt nur öfters Streifzüge durch die Umgebung. Das ist typisch für Katzen, man kann ihnen das nicht abgewöhnen."

„Mit Ihrem Kater stimmt etwas nicht. Er hat den Auserwählten diese Schriftrolle in die Hände gespielt. Was wissen Sie darüber?"

Seine Stimme war schneidend und eiskalt. Banners Augen, sonst immer in einem Bild lächelnder Einfalt geschlossen, öffneten sich und zeigten eine dunkelbraune Iris. Sein Gesicht war zu einer kühlen, abweisenden Maske erstarrt.

„Ich weiß gar nichts darüber, das schwöre ich. Aber wenn er zu mir zurückkommt, kann ich ihn analysieren, wenn Ihr das wünscht."

„Tu das....und sollte ich feststellen, dass es mit deiner Loyalität nicht so weit her ist, dann wehe dir....Amnael!"

Der Professor verneigte sich respektvoll und verließ den Direktor. Draußen im Korridor atmete er auf und fuhr sich in einer Geste der Erleichterung durch sein üppiges dunkles Haar. Das doppelte Spiel, das er spielte, konnte ihn das Leben kosten....aber er musste es zumindest versuchen. Wer sonst konnte den Anubis Black Hinweise liefern, die die Wahrheit betrafen? Wer sonst konnte ihnen im Geheimen beistehen, wenn nicht er?

„Hoffentlich ist dir klar, was du da riskierst." hörte er plötzlich jemanden sagen und aus dem Flur rechts von ihm kam ihm Chick entgegen, ernst und gemessen.

„Du solltest nicht hier sein. Hast du jetzt keinen Unterricht bei Doktor Crowler?"

„Gott bewahre, nein - und selbst wenn, würde ich vermutlich schwänzen. Mein Vater mag es nicht, wenn ich mit dir spreche, er nimmt es dir immer noch übel, dass du damals den Posten erhalten hast, der seiner Meinung nach ihm gebührt hätte. Du weißt ja, wie er ist. Hältst du es für klug, zwei Herren deine Treue zu schwören? Er wird dich töten, wenn er es merkt."

„Das ist mir bewusst. Aber wer hätte denn auch ahnen können, dass er so vorgehen würde. Und du? Was hast du sonst noch auf dem Herzen? Du willst mir doch nicht weismachen, dass du alleine deswegen zu mir gekommen bist, um mir deine Besorgnis mitzuteilen, oder?"

Chick errötete dezent und räusperte sich verlegen. „Es....es geht um....einen Jungen...."

Der Dozent, dessen Gesicht wieder den vertrauten Ausdruck angenommen hatte, konnte sich ein Grinsen nicht verbeißen und ermunterte den anderen mit einem Nicken, fortzufahren.

„Mein Vater würde total ausrasten, wenn ich es ihm erzählte, deshalb rede ich lieber mit dir. Ich....ich bin erst seit ein paar Tagen Schüler der Duellakademie, aber ich habe mich mit einem der Anubiskrieger angefreundet. Mit....mit Syrus, alias Sokat. Ich habe ihn gern, Amnael....sehr gern sogar. Er ist ein bisschen schüchtern, aber wirklich nett und freundlich. Und er ist süß, vor allem, wenn er lacht. Wie wird er reagieren, wenn er erfährt, dass ich....na ja, ein Feind bin? Der Angriff der Schwarzen Skorpione ist für morgen Abend geplant. Vater will sich an Chazz - Shezar - rächen. Er wird ihn zu einem Duell der Schatten herausfordern....und wenn das geschieht, wie soll ich Syrus jemals wieder in die Augen sehen? Seit er mich kennt, belüge ich ihn....ich hätte auch nicht gedacht, dass ich ihn in dieser kurzen Zeit so liebgewinnen könnte, aber es ist so. Was soll ich bloß tun?"

„Dafür habe ich auch keine allgemeingültige Weisheit parat, Chick. Aber angenommen, Chazz besiegt deinen Vater, tötet ihn....wie wären deine Gefühle in diesem Fall?"

„Ich weiß es nicht. Ich schätze meinen Vater, doch ich bin nicht sicher, ob mir sein Tod innerlich sehr nahe gehen würde. Wir sind selten einer Meinung und er betrachtet mich als ein mitunter zu eigenwilliges Mitglied der Schwarzen Skorpione, als eine Art Außenseiter mit oft fragwürdigen Ideen. Ich bin ihm nicht so hörig wie die anderen und ordne mich ihm nicht bedingungslos unter, gerade weil ich sein Sohn bin. Amnael....die Auserwählten werden die Wahrheit vielleicht nicht verkraften. Hast du schon mal daran gedacht?"

„Natürlich. Aber sollen sie im Namen einer Lüge weiterkämpfen? Das ist auch nicht besser als die jetzige Situation. Und was dein Problem betrifft - ich fürchte, du kommst um die Wahrheit nicht herum, so ungemütlich sie auch ist."

„Ich habe befürchtet, dass du das sagen würdest...."
 

Crowler verteilte die korrigierten Aufsätze über das Thema der Zauber- und Fallenkarten und ihre Anwendung und erklärte: „Ich gratuliere Ihnen, Mr. Yuki. Die erste gute Note, die Sie in meinem Unterricht zustandegebracht haben, und das selbstverständlich nur mit Hilfe Ihres Partners, Mr. Princeton. Alleine hätten Sie es wohl nicht geschafft, Ihren Durchschnitt zu heben. Dieser Aufsatz dürfte das einzige Erfreuliche in Ihrer schulischen Laufbahn sein."

„Danke sehr." erwiderte Jaden säuerlich und ließ seine Stimme um eine Oktave tiefer rutschen. Auf dem Papier prangte eine stolze, formschöne Eins. Er wusste, dass sie hauptsächlich Chazz‘ Verdienst war und überlegte, wie er sich am besten dafür bedanken konnte.

„Wir haben es geschafft, Kumpel! Ohne dich hätte ich niemals so super abgeschnitten! Das meiste habe ich ja dir zu verdanken, du hast so einen tollen Schreibstil und verstehst dich wirklich auf Duellanalysen. Ich habe eigentlich nur die Quellen ausgewählt und die Präzedenzfälle ausgesucht. Und die Hälfte der Karten, die wir bearbeiten sollten."

„Na und? Ist das vielleicht nichts? Du hast dich auch angestrengt."

„Meinst du das ernst, mein Chazzalein?"

„Ja. Und nenn mich nicht so, das ist peinlich!"

„Was hast du gegen ‚Chazzalein‘? Das klingt doch süß, also passt es zu dir!"

„Hä??" Der Dunkelblauhaarige blinzelte seinen Gegenüber irritiert an und spürte, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg. „Was meinst du damit?"

„Na, es klingt süß und du bist süß!"

„Ich bin nicht süß!!!" zischte Chazz, als hätte ihn der Brünette tödlichst beleidigt, versuchte aber mit diesem schroffen Ton lediglich seine Verlegenheit zu vertuschen. Insgeheim freute er sich über das Kompliment, ärgerte sich aber gleichzeitig darüber, weil Jaden ihn so aus der Fassung zu bringen vermochte. Sollte er ihm von seinen Alpträumen erzählen? Bisher hatte er sie verschwiegen, da er selbst mit ihnen fertig werden wollte. Von der Botschaft, die in Gestalt eines Skorpions zu ihm geschickt worden war, hatte er ebenfalls noch nichts verraten. Er konnte sich nicht daran erinnern, weshalb der Skorpion ein ungutes Gefühl in ihm weckte oder warum er ihn in seinen Träumen angriff. Er hatte offenbar gegen dieses Insektenmonster gekämpft, und es hatte wohl Kail gelähmt, damit er getötet werden konnte, und zweifellos war der Mörder ein Schattenreiter, aber das waren nur unzureichende Informationen. Und dann war da natürlich noch das X. Es schmerzte seit einiger Zeit ununterbrochen und schien immer mehr das Aussehen einer relativ frischen Verletzung anzunehmen.

»‘Mein ist die Rache‘ - das war sicher die Nachricht eines Schattenreiters. Er hat es auf mich abgesehen, sonst hätte er den Skorpion nicht zu mir geschickt. Irgendwo in meinem Unterbewusstsein meldet sich ein Alarmsignal, und ich weiß einfach nicht, worauf es sich bezieht. Uns steht ein neuer Angriff bevor, bestimmt. Aber wann? Es hilft nichts, ich werde den anderen Bescheid sagen müssen. Nur ein gewarnter Krieger ist ein starker Krieger. Ich kann es nicht länger für mich behalten.«

„Jaden? Könnten wir uns in der Mittagspause in unserem Gemeinschaftsraum treffen? Es gibt da etwas, das ich euch erzählen möchte. Ist das in Ordnung?"

„Aber natürlich. Betrifft es unsere Mission?"

„Ja."

„Gut, ich verstehe."
 

Als es schließlich, nach den folgenden Unterrichtsstunden, zur Mittagspause läutete, trommelte der Brünette seine Truppe zusammen und sie suchten ihren Gemeinschaftsraum auf. Mittlerweile hatte sich Jaden daran gewöhnt, an der Spitze der Tafel zu sitzen und er wirkte dort vorne, wo er alle anderen Anwesenden im Blick hatte, ungewöhnlich reif. Er erteilte Chazz das Wort und dieser berichtete von seinen Alpträumen, dem X und dem Skorpion.

„Dann steht uns also ein neuer Angriff ins Haus. Warum hast du nicht schon früher den Mund aufgemacht? Wenigstens das X hättest du uns gleich zeigen können, das wäre doch nicht so schlimm gewesen. Du kannst uns allen vertrauen - oder tust du das nicht?"

Der Tonfall seines Anführers behagte ihm ganz und gar nicht. Die braunen Augen musterten ihn missbilligend und er schämte sich. Selbstredend wäre es das Einfachste gewesen, sich nicht alleine damit herumzuschlagen, sondern sich sofort den anderen Anubis Black anzuvertrauen, zumindest Jaden und Bastion und vielleicht auch Alexis. Aber er war so lange daran gewöhnt gewesen, seine Sorgen zu verstecken, da er sie nicht mit seiner desinteressierten Familie teilen konnte, dass ihm das nicht eingefallen war.

„Ich entschuldige mich", erklärte er ehrlich und Jadens Blick wurde weich. „Jedenfalls sind meine Träume eine Warnung, bestimmt. Und da ist noch etwas - dieser neue Schüler, Chick Scorpion - es ist doch verdächtig, dass sein Nachname ‚Skorpion‘ bedeutet. Außerdem habe ich ein merkwürdiges Gefühl in seiner Gegenwart, das ich nicht genau zuordnen kann. Es ist keine Schattenaura, aber ich halte ihn dennoch für gefährlich."

„Niemals!!!"

Die Torhüter wandten sich erstaunt zu dem jüngsten Mitglied ihres Kreises. Syrus, errötet und verlegen, stotterte hervor: „Ich meine....das ist ausgeschlossen! Er ist sehr nett und hilfsbereit! Er kann nicht böse sein!"

„Und warum bist du so überzeugt davon, Ototo?"

„Ich....ich weiß es nicht....ich glaube es nur einfach nicht...."

Zane wuschelte seinem jüngeren Bruder durch das dichte türkisfarbene Haar, eine liebevolle Geste, die ihm ein wenig Trost vermitteln sollte. Syrus war davon genauso überrascht wie die übrigen Krieger, und Alexis grinste sich eins. Dass der sonst so stoische „Kaiser" seine kalte Maske auch einmal ein Stück fallenließ und eine bisher verborgene Seite seines Charakters offenbarte, hatte zweifellos einen Grund - einen Grund, der sein Herz anrührte und mit großer Wahrscheinlichkeit Atticus Rhodes bzw. Hiron hieß, wie sie vermutete.

„Wir sollten mit deinem Bruder sprechen, Lex. Er mag damals gestorben sein, aber er hat alle Schattenreiter gekannt und solange wir noch nicht unsere kompletten Erinnerungen zurückhaben, ist er unsere einzige absolut verlässliche Informationsquelle."

Gesagt, getan. Man begab sich zur Krankenstation, wo der Wächter des Ersten Tores noch immer von seinen Wunden genas und er begrüßte sie mit einem strahlenden Lächeln. Als Zane eintrat, wurde er ein bisschen rot.

„Guten Tag, Jungs! Hallo, Schwesterchen! Wie schön, dass ihr mich besuchen kommt! Kann ich euch helfen?"

„Hiron, gibt es einen Schattenreiter, der einen Skorpion als Diener benutzt?"

„Einen Skorpion? Ja, den gibt es. Er ist der Anführer einer Gruppe von Attentätern, die sich die ‚Schwarzen Skorpione‘ nennen. Sein Name ist Don Zaloog. Die Gruppe besteht mit ihm zusammen aus fünf Personen und sie gelten als sehr unbarmherzige Kämpfer."

„Das klingt überhaupt nicht gut. Wir müssen....Chazz? Was ist mit dir?!" Jaden schüttelte den Dunkelblauhaarigen an den Schultern, aber er antwortete nicht. Er schien nicht einmal anwesend zu sein, sein Blick war in die Ferne gerichtet, als spiele sich vor seinem geistigen Auge eine Szene ab, die seine gesamte Aufmerksamkeit beanspruchte. Und tatsächlich war es so, denn der Name „Don Zaloog" löste eine Erinnerung in ihm aus, nach der er sein Gedächtnis durchforscht und die er nicht gefunden hatte.
 

~~ RÜCKBLENDE ~~
 

Tiefschwarze Nacht lag über Theben. Im Vorhof des Palastes tobte ein erbitterter Kampf gegen Schattendämonen. Die Leibwache des Pharaos unterstützte die Krieger des Anubis, doch viele ließen ihr Leben und die blutenden Körper häuften sich. Anares schwang seine Lanze in tödlichen Bögen, seine Gesichtszüge waren wie versteinert. Shezar schnitt einem der Ungeheuer mit einem seiner Sai die Kehle durch und sah sich nach dem Hüter des Dritten Tores um. Der Tod von Hiron war nun eine Woche her, aber noch immer quälte ein schrecklicher Schmerz das Herz seines Kameraden. Eine weitere Kreatur schickte sich an, ihn anzugreifen, doch Taris sprang dazwischen und spaltete ihm mit seinem Krummschwert den Schädel. Sokat dezimierte die Anzahl ihrer Feinde mit seinen perfekt gezielten Pfeilen und Kail wehrte sich gegen einen riesigen Skorpion, der mit seinen gigantischen Scheren nach ihm schnappte und mit seinem Stachel nach ihm stieß.

„Ich helfe Euch!"

Er stürzte an die Seite seines Anführers und gemeinsam drängten sie die Insektenbestie zurück.

Der Braunhaarige schenkte ihm ein Lächeln als Dankeschön und blockte den nächsten Schlag mit seinen überkreuzten Schwertern ab. Plötzlich ertönte ein boshaftes Gelächter und fünf dunkle Silhouetten sprangen von der Mauer herunter, in die das Eingangstor zum Vorhof eingelassen war. Die Dämonen wichen zur Seite und machten ihnen Platz. Ihr Gebieter musste gekommen sein, denn selbst der Skorpion verharrte in einer abwartenden Position. Drei Männer, ein Junge und eine Frau standen vor ihnen, die Waffen gezückt. Das Gelächter stammte von dem Kerl mit den harten Augen und dem grauen Haar, denn auch jetzt lachte er noch, höhnisch und verächtlich. Sein Schattentalisman, ein Gürtel, glitzerte an seiner Taille im Licht der Sterne. „Hatte ich Euch nicht prophezeit, dass wir uns bald wiedersehen würden, Kail? Ihr mögt unser erstes Attentat auf Pharao Tutangaton verhindert haben, aber ein zweites Mal wird Euch das nicht gelingen. Seht mich nicht so angewidert an! Wir sind von der gleichen Art, das müsstet Ihr doch wissen!"

„Wir und von der gleichen Art!? Das wagt Ihr zu sagen, Ihr Mörder!?! Ich werde nicht zulassen, dass Ihr Seiner Majestät auch nur ein Haar krümmt!"

Ihre Klingen trafen aufeinander und der Schlüsselwächter spürte die brutale Kraft hinter diesem Hieb, dem er nur mit Mühe Widerstand leisten konnte. Aber da er den Schlag mit gekreuzten Schwertern abgewehrt hatte, glückte es ihm mit einer gewaltigen Anstrengung, den Schattenreiter zurückzustoßen, während seine Gefolgsleute die anderen Attentäter beschäftigten. Don Zaloog war offensichtlich nicht besonders beeindruckt, denn er pfiff auf zwei Fingern und der Skorpion erwachte aus seiner Lethargie. Mit einem grässlichen Laut verfolgte er Kail, der all seine Geschicklichkeit aufbot, um dem todbringenden Stachel zu entgehen. Der Schweiß rann ihm in Strömen von der Stirn, das Herz raste gegen seinen Brustkorb und mit Schrecken erkannte er, dass das Monster nicht weichen und nicht wanken wollte, obwohl er den Panzer bereits an mehr als einer Stelle durchschlagen hatte. Er fluchte und rollte sich blitzschnell nach links, als der Stachel erneut auf ihn herniederfuhr. Doch leider war es für die übermenschlich rasche Reaktion der Kreatur nicht schnell genug. Der Stachel grub sich in sein Bein, grausige Pein explodierte in seinen Adern und es sackte unter ihm weg, als gehöre es ihm nicht mehr, als wäre es kein Teil seines Körpers mehr. Er war gelähmt! Verzweifelt versuchte er, sich aufzurichten, aber er schaffte es nicht. Über sich vernahm er wieder dieses abscheuliche Lachen und seine braunen Augen, verdunkelt vor blankem Zorn, schleuderten einen Blick auf seinen Gegner, der keinerlei Furcht, keinen gebrochenen Willen verriet. Sokat kämpfte gerade gegen den Kleinsten der Truppe, einen drahtigen, wendigen Jüngling, während Taris und Shezar sich einem muskelbepackten Zwei-Meter-Hünen mit Ringerfigur gegenübersahen. Anares drängte das letzte männliche Mitglied der Attentäter zurück und Nefretaria nahm die Frau, die mit einer Peitsche angriff, in den Schwitzkasten. Der junge Anführer wusste, dass sie ihm jetzt nicht helfen konnten, er musste alleine damit fertigwerden. Mit zusammengebissenen Zähnen kroch er aus der Reichweite von Zaloogs Schwert, als der Skorpion seinen rechten Arm mit einer seiner Scheren packte und presste. Der Brünette schrie auf und zappelte, um sich zu befreien, aber bald erkannte er, dass das sinnlos war. Die nächsten Sekunden verdichteten sich zu einer Wirrnis aus Schreckensbildern - der Hüne stolperte rückwärts, als Shezar seine Fußknöchel verletzte und in diesem Moment blickte der Hüter des Sechsten Tores zu seinem heimlichen Geliebten hinüber; Kails linker Arm schoss nach oben, um eine Gegenattacke auszuführen; eine gezackte Klinge schimmerte fahl im Mondlicht und stieß zu; die Steinplatten wurden mit Blut besudelt....und er stand da, stolz, lächelnd, als Sieger, ein feiger, hinterhältiger Sieger, angsteinflößend, eisig kalt in seinem düsteren Triumph. Die Welt hatte aufgehört, sich zu drehen. Die Peitsche wurde von einem Dolchhieb durchtrennt und die blonde Ägypterin wandte sich um. Taris wirbelte sein Krummschwert herum und entdeckte in diesem Moment, was geschehen war. Sokat legte einen neuen Pfeil auf die Sehne, als seine Augen Richtung Kail wanderten und er in seinen Bewegungen erstarrte. Sein älterer Bruder gewann sein Duell und drehte sich um, Fassungslosigkeit malte sich auf seinen Zügen ab....Keuchender Atem. Blutspritzer. Leichen überall, Menschen wie Dämonen. Erdrückende Dunkelheit. Und ein Schrei. Ein Schrei, in dem sich aller Schmerz, aller Kummer sammelte, den man überhaupt empfinden konnte. Er war laut, aufschreckend, schier wahnsinnig.
 

Shezar selbst merkte gar nicht, dass er seinen Namen schrie. Den Namen des Mannes, den er so sehr geliebt und der es niemals gewusst hatte. Das Schwert wurde aus der Wunde gezogen und die Zeit kehrte in ihre normalen Bahnen zurück. Er ging langsam auf ihn zu, als wäre er in Trance. Er bettete den Kopf auf seinem Schoß und flüsterte: „Kail....hört Ihr mich?"

Der andere wollte sprechen, aber er spuckte Blut. „Mein Freund....nimm meinen Schlüssel....und verwahre ihn gut, bis....derjenige kommt....der meine Nachfolge antritt...."

Behutsam nahm er ihm die Kette mit dem schlüsselähnlichen Anhänger ab, seine grauen Augen füllten sich mit Tränen. „Nachfolge?" wiederholte er mit erstickter Stimme. „Niemand kann Euch nachfolgen....Ihr seid einzig! Niemand wird Euch je ebenbürtig sein....niemand!!"

„Ich habe....noch eine Bitte an dich....Abidos....rette ihn. Er geht....den falschen Weg....er muss umkehren, bevor es zu spät ist....versuche, ihm ins Gewissen zu reden. Er darf nicht als Krieger der Finsternis enden....ich liebe ihn...."

Sein Herz zuckte qualvoll zusammen. „Ich....werde es versuchen, wenn Ihr es Euch so sehr wünscht....aber auch ich muss Euch noch etwas sagen. Ich....ich....Kail?! KAIL!!!!"

Eiligst fühlte er seinen Puls, überprüfte seine Herzgeräusche. Nichts. Er war gestorben, mit seinen letzten Gedanken bei seiner Aufgabe und bei seinem Geliebten. Shezar rüttelte ihn, als könne er das Geschehene rückgängig machen, aber der Körper in seinen Armen blieb regungslos. Der Damm in seinem Inneren brach. Er warf sich über ihn, krallte die Finger in den schwarzen Stoff seines Gewands, schluchzte wild und hemmungslos.

„Das kannst du mir doch nicht antun....du kannst dich nicht einfach so davonmachen....du verdammter Mistkerl! Ihr Götter, bitte....das kann nicht wahr sein....warum?! WARUM?!?!"

„Ohne euren Anführer seid ihr keine Bedrohung mehr", erklärte Don Zaloog herablassend, „....sondern nur noch ein orientierungsloser, planloser Haufen! Ab jetzt wird es ein Kinderspiel für uns sein, euch zu besiegen!" Er lachte, und dieses Lachen rauschte in Shezars Ohren, hallte darin wider wie ein unnatürliches Echo. Er packte seine beiden Sai und mit einem wütenden Kampfschrei stürzte er sich zuerst auf den Skorpion, dessen Unterleib er zweifach aufschlitzte, ehe er den Schattenreiter anvisierte und in die Höhe sprang, sich einmal überschlug und ihm eine schreckliche Wunde verpasste. Der scharfe Mittelzinken des von oben geführten Sai stach ihm das rechte Auge aus, der seitlich geführte Sai verunstaltete diese Hälfte seines Gesichts für immer. Don Zaloog presste eine Hand auf die stark blutende Verletzung und heulte auf vor Schmerz. Shezar hob seinen linken Oberarm und ritzte sich dort ein X in seine braune Haut. Hasserfüllt und bebend vor Wut rief er: „Vergiss das nie, du Mörder!! Dieses Zeichen ist das Symbol meines Blutschwurs!! Ich werde Kails Tod rächen!! Wo immer du auf dieser Welt sein magst, wo immer du dich versteckst, wohin auch immer es dich verschlägt - ich werde dir folgen und dich finden!! Und ich werde dich töten!!!"
 

~~ ENDE DER RÜCKBLENDE ~~
 

Die Erkenntnis durchdrang ihn so jäh wie ein Blitzschlag. Zaloog....die Schwarzen Skorpione...Kails Tod....sein Blutschwur....wie hatte er das vergessen können! Er tastete nach der Narbe unter seiner schwarz-goldenen Uniform. Sie war aufgetaucht, um ihn zu ermahnen, dass er seine Rache noch nicht erfüllt hatte. Dieser Kampf, der ihnen bevorstand, war allein der seine! Dann fiel ihm der Jüngling ein....er hatte Ähnlichkeit mit....natürlich! Der neue Schüler war einer ihrer Feinde! Wo steckte der Bengel? Er musste ihn zur Rede stellen! Er entwand sich Jadens Händen und rauschte hinaus. Seine Freunde glotzten verwirrt hinterdrein.

„Was mag mit ihm los sein? Ich habe ihn noch nie so entsetzt gesehen. Was weißt du sonst noch über den vierten Schattenreiter?" Atticus legte die Stirn in Falten und grübelte. Schließlich zuckte er die Schultern.

„Nicht besonders viel. Ich war....ich war tot, ehe ihr erneut mit ihm konfrontiert wurdet. Aber ich weiß, dass er und seine Leute ausgeschickt wurden, um den Pharao zu töten, aber wir haben das Attentat verhindert."

„Das ist doch wichtig. Vielen Dank, Hiron. Wie....wie geht es dir ingesamt so? Kannst du dich schon an irgendetwas aus deinem gegenwärtigen Leben erinnern?"

„Leider nein, mein Anführer. Ich wünschte, es wäre nicht so. Es wird mir nichts anderes übrigbleiben, als um meine Erinnerungen zu kämpfen!"

„Das kannst du nicht!" fuhr Zane ungewohnt heftig auf, noch bevor Alexis sich dazu äußern konnte. „Offiziell darfst du übermorgen aufstehen, aber du hast eine schwere Zeit hinter dir - die Besessenheit durch die Seele von Darkness, die Entführung durch Camilla! Du kannst doch nicht ernsthaft selbst kämpfen wollen!"

„Es ist sehr nett, dass du dich sorgst, aber es geht hier um meine Erinnerungen, um meine Identität. Also werde auch ich es sein, der sie zurückholt. Nein, Lex, unterbrich mich nicht! Du bist meine Schwester und ich verstehe durchaus, dass du es an meiner statt tun möchtest, aber ich habe mich entschieden. Ich werde demjenigen entgegentreten, der mir mein Ich gestohlen hat und ich werde ihn dafür bezahlen lassen. Das bin ich mir selbst schuldig."

„Aber das ist viel zu riskant!"

„Ich bin ein Krieger des Anubis! Ich lasse mich nicht aufhalten. Versuch es, wenn du dich traust!" Er funkelte den Grünhaarigen herausfordernd an und dieser verlor sich in den warmen braunen Tiefen, durch die Atticus auf die Welt blickte. Er war stolz und entschlossen....

„Und außerdem freue ich mich darauf, wenn ich den Schattenreitern endlich wieder in den Hintern treten kann!" fügte er mit einem breiten Grinsen hinzu, was Zane erneut aus dem Konzept brachte. Spaß und Ernst wechselten sich bei ihm ab wie Ebbe und Flut; nie schien er ausdauernd bei einem Thema bleiben zu können und doch übte er durch seine Unkonventionalität einen Zauber auf ihn aus, den er sich nicht erklären konnte. Oder war es gerade das, was ihn an Atticus bzw. Hiron so anzog? Dieses Spontane, Überraschende in seinem Wesen? Er vermochte es nicht zu sagen.

„Du wirst bald Gelegenheit dazu haben", meinte das Mädchen gerade und umarmte ihren Bruder. „Ich besuche dich morgen noch mal und bringe dir was Süßes aus unserem Hauswirtschaftskurs mit. Auf dem Plan stehen Aprikosenkuchen und Vanillecreme."

„Das klingt lecker! Bekomme ich große Portionen?"

„Wenn du brav bist!"

„Ich bin doch immer brav!"
 

Chazz rannte zur Slifer-Unterkunft, nachdem er sich vom Sekretariat die Zimmernummer des Neulings hatte geben lassen. Er klopfte, doch niemand meldete sich. Ach ja, es war ja Mittagspause, der Bursche war vermutlich noch beim Essen! Er stürmte in den Speisesaal der Slifer und mehrere verdutzte Augenpaare richteten sich auf ihn, inklusive das von Professor Banner.

„Chick! Ich muss mit dir reden - allein!"

Die Betonung dieses Wortes ließ Chick nichts Gutes ahnen. Er erhob sich von seinem Platz, stellte das Tablett auf die Anrichte und folgte dem Anubis Black mit sichtlichem Unbehagen.

„Was willst du von mir, Princeton?"

„Nur eines: Richte Don Zaloog aus, dass ich seine Herausforderung annehme. Wann und wo, ist mir egal, aber ich werde ihn erwarten."

„Du....du erinnerst dich?!"

„Ja. Sag diesem Bastard, dass ich ihn vernichten werde! Kail mag mich nicht geliebt haben, aber ich liebte ihn....und ich tue es noch heute. Er wird es büßen, dass er ihn getötet hat!"

Chick nickte, kalkweiß im Gesicht. „Eins noch", erklärte er, bevor er sich zum Gehen wandte, „Was versprichst du dir davon, dich in Syrus‘ Vertrauen zu schwindeln? Ich hatte dich bereits in Verdacht und habe den anderen davon erzählt. Er hat dich ohne Zögern verteidigt."

Das gab ihm einen Stich und der Jüngere blickte beschämt auf seine Schuhspitzen. Er dachte an Syrus‘ süßes Lächeln und biss sich verzweifelt auf die Lippen.

„Ich sollte eure Pläne auskundschaften, das ist alles. Und obwohl ich ihn belogen habe, tut es mir leid, auch wenn du mir das garantiert nicht glaubst! Syrus ist sehr liebenswert, so unschuldig und schüchtern. Ich mag ihn sehr. Egal, was du denkst, ich werde ihm die Wahrheit sagen und ihn warnen! Er wird mir wohl kaum verzeihen - aber ich kann nicht zurück. Ich werde meinem Vater deine Botschaft überbringen und er wird sich mit dir in Verbindung setzen, wenn er es für nötig hält. Geh jetzt."

Eine lastende Stille lag über ihnen, bis Chazz sich umdrehte und verschwand. Er war verwirrt. Er hatte erwartet, mit Drohungen abgespeist zu werden, hatte erwartet, dass der andere zugeben würde, nur aus reiner Berechnung nett zu dem Kleinen gewesen zu sein, aber dieses aufrichtige Schuldgefühl, das Eingeständnis....so herzlos Zaloog war, sein Sohn war es jedenfalls nicht, obgleich er der Gegenseite angehörte.
 

„Wir sind von der gleichen Art." Das hatte dieser verfluchte Attentäter damals gesagt. Er wusste nicht, weshalb, doch plötzlich befiel ihn ein Frösteln. Verstört kehrte er zum Unterrichtsgebäude zurück, fest entschlossen, diesen Kampf alleine zu bestreiten, auch wenn Jaden damit nicht einverstanden sein würde. Professor Banner hatte den Speisesaal verlassen und sah ihm hinterher, die dunkelbraunen Augen geöffnet. Eine dicke Katze lief auf ihn zu und er streichelte ihr durch das getigerte Fell.

„Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist, Pharao. Wenn ER dich in die Finger bekommt, hast du nichts mehr zu lachen, das ist sicher. Er ist schon misstrauisch und ich mache mir Sorgen. Chick hat nämlich recht - vielleicht werden die Auserwählten die Wahrheit nicht verkraften...." Er nahm den Kater auf die Arme und schlüpfte in den Speisesaal zurück. Die Tür fiel geräuschlos hinter ihm ins Schloss.

Die Rache des Skorpions (Teil 3)

Ich bin aus dem Urlaub zurück!! Das Finale der Skorpion-Story ist also endlich für Euch da! Hoffentlich seid Ihr auch schön neugierig...*zwinker*

Ich wünsche Euch viel Spaß beim Lesen!^^
 

Kapitel 14: Die Rache des Skorpions (Teil 3)
 

Ein neuer Morgen war über der Duellakademie angebrochen. Syrus stand vor Chicks Zimmertür in der Slifer-Unterkunft und klopfte zaghaft. Sein Freund öffnete und blickte den Türkishaarigen überrascht an.

„Hallo Syrus! Was machst du denn hier? Du kommst mich doch nicht etwa abholen?"

„Doch, genau das. Ich dachte mir, ich frage dich, ob du vielleicht Lust hast, mit mir zusammen zum Unterricht zu gehen. Magst du?"

„Das....das ist sehr nett von dir, danke. Ich packe nur schnell meinen Rucksack!" Gesagt, getan. Er sprang zu seinem Schrank und stopfte ein Buch, sein Federmäppchen und einige Hefte in seine Schultasche, warf sie sich über die Schulter und lief hinaus. Sie schlenderten nebeneinander her, unterwegs Richtung Unterrichtsgebäude, tauschten schüchterne Blicke aus und lachten viel über gar nichts, wie eben zwei Menschen, die sich vor lauter herzlicher Verlegenheit nicht recht zu unterhalten wissen. Chick war das Herz schwer, wenn er daran dachte, was er dem anderen heute noch offenbaren wollte - aber es musste sein. Die Schwarzen Skorpione würden gegen Abend angreifen und bis dahin sollten die Anubiskrieger gewarnt sein. Er war sich durchaus klar darüber, dass er damit seinen Vater hinterging, doch letztendlich schien es ihm die erste lobenswerte Tat seines Lebens zu sein. Don Zaloog war ein Mann, dessen Karriere aus unzähligen Leichen bestand, ein Vollblutattentäter, der für Gold seine eigene Mutter umbringen würde. Rache und Hass, Gier und Tod, das waren die einzigen Prinzipien seiner Existenz, damals wie heute. Und seine Loyalität schwankte schlimmer als ein Schiff auf hoher See - ausschlaggebend war nur gewesen, dass ihr Gebieter mehr Lohn geboten hatte als ihr geiziger Feind. Von echten Werten hatte sein Vater noch nie etwas gehalten. Er stieß einen Seufzer aus und seine Augen wanderten hinauf zum Himmel, der von dicken grauen Wolken verhangen war und einen ungemütlichen Tag ankündigte.

„Was ist mit dir, Chick? Du siehst so traurig aus. Was bedrückt dich? Kann ich dir helfen?"

„Syrus....komm mal kurz mit, ich möchte dir etwas zeigen."

Er führte den jüngsten Anubis Black zum Eingang des Waldes und stellte sich vor ihm auf, das Gesicht äußerst ernst und entschlossen. Ein Grollen rauschte über sie hinweg - es würde ein scheußliches Unwetter geben. Mit einer raschen Bewegung zog er die rote Slifer-Jacke aus und wandte seinem Gegenüber den rechten Oberarm zu, auf dem die Tätowierung eines Skorpions prangte. Syrus starrte auf diese Zeichnung und seine Augen weiteten sich entsetzt und ungläubig. Sein Mund formte lautlose Worte, als versage ihm die Stimme.

„Es ist wahr. Ich bin einer der Schwarzen Skorpione, der Sohn von Don Zaloog, ihrem Anführer. Hör zu, ich erwarte nicht von dir, dass du mir glaubst, aber....ich habe dich wirklich gern, Sy. Mehr als sonst irgend jemand! Ich sollte euch auskundschaften, das ist richtig, doch ich will das nicht mehr. Daher warne ich dich. Mein Vater wird heute Abend angreifen - und er wird Chazz herausfordern, mit dem er seit viertausend Jahren noch eine Rechnung zu begleichen hat! Und noch etwas....die Dinge sind nicht immer so, wie sie scheinen, mein Freund. Licht ist Schatten und Schatten kann Licht sein, je nach dem, von welcher Seite man es betrachtet oder von welcher Seite man seine Informationen erhält. Ich bitte dich nicht, mir zu vertrauen - jetzt, wo du weißt, wer ich bin, wäre das sinnlos. Aber eines muss ich dir noch sagen: Der Schlüssel um deinen Hals schützte ursprünglich Götter und keine Ungeheuer."

Damit küsste er ihn sanft auf die Stirn und verschwand im Dickicht des Waldes. Syrus stand wie erschlagen, unfähig, sich zu rühren. Sein Herz pochte heftig und die Berührung mit den Lippen, die auf seiner Haut brannte, verwirrte ihn zusätzlich. War das alles nur ein Alptraum, eine Halluzination? Chick konnte doch unmöglich....zu ihren Feinden gehören!

»Aber diese Tätowierung auf seinem Arm....und sein Wissen um die gesamte Situation! Nein, ich kann es nicht glauben! Ich will es nicht glauben! Er war so nett und freundlich und wir haben uns so prima verstanden! Sogar jetzt noch....hat er mich gewarnt. Vor seinem eigenen Vater! Nein, er ist nicht böse. Auch wenn er der Sohn eines Schattenreiters ist, er hat ein mitfühlendes Herz! Allerdings....‘Die Dinge sind nicht immer so, wie sie scheinen, mein Freund. Licht ist Schatten und Schatten kann Licht sein, je nach dem, von welcher Seite man es betrachtet oder von welcher Seite man seine Informationen erhält.‘ Was hat er damit gemeint? Und dann ‚Der Schlüssel um deinen Hals schützte ursprünglich Götter und keine Ungeheuer.‘ Was heißt das? Mit den Schlüsseln wurden die sieben Tore verschlossen, hinter denen die Heiligen Bestien ruhten, die das ägyptische Volk verteidigten. So jedenfalls hat es uns Mr. Sheppard erzählt. Warum sollte er lügen?«

Ein Rascheln ließ ihn aufhorchen und eine schwache Hoffnung keimte in ihm, dass Chick vielleicht zurückgekommen sein könnte, aber er wurde enttäuscht. Es war Pharao, der miauend auf ihn zulief und ihm die Beine umschmeichelte. Syrus hob den Kater hoch und vergrub seine Wange in dem weichen Fell.

„Tja, Pharao....ich fürchte, ich habe gerade einen Freund verloren. Ich kannte ihn noch nicht lange, aber ich mochte ihn wirklich sehr. Irgendwie....ist mir zum Heulen zumute....es ist einfach nicht fair, verstehst du?" würgte er hervor und Tränen sammelten sich in seinen Wimpern. „Er war lieb. Aber das zählt alles nicht. Auch wenn er ein warmes Herz besitzt, so muss ich ihn jetzt als Feind betrachten. Das ist gemein, richtig gemein!" Er schluchzte auf und weinte einen feuchten Fleck auf die getigerten Haare. Pharao maunzte und tapste mit einer Pfote gegen den Kopf des Jungen, als wolle er ihn trösten. Die Geste des Tieres zwang dem Fünfzehnjährigen ein wehmütiges Lächeln ab und er kraulte es hinter dem Ohr.

„Es ist schon merkwürdig....irgendwie ist mir, als würdest du alles verstehen, was ich sage...."

Er setzte den Kater wieder auf den Boden und wischte sich die Tränen fort. Er holte tief Luft und rannte los, zurück zum Unterrichtsgebäude. Er musste die anderen verständigen! Chicks Warnung sollte nicht in den Wind gesprochen sein!
 

Atticus biss die Zähne zusammen und erhob sich aus seinem Bett. Seine Schwester versuchte, ihn zurückzuhalten, doch er schob sie sanft zur Seite.

„Aufstehen darfst du laut Doktor Ishida erst morgen! Bleib liegen!"

„Heute oder morgen - wo ist da der Unterschied? Außerdem wird Don Zaloog bald auftauchen, sonst hätte er Shezar....nein, Chazz....nicht diesen Skorpion geschickt. Ich kann nicht weiter untätig herumsitzen und darauf warten, dass was passiert! Ich muss meinen Schlüssel entsiegeln und meinen rechtmäßigen Platz als Anubis....wie heißt das nochmal?"

„Anubis Black. ‚Black‘ ist das englische Wort für schwarz."

„Ich muss meinen rechtmäßigen Platz als Anubis Black einnehmen." wiederholte er ernst. „Ich bin zwar noch nicht vollständig genesen, aber ich kann kämpfen....ich kann euch eine Hilfe sein! Ganz davon abgesehen habe ich es satt, ständig die kahlen Zimmerwände anzustarren und unter Beobachtung zu stehen. Seit Wochen liege ich hier herum und tue nichts aufregenderes, als Löcher in die Luft zu glotzen! Es reicht mir! Darüber hinaus will ich meine Erinnerungen wiederhaben und welcher Schattenreiter auch immer sie mir genommen hat, wird sich mit mir auseinander setzen müssen!"

Er schritt energisch zur Tür. Er trug einen weißen Krankenpyjama, seine Arme und Beine waren nach wie vor bandagiert, nur die Binde auf der zerkratzten Wange war gegen ein größeres Pflaster ausgetauscht worden. Auch sein Oberkörper war sorgsam umwickelt, was man jedoch aufgrund des Hemdes nicht sah. Er war in seine Flursandalen geschlüpft und marschierte mit bemerkenswerter Nichtachtung an Schwester Carmichael vorbei, die von seinem wortlosen und plötzlichen Abschied sichtlich schockiert war.

„Mr. Rhodes!! Kommen Sie zurück, aber sofort! Sie dürfen erst morgen aufstehen, hören Sie?! Ihre Angewohnheit, sich einfach so aus dem Staub zu machen, gefällt mir nicht! Wo wollen Sie denn überhaupt hin?! Miss Rhodes, Ihr Bruder ergreift die Flucht!"

Das Mädchen antwortete nicht, sondern blickte ihm nach. Atticus konnte schrecklich stur sein, wenn es sich um eine Sache handelte, die ihm wichtig war, daher ließ sie ihn ohne weitere Proteste gehen. Es hatte keinen Sinn, gegen ihn anzureden, wenn er fest entschlossen war. Nun, und das war er zweifellos. Er steuerte auf den erstbesten Schüler zu, der ihm über den Weg lief, und fragte ihn nach dem Raum des Direktors. Nachdem er die nötige Auskunft erhalten hatte, begab er sich zu Mr. Sheppard und betrat sein Büro, ohne zu klopfen.

„Hiron, was machst du hier? Ich dachte, du darfst noch nicht aufstehen! Weiß der Arzt, dass du hergekommen bist? Ich werde in der Krankenstation anrufen und...."

„Ihr werdet nichts dergleichen tun." unterbrach er den Kanzler mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. „Ich bin es leid, wie ein vorsichtig gekitteter Gegenstand behandelt zu werden! Es ist meine Pflicht, die Schattenreiter zu besiegen und einen der Schlüssel zu verwahren! Erinnerungen hin oder her, ich kenne meine Aufgabe! Bitte - bringt mich in die unterirdische Halle! Lasst mich wieder einen Anubiskrieger werden!"

Eine Weile musterte der Direktor der Akademie seinen Schüler mit angebrachter Skepsis, aber als er das Feuer in diesen braunen Augen entdeckte, nickte er. „Ich habe leider keine Zeit, ich muss eine Vorlesung abhalten. Aber Zane hat jetzt eine Freistunde. Ich werde ihn bitten, dich an meiner Stelle ins Audimax zu führen." Er betätigte die Sprechanlage und ordnete an, dass „Mr. Zane Truesdale" sich umgehend bei ihm einzufinden habe. Der Grünhaarige, der eine morgendliche Freistunde gerne mit dem Lesen einer interessanten Lektüre ausfüllte, war überrascht von dieser Aufforderung, kam ihr aber gehorsam nach. Dass er Atticus‘ Vorhaben missbilligte, verrieten seine Worte, nachdem der Kanzler ihm die Situation dargelegt hatte: „Bist du verrückt?! Du bist nicht in der Verfassung, dich uns anzuschließen!"

„Das haben wir gestern bereits besprochen und ich denke, dass ich meine Meinung mehr als unmissverständlich klar gemacht habe. Wochenlang im Bett zu versauern, nützt mir nicht das geringste, da roste ich höchstens ein! Ich lasse mich nicht aufhalten, auch von dir nicht! Ich bin ein sehr guter Schwertkämpfer und wäre eine fabelhafte Unterstützung für die Gruppe! Mein Schlüssel ist der Schlüssel des Kampfes! Und ich will kämpfen!"

„Sei doch vernünftig!"

„Ich weigere mich, vernünftig zu sein! Die Schwarzen Skorpione sind echte Attentäter, mit denen ist nicht zu spaßen! Ich flehe dich an, Zane....bring mich zur Seele meiner Vergangenheit! Bitte!"

Er konnte dem intensiven Blick dieser warmen, brennenden Augen nicht widerstehen, das spürte er. Während er auch äußerlich kühl und unnahbar wirkte, war alles an Atticus von einer inneren Flamme erfüllt, die ihn an Jaden erinnerte. Männer ihrer Art spazierten auf der Sonnenseite des Lebens, ließen sich nie unterkriegen und trugen ein Licht in ihrem Herzen, das ihnen Mut, Kampfgeist und Willenskraft verlieh. Mochten diese Qualitäten auch manchmal unter ihrer sorglosen, quirligen und mitunter nervigen Oberfläche verborgen sein, sie waren da - und kamen zum Vorschein, wenn man ihrer am dringendsten bedurfte. Zudem besassen Männer ihrer Art genauso ein Gefühl von Stolz wie ein Zane Truesdale oder ein Chazz Princeton, nur war es bei ihnen nicht zu übermäßig ausgeprägt. Obwohl er den schlichten Pyjama trug und von oben bis unten in Verbände gehüllt war, verfügte er über eine Ausstrahlung, die dem Meisterduellanten fast ein wenig unheimlich schien. Er war großgewachsen und schlank, aber dennoch wohltrainiert und geschmeidig, mit einem wundervoll geschwungenen Mund und diesen schokoladenbraunen Augen und Haaren, bei denen sich Zane unwillkürlich fragte, ob sich diese Farbe auch auf den Geschmack seiner sinnlichen Lippen auswirkte. Er konnte ihm nichts abschlagen.

„Na gut. Ich bringe dich hin."

„Vielen Dank!"

Das Audimax war bald erreicht und momentan unbesetzt, sodass die beiden Studenten niemanden stören mussten. Zane drückte die Lampe auf dem Lehrerpult zur Seite und es offenbarte unter sich die geheime Treppe. Dann standen sie vor dem gusseisernen Tor mit dem Hochsicherheitsmechanismus. „Anfangs konnte nur Mr. Sheppard hinein, aber jedes Mitglied der Anubis Black wird automatisch im Computer gespeichert, sobald sein jeweiliger Schlüssel entsiegelt ist." Er durchlief die Scanns von Fingerabdrücken und Augennetzhaut und das massive Tor glitt auf. Nur noch eine einzige Kette umschloss die Kassette mit dem Schakal auf dem Deckel und Atticus berührte ohne Zögern die erste der sieben Säulen.

„Sage: Gott Anubis, dein Krieger ist hier und erwartet deinen Befehl."

„Gott Anubis, dein Krieger ist hier und erwartet deinen Befehl!"

Zum letzten Mal materialisierte sich ein Lichtstrahl innerhalb des Raumes und nahm die Gestalt von Hiron an, prachtvoll anzusehen in seinem Hüftrock und dem schimmernden Goldschmuck. Das Seelen-Ich neigte sich vor und betrachtete seinen Gegenüber.

~~ Ich erkenne es. Du hast meine Erinnerungen, die deiner modernen Existenz fehlen. Dafür kann nur ein Schattenreiter verantwortlich sein! Du wirst dir dein Gedächtnis mit Gewalt zurückholen müssen. Knie nieder. Atticus Rhodes, ich, Hiron, einer der Sieben Krieger des Anubis, übergebe dir hiermit den Schlüssel des Kampfes! Sein Schutzpatron ist die Göttin Sachmet. Verteidige dein Tor mit dieser Klinge und mögest du siegreich sein in all deinen Schlachten! ~~ Er hängte ihm das Amulett um und hielt ihm ein herrliches Schwert hin, das in der Mitte, wo Griff und Schaft zusammentrafen, mit einem goldenen Löwenkopf verziert war.

~~ Erhebe dich nun, Hüter des Ersten Tores! ~~

„Hab vielen Dank, Hiron. Ich werde mich deiner Nachfolge als würdig erweisen."

Der andere lächelte. ~~ Das weiß ich. Ich wünsche dir viel Glück! ~~ Damit erlosch seine Seele und fand endlich ihren wohlverdienten Frieden. Die beiden jungen Männer schwiegen aus Pietät eine Weile, um seinen endgültigen Tod zu würdigen, ehe sie den Rückweg antraten.
 

„Als nächstes benötige ich die schwarze Uniform, damit man meinen neuen Status erkennt. Übrigens möchte ich ab jetzt ‚Atticus‘ genannt werden. Ich besitze zwar noch nicht seine Erinnerungen, aber Tatsache ist, dass ich nicht mehr Hiron bin, also will ich auch nicht mehr mit diesem Namen angesprochen werden. Es wird anfangs ungewohnt für mich sein, aber ich kann nicht in der Vergangenheit leben, wenn ich in die Gegenwart gehöre."

„Wenn du das möchtest, werden wir das akzeptieren. Aber....darf ich dich etwas fragen?"

„Natürlich. Was ist?"

„Warum ist dein Schlüssel der Schlüssel des Kampfes? Die übrigen Schlüssel stehen alle für eine Tugend oder erstrebenswerte Dinge wie Freiheit oder Liebe."

„Die Schlüssel und ihre Bedeutung richten sich nach den Gottheiten, die ihnen ihre magische Kraft verliehen haben. Der Schutzpatron meines Schlüssels ist Sachmet, die wichtigste Löwengottheit Ägyptens. Ihr Name kann mit ‚mächtig‘ oder ‚Die Mächtige‘ übersetzt werden. Sie galt als eine Tochter des Ra und wurde zu einer der wichtigsten Erscheinungsformen des ‚Auges‘ des Sonnengottes. Sie war eine Kriegsgöttin und militärische Schutzpatronin vieler ägyptischer Könige. Auf der anderen Seite wurde Sachmets Macht auch dazu eingesetzt, den Pharao auf mütterliche Art zu beschützen. Sie konnte Seuchen abwehren und sogar als heilende Gottheit fungieren. Jeder einzelne Schlüssel steht für einen Aspekt, der mit dem Pharao zusammenhängt oder aber mit seinem Volk und seinem Glauben. Ist dir das noch nie aufgefallen? Die Götter, die Sachmet als Patrone nachfolgen, sind Isis, Horus, Hathor, Osiris, Maat und Ra. Zwischen ihnen bestehen Verbindungen, die nicht ignoriert werden dürfen. Wie Sachmet wurde Maat als Tochter des Ra angesehen, und das Wort ‚Maat‘ benutzten die Ägypter für den Staat und die kosmische Ordnung, die der Pharao zu bewahren hatte. Isis war Schwester und Gemahlin des Osiris und Mutter des Horus. Der Pharao war die symbolische Inkarnation des Horus, solange er lebte und das machte Isis zu seiner symbolischen Mutter. Starb der Herrscher, setzte man ihn mit Osiris gleich. Hathor war sowohl die Gemahlin des Horus als auch die Gattin des Ra und wurde als sein ‚Auge‘ verehrt, stand also auch in einer engen Beziehung zu Sachmet. Der König wurde ebenfalls häufig als ihr symbolischer Gatte bezeichnet. Die Magie der Schlüssel stammt also nicht von willkürlich ausgewählten Göttern. Mein Schlüssel steht für den Kampf, aber auch für die Verteidigung des Landes gegen Feinde von außen. Syrus‘ Schlüssel steht für Hoffnung und Sicherheit, die sich viele Menschen von Isis erbaten. Dein Schlüssel steht für Freiheit, die im Bild von Horus‘ Ikonographie als Falke zum Ausdruck kommt - außerdem war er eine Gestalt des Pharaos, der das Volk beschützte. Der Schlüssel meiner Schwester steht für Liebe, und Hathor war die Göttin der Liebe, der Geburt, der Sexualität, der Freude und des Glücks. Bastions Schlüssel steht für den Ewigen Frieden, der den Ägyptern heilig wahr - der Glaube an das Leben nach dem Tod, verkörpert durch Osiris. Chazz‘ Schlüssel steht für Wahrheit, und das war einer der Aspekte der Maat, in deren Name Gericht gehalten wurde. Und schließlich Jaden und der Schlüssel des Lebens....Ra war das Licht, die Sonne. Ohne ihn gab es kein Leben."

„Du bist bemerkenswert gut informiert."

„Dieses Wissen basiert auf Hirons Gedächtnis. Ich wünschte, ich käme mir nicht vor wie ein halbfertiges Geschöpf, das auf die Erinnerungen eines....Fremden angewiesen ist. Meine Identität ist eine andere als die, die ich im Kopf habe. Aber ich habe genug. Wenn diese Schattenreiter glauben, dass sie mich damit weich machen, haben sie sich getäuscht! Ich werde ihnen eine Lektion erteilen, die sich gewaschen hat!"

Zane musterte ihn verstohlen aus den Augenwinkeln. Atticus war wütend über das, was die Schattenreiter ihm angetan hatten und sein Zorn verlieh ihm eine leidenschaftliche, impulsive Aura, die einen in Bann schlug.
 

»Er....er ist wunderschön....verdammt, was ist los mit mir?! Er verwirrt mich sosehr! Meine Logik nützt bei ihm nichts, er ist völlig unberechenbar. Und dass er so selbstverständlich mit mir umgeht....er kann ernst und entschieden sein, nur, um in der nächsten Sekunde einen albernen Witz zu reißen oder unmotiviert zu grinsen. Ich werde nicht klug aus ihm. Dennoch.... seine widersprüchliche Natur fasziniert mich. Ich möchte noch so viel mehr über ihn erfahren, ihn besser kennen lernen. Ob er....ob er der Grund für dieses seltsame Herzklopfen ist, das mich jedesmal befällt, sobald er in der Nähe ist? Kann das sein?«

»Warum sagt er nichts? Unsere Gehirne scheinen gelähmt zu sein. Ich wüsste gern, was er über mich denkt. Mag er mich oder findet er mich zu aufgedreht und oberflächlich? Ich wirke oft so auf andere, aber ich bin es eigentlich gar nicht. Jedenfalls nicht, wenn es darauf ankommt. Er gleicht Anares in so vielen Dingen....er ist stolz, kühl, unnahbar....und einsam. Er trägt an dieser Schule den Titel ‚Kaiser‘, wie Lex mir erzählt hat. Alle bewundern ihn und seine Noten und seine Duellfähigkeiten, aber sie trauen sich nicht richtig an ihn heran, weil er so majestätisch und bisweilen auch arrogant auftritt. Trotzdem. Da steckt mehr hinter dieser gleichgültigen Fassade - viel mehr, er zeigt es nur nicht. Und wenn, dann nur sehr ungern. Könnte ich doch nur....ich weiß nicht....sein Herz erwärmen, damit er seine Gefühle nicht immer in sich einschließt. Ach Zane....«

Sie gelangten zum Anubis-Black-Trakt und kamen im Gemeinschaftsraum an, wo zu ihrem Erstaunen eine Versammlung stattfand. Syrus begrüßte sie und bat sie, sich zu setzen.

„Hallo, Hiron. Lex hat uns schon berichtet, dass du aufgestanden bist. He - ist das da ein Torschlüssel? Du hast das Siegel gelöst? Und was für ein tolles Schwert!"

„Ja, das habe ich, Kleiner. Ich bin jetzt wieder ein Krieger. Aber nennt mich bitte nicht mehr Hiron, sondern Atticus. Das ist mein wahrer Name."

„Ich wusste, dass ich dich nicht würde aufhalten können. Deine Uniform hängt im Schrank in deinem Zimmer, Nii-san. Du kannst dich gleich umziehen."

Er nickte ihr zu und verschwand durch die Bücherwand. Einige Minuten später erschien er wieder, ohne Patientenpyjama und Sandalen, sondern in der schwarz-goldenen Uniform, die ihn als Anubis Black auswies. Seine Verbände waren komplett verborgen, nur an den Händen konnte man sie noch sehen. Er blickte einmal in die Runde und nahm auf dem Stuhl Platz, der mit der Zahl Eins gekennzeichnet war.

„Ich freue mich sehr, dich bei uns willkommen heißen zu dürfen, Atticus."

„Ich danke Euch, mein Anführer....ich meine: Ich danke dir, Jaden."

„Und nun zu dir, Sy. Warum hast du uns hier zusammengetrommelt?"

Der Türkishaarige erhob sich und berichtete seinen Freunden von dem Erlebnis mit Chick und seiner Warnung. „Ich weiß jetzt, dass er zu den Schwarzen Skorpionen gehört, aber er ist nicht böse, ich habe mich nicht in ihm getäuscht! Er hätte das alles für sich behalten können, hätte uns in eine Falle locken können, wenn er gewollt hätte. Er hat es nicht getan. Sein Vater, Don Zaloog, hat angeblich noch eine alte Rechnung mit dir offen, Chazz. Kannst du dich an etwas aus deinem früheren Leben erinnern, das mit ihm zusammenhängt?"

Der Angesprochene schwieg, die Hände in die Hose gekrampft. Das war sein Kampf. Er wollte nicht, dass die anderen sich einmischten. Das war zwar unvernünftig, aber sein Stolz verbot es ihm, um Hilfe zu bitten. Er hatte begonnen, sich zu verändern, seit er Freunde und Liebe gefunden hatte, aber sein halsstarriger Stolz war ein dominanter Teil seines Wesens, den er nicht einfach so aufgeben konnte. „Nein." sagte er schlicht. Er spürte einen intensiven Blick auf sich ruhen und schielte nach links, wo Bastion neben ihm sass. Der Ältere betrachtete ihn mit einem undefinierbaren Ausdruck, der ihn ein wenig verunsicherte.

„Nicht zu ändern. Nun, Zaloog wird dich herausfordern. Aber du kennst die Regel: Du wirst nicht allein gehen, das ist zu gefährlich."

„Ja, Jaden."

„Gut. Die Versammlung ist beendet!"

Die Gruppe löste sich auf und begab sich zum Unterricht, in die Bibliothek oder in den Lesesaal. Chazz, der eine Freistunde hatte, verkroch sich in sein Zimmer und begann, sein Deck neu zu mischen und ein paar Karten zu sortieren. Ein Kratzen vom Fenster her ließ ihn aufhorchen. Ein Skorpion krabbelte draußen herum. Er öffnete das Fenster und das Insekt glitt über das Sims auf seinen Schreibtisch und von dort auf den Teppich, wo es sich wie beim letzten Mal in Flammen verwandelte und eine Botschaft aus Hieroglyphen hinterließ.

„Heute gegen Sonnenuntergang auf der Waldlichtung. Ich erwarte dich."
 

Die grauen, bedrohlichen Wolken hingen immer noch wie ein unheilvolles Gebilde über der Duellakademie. Es schien, als wolle das Gewitter den günstigsten Zeitpunkt zu seinem Ausbruch abwarten. Der Hüter des Sechsten Tores schnallte sich seine Sai um und machte sich auf zum ersten Gefecht der Schatten, das er als Herausgeforderter bestreiten würde. Die Sonne versank gerade am Horizont, als er die Lichtung erreichte. Don Zaloog war bereits anwesend, flankiert von seinen Gefolgsleuten, ein verächtliches und widerliches Grinsen im Gesicht.

„So sehen wir uns wieder, Shezar. Erinnerst du dich an das hier?"

Er deutete auf seinen Schattentalisman, der einst ein Gürtel gewesen war, ehe er ihn zu einer Art Augenklappe hatte umschmelzen lassen, um seine entstellten Züge zu verbergen.

„Ich erinnere mich. Und ich bereue es nicht. Du hast es verdient!"

„Immer noch so arrogant wie damals. Du wirst niemals dazulernen. Also, um dem Protokoll genüge zu tun - das hier sind meine Kämpfer, die besten Attentäter, die man für politischen Meuchelmord engagieren kann. Gorg, der Hüne. Cliff, der Fallensteller. Meanae, der Dorn. Und mein Sohn Chick, der tödliche Akrobat. Ich bin der Anführer dieser prächtigen Bande und der Vierte Schattenreiter. Bist du bereit, dich mit mir zu messen?"

„Jederzeit! Duell!!"

Es war dunkel geworden. Zaloog zog sein Schwert und stürzte sich ohne Vorwarnung auf seinen Gegner. Die Zinken der beiden Sai [1] gekreuzt, wehrte Chazz den Schlag ab und schleuderte ihn nach hinten. Der Attentäter lachte nur höhnisch, wirbelte herum und trat dem jungen Mann die Beine weg, sodass er zu Boden fiel. Er holte mit seiner furchteinflößenden Klinge aus, aber der Anubis Black rollte sich flink zur Seite, sprang dabei auf die Füße und blockte den Hieb mit einer seiner Waffen. Mit nur einem Arm konnte er dem mörderischen Druck jedoch nicht standhalten und er musste den Kontakt abbrechen und ausweichen. Er trat während dieser Bewegung in ein Büschel Gras und hing plötzlich in der Luft, um seinen rechten Knöchel hatte sich ein Seil geschlungen. „Was zum Teufel....?!"

„Oh, hatte ich das nicht erwähnt? Cliff hat ein paar Fallen für dich ausgelegt, damit du es nicht zu einfach hast. Du müsstest doch wissen, dass ich nicht fair spiele."

Chazz bog den Rücken durch und zerschnitt das Seil. Er landete unsanft auf seinem verlängerten Rücken, rappelte sich aber schnell wieder hoch. „Was für ein feiger Zug. Aber ich bin nicht überrascht. In einem fairen Kampf kannst du natürlich nicht gewinnen! Andere die Drecksarbeit erledigen lassen, darin bist du ein Meister!"

„Du solltest besser nicht so vorlaut sein. Wenn ich dich erst vernichtet und meine Rache genossen habe, werden meine Leute und ich auch die restlichen Anubiskrieger umbringen und uns ihre Schlüssel aneignen! Unser Gebieter wird sehr zufrieden sein!"

„Das lasse ich nicht zu!!"

Er rannte auf Zaloog zu, als Meanae, der weibliche Auftragskiller, ihre Peitsche knallen ließ und eine weitere Falle aktivierte, an der sie offensichtlich beteiligt war. Und es war keine gewöhnliche Falle, sondern eine, die mittels Schattenmagie erzeugt wurde. Aus dem Boden brachen unzählige Dornenranken hervor, die seinen Körper umwickelten wie Schlingpflanzen. Die spitzen Dornen, hart wie Stahl, stachen durch seine Hose und seine Stiefel, nur der Mantel mit dem eingenähten Kettenhemd verhinderte, dass sie auch in seinen Oberkörper eindrangen. Aber sie zerstachen seine Beine und seine Füße; er fühlte, wie warmes Blut über seine Schenkel und Zehen lief und schrie auf vor Schmerz. Dann spürte er ein Pieken an seinem Hals und an seiner Schläfe und ein eisiger Angstschauer durchfuhr ihn.
 

„Die Schwarzen Skorpione agieren als Einheit. Ich kämpfe niemals allein und deshalb wird unser Duell rasch vorbei sein. Die Dornen werden dich aufspießen....einer wird deine Halsschlagader durchtrennen und der andere wird sich in deinen Kopf bohren. Grausam, ja. Aber äußerst amüsant."

„Vater!! Was soll das? Du hast mir versprochen, ihn schnell und nicht grausam zu töten!!"

„Aber, aber, mein Sohn. Wann hätte ich je ein Versprechen gehalten?" Er lachte selbstgefällig und Chick drehte sich der Magen um. Er wollte nicht, dass Chazz starb, aber solange er vor seinem Vater das gehorsame Kind spielen musste, musste er wenigstens so tun, als würde er seinen Tod erwarten. Dennoch....wenn er nichts unternahm....

Dem Krieger war schlecht vor Furcht. Seine Sai konnte er nicht benutzen, da die Ranken seine Arme umsponnen. Glühender Schmerz loderte in seinen Nerven, aber sein Zorn stieg mit jeder Sekunde. Er schluckte und merkte dabei, wie der Dorn an seiner Kehle die Haut ritzte. Sein Feind wollte seinen Tod genießen. Er sollte leiden und gewiss nicht schnell sterben, gleichgültig, was er seinem Sohn erzählt hatte. Er schloss die Augen und dachte an jene schreckliche Nacht, in der Kail getötet worden war, jene Nacht, in der er den Mann verloren hatte, den er über alles liebte. Er hörte das herrische, spöttische Gelächter aus der Vergangenheit, das sich in seinem Kopf mit dem Gelächter vermischte, das Don Zaloog soeben hören ließ. Wilder Triumph glitzerte in seinem erbarmungslosen Blick. Die schicksalshaften Dornen schoben sich ein paar Millimeter weiter vor und übten Druck auf Hals und Schläfe aus. Die Erinnerungen brannten in seiner Seele wie heißes Metall und jagten sich in einem rasenden Reigen intensiver Gefühle, die Chazz schier den Atem raubten.

Finsternis und Dämonen.

Angst. Entsetzen.

Kampf und Blut.

Entschlossenheit. Mut.

Sieg und Niederlage. Tod!

Tränen. Verzweiflung. Schmerz! Schmerz!! Nichts als Schmerz, körperlich wie seelisch. Und Wut. Maßlose Wut!! Und noch etwas....etwas viel stärkeres, machtvolleres. Hass. Er hatte immer geglaubt, Hass sei ein heißes, versengendes Gefühl, aber nun wusste er, was Hass in Wirklichkeit war - ein tiefer, eiskalter Abgrund ohne Boden, von dem man verschluckt wurde. Keine Hitze, kein Feuer. Kälte. Gnadenlose Kälte, die einen verschlang, wenn man nicht aufpasste. Seine Muskeln spannten sich an, hart und fest unter geschundenem Fleisch. Donner grollte über ihm, ein Blitz zuckte über den Himmel. Regentropfen prasselten aus den Wolkenschleusen auf die Erde herab, rauschten wie ein Wasserfall über Menschen, Tiere und Pflanzen hinweg. Der Schlüssel um seinen Hals begann zu leuchten. Mit zusammengebissenen Zähnen und funkelnden Augen riss er sich los; die Ranken gaben unter der pulsierenden Energie des Schlüssels und seiner Muskelkraft nach und er stürmte auf seinen Gegner zu, der ihn fassungslos anstarrte.

„Sieh an! Ich habe dich unterschätzt! Ein Grund mehr, noch unfairer zu spielen als bisher!"

Der Fallensteller trat ihm in den Weg, doch Chazz schlitzte ihm ohne langes Zögern den rechten Arm auf, sodass er schreiend zusammensackte. Meanae schleuderte ihre Peitsche, doch er wich mit einem Überschlag aus und traf sie in die Seite, wo er ihr eine tiefe Wunde beibrachte. Als nächstes sah er sich dem Riesen Gorg gegenüber. Auf dem glitschigen, nassen Gras schlidderte er bequem zwischen den stämmigen Beinen hindurch, ohne sich groß um ihn kümmern zu müssen und erreichte Zaloog, der mit gezückter Klinge seiner harrte.

„Warum hast du mich nicht angegriffen, Chick? Willst du deinen Vater nicht verteidigen?" wandte sich der Sechzehnjährige an den Jüngeren, doch dieser schüttelte den Kopf.

„Ich bin Attentäter geworden, weil ich als Attentäter geboren wurde. In Ägypten habe ich getötet, weil das meine einzige Überlebenschance war....und alles, was ich je gelernt hatte. Aber ich habe niemals Gefallen daran gefunden, jemanden zu töten. Duell der Schatten oder nicht....meiner Meinung nach sollte ein Kampf gerecht ausgetragen werden."

„Ich glaube einfach nicht, was ich da aus deinem Mund höre! Die Kunst des Meuchelmords ist die einzige Kunst, die nie aussterben wird! Menschen wie wir werden immer gebraucht, mein Sohn! Unerwünschte Personen zu beseitigen, sei es aus Rache, Ehrgeiz, Gier oder Egoismus, ist ein Dienst, für den viele freiwillig hohe Summen bezahlen, um einen persönlichen Nutzen daraus zu ziehen! Verstehst du das nicht? Unser Gewerbe ist das sicherste der Welt, denn alle Menschen sind Egoisten, alle sind nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht! Jeder von uns ist ein potentieller Mörder! Auch du, Shezar!" stieß er hervor und richtete sein Schwert auf seinen Kontrahenten, der ihm zornig vor die Füße spuckte.

„Was redest du da, du verdammter Bastard! Es stimmt, es gibt Menschen, für die niemand sonst zählt außer ihnen selbst, und die bereit sind, für ihre eigenen Ziele über Leichen zu gehen! Aber es gibt auch andere Menschen, Menschen, die immer für ihre Freunde und ihre Familie da sind, Menschen, die ein tapferes und aufrichtiges Herz besitzen!!"
 

Der Schattenreiter rümpfte angewidert die Nase und glich in diesem Moment einem vornehmen Herrn, den eine Ratte anekelt. „Wie abscheulich gutgläubig! Du hast keine Ahnung. In jedem von uns erwacht von Zeit zu Zeit der Wunsch zu töten - wenn auch nicht der Wille. Hast du nicht schon selbst einmal gesagt: ‚Manchmal könnte ich ihn erwürgen!‘ oder hast du nicht schon einmal jemand anderen sagen hören: ‚Ich würde sie oder ihn am liebsten umbringen!‘ Alle diese Äußerungen sind wörtlich zu nehmen, denn der Verstand ist in solchen Augenblicken vollkommen klar. Man möchte den und den umbringen, aber man tut es nicht. Der Wille muss den Wunsch erst genehmigen. Bei kleinen Kindern funktioniert diese Bremse noch unvollständig. Ein Junge aus meinem Heimatdorf hatte sich eines Tages über sein Kätzchen geärgert und ihm gedroht: ‚Sei still, oder ich schlage dich auf den Kopf und du bist tot!‘ Er handelte wie angekündigt, um einen Moment später mit Schrecken festzustellen, dass das Kätzchen nicht mehr zum Leben zu erwecken war. Jeder von uns ist fähig, zu töten! Ich bin ein Auftragskiller, Shezar, und du ein Krieger des Anubis. Wir sind von der gleichen Art."

„Ich kann nicht fassen, dass du dir anmaßt, so etwas zu behaupten! Die Krieger des Anubis sind die Wächter der Sieben Schlüssel und der Sieben Tore, die die Heiligen Ungeheuer beschützen! Ihr dient einem Verräter, während unsere Loyalität dem Pharao galt! Wir sind nicht gleich!!"

„Sind wir nicht?" meinte Don Zaloog in boshaftem Ton und schwang sein Schwert, das mit einem lauten Klirren auf die Zinken der gekreuzten Sai traf. „Unsere Kennfarbe ist schwarz. Die eure auch. Ihr seid ausgebildete Kämpfer, genau wie wir. Ich finde nicht, dass wir uns so unähnlich sind. Was ist? Du hast doch geschworen, dich zu rächen. Du hast geschworen, mich zu töten. Fehlt dir plötzlich der Mut?"

Ringerarme packten Chazz und zerrten ihn von dem Anführer der Skorpione fort. Es war Gorg, der den jungen Mann in einen brutalen Schwitzkasten nahm. Unter dem zermalmenden Griff knackten seine Knochen. Seine schmerzenden Füße und Beine protestierten qualvoll bei dieser rohen Behandlung und er unterdrückte ein gepeinigtes Stöhnen.

„Dummer Narr! Du weißt einfach nicht, wann du aufgeben solltest! Ich werde dir dein Herz herausschneiden und es an meinen Skorpiondämon verfüttern, du einfältiger, wertloser Bengel! Du wirst dafür bezahlen, dass du mich entstellt hast!"

„Nicht so schnell, Schattenreiter!! Hast du da nicht was vergessen!?!" Zwei Klingen surrten durch den Regen und schlitzten dem Hünen die rechte Schulter auf. Er ließ sein Opfer los und presste keuchend eine Hand auf die Verletzung. Jaden war auf der Lichtung erschienen, dicht gefolgt von den fünf anderen Anubis Black.

„Hm, der berühmte Kail beehrt mich mit seiner Anwesenheit. Wie praktisch, dass ihr alle hier seid - so können wir euch auf einen Schlag erledigen!!" Er wollte sich auf den Brünetten stürzen, doch Chazz kam ihm zuvor. Als er sah, dass Jaden in Gefahr war, rappelte er sich auf, den pochenden Schmerz ignorierend, der seinen gesamten Körper erfüllte, und holte mit einem seiner Sai aus.

»Nein!! Ich werde nicht zulassen, dass du ihm noch einmal etwas antust!! Ich habe es geschworen! Ich habe es geschworen!!!«
 

Wie eine Raubkatze sprang er nach vorne, auf seine Beute zu, und bohrte die Mittelzacke in seinen Bauch. Ein merkwürdiges Gurgeln drang aus Zaloogs Kehle, als Chazz sie herauszog, feucht und rot. Er stürzte auf die Knie und Blut lief aus seinem Mund. Der Wächter des Sechsten Tores wirbelte herum und verpasste ihm einen Hieb gegen die Halsschlagader. Mit einem Röcheln fiel der Schattenreiter nach hinten und sein Blut benetzte den nassen, schlammig gewordenen Waldboden. Er war tot und sein Körper löste sich langsam in Sand auf.

„Meister!" riefen seine Gefolgsleute klagend im Chor, und auch sie begannen, zu Sand zu zerfallen - alle bis auf Chick.

„Was....geht hier vor?"

„Onuris hat uns aus Sand wiedererweckt, mit Hilfe von Schattenmagie, die tote Materie beleben kann. Vor viertausend Jahren sind wir hingerichtet worden, nachdem es uns gelungen war, ein zweites, erfolgreiches Attentat auf Pharao Tutangaton zu verüben. Das Zentrum des Zaubers, der uns am Leben hält, stellt mein Vater dar, wir anderen sind mit ihm verbunden." Er blickte auf seine linke Hand hinunter, die sich nach und nach in Sand verwandelte. „Wenn er stirbt, werden auch wir ausgelöscht. Chazz....du sollst wissen, dass ich keinen Groll gegen dich hege, weil du meinen Vater getötet hast. Hätte er erfahren, dass ich euch gewarnt habe, hätte er mich eigenhändig umgebracht. Ich wollte euch danken....dafür, dass ich ein paar Tage als Mitschüler bei euch leben durfte....und ich danke dir für deine Freundschaft, Syrus." Sein rechtes Bein löste sich auf und er verlor das Gleichgewicht. Der Hüter des Zweiten Tores lief zu ihm hin und legte seine Arme um ihn.

„Du Dummkopf! Wenn du wusstest, dass du stirbst, sobald Zaloog stirbt, warum hast du uns überhaupt gewarnt? Dir muss doch klar gewesen sein, dass wir ihn töten würden! Das ist gemein! Ich will nicht, dass du verschwindest! Ich habe dich sehr gern! Ich will, dass wir zusammenbleiben! Bitte....bitte bleib hier....!"

„Du bist wirklich süß....ich habe dich ehrlich liebgewonnen, Sy. Meine Gefühle dir gegenüber waren immer aufrichtig, auch wenn ich ein Schwarzer Skorpion bin. Hast du meine Worte nicht vergessen? Die Dinge sind nicht immer so, wie sie scheinen. Der Schlüssel um deinen Hals schützte ursprünglich Götter und keine Ungeheuer. Und mein Vater hat recht. Wir sind von der gleichen Art. Ihr wisst es nur nicht. Die Schriftrolle....zeigt den Gott Amun....ihr seid...."

Sein Körper zerfiel endgültig und rieselte Syrus durch die Finger. Der Regen machte den Sand nass und schwer und die dicken Tropfen vermischten sich auf seinem Gesicht mit seinen Tränen. „Nein!! Das ist nicht fair! Er war mein Freund! Warum bloß?" Zane kniete sich zu ihm und umarmte seinen kleinen Bruder wortlos. Wieder blitzte und donnerte es heftig.

„Woher wusstet ihr, dass ich hier bin?" erkundigte sich der Dunkelblauhaarige. Bastion ging zu ihm hinüber und half ihm auf die verletzten Beine.

„Du bist nicht der einzige, der sich an Kails Todestag erinnert hat. Als du uns von deinen Alpträumen erzählt hast, erkannte ich sofort, dass sie die Erinnerung darstellten, die ich vor einiger Zeit zurückgewonnen hatte. Ich hatte gehofft, du würdest dich nicht allein in diesen Kampf werfen, aber du hast geschwiegen. Ohne die eingebrannte Botschaft auf deinem Teppich hätten wir dich nicht gefunden und hätten dich nicht retten können. Du kannst uns doch vertrauen, Chazz! Hättest du gleich den Mund aufgemacht, hätten wir dir von Anfang an beistehen können! Mir ist klar, warum du das Duell allein bestreiten wolltest, aber du hast dich auf diese Weise leichtsinnig in Gefahr gebracht! Wir sind ein Team und wir handeln als Team! Warum kapierst du das nicht?"

Jaden trat zu ihnen. „Wir bringen dich erstmal zur Krankenstation. Wenn sich Doktor Ishida um deine Wunden gekümmert hat, kommst du in mein Zimmer. Ich habe mit dir zu reden."
 

Eine halbe Stunde später waren die Verletzungen desinfiziert und gereinigt und Beine und Füße sorgsam verbunden. Da er nicht richtig gehen konnte, bekam Chazz einen Rollstuhl, um seine schmerzenden Füße zu schonen, denn bis auf weiteres durfte er sie nicht belasten. Bastion fuhr ihn zu Jadens Zimmer und entfernte sich nach dem Klopfen. Die Tür wurde geöffnet und er rollte hinein. Der Braunhaarige hatte seinen Uniformmantel ausgezogen und achtlos aufs Bett geworfen, er trug also nur noch das enge schwarze Tank Top, das seine Muskeln so schön abzeichnete. Er schloss die Tür wieder und sah den anderen kühl an.

„Ich dachte, du kennst die Regel. Niemand kämpft im Alleingang! Ich mag es nicht als Befehl formuliert haben, aber nichtsdestotrotz war es ein Befehl. Warum hast du mir nicht gehorcht?"

„Ich....ich hatte persönliche Gründe für den Kampf."

„Persönliche Gründe! Zane hatte auch persönliche Gründe für sein Duell gegen Camilla, aber er ist nicht allein gegen sie angetreten - und er hat sich auch nicht heimlich davongestohlen, so wie du! Was hast du dir dabei gedacht?!"

„Du verstehst nicht. Ich war durch einen Schwur an Don Zaloog gebunden. Ich musste ihn selbst bekämpfen!"

„Dieses Recht hätte dir niemand streitig gemacht, glaub mir! Die offizielle Herausforderung gilt immer nur einem! Aber du hast meinen Befehl missachtet und wärest beinahe getötet worden! Als dein Anführer bin ich für dich verantwortlich!"

In Chazz regte sich der Trotz. „Ach ja, natürlich, du bist mein Anführer! Bildest du dir ein, etwas Besseres zu sein, oder was?!"

„Sei nicht albern. Du weißt genau, dass ich nicht um diese Verantwortung gebeten habe! Und ich bilde mir nie ein, etwas Besseres zu sein! Das trifft eher auf dich zu!! Ist dir eigentlich klar, was ich mir für Sorgen gemacht habe, als du plötzlich weg warst? Du hast meinen Anordnungen Folge zu leisten und dir keine Extrawürste zu erlauben! Du hättest mit deinem Leben dafür bezahlen können!"

Entgegen der Anweisung des Arztes stand der Sechzehnjährige auf, postierte sich mit in die Hüften gestemmten Fäusten vor dem Wächter des Siebten Tores und funkelte ihn erbost an. „Du hast doch keinen Schimmer! Ich habe bei meinem Blut geschworen, diesen Bastard zu töten! Das war mein Kampf! Ihr hättet euch nicht einmischen dürfen, du am allerwenigsten! Ich habe dich nicht um deine Hilfe gebeten! Warum kannst du das nicht akzeptieren?!"

„Weil dein Verhalten leichtsinnig war - und weil ich recht habe!!"
 

In Jadens feurigen Augen loderte ein Zorn, der dem seines Gegenübers absolut ebenbürtig war. Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, was ihnen einen feuchten Glanz verlieh, und seine Hand zuckte über die Schulter, als wolle er nach einem seiner Schwerter greifen. Diese wilde, kriegerische Geste fachte Chazz‘ brodelnden Ärger noch mehr an und weckte zugleich heißes Verlangen in ihm. Die Wut verwandelte Jadens jugendliche Schönheit in die atemberaubende, sinnliche Macht eines herangewachsenen Mannes. Auch er war erregt, wie sein schnelles Atmen und seine geröteten Wangen verrieten.

„Ich wollte es nicht sein, aber da ich nun mal dein Anführer bin, hast du mir zu gehorchen!! Ende der Diskussion!!"

„Und was tust du, wenn ich dir nicht gehorche!?" stieß Chazz provozierend hervor. „Wirst du mich bestrafen? Mich bei Direktor Sheppard anschwärzen? Dich mit mir duellieren? Oder mich gar aus der Gruppe ausschließen? Unsere Freundschaft aufkündigen? Dann tu dir keinen Zwang an, ich pfeife auf unsere Freundschaft!!"

Dieser Satz glich einem Messerstich, der sich brutal in sein Herz bohrte. Jaden starrte ihn an, wütend und verletzt. Seine Augen glitten über das dunkle Haar und die perlweiße Haut, über den schlanken, athletischen Körper hinweg, zurück zu dem makellosen Antlitz mit den rosigen, bebenden Lippen. Unwillkürlich streckte er die Arme aus und legte sie fest auf die anmutigen Schultern. Ihre Blicke versanken ineinander, und beide erkannten, dass sie im Geiste dasselbe Bild vor sich hatten - ein Bild von ihnen beiden, wie sie sich leidenschaftlich küssten und ihre nackten, schwitzenden Leiber aneinander pressten. Endlose, spannungsgeladene, elektrisierte Sekunden verstrichen zwischen ihnen....bis Yuki in einer raschen Bewegung den anderen in seinen Rollstuhl zurückwarf und aus seinem Zimmer schob. Seine Tür knallte zu. Chazz hockte da, immer noch keuchend, mit schweißnassen Schläfen und wild pochendem Herzen. Mechanisch begab er sich in seinen eigenen Raum und setzte sich auf sein Bett. Während er versuchte, das eben Geschehene zu verarbeiten, spürte er eine unangenehme Enge in seiner Hose und errötete vor Scham. Er war....oh Gott, und wie. Die unweigerliche Reaktion seines Körpers auf die starke sexuelle Begierde, die er bei dem Streit mit Jaden empfunden hatte. Er warf sich seufzend in die Laken und starrte an die Decke.

»Verdammt, warum bin ich bloß so stur? Er hat gesagt, er hat sich Sorgen gemacht. Und er hat recht, in seiner Position ist er für uns alle verantwortlich. Ich hätte nicht gleich so ausrasten dürfen - und er war sauer, weil er Angst um mich hatte. Wie konnte ich nur sagen, ich würde auf unsere Freundschaft pfeifen? Ich bin so blöd! Ich liebe ihn doch....begehre ihn....«

Plötzlich ertrug er es nicht mehr. Er entkleidete sich und humpelte ins Bad, abwechselnd den rechten und linken Fuß belastend. Er schlüpfte in die Duschkabine und drehte das heiße Wasser auf. Die Wärme wirkte beruhigend auf ihn und seine Hand fuhr zögernd zu seinem „Problem" hinunter. »Warum bin ich in deiner Gegenwart immer stumm, Jay? Warum kann ich dir nicht gestehen, was ich für dich empfinde? Ich will dich sosehr....warum....?«

Draußen tobte das Gewitter endlich mit voller Wucht. Professor Banner, in Regenmantel und mit aufgespanntem Schirm, den er mühsam gegen den Wind stemmte, betrachtete die Sandhaufen, die zurückgeblieben waren. Die letzten Spuren des Gefechts.

»Chick, mein Junge....ich bedaure, dass es so gekommen ist. Aber ohne Schlüssel haben wir nicht die Macht, sie zu vereinen. Und wenn wir sie nicht vereinen, könnte sich die Geschichte wiederholen. Sie weg zu sperren, bringt nichts. Dunkle Seelen finden das Dunkle und benutzen es für ihre eigenen Ziele. Ruhe in Frieden, mein Freund.«

Damit ging er.
 


 

[1] Ich weiß endlich, was das für Dinger sind, die ich immer so schön als "Spieße" umschrieben habe! Das allererste Mal habe ich sie in "Die Mumie kehrt zurück" gesehen, als die beiden Hauptdarstellerinnen im alten Ägypten aufeinander losgegangen sind. Damals dachte ich deswegen auch, die Dinger wären ägyptische Waffen und habe mich geärgert, weil ich nichts über sie herausfinden konnte. Das liegt daran, dass diese "Spieße" in Wirklichkeit japanisch und nicht ägyptisch sind. Man nennt sie SAI und sie sind so ähnlich aufgebaut wie eine Gabel oder ein Dreizack. Die Mittelzinke ist etwa doppelt so lang wie die beiden äußeren. Die Sai sind je nach Ausführung zwischen 45 cm und 52 cm lang (im besten Fall etwas länger als der Unterarm) und heute meist verchromt oder mattschwarz. Der Schaft ist zumeist rund oder oktagonal. Das Sai existiert in einer Vielzahl von Varianten und wird meistens paarweise geführt. Für diejenigen unter Euch, die sich Chazz' Waffe immer noch nicht vorstellen können, habe ich ein Bild davon in den Charakterguide aufgenommen, dort könnt Ihr's Euch ansehen. Nachdem ich endlich Bescheid weiß, werde ich auch den Begriff SAI weiterhin benutzen.
 

Bis zum nächsten Mal!^^

Die Prophezeiung

Meine lieben Leser, es tut mir sehr leid, dass Ihr so lange nichts mehr von mir gehört habt, aber das liegt einfach daran, dass ich ein sehr wichtiges Semester in der Uni erfolgreich zu Ende bringen und meine Zwischenprüfung ablegen will, deshalb habe ich wirklich viel zu tun. Zudem war ich zu Hause einige Zeit lang ohne Internet, sodass ich nichts hochladen konnte. Ich bitte dies zu entschuldigen. Als kleine Entschädigung gibt's diesmal gleich zwei Kapitel! Viel Spaß beim Lesen!^^
 

Kapitel 15: Die Prophezeiung
 

Jadens Wecker klingelte laut und vernehmlich. Eine Hand arbeitete sich aus den Tiefen der Bettdecke hervor, wanderte nach rechts und brachte das Schrillen zum Verstummen. Mit einem Gähnen erhob sich der Brünette und wankte ins Badezimmer, wo er sich erst einmal einen Schwall kaltes Wasser ins Gesichts spritzte. Das weckte ihn richtig. Er begegnete seinem müden Antlitz im Spiegel und erinnerte sich betrübt an den gestrigen Streit mit Chazz. Er war nach wie vor davon überzeugt, in der Sache mit Don Zaloog recht zu haben, aber er hätte versuchen müssen, es dem anderen ruhig und sachlich zu erklären. Statt dessen war sein Temperament wieder mit ihm durchgegangen und er war lauter geworden als nötig! Und dann war da....dieses Problem. Die Auseinandersetzung hatte die Spannung zwischen ihnen erotisch aufgeladen und beide hatten sie gespürt, dass sie sich nach weit mehr sehnten, als eine Freundschaft ihnen bieten konnte. Zu behaupten, dass er von dem Verlangen, das er in Chazz‘ grauen, ausdrucksstarken Augen gelesen hatte, überrascht gewesen war, wäre eine glatte Untertreibung. Er war völlig überrumpelt und beinahe schockiert, dass jemand ausgerechnet ihn mit solchem Begehren anblicken konnte. Dennoch konnte er nicht leugnen, dass ihn der Gedanke daran erregte und beglückte. Offenbar stand Mr. Princeton doch nicht auf Mädchen, jedenfalls nicht mehr. Wie hatte er diese Veränderung nicht bemerken können? Weil er nicht daran geglaubt hatte?

»Ja, ich habe nicht daran geglaubt. Wie auch? Chazz und ich haben Freundschaft geschlossen, aber vorher waren wir Rivalen, zumindest aus seiner Sicht. Er konnte mich nicht ausstehen, weil ich ihm seinen Ruhm abspenstig gemacht habe. Meinetwegen war sein Stern am Sinken, meinetwegen verließ er die Akademie und kehrte zurück, um sich zu rächen. Meinetwegen musste er eine weitere Niederlage hinnehmen. Meinetwegen wurde er ein Slifer Red. Das muss ihn maßlos erbittert haben! Umso mehr, da er ja wohl angefangen hat, mich als Freund zu betrachten, was ihm sein Stolz verbot. Er ist nicht daran gewöhnt, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, und wer sein Innerstes erforschen, kennen lernen möchte, wird mit Hohn oder Wut zurückgestoßen. Wie oft hat er diese Dinge schon gegen mich eingesetzt, um das Band zu zerstören, es im Keim zu ersticken....jenes Band, das ich zu ihm knüpfen wollte. Und nun? Sein begehrender Blick gestern Nacht war deutlich genug. Trotz seiner Disziplin weiß ich um das Feuer, das unter dieser kühlen Maske brennt. Er ist impulsiver, als ihm selbst lieb ist. Wie schön er war, mit diesen funkelnden, zornigen Augen, diesem grazilen Körper und dieser schimmernden Haut wie aus Alabaster!«
 

Das Bild des anderen stand unverrückbar vor seinem geistigen Auge und er schüttelte den Kopf. Wie sollte er einen klaren Verstand beibehalten, wenn er an so etwas dachte?! Plötzlich spitzte er die Ohren und der Instinkt des Kriegers bemächtigte sich seiner. Jemand klopfte an seine Tür und entfernte sich raschen Schrittes wieder. Er riss die Tür auf, doch nur der dunkle Korridor begrüßte ihn. Fast meinte er, Opfer einer Sinnestäuschung geworden zu sein, als er das Paket entdeckte, das vor ihm abgelegt worden war. Es war in gewöhnliches braunes Postpapier eingewickelt und mit einem Briefchen versehen. Neugierig hob er das Paket auf und machte sich daran, es zu öffnen. Es enthielt eine große Schachtel mit einem Paar schwarzer Stiefel, die denen glichen, die er zu seiner Uniform trug, nur waren sie nicht schmal geschnitten und somit auch nicht sonderlich elegant, aber aus robustem Material, mit viel Raum für die Zehen und starkem Profil an den Sohlen. Dazu gehörten eine hellblaue Jeans, ein weißes Muscle-Shirt und schwarze Schweißbänder. Was sollte das? Verwirrt betrachtete er diese Geschenke und schlitzte das Briefkuvert auf. Er entfaltete das Blatt und las: „Ihre Uniform ist zu schick und zu schade, um als Trainingskluft missbraucht zu werden. Ich hoffe, dieses von mir zusammengestellte Outfit und der Trainingsraum sind zu Ihrer Zufriedenheit. Sie erreichen ihn mittels beigefügtem Inselplan." Das war alles. Kein Name, keine Unterschrift, nichts.

»Was zum Henker....?! Will mich da jemand verarschen, oder was!?« Er untersuchte den Brief von allen Seiten, konnte aber nichts verdächtiges finden. Der „Inselplan" war eine Karte, auf der tatsächlich sämtliche Einrichtungen und Orte aufgezeichnet waren, die eine Rolle spielten, unter anderem auch der See, in dessen Mitte die kleine Erholungsinsel lag. Der Unterschied war nur, dass der See auf dieser Karte kein Wasser führte - und der Boden war nicht etwa schlammig und steinig, sondern das Ganze sah aus wie das Becken eines Schwimmbads. Das - war - definitiv - nicht - normal. Jaden war durch die bisherigen Ereignisse für merkwürdige Geschehnisse sensibilisiert und entschied sich, dieser Sache auf den Grund zu gehen. Nachdem er sich geduscht hatte, zog er sich die neuen Kleidungsstücke an, wobei er feststellte, dass der Schenkende seine Hemdgröße nicht kannte, das Shirt eignete sich gerade noch als bauchfreies Top. Aber der Braunhaarige besass wie alle jungen Männer eine gesunde Eitelkeit (bei Burschen dieses Alters ist das keine kleine Angelegenheit!) und musste offen zugeben, dass diese Kombination, die seine mittlere Körperhälfte derartig entblößte, seine gertenschlanke, sportliche Figur hervorragend zur Geltung brachte. Zuletzt schob er sich die Schweißbänder über die Handgelenke, schnallte sich seine Schwerter um und verließ den Anubis-Black-Trakt, den Plan in Händen. Der goldene Schlüssel baumelte um seinen Hals. Der Weg zum See war ihm vertraut, sodass er sich alsbald ratlos umschaute, denn wie immer glitzerte das Wasser im Licht der Morgensonne und war nüchtern und normal durch seine Präsenz. „Was jetzt? Sollte das hier doch nur ein schlechter Scherz sein?"

„Miau." Er drehte sich um und erblickte Pharao, der ihn mit intelligenten Augen ansah. Augen, die für eine Katze vielleicht etwas zu intelligent waren. Jaden konnte sich diesen Eindruck nicht erklären, aber während er das Tier so betrachtete, schien es ihm, als wäre es hier, um ihm zu helfen. Er irrte sich nicht. Der Kater trottete zu einem Felsen hinüber und tippte dreimal dagegen. Wie von Zauberhand löste sich das Gestein auf und statt des Felsens ragte eine Art Mini-Kontrollpult vor ihm in die Höhe.

„Wow, Wahnsinn! Eine magische Illusion! Und welche Knöpfe soll ich drücken?" Er neigte sich über die Schaltanlage und musste grinsen. „He, das ist ja bloß eine Taste! Na, dann kann ich wenigstens nichts falsch machen."

Er betätigte den Knopf und ein Beben durchlief den Boden. Das Wasser im See wurde durch ein Röhrensystem in den Uferwänden abgelassen, bis man das Becken betreten konnte. „Ganz schön tief - aber es war ja auch eine Menge Wasser drin. Ah, da ist eine Leiter...."

Er kletterte hinunter, dicht gefolgt von Pharao, der einfach ins Becken sprang. Die Erholungsinsel thronte über ihnen auf einer seltsamen Röhre, die sieben Schlitze aufwies. Der Kater deutete auf den letzten Schlitz und auf den Schlüssel und maunzte eifrig, während er mit seinen Pfoten gestikulierte. Der Brünette nahm das Amulett und steckte es in die vorgesehene Vertiefung. Plötzlich schob sich die Röhre ein Stück weiter nach oben, bis eine Tür auftauchte. Sie schwenkte zur Seite und Jaden trat ein. Eine Taste mit einem nach unten gerichteten Pfeil gab Auskunft darüber, wie es weitergehen sollte. Die Fahrt in den Untergrund dauerte etwa fünf Minuten und er verspürte aus Ungewissheit ein mulmiges Gefühl im Magen. Endlich hielt der Aufzug und er hatte sein Ziel erreicht. Natürlicher Fels umgab ihn, aber stabile Wege, Treppen und Geländer waren hier gebaut worden, damit man sich ungehindert und ohne Anstrengungen bewegen konnte. Rechts war ein Abgrund, aber das massive Geländer verhieß Sicherheit. Der Weg war mit hellem Sand aufgeschüttet worden. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ebenfalls ein Weg, von dem aus eine Treppe in den Abgrund hinunterführte. In zehn Metern Tiefe konnte er ein blaues Funkeln erkennen - war das ein Pool? Das Licht stammte von Lampen, die wie Fackeln gestaltet waren und sein Staunen wurde immer größer. Pharao miaute ihn an und lief ihm voraus. „Warte, nicht so schnell!"
 

Der Pfad machte einige Biegungen und endete schließlich an einer Hängebrücke. Von der anderen Seite winkte eine automatische Tür. „Cool, ich fühle mich wie in einem Abenteuerfilm! Ich soll also da rüber?" Das Tier nickte und er überwand die Brücke in fliegender Eile. Wieder musste er seinen Schlüssel in einen der Schlitze an der Tür stecken, bevor sie aufging. Und was sich diesmal vor seinen Augen ausbreitete, verschlug ihm noch mehr die Sprache. Eine Arena! Zuschauertribünen gab es zwar keine, aber Plätze für die Anubis Black, jeder einzelne eigentlich eine Loge, drei links, drei rechts, die siebte befand sich am oberen Ende der Halle. Die Logen überdachten die Reihen mit den unterschiedlichen Waffen, die die tiefergelegte Arena umsäumten. Schwerter, Lanzen, Speere, Sai, Dolche, Pfeile, Bögen und Köcher, gebogene, gewellte, gezackte Klingen, Keulen, Wurfsterne, Butterfly-Messer....traditionelle und modernere Waffen gaben sich hier die Klinke in die Hand.

»Sag bloß....das ist der ‚Trainingsraum‘, den der Briefeschreiber meinte! Er hat einen leichten Hang zur Untertreibung....Das ist unglaublich! Warum hat Mr. Sheppard uns das nicht schon längst gezeigt? Wir hätten unsere Fähigkeiten ausformen und unsere Kondition verbessern können. Ob er es einfach vergessen hat?«

Pharao ließ ein Geräusch hören, das wie ein Räuspern klang und geleitete Jaden zu seiner Loge hinauf. Ein roter Vorhang, geschmückt mit einer aus Goldfäden gestickten römischen Sieben, die zusätzlich von einem stilisierten Torbogen umrahmt war, verdeckte den Zugang. Im Inneren erwarteten ihn ein marmorierter Boden, ein eleganter Diwan und Verzierungen an den Wänden in Form von goldenen Hieroglyphen. Ein kesser Pfiff entschlüpfte ihm.

»Stark. Das ist ehrlich stark. Aber was ist das hier? Ein Binsenkorb mit mehreren Schriftrollen....die sehen sehr alt und wertvoll aus. Hm....« Er griff sich eines der Pergamente, das mit einer ähnlichen Kordel umschlossen war wie jenes Schriftstück, das sie bereits ihr Eigen nannten. Die neue Errungenschaft war ein Hieroglyphentext, begleitet von einer Abbildung der sieben Torschlüssel. Jaden besass mittlerweile einen relativ umfangreichen Erinnerungsspeicher und wie sein kämpferisches Können war die Beherrschung der ägyptischen Sprache ein Teil davon, eine Gabe, die ihm angeboren war.

„‚Eines Tages kehren sie zurück, die Schatten der Nacht. Und was sie suchen, ist der Kreaturen Macht. Verhindern kann ihren Triumph, wer als Hüter geboren, bereit zu kämpfen vor den alten Toren. Im ersten wird zum Kampf vereidigt, am zweiten wird die Hoffnung verteidigt. Das dritte ist Freiheit, das vierte die Liebe, worauf fünftens der Ewige Frieden noch bliebe. Im sechsten prüft manchen die Wahrheit vergebens, das siebte Tor ist die Pforte des Lebens.‘ Das ist die Prophezeiung, von der Kanzler Sheppard uns erzählt hat! Aber der Text geht ja noch weiter....‘Licht ist Schatten und Schatten ist Licht. Der Kampf ist sinnlos, die Hoffnung zerbricht. Die Freiheit wird gefangen und angekettet, nicht einmal die Liebe wird noch gerettet. Es gibt keinen Frieden mehr, auch nicht im Tod, die Wahrheit erkrankt an Lüge und Not. Die Finsternis verlöscht die Sonne, nimmt uns des Lebens Wonne. Wir spüren, wie die Kälte unsere Herzen zersticht. Licht ist Schatten und Schatten ist Licht.‘ Das klingt abscheulich....warum hat der Direktor uns nicht gesagt, dass die Prophezeiung nicht beendet ist? Das kann er wohl kaum vergessen haben, das ist viel zu wichtig. Was steht da noch? ‚Jene, die zurückkehren werden als die Erwählten, mögen aufmerksam hören: Lasst euch nicht von falschen Zungen betören. Ehrlich ist euer Blut und ehrlich euer Ziel, unehrlich aber ist dieses Spiel. Um zu erkennen, ist eines vonnöten: Der Schakal ist ein Jäger. Ein Jäger muss töten.‘ Was soll denn das heißen? Diese Sache gefällt mir immer weniger....der Schakal meint vermutlich Anubis, er ist sein Symboltier. Er war der Gott der Toten und der Einbalsamierung. Was andererseits mit dem Jäger keinen Sinn ergibt, weil Anubis niemanden umgebracht hat. Aber ein Krieger tötet. Ob sich das auf uns bezieht? Doch selbst wenn....die Krieger des Anubis müssen verhindern, dass die Macht der Heiligen Ungeheuer in Onuris‘ Hände fällt! Die Schattenduelle folgen einer einzigen, grausamen Gerechtigkeit: Leben oder sterben. Wir müssen unsere Feinde besiegen, wenn die Tyrannei nicht wiederauferstehen soll. Was ich nicht kapiere, ist, weshalb der zweite Abschnitt der Prophezeiung ein Scheitern unserer Mission beschreibt. Und dann kommt diese Warnung mit den ‚falschen Zungen‘. Bedeutet das, wenn wir auf Lügen hereinfallen, werden alle diese schrecklichen Dinge passieren und wir werden verlieren? Das Spiel ist ‚unehrlich‘ - welches Spiel? Wer spielt mit wem? Das ist höchst merkwürdig....ich kriege schon Kopfschmerzen von diesem ganzen mysteriösen Kram! Trotzdem, eins habe ich verstanden: Es gibt ein paar Dinge, die Mr. Sheppard uns nicht gesagt hat!"
 

„Jaden ist verschwunden!"

Die übrigen Anubis Black starrten Chazz beim Frühstück in der Mensa überrascht an. Bastion fasste sich als erster. „Wie bitte? Es ist doch nichts Neues, dass er zu spät kommt. Er hat sicher nur verschlafen."

„Nein. Ich war in seinem Zimmer. Er ist nicht da!"

„Ist er nicht? Das ist allerdings eigenartig. Wo könnte er sonst stecken?"

Während seine Freunde darüber rätselten und Hypothesen aufstellten, wohin ihr Anführer verschwunden sein könnte, aß der Dunkelblauhaarige fast gar nichts und würgte nur ein paar trockene Kelloggs hinunter. Er hatte Schuldgefühle wegen des Streits, denn er wusste durchaus, dass er Jaden mit seinen Worten sehr verletzt hatte. „Ich pfeife auf unsere Freundschaft!" Wie hatte er das bloß sagen können?! Und doch....er konnte das Verlangen in diesen glühenden braunen Augen nicht vergessen, die ihn zu verbrennen drohten! Die Erkenntnis, dass der ehemalige Slifer Red ihn gleichfalls begehrte, erfüllte ihn sowohl mit Glück als auch mit Scheu, da seine Empfindungen intensiver waren als alles andere zuvor. Für ihn ein weiterer Beweis dessen, was er unlängst geahnt hatte: Dass er ernsthaft und zutiefst aufrichtig in Jaden verliebt war. Das hier war keine Schwärmerei, keine seichte Liebelei, das war echt. Seine einstige romantische Zuneigung für Alexis war der reinste Witz dagegen!

„Wir sollten uns nachher aufteilen und ihn suchen. Die Duellinsel ist groß, aber da Jadens Orientierungssinn nicht unbedingt Rekorde erzielt, wird er sich nicht allzu weit von der Akademie entfernen. Da du noch den Rollstuhl benutzt, werde ich mit dir zusammen suchen, Chazz. Es ist einfacher für dich, wenn dich jemand schiebt. Atticus, du gehst mit deiner Schwester, okay? Und Zane und Syrus bilden ebenfalls ein Team. So sollten wir ihn schnellstmöglichst aufspüren können, er kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben!"

„Das ist eine gute Idee - aber ich möchte vorschlagen, dass doch besser Atticus und Zane gemeinsam losziehen. Ich gehe mit Syrus." Misawa blickte das Mädchen eine Weile verdutzt an. Sie zwinkerte ihm zu und lächelte bedeutungsvoll. Mit einer beiläufigen Geste wies sie auf ihren Bruder und den Grünhaarigen und spreizte den kleinen Finger ab. In Japan meinte dieses Handzeichen normalerweise „Freundin" oder „Mädchen", aber in diesem Fall wollte sie natürlich ausdrücken, dass sich zwischen zwei bestimmten Herren etwas entwickelte. Sie wurde verstanden. „In Ordnung, das können wir auch machen. Also los!"

So kam es, dass drei Zweiergruppen ausschwärmten, eine in den Wald, eine Richtung Meer und eine ins Umfeld der Unterkünfte. Während Alexis einige ihrer Mitschülerinnen nach Jaden fragte und schließlich sogar die Gelegenheit hatte, sich kurz mit Mindy und Jasmine auszutauschen, war der Fünfzehnjährige sehr schweigsam. Nachdem sie sich von ihren beiden Freundinnen verabschiedet hatte, fiel ihr sein niedergeschlagener Zustand auf und sie bettete ihre Hand auf seiner Schulter.

„Du bist immer noch traurig wegen Chick, nicht wahr?"

„Wie? Woher....woher weißt du das?"

„Man sieht es dir an, Sy. Du hattest ihn liebgewonnen, das hast du selbst gesagt. Es hat dir sicher wehgetan, dass er....sterben musste. Er mag Don Zaloogs Sohn gewesen sein, aber dein Vertrauen in ihn war gerechtfertigt. Er war ein guter Mensch. Man kann einem Toten das Leben nicht wieder zurückgeben, doch du hast deine Erinnerungen an ihn und kannst sie in deinem Herzen bewahren. Diese Erinnerungen sind dein Eigentum und niemand kann sie dir nehmen. Nur weil er nicht mehr ist, musst du deine Gefühle für ihn nicht aufgeben. Du darfst ihn weiter lieben. Das wird dir helfen, deinen Schmerz zu überwinden. Vergiss ihn nicht, nur weil jemand glaubt, das wäre das Beste. Das ist es nicht. Denke an ihn, solange dein Herz es braucht. Nur dann kann es eines Tages wirklich loslassen."

Er wandte ihr sein Gesicht zu und während sie nebeneinander ausschritten, schien es ihr, als sei er ein paar Zentimeter gewachsen. Die Uniform spannte ein wenig. „Es ist sehr nett, dass du mich trösten willst. Du gibst dich zwar gerne tough und bist ziemlich direkt, aber du kannst dich gut in andere hineinversetzen. Du wirkst endlich mal wie ein richtiges Mädchen."

„He, was fällt dir denn ein? Typisch - je kleiner, desto gemeiner!"

„Du warst mal unglücklich verliebt, oder? Ich habe es aus deiner Stimme herausgehört. Deswegen verstehst du meine Situation so gut."

Sie hielt betroffen inne, sah ihn an. Syrus‘ weiche, kindliche Züge waren ungewöhnlich ernst und ließen sporadisch das Antlitz des jungen Mannes erkennen, der er einmal sein würde. Sie seufzte und verschränkte die Hände im Rücken.

„Es ist zwei Jahre her. Er kam neu in meine Klasse und war von Anfang an sehr beliebt bei den Mädchen. Sein Name war John. Wir freundeten uns an und irgendwann verliebte ich mich in ihn. Ich stand ihm am nächsten und deshalb hoffte ich, er würde sich für mich entscheiden, aber er wählte eine andere, mit der er heute noch zusammen ist. Ich sollte es eben nicht sein. Man kann nichts erzwingen. Für eine glückliche Beziehung müssen beide dasselbe empfinden, meinst du nicht auch? Ja, ich war damals enttäuscht, wütend, eifersüchtig und traurig. John hingegen war glücklich. Ich konnte ihm das nicht zerstören, also akzeptierte ich es, obwohl es mir sehr schwer fiel. Und wer weiß? Das Leben ist reich an Überraschungen. Vielleicht schenkt das Schicksal dir und Chick eine neue Chance."

„Das glaubst du? Wie denn? Er ist zu Sand zerfallen....es ist vorbei."

„Du bist eine Reinkarnation, genau wie ich. Ich habe keine Ahnung, an welche Bedingungen eine Wiedergeburt geknüpft ist, aber er würde eine verdienen. Niemand kann dir verbieten, zu träumen - oder zu hoffen."
 

Bevor sie recht begriffen hatte, was geschah, hing ein dankbar schluchzendes Bündel an ihrem Hals und umklammerte sie fest. Sie erwiderte die Umarmung und wuschelte ihm wie eine große Schwester liebevoll durch die dichten Haare. In der Zwischenzeit hatten Zane und Atticus den Hafen erreicht und suchten alles nach dem Vermissten ab, blieben jedoch erfolglos. Der Brünette ließ seine Augen über das Meer schweifen, das heute in seiner Klarheit mit dem herrlichen blauen Himmel wetteiferte und genoss still die warmen Sonnenstrahlen. Das schreckliche Gewitter der letzten Nacht glich einem fernen Traum....Sein Begleiter beobachtete ihn schweigend, verzaubert von dem rötlichen Schimmer, den die Sonnenstrahlen über sein Haar gossen und hingerissen von der Art, mit der das Licht seine elegante Gestalt mit einer goldenen Aureole umhüllte. Verdammt, warum musste er so schön sein?!

„Wo könnte Jaden sein, was denkst du?" erkundigte er sich, um seine Verlegenheit zu überspielen. Die Verwirrung und Unsicherheit, die der andere in ihm auslöste, ärgerten ihn, dennoch konnte er nicht widerstehen, immer wieder seine Nähe zu suchen.

„Ich weiß es nicht. Vielleicht muss er einfach mal für sich sein und hat sich deswegen davongemacht. Manchmal braucht man die Einsamkeit."

„Wieso sollte er?"

„Er hat gestern noch mit Chazz gesprochen. Du warst dabei, als er ihn bat, später zu ihm zu kommen. Beim Frühstück trug Chazzis Gesicht einen merkwürdigen Ausdruck....offenbar war die nächtliche Unterhaltung nicht ohne Zündstoff. Ich vermute, dass sie aneinander geraten sind, was mich bei ihrem Temperament nicht sonderlich erstaunt. Das könnte der Grund sein, warum Jaden sich abgesondert hat. Er will allein sein und nachdenken. He, was ist? Wieso schaust du mich so bestürzt an?"

„Mir ist Chazz‘ Zustand nicht aufgefallen...."

„Na ja, was Gefühle angeht, bist du nicht gerade ‘ne Leuchte....aber unser Mr. Princeton ist relativ leicht zu verstehen. Man sieht ihm alles an, obwohl er sich selbst für‘n Pokerface hält.

Dass ich nicht lache! Er bemüht sich immer, unnahbar und cool zu sein, aber in seinem Inneren ist er verletzlich. Er hat Angst, zu versagen, weil er nicht an sich selbst glaubt."

„Woran siehst du das?"

„Es steht in seinen Augen geschrieben. Augen sind der Spiegel der Seele, Zane, und in diesen Worten liegt eine ganze Menge Wahrheit...."

„Atticus...." Die sonst so beherrschte Stimme des „Kaisers" klang eigentümlich gepresst und sein grüner, katzenhafter Blick schlug seinen Gegenüber unweigerlich in Bann. Er las in diesen Augen und fand ein Chaos an Emotionen vor. Die meisten dieser Emotionen, davon war er überzeugt, unterdrückte Zane, um sich zu schützen. „....durchschaust du mich auch?" Er packte ihn an den Oberarmen. „Was denke ich gerade?"

„Hm....‘Der Bursche labert zwar meistens oberflächliches Zeug, aber in Wirklichkeit sieht er sehr viel.‘ Volltreffer, nicht wahr? Nur eines weiß ich leider nicht....was du über mich denkst."

„Das weiß ich selbst nicht so genau...."

„Ich mache es dir nicht leicht, was? Übrigens....erinnerst du dich an den Tag, an dem du mir von meiner modernen Identität erzählt hast? Als ich erklärte, ich würde dich lieben, auch wenn du nicht mehr Anares bist?"

„Natürlich erinnere ich mich daran...." Seine Finger wanderten nach oben, berührten seine Lippen, auf die „Hiron" damals die seinen gedrückt hatte, ganz zart und sanft.

„Wie ist deine Meinung dazu?"

„....Ich halte das eher für unwahrscheinlich. Deine romantische Neigung mir gegenüber hat ihren Ursprung zweifellos in der Vergangenheit. Sobald du deine Erinnerungen zurückgewonnen hast und wieder ‚Atticus Rhodes‘ bist - mit allem, was ihn ausmacht -, wirst du dich vermutlich davon lösen."

„Nein!"

„Wie bitte?"

„Nein. Es ist mir ernst! Wenn ich dir gesagt habe, dass ich dich liebe, meine ich das auch so. Du ähnelst Anares, aber du bist nicht Anares. Anares ist tot. Ich sehe in dir den Mann, der du jetzt bist, und niemanden sonst! Ich bewundere deinen Stolz und deinen Mut, ich schätze deine würdevolle und vornehme Art, ich mag sogar deine spitzen und sarkastischen Bemerkungen, und ich liebe deine seltenen und umso wertvolleren Lächeln! Daran, wie du deinen kleinen Bruder behandelst, erkenne ich deine Fähigkeit, zärtlich und fürsorglich zu sein. Du zeigst es ungern, weil es nicht zu deinem Image passt, aber diese Eigenschaften sind nichtsdestotrotz vorhanden! Du bist loyal, entschlossen und dazu bereit, für Menschen, die dir etwas bedeuten, durch die Hölle zu gehen! Und auf der Minusseite haben wir deinen Sturschädel, eine Spur von Arroganz, das Abkapseln deiner Gefühle und die Tatsache, dass du ein eher schlechter Verlierer bist. Das ist Zane, mit all seinen positiven und negativen Seiten. Du glaubst mir vielleicht nicht, aber ein paar Wochen können genügen, um sich in einen anderen Menschen zu verlieben. Ich möchte noch viel mehr über dich erfahren....und ich möchte, dass du auch mich noch besser kennen lernst. Sag....ist dir meine Liebe lästig?"

Zane wusste keine Antwort. Noch nie hatte jemand mit solcher Leidenschaft zu ihm gesprochen oder seinen Charakter auf diese Weise auseinander genommen. Der Gedanke, dass Atticus es tatsächlich ernst meinen könnte, war ihm nicht im Entferntesten gekommen. Er fühlte sich erbeben unter dem feurigen Glanz dieser Augen und musste schlucken. Seine Kehle war ausgedörrt und sein Herz trommelte hart gegen seinen Brustkorb. Er war sprachlos und vertraute der Standfestigkeit seiner Beine nicht recht.

„Dein Herz ist einsam, weil du niemanden an dich heranlässt. Ist dir gar nicht klar, wie viel Liebe du verdienst, du....du wunderschöner Dummkopf?"

Diese Betitelung entlockte Zane ein unbewusstes Lächeln. „Das ist das erste Mal, dass mich jemand einen ‚Dummkopf‘ nennt...."

Das Lächeln gab den Ausschlag. Es hatte viel zu viel verführerisches. Wie von einer unsichtbaren Macht gelenkt, schlang Atticus seine Arme um die schlanke Taille, glitt mit einer Hand den Rücken hinauf bis zum Nacken und zog den völlig überrumpelten Meisterduellanten in einen innigen Kuss. Zunächst hatte er das Gefühl, eine Skulptur aus Eis an sich zu pressen, doch nach und nach schmolz das Eis dahin, wurde zu perlendem Wasser, erhitzte sich an der Flamme seiner Liebe, begann zu kochen und zu verdampfen, nur, um als Niederschlag wieder zu fließendem Nass zu werden. Zane wehrte sich nicht. Nichts hätte seine ruhige Gelassenheit und seine kühle Zurückhaltung derart überwältigend zum Schweigen bringen können wie dieser Kuss, der den Boden unter seinen Füßen fortriss, ihn in ungeahnte Höhen hob und ihn schwindeln ließ. Wie trunken hing er an diesem sinnlichen Mund, und durchbraust von einem rauschhaften, heftigen Sturm, dem er ausgeliefert war, überließ er sich der lustvollen Eroberung. Plötzlich jedoch fand er sich befreit und der Wächter des Ersten Tores wich zurück, beschämt und schwer atmend.

„Entschuldige, ich....ich wollte dich....nicht bedrängen....Verzeih bitte...." Damit lief er davon, ohne sich noch einmal umzuwenden. Hätte er es getan, so hätte sich ihm ein ungewohntes Bild geboten: Der Grünhaarige fuhr die Konturen seiner Lippen nach, seine blassen Wangen hatten sich stark gerötet und seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern.

„Atticus....oh Atticus....!"
 

Bastion und Chazz hatten auch kein Glück. Der Ältere schob seinen Freund unter duftenden Baumkronen hindurch, die Vögel trällerten und tirilierten, aber der Dunkelblauhaarige kümmerte sich nicht darum.

„Wo kann Jaden nur hin sein? Ich gebe ja zu, dass Personen im Wald schwer zu finden sind, aber allmählich mache ich mir Sorgen. Ob ihm etwas zugestoßen ist?"

„Das glaube ich nicht, der Junge kann gut auf sich selbst aufpassen. Außerdem nehme ich keine Schattenaura wahr. Der ist garantiert auf seinen eigenen Beinen abgehauen. Du hast doch gestern noch mit ihm geredet. Benahm er sich irgendwie komisch?"

„....Nein. Ich....er....wir....wir haben uns gestritten."

„Ah so? Vermutlich hat er dir die Leviten gelesen, weil du alleine in den Kampf gezogen bist?"

„Genau. Uns ist beiden der Kragen geplatzt....und wir haben uns getrennt, ohne uns wieder zu versöhnen. Ich will mich entschuldigen. Wo könnte er nur sein?"

„Hast du eigentlich schon mit ihm darüber gesprochen?"

„Worüber?"

„Na, über deine Liebe zu ihm!"

Chazz wurde rot und schüttelte verneinend den Kopf. Bastion verdrehte die Augen und kniff ihn behutsam neckend in die Wange. „Immer noch nicht? Allmählich wird‘s Zeit, meinst du nicht? Jaden hat dich sehr gern, eine Zurückweisung ist meiner Ansicht nach nicht zu erwarten. Wovor hast du Angst?"

„Ich bin nicht sicher....mein ganzes bisheriges Leben habe ich selten bis nie über das gesprochen, was mich bewegt. Ein Liebesgeständnis ist schon für jemanden schwer genug, der seine Gefühle ansonsten nicht vor anderen verbirgt, und für mich ist es praktisch unmöglich. Sobald ich in seinen atemberaubenden Augen versinke, schlägt mein Herz so stark, dass ich keinen Ton herausbringe. Sein Blick ist so voller Wärme und Lebensfreude....mir schnürt sich die Kehle zu, meine Handflächen werden feucht. Es ist, als würde ich plötzlich stumm werden. Er mag mich gern haben, aber das da mehr ist...." Er unterbrach sich und dachte an den Streit und die sexuell aufgeladene Atmosphäre zwischen ihm und dem Brünetten. Schweigen.

„Es ist etwas geschehen, richtig? Ihr habt erkannt, dass ihr mehr füreinander seid als Freunde."

„Das habe ich nicht gesagt!"

„Das war auch nicht nötig, dein Schweigen spricht Bände. Mir ist klar, dass ein Liebesgeständnis nicht leicht über die Lippen kommt - jedenfalls nicht, wenn man es ernst meint und die berühmten drei Worte nicht bloß eine Floskel sind. Aber du musst ihm auf alle Fälle deine Gefühle offenbaren. Wenn du das tust, wird er deine Gefühle auch annehmen und dir eine Antwort geben, die seiner würdig ist. Den Mut, den ein solches Geständnis erfordert, musst du in dir selbst finden. Ich kann dir eine Hand reichen und dir den richtigen Weg zeigen - aber gehen musst du ihn selbst."

„....Danke, Bastion."

„Hm? Wofür?"

„Dafür....dass du mir Ratschläge gibst....dass du versuchst, mir zu helfen....und dass du mich wie einen Freund behandelst."

„Du bist mein Freund. Du musst dich nicht bei mir bedanken. Dass ich für dich da bin, ist doch keine große Sache, sondern selbstverständlich."

„Doch. Das ist eine ganz große Sache. Meine Eltern und meine Brüder sind so gut wie nie für mich da gewesen. Irgendwann dachte ich, ich würde niemanden brauchen und könnte mich immer allein durchschlagen. Ich wusste es nicht besser. Es ist schön, zu wissen, dass man auf jemanden zählen kann, wenn man Probleme hat. Mein allererster wirklicher Freund war Jaden. Sogar in der Zeit, da ich ihn noch als meinen Rivalen betrachtete und wenig von ihm hielt, stärkte er mir den Rücken, war an meiner Seite, um mich zu verteidigen oder mich zu unterstützen, bemühte sich, mich in seinen Kreis einzubinden und war immer nett zu mir, obwohl ich es ihm nicht vergolten habe. Langsam muss meine Zuneigung zu ihm immer größer geworden sein, ohne dass es mir bewusst war. Aber er war der erste, von dem ich als meinem ‚Freund‘ sprechen konnte."

Sie waren beim See angelangt, dessen Becken sich längst wieder mit Wasser gefüllt hatte und blickten beide über die glitzernde Oberfläche hinweg. Auf einmal begannen die Fluten jedoch zurückzuweichen und abzufließen. Bevor sie begriffen hatten, was sich da Eigentümliches ereignete, trat Jaden aus dem Aufzug unterhalb der Inselaufbauten hervor, durchmaß das Becken mit energischen Schritten, kletterte die Leiter hinauf und schien sich für die fassungslosen Gesichter seiner Kameraden nicht zu interessieren. Pharao tapste hinter ihm her und wuchtete seinen vollgefressenen Katzenleib mühsam zurück ans Ufer. In der Faust des Sechzehnjährigen stak eine Schriftrolle.

„Jaden, da bist du ja! Wir suchen dich schon seit einer Stunde! Was ist da gerade passiert - und was sind das für Klamotten?!"

„Die habe ich von einem namenlosen Briefeschreiber bekommen. Ich werde euch alles erzählen....später. Jetzt habe ich ein Hühnchen mit dem Kanzler zu rupfen!" Er war sichtlich erbost, seine Augen loderten heiß, die Lippen waren zu einer harten Linie zusammengepresst. Chazz konnte nicht umhin, den Schönling vor sich Millimeter für Millimeter zu begutachten, beinahe verärgert über die Wirkung, die der andere auf ihn ausübte.

»Dieses Outfit ist ja gemeingefährlich....so eng und....freizügig....Es betont einfach perfekt die erotische Ausstrahlung seines feingliedrigen Körpers....er ist so verdammt sexy....!!«

Der Braunhaarige stürmte Richtung Schulgebäude davon und Bastion, den an den Füßen und Beinen verletzten und daher momentan gehunfähigen Chazz vor sich her rollend, nahm die Verfolgung auf. Der Anführer der Sieben Krieger schoss wie ein Blitz durch die ehrwürdigen Korridore, schaute weder nach links noch nach rechts und platzte schließlich in Mr. Sheppards Büro. Es war leer....
 

Ein paar Stunden später, es war gerade Mittagspause, rief Jaden sein Team zusammen. Da es ein so schöner, strahlender Tag war, speisten die Jugendlichen draußen und aus dem mitgeführten Essen entwickelte sich nach und nach ein kleines Picknick. Yuki berichtete ausführlich von dem Brief, Pharaos Verhalten und der Entdeckung der unterirdischen Trainingsarena, ehe er auf die Schriftrolle zu sprechen kam, die er bei sich hatte. Er breitete sie vor seinem aufmerksam lauschenden Publikum aus und las vor: „Eines Tages kehren sie zurück, die Schatten der Nacht. Und was sie suchen, ist der Kreaturen Macht. Verhindern kann ihren Triumph, wer als Hüter geboren, bereit zu kämpfen vor den alten Toren. Im ersten wird zum Kampf vereidigt, am zweiten wird die Hoffnung verteidigt. Das dritte ist Freiheit, das vierte die Liebe, worauf fünftens der Ewige Frieden noch bliebe. Im sechsten prüft manchen die Wahrheit vergebens, das siebte Tor ist die Pforte des Lebens. Licht ist Schatten und Schatten ist Licht. Der Kampf ist sinnlos, die Hoffnung zerbricht. Die Freiheit wird gefangen und angekettet, nicht einmal die Liebe wird noch gerettet. Es gibt keinen Frieden mehr, auch nicht im Tod, die Wahrheit erkrankt an Lüge und Not. Die Finsternis verlöscht die Sonne, nimmt uns des Lebens Wonne. Wir spüren, wie die Kälte unsere Herzen zersticht. Licht ist Schatten und Schatten ist Licht. Jene, die zurückkehren werden als die Erwählten, mögen aufmerksam hören: Lasst euch nicht von falschen Zungen betören. Ehrlich ist euer Blut und ehrlich euer Ziel, unehrlich aber ist dieses Spiel. Um zu erkennen, ist eines vonnöten: Der Schakal ist ein Jäger. Ein Jäger muss töten."

„Das ist die Prophezeiung. Sie geht also weiter. Warum hat Sheppard uns das verschwiegen?" erkundigte sich Zane, der sich redlichst bemühte, eine gewisse Person am Tisch nicht anzusehen, denn jedesmal, wenn ihre Blicke sich kreuzten, fing sein Herz an, Luftsprünge zu machen.

„Das ist eine berechtigte Frage.", erscholl Syrus‘ Stimme und alle wandten sich ihm zu. „Dieser zweite Abschnitt passt zu dem, was Chick mir gesagt hat, denn er benutzte ähnliche Worte: ‚Licht ist Schatten und Schatten kann Licht sein, je nach dem, von welcher Seite man es betrachtet.‘ Aber da sind noch weitere Aussagen, die ich nicht verstehe, wie zum Beispiel ‚Der Schlüssel um deinen Hals schützte ursprünglich Götter und keine Ungeheuer.‘ Und dann dieses ‚Wir sind von der gleichen Art.‘ oder Taniyas ‚Sei, was du bist.‘, als Jay sie besiegte. Nicht zu vergessen Pharaos untypisches Benehmen, der uns zum zweiten Mal ein Schriftstück verschafft hat, das uns Rätsel aufgibt - offenbar aus gutem Grund. Der Direktor hat uns nicht die vollständige Prophezeiung genannt und ist urplötzlich spurlos verschwunden. Warum? Was weiß er? Weshalb rückt er nicht mit der Wahrheit heraus?"

Der Wächter der Siebten Tores hatte die Arme verschränkt und musterte seine Freunde einen nach dem anderen, eindringlich und besorgt. An Chazz blieb sein Blick am längsten haften und dieser fühlte ein stummes Einverständnis darin. Sie würden sich aussprechen.

„Ja, weshalb rückt er nicht mit der Wahrheit heraus? Es scheint, als könnten wir Mr. Sheppard nicht mehr vertrauen. Aber wenn wir ihm nicht vertrauen können - wem dann?"

Der Rivale

Kapitel 16: Der Rivale
 

Jaden hatte seinen Freunden die unterirdische Trainingsarena gezeigt. In ihren jeweiligen Logen hatten sie die Übungskleidung für sich selbst gefunden, die ihr Anführer per Paket ausgehändigt bekommen hatte. Er war allerdings der einzige, dessen Trägershirt ein bauchfreies Top war, wodurch er sich viele bewundernde Blicke seitens seiner Teamkameraden einhandelte. Am meisten freute es ihn, wenn Chazz ihn heiß musterte, denn das löste ein angenehmes Prickeln in seiner Magengegend aus. Außerdem hatte Bastion, neugierig wie er war, entdeckt, dass die Arena ursprünglich einmal eine Arena für Kartenduelle gewesen war und über ein Programm für Kampfsimulationen verfügte. Jaden stand nun in der Mitte des Areals und der Schwarzhaarige am Kontrollpult. Er hatte sich rasch mit dem Computersystem vertraut gemacht und startete die Software mit dem klangvollen Titel „Anubis Black: Battle Challenge". Aus der Anlage ertönte eine künstliche Stimme und sagte: „Anubis Black Battle Challenge wird gestartet. Name des Kriegers?"

„Hä? Also, ich bin Jaden, Jaden Yuki."

„Stimmenmuster wird überprüft. Jaden Yuki erkannt. Wählen Sie eines der Kampflevel zwischen Eins und Sieben."

„Was? Eh, wie unterscheiden sich diese Level?"

„Level 1: Einfach. Level 2: Normaler Schwierigkeitsgrad. Level 3: Gesteigerter Schwierigkeitsgrad. Level 4: Fortgeschrittene, Stufe I. Level 5: Fortgeschrittene, Stufe II. Level 6: Master, Stufe I. Level 7: Master, Stufe II. Auch bekannt als ‚Level of First Command‘, da es nur für den Anführer freigegeben ist. Ihre Wahl?"

„Ich habe ein eigenes Level? Na schön, dann teste ich es gleich mal. Ich entscheide mich für Level Sieben."

„Level ausgewählt. Die Simulation wird gestartet."

Er zog seine beiden samuraiähnlichen Schwerter aus den Scheiden und wartete. Vor ihm materialisierten sich mehrere abstoßende, dämonische Kreaturen, zehn an der Zahl, mit einer durchschnittlichen Größe von vier bis fünf Metern, peitschenden Schwänzen, Krallen, mörderischen Gebissen oder vergleichbaren Nettigkeiten. Die erste Bestie attackierte ihn und er wich mit einem Überschlag aus, nur, um direkt vor einem anderen Wesen zu landen, dessen Geifer ihm auf die Schulter tropfte. Es fühlte sich erschreckend real an. Er wirbelte herum und schlitzte seinem Gegner ohne langes Federlesen den Bauch auf, als Feind Nummer Eins, der offenkundig nicht besonders flink oder schnell war, wieder auf ihn zustürzte und sich auch noch zwei weitere Geschöpfe daran machten, ihn anzugreifen.

»Okay, ruhig. Den einen habe ich erledigt, der Kerl hinter mir ist sehr schwerfällig wegen seines plumpen, fetten Körpers, aber diese beiden Riesenschlangen von rechts und links sind überraschend flott. Konzentration.«

Er sprang auf den Leichnam des von ihm bereits gefällten Dämons, als die erste Schlange herniederstieß. Er rollte sich hinunter und das furchterregende Gebiss der Schlange durchdrang die lederne Haut des toten Wesens und blieb darin stecken. Rasch stand er auf und hieb dem zappelnden Reptil, das sich zu befreien suchte, mit einem gewaltigen Hieb den Kopf ab. Die andere Schlange war inzwischen herangekommen und schleuderte ihn mit einem Schlag ihres mächtigen Schwanzes quer durch die Arena, wo er unsanft mit einer monströsen Spinne kollidierte. Na fabelhaft. Die Spinne attackierte ihn mit ihren riesigen Mundwerkzeugen, doch er verwundete sie gezielt mit beiden Klingen an zwei ihrer Beine, sodass sie im Schmerz zusammenzuckte und ihm Gelegenheit gab, wieder auf die Beine zu kommen. Drei krakenähnliche Kreaturen mit vielen Fangarmen krochen auf ihn zu und Jaden verwandelte sich in einen wirbelnden Schwerttornado. Die schleimigen Tentakeln zertrennte er mit ein paar pfeilschnellen Hieben und zerteilte einen der Kraken gleich im Anschluss. Die Spinne hatte sich indessen wieder erholt und ragte über ihm auf wie ein widerlicher Schatten. Die verbliebenen Krakenmonster schickten sich an, ihn mit ihrer Tinte zu besprühen, die ohne Zweifel mehr als nur abscheulich sein musste, wenn nicht gar giftig. Er schob seine Waffen in die Scheiden zurück und entfernte sich aus dem Gefahrenbereich, indem er einige Überschläge vollführte. Die Spinne bekam beim Zubeißen nur zwei Krakenköpfe zwischen die Kiefer. Unterdessen schnaufte Jadens langatmiger Feind ihm entgegen wie eine uralte Lokomotive. Das einzig wirklich gefährliche an ihm war sein riesenhafter Morgenstern, den er jetzt mit bedrohlicher Präzision nach ihm warf. Der Morgenstern grub sich fest in den Boden und der Brünette hangelte sich ohne Zögern die gigantische Kette hinauf, an der das schädel-zertrümmernde Gerät hing. Das Geschöpf glotzte ihn blöd an und spürte im nächsten Moment einen Streich gegen seine Kehle. Dann wurde es schwarz.
 

»Das macht mit dem Sabbervieh, der Schlange und den Kraken sechs Ungeheuer. Bleiben noch die zweite Schlange, die Spinne, der Skorpion und diese komische Rieseneidechse. Die packst du auch noch, Jaden!« sprach er sich gedanklich Mut zu. Die besagte Rieseneidechse bedrängte ihn mit ihren Krallen und stellte ihren Nackenkamm auf, sodass sie an einen flügellosen Drachen erinnerte. Die Spinne krabbelte ebenfalls auf ihn zu und er reagierte in Sekundenbruchteilen. Geschmeidig ließ er sich zu Boden gleiten, wobei er einem Schlag der Echse entging, rutschte direkt unter das haarige Insekt und bohrte seine Klingen tief in den Bauch der Bestie. Sie ließ einen verzerrten Schrei hören und kippte zur Seite. Beinahe hätte sie Jaden unter sich begraben, der gerade noch rechtzeitig auswich. Die Schwerter waren dunkel von Blut und er schwang sie einmal hin und her, um sie zu reinigen. Hinter ihm erklang ein kehliges Zischen und er wirbelte herum, mit seiner rechten Waffe eine breite rote Schneise in den Leib der Schlange schlitzend. Sie stürzte zu Boden und wand sich vor Schmerzen. Der Wächter des Siebten Tores erlöste sie mit einem gezielten und kräftigen Hieb, während sich die Eidechse und der Skorpion nebeneinander postierten und mit Krallen und Stachel nach ihm schlugen. Er keuchte; der anstrengende Kampf zehrte an seinen Reserven. Für eine Simulation war dieses Programm extrem wirklichkeitstreu. Seine Muskeln spannten sich an, sein Blick, feurig und wild, ruhte mit unerschütterlicher Entschlossenheit auf seinen beiden Gegnern. Chazz, der das Ganze vom Rand der Arena aus beobachtete, anstatt in seiner erhöhten Loge zu sitzen, erbebte innerlich.

»Verdammt, er ist so schön, so leidenschaftlich! Und da soll ich nun ruhig bleiben! Ich hoffe, dass wir bald miteinander sprechen, damit wir uns versöhnen können. Es ist mir immer noch peinlich....ich meine, musste ich so klar durchblicken lassen, wie sehr ich ihn begehre?! Nicht zu vergessen der Ausdruck in seinen Augen, als wolle er mich verschlingen....Jaden, ich frage mich....sind wir nicht auf dem Weg zu etwas Wunderbarem?«

Der Skorpion verlor soeben seinen Stachel, den der Hüter des Lebensschlüssels mit seinen beiden Schwertern in einer Art Scherengriff abgeschnitten hatte. Das Insekt brüllte wie ein Raubtier und ließ seine monströsen Zangen hernieder sausen. Der Braunhaarige entfloh mit mehreren Überschlägen und führte den Skorpion dabei direkt zu der Echse, die sofort nach ihm schnappte, aber nur einen harten Tritt gegen ihre Schnauze bekam. Als die Schere nach unten raste, duckte er sich weg und der gigantische Käfer erwischte den Dinosaurier-Verschnitt, der sich natürlich mit Krallen und Zähnen gegen diese Gefangennahme wehrte. Als die Kreaturen ineinander verkeilt waren, schwang ihr Kontrahent ein letztes Mal seine rasiermesserscharfen Klingen und beendete den Kampf. Der Computer meldete: „Level 7 erfolgreich bestanden."

Die Leichname der Wesen zersprangen in unzählige Pixel und verschwanden. Jaden, aufs höchste zufrieden mit seiner Leistung, wischte sich mit einem Handtuch, das Chazz ihm reichte, den Schweiß von der Stirn und schüttelte sein Haar.

„Das hat hundertprozentig hingehauen, auch wenn es ziemlich anstrengend war. Jetzt können wir mit unserer Besprechung anfangen."
 

Einige Zeit später sassen die sieben Anubis Black an der rechteckigen Tafel in ihrem Gemeinschaftsraum, auf dem Tisch lagen die zwei Schriftrollen ausgebreitet. Syrus erklärte: „Chick hat uns einen Hinweis gegeben. Bevor er zu Sand zerfiel, sagte er mir, die erste Schriftrolle zeige den Gott Amun. Was wissen wir über ihn?"

Bastion hatte ein Buch über die ägyptische Mythologie mitgebracht, schlug es an einer vermerkten Stelle auf und las vor: „‚Amun, Amun-Ra/Re. Als einer der wichtigsten Götter des alten Ägypten wird Amun zusammen mit seiner Gemahlin Amaunet zum ersten Mal in den Pyramidentexten erwähnt. Binnen anderthalb Jahrhunderten verdrängte Amun allmählich den alten Gott der thebanischen Region, Month, und die Vormachtstellung der thebanischen Könige im Mittleren und Neuen Reich beförderte ihn schließlich (als kombinierten Amun-Re) in die Position des höchsten Gottes im ägyptischen Pantheon. Amuns Charakter entwickelte sich im Laufe der Jahrtausende zu dem einer bunten, facettenreichen Persönlichkeit. Die Ägypter selbst nannten ihn Amun ascha renu oder „Amun, reich an Namen", und gänzlich verstanden werden kann der Gott nur von den vielen Aspekten her, die in ihm verehrt wurden.‘ Und dann werden seine wichtigsten Funktionen geschildert, etwa als der Verborgene Gott, Schöpfergott, Sonnengott, Fruchtbarkeitsgott, Kriegergott, König der Götter und Universeller Gott. Seine Ikonographie, also Darstellungsform, wird so beschrieben, wie sie hier auf der Schriftrolle zu sehen ist. Aber deshalb wissen wir noch lange nicht, was er mit den Göttermonstern und den Heiligen Ungeheuern zu tun hat."

„Er soll doch ein Schöpfergott gewesen sein.", meinte Alexis nachdenklich. „Diese mächtigen Wesen schützten das Königshaus und das ägyptische Volk. Vielleicht hat er sie erschaffen."

„Das wäre immerhin möglich. Es würde auch Sinn machen, weil sie gemeinsam abgebildet wurden. Aber wie passt das zu der Prophezeiung?"

„Gar nicht! Das ist ja das Problem!"

Während die anderen heftig weiterdiskutierten, hüllte sich ihr Anführer in tiefes Schweigen. Sein ernster Blick ruhte auf den Gestalten der sechs Bestien und registrierte sämtliche Einzelheiten. Die Göttermonster waren nicht unbedingt als Schönheiten zu bezeichnen, aber verglichen mit den Heiligen Ungeheuern wirkten sie viel majestätischer und eindrucksvoller, viel lebendiger. Die anderen waren eigentümlich knochig und strahlten wesentlich mehr Bedrohlichkeit aus, sie schienen beinahe bösartig zu sein. Warum gab es diesen Gegensatz? Warum sprach man nicht von den ‚sechs Heiligen Ungeheuern‘ oder den ‚sechs Göttermonstern‘? Weshalb unterschied man sie?

»Ja, weshalb unterscheidet man Dinge? Weil es nun einmal Dinge gibt, die nicht gleich sind, nicht identisch. Man muss sie unterscheiden, weil sie verschieden voneinander sind. Wir können uns sowohl auf einen Stuhl als auch auf einen Sessel setzen, und trotzdem ist ein Stuhl kein Sessel und ein Sessel kein Stuhl. Was ist, wenn es sich in diesem Fall genauso verhält? Wenn die Götter keine Ungeheuer sind und die Ungeheuer keine Götter? Der einzige, der uns bisher Informationen geliefert hat, war Mr. Sheppard, doch der ist verschwunden. Er hat uns einmal belogen. Woher wissen wir, dass er uns jemals die Wahrheit gesagt hat? Was weiß er? Und warum zum Teufel habe ich das beschissene Gefühl, dass irgend jemand ein schmutziges Spielchen mit uns treibt?!«

Er stand auf. „Die Sitzung ist geschlossen, so kommen wir nicht weiter. Als nächstes sollten wir versuchen, den Direktor aufzuspüren. Er kann sich nicht in Luft aufgelöst haben, seine Abreise, sei es mit Flugzeug, Helikopter oder Schiff, muss irgendwo verzeichnet sein! Man kann nicht einfach von der Duellinsel abhauen, ohne dass es jemand merkt! Übermorgen soll ein Schiff mit ein paar Gastschülern anlegen, die vielleicht mal auf die Akademie gehen werden, es ist Tag der Offenen Tür. Bastion, du, Lex und Syrus, ihr überprüft die Passagierlisten aller Schiffe der vergangenen Tage, auch die des Besucherschiffes. Die Regel verlangt, dass die Liste drei Tage vor der Ankunft einsehbar ist. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass der Kanzler noch auf der Insel ist und sich erst mit dem neuen Schiff verdünnisiert. Atticus und Zane, ihr beide kümmert euch um die Flugpläne. Selbst wenn nur ein Miniaturhubschrauber gestartet ist, es muss eine Aufzeichnung darüber geben! Chazz und ich durchsuchen Sheppards Büro. Damit wären alle Aufgaben verteilt. Wegtreten!"
 

Man gehorchte. Chazz war nicht erstaunt, dass seine Anordnungen sofort erfüllt wurden. Jaden hatte sich bewiesen und außerdem mochten sie ihn alle gern. Er hatte sich durch seinen Mut, seine Hilfsbereitschaft, seine Treue und seine Kameradschaft ihre Freundschaft und ihr Vertrauen erworben und gezeigt, dass man sich auf ihn verlassen konnte. Darüber hinaus besass er Willenskraft, Herz und Humor und gab niemals auf. Ein wahrer Anführer. Während sie nebeneinander durch die Flure liefen, unterwegs zum Büro des Direktors, konnte er nicht umhin, den Brünetten aus den Augenwinkeln heraus zu beobachten. Er liebte sein Profil. Klare, ernsthafte Züge....und der sanfte Kontrast zwischen seinem Haar und der bronzefarbenen Tönung seiner Haut....zusammen mit dem Schwarz und dem Gold seiner Uniform, die seinen Körperformen durchaus schmeichelte, sah er wirklich außerordentlich attraktiv aus. Er war so vertieft, dass er gar nicht merkte, wie er ebenfalls genau unter die Lupe genommen wurde.

»Du bist so elegant, Chazz....in deiner Gegenwart bin ich mir schon mehr als einmal wie ein Elefant im Porzellanladen vorgekommen. Alles, was du tust, ist irgendwie anmutig....du hast diese natürliche Grazie, die man nicht oft findet. Und ich mag dich so, wie du bist, obwohl du mir das vermutlich nicht glauben würdest. Sicher, du bist ein Dickschädel, eigenbrötlerisch, arrogant und sarkastisch, aber du bist auch stolz, ehrgeizig, tapfer, temperamentvoll und selbstbewusst. Manchmal etwas zu stolz und zu ehrgeizig, aber das liegt wahrscheinlich an deiner Familie und an der Art, wie sie dich erzogen haben. Ich habe dir gesagt, dass ich dich bewundere, und das war mein Ernst. Menschen, die dich hätten lieben sollen, haben dich statt dessen verletzt und dich unglücklich gemacht. Das hat niemand verdient. Auch du nicht, selbst wenn du das denkst. Du verdienst nur eines, Chazz: Liebe.«

Sie erreichten das Direktorat. Vorsichtshalber klopfte der Wächter des Siebten Tores an, doch drinnen rührte sich nichts. Er drückte die Tür auf und beide blickten sich gründlich um, aber etwas Verdächtiges ließ sich nicht feststellen. Sie öffneten Schubladen und Schränke, entdeckten aber nur, dass sämtliche Papiere und Unterlagen unversehrt zu sein schienen, nicht einmal die Liste über die Bücherausgabe fehlte. Alles war an seinem Platz.

„Offensichtlich hatte er nicht vor, für lange Zeit zu verschwinden. Es ist, als könnte er jeden Moment wieder hereinspazieren und uns begrüßen. Hast du etwas gefunden?" Er wandte sich an den Dunkelblauhaarigen, der gerade den Schreibtisch untersuchte.

„Nichts, nur Kopiervorlagen, Druckerpapier, Stifte, ein Taschenroman von Sherlock Holmes, Kartenpäckchen, Schülerlisten und....he, was ist das?" Unter einem Stapel vollgestopfter Hefter blitzte die Ecke eines Bilderrahmens hervor. Er zog ihn heraus und betrachtete die Fotografie. Jaden gesellte sich zu ihm. Es war ein älteres Foto, denn der Mr. Sheppard, der darauf in die Kamera lächelte, hatte noch keine Glatze und war um einiges schlanker. Er hatte den linken Arm um die Schultern eines anderen Mannes gelegt, der ihm relativ ähnlich sah, nur war er bartlos und etwas größer und athletischer.

„Wer ist das?"

„Keine Ahnung. Nach der Ähnlichkeit zu urteilen, könnte das sein Bruder sein. Sie sehen nicht so aus, als wären sie altersmäßig weit genug auseinander, um Vater und Sohn zu sein."

„Dem stimme ich zu. Sie wirken mehr wie Geschwister. Aber komisch ist es trotzdem. Halte mich für verrückt, Chazz, aber....ich bin fast sicher, das Gesicht dieses anderen Mannes schon einmal gesehen zu haben!"

„Das ist doch ausgeschlossen. Mr. Sheppards Bruder ist nie hier gewesen!"

„Das weiß ich. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, diesem Typen bereits begegnet zu sein....ich kann mich nur nicht daran erinnern, wann und wo. Pst....hörst du das?"

Schritte näherten sich dem Büro. Was sollten sie tun? Sie waren ohne Erlaubnis hier und wären in Erklärungsnot geraten, wenn ein Lehrer sie entdeckt hätte. Kurzentschlossen packte Jaden seinen Mitstreiter an der Hand und bugsierte ihn unter den Schreibtisch. Jemand kam herein, langsam und lauernd. Zwei Beine in weißen Jeans, mit blauen Stiefeln an den Füßen, tauchten vor ihnen auf, doch der Besucher bemerkte sie nicht. Eine geraume Weile geschah gar nichts, die unheimliche Stille wurde nur ab und an von raschelndem Papier unterbrochen. Die beiden jungen Männer, in ihrem Versteck eng aneinander geschmiegt, hatten so ihre Probleme mit der unmittelbaren Nähe. Mr. Yuki bemühte sich krampfhaft, nicht daran zu denken, dass er mehr oder weniger gegen seinen Schwarm gepresst war und wagte kaum zu atmen. Mr. Princeton wiederum war erhitzt und meinte, sein Herzklopfen müsse so laut sein wie ein Trommelwirbel. Durch ihre Hast beim Verstecken waren ihre Beine ineinander verschlungen und überhaupt war ihre gesamte Position unter dem Schreibtisch teils recht kompromittiert. Ihre Gesichter trennten einzig ein paar lumpige Zentimeter, und durch ihre verwirrten Gliedmaßen konnte von Gleichgewicht halten keine Rede sein. Jedenfalls lagen sie mehr, als dass sie sassen.
 

»Oh Gott, er ist mir so nah....seine Augen....diese wunderschönen grauen Augen....Es ist, als ob sie brennen. Und dieses Rot auf seinen Wangen....hinreißend. Unser Streit....ich möchte, dass wir uns wieder versöhnen. Ich möchte....ich möchte ihn küssen....«

»Sein Blick ist so heiß....mir fällt ein, dass wir uns noch gar nicht ausgesprochen haben. Aber wenn ich ihn küsse, wäre das doch auch eine Art Versöhnung? Seine Lippen sind feucht. Verdammt, wie verführerisch! Oh Jay....«

Die Tür fiel ins Schloss. Es war ihnen völlig entgangen, dass der Fremde sich entfernt hatte. Sichtlich verlegen krabbelten sie aus ihrem Versteck hervor und standen auf, wobei sie interessiert den Teppich oder die Wand anstarrten. Nach einem peinlichen Schweigen fand der Brünette seine Sprache wieder: „Weißt du....ich wollte mich entschuldigen. Wegen neulich, weil ich mich mit dir verkracht habe. Ich hätte dir meine Meinung ruhig und sachlich erklären sollen, anstatt über dich hinwegzubrausen wie ein Sturmwind. Aber ich war sauer."

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich habe trotzig reagiert, nur deshalb war ich eigentlich so wütend. Du hattest recht. Ich hätte euch Bescheid sagen, ich hätte euch vertrauen müssen, aber ich habe mir eingebildet, ich könnte es alleine schaffen. Dass du sauer warst, verstehe ich. Ich habe leichtsinnig und unbedacht gehandelt. Es tut mir leid."

„Lass gut sein, Chazz." Seine rechte Hand sank auf die Schulter des anderen. „Ich glaube, unser Temperament ist einfach mit uns durchgegangen. Sind wir noch Freunde?"

Der Hüter des Sechsten Tores sah kurz auf diese schlanke, warme Hand und blickte schließlich in zwei leuchtende Seelenspiegel, in denen er zu versinken drohte. Er schluckte, seine Stimme klang etwas heiser. „Gute Frage. Sind wir noch Freunde?"

Obwohl es dieselbe Frage war, betonte er die Worte weitaus bedeutungsvoller. Einmal ein „Wir sind doch noch Freunde?" und einmal ein „Sind wir Freunde oder mehr als das?" Jaden begriff sofort, und seine Kehle wurde trocken. Seine Augen flirrten umher, überwältigt, irritiert und unsicher. Dann durchzuckte es ihn. Etwas fehlte!

„Die Fotografie!", stieß er hervor und deutete auf die Schublade, aus der sie das Bild geholt hatten. „Das Foto ist weg! Der Unbekannte muss es mitgenommen haben!"

„Wie? Aber das ist doch Blödsinn! Was fängt ein Fremder mit einem privaten Foto an?" gab der Dunkelblauhaarige ein wenig angesäuert zurück, weil der zauberhafte Moment zerstört worden war und seine geliebte Niete ihm nicht geantwortet hatte. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Professor Crowler stürzte herein.

„Mr. Yuki? Mr. Princeton? Was machen Sie denn hier? Lassen Sie mich raten: Kanzler Sheppard hat sie gerufen, wegen irgendeiner Anubis-Black-Sache, nicht wahr?"

„Nein, nicht ganz, wir....äh...."

„Wo ist der Direktor überhaupt? Wie soll sich ein neuer Schüler einschreiben, wenn er nicht da ist? Warum bleibt dieser dumme verwaltungstechnische Kram immer an mir hängen? Wozu gibt es denn ein Sekretariat? Aber die Damen dort mögen mich nicht, sie sagen, ich wäre zu unhöflich und hätte nicht alle Tassen im Schrank! Eine Unverschämtheit! Wo ist bloß das Anmeldeformular? Diese Unordnung ist wirklich schrecklich!"
 

Hinter dem wild gestikulierenden Dozenten betrat ein großgewachsener Bursche von ca. sechzehn Jahren das Büro. Er war braungebrannt, mit langem schwarzen Haar, das er stirnfrei und zu einem Zopf im Nacken gebunden trug. Gekleidet war er in die Uniform eines Obelisk Blue, zu dem obligatorischen Mantel hatte er eine weiße Jeans gewählt. Seine Augen waren von tiefem Dunkelblau, sein Lächeln sprühte vor Charme.

„Guten Tag. Wen haben wir denn hier? Seid ihr zwei Mitschüler von mir?"

„Eh, ja, das sind wir. Mein Name ist Jaden Yuki und das ist mein Freund, Chazz Princeton. Und wer bist du?"

„Ich bin Abidos Aristides, ein Gastschüler aus Luxor, das liegt in Ägypten. Ich werde für ein Trimester, also drei Monate, an eurer Akademie studieren. Die Noten vom Zeugnis meiner letzten Schule erlauben es mir, als Obelisk Blue anzufangen. Freut mich, euch kennen zu lernen." Er schüttelte ihnen die Hände, schien jedoch Jadens Hand auffällig lange in der seinen zu behalten. Chazz mischte sich ein; seine Miene drückte eindeutig Ärger aus.

„Du kannst ihn wieder loslassen, okay? Und betatsch ihn nicht nochmal! Das hier ist eine Schule und keine Single-Bar!"

„Du verstehst wohl keinen Spaß, was? Ich wollte deinem Süßen nicht zu nahe treten." Es hörte sich nicht sehr überzeugend an und zwei blasse Hände ballten sich zu Fäusten. Der Braunhaarige beobachtete beunruhigt, wie sich Chazz und der Neue anvisierten. Zwischen ihnen brannte die Luft, ihre Antipathie war mehr als offensichtlich. Wie seltsam - dabei kannten sie sich doch gar nicht! Andererseits....er wusste selbst nicht genau, warum, aber die Berührung von Abidos hatte ein Gefühl der Geborgenheit und Zärtlichkeit in ihm wachgerufen. Außerdem klang sein Name in seinen Ohren so vertraut, dass es ihn fast ängstigte.
 

Crowler förderte das Anmeldeformular zutage und schaute ein wenig verdutzt, als er die feindseligen Blicke bemerkte, die die beiden Schüler austauschten. „Nun, äh, ja....können wir anfangen, Mr. Arrestdes?"

„Aristides."

„Wie auch immer! Und Sie sehen zu, dass Sie in Ihre Klassen kommen, der Nachmittagsunterricht beginnt in fünfzehn Minuten!"

Als sie allein waren, auf dem Weg zum Audimax, in dem eine der größten Vorlesungen stattfinden sollte, erkundigte sich der Dunkelblauhaarige: „Was hältst du von diesem Neuling? Ich kann ihn schon jetzt nicht leiden. Er biedert sich zu sehr an für meinen Geschmack."

„Ich weiß nicht....er scheint doch recht nett zu sein. Mir wird so warm, wenn ich ihn ansehe, ich kann es nicht erklären. Aber ich glaube, ich mag ihn."

„Und wenn er nun ein Schattenreiter ist?"

„Wie kommst du darauf?!"

„Der letzte neue Schüler war auch einer unserer Gegner, vergiss das nicht!"

„Du meinst Chick? Nicht ganz. Er war der Sohn von Don Zaloog, aber kein schlechter Mensch. Er wollte uns helfen und seine Gefühle für Syrus waren aufrichtig. Außerdem spüre ich keine Schattenaura um Abidos. Du willst in ihm bloß einen Schattenreiter sehen, weil du ihn nicht ausstehen kannst!"

„Und warum auch nicht?!" begehrte Chazz auf. „Du kennst ihn genauso wenig wie ich, und trotzdem verteidigst du ihn! Du bist viel zu vertrauensselig! Es ist immer besser, von seinen Mitmenschen das Schlimmste zu erwarten, denn damit liegt man meistens richtig!"

„Das ist deine Einstellung." erwiderte Jaden kühl und biss sich auf die Lippen. Hatten sie sich nicht gerade erst vertragen? Warum mussten sie schon wieder streiten?

Auch der Wächter des Sechsten Tores war betrübt. Er wusste, dass sein Misstrauen in seiner Eifersucht wurzelte, doch er war machtlos dagegen. Er ertrug es nicht, wenn jemand anderer seinen Liebsten berührte, zumindest nicht in dieser eindeutigen Absicht, denn dass dieser Kerl auf einen Flirt aus war, war ziemlich klar. Nicht, dass er sich sonderlich darüber wunderte - Jaden hatte dieses gewisse Etwas an sich, das die Leute für ihn einnahm, sie unbeschreiblich anzog, obwohl niemand erklären konnte, was dieses Etwas genau war. Aber er besass es in rauen Mengen, das war sicher.

„Betrachten wir Abidos vorläufig einfach als neuen Mitschüler, der ein bisschen mit Vorsicht zu genießen ist, okay? Immerhin, du hast recht, wir wissen nichts über ihn. Ich will nicht, dass wir uns seinetwegen wieder in die Haare kriegen. In Ordnung?" Er lächelte ihn an, mit diesem offenen, strahlenden Lächeln, das all seine Sorgen vertreiben konnte. Ahnte er überhaupt, wie gefährlich, wie betörend sein Lächeln war? Der Zufall wollte es, dass sie soeben an einem der großen Aussichtsfenster vorbeikamen, durch das die Sonne ihr goldenes Licht in den Flur goss. Es zauberte einen rötlichen Schimmer in sein braunes Haar und ließ die Applikationen seiner Uniform hell glänzen. In seine herrlichen Augen tupfte es ein atemberaubendes Funkeln, das seinen Blick noch intensiver und eindringlicher werden ließ. Chazz‘ Selbstbeherrschung, ohnehin schon bröckelnd, brach angesichts dieser männlichen Schönheit endgültig zusammen. Sein Verstand klinkte sich aus. Sanft aber bestimmt schob er seinen überraschten Gegenüber an die Wand neben dem Fenster....und küsste ihn heiß auf die sinnlichen Lippen. Er wollte Jaden nicht erschrecken, doch bald schon war er nur noch begehrender Mann, bezwungen von seinem Verlangen. Der Mund, den er so leidenschaftlich in Besitz nahm, blieb zunächst verschlossen, bis das Bewusstwerden der Situation ihn dazu veranlasste, sich zu ergeben. Und dann stürzte alles ein. Arme schlangen sich um Hals und Taille, fest und besitzergreifend. Körper drängten sich aneinander, Lippen verschmolzen zu einer untrennbaren Einheit. Ihre Herzen rasten, Finger fuhren durch weiches Haar, erhitzter Atem vermischte sich, Zungen liebkosten sich, als hinge ihrer beider Leben davon ab. Ihre Umwelt wurde bedeutungslos. Dieser Kuss, innig, glühend, verzehrend, war alles, was noch zählte.

Auf der Treppe, die vom Direktorat Richtung Audimax führte, stand Abidos und beobachtete diese Szene. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, herrisch und zornig sah er aus.

»Denkst du, ich lasse das zu?! Du wirst ihn mir nicht wegnehmen, Shezar! Mein Anspruch ist älter als der deine und ich werde ihn nicht kampflos aufgeben! Niemand....absolut niemand steht zwischen mir und dem, was ich haben will! Kail gehört mir!!«

Amnaels Botschaft

So, es geht weiter! Ich will Euch auch gar nicht lange aufhalten, viel Spaß beim Lesen!^^
 

Kapitel 17: Amnaels Botschaft
 

Jadens einziger Gedanke war, Chazz niemals mehr loszulassen. Er küsste diese Lippen, spielte mit dieser Zunge, presste ihn an sich, als gäbe es kein morgen. Auf der anderen Seite sah es genauso aus, Chazz hatte jeglichen Sinn für seine Umgebung verloren; ihn interessierte nur noch der Traummann, den er gerade in seinen Armen hielt. Keuchend, widerstrebend, lösten sie sich voneinander, sahen sich tief in die Augen und fanden nichts zu sagen.

„Chazz...." Es klang wie ein Seufzer. „Das war....das war...." Er legte ihm einen Finger auf den von dem heißen Kuss geschwollenen Mund und brachte ihn so zum Verstummen.

„Ich weiß. Ja, es war. Es gibt keine Worte dafür. Ich....ich habe noch nie....so etwas Mächtiges für einen anderen Menschen empfunden, Jay. Du bist alles das, was ich nie war - fröhlich, strahlend, ungezwungen, frei, stark. Mein ganzes bisheriges Leben bin ich....ich weiß nicht genau....durch einen dunklen Tunnel gelaufen, ja. Eine finstere Röhre, an deren Ende es kein Licht gab, sondern nur einen Abgrund....und dann kamst du. Du wurdest mein Licht. Du warst mein erster ernsthafter Rivale. Mein erster echter Freund. Meine erste....meine erste große Liebe. Ich kann es nicht länger für mich behalten, sonst drehe ich durch! Seit ich mir meiner Gefühle bewusst geworden bin, kann ich nicht richtig essen, nicht richtig schlafen, nicht richtig denken! Dein wunderschönes Lächeln und deine warmen braunen Augen stehen zwischen mir und jedem anderen Gesicht, das ich sehe! Ich....oh verdammt, ich liebe dich, Jaden Yuki!!"

Ein leidenschaftliches Geständnis. Der Brünette spürte, wie ihm angesichts dessen die Knie weich wurden, der Griff seiner Arme um diese Taille wurde noch inniger, noch sehnsüchtiger. Seine Finger fuhren durch das dunkle Haar, über die süße Nase bis zu den feuchten Lippen und legten sich schließlich sanft unter das Kinn.
 

„Du warst meine Herausforderung, weißt du das? So arrogant, so hochmütig, so unverschämt, so direkt, so stolz, so unberechenbar! Jemanden wie dich hatte ich in meinem Umfeld nie getroffen, dort waren alle heiter und locker. Aber du warst ein Ausbund an Ehrgeiz, hart, kantig, abweisend, herablassend. Deine ganze Art war mir fremd, ein einziges, faszinierendes Geheimnis. Ich lernte dich als fabelhaften Duellanten kennen, selbstbewusst und cool. Doch als ich dich besiegte....zweimal....und du sogar gegen Bastion verlorst, obwohl du betrogen hast....da sah ich es. Du hattest aus Verzweiflung, Wut und Enttäuschung heraus gehandelt und damals schon ahnte ich, dass mehr in dir steckte, als du zeigtest. Und das Duell der Schulen.... an jenem Tag wurde mir alles offenbar, das habe ich dir bereits erzählt. Seit diesem Tag bewunderte ich dich. Aber deinen Schmerz, deine unterdrückten Tränen, deine Verbitterung - das konnte ich nicht vergessen. Niemand sollte so verletzt werden. Ich habe dich immer so genommen, wie du bist, Chazz....doch helfen wollte ich dir dennoch. Ich wollte, dass du Freunde findest, deine Niederlagen zu akzeptieren lernst, neuen Mut fasst, glücklich wirst. Und mit der Zeit....wurdest du mir immer wichtiger, nahmst mein Herz vollständig in Anspruch. Jetzt ist es zu spät, um umzukehren. Ich bin rettungslos in dich verliebt, Chazz Princeton!"

Die Initiative des zweiten Kusses lag diesmal allein bei Jaden. Er selbst schob nun den Dunkelblauhaarigen an die Wand und vereinigte ihre Lippen, um einen weiteren sinnlichen Kampf zu beginnen. Seinem sprachlosen Gegenüber fiel überhaupt nicht ein, sich zu wehren. Statt dessen krallte er sich in der schwarzen Uniform seines Liebsten fest und ließ sich erobern.

»Hmmm....oh Gott, Jaden....«

»Chazz....mein Chazz....«

!Krach!

Sie schraken zusammen und fuhren auseinander. Verwirrt und mit roten Wangen blickten sie zu der Dueldisc hinüber, die ihrem Besitzer aus der Hand gefallen sein musste. Bemerkenswerterweise war der Besitzer Abidos Aristides, ihr neuer Mitschüler. Er räusperte sich betont und erklärte im Ton friedlicher Konversation: „Entschuldigung. Der formelle Kram ist erledigt und Professor Crowler hat mir gleich meine persönliche Dueldisc gegeben. Sie muss mir aus den Händen gerutscht sein, Verzeihung."

„Und das soll ich dir glauben?!" zischte Chazz, der genau erkannte, dass das scheinheilige Lächeln wie eingefroren in Abidos‘ Zügen stand, als müsse er kaschieren, dass ihm übel war. Die blauen Augen verengten sich ein Stück und der Ägypter wandte sich, immer noch höflich, an seinen mutmaßlichen Widersacher: „Warum so erbost, Princeton? Das war wirklich nur ein kleines Missgeschick - ich wollte dich und deinen....‘Freund‘ nicht stören."

Noch nie zuvor hatte er einen Satz gehört, der so verlogen geklungen hatte. Er baute sich herausfordernd vor dem Obelisk Blue auf und stieß leise hervor: „Nur, damit das klar ist, Aristides: Ich traue dir nicht! Mit deinem Charme kannst du vielleicht Jaden schöntun, aber bei mir nützt dir das rein gar nichts! Ich bin von Natur aus ein Skeptiker, also spar dir das blöde Rumgesülze! Ich werde dich im Auge behalten! Und lass deine Finger von meinem....von meinem festen Freund, kapiert?! Merk dir das....ich wiederhole mich ungern!"

Damit packte er den immer noch überrumpelten Braunhaarigen am Handgelenk und zog ihn hinter sich her durch den Flur Richtung Audimax. Abidos verzog den schönen Mund zu einer verächtlichen Grimasse.

»Tse....denkst du tatsächlich, dass du mir so einfach davonkommst? Ich liebe Kail. Ich werde ihn dir nicht überlassen, nicht so! Ich habe nicht viertausend Jahre auf seine Wiedergeburt gewartet, nur, um ihn jetzt erneut zu verlieren! Er ist mein!!«
 

Zane saß in der Bibliothek und grub die geschichtliche Abteilung um, auf der Suche nach irgendeinem Buch, in dem von Pharao Tutangaton oder dem Gott Amun die Rede war. Über letzteren fand er so einiges, aber Tutangaton war offensichtlich kein Teil der offiziellen Geschichtsschreibung. Seine Erinnerungen an sein früheres Leben waren im Bezug auf die Person seines Herrschers äußerst schwammig und das befriedigte ihn nicht. Außerdem war es viel zu ruhig. Der Kampf gegen Don Zaloog und die Schwarzen Skorpione lag mittlerweile eine Woche und drei Tage zurück (das war auch der Grund, warum Chazz keinen Rollstuhl mehr nötig hatte, um sich fortzubewegen; seine Füße waren wieder belastbar), und seither hatte sich kein Schattenreiter mehr blicken lassen. Er hatte ein ungutes Gefühl, obwohl sie sich bisher ausgezeichnet geschlagen hatten, denn die magischen Schlüssel befanden sich nach wie vor in ihrem Besitz. Nur - warum war Kanzler Sheppard verschwunden? Was hatte er zu verbergen?

Warum konnte er sie nicht einweihen?

„Zane?"

Er kannte diese Stimme und sie erzeugte ein angenehmes Prickeln in seiner Magengegend. Sein Herz fing an, schneller zu klopfen. Er drehte sich um. „Hallo, Atticus." Der andere lächelte ihn ungewohnt schüchtern an, als sei auch er verlegener als sonst. Er wirkte ziemlich lässig, hatte er doch den Uniformmantel nicht zugeknöpft und ließ dadurch das Tank Top sehen, das seine Bauchmuskeln so wunderbar in Szene setzte. Genaugenommen trug er das Kleidungsstück gar nicht, er hatte es sich bloß lose um die Schultern geworfen. Hm. Sehr sexy.

„Was treibt dich denn in die Bibliothek? Wohl kaum die Langeweile - und wenn doch, ist das hier garantiert nicht der richtige Ort, um sie loszuwerden!"

„Ich recherchiere. Ich dachte, ich könnte etwas über Amun und Pharao Tutangaton herausbekommen, aber über den König existiert keinerlei Material. Du erinnerst dich doch an alles. Wie war er so?"
 

„Ich hatte nicht oft Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Den meisten Kontakt hatte unser Anführer zu ihm, also Kail. Aber ich weiß, dass ich ihm treu und aufrichtig gedient habe. Er war ein starker Herrscher."

Sie schwiegen, ihre Augen tauchten ineinander, braun und grün. Seit dem Kuss waren sie seltsam distanziert, sprachen nur über Alltägliches oder über ihre „Arbeit" als Krieger des Anubis, wichen aber verfänglicheren Themen immer wieder aus. Keiner von ihnen schien zu wissen, wie sie mit ihren Gefühlen umgehen sollten. Plötzlich legte sich eine Hand auf die von Zane, die neben einem geöffneten Buch ruhte, und Atticus fragte: „Darf ich dir helfen?"

„Hast du heute nicht deinen freien Nachmittag? Und da willst du mir bei meinen Recherchen helfen, obwohl du faulenzen oder dich amüsieren könntest?"

Sein Erstaunen sprach Bände. Der Brünette errötete dezent und räusperte sich. „Ja, sicher.... normalerweise würde ich sowas nicht tun, aber....wenn ich mit dir zusammenarbeiten kann...."

Seine Finger schlossen sich um die Hand, übten sanften, sogar zärtlich zu nennenden Druck darauf aus und der Grünhaarige blickte verschämt zur Seite. Er hatte den Eindruck, als könne er Atticus‘ Herzschlag durch dessen Fingerspitzen hindurch selbst fühlen, und wieder drängte sich die Erinnerung an jenen leidenschaftlichen Kuss in seinen Geist, den der andere ihm geschenkt hatte. Unwillkürlich stieg eine Vision seiner früheren Existenz in ihm auf.
 

~~ RÜCKBLENDE ~~
 

Hiron parierte einen Hieb von Anares‘ Lanze, wirbelte herum und die Klinge seines Schwertes berührte seinen Hals. Der ehemalige Sklave verharrte mehrere Sekunden lang in kaltem Entsetzen, ehe sein Gegenüber die Waffe senkte. Als Kämpfer war er zweifellos brillant.

„Du hast deine Fertigkeiten enorm verbessert, seit du gegen Kail antreten musstest, mein Freund. Und auch dein Bruder hat sich als äußerst fähig erwiesen - nie sah ich einen Jüngling so vortrefflich mit Pfeil und Bogen umgehen! Ich bin stolz auf euch beide."

„Das ist sehr freundlich von Euch, Hiron."

„Anares!" rief er vorwurfsvoll. „Habe ich dich nicht unlängst gebeten, mich mit ‚du‘ anzusprechen? Du bist jetzt ein Krieger des Anubis, wir stehen auf derselben Stufe. Ich verlange nicht von dir, mir eine respektvollere Anrede zukommen zu lassen."

„Aber ich bin mein ganzes bisheriges Leben Sklave gewesen, bevor Ihr mir eine neue Perspektive eröffnet habt, weil Ihr mein Potential erkannt habt. Ich bin es gewohnt, gesellschaftlich Höherstehende als solche anzusprechen. Außerdem verdanke ich es Euch, dass ich so viel erreicht habe. Ohne Eure Zuversicht und Euren Glauben in mich hätte ich schon zu Beginn der Ausbildung den Mut verloren. Ich stehe tief in Eurer Schuld."

Der Wächter des Ersten Tores hob vorsichtig sein Kinn an und erwiderte: „Du schuldest mir nichts. Ich habe in deinen Augen nur den Willen und den Stolz eines Kriegers gefunden, der es nicht verdient hat, als Sklave geboren worden zu sein. Du bist stärker, als dir selbst bewusst ist. Deshalb bist du auch so weit gekommen - zwar habe ich dich unterstützt, aber die Kraft und die Entschlossenheit für dein neues Ziel hast du allein aufgebracht. Erlaube mir im übrigen, dich zu deiner herrlichen Waffe zu beglückwünschen. Sie ist ein Meisterwerk der Schmiedekunst, dem nur deine....dem nur deine ebenso meisterhafte Schönheit gleichkommt."

„Bitte....ich möchte nicht, dass Ihr derartige Dinge sagt...."

„Sind wir nicht Freunde, Anares?! Warum bekundest du immer noch so viel Distanz, so viel Zurückhaltung? Vertrauen wir einander nicht blind?! Ich begreife dich nicht! Dein Blick, deine Gesten, all das beweist, dass du mir dein Herz geöffnet hast, und doch....und doch sind sie geblieben, die Scheu, die Berührungsängste! Wieso?!"
 

Der Hüter des Schlüssels der Freiheit war sichtlich bestürzt über diesen unerwarteten Ausbruch. Die glühenden braunen Augen betrachteten ihn mit einem verschlingenden Feuer, das ihn gleichermaßen erschreckte wie bezauberte. Muskulöse Arme packten ihn und drückten ihn gegen die Wand der Kampfarena, ein anmutiger, athletischer Körper presste sich gegen den seinen, erregende Hitze explodierte in seinen Nervenzellen. Die Lanze war ihm aus der Hand gefallen und lag vergessen im Sand. „Anares....denkst du, das wäre leicht zu ertragen? Diese Freundschaft zwischen uns....merkst du nicht, wie sehr sie mich quält, da ich mir so viel mehr wünsche als das? Siehst du denn nicht, wie mein Verlangen mich martert, während du dich ungezwungen in meiner Gegenwart bewegst, die Reize deines makellosen Körpers kaum verhüllt und dennoch unerreichbar für mich, weil du deine Gefühle hinter einem Panzer aus Disziplin und Selbstkontrolle verbirgst? Erkennst du nicht, wie sehr ich mich danach verzehre, deinen ruhigen Geist, dein gefasstes Herz zu erschüttern und sie in den Flammen meiner Liebe zu verbrennen? Ich will die Mauer deiner Distanz niederreißen und dein Bollwerk aus Unsicherheit zerschlagen, um dich in meinen Armen halten zu können, um dich küssen zu dürfen! Du hast mich besiegt....ein einziges Wort von dir würde genügen....und ich wäre dein!"

Anares starrte ihn stumm an, sein Herz raste gegen seinen Brustkorb. Jener, der ihm sein bester Freund geworden war....liebte ihn inniglich. Voller Unglauben wurde ihm klar, dass nicht nur er es war, der sein Begehren versteckte, dass nicht nur er seine tiefsten Empfindungen bisher zurückgehalten hatte, sondern dass auch dieser Mann, der ihn aus seinem Elend befreit hatte, mit sich hatte kämpfen müssen. Die Hitze nahm zu; seine Lenden begannen zu vibrieren.

„Hiron...."

Der Name kam als schwaches Flüstern heraus. Der grünhaarige Ägypter biss sich auf die Lippen, irritiert, schwer atmend, immer noch gebannt von diesen feurigen Augen, deren betörendes Strahlen ihm das Blut aufwühlte. Eine Hand löste sich von der Wand und streichelte sanft über seinen entblößten Oberkörper.

„Du zitterst ja...." hauchte der Brünette nahe an seinem rechten Ohr und fuhr fort, seine Haut zu liebkosen. Der Atem des anderen ging immer unregelmäßiger. Ein sinnlicher Mund ragte über ihm auf, berauschend nah.

„Ich kann nicht anders....du....lässt mich erschauern...." Er konnte ihm nicht mehr widerstehen. Halb betäubt registrierte er, wie er geküsst wurde, zunächst etwas zögernd, tastend, suchend, bis Hiron ihn an sich zog und ihn all seine Liebe spüren ließ....
 

~~ ENDE DER RÜCKBLENDE ~~
 

Derartige Gedanken halfen Zane nicht unbedingt dabei, unbeteiligt zu bleiben. Um seine Verlegenheit zu übertünchen, wechselte er rasch das Thema: „Was ist eigentlich mit den Passagierlisten, die ich dir zur Überprüfung gab? Du weißt ja, Jaden wollte, dass wir herausfinden, ob Mr. Sheppard per Flugzeug von der Insel verschwunden ist."

„Fehlanzeige, genau wie bei dir! Durch die Luft ist er jedenfalls nicht abgehauen, es sei denn, ihm sind Flügel gewachsen! Ich kapier‘s auch nicht....wie kann ein bekannter Mann wie der Direktor einfach verduften, ohne eine Spur zu hinterlassen? Ich sag dir was, die ganze Sache stinkt, und zwar gewaltig! Ich hab so ein komisches Gefühl im Magen...."

„Hunger?"

„Du solltest nicht versuchen, Witze zu machen, Zane! Du bist nicht der Typ dafür! Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, mein Gefühl. Es hat nichts mit Hunger zu tun, das wüsste ich! Es ist nur so, als ob....als ob da irgendetwas Unbestimmtes im Hintergrund lauern würde und ich kriege es nicht zu fassen! Das ist total frustrierend!"

„Das hängt nicht vielleicht mit deinen verlorenen Erinnerungen an dein modernes Leben zusammen, dieses negative Gefühl?"

„Hä?? Na ja, das könnte natürlich sein, aber....nein. Ich glaube, es ist etwas anderes, eine Art....innere Warnung."

„Eine innere Warnung...."

Wenn sein Verstand nicht von einer merkwürdigen Süße gelähmt gewesen wäre sowie von jenem unverschämt heftigen Herzklopfen, so hätte er sich wohl besser auf seine Recherchen konzentrieren können. Die Erinnerung an Hiron und Anares und ihren ersten Kuss hatte das Bild seines eigenen ersten Kusses im Gepäck, und Zane konnte es schon gar nicht mehr sehen. Nicht, weil es ihn abstieß, sondern weil es ihn erregte, von neuem entflammte, seine kühle Überlegenheit wegspülte wie ein Sturzbach. Kombiniert mit Atticus‘ Nähe und seiner üblichen charmant-lockeren Art, der er mit seinen normalen Abwehrhaltungen nicht begegnen konnte, ergab dies keine Basis für vernünftiges Arbeiten. Allerhöchstens ergab dies in seinem Kopf eine Basis für eine nicht gerade jugendfreie Szene, für die sich Mr. Truesdales Unterbewusstsein zutiefst schämte. Nichts konnte seine stoische Gleichmütigkeit ins Wanken bringen, aber fünf Minuten mit Mr. Rhodes und er verwandelte sich in einen hormongeplagten Teenager! Das schlimmste aber war, dass Atticus sein Unbehagen bemerkte und frech grinste. Und wenn eines an ihm garantiert sexy war, dann war es dieses Grinsen! Röte kroch in seine Wangen.

»Das - ist - nicht - mein - Tag!!«
 

~~ Hüter der Schlüssel! ~~

Die Stimme, die ertönte, war ihnen fremd. Außer ihnen schien sie jedoch niemand zu hören. Sie wechselten einen Blick und die Atmosphäre schwenkte von romantisch-verlegen abrupt um zu bedrohlich. Doch halt....bedrohlich war nicht das richtige Wort. Es lag eine Vertrautheit in dieser Stimme, die ihnen weniger Angst denn Frieden einflößte.

„Wer....wer bist du?"

Die Bibliothek verschwand in undurchdringlichen Schatten, trennte sie von ihrer Umwelt. Vor ihnen materialisierte sich eine menschliche Gestalt, komplett verborgen unter einem grauen Umhang mit Kapuze.

~~ Hüter der Schlüssel, hört mich an! Der fünfte Schattenreiter wird bald einen von euch zum Duell fordern - und der Preis sind die Erinnerungen von Atticus Rhodes. Danach bleiben nur noch zwei Gegner, bevor ihr dem Tyrannen gegenübertreten werdet. Die Prophezeiung weist euch den Weg. Nicht alles ist so, wie es scheint. Licht ist Schatten und Schatten ist Licht. Kanzler Sheppard ist nicht der, für den er sich ausgibt und eure Treue gehört dem Falschen, damals wie heute! Ihr wisst es nicht besser, aber das muss ein Ende haben! Nur die Wahrheit kann den Sieg davontragen! Die Prophezeiung weist euch den Weg. ~~

„Kanzler Sheppard....ist nicht der, für den er sich ausgibt?" wiederholte der Braunhaarige verwirrt. „Heißt das....heißt das etwa, er ist die Reinkarnation von Onuris?!"

~~ Die Prophezeiung weist euch den Weg. Um zu erkennen, ist eines vonnöten: Der Schakal ist ein Jäger. Ein Jäger muss töten! ~~

„Das ist keine Antwort auf meine Frage, du komischer Kerl!! Wer bist du überhaupt?!"

Die Gestalt fing an, zu verblassen, die Dunkelheit erhellte sich, erste Regale der Bücherei wurden wieder sichtbar. ~~ Mein Name ist....Amnael. ~~

Das war alles. Der mysteriöse Amnael verschwand ebenso schnell, wie er aufgetaucht war und ließ zwei ratlose Anubis Black zurück. „Was war denn das für einer?"
 

„Gute Frage. Zwar hat er uns einen Hinweis geliefert und uns vor einem weiteren Angriff gewarnt, aber wir wissen nicht, ob er wirklich Freund oder Feind ist. Außerdem waren seine Worte genauso undurchsichtig wie der Rest dieser ganzen Angelegenheit. Der Direktor ist also nicht der, für den er sich ausgibt - das ist immerhin möglich, berücksichtigt man sein plötzliches Verschwinden. Ob er die Reinkarnation unseres großen Feindes ist, hat er aber nicht gesagt....und ich kann mir das auch nur schwer vorstellen. Andererseits, Mr. Sheppard hat uns einen Teil der Prophezeiung und das geheime Trainingsareal verschwiegen. Verdammt, Atticus - das ergibt doch alles keinen Sinn! Und nun soll das nächste Duell um deine Erinnerungen ausgetragen werden! Was ist, wenn dir dabei etwas passiert?"

Zane trat ans Fenster und schaute hinaus. Aber er sah weder den Sonnenschein noch das grüne Gras oder die farbenprächtigen Blumen. Er dachte nur an jenes Gefecht gegen die Vampirin Camilla, bei dem das Leben dieses Jünglings auf dem Spiel gestanden hatte, dem allein es gelang, seine innere Gelassenheit in heilloses Chaos zu stürzen. Er ärgerte sich darüber, und doch wollte er es nicht mehr missen. Der Brünette, an ein Gerüst gekettet, mit dem blutigen Pentagramm im Gesicht, über einem Meer aus Feuer schwebend....der schrecklichste Anblick, der sich ihm je geboten hatte. Er wollte nicht, dass Atticus sich erneut einer furchtbaren Gefahr aussetzte, gleichgültig, wie hervorragend er als Schwertkämpfer sein mochte. Er hatte Angst um ihn, und diese Erkenntnis verblüffte ihn zunächst, ehe sein pochendes Herz ihn ahnen ließ, welches Gefühl dafür verantwortlich war. Konnte das sein? War er....verliebt?

Auf einmal schlangen sich zwei starke Arme von hinten um seine Taille.

„Zane....mach dir keine Sorgen. Wenn der fünfte Schattenreiter mich herausfordern sollte, werde ich ihn auch besiegen. Das habe ich mir geschworen. Es sind meine Erinnerungen, meine Identität, um die es hier geht, also werde ich kämpfen! Ich bin es mir selbst schuldig, dieses Duell zu bestreiten - und das weißt du!"

Der andere lehnte sich an ihn, fasste zögernd nach diesen Händen, die über seinem Bauch ruhten. Er brachte kein Wort heraus, schon gar nicht, als Atticus seine Wange in sein Haar schmiegte und sein warmer Atem über seinen Nacken strich.

„Ich wollte dich übrigens nicht überrumpeln....mit dem Kuss, meine ich....aber ich konnte einfach nicht anders. Anfangs dachte ich, dein Herz würde für mich immer verschlossen bleiben....Täusche ich mich, oder beginnst du mir allmählich zu vertrauen?"

„Ja, Atticus. Ich....ich vertraue dir."

„Das ist gut."

Mehr sagten sie nicht. Lange standen sie schweigend vor dem Fenster, ohne die Umarmung zu lösen. Es waren keine Worte nötig. Alles, was sie in diesem Moment wissen mussten, fühlten sie. Beide.

Duell der Titanen (Teil 1)

Kapitel 18: Duell der Titanen (Teil 1)
 

Die Sieben Krieger des Anubis kamen ihrem Training nach. Während Zane, Syrus, Atticus, Bastion und Alexis in der Arena ihre Schwert- und sonstige Kampfkünste verfeinerten, bemühten sich Chazz und Jaden im unterirdischen Schwimmbecken um eine bessere Kondition. Der Braunhaarige durchmaß den Pool mit kräftigen Zügen, vollführte eine Unterwasserwende und schwamm die Bahn noch einmal hinauf und hinunter, ehe er sich dazu entschied, eine Pause zu machen. Er kletterte hinaus und ging zu seinem Liegestuhl hinüber, daneben hatte sich Chazz auf dem seinen ausgestreckt.

„Du hast wirklich eine unglaubliche Ausdauer, Jay. So viele Runden hätte ich nicht ausgehalten. He, pass auf - du tropfst auf mein Buch!"

„Entschuldige, mein Schatz."

Er küsste ihn auf die Wange und schnappte sich sein Handtuch und seine Badehose zum Wechseln, bevor er in einer der Umkleidekabinen verschwand. Der Hüter des Sechsten Tores blickte ihm zärtlich nach, berührte seine Wange und seufzte glücklich. Gestern erst hatten sie ihren Freunden verkündet, dass sie nun offiziell ein Paar waren, und die Begeisterung, mit der diese Nachricht aufgenommen worden war, hatte ihn tief bewegt.

»Sie haben uns beide gern«, sagte er sich lächelnd, »und haben sich auch für uns beide gefreut. Der verbitterte, zornige Einzelgänger, der ich noch vor wenigen Monaten war, scheint nur noch eine ferne Erinnerung zu sein. Das verdanke ich meinen neuen Erfahrungen, den neuen Werten, die ich kennen gelernt habe....Freundschaft und Liebe. Ich werde um meiner selbstwillen akzeptiert und geliebt, nicht wegen meines Namens oder meines Geldes. Das ist ein wundervolles Gefühl....und ich bin sehr dankbar dafür.«

Einziger Wermutstropfen in dieser Sache war Abidos Aristides, der Probeschüler aus Luxor. Er war erst seit ein paar Tagen an der Akademie, besaß aber bereits einen eigenen Fanclub, gegründet von einer Riege Verehrerinnen, die den Boden priesen, auf dem er ging. Sogar so mancher Junge konnte es sich nicht verkneifen, ihm bewundernd hinterher zu schauen, wenn er durch die Flure wandelte. Natürlich, zugegeben, er war durchaus attraktiv und charmant, er strahlte Selbstbewusstsein und Vornehmheit aus, und in dem Testduell, das er als Beweis seiner Fähigkeiten hatte absolvieren müssen, war ihm das Bravourstück gelungen, einen von Crowlers besten Studenten zu besiegen, aber deswegen musste man ihn doch nicht gleich zum neuen Idol der Schule erklären?! Und das schlimmste....dieser Emporkömmling wagte es, Jaden schöne Augen zu machen! Er hielt sich ja nicht einmal zurück oder versuchte es unauffällig, nein, er legte es darauf an, mit ihm in Konflikt zu geraten! Was bildete der sich eigentlich ein?! Außerdem war das nicht ihr einziges Problem. Atticus und Zane hatten neulich in der Bibliothek eine Erscheinung gehabt, eine vermummte Gestalt namens Amnael, der sie vor einem weiteren Schattenreiter gewarnt und noch einige andere rätselhafte Worte geäußert hatte, ehe er im Nichts verschwunden war. Was hatte er gesagt?

~~ Nicht alles ist so, wie es scheint. Licht ist Schatten und Schatten ist Licht. Kanzler Sheppard ist nicht der, für den er sich ausgibt und eure Treue gehört dem Falschen, damals wie heute! Ihr wisst es nicht besser, aber das muss ein Ende haben! Nur die Wahrheit kann den Sieg davontragen! Die Prophezeiung weist euch den Weg. Um zu erkennen, ist eines vonnöten: Der Schakal ist ein Jäger. Ein Jäger muss töten! ~~

Ein Jäger muss töten. Chazz legte sein Buch beiseite und marschierte unruhig auf und ab. In seinem Geist wehten die Bruchstücke all dessen durcheinander, was in ihm Zweifel geweckt hatte - Taniyas seltsamer Satz, „Sei, was du bist", das merkwürdige Verhalten des Katers Pharao, Chicks Behauptung, die Schlüssel, die sie trugen, hätten ursprünglich Götter und keine Ungeheuer beschützt, Don Zaloogs boshafter Ausspruch „Wir sind von der gleichen Art" und schließlich das Verschwinden von Kanzler Sheppard, der angeblich nicht der war, für den er sich ausgab....da sollte man nun nicht verwirrt sein! Nicht zu vergessen die Prophezeiung, deren Inhalt auch sehr unklar war. Wie Jaden quälte ihn das ungute Gefühl, dass irgend jemand ein verdammt mieses Spiel mit ihnen trieb....
 

In der Kampfarena stand Syrus inzwischen seinen Mann. Es gab ein Programm für den Bogenschützen des Teams und im Moment war er damit beschäftigt, die Monster, die seine Zielscheiben blockierten, mit seinen Pfeilen zu dezimieren. Sie zerfielen schnell und regelmäßig in bunte Pixel, während jeder der Pfeile punktgenau in der Mitte der Zielsscheibe steckenblieb. Bei dieser Waffe konnte ihm niemand das Wasser reichen, nicht einmal sein Anführer. Zane beobachtete seinen kleinen Bruder von seiner Loge aus.

»Ich habe es mir doch nicht eingebildet. Er ist tatsächlich ein Stück gewachsen. Er ist stärker geworden und hat unerhörten Mut bewiesen, als er mich vor Camillas Biss rettete. Er hat sich verändert. Wir haben uns alle verändert, die einen mehr, die anderen weniger. Jaden hat sich als wahrer Anführer herausgestellt. Chazz ist ein echter Freund geworden, ebenso wie Bastion. Alexis und Atticus haben einander wiedergefunden und scheinen sich durch all unsere Erlebnisse noch näher zu stehen, als es früher je der Fall war. Syrus ist mir jetzt um vieles ebenbürtiger, obwohl ich lange nicht daran geglaubt habe. Und ich? Ich habe mich verliebt....«

Sein Blick glitt zu dem großgewachsenen jungen Mann hinüber, dessen widersprüchliches Wesen und dessen Schönheit sein Herz angerührt hatten. Er stand am Rand der Arena und klatschte, als der Türkishaarige einen erneuten Volltreffer landete.

»Ich möchte ihm gestehen, was ich empfinde, aber es fällt mir so schwer. Nichts ist mir je so schwergefallen. Zum ersten Mal in meinem Leben verstehe ich Syrus wirklich, verstehe, wie es ist, vor etwas Angst zu haben. Es ist ein grässliches Gefühl, denn man kommt sich so hilflos vor. Wenn ich mir vorstelle, dass ich meinen Ototo deswegen früher nicht für voll genommen habe....was für ein arroganter Dummkopf ich doch war! Sicher, Atticus hat zwar gesagt, dass er mich liebt, aber ist das tatsächlich er, der da spricht, wenn er seine Erinnerungen noch nicht zurück hat? Ist er in Wahrheit nicht immer noch Hiron, der mich nur unserer Vergangenheit wegen liebt? Das hat er abgestritten, ich weiß. Aber fest steht, ohne die Erinnerungen an seine moderne Identität ist er nicht Atticus Rhodes. Nicht der echte zumindest. Und wenn Atticus sein Gedächtnis zurückerobert und Hirons Bewusstsein verschwindet, was bleibt dann von seinen Gefühlen übrig? Alles? Nur ein Teil? Gar nichts? Gar nichts....dieser Gedanke tut weh! Ich glaube nicht....ich glaube nicht, dass ich das ertragen könnte....«
 

Seine Überlegungen wurden rüde unterbrochen, als der gesamte unterirdische Komplex von einem Erdbeben erschüttert wurde. Alexis schrie auf, doch die zu erwartenden Felsbrocken, die hätten herabstürzen sollen, blieben aus. Statt dessen klaffte der Arenaboden auseinander, sodass Syrus sich rasch in Sicherheit bringen musste, und schwarze Wolken waberten aus dem Riss hervor, die sich zu einer Gestalt auftürmten, die nach und nach sichtbar wurde. Es war ein Mann von hünenhafter Größe, mit einem breitkrempigen Hut auf dem Kopf und einer Metallmaske im Gesicht, die seine Augenpartie verdeckte, der Rest seines Körpers war in einen langen Ledermantel gehüllt. Als er sprach, hallte seine Stimme vielfach von den Wänden wider: „Hört zu, Krieger des Anubis! Mein Name ist Titan und ich bin der Fünfte Schattenreiter! Ich fordere den Hüter des Ersten Tores heraus, sich mit mir zu messen! Der Preis dieses Duells sind sein Schlüssel - und seine Erinnerungen!", fügte er hohnlächelnd hinzu und schwenkte seinen Schattentalisman, eine kleine goldene Pyramide, die an einer stabilen Kette um seinen Hals hing. „Aber sei gewarnt, junger Wächter! Ich werde dir nichts schenken! Unser Kampf wird ein Duell der Titanen sein! Ich bin einer....und was dich angeht, so werden wir sehen, wie du dich schlägst, Sterblicher! Nimmst du an?"

Er schnippte mit dem Finger und aus der Pyramide strömten noch mehr schwarze Wolken, die sich direkt vor Atticus in ein grünlich leuchtendes Pergament verwandelten. In altmodischer Schrift war dort Folgendes zu lesen:
 

„DUELL DER TITANEN
 

Dieser Vertrag verpflichtet die beiden Krieger/Unterzeichneten,

in drei Prüfungen gegeneinander anzutreten, aus denen stets ein

klarer Sieger hervorzugehen hat.

Nur derjenige, der alle drei Prüfungen erfolgreich besteht, wird

das Duell der Titanen gewinnen. Der Verlierer wird ein Opfer der

Schatten - und wird sterben.

Die beiden Krieger/Unterzeichneten erklären sich mit den Bedingungen

des Duells der Titanen einverstanden und unterschreiben mit ihrem

Blut.
 

Gezeichnet:
 

TITAN, Fünfter Schattenreiter...."
 

Daneben war noch Platz für die zweite Unterschrift. Alle, auch Zane, der seine Loge sofort bei Titans Erscheinen verlassen hatte, studierten das Dokument und waren über seinen Inhalt entsetzt. Alle bis auf einen.

Das blonde Mädchen blickte ihn an und spürte, wie eine kalte Hand ihr Herz zusammenpresste. Sie hasste den Ausdruck in seinen Augen, weil er sie ängstigte. Trotz der Unbekümmertheit und Zwanglosigkeit in seinem Wesen besaß ihr älterer Bruder eine Eigenschaft, an der man sich die Zähne ausbeißen konnte, wenn sie sich zeigte: Stolz. Atticus‘ Natur war nur vordergründig die eines Clowns....derjenige, der jetzt durch diese entschlossenen, kämpferischen Augen sah, war nicht der leicht überdrehte, chaotische Jugendliche, den sie so oft für seine verrückten Ideen und sein ihrer Meinung nach peinliches Verhalten gescholten hatte - das war der aufopferungsvolle Kamerad, der treue Freund, der tapfere Krieger.

Das war der Mann Atticus Rhodes.

Eine Schreibfeder mit scharfgeschliffener Spitze materialisierte sich vor ihm. Sie begriff, dass jeder Protest sinnlos war. Er hatte sich längst entschieden. Sie berührte seinen Arm, ihre Augen baten furchtsam, flehten stumm, er möge es nicht tun.

„Ich habe keine Wahl, Schwester", erwiderte er ernst und diese Worte lösten nicht nur in ihr, sondern auch in Zane blankes Erschrecken aus. Vollkommen erstarrt beobachtete er, wie sich der Brünette mit der Feder in den Finger stach und mit seinem Blut unterschrieb. Kaum hatte er den letzten Buchstaben gesetzt, rollte sich das Pergament auch schon zusammen und flog auf Titan zu, der es sorgsam in seinem magischen Talisman verstaute.

„Ich erwarte dich nach Sonnenuntergang in der verlassenen Unterkunft."

„Ich werde da sein."

Der Fünfte Schattenreiter wurde zu dunklem Rauch und verschwand durch den Riss, der sich unter einem gewaltigen Nachbeben wieder verschloss, als hätte es ihn nie gegeben. In diesem Moment polterten, ziemlich atemlos und unruhig, Jaden und Chazz zur Tür herein, die das erste Beben alarmiert hatte.

„Ist euch was passiert, Leute? Was ist denn los? Ihr seht aus, als hättet ihr ein Gespenst gesehen! He! Sagt doch was!"

„Amnaels Warnung....", murmelte Zane fast tonlos. „Sie ist eingetreten....!"

Nun wurden auch die Züge ihres Anführers hart.
 

Den Rest des Tages verbrachten die Anubis Black in relativ gedrückter Stimmung. Syrus hielt sich in der Nähe seines Bruders auf und lächelte ihm mitfühlend zu, wann immer sich ihre Blicke kreuzten, und der Trost, den ihm der Jüngere damit zu spenden versuchte, bewegte den Meisterduellanten mehr, als er zugab. Während das ungleiche Geschwisterpaar in stillem Einverständnis über das Schulgelände spazierte, saßen die anderen im Gemeinschaftsraum beisammen. Atticus war in der Trainingshalle geblieben, um sich auf das Duell vorzubereiten. Keiner wagte es, das Thema anzusprechen, selbst Alexis hüllte sich in demonstratives Schweigen. Bastion hatte die beiden geheimnisvollen Schriftrollen vor sich ausgelegt und grübelte vor sich hin.

»Chick hat gesagt, diese Figur zwischen den magischen Wesen sei der Gott Amun. Nach allem, was ich über ihn in Erfahrung gebracht habe, könnte es durchaus möglich sein, dass er die Göttermonster und die Heiligen Ungeheuer erschaffen hat. Schließlich war er ein Schöpfergott. Aber wie passt das zu der Prophezeiung? Was hat er noch gesagt? Ach ja, dass unsere Schlüssel ursprünglich Götter und keine Ungeheuer beschützten. Wenn ich diesen Satz mal zerpflücke....Mr. Sheppard hat uns erzählt, dass die Schlüssel dazu da waren, die sieben Tore zu verschließen, hinter denen sich die Steintafeln mit den drei Heiligen Bestien befanden. Die Götter Ra, Maat, Osiris, Hathor, Horus, Isis und Sachmet verliehen ihnen zu diesem Zweck magische Kräfte. Aber nach seinem Verschwinden und der Behauptung dieses mysteriösen Amnaels zu urteilen, ist der Direktor nicht vertrauenswürdig. Andererseits, wie vertrauenswürdig ist ein vermummter Unbekannter? Wenn die Schlüssel aber nicht die Heiligen Ungeheuer beschützten, wie Chick sagte, so müssen sie die Göttermonster behütet haben....aber warum? Unterscheiden sich diese Geschöpfe? Wenn ja, auf welche Weise, abgesehen davon, dass die einen etwas....‘gemeiner‘ wirken?«
 

Er kratzte sich am Kopf und zog die Schriftrolle mit der Prophezeiung näher zu sich heran. Er las sie garantiert schon zum zehnten Mal. »‘Eines Tages kehren sie zurück, die Schatten der Nacht. Und was sie suchen, ist der Kreaturen Macht. Verhindern kann ihren Triumph, wer als Hüter geboren, bereit zu kämpfen vor den alten Toren. Im ersten wird zum Kampf vereidigt, am zweiten wird die Hoffnung verteidigt. Das dritte ist Freiheit, das vierte die Liebe, worauf fünftens der Ewige Frieden noch bliebe. Im sechsten prüft manchen die Wahrheit vergebens, das siebte Tor ist die Pforte des Lebens. Licht ist Schatten und Schatten ist Licht. Der Kampf ist sinnlos, die Hoffnung zerbricht. Die Freiheit wird gefangen und angekettet, nicht einmal die Liebe wird noch gerettet. Es gibt keinen Frieden mehr, auch nicht im Tod, die Wahrheit erkrankt an Lüge und Not. Die Finsternis verlöscht die Sonne, nimmt uns des Lebens Wonne. Wir spüren, wie die Kälte unsere Herzen zersticht. Licht ist Schatten und Schatten ist Licht. Jene, die zurückkehren werden als die Erwählten, mögen aufmerksam hören: Lasst euch nicht von falschen Zungen betören. Ehrlich ist euer Blut und ehrlich euer Ziel, unehrlich aber ist dieses Spiel. Um zu erkennen, ist eines vonnöten: Der Schakal ist ein Jäger. Ein Jäger muss töten.‘ Licht ist Schatten und Schatten ist Licht, hm. Licht. Schatten. Zwei Seiten. Die uralten Gegensätze der Natur. Schwarz und Weiß, Tag und Nacht, Hell und Dunkel, Leben und Tod, Gut und Böse....Moment mal. Leben und Tod. Gut und Böse. Licht und Schatten. Göttermonster und Ungeheuer. Götter, egal in welcher Gestalt, waren im alten Ägypten Wesen des Lichts. Die gesamte Religion baute sich auf der Vergöttlichung der Sonne auf. Und wenn die Göttermonster das Licht symbolisieren....stehen die Heiligen Ungeheuer vielleicht für seine Kehrseite. Für die Schatten. Für die Finsternis.«

Bastion lief ein eisiger Schauer über den Rücken, als ihm die Logik seiner Vermutung klar wurde und noch eine weitere Frage beantwortete, die er sich bereits stellte, seit die ganze Sache angefangen hatte: Warum war Schwarz die Kennfarbe der Anubiskrieger? Zu Beginn hatte er angenommen, dies sei auf das Tier des Anubis zurückzuführen, den Schakal, dessen Fell tiefschwarz war, aber irgendwann hatte ihn diese Erklärung nicht mehr befriedigt. Und nun sprang ihm die Wahrheit, die erschreckend offensichtlich war, direkt ins Gesicht. Schwarz war die Farbe der Finsternis! Aber was bedeutete das konkret für sie und ihre Funktion? Wenn die Heiligen Ungeheuer wirklich die Dunkelheit verkörperten, weshalb hätte Pharao Tutangaton dann einen Kriegerbund gründen sollen, der sie verteidigte? Hätte er statt dessen nicht lieber nach einer Möglichkeit suchen sollen, sie zu vernichten?
 

»Es sei denn....es sei denn, er hätte ihre Macht für sich selbst nutzen wollen....aber er war Pharao! Ra, Slifer und Obelisk hatten die Aufgabe, das ägyptische Volk zu schützen und nur der Pharao konnte sie kontrollieren! Weshalb hätte er die Macht der Schatten bevorzugen sollen, wenn er die Macht des Lichts schon rechtmäßig in Händen hielt?«

Doch ein kleines Stimmchen in seinem Unterbewusstsein stellte ihm eine interessante Gegenfrage: »Vielleicht hielt er die Macht des Lichts nicht rechtmäßig in seinen Händen? Vielleicht konnte er die drei Götter nicht kontrollieren? Vielleicht hatte er kein Recht?«

Konnte das sein? Kanzler Sheppard hatte....er fuhr sich durchs Haar. Ja. Kanzler Sheppard hatte es ihnen so erzählt, dass an Tutangatons Person und seiner Lauterkeit keinerlei Zweifel zu hegen waren. Sie hatten ihm geglaubt, weil sie ihm vertrauten. Aber wenn er nicht derjenige war, für den er sich ausgab....wenn er die ganze Zeit gelogen hatte....dann konnte die Wahrheit alles über den Haufen werfen....! Was sollten sie glauben? WEM sollten sie glauben?

Jaden stand an einem der blinden Fenster des Gemeinschaftsraumes und sah hinaus, in ähnliche Gedanken versunken wie Bastion. Der Zufall wollte es, dass genau unter diesem Fenster Abidos vorbeikam, ein Buch über Duellstrategien in der Hand, offenbar ganz vertieft in seine Lektüre. Die Sonne ließ sein prächtiges schwarzes Haar matt schimmern und streifte auch die beiden goldenen Ohrringe, die er trug. Sie waren geformt wie das Ankh-Symbol und riefen eine verschüttete Erinnerung in dem jungen Anführer wach. Kail hatte ebenfalls so einen Schmuck getragen, nur einen einzigen, am linken Ohr, aber er hatte dieselbe Form besessen. Erneut stieg ein Gefühl von Wärme und Zärtlichkeit in ihm auf, das ihn sehr verwirrte. Eigentlich sollte doch nur Chazz‘ Anblick so etwas in ihm auslösen? Schließlich kannte er Abidos doch gar nicht, gleichgültig, wie vertraut der Name für ihn klingen mochte! Trotzdem wurde er den Eindruck nicht los, als verbinde ihn etwas mit diesem neuen Schüler....etwas Starkes, Altes, Machtvolles, das er nicht definieren konnte. Gleichzeitig ärgerte er sich darüber. Er liebte Chazz. Wie war es da möglich, dass ein Fremder eine solche Wirkung auf ihn ausübte?

Plötzlich zuckte er zusammen. Die schönen dunkelblauen Augen des Ägypters starrten ihn direkt an. Wie konnte das sein? Das hier war ein blindes Fenster! Von außen konnte niemand hineinschauen, ja, nicht einmal wissen, dass irgend jemand hinaussah! Aus unerklärlichen Gründen schlug sein Herz schneller. Verdammt, was war nur los mit ihm?!
 

Abidos wusste genau, dass Jaden ihn beobachtete und ließ es sich durchaus geschmeichelt gefallen. „Also beginnst du, dich meiner zu erinnern, mein Geliebter?", flüsterte er sanft. „Shezar mag deine Zuneigung gewonnen haben, aber deine Liebe gehört noch immer mir. Wie lange habe ich darauf gewartet, wieder mit dir vereint zu werden! Ich habe dich nie vergessen, Kail. Einen Mann wie dich kann man nicht vergessen."

Er schickte eine Kusshand nach oben, die Jadens Wangen rot werden ließ. Was zum Teufel sollte das? War der Kerl am Ende wirklich ernsthaft hinter ihm her?! Und wieso brachte er ihn so durcheinander?! Abidos....dieser Name schmeckte nach Vergangenheit, Sonne und Sand. Nach Geborgenheit und Glück. Aber er schmeckte auch nach Kummer und Schmerz. Weshalb empfand er so? Chazz trat neben ihn und spähte hinaus, neugierig, was das Erröten seines Schatzes hervorgerufen haben mochte. Seine Begeisterung hielt sich merklich in Grenzen, als er den Herrn aus Luxor entdeckte.

»Der schon wieder! Wenn dieser Mistkerl meinen Liebsten noch einmal anbaggert, reiße ich ihm den Kopf ab und vergrabe ihn sechs Meter unter der Erde!! Warum darf ich mit Jaden nicht glücklich sein, nachdem es so lange gedauert hat, bis wir uns fanden? Gleich schickt mir das Schicksal einen Nebenbuhler! Mann, und da soll man nicht frustriert sein....! Andererseits kommt mir der Typ merkwürdig bekannt vor, als hätte ich ihn schon mal irgendwo gesehen.... aber es gelingt mir nicht, ihn einzuordnen. Eins weiß ich allerdings: Ich kann ihn nicht leiden! Kein bisschen!!«
 

Zane und Syrus hatten indessen auf ihrem Spaziergang den Hafen erreicht und waren bis ans Ende des Anlegestegs gelaufen. Schweigend blickten sie auf das Meer hinaus, bis der Kleinere den Mund auftat: „Du hast Angst um Atticus, nicht wahr?"

„Ist das so offensichtlich?"

„Ja. Deine kalte Maske ist etwas getaut, großer Bruder. Mittlerweile sieht man dir viel eher an, was du fühlst. Eine Entwicklung, die ich sehr begrüße, wenn ich ehrlich bin."

„Und warum?"

„Weil du offener und freundlicher geworden bist. Weißt du noch, wie du mich umarmt hast, als sich Chick in Sand auflöste? Diese Geste hat mir mehr bedeutet als alle Trostesworte, die du mir hättest sagen können. Es hat mir gezeigt, dass du mich liebst, Nii-san, auch wenn du das meistens zu verbergen versuchst. Und Atticus liebst du auch, habe ich recht?"

Der Grünhaarige errötete unweigerlich.

„Sieht man....mir das auch an?", fragte er zaghaft. Das spitzbübische Lächeln des Jüngeren machte ihm klar, dass es so war. Er setzte sich an den Rand des Anlegestegs und Syrus hockte sich daneben, ohne seinen Bruder aus den Augen zu lassen.

„Du hast recht, Ototo. Ich wollte es mir zunächst nicht eingestehen. Atticus verwirrte mich von Anfang an, denn er war unberechenbar und voller Widersprüche. Ich kannte ihn zwar schon, bevor er auf geheimnisvolle Weise verschwand, aber damals habe ich ihn nur als Klassenkameraden wahrgenommen, ohne mich für den Menschen zu interessieren. Jetzt ist es anders. Ich bewundere seinen Mut und seine Entschlossenheit und seine Art, ungezwungen und offen mit seinen Gefühlen umzugehen. Er sagt immer, was er denkt. Er ist ein Mensch ohne Scheu, ohne Berührungsängste. Sicher, er hat einen bisweilen schrägen Humor und kann einem ziemlich auf die Nerven fallen, aber er ist auch ein guter Freund und innerlich sehr viel stärker, als er zu sein scheint. Es ist wahr, Sy. Ich....ich liebe ihn. Deshalb bin ich so gegen dieses Duell der Titanen. Wenn er auch nur in einer der drei Prüfungen versagt, wird er nicht nur seinen kostbaren Schlüssel verlieren, sondern sein Leben! Das könnte ich....nicht ertragen!"

Eine warme Hand sank auf seine Schulter. Er wandte den Kopf.

„Hab Vertrauen zu Atticus, Bruderherz. Ich verstehe, dass du Angst um ihn hast, aber vergiss nicht, dass er ein ausgezeichneter Schwertkämpfer ist und einen klugen Kopf hat. Glaube an ihn. Er hofft auf deinen Beistand. Du bedeutest ihm viel."

Zane zwang sich zu einem betrübten Lächeln. „Syrus?"

„Ja?"

„Danke."

„Keine Ursache, Nii-san."

Duell der Titanen (Teil 2)

Mal eine dumme Frage....liest das hier noch irgendjemand? Sicher lesen einige von Euch auf yaoi.de vor, aber es gibt doch sicher auch animexx-Leser, die hier auf neue Kappis warten, oder? Warum bekomme ich kein Feedback? Natürlich muss jeder selbst entscheiden, ob er ein Kommi schreibt oder nicht, aber so gar keine Reaktion...da weiß man als Autor nicht, ob die Leser überhaupt eine Fortsetzung wollen...aber gut, ich werde trotzdem weiter etwas hochladen, vielleicht gibt es doch mal wieder einen Piep von Seiten der Leserschaft...viel Spaß!
 

Kapitel 19: Duell der Titanen (Teil 2)
 

Die Sonne näherte sich dem Horizont und ihr glutrotes Strahlen vereinte sich mit dem goldenen Himmel und den rosigen Wolken zu einem atemberaubenden Gemälde. Alexis beobachtete den Sonnenuntergang vom Gemeinschaftsraum der Anubis Black aus, wo Atticus vor ein paar Minuten eingetroffen war. Er war sofort durch die Regalwand verschwunden, um seine Kampfuniform anzuziehen. Der Schattenreiter erwartete ihn in der verlassenen Unterkunft.

»Das gefällt mir nicht....wir wissen nichts über diesen Titan und kennen seine Fähigkeiten nicht. Wir können ihn nicht einmal richtig einschätzen. Auch wenn er den Vertrag unterschrieben hat, der das Duell der Titanen regelt, ist nicht erwiesen, dass er sich daran halten wird. Schließlich ist nur von drei Prüfungen und einem Sieger die Rede gewesen, aber wie genau dieser Sieger sich seinen Triumph verdient, ging nicht aus dem Pergament hervor. Sicher wird er unfaire Mittel einsetzen! Was ist, wenn Atticus verliert?«

Sie wischte sich über die Augen, bemüht, ihre Stärke und Zuversicht zurückzugewinnen. Es half weder ihr noch ihrem Bruder oder ihren Freunden, wenn sie sich jetzt in Tränen auflöste! Sie straffte die Schultern und drehte sich um, als sie hörte, wie die Regalwand zur Seite schwenkte. Der Hüter des Ersten Tores stand vor ihnen, prächtig anzusehen in Schwarz und Gold, mit dem beeindruckenden Schwert auf dem Rücken. Sein Blick war ernst.

„Lasst uns gehen."

Das letzte Licht des Tages erlosch, während die Sieben Krieger des Anubis durch den Wald Richtung Unterkunft marschierten. Ein paar verspätete Schüler, die ihnen auf ihrem Weg begegneten, staunten sie stumm an - sie boten schon ein faszinierendes Bild, diese sieben bewaffneten Kämpfer in ihren schwarzen Uniformen. Nachdem einige Minuten verstrichen waren, erreichten sie das halbzerstörte, wenig einladende Gebäude, das einst eine Unterkunft für Studenten der Akademie gewesen war. Die Dunkelheit ließ es doppelt so bedrohlich wirken und die zersplitterten Scheiben verwandelten die Fenster in leere, unheimliche Höhlen. Jaden ging voran, beide Klingen gezückt; die anderen folgten ihm. Sie betraten die Empfangshalle, sahen sich misstrauisch um und vermuteten hinter jeder Säule einen Feind.

„Wo steckst du, Schattenreiter?! Dein Gegner ist hier!"

Höhnisches Gelächter erklang als Antwort auf Atticus‘ Ansage und unter einem heftigen Beben erschien sein Herausforderer vor ihm, mit einem herablassenden Lächeln im Gesicht.

„Du bist tatsächlich gekommen, Schlüsselwächter. Ich muss zugeben, dass ich überrascht bin. Du hast Mut - oder ein ungesundes Maß an Dummheit. Bedenke, dass dein Leben auf dem Spiel steht. Ein Duell der Titanen ist kein Vergnügen. Du hast mit deinem Blut unterschrieben und dein Blut wird es kosten, wenn du auch nur in einer einzigen Prüfung scheiterst. Noch kannst du dich zurückziehen. Ich gestatte es dir."

„Und welche Gegenleistung würdest du erwarten? Dass ich dir meinen Schlüssel aushändige, nicht wahr? Während du weiterhin meine Erinnerungen behältst! Niemals! Du bekommst weder das eine, noch werde ich das andere in deinen Händen lassen! Ich habe deine Herausforderung angenommen und werde mich diesen Prüfungen stellen! Fang an!"

„Wie du willst, Sterblicher."

Am Ende der Halle öffnete sich eine Tür und die Gruppe steuerte darauf zu. Als die Flügel sich hinter ihnen schlossen, befanden sie sich in einem Raum, der früher als Speisesaal genutzt worden sein musste, wie die langen Tische verrieten, die noch herumstanden. Es war stockdunkel und ein tiefes Grollen drang aus der Finsternis zu ihnen. Ein Fingerschnippen ließ die Lampen an den Wänden hell aufleuchten und vor ihnen erhob sich eine riesige, etwa drei bis vier Meter hohe männliche Sphinx, die das Dach gesprengt hätte, wenn es nicht ohnehin schon zerfallen gewesen wäre. Ihr Schweif peitschte unheilverkündend auf den Boden und sie stieß ein markerschütterndes Brüllen von solch abscheulicher Grässlichkeit aus, dass den Jugendlichen die blanke Angst ausbrach.

„Das ist der erste Teil des Duells, die Prüfung der Kraft. Wir beide müssen versuchen, die Sphinx zu besiegen. Die einzige Regel ist, dass keiner sich einmischen darf, dessen Name nicht im Vertrag verzeichnet ist....was in deinem Fall deine Mitstreiter betrifft. Sollte einer deiner Freunde es wagen, dir zu helfen, hast du die Prüfung automatisch verloren."

„Das ist Betrug!", ereiferte sich Zane und ballte die Fäuste. „Wie soll Atticus alleine gegen diese Bestie bestehen?! Wir hätten nur gemeinsam eine Chance!"

»Er hat recht!« durchfuhr es den Braunhaarigen und er schluckte schwer.

»Ich bin ein guter Schwertkämpfer, aber mir fehlen Jadens Genialität und seine fantastische Ausdauer. Trotzdem! Ich kann nicht erlauben, dass dieser Bastard meine Erinnerungen behält oder meinen Schlüssel in die Finger kriegt! Es ist eine Prüfung der Kraft, aber Kraft allein wird nicht ausreichen, jedenfalls nicht für mich. Hier sind Schnelligkeit und Verstand genauso gefragt!«

Er zog seine Klinge und wich sofort einem Schlag der riesigen Pranken aus. Titan, der von seiner Gabe der Levitation Gebrauch machte und die Sphinx mit magischen Energiekugeln beschoss, schien sich über das plumpe Dahinstolpern seines Kontrahenten zu amüsieren, als sähe er einem Clown bei seiner Vorstellung zu. Zwar griff das Ungeheuer auch den Schattenreiter an, aber dieser befand sich dank seiner okkulten Kräfte eindeutig im Vorteil. So viel zum Thema Fairness.

Atticus war kein Narr. Er begriff genau, dass Titan darauf pokerte, dass er bereits in der ersten Prüfung verlor und der Dunkelheit anheim fiel, doch der Anubiskrieger ließ sich nicht entmutigen. Na schön, mit Zauberkräften und Schweben konnte er nicht dienen, aber er war ein Spitzenduellant und Spitzenduellanten besaßen einen Kopf für Strategien. Wenn er also nicht zu dem Dämon hinaufkam, um ihn zu verletzen, musste der Dämon eben zu ihm herunterkommen! Seine Augen flirrten suchend umher, bis er etwas entdeckte, das für seine Zwecke geeignet war. An einem der großen Bogenfenster des ehemaligen Speisesaals hing noch ein alter Vorhang. Er war halb aus den Ringen gerissen und Farbe und Stoff waren verblichen und ausgefranst, aber für seinen Plan konnte er nützlich sein. Das Monster trat nach ihm, als er sich in Richtung Fenster bewegte, donnerte seinen Schwanz zwischen ihn und sein Ziel, brüllte ungehalten und hätte ihn wohl erwischt, wenn der Brünette nicht so flink und akrobatisch in seinen Reaktionen gewesen wäre. Es hieb einen Tisch in der Mitte auseinander, den Atticus als Unterlage für einen Handstand mit Überschlag verwendete und fauchte erbost, als der junge Mann grazil landete und zu dem Fenster hinüberlief. Er riss den schadhaften Vorhang komplett herunter und band ihn mit einem Ende um eine der Säulen, die einst das Dach getragen hatten. Dann pfiff er kess auf zwei Fingern und die Sphinx fixierte ihn zornig.

„Komm her, wenn du dich traust, du potthässliches Riesenkätzchen! Ich bin noch nicht fertig mit dir!"
 

Titan lachte, als hätte er soeben einen guten Witz gehört.

„Du bist wirklich erheiternd, Sterblicher! Dass du das einem Wesen zu sagen wagst, das dich mit einem einzigen Biss verschlucken könnte! Aber genau deswegen lasse ich das Reich der Schatten gerne hinter mir, um mit euch Menschen zu spielen. Ihr seid so viel amüsanter als die Kreaturen, die man normalerweise dort antrifft. Die meisten davon besitzen keinerlei Humor. Und wenn sie sterben, kümmert es keinen. Ihr Menschen hingegen steckt voller Überraschungen. Das liegt vielleicht daran, dass ihr eure Zeit noch immer mit Gefühlen vergeudet. Das macht euch so interessant!"

„Dir wird dein Spott gleich vergehen!"

Das Geschöpf rannte auf ihn zu und in dieser Sekunde zog er den Vorhang hinter sich her wie ein Seil, bis eine Stolperfalle daraus wurde. Wie erhofft verhakte sich eine der Pfoten und die Sphinx verlor das Gleichgewicht. Durch ihre beachtliche Größe mit einer ebenso beachtlichen Masse ausgestattet, gelang es ihr nicht, die Balance zu halten und ihr Gewicht warf sie automatisch zu Boden. Wie ein Blitz sprang Atticus auf ihren fetten Hals, holte in einem weiten Bogen aus und bohrte sein Schwert direkt in ihre Kehle. Die Bestie kreischte auf und schmolz zu einer schwarzen, schlammigen Substanz zusammen.

„Was sagst du nun!?"

Titans vergnügte Laune war sichtlich gedämpft. Er war die Sache zu oberflächlich angegangen und diesen Umstand hatte der Hüter des Ersten Tores genutzt, um ihn zu übertrumpfen. Zugegeben, er hatte diesen Burschen unterschätzt. Niemals hätte er es ernsthaft in Betracht gezogen, dass dieser nichtswürdige Sterbliche an der zweiten Prüfung teilnehmen könnte! Diesmal musste er also den Schwierigkeitsgrad erhöhen.

„Nicht übel, Menschlein! Die Prüfung der Kraft war demnach keine große Herausforderung für dich. Wie außerordentlich bedauerlich! Aber vielleicht wird dich die Prüfung des Geistes ein wenig Vernunft lehren! Erscheine, allwissende Sphinx!"

Aus dem Schattentalisman brach ein Lichtstrahl hervor, der sich vor den beiden Kontrahenten in eine Art Altar verwandelte. Er war aus purem Gold und prachtvoll verziert, die Front war mit dem Udjat-Auge geschmückt, das aus einem blutrot schimmernden Edelstein bestand. Auf dem Altar erhob sich eine ägyptische Amphore, aus der bläuliche Schwaden herausströmten. Sie verdichteten sich zu einer dunstigen Kugel, in deren Mitte das Gesicht einer Frau mit einer roten Löwenmähne erschien. Um die Stirn trug sie einen Goldreif mit der Uräusschlange (= Kobra). Offenbar die gewünschte Sphinx.

„Krieger, die Ihr gekommen seid, das Duell der Titanen zu bestreiten, ich grüße Euch. Ihr habt die zweite Runde erreicht, die Prüfung des Geistes! Ich werde jedem von Euch ein Rätsel aufgeben. Wer es löst, hat sein Überleben gewonnen. Wer es nicht löst, ist an den Tod verloren. Bedenkt, dass Ihr nur eine Antwort habt!"

Sie wandte sich an den grinsenden Titan. „Hier ist dein Rätsel. Zwei Väter und zwei Söhne sitzen am Ufer des Nils. Wie viele Personen sind das?"

Das klang einfach. Zu einfach. Zwei Väter und zwei Söhne, das machte zusammen vier, oder nicht? Was war daran rätselhaft? Die Anubis Black berieten sich flüsternd; auch sie empfanden diese Frage als viel zu simpel. Atticus hatte ebenfalls das Gefühl, der einzige tatsächliche Prüfling zu sein, bis er einen Ausruf des Begreifens vernahm und seine Aufmerksamkeit auf Bastion richtete, der sich mit der flachen Hand auf den Kopf geschlagen hatte.

„Du hast wohl kapiert, wie, Hüter des Fünften Tores? Meinen Glückwunsch!", erklärte der Schattenreiter im Brustton tiefsten Erstaunens. „Das Rätsel ist trickreich, weil es einem zunächst so völlig einfallslos zu sein scheint. Die Antwort lautet: Drei Personen. Ein Großvater, sein Sohn, und dessen Sohn. Damit haben wir zwei Väter und zwei Söhne, denn einer von ihnen ist beides. Du bist an der Reihe, Sterblicher!"

Die Sphinx musterte ihren nächsten Kandidaten. „Hier ist nun dein Rätsel, Jüngling. Wer es hat, ist bettelarm. Wer es liebt, der ist voll Gram. Wer es weiß, ist dumm wie ein Stein. Und wer es gibt, der bleibt allein. Was ist das?"

Der Braunhaarige versenkte sich in ein nachdenkliches Schweigen. Was konnte mit diesen Worten gemeint sein? Seiner Ansicht nach war dieses Rätsel weitaus schwieriger zu entschlüsseln als das vorherige und Titans Rolle in diesem ganzen Duell erwies sich als eigentümlich leicht zu bewältigen. Der einzige, der sich hier wirklich anstrengen musste, war er. Der Vertrag zwischen ihnen war insofern bedeutungslos, da Atticus nicht als ernster Gegner betrachtet wurde. Man schien seine Niederlage für unabwendbar zu halten. In den Augen des Schattenreiters war er ein Nichts. Ein....Nichts....?

„Es ist das Nichts, nicht wahr? Wer nichts hat, ist bettelarm. Wer nichts liebt, der ist voll Gram. Wer nichts weiß, ist dumm wie ein Stein. Und wer nichts gibt, der bleibt allein. Richtig?"

Die Sphinx starrte ihn eine Weile überrascht an und verkündete schließlich: „Beide Krieger haben das Ihnen gestellte Rätsel gelöst. Die Prüfung des Geistes ist hiermit beendet. Macht Euch bereit für die dritte Runde dieses Duells, die letzte und gefährlichste von allen: Für die Prüfung des Herzens!"

Ihr Antlitz verschwand unter einem hämischen Gelächter mitsamt dem Altar in schwarzen Rauchwolken. Titan schnippte wieder mit den Fingern und die Umgebung begann sich zu verändern. Der Boden des einstigen Speisesaals senkte sich in die Tiefe, unter Jaden und seinen Freunden sprossen Sitzplätze aus der Erde, die ihre Oberkörper, Beine und Arme mit schleimigen Ranken umschlossen und sie fesselten.

„He, was soll das?!"

„Was zum Teufel....?!"

Ein gigantisches Becken materialisierte sich in der Mitte des Raumes und aus den zwei sich gegenüberliegenden Wänden wucherte je ein Steg heraus, die aneinander vorbei wuchsen und mit der anderen Wand verschmolzen. Eine Vielzahl von Rohren stak aus dem Becken hervor, die in den verrücktesten Winkeln irgendwo im Untergrund verschwanden. Aus den vier Seiten des eigentümlichen Beckens schoben sich turmähnliche Gebilde nach oben, zwei als Eingang zu jedem Steg. Die anderen beiden hatten keine Türen, nur massive Mauer, an der sich seltsame Metallplatten ausbildeten. Sie waren etwa so groß wie ein durchschnittlicher menschlicher Erwachsener, verziert mit Schlangen und ähnlichen weniger sympathischen Reptilien. Rechts neben den Platten erschien eine Stange, an der je vier Ankh-Symbole hingen. Auf ein weiteres Schnippen hin erklang ein Rauschen in den Rohren und aus ihnen ergoss sich eine grünliche, dampfende Flüssigkeit in das Becken.
 

„Was....was ist das?" Atticus brachte die Frage kaum über die Lippen.

„Das ist Säure. Heiße Säure. Die Prüfung läuft ab wie folgt: Wir begeben uns über diese Türme hinauf zu den Stegen und kämpfen gegeneinander, während unter uns der Säuresee brodelt. Wer aus dem Gleichgewicht kommt....hat verloren."

„Und löst sich auf grausamste Weise in seine Bestandteile auf?!"

„In der Tat."

„Aber ich dachte, dass hier sei die Prüfung des Herzens!"

„Ist es auch. Ich vergaß, dein Handicap zu erwähnen, Sterblicher!"

Ein erneutes Schnippen. Ein Blitz erhellte das Szenario und einen Augenblick später waren Alexis und Zane mehrere Meter in die Höhe befördert worden. Sie waren an die Metallplatten gekettet - die einzige Sicherung, die ihre Körper davon abhielt, geradewegs in die Säure zu stürzen. Das Gesicht des Brünetten wurde bleich.

„Die Regeln sind einfach. Wenn sich dein Kampfgeschick da oben schlecht entwickelt, wird immer eines der Ankh-Symbole sich lösen und herunterfallen. Sobald es weg ist, wird eine der Fesseln aufgehen und den Betroffenen seinem Ende einen Schritt näherbringen. Niemand kann sagen, bei welchem der beiden das Symbol fällt oder wie oft hintereinander. Aber eines kann ich dir versprechen: Wenn überhaupt, wirst du nur einen von beiden retten können! Doch da es die schwerste aller Prüfungen ist, besitzt du als Herausgeforderter das Recht auf einen Joker. Du kannst ihn ausspielen, wann immer du Lust dazu hast. Er gestattet dir, einen der beiden Unglücklichen frei zu wünschen - du wirst dann seinen Platz einnehmen."

„Lass dich nicht darauf ein, Nii-san!", flehte Alexis. „Er ist ein Betrüger! Egal, wie man es dreht und wendet, am Ende wirst du der Verlierer sein!"

„Kluges Mädchen, deine Schwester, Anubiskrieger. Natürlich kannst du nicht gewinnen. Das Duell der Titanen wurde von mir ins Leben gerufen. Ich bin der Prüfer der letzten Runde."

„Du verdammter Bastard! Das war also alles eine Farce! Du hattest von Anfang an die Kontrolle! Du hast meine Erinnerungen gestohlen! Du bedrohst meine Schwester und du bedrohst Zane, benutzt ihrer beider Leben als Figuren in deinem kranken Spiel! Glaubst du wirklich, ich lasse dich so weitermachen?! Glaubst du wirklich, ich sehe tatenlos zu?! Ich werde jetzt nicht aufgeben!! Damit kommst du nicht durch, du wandelndes Stück Abschaum!!!"

Zane rann ein Schauer über den Rücken. Das war die Kehrseite des fröhlichen, leicht exzentrischen, augenscheinlich oberflächlichen Playboys. Das war jener Atticus, unter dessen Narrenmaske die Flamme eines tapferen, entschlossenen Herzens brannte, das für die Menschen, die ihm etwas bedeuteten, selbst die Hölle zu erdulden bereit war. In diesem Moment erst erkannte er, wie sehr er diesen Mann tatsächlich liebte....

Die Kontrahenten stiegen die Türme hinauf und jeder trat auf seinen eigenen Steg hinaus. Sie waren erschreckend schmal und glatt. Der junge Wächter zog sein Schwert und näherte sich seinem Gegner mit ruhigen, sicher gesetzten Schritten. Das Training der perfekten Balance war ein Aspekt der Ausbildung zum Krieger des Anubis gewesen, sodass sich der Kampf in schwindelnder Höhe für ihn als weniger problematisch erwies, obwohl er im Vergleich zu Titan, der die Gabe der Levitation beherrschte, immer noch im Nachteil war. Der Schattenreiter schwang sich in die Luft hinauf, zückte eine Klinge mit verschnörkeltem Griff und holte aus. Atticus parierte den Hieb und spürte, wie die Kraft der Attacke seine Standfestigkeit erprobte. Er stieß seinen Feind von sich und ging dabei in die Hocke, um sich am Steg abzustützen. Langsam erhob er sich wieder, die Augen unverwandt auf seinen Gegenüber gerichtet. Titan grinste boshaft und sprang auf ihn zu, drehte sich immer schneller um die eigene Achse und verwandelte sich in einen Schwertwirbel. Er stürzte sich auf den Braunhaarigen und traf ihn genau in die Magengrube. Wie gut, dass unter dem schwarzen Stoff ein solides Kettenhemd steckte! Atticus sackte zusammen und fiel hart auf den Rücken. Der Schock presste ihm den Atem aus der Lunge und machte es ihm für einige Sekunden unmöglich, sich zu bewegen.

„Das Glück scheint dich zu verlassen, Sterblicher!"
 

Eines der Ankh-Symbole löste sich von der Stange und fiel in das Säurebecken, wo es in rasender Geschwindigkeit zerfressen wurde. Bei Zane öffnete sich die linke Fußfessel. Der Hüter des Ersten Tores richtete sich mühsam auf, keuchend, während seine Beine über dem Abgrund baumelten und umklammerte mit seinen Händen fest die beiden Seiten des Stegs. Er konzentrierte sich, beförderte seine Beine wie in Zeitlupe wieder nach oben und stand behutsam auf. Das Schwert, das er für diese Unternehmung in die Scheide zurückgeschoben hatte, wurde erneut gezogen. Er rannte auf den Schattenreiter zu, doch dieser erzeugte mit seinem Talisman eine Art magische Druckwelle und schleuderte ihn zurück. Atticus donnerte gegen die Tür des Turmes und sank daran herunter. Vor der Tür befand sich eine breitere Plattform, bevor sie in den Steg überging, sodass er seine Benommenheit abschütteln und sein Gleichgewicht behalten konnte. Das nächste Henkelkreuz wurde von den Säurefluten verschluckt. Alexis verlor ihre rechte Handfessel. Der Verstand ihres Bruders arbeitete fieberhaft.

»Was soll ich tun? Meine Schwester....mein Geliebter....wie könnte ich auch nur einen von ihnen opfern?! Aber ich habe diesem verfluchten Titan nichts entgegenzusetzen! Er kann schweben und verfügt über Zauberkräfte! Für ihn ist dieses Duell ein Spiel, ein Vergnügen, das ihn amüsiert! Jaden, Chazz und die anderen können mir nicht helfen. Es ist hoffnungslos! Unter mir gähnt ein grausamer Tod und ich werde entweder Lex oder Zane verlieren, wenn ich dieses Scheusal nicht besiege! Ich könnte den Joker benutzen....aber trotzdem würde das nur einem von beiden das Leben retten! Was soll ich tun? Was soll ich tun!?!«

Sein Kontrahent genoss den Zwiespalt, der sich in den verzweifelten und gehetzten Zügen des Jünglings abzeichnete.

»Du wirst es nicht schaffen, Sterblicher. Bisher sind alle an dieser Prüfung gescheitert. Du wirst nicht herausfinden, wie der Knoten zu lösen ist. Du wirst....«

Sein Gedankengang brach abrupt ab, als er das entschiedene Aufblitzen in den braunen Augen seines Feindes entdeckte. Atticus kam auf ihn zu und hielt ihm die Spitze seiner Klinge an die Kehle. „Ich kann nicht zwischen ihnen wählen", erklärte er leise. „Sie bedeuten mir viel zu viel. Du hast recht, ich könnte nur einen von beiden retten. Aber das kann ich nicht akzeptieren. Deshalb entscheide ich mich für die dritte Möglichkeit."

Titan erstarrte. „Die....dritte Möglichkeit? Es gibt keine dritte Möglichkeit!"

„Doch, die gibt es." Er wandte sich an das blonde Mädchen. „Nefretaria....Alexis....welchen Namen du auch trägst, du wirst für mich immer nur eines sein: Meine kleine Schwester. Wir haben damals oft gestritten. Ich habe dich geärgert und getriezt, doch ich weiß, dass wir einander sehr nahe waren. Pass gut auf dich auf, hörst du?"

„Warum....warum sagst du das, Bruder?" Eine dunkle Ahnung beschlich sie, ein heftiges Zittern packte ihren Körper. „Rede nicht, als würden wir uns nie wiedersehen! Du wirst diesen Mistkerl vernichtend schlagen und deine Identität zurückbekommen! Dann wirst du dich daran erinnern, wie wir als Kinder miteinander gespielt haben und dass du mir das Duellieren beigebracht hast! Du wirst dich an alles erinnern, verstehst du? An Mama und Papa, an Großmutter und Großvater! Unser Haus wird dir einfallen und der schöne Garten, wo wir immer herumgetobt sind...."

Silberne Tränen liefen über ihre Wangen, ehe sie es verhindern konnte. Es schmerzte ihn, die stets heitere und gefasste Alexis in diesem Zustand zu sehen. Er drehte sich zum Hüter des Dritten Tores um. „Weißt du noch, wie ich dir meine Liebe offenbarte? Ja, es ist mir ernst und ich bete, dass du mir das geglaubt hast. Es geht nicht um Anares. Ich habe mich erneut verliebt. In dich, und das ist die Wahrheit. Ich würde dich auch lieben, wenn du nicht Anares‘ Reinkarnation wärst. Meine jetzigen Gefühle haben nichts mit ihm zu tun."

„Das....das weiß ich. Ich glaube dir!"

Atticus lächelte wehmütig. „Ich danke dir." Er warf einen Blick zu den übrigen Anubis Black hinunter, die das ganze Geschehen wie paralysiert verfolgten. „Auch euch danke ich für die freundliche Aufnahme in euren Kreis und eure Zuneigung und Unterstützung. Welche Geheimnisse auch immer in den Schatten verborgen sein mögen, ich bin sicher, dass ihr sie lüften werdet." Nach diesen Worten blieb es eine Weile still. Unheimlich still. Schließlich trat er an den Rand des Stegs....und sprang.
 

„ATTICUS!!!!"

Sie schrieen seinen Namen alle gleichzeitig. Zumindest bildete Zane sich ein, dass er schrie, aber in Wirklichkeit kam nur ein heiseres Krächzen, fast Würgen heraus, das in einem gequälten Schluchzen verebbte. Das....konnte....nicht....wahr....sein....

»Nein, oh bitte, nein!! Sag mir einer, dass das nur ein Alptraum ist!! So kann es nicht enden! Nicht so!! Er weiß es nicht!! Er weiß nicht, dass ich ihn auch liebe!! Warum nur?! Warum!?!«

Ein gleißendes Licht hüllte die Anwesenden ein und plötzlich bemerkten sie, dass die grässliche Konstruktion verschwunden war und nur noch der alte Speisesaal sie umgab. Titan war unter ihnen, rührte sich aber nicht. Er war zu schockiert, zu bestürzt. In der Mitte des Raumes, wo das Becken gewesen war, leuchtete ein Kegel aus goldenem Licht. Nach und nach wurde es schwächer und verblasste, bis der Schlüssel sichtbar wurde, von dem es ausströmte. Als das Strahlen vollständig erlosch, stand Atticus vor ihnen, unversehrt und gesund.

„Dein abscheuliches Duell ist vorbei, Schattenreiter. Du hast verloren!"

Der Pyramidentalisman glühte auf und eine Wolke aus glitzerndem Nebel senkte sich auf den Brünetten herab, verschmolz mit seinem Körper und ließ ihn ein weiteres Mal hell aufleuchten. Als er die Augen aufschlug, murmelte er: „Mutter....Vater....wie wunderbar, sich an euch zu erinnern....wo bist du, Schwesterchen?"

Sie starrte ihn an, unfähig, auch nur einen Ton herauszubringen. Schweigend rannte sie auf ihn zu und flog in seine Arme, wo sie zu schluchzen begann. Er streichelte ihr tröstend über den Rücken, wie er es früher immer getan hatte, wenn sie sich ängstigte oder traurig war.

„Du wusstest, dass du....dass du überleben würdest?"

„Nein. Ich vermutete es nur. Die Kraft des Schlüssels konnte mich schützen, aber wichtiger war, ob ich den richtigen Weg gewählt hatte, die Prüfung des Herzens zu bestehen. Ich war mir nicht sicher. Deswegen habe ich mich von euch verabschiedet, für den Fall, dass ich mich irren und sterben sollte. Es war der schrecklichste Moment meines Lebens....aber ich musste handeln, um euch zu retten."

Ein kehliger Aufschrei von Titan ließ alle herumfahren. Der Boden unter ihm gab nach und wurde zu einem schleimigen, schwarzen Sekret, das ihn förmlich aufzusaugen schien.

„Wie konntest du wissen, dass nur derjenige die letzte Prüfung besteht, der ein selbstloses Opfer erbringt?! Du hast mich ins Unglück gestürzt! Die Schatten werden mich töten!"

„So will es der Vertrag über das Duell der Titanen. Du hast dich selbst ins Unglück gestürzt, weil du die Stärke meines Herzens unterschätzt hast. Nicht Kraft und Geist garantieren hier den Sieg, sondern nur das Herz bringt die endgültige Entscheidung. Du warst unklug."

„Ihr begreift gar nichts!", zischte der Maskierte, während das Sekret an ihm hinaufkroch und ihn verschlang. „Wenn die Heiligen Ungeheuer befreit werden, ohne mit dem Licht vereint zu werden, wird der Tyrann zurückkehren und diese Welt knechten! Öffnet endlich eure Augen! Habt ihr noch nicht erkannt, dass eure Treue dem Falschen gilt?! Ihr seid nur Spielsteine in einer jahrhundertealten Auseinandersetzung! Man benutzt euch wie Werkzeuge! Sprecht mit Amnael, ihm könnt ihr vertrauen! Sprecht....mit....Amnael....!"

Die seltsame Substanz erstickte den Rest seiner Worte und der Fünfte Schattenreiter war nicht mehr. Das einzige, was von ihm übrigblieb, als der Schleim im Boden versickerte, war sein Talisman. Jaden hob ihn auf.

„Der Tyrann wird zurückkehren, wenn die Heiligen Ungeheuer befreit werden, ohne mit dem Licht vereint zu sein? Unsere Treue gilt dem Falschen? Man benutzt uns wie Werkzeuge? Wir sollen mit Amnael sprechen....", wiederholte er verwirrt. Titan hatte sie gewarnt, so erstaunlich das klingen mochte. Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht....
 

„Atticus!!"

Alexis musste ausweichen, als der Grünhaarige, der endlich wie aus einer Trance erwacht zu sein schien, auf ihren Bruder zustürzte. Er umarmte ihn leidenschaftlich und vergrub sein Gesicht im langen Haar des anderen.

„....Zane....?" Seine Stimme bebte. „Was ist mit dir?"

„Liebst du....mich noch?", lautete die kaum hörbare Antwort, die eigentlich keine Antwort war. Der Wächter des Ersten Tores erwiderte die Umschlingung und drückte ihn fest an sich.

„Natürlich liebe ich dich noch, du wunderschöner Dummkopf. Noch mehr als vorher, da ich mich jetzt an das erinnere, was ich mit dir zusammen erlebt habe, bevor ich verschwand. Wir waren prima Kameraden und ich konnte mich stets auf dich verlassen. Du weinst ja. Wie ungewöhnlich, das kenne ich gar nicht von dir. Habe ich dich so sehr erschreckt? Bitte verzeih mir, mein Liebster."

„Ich dachte, ich hätte dich verloren!!", schluchzte Zane und grub seine Finger in die geschmeidigen Schultern. Er hatte noch nie in seinem Leben vor jemandem geweint, außer vielleicht vor seiner Mutter, als er ein Kind war. „Der Gedanke war einfach unerträglich! Ich wollte es dir doch sagen....ich wollte dir sagen....dass ich dich liebe...."

Atticus packte ihn an den Oberarmen und sah ihm direkt in die Augen. Er las die Aufrichtigkeit seiner Gefühle darin und eine Welle des Glücks sprudelte in ihm nach oben. Er vergaß alles um sich herum, beugte sich hinunter und küsste diese sinnlichen, weichen Lippen. Zane, überrumpelt von dieser Aktion wie schon bei ihrem ersten Kuss, konnte nichts anderes tun als sich ergeben. Eine sanfte Zunge bat um Einlass und er gewährte ihn, ohne lange zu überlegen. Die beiden Zungen tanzten verführerisch miteinander und weckten in den jungen Männern eine herrliche, köstliche Erregung, die ihre Herzen singen und jubilieren ließ. Nur zögernd trennten sie sich, äußerst enttäuscht darüber, dass Menschen atmen mussten. Als ihre Freunde begeistert applaudierten, um das neue Paar zu beglückwünschen, errötete es sichtbar.

„Hat ja lange genug gedauert", kommentierte Syrus grinsend. Auch er war froh, dass alles so gut ausgegangen war. War es das? Natürlich, der Schattenreiter war tot und die sieben Schlüssel befanden sich vorläufig wieder in Sicherheit. Aber nach Titans eindringlichen Worten konnten sie keine Zweifel mehr hegen. Man hatte ihnen nicht die Wahrheit gesagt....
 

Im Schloss der Obelisk Blue war Ruhe eingekehrt. Der Unterricht war vorüber und die Schüler konnten bis zur offiziellen Nachtzeit, ab der sie in ihren Zimmern zu sein hatten, das Freizeitangebot des angeblich obersten Ranges der Akademie nutzen, denn die blaue Unterkunft verfügte über einen Erholungsbereich für die Studenten (wobei erwähnt werden sollte, dass sich die Nachtzeit nach dem Status des Hauses richtete - der „Zapfenstreich" für die Obelisk Blue war zehn Uhr, worum sie von den meisten anderen weniger hochstehenden Schülern sehr beneidet wurden, von denen die Slifers das Pech hatten, schon um Viertel nach acht im Zimmer hocken zu müssen). Auch Abidos Aristides genoss die Vorzüge, die seine entsprechende Uniform ihm verschaffte. Im Augenblick hielt er sich in der hauseigenen Sporthalle unter dem Dach eines der Türme auf und übte sich im Bogenschießen, traditionell gekleidet in hakama, den japanischen Hosenrock, und den Überwurf namens haori. Er war allein und so blieb es nicht aus, dass er den Besucher bemerkte, der zur Tür hereinkam.

„Wie geht es Euch, Euer Hoheit?"

„Titan ist erloschen. Ich habe es gespürt. Seid Ihr deswegen hier, mein Anführer?"

Professor Banner, zu dessen Füßen Pharao miaute, schüttelte den Kopf. „Nein, nicht deswegen. Ich bin besorgt. Mr. Sheppard ist verschwunden und ich weiß nicht, wohin. Uns läuft die Zeit davon, mein Prinz. Wir müssen die Schlüssel unbedingt für uns erobern! Verflucht sei das göttliche Gesetz, das vor die Herausgabe der Schlüssel ein Duell auf Leben und Tod stellt! In Anbetracht ihrer tatsächlichen Schutzbefohlenen ist es nachzuvollziehen, aber es verkompliziert die Angelegenheit auf so grausame Weise! Die Anubiskrieger wissen jetzt, dass der Kanzler sie belogen hat, aber das Ausmaß des Betruges kennen sie nicht."

„Eigentlich hat der Kanzler sie nicht belogen...."

„Ja, weil es nicht der Kanzler war....übrigens, Hoheit?"

Ein Pfeil sirrte von der Sehne und bohrte sich in die Zielscheibe. „Was ist?"

„Ich habe den Eindruck, dass Ihr Euch bei Jaden und Chazz einmischen wollt. Ich begreife Euch durchaus, aber ich gebe Euch einen guten Rat: Haltet Euch raus!"

Abidos antwortete nicht.

Die Rückkehr des Prinzen

Jetzt habe ich endlich daran gedacht, das neue Kapitel on zu stellen! Ich bin so langsam....*seufz* Na egal, ich wünsche Euch viel Spaß beim Lesen!^^
 

Kapitel 20: Die Rückkehr des Prinzen
 

Es war halb elf Uhr nachts. Die Schüler der Duellakademie lagen alle in tiefem Schlaf - alle bis auf einen: Bastion. Der Schwarzhaarige, den seine Theorie von Pharao Tutangaton als zweifelhafter Persönlichkeit nicht mehr los ließ, versuchte angestrengt, eine Lösung zu finden, die sämtliche Fragen beantwortete und zugleich zu der Prophezeiung passte. Leider kam er nicht recht vorwärts. Die beiden Schriftrollen waren über seinen Schreibtisch ausgebreitet, mehrere dicke Wälzer aus der Bibliothek, die sich mit Mystik und Okkultismus beschäftigten, erhoben sich als Gebirge im Kleinformat aus einem Wirrwarr von Papieren, die mit Hypothesen, Mutmaßungen und sonstigen Gedankenspielereien zugekleistert waren. Bastion selbst war ebenfalls weit davon entfernt, den üblichen diszipliniert-ordentlichen Anblick zu bieten. Das Gel hatte er aus seinen Haaren gewaschen, sodass sie bis knapp unter sein Kinn fielen, die Pyjamabeine waren hochgekrempelt, das Hemd offen und zerknittert. Im rechten Mundwinkel klemmte ein Bleistift.

„Das ist vielleicht eine Scheiße....", murmelte Bastion, seine stilistisch normalerweise höherstehende Sprache für eine Weile vergessend (er war Professorensohn und als solcher pflegte er sich gewählter auszudrücken als der Durchschnittsduellant).

»Nichts will hier zusammenpassen! Wenn Tutangaton die Macht der drei ägyptischen Göttermonster nicht nutzen konnte und sich deshalb den Heiligen Ungeheuern zuwandte, muss es einen Grund dafür geben, warum er die Kraft des Lichts nicht gebrauchen konnte, obwohl er Pharao war. Schließlich läuft nicht jeder gleich zur Finsternis über, nur weil ihm gerade danach ist! Chick hat uns verraten, dass unsere Schlüssel ursprünglich Götter und keine Monster beschützten....was also bedeutet, dass es die Aufgabe der sieben Schlüssel gewesen sein muss, Ra, Slifer und Obelisk zu bewachen. Das wäre zumindest logisch, denn wenn die Heiligen Ungeheuer wirklich die Dunkelheit verkörpern, würde keiner sie behüten wollen, sondern danach streben, sie zu vernichten! Außer Tutangaton natürlich....aber warum, warum?! Er war doch schließlich der Pharao, daran kann ich mich genau erinnern! Und meine Freunde und ich haben ihm treu gedient! Wie kann sich etwas, das damals richtig und gut war, plötzlich so falsch anfühlen?! Es sei denn....«

Er hielt inne, warf den Bleistift verärgert auf ein Blatt Papier und nahm einen Schluck Mineralwasser aus der Flasche, die griffbereit auf dem Schreibtisch stand.

»....es sei denn....die Warnung vor dem ‚unehrlichen Spiel‘ und den ‚falschen Zungen‘ betrifft nicht nur die Gegenwart. Was wäre, wenn man uns schon in unserem früheren Leben belogen hätte? So abwegig ist dieser Gedanke gar nicht. Titan hat behauptet, man würde uns wie Werkzeuge benutzen. Das könnte vor viertausend Jahren genauso gewesen sein, ohne dass wir es wussten. Waren wir, die Krieger des Anubis, nichts weiter als die ahnungslosen Figuren innerhalb eines Ränkespielchens, das dem Pharao die Macht erhalten sollte?«

Er dachte an all die Ungereimtheiten, die ihnen bisher begegnet waren und als der methodische Mensch, der er war, begann er, eine sorgfältige Liste zusammenzustellen.
 

1. Taniyas Worte, als sie Jaden dazu aufforderte, die Regeln eines Duells der Schatten zu befolgen und sie zu töten: „Sei, was du bist."

2. Das seltsame Verhalten des Katers Pharao, das menschenähnliche Züge aufweist und der irgendwie in die Sache verwickelt zu sein scheint.

3. Don Zaloogs Behauptung: „Wir sind von der gleichen Art."

4. Der Inhalt der Prophezeiung, insbesondere der letzte Satz: „Um zu erkennen, ist eines vonnöten: Der Schakal ist ein Jäger. Ein Jäger muss töten."

5. Das Verschwinden von Mr. Sheppard (Wer ist er in Wirklichkeit? Warum hat er uns nicht die Wahrheit gesagt? Könnte er Onuris sein, der uns als unser Feind genannt wurde? Ist Onuris tatsächlich unser Feind? In meiner Erinnerung, ja. Aber wenn wir bereits damals getäuscht worden sind, könnte meine Erinnerung auf einem Irrglauben basieren und wäre als Beweis hinfällig).

6. Das Erscheinen des Fremden „Amnael", der erklärte, Mr. Sheppard sei nicht der, für den er sich ausgibt. Wahre Natur „Amnaels": unbekannt. Geist, reale Person, Schattenreiter?

7. Titans letzte Worte: „Wenn die Heiligen Ungeheuer befreit werden, ohne mit dem Licht vereint zu werden, wird der Tyrann zurückkehren und diese Welt knechten! Öffnet endlich eure Augen! Habt ihr noch nicht erkannt, dass eure Treue dem Falschen gilt?! Ihr seid nur Spielsteine in einer jahrhundertealten Auseinandersetzung! Man benutzt euch wie Werkzeuge! Sprecht mit Amnael, ihm könnt ihr vertrauen!" Erneuter Hinweis auf Amnael. Wo ist er zu suchen? Was könnte er uns mitteilen? Weitere unklare Fragen: Befreiung der Heiligen Ungeheuer ohne Vereinigung mit dem Licht soll zur Katastrophe führen. Was heißt das? Welcher Tyrann wird zurückkehren? Onuris? Tutangaton?
 

Den Namen des Königs fügte Bastion mit einem gewissen Zögern hinzu. Die uralte Loyalität, die in seinem Herzen wiedererwacht war, erschwerte es ihm, die Dinge unter diesen neuen und beängstigenden Gesichtspunkten zu betrachten. Aber die Tatsachen blieben. Schwarz war die Kennfarbe der Anubis Black. Ihr Umgang mit Waffen war hervorragend. Sie konnten töten.

„Um zu erkennen, ist eines vonnöten: Der Schakal ist ein Jäger. Ein Jäger muss töten."

Das klang zwar radikal, ließ sich aber nicht absprechen. Ein Jäger, der jagt, ohne Beute zu machen, also ein Jäger, der nicht tötet, hat sein eigentliches Ziel verfehlt. Natürlich tötet ein guter Jäger nur das, was er braucht....doch Blut muss und wird fließen, so oder so. War das.... konnte das....ihre wahre Aufgabe gewesen sein?! Ein eisiger Schauer überlief ihn, alles in ihm verkrampfte sich. Ausgeschlossen! Niemand konnte so bösartig sein, junge Menschen für etwas Derartiges zu missbrauchen! Oder doch? Titans Worte dröhnten in seinen Ohren wie ein vielfaches Echo: „Ihr seid nur Spielsteine in einer jahrhundertealten Auseinandersetzung! Man benutzt euch wie Werkzeuge!"

Ihr seid nur Spielsteine....!

Man benutzt euch....!

Er bedeckte sein Gesicht mit der Hand und atmete tief durch. Seine Vermutung war logisch, aber nichtsdestotrotz sträubte er sich dagegen. Wenn er recht hatte, würde das den Spieß mit einem einzigen Schlag umdrehen....er musste sich täuschen....Verdammt! Was, wenn nicht?

Ein Kratzen an seiner Zimmertür ließ ihn aufschrecken. Misstrauisch angelte er nach seinem Krummschwert und öffnete mit beachtlichem Schwung, um den vermeintlichen Besucher zu irritieren. Er vernahm ein empörtes „Miau!" und stutzte. Zu seinen Füßen hockte Pharao und betrachtete ihn mit seinen ungewöhnlich intelligenten Augen. Er zerrte ungeduldig an Bastions Pyjamabein und wies mit einer Pfote hinaus in den Korridor.

„Soll ich dir folgen? Gut, ich komme." Rasch zog er sich Socken und feste Schuhe an, schlüpfte in seinen Morgenmantel und eilte dem Kater hinterdrein. Es war ihm etwas mulmig zumute, als sich der Trophäenschrank wieder an seine ursprüngliche Position schob, um den geheimen Eingang zu der Anubis-Black-Unterkunft zu verschließen, denn die Akademie war dunkel und beängstigend still, jeder Flur schien einem finsteren Tunnel zu gleichen. Plötzlich erstrahlte ein helles Licht - es war der Schlüssel des Ewigen Friedens, den Bastion nie abzulegen pflegte. Der Lichtschein verwandelte sich in einen dünnen Strahl und wies ihm den Weg, während Pharao voran marschierte. Er führte den Sechzehnjährigen zu Computerraum 1, wo er ihn an einen der Rechner dirigierte. Auf dem Bildschirm prangten die Konterfeis sämtlicher Lehrkräfte der Schule, auch das von Mr. Sheppard.

„Das ist die Lehrerdatenbank. Da haben folglich auch nur Lehrer Zugang, außerdem ist sie zusätzlich durch ein Passwort geschützt. Diese Seite kann also nur ein Lehrer aufgerufen haben. Woher wusstest du das, Pharao? Hast du eine Ahnung, wer es gewesen sein könnte? Und was soll ich überhaupt hier?"

Der Kater sprang auf den Stuhl, von dort auf den Tisch und deutete auf das Bild des Kanzlers. Bastion setzte sich und klickte es an. Ein Steckbrief erschien vor ihm, mit ein paar persönlichen Daten wie etwa Geburtstag und Blutgruppe, dazu ein kurzer biographischer Abriss. Nichts, das einen sonderlich überraschte. Am interessantesten versprachen die Fotos zu sein, die im Text des Curriculum vitae in Klammern angegeben waren und die man ebenfalls anklicken konnte. Da Pharao vehement auf einem ganz bestimmten Link bestand, was er durch verstärktes Miauen zum Ausdruck brachte, gehorchte der Schwarzhaarige - und erstarrte. Das Gesicht eines Mannes begrüßte ihn, das dem des Direktors nicht unähnlich war, obwohl der Bart fehlte und er offensichtlich weniger korpulent war.

„Mein Bruder Gabriel" hieß es darunter. Er lächelte freundlich in die Kamera und in Bastions Erinnerungen an die Vergangenheit flammte dieses Lächeln urplötzlich auf wie eine Fackel. Natürlich! Wie hatte er das vergessen können! Diese sanften Augen....die markante Nase und das kräftige Kinn....fast wie Mr. Sheppard, aber doch nicht genau so....Onuris! ONURIS!! Gabriel Sheppard, der Bruder des Kanzlers - die Reinkarnation von Onuris?! Er wich zurück, bestürzt, verstört, und bemerkte deshalb die Gestalt nicht, die leise den Raum betrat. Die Theorien in seinem Kopf verschwammen ineinander. Wenn nicht Mr. Sheppard selbst Onuris war, wie bisher angenommen, warum war er dann verschwunden? Und wenn sein Bruder die Wiedergeburt ihres Feindes war, weshalb hatten sie ihn dann noch nie hier gesehen? Kontrollierte er das ganze Geschehen aus sicherer Entfernung? Oder schlimmer noch....hatte er gar nichts damit zu tun? War es in Wirklichkeit Tutangaton, den sie fürchten mussten? Tutangaton, der im Jahr des Schakals König von Ägypten geworden war? Tutangaton, der die Schakale....der die Jäger um sich geschart hatte?

„Guten Abend, Misawa-kun."

Er schoss herum und erkannte Professor Banner. „Sie?!", stieß er fassungslos hervor. Der Dozent nickte leicht und streichelte Pharao über das getigerte Fell.

„Ja. Ich."
 

Der nächste Morgen brach an. Jaden hatte nicht das Bedürfnis, aufzustehen und in die Acht-Uhr-Vorlesung zu schleichen, aber nachdem Chazz ihm versprochen hatte, ihm um seiner Noten willen seine bisherigen Mitschriften zum Kopieren zu geben, musste er wohl oder übel sein warmes Bett verlassen. Er duschte ausgiebig, zog sich seine Uniform an und betrat den Gemeinschaftsraum, wo alle anderen bereits auf ihn warteten - wie sonst auch. Aber eines war ganz und gar nicht wie sonst auch: Er vermisste jemanden in ihrer Runde.

„He, wo ist Bastion? Ist er schon vorgegangen?"

„Nein", erwiderte der Hüter des Sechsten Tores und sein Gesicht drückte Besorgnis aus. „Er ist nicht in seinem Zimmer, er hat nicht einmal seine Bücher und Papiere, die noch auf dem Schreibtisch liegen, aufgeräumt. Und das ist für Bastion mit seiner außerordentlichen Vorliebe für Ordnung ziemlich ungewöhnlich." Er schwieg. Seit dieses Abenteuer begonnen hatte, war der Schwarzhaarige immer als Ratgeber an seiner Seite gewesen und hatte sich wie ein älterer Bruder zu ihm verhalten, sodass Chazz eine etwas tiefere Bindung zu ihm entwickelt hatte, er, der trotz blutsverwandter Geschwister nie das kennen gelernt hatte, was man sich unter einem echten Bruder vorstellte. Daher beunruhigte ihn seine ungeklärte Abwesenheit.

„Na großartig....erst Mr. Sheppard und jetzt Bastion! Hat jemand von euch nach der Vorlesung eine Freistunde? Dann können wir nachsehen, ob er in der Trainingsanlage ist....und wenn nicht, suchen wir ihn eben woanders. Ich kann schließlich nicht zulassen, dass sich meine Gefolgsleute einfach so in Luft auflösen!", fügte er grinsend hinzu, um die ernste Stimmung ein wenig aufzulockern. Sein koibito, Syrus und Alexis meldeten sich, Zane und Atticus hatten ein Seminar mit Anwesenheitspflicht und mussten sich entschuldigen. So bestand der Suchtrupp eineinhalb Stunden später aus drei Mann und einer Frau, die in der unterirdischen Trainingsanlage zunächst nicht fündig wurden und danach das komplette Akademiegelände systematisch auseinander pflückten. Das Endergebnis fiel nicht sehr ermutigend aus - ihr Kamerad blieb verschollen. Inzwischen war es Nachmittag und dem Team hing der Magen gemeinschaftlich in den Kniekehlen. Daher kehrten sie unverrichteter Dinge zurück ins Schulgebäude und ließen sich in der Mensa mit ein paar Extraportionen versorgen. Die Wächter des Ersten und Dritten Tores, deren Stundenplan für den heutigen Tag erledigt war, gesellten sich zu ihnen und erkundigten sich nach ihren Fortschritten.

„Nichts", entgegnete das Mädchen missmutig und schaufelte eine uncharakteristisch riesige Menge gebratene Nudeln in ihren Mund, kaute mit vollen Backen und schluckte. „Er ist verschwunden, genauso plötzlich wie der Direktor! Kein Hinweis, kein Zettel, keine noch so kleine Spur, die uns helfen könnte! Es ist wie verhext! Wir haben die ganze DA umgekrempelt und nichts gefunden! Das kann doch nicht so bleiben!"

„Ich habe mir in der Mittagspause die Aufzeichnungen auf seinem Schreibtisch angesehen", ließ sich der Grünhaarige vernehmen und alle Blicke wandten sich ihm zu. „Es hat den Anschein, als hätte er einen Funken der Wahrheit entdeckt. Seht euch diese Liste an, die er angefertigt hat" - er legte das Papier mit den sieben Punkten auf den Tisch -, „....sämtliche Ungereimtheiten dieser rätselhaften Geschichte, er hat keine vergessen. Und dann dieses Blatt, auf dem er seine Vermutungen und Theorien notiert hat. Viele davon sind bloße Gedankenspielereien, wie sie für Bastion typisch sind, aber diese Randbemerkung über den letzten Satz der Prophezeiung und dass es die Pflicht eines Jägers sei, zu jagen und zu töten, ist sehr....erschreckend. Er hat es dreimal unterstrichen. Was glaubte er? Was hat er erraten oder gewusst?"

„Du denkst, dass er deswegen verschwunden ist, Onii-san?"

„Ja, Syrus. Eine andere Erklärung will mir nicht einleuchten. Immerhin steht fest, dass die Schattenreiter mehr wissen als wir."
 

„In der Tat." Der junge Anführer erhob sich von seinem Platz und verschränkte die Arme. Er war verunsichert und mehr als verwirrt. Wie sollte er sich verhalten, welche Entscheidungen treffen, um die Fäden dieser Angelegenheit zu entwirren? Ihm gefiel dieses zweifelnde Gefühl nicht im geringsten, denn es war neu und unerfreulich für ihn.

»Irgendetwas stinkt hier bis zum Himmel....!«

Er seufzte, als er bemerkte, dass Abidos, der in einiger Entfernung zu ihrem Tisch einen Kuchen verspeist hatte, sich erhob und auf sie zukam. Jadens Herz begann heftig zu klopfen. Verdammt! Was war nur los mit ihm?! Er mochte den Gastschüler aus Luxor, obwohl er sich den Ursprung dieser Zuneigung nicht erklären konnte, und seine Befangenheit irritierte ihn. Er liebte Chazz. Warum schlug ihm dann das Herz höher, sobald Abidos auf der Bildfläche erschien?

„Ich sehe, dass ihr heute nur zu sechst seid. Wo ist Misawa-kun?"

„Eben das wissen wir nicht. Wir haben die Schule umgegraben, aber er ist nicht wieder aufgetaucht. Warum fragst du?"

„Weil ich euch vielleicht helfen kann.", erwiderte der Ägypter mit einem geheimnisvollen Lächeln, das ein verführerisches Funkeln in seine blauen Augen zauberte. Sein Gegenüber errötete unweigerlich und die Miene von Mr. Princeton glich plötzlich der eines angriffsbereiten Tigers. Wieso hatte dieser geschniegelte Schönling so eine Wirkung auf seinen Freund?!

»Wie mich das ankotzt! Dieser dahergelaufene Trottel soll sich gefälligst von meinem Jay fernhalten! Aber warum muss er auch so verlegen sein, als hätte er was für ihn übrig?! Ich verstehe das nicht. Er kennt ihn doch überhaupt nicht! Ich weiß, dass ich ihm vertrauen sollte, aber meine....meine Eifersucht ist stärker. Ich habe so lange dafür gebraucht, meine Gefühle zu begreifen und zu akzeptieren und jetzt mischt sich dieser Aristides ein, als hätte er irgendwelche Rechte! Ich werde ihm Jaden nicht kampflos überlassen, das steht fest!«

„Ich bezweifle, dass du uns helfen kannst."

„Oh, nur nicht so voreilig. Ich weiß weit mehr über euch, als ihr ahnt, Krieger des Anubis. Du wärst überrascht, Yuki-kun. Oder wäre es dir lieber, ich würde ‚Kail‘ zu dir sagen?"

Fassungsloses Schweigen. Sie starrten ihn an, als wäre soeben ein Blitz in ihrer Mitte eingeschlagen. Sein Lächeln vertiefte sich, er straffte sich, seine Haltung bekam plötzlich etwas unleugbar Majestätisches.

„Woher....woher weißt du das? Wer bist du wirklich?"

„Erinnert sich keiner von euch mehr an mich? Schade. Aber angesichts meines modernen Aufzugs ist es nachzuvollziehen....ihr seid es nicht gewöhnt, mich so schlicht gekleidet zu sehen. Da kann ich Abhilfe schaffen - und ich kann euch zu eurem Freund bringen, wenn ihr das wünscht. Sorgt euch nicht. Es geht ihm gut....den Umständen entsprechend."

„Was soll das heißen?!", fauchte Chazz ungehalten, dessen Laune ohnehin heute nicht die beste war und den diese Geheimniskrämerei zu nerven anfing.

„Das soll heißen, dass er die Wahrheit herausgefunden hat, beziehungsweise gerade damit beschäftigt war, als mein Anführer ihn aufsuchte. Wir haben seine Fragen beantwortet und er muss das Ganze jetzt erst einmal verarbeiten. Wenn ihr mich begleiten wollt...." Er streckte Jaden in einer eleganten Geste die Hand hin.

„Die Wahrheit? Er weiß also....alles? Und wen meinst du mit deinem Anführer?"

„Ihr werdet es erfahren, wenn ihr mir folgt."

Die sechs Anubis Black tauschten untereinander auffordernde Blicke und nickten sich gegenseitig zu. Sie bedurften keiner Worte - nicht nach all den Kämpfen, die sie gemeinsam durchgestanden hatten. Eine schweigende Prozession, Abidos vorneweg, verließ die Mensa und schließlich das Schulgebäude, marschierte durch den Wald und gelangte bis zum See, unter dem sich das Trainingsgelände befand.

„Was sollen wir hier? Hier war Bastion doch auch nicht!"

„Nicht so ungeduldig, Shezar." Bei dieser Anrede zuckte der Dunkelblauhaarige leicht zusammen. „Er ist hier, auch wenn ihr ihn noch nicht sehen könnt." Er hob seine Arme gen Himmel und sagte auf Ägyptisch: „Königliche Barke, die du die Fluten des Nils bezwungen hast, erscheine vor mir! Dein Herr ruft dich!"
 

Das wolkenlose Blau riss auf und formte eine Art Tor, durch das sich langsam ein Gefährt schob, das herniederschwebte und auf dem Wasser aufsetzte. Es handelte sich tatsächlich um eine Barke, ein prachtvolles Kunstwerk aus blinkendem Gold und satten Farben; in der Mitte thronte ein ebenfalls goldener Baldachin, der mit azurblauem Tuch überspannt war. Darunter stand ein goldener Stuhl, die übrigen Sitzgelegenheiten bildeten große Kissen, die man im Halbkreis um den Stuhl herum angeordnet hatte. Auf einem dieser Kissen hatte Bastion Platz genommen, er sah ernst und betroffen aus. Als er seine Freunde bemerkte, erhob er sich und zwang sich zu einem Begrüßungslächeln. Zwei Diener vertäuten die Barke am Ufer und legten einen Steg aus, damit die „Gäste" an Bord kommen konnten. Das Dimensionstor schloss sich wieder. „Ich danke Euch, dass Ihr sie hergebracht habt.", erklang eine vertraute Stimme und hinter dem ausladenden Baldachin trat Professor Banner hervor, seinen Kater zwischen den Armen, offenbar so vergnügt wie immer.

„Ich habe nur getan, worum Ihr mich gebeten habt, mein Anführer.", erwiderte Abidos und deutete eine knappe Verbeugung an.

„Was?! Sie sind sein Anführer?! Aber wie kann das sein!? Sie sind Lehrer an der Akademie! Sie haben doch überhaupt nichts mit dieser Sache zu tun!"

„Das ist so nicht ganz korrekt, Atticus. Hast du vergessen, dass ich es war, der dich vor einem Schuljahr zur verlassenen Unterkunft schickte, wo die Schattenreiter deiner habhaft wurden?"

„Was....sagen....Sie da....?"

„Das war ein notwendiger Schritt, auch wenn ich es bedaure, dir eine solche Last aufgebürdet zu haben. Camilla war ein Vampir, sie konnte die Jahrtausende überleben, die nach unserem Fall kamen. Taniyas Seele wurde in einer Raubkatze wiedergeboren, die durch die Macht ihres Schattentalismans eine menschliche Gestalt erhielt. Don Zaloog und die Schwarzen Skorpione wurden aus Sand erschaffen. Titan war ein Dämon, und wie Vampire sind auch sie unsterblich, sofern es ihr Alter angeht. Abidos und ich sind echte Reinkarnationen, so wie ihr. Nur Darkness, dessen Körper damals zerstört wurde und dessen Seele sich in seinen Talisman flüchtete, blieb es verwehrt, wiederzukehren. Eine Seele muss sterben, bevor sie in einer neuen Form entstehen kann, aber er wählte den schweren Weg - das Warten. Für unseren Kampf in der Gegenwart benötigte er jedoch einen Körper....also bediente ich mich deiner erwachenden Kraft als Krieger des Anubis, um dem Ersten Schattenreiter sein Leben zurückzugeben."

Niemand antwortete. Es blieb still.
 

„Ich schickte dich unter einem Vorwand zur verlassenen Unterkunft, wo sich Titan um dich kümmern sollte. Seinem ersten Angriff hast du widerstanden, sein Schwarzes Sekret konnte dich nicht sofort überwältigen. Kein Wunder. Du warst dabei, zu erwachen. Diese eine gefährliche Situation genügte bei dir, um Reflexe aus deiner Vergangenheit auszulösen. Dein Schlüssel war und ist der Schlüssel des Kampfes. Es war unbedacht von mir, dies nicht zu berücksichtigen. Mir hätte klar sein müssen, dass gerade dein Unterbewusstsein praktisch sofort auf die Bedrohung reagieren würde. Du warst damals ein Krieger durch und durch, Spross einer Soldatenfamilie, ein Schwertmeister....als du dich gegen Titan wehrtest, lief dein Körper wie auf Autopilot. Nur mit Mühe konnte er dich bezwingen. Er raubte dir die Erinnerungen deiner modernen Existenz und Darkness‘ Seele ging auf dich über. Ich hatte ursprünglich geplant, dich als Spion einzusetzen, um die Anubis Black zu infiltrieren, doch unglücklicherweise hattest du dir Jaden als ersten Gegner in den Kopf gesetzt. Ich wusste, du würdest dieses Duell nicht gewinnen. Damit war mein Plan hinfällig und die erste Partie für uns verloren."

Professor Banner wies beiläufig auf die Kissen und seine Schüler setzten sich mechanisch, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Atticus war blass geworden, seine Hände hatten sich verkrampft.

„Warum ich?", presste er hervor, die Lippen fast weiß. „Wieso haben Sie mir das angetan? Wäre ein anderer nicht genauso gut gewesen als Gefäß für Darkness‘ Seele? Warum haben Sie ausgerechnet mich zu einem der Schattenreiter gemacht?"

„Weil du zu diesem Zeitpunkt unser einziges Risiko warst. Natürlich war auch Zane bereits Student an der Akademie, aber er war für die uralten Magien, die sich hier konzentrieren, völlig unempfindlich. Er hat das Gespür erst sehr viel später entwickelt. Außerdem ist er nicht neugierig und behält gewisse Dinge lieber für sich. Wenn du uns entkommen wärst, hättest du Kanzler Sheppard informiert - und er hätte dir geglaubt. Die Schattenreiter wären entlarvt gewesen, und das durfte nicht geschehen. Was die übrigen Mitglieder der Anubis Black betrifft, so gingen sie damals noch nicht auf diese Schule. Deine Schwester und Chazz folgten im Winterhalbjahr, Jaden, Syrus und Bastion im Sommerhalbjahr. Und ab da nahm die Geschichte ihren Anfang...."

„Sie sind demnach auch einer von ihnen, ja?", fragte Zane kühl. „Sie sind ein Schattenreiter?"

„Warum so feindselig, Anares?" mischte sich Abidos ein, der hoheitsvoll an den Kämpfern vorbei schritt und sich auf dem goldenen Stuhl niederließ. „Du urteilst, obwohl du die Wahrheit nicht kennst. Du glaubst, bewerten zu dürfen, obwohl du es bist, der getäuscht wurde. Nicht euch hat der Feind zu sich eingeladen, sondern wir den Feind. Du wolltest wissen, wer ich wirklich bin, Kail. Nun denn....ihr sollt es erfahren!"

Er spreizte Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand ab und beschrieb damit einen Bogen um seine Stirn. Lichtfunken folgten dieser Spur und verwandelten sich nach und nach in einen Goldreif, von dem sich ein Strahlen ausbreitete, das den gesamten Körper des jungen Mannes einhüllte. Als das Leuchten verschwand, trug er das Gewand und den Schmuck eines Pharaos, die Ohrringe hatten die Form von Ankh-Symbolen.

„Darf ich mich vorstellen: Ich bin Seine Königliche Hoheit Prinz Abidos, Sohn von Pharao Tutangaton und sechstes Mitglied der Schattenreiter."
 

Seine Erscheinung weckte noch verschüttete Erinnerungen in seinen Zuhörern, Bilder wirbelten durch ihre Köpfe und verknüpften unterschiedlichste Gefühle damit. Chazz spürte Schmerz, Neid und Eifersucht, Alexis verband Respekt mit ihm, ebenso wie ihr Bruder und die beiden Truesdale-Geschwister, wobei sich ihnen allerdings auch ein Eindruck von Misstrauen und Zweifel aufdrängte....ob der ungeklärten Frage, was den Sohn des Königs dazu veranlasst haben mochte, freiwillig auf Onuris‘ Seite zu wechseln. Jaden hingegen wurde förmlich überrollt von einer Flut aus Zuneigung, Freundschaft, Wärme und Geborgenheit, und obgleich ihn Unverständnis und Verwirrung nicht weniger bestürmten als seine Kameraden, erfüllten ihn seine Erinnerungen mit einer beinah an Liebe grenzenden Freude. Abidos näherte sich ihm, ergriff seine Hände und zog ihn zu sich herauf. Ihre Augen trafen sich und verschmolzen miteinander. Zögernd, errötend, stammelte der Braunhaarige: „Euer Hoheit....wie konnte ich Euch nicht erkennen? Ihr....ich....wir....wir waren damals ein Liebespaar, wenn ich nicht irre?"

„Du irrst dich nicht, mein Schöner. Zum Zeichen unserer Liebe gab ich dir nach unserer ersten gemeinsamen Nacht einen meiner Ohrringe, den du mit Stolz und Würde getragen hast. Ich habe dich nie vergessen, Kail. Du gehörst nicht zu den Männern, die man vergisst."

Dass er so freimütig über ihre erste Nacht sprach, beschämte den Sechzehnjährigen, zumal sich die Begeisterung darüber bei einem gewissen Jemand extrem in Grenzen hielt. Jaden hatte die Gefühle in diesen saphirblauen Tiefen nur zu deutlich entschlüsseln können, und seine eigene Reaktion auf die wahre Identität des Gastschülers bestürzte ihn. Vor viertausend Jahren hatte er den Prinzen tatsächlich geliebt, davon überzeugten ihn die unterschwelligen Emotionen, die in seinem Herzen von Beginn an vorhanden gewesen waren - doch jetzt, in der Gegenwart? Glaubte Abidos ernsthaft, dass es nun wieder so sein würde wie früher?

„Das ehrt mich sehr, aber Ihr selbst seid aus freien Stücken ein Krieger im Dienste von Onuris geworden, ohne mir Eure Gründe zu nennen. Ich verstand Euch nicht! Euer Verrat verletzte mich! Wieso habt Ihr Euch für einen falschen Weg entschieden?"

„Weil es der richtige Weg war."

Die Überraschung in den Zügen seines Gegenübers sprach Bände. Der Prinz wandte sich um und nahm wieder seinen Platz auf dem goldenen Stuhl ein, während Professor Banner seinen Kater absetzte und die sonst geschlossenen Augen aufschlug. Das liebenswürdige Lächeln erlosch, als hätte sich eine Wolke darüber gelegt, sein Gesicht glich einer starren Maske. Er schnippte mit den Fingern, ein schwarzer Strudel verschluckte ihn kurz, dann war auch seine Verwandlung beendet: Er trug nun eine Rüstung mit Umhang, die Augen waren golden, das lange Haar silberweiß.

„Ich war einst Hofmagier und Alchemist von Pharao Tutangaton. Ich bin der Anführer der Sieben Schattenreiter. Mein Name ist Amnael."

„Sie sind Amnael?! Derjenige, der uns gewarnt hat? Dem wir vertrauen sollen, wie Titan sagte?", ereiferte sich der Wächter des Ersten Tores. „Aber....aber wenn Sie der Anführer der Schattenreiter sind, wie kann er da erwarten, dass wir Ihnen trauen? Warum haben Sie uns überhaupt zu helfen versucht?"

„Ich durfte nicht zu offensichtlich vorgehen, das hätte mich den Kopf kosten können. Aber ich sandte Pharao zu euch, spielte Jaden den Plan zu, mit dem er die Trainingsanlage und somit die Fortsetzung der Prophezeiung finden konnte und teilte euch mit, dass Mr. Sheppard nicht der ist, für den er sich ausgibt."
 

„So wie Sie, ja?" rief Alexis und sprang auf. „Sie haben meinen Bruder als Gefäß für die Seele Ihres Mitstreiters missbraucht, uns schamlos belogen und erwarten jetzt, dass wir Ihnen zuhören und Ihre albernen Rechtfertigungen glauben?!"

„Nein. Ich verstehe deine Entrüstung, Nefretaria, doch du akzeptierst ohne Beweise immer noch das, was ‚Kanzler Sheppard‘ euch zu Beginn dieses Abenteuers erzählt hat. Du hältst Seine Hoheit und mich für die Vertreter des Bösen, nicht wahr? Dabei ist er der Sohn des Mannes, dem du damals so treu und aufrichtig gedient hast."

„Ich habe Seine Hoheit respektiert, aber sein Verrat war eine Schande! Wie konnte er es wagen, dem König den Rücken zu kehren und sich seinem Widersacher anzuschließen?! Don Zaloog, einer seiner ‚Kameraden‘, hat Kail getötet, seinen Geliebten! Hat Euch das nicht gekümmert?!", stieß sie hervor, fixierte den Prinzen direkt und spuckte aus. „Ihr habt uns alle schwer enttäuscht, am meisten Euren Liebsten, der sein Leben für Euch gegeben hätte! Ich begreife es einfach nicht! Ihr wart ein ehrlicher, gutherziger Mensch! Wie konntet Ihr so....so verwerflich handeln?!"

„Sie hat recht", meinte Syrus plötzlich und stand ebenfalls auf. „Wir haben Euch für unseren Freund gehalten und Kail liebte Euch! Wie konntet Ihr das alles wegen Onuris in den Schmutz treten!? Er war ein Intrigant, der...."

„SCHLUSS JETZT!!!"

Eine Schwertklinge donnerte in die Bodendielen des Schiffes und hinterließ eine Kerbe. Bastion zog seine Waffe aus dieser Kerbe und postierte sich in Angriffsstellung vor seinen verblüfften Freunden. „Was nützt es uns, Beschuldigungen hin und her zu schleudern? Ihr habt selbst längst erkannt, dass an dieser Sache irgendetwas nicht stimmt! Es existieren zu viele Fragen, zu viele Ungereimtheiten, zu viele unbefriedigende Antworten! Amnael hat mich in den vergangenen Stunden über die Zusammenhänge aufgeklärt...."

„Und du glaubst ihm?!"

„Ja, Chazz. Weil seine Version der Geschehnisse in sich schlüssig ist und Hintergründe beleuchtet, die uns vor viertausend Jahren genauso fremd waren wie heute. Man hat uns benutzt, und Menschen, die man benutzt, pflegt man für gewöhnlich nicht in die Wahrheit einzuweihen. Nach dem Bericht von Mr. Sheppard starben während der Kämpfe drei aus unserem Kreis, nämlich Hiron, Kail und später Shezar, sowie Prinz Abidos und der Pharao selbst. Seine Majestät fiel einem Attentat der Schwarzen Skorpione zum Opfer, wofür sie auf Befehl des Prinzen hingerichtet wurden. Die tatsächliche Natur Eures Vaters hat Euch entsetzt und schockiert, Euer Gnaden, aber Ihr konntet seinen Tod dennoch nicht ungesühnt lassen, da es eine Zeit gegeben hat, in der Ihr ihn geliebt habt, nicht wahr?"

Ein Nicken. Stumm, ernst, gefasst. „Als ich dann erfuhr, was wirklich passiert war...."

„Syrus, du hast die Leiche des Pharaos entdeckt. Woran erinnerst du dich?"

„....Die Schwarzen Skorpione wollten gerade fliehen....einen von ihnen habe ich aufgehalten, die anderen wurden von den Palastwachen überwältigt. Ich inspizierte den....Toten, und bald darauf kamen Anares, Nefretaria und du dazu. Grauenhaft....am schlimmsten war, dass man sein Gesicht verstümmelt hatte, vielleicht aus unstillbarem Hass....abscheulich!"

Der Kleine schüttelte sich, ein flaues Gefühl im Magen.

„Und praktisch."

„Praktisch? Was ist daran praktisch?"

„Es verkompliziert die eindeutige Identifizierung auf erhebliche Weise. Was tut ein König, der von Feinden umringt ist, die möglicherweise den Sieg davontragen könnten? Er kommt ihnen zuvor, indem er stirbt und sich ihrem Urteil und ihrer Aufmerksamkeit entzieht."

„Aber das ist widersinnig", erklärte Zane mit gerunzelter Stirn. „Das bringt uns zu der absurden Schlussfolgerung, dass Pharao Tutangaton seinen eigenen Tod geplant haben soll!"

„Korrekt, mein Freund. Genau das tat er auch!"

Das Geheimnis der Anubiskrieger

Hallihallo!^^ Ja, ich lebe noch! Tut mir leid, dass so lange Ebbe war, aber ich hatte in der Endphase des Semesters genug um die Ohren, da habe ich das Hochladen völlig vergessen!-____-° Aber jetzt geht es weiter! Das große Geheimnis der Anubskrieger wird also gelüftet und hinterher werdet Ihr mich vermutlich alle hassen! *hinter Stahlwand verschanz, um den in Kürze fliegenden Tomaten zu entgehen*

Trotzdem viel Spaß!
 

Kapitel 21: Das Geheimnis der Anubiskrieger
 

Die übrigen Anubis Black starrten Bastion an, als wäre er verrückt geworden. Der Wächter des Fünften Tores schob sein beeindruckendes Krummschwert in die Scheide zurück und setzte sich wieder auf eines des Kissen zurück, während seine Freunde jede seiner Bewegungen genau verfolgten.

„Es erscheint euch seltsam, dass Tutangaton seinen eigenen Tod geplant haben könnte? Nun, er tat es dennoch - mit einer kleinen Einschränkung allerdings, die euch bisher entgangen ist: Dass er beabsichtigte, am Leben zu bleiben."

„Aber... aber das ist unlogisch!"

„Keineswegs, Zane. Gerade dir, der du einen ähnlich scharfen Verstand besitzt wie ich, sollte die schlichte Genialität dieses Vorhabens einleuchten. Der Pharao ist in Gefahr. Drei Krieger des Anubis sind bereits gefallen, sein Sohn ist zum Feind übergelaufen, seine Position und vor allem seine Existenz sind gefährdet...er muss also verschwinden. Und was könnte endgültiger sein als der eigene Tod? Seine Idee ist einfach, denn sie erfordert nur einen Mann, der ihm in Alter und Typ ähnelt, das genügt. Er findet ihn unter den Priestern des Anubis und weiht ihn vordergründig in ein Täuschungsmanöver ein, mit dem die Attentäter, die Schwarzen Skorpione, hinters Licht geführt werden sollen. Und der Priester, als der treue Diener, der er ist, gehorcht dem königlichen Befehl. Er zieht die Kleidung des Pharaos an und dreht dessen abendliche Runde durch den Palast, während sich Tutangaton im Gewand des Geistlichen in einem der Räume verbirgt, die an sein Gemach angrenzen. Die Schwarzen Skorpione schleichen sich ein, und Don Zaloog trennt sich von seinen Leuten, um das Attentat zu verüben. Er schneidet dem vermeintlichen Pharao von hinten die Kehle durch und will fliehen, rennt aber im nächsten Korridor in Sokats Arme und wird mit einem Schwall Pfeile gespickt. Die Wache ist alarmiert und stellt die anderen Skorpione. Sie werden gefangengenommen und in den Kerker geworfen. Noch weiß keiner, dass Zaloog einen Mord begangen hat, doch als Sokat ihm seine Waffen abnimmt, entdeckt er eine blutige Klinge. Als er von dem hohnlächelnden Schattenreiter erfährt, dass er den Pharao getötet hat, kehrt er sofort zum Tatort zurück, folgt dem Flur, aus dem Zaloog gekommen war und findet die Leiche mit dem verstümmelten Gesicht. Anares, Nefretaria und ich werden benachrichtigt und eilen zu unserem Freund. Was geschah in der Zeit, in der Sokat und die Palastgarde die Attentäter dingfest machten? Pharao Tutangaton schlüpft aus seinem Versteck, verstümmelt das Gesicht des unglücklichen Priesters, der unwissentlich für ihn sterben musste, kehrt in sein Gemach zurück und eilt von dort durch einen Geheimgang nach draußen, wo bereits ein Pferd auf ihn wartet. Der Plan ist geglückt."
 

Alexis schüttelte wild den Kopf. „Das ist doch Unsinn, Bastion! Natürlich klingt das alles plausibel, aber die Person, die du da schilderst, kann unmöglich Pharao Tutangaton sein! Er war weder skrupellos noch grausam und hätte nie etwas so Widerwärtiges getan, um sich feige aus der Affäre zu ziehen! Außerdem, welchen Grund hätte er haben sollen?!"

Er sah sie ruhig an. „Gestatte mir eine Gegenfrage. Warum ist unsere Kennfarbe Schwarz?"

„Warum? Na, weil das Fell des Schakals schwarz ist und der Schakal ist das Symboltier von Anubis..."

„Eine etwas seichte Erklärung, oder nicht?"

Das Mädchen kräuselte die Lippen und suchte nach einer angemessenen Antwort. Jaden indessen, verkrampfte seine Hände ineinander, unsicher und verwirrt. Er spürte die durchdringenden blauen Augen des Prinzen auf sich ruhen und schämte sich zutiefst, dass ihm dieser intensive, lebendige Blick und das Bild dieses sinnlichen Mundes eine erregende Erinnerung bedeuteten. Sein Herz klopfte heftig.

»Nein, das ist nicht richtig! Kail hat Abidos geliebt, aber ich liebe Chazz! Ich darf mich von diesen alten Gefühlen nicht beeinflussen lassen! Umso mehr, als er Kail verraten hat, indem er sich auf Onuris‘ Seite schlug! Auch wenn ich nicht begreife, wie er das mit seinem Gewissen vereinbaren konnte! Ich verstehe es einfach nicht! Ich...«

Seine Gedanken wurden rüde unterbrochen, als Bastion damit begann, seine Theorie über Licht und Dunkelheit zu erläutern. „Chick hat uns anvertraut, dass die sieben Schlüssel ursprünglich Götter und keine Ungeheuer beschützten. Wenn es demnach die Aufgabe der Schlüssel war, mit Hilfe der göttlichen Kraft, die sie erhalten hatten, Slifer, Ra und Obelisk zu verteidigen, was ist dann mit den Heiligen Bestien? Und wie passt die Prophezeiung dazu, die von Licht und Schatten spricht? Das ist höchst simpel. Die Göttermonster sind die Verkörperung des Lichts - und die Ungeheuer stehen für dessen Gegenteil: Für die Finsternis. Deshalb tragen wir Schwarz, denn Schwarz ist die Farbe der Finsternis."

„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Tutangaton einen Kriegerbund gegründet hätte, nur um Kreaturen zu bewachen, die die Dunkelheit verkörpern?", bemerkte Chazz spöttisch. „Warum auch? Er war Pharao! Ihm gehörte die Macht der Göttermonster, die Macht des Lichts! Wieso hätte er sich da mit den anderen abmühen sollen? Was hätte er mit der Macht der Schatten anfangen können? Das ist lächerlich!"

„Aber vielleicht besaß er gar nicht das Recht, die Göttermonster zu kontrollieren? Vielleicht blieben ihm nur die Schatten, weil sich ihm das Licht entzog?"

„Bist du taub?! Nochmal langsam zum Mitschreiben: Er - war - der - Pharao! Als Pharao besaß er sehr wohl das Recht, die drei Götterwesen zu beherrschen...!"

Er hielt plötzlich inne, bestürzt und erschrocken. „Es sei denn...!"
 

„Oh ja, es sei denn. Es sei denn, er hatte sich den Thron unrechtmäßig erworben! Ihr kennt bisher nur die Variante, die Kanzler Sheppard euch erzählt hat! Er hat es natürlich so dargestellt, als wäre Tutangaton von den Ministern des Reiches zum neuen König gewählt worden, aber das ist nicht wahr! Tutangaton war ein Usurpator und er erwarb den Thron durch einen Putsch! Er hat seinen Vorgänger gestürzt und ihn ermorden lassen! Wer Pharao wird, indem er Blut vergießt, verliert den Respekt und den Schutz der Götter! Um seine Herrschaft zu festigen, konnte er nicht auf die Macht des Lichts hoffen, da er sie niemals hätte nutzen können! Um sich zu unterwerfen, was er sich angeeignet hatte, gab es nur eine Möglichkeit: Die Macht der Finsternis - die Heiligen Ungeheuer!"

„Um sich zu unterwerfen, was er sich angeeignet hatte", wiederholte Atticus leise. „Du meinst, er war ein... er war ein Tyrann?"

Sein Gegenüber zögerte und der Brünette las in seinen Augen den Schmerz und den Kummer eines Menschen, der sich um den Wert seiner Loyalität und Tapferkeit betrogen fühlt, weil er einem Mann die Treue geschworen hat, der sie für seine persönlichen Ziele missbrauchte.

„Ja. Er war ein Tyrann. Wie wir bereits in Erfahrung gebracht haben, hat der Gott Amun vor langer Zeit, als Ägypten noch jung war, sechs magische Geschöpfe geschaffen, die für das Gleichgewicht von Gut und Böse in der Welt verantwortlich waren. Amun schuf sie als ebenbürtige Wesen, damit Licht und Schatten sich stets die Waage halten sollten. Zu seinem eigenen Entsetzen stellte sich jedoch heraus, dass die Menschen dem Bösen gegenüber nur allzu anfällig waren und die Heiligen Bestien, Uria, Hamon und Ravel, dadurch sehr viel stärker wurden als ursprünglich vorgesehen. Eine menschliche Seele trägt sowohl Licht als auch Schatten in sich - manche werden mit einem großen Anteil an Finsternis geboren, manche mit einem großen Anteil an Licht und manche mit einer ausgewogenen Mischung aus beidem, die allerdings nicht konstant ist und irgendwann in eine der beiden anderen Möglichkeiten kippt. Um zu verhindern, dass die Heiligen Ungeheuer die Göttermonster weiter schwächten, versiegelte er alle sechs Kreaturen in steinernen Tafeln und schenkte Slifer, Ra und Obelisk dem ersten Herrscher Ägyptens, damit sie sich von König zu König vererben und das Land und sein Volk beschützen konnten. So wurden diese Tafeln im Tempel des Amun eingeschlossen und hinter sieben Kammern verborgen, die bis tief ins Erdreich hinein gebaut worden waren. Um sie zu bewachen, hinterließ Amun außerdem die sieben Schlüsselamulette, die von den uns bekannten Gottheiten gesegnet worden waren. Daher rühren ihre magischen Kräfte. Die Tafeln mit Uria, Hamon und Ravel hingegen wurden dort in der Wüste vergraben, wo dereinst Hamunaptra, die Stadt der Toten, entstehen sollte. Gebannt durch sieben Schutzflüche, schlummerte diese dunkle Macht viele Jahre unter dem Sand, bis Tjaty Tutangaton, der Hohepriester des Anubis, durch einen Zufall auf sie stieß. Natürlich hat er diesen Zufall später als schicksalshafte Fügung umgedeutet, in der festen Überzeugung, es sei ihm hiermit bestimmt, der neue Pharao zu werden!"
 

„Nein.", erklang ein verzagtes Stimmchen.

„Was, nein?"

„Ich glaube dir kein Wort, Bastion!", würgte Syrus hervor und sprang auf die Füße. Sein weiches, rundes Antlitz schien von einer Sturmflut an Emotionen durchwühlt zu werden; seine Hände waren zu Fäusten geballt, das Haar zerzaust, die Augen brannten vor unterdrückten Tränen. „Prinz Abidos hat sich gegen seinen Vater gestellt und Amnael, der zum Beraterstab des Pharaos gehörte, hat ihn immer nur belogen und manipuliert! Die beiden haben dir eine Gehirnwäsche verpasst, oder sowas! Wie kannst du nur so abscheuliche Dinge über Seine Majestät sagen?! Wie kannst du sein Andenken beschmutzen?!"

„Ototo...!"

„Nein, du hältst dich da raus, Zane! Ich habe Seiner Majestät aufrichtigen Herzens gedient! Er war ein guter und gerechter König, auf den das Volk stolz sein konnte! Onuris war es, der das Verderben über unsere Heimat brachte! Er war es, der alles zerstört hat, was schön und edel und großartig war! Ich glaube dir nicht! Ich glaube dir nicht!!"

Einen Moment lang sah es so aus, als wollte er sich auf den Älteren stürzen, doch dazu kam es nicht. Der Hüter des Dritten Tores trat dazwischen und nahm seinen widerstrebenden kleinen Bruder in die Arme.

„Beruhige dich, Ototo... ich verstehe deinen Schmerz und deine Angst. Du willst nicht wahrhaben, dass das, woran du damals wie heute geglaubt und wofür du gekämpft hast, sich plötzlich in Staub verwandelt. Niemand von uns will das, auch Bastion nicht. In seinen Augen steht dieselbe Verzweiflung geschrieben, die ich in deinen erkenne. Die ich... in allen anderen erkenne. Aber wem wäre mit Vorwürfen und Anschuldigungen geholfen?"

„Keinem", schluchzte der Türkishaarige und klammerte sich an die Schultern des Meisterduellanten. „Keinem... aber... aber... es tut weh! Ich fürchte mich vor der Wahrheit! Wie könntest du das verstehen? Du bist doch immer so mutig!"

Zane wischte ihm ein paar Tränen ab und erwiderte: „Ich verstehe dich, Syrus... ich verstehe dich vollkommen."

Und in dieser Sekunde wurde ihm bewusst, dass es das erste Mal war, dass er diesen Satz sagen konnte. Sein jüngerer Bruder, früher ein von ihm belächeltes, nicht ernstgenommenes Kind, schüchtern und ohne viel Selbstvertrauen, hatte im Laufe ihres Abenteuers seine Stärken entdeckt - und er, der Star der Akademie, hatte durch sein Beispiel gelernt, endlich seine eigenen Schwächen zu akzeptieren. Sie verstanden einander.

Während er den Kleinen umschlungen hielt, wandte er sich an Bastion und bat ihn, fortzufahren.

„Um ehrlich zu sein... meiner Meinung nach sollte nun Mr. Sheppard übernehmen. Schließlich ist er auf sehr persönliche Weise von dieser Angelegenheit betroffen."

„Bitte? Aber Mr. Sheppard ist verschwunden!"

„Sein Körper, ja. Aber nicht seine Seele.", meldete sich Amnael zu Wort und in seiner rechten Hand materialisierte sich eine Schattenkugel, die sich in eine Art Halsband verwandelte. Hieroglyphen waren darauf abgebildet, in der Mitte prangte ein kreisrunder schwarzer Edelstein mit einer Gravur, die einen Ibisvogel zeigte. Der Ibis war - neben dem Pavian - das Tier des Gottes Thot. „Was ist das?"

„Das, Jaden, ist ein Thot-Amulett. Er ist der Gott der Schrift, und somit auch der Sprache und Gelehrsamkeit. Ich musste mein gesamtes alchemistisches Können aufwenden, und habe Wochen dafür gebraucht, dieses Stück anzufertigen. Es ist immer eine heikle Sache, wenn man sich an göttlichen Beschwörungsformeln versucht. Einmal hätte ich fast mein Labor in die Luft gejagt! Ich hoffe, dass es diesmal seinen Zweck erfüllt."
 

Er winkte seinem dicken Kater, Pharao lief zu ihm hinüber und ließ sich ohne Weiteres das Halsband anlegen. Kaum war dies geschehen, glühte der Edelstein in einem gleißenden Licht auf, das langsam auf die Hieroglyphen übergriff. Als das Strahlen nachließ, fragte der Professor besorgt: „Geht es Ihnen gut, Sir?"

Der Kater antwortete mit der Stimme des Kanzlers: „Alles in bester Ordnung, mein Freund. Es ist sehr befriedigend für mich, endlich wieder sprechen zu können. Meine lieben Schüler - verzeiht, dass ich euch in diese schreckliche Geschichte hineingezogen habe."

Sechs Augenpaare glotzten ihn staunend und fassungslos an. Der Direktor... war gefangen im Körper einer Katze?! Aber wie konnte das sein?!

„Seit wann... seit wann stecken Sie da drin?"

„Sei nicht so taktlos, Onii-san!"

„Na hör mal, Schwesterchen..."

„Seit jenem Tag, da ich euch zu mir ins Büro rief, um euch in euer Schicksal einzuweihen. Es passierte kurz nachdem ich dich zum Frühstück geschickt hatte, Jaden, mein Junge. Ich fühlte die Präsenz der Schatten und nahm an, dass es sich um einen Dämon handelte. Tatsächlich tauchte an diesem Tag noch ein Dämon auf, der Bastion attackierte, aber diese erste Präsenz, die ich damals spürte, war nicht die einer Schattenkreatur. Es war Tutangatons Seele. Als Bestrafung für die Vergehen seines früheren Lebens wurde er in einem kranken und schwachen Körper wiedergeboren, zerbrechlich und anfällig in der Jugend, todgeweiht und dahinsiechend im Alter. Seiner Rache war dieser Körper nicht dienlich und so erlernte er über die Jahre hinweg die Fähigkeit, seinen starken Geist von seinem Leib zu lösen und ihn auf Wanderschaft zu schicken. Als ehemaliger Priester und Pharao, der einstmals mit den Mächten der Heiligen Bestien verbunden war, besaß er alle nötigen Voraussetzungen dafür. Er überwältigte mich, da ich ihn ohne Anubis-Zepter nicht abwehren konnte, besetzte meinen Körper und vertrieb meine Seele. Ich irrte eine Weile als heimatloses Licht herum, bis Pharao mich verschluckte - ungewollt natürlich. Und Tutangaton? Nun, er spielte die Rolle seines Lebens, um euch zu täuschen. Er hat euch seine Version der Geschichte aufgezwungen... und er hat euch benutzt, genauso, wie er euch damals benutzt hat! Amnael hat als Doppelagent viel riskiert. Tutangaton wusste nie, dass sein Berater in Wirklichkeit auf der Seite von Onuris stand und hat ihn meist in seine Pläne eingeweiht..."

Der Anführer der Anubiskrieger erhob sich, ernst und gemessen. „Wenn ich Sie richtig verstehe, so heißt das, Onuris wollte die Tyrannei der Finsternis beenden und hat deshalb die Schattenreiter gegründet? Warum hat er sich dabei für so zwielichtige Gestalten entschieden?"

„Die Macht der Göttermonster ist jenen von königlichem Blut vorbehalten. Auch Onuris, obwohl neuer Tjaty des Reiches und Oberpriester des Amun, konnte sie nicht für sich nutzen. Er musste Schatten mit Schatten bekämpfen. Und um euren sieben Schlüsseln etwas entgegensetzen zu können, kreierte er die Schattentalismane. Diese Artefakte können nur von Menschen oder Geschöpfen getragen werden, in denen entweder die Finsternis dominiert oder deren Willenskraft und Charakter stark und stabil genug sind, um sich nicht korrumpieren zu lassen. Dazu muss das Licht in ihnen sehr stark sein - und solche Menschen gibt es nicht oft. Euer Wille ist stark, Prinz Abidos, und der deine ebenso, Amnael... ihr habt große Gefahren auf euch genommen, um euch Tutangaton zu widersetzen."

Abidos wagte ob dieses Kompliments ein schmales Lächeln. „Mein Vater war ein Diktator. Sicher lässt sich nicht bestreiten, dass der alte Pharao dumm und einfältig war, aber er hatte wenigstens ein mitfühlendes Herz. Es gab zwar einige, die als treue und besonders ehrgeizige Freunde hinter der unrechtmäßig erworbenen Regierung meines Vaters standen, deren Wohlwollen er sich zu erhalten wusste... doch er hatte selbstredend auch Feinde, die ihn mit der gleichen Begeisterung hassten. Er durfte nicht zulassen, dass einer von ihnen die Macht der drei Heiligen Ungeheuer in die Hände bekam, denn sonst wäre er die längste Zeit Pharao gewesen. Er stahl die Schlüssel, die eigentlich die sieben Kammern im Amun-Tempel beschützen sollten, ließ den Heiligen Bezirk errichten, wo er die Steintafeln verwahrte und rief die Krieger des Anubis ins Leben. Unter der Führung des neuernannten Hohepriesters des Anubis, Kardasch, festigten sie seine Herrschaft, indem sie gnadenlos gegen all seine Gegner vorgingen - unter ihnen auch Onuris."
 

„Augenblick mal! Sagtet Ihr ‚Kardasch‘? Das war mein... ich meine, Kails Vater!"

„Ja, mein Schöner. Wir stammen beide aus einem schlechten Elternhaus. Was nun Onuris betrifft, so verlor er sein Amt als Tjaty und musste untertauchen, um seine Haut zu retten. Als die Anubiskrieger unter Kardasch allmählich dem gesetzteren Alter entgegensahen, wurde beschlossen, eine zweite, junge Generation von Kämpfern herbeizuschaffen. Man rekrutierte sie aus dem Volk und sprach von echtem Kriegertum und der Sicherheit des Landes, von gutem Sold und großer Ehre. Wer ihr Anführer werden würde, war klar: Kail, der Sohn von Kardasch, an den die Position einfach weitervererbt wurde. Diese Krieger waren mutig und voller Ideale. Sie wussten nichts von Tutangatons zweifelhafter Vergangenheit, zumal sie abgeschottet von der Außenwelt im Heiligen Bezirk lebten und ihn nur höchst selten verlassen durften. Sie dienten ihm, weil sie an das glaubten, was er zu sein vorgab und weil sie auf die Macht der drei Heiligen Ungeheuer vertrauten, ohne zu ahnen, dass es die Finsternis war, die sie verteidigten. Auch ich begriff lange Zeit nicht, was gespielt wurde... Eure vordergründige Aufgabe war es, die Schlüssel zu bewachen, aber das war nicht eure eigentliche Pflicht. Eure eigentliche Pflicht bestand darin, Tutangatons Feinde unschädlich zu machen, wie es einst eure Vorgänger getan hatten. Die Sieben Krieger des Anubis... waren die Auftragskiller seiner Regierung!!"

Lastendes Schweigen dehnte sich aus.

„Die Wahrheit... das ist sie?!", flüsterte Jaden, zitternd, bebend. „Das kann nicht sein!! Sowas kann doch unmöglich sein!!!" Er machte kehrt, stolperte blindlings über den Steg ans Ufer und rannte wie von Furien gehetzt in den Wald. Chazz stürzte ihm in wilder Hast nach und auch Abidos schickte sich an, ihm zu folgen, als Amnael ihn am Arm packte.

„Haltet Euch raus, Hoheit!"

Aber der Prinz riss sich zornig los und verschwand. Währendessen schienen die Zurückgebliebenen nur langsam aus ihrer Betäubung zu erwachen. Der Unglaube und der Schock in ihren Zügen waren mehr als evident, und Mr. Sheppard in seiner Katzengestalt fühlte sich nutzloser als je zuvor. Welchen Trost konnte er seinen Schülern spenden? Was konnte er tun oder sagen? Nichts, so musste er sich eingestehen.

»Ich wünschte, es wäre nie so weit gekommen. Ich hätte nicht so leichtsinnig sein dürfen! Tutangaton war seit jeher gefährlich und grausam - mir hätte klar sein müssen, dass er sich irgendeinen Plan zurechtgelegt hatte! Gabriel, mein Bruder... du bist zu früh aus dieser Welt geschieden. Dir war die Aufgabe zugeteilt worden, diesen Kampf zu bestreiten, nicht mir... eine Verantwortung, die ich nie gewollt habe. Aber nüchtern betrachtet - was bringt es mir, zu lamentieren und zu seufzen... jetzt? Sie haben alle so viel Mut bewiesen, trotz ihrer Jugend. Ich hoffe, sie sind stark genug, auch mit der Wahrheit fertig zu werden...«

„Sir?"

„Ja, Alexis? Hast du noch etwas auf dem Herzen?"

„Bastion meinte, Sie wären persönlich von dieser... Angelegenheit betroffen. Inwiefern?"

Professor Banner zauberte eine weitere Schattenkugel herbei, die eine gerahmte Fotografie hervorbrachte. Der Kanzler, obwohl jünger als heute, war leicht darauf zu erkennen, doch der Mann neben ihm... Das Mädchen stieß einen gepressten Schrei aus.

„Das... das ist Onuris...?!"
 

„Ja und nein. Das ist Gabriel Sheppard, mein älterer Bruder, die Reinkarnation von Onuris. Er starb vor seiner Zeit in einem Verkehrsunfall und gab seine Mission, die Anubiskrieger in diesem Leben auf den richtigen Weg zu führen, an mich weiter... und ich habe versagt. Ihr müsst wissen, nicht alle Priester des Anubis waren ihrem neuen Hohepriester oder ihrem neuen Pharao so hörig, wie sie behaupteten. Eine kleine Enklave von ihnen hielt treu zu Onuris und mit der Hilfe einiger seiner Amun-Priester konnte er erfolgreich untertauchen, als das Verhängnis ihn erreichen sollte. Die Priesterschaft Amuns wurde daraufhin erbarmungslos verfolgt und fast gänzlich ausgerottet, aber ein paar Mitglieder der Anubis-Priesterschaft, die seit Tutangatons religiöser Bevorzugung des Totengottes einen höheren Status genossen, konnten sich retten - und das über Generation zu Generation, bis in die Gegenwart hinein. Es ist kein Zufall, dass ich ein Anubis-Zepter besitze... ich gehöre zum ‚Geheimbund der Schakale‘, einer eingeschworenen Gemeinschaft von Abkömmlingen dieser Priester, die es als ihre Pflicht betrachten, das Wissen um die Vergangenheit zu bewahren und die Tafeln mit den Heiligen Ungeheuern sowie die magischen Schlüssel zu bewachen... bis zu dem Tag, da die Sieben Krieger des Anubis zurückkehren... Die Schlüssel und die Tafeln befinden sich in der Obhut des gewählten Oberpriesters. Das war mein Bruder. Nach seinem Tod ging sein Amt auf mich über und so versteckte ich die Tafeln unter dem Gebäude der Duellakademie, abgeschirmt durch sieben Tore, die ich mit der Kraft der Schlüssel versiegelte..."

„Hm. Aber eines begreife ich immer noch nicht... wenn die Schattenreiter zumindest als Gruppe diejenigen sind, die das Recht auf ihrer Seite haben, warum haben sie dann versucht, uns zu töten? Wir hätten ihnen die Schlüssel doch einfach aushändigen können!"

„Nein, das wäre unmöglich", widersprach der Dozent und sein Gesicht zeigte einmal mehr die lächelnde Einfalt, wozu seine geisterhafte, bedrohliche Erscheinung mit dem silberweißen Haar und der Rüstung einen seltsamen Gegensatz bildete. „Vergesst nicht, dass die Schlüssel von Göttern gesegnet wurden, um die Macht von Göttern zu schützen. Wenn man sie einfach so hergeben könnte, wäre es für jeden beliebigen Dieb ein leichtes Spiel, sie zu ergattern. Denkt an das göttliche Gesetz! Um einen Schlüssel muss gekämpft werden - nur wenn der Wächter stirbt, kann er an einen anderen übergehen. Das ist auch der Grund, warum Kardaschs Mitstreiter nach Antritt ihres Ruhestandes nicht mehr allzu lange gelebt haben."

„Haben... haben wir sie getötet?"

„Ja. Das war Teil eurer ‚Ausbildung‘: Das Beseitigen eines angeblichen Staatsfeindes. Dass ihr sie umbringen musstet, um die Schlüssel zu erhalten, wusstet ihr nicht. Man hat euch nur mitgeteilt, dass es sich um bereits verurteilte Verbrecher handelte, als deren Vollstrecker ihr fungieren solltet, um euch die Kaltblütigkeit anzueignen, über die jeder Krieger bis zu einem gewissen Grad verfügen muss. Ein Krieger kämpft und tötet. Es ist nichts Heroisches an ihnen, da auch der Krieg nicht heroisch ist. Kail hingegen hatte Glück. Eine Blutsverwandtschaft zwischen den Schlüsselträgern ist die einzige Ausnahme, bei der das göttliche Gesetz nicht greift. So ist es ihm erspart geblieben, seinen eigenen Vater töten zu müssen..."

In den Augen der Blondine blitze es. Rasch hatte sie einen ihrer Dolche gezückt und drückte die kalte Klinge gegen Amnaels Kehle.

„Die Duelle sind also noch nicht vorbei? Sie und der Prinz... sind bereit, uns herauszufordern, wenn es sein muss? Uns zu vernichten, wenn es sein muss?"

„Nicht, wenn ihr bereit wärt, die Heiligen Ungeheuer freizulassen."

„Was?! Die Bestien... freilassen!?"
 

Von all diesen weiteren Enthüllungen ahnte Jaden nichts. Sein irrer Lauf hatte ihn ermüdet, aber der Schmerz in seinem Herzen war nicht gemindert worden. Attentäter! Die Krieger des Anubis waren Attentäter! Er erinnerte sich daran, auf Befehl des Königs getötet zu haben, aber er hatte immer geglaubt, dabei das Beste für das Reich zu tun, indem er die Feinde des Pharaos eliminierte, den er bewunderte und respektierte. Dass die meisten von ihnen in Wirklichkeit die Feinde eines Tyrannen waren, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Wie viele von ihnen mochten unschuldig gewesen sein? Alle? Wie viele von ihnen waren einfach nur gestorben, weil sie mit der Diktatur nicht leben konnten? Er starrte seine Hände an, voller Angst, das Blut seiner... seiner Opfer könne sie plötzlich besudeln. Tutangaton hatte sie auf grausame und brutale Weise für seine üblen Zwecke missbraucht, sie benutzt wie Werkzeuge... und sie waren ihm gefolgt, naiv, vertrauensselig, idealistisch, gutgläubig... er hielt inne, und in einem wilden, überschäumenden Aufwallen von Zorn, Verzweiflung, Entsetzen und Abscheu vor sich selbst begann er, blindwütig mit seinen Fäusten auf einen Baumstamm einzuschlagen, hart und ohne Pause. Er schürfte sich die Finger auf und holte sich Kratzer und blaue Flecken, kümmerte sich jedoch nicht darum. Wie eine Maschine, gleichgültig, verdrossen, hämmerte er auf das Holz ein, bis seine Hände blutig aufgerissen waren. Er sank vor dem Baum auf die Knie und schluchzte leise vor sich hin, wie ein Kind. So fand ihn Chazz.

Der Anblick erschütterte ihn tief. Auch er war entsetzt, traurig, fassungslos über das, was sie soeben erfahren hatten... aber was spielte das für eine Rolle, wenn Jaden, sein Jaden, am Rande eines Abgrunds stand? Er eilte zu ihm hinüber, packte ihn an den Schultern und drehte ihn energisch zu sich herum.

„Cha-Chazz...? Was... was willst du?"

Der Dunkelblauhaarige betrachtete ihn und der schwimmende, unbestimmte Ausdruck in seinen Augen machte ihn ganz krank. „Was ich will? Was ich will?! Ich will dich nicht so sehen!! Es passt nicht zu dir, dich so aus der Bahn werfen zu lassen! Du bist tapfer, optimistisch, stark, fröhlich! Du kannst nicht aufgeben! Was zum Teufel ist los mit dir?!"
 

„Das fragst ausgerechnet du? Du warst doch dabei! Begreifst du denn nicht, was es für mich bedeutet, damals wie heute an eine Lüge geglaubt zu haben?! Einem Mann treu gewesen zu sein, der gewissenlos und hartherzig war, wenn er denn überhaupt ein Herz hatte?! Zu erfahren, dass man ein Attentäter, ein... ein Mörder gewesen ist?! In unserer Zeit erscheint es fast lächerlich, noch an Dinge wie Freundschaft, Ehrlichkeit oder Loyalität zu glauben, wo Ehrgeiz und Geld und Macht so viel wichtiger sind als echte Werte, und vielleicht halten mich die meisten Menschen genau deshalb für naiv und kindlich, aber wenn es das ist, was ich dagegen eintausche, dann will ich das nicht! Ich hätte mein Leben für den Pharao gegeben!! Und jetzt? Jetzt ist alles... falsch! Man hat uns fürs Blutvergießen benutzt, dafür waren wir gut genug! Wir sind Krieger... Jäger! Oh ja... ‘Um zu erkennen, ist eines vonnöten: Der Schakal ist ein Jäger. Ein Jäger muss töten.‘ Nun wissen wir, woran wir sind!" Er lachte höhnisch auf. Chazz tat es weh, dieses bittere Lachen zu hören.

„Jaden, ich verstehe, dass du verletzt und enttäuscht und wütend bist... ich bin es auch! Denkst du etwa, für mich wäre das leichter, nur weil ich weniger idealistisch bin als du?! Nein! Ich fühle mich genauso verraten und betrogen, aber was ist schon gewonnen, wenn wir uns im Selbstmitleid verlieren oder in Raserei hineinsteigern? Das führt zu nichts! Sich durchbeißen, Mut haben, Niederlagen akzeptieren, Weitermachen, egal, wie schlimm es kommen mag... das ist es, was uns helfen kann! Im Schmerz zu stagnieren, sich stur ins Leid zu verrennen, was bringt das? Wir konnten vor viertausend Jahren nicht ändern, was wir sind, weil wir es nicht wussten! Aber wir können es jetzt ändern! Wir können den Namen unserer Generation von Anubiskriegern reinwaschen, wenn wir Tutangaton in diesem Leben gegenübertreten und ihn besiegen! Soll man aufgeben, sobald es die entscheidende Schlacht zu schlagen gilt? Bisher hast du das nie getan - willst du plötzlich damit anfangen? Ich schwöre dir, ich verpasse dir eine Ohrfeige, wenn du ‚ja‘ sagst! Kämpfe, verdammt nochmal!! Du hast mir das doch beigebracht! Also halte dich dran!"

Der Hüter des Siebten Tores starrte ihn offenen Mundes an. Die Entschlossenheit des anderen durchdrang seine Trance und umgab ihn mit einem seltsamen Fluidum, einem köstlichen Trank gleich, der einem halb Verdursteten gereicht wird. Die grauen Augen erglühten in einem Feuer und einer Leidenschaft, die Jaden vage an seine eigene Begeisterung und Zuversicht erinnerten; die weißen Hände umklammerten ihn wie ein Tier, das gebändigt werden muss und die Stimme klang fest und befehlend, keinen Widerspruch duldend.

„Ich... ich weiß nicht, ich..." Mehr konnte er nicht hervor stammeln, da ihm ein heißer Kuss das Wort abschnitt. Zunächst überrumpelt, hatte der Brünette nach einer Weile das Gefühl, ohne diesen Kuss hätte er zerbersten müssen, angefüllt von seinem Entsetzen und seiner Angst, doch die Kluft, die sich unter seinen Füßen aufgetan hatte, verschwand langsam, unnachgiebige Arme hielten ihn über dem Abgrund, Kraft und Liebe sog er fast gierig von diesen Lippen, die sein Inneres wärmten und sein Ich bestärkten.

Als sie sich keuchend voneinander lösten, hauchte Chazz matt: „Du bist mir... so oft beigestanden... nun bin ich an der Reihe... Ich bin für dich da. Du bist mein Licht gewesen, jetzt will ich das deine sein. Darf ich? Darf ich deine Stütze sein?"

Sein Liebster schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. „Wer sonst, wenn nicht du?"

„ICH!!"

Die beiden wandten sich überrascht um. Abidos stand zornbebend vor ihnen, eine Hand am Griff seines Schwertes, die schönen Augen zu Schlitzen verengt, ein Abbild reiner Eifersucht.

„Nimm deine Finger von ihm, Shezar! Vergiss nicht, dass meine Rechte älter sind als deine! Kail war mein, ist mein, und wird mein sein - jetzt und für immer!"

Die majestätische Würde war von ihm abgefallen, er war nur noch ein zurückgewiesener Jüngling, darauf aus, seinem Rivalen zu schaden.

„Ist das eine Herausforderung, Euer Hoheit?", fragte der besagte Rivale kühl.

„Ja!!"

„Gut. Ich nehme an!"

Die Gunst eines Anführers

Wow, ich habe endlich, endlich daran gedacht, das neue Kapitel hochzuladen! Wenn ich während des Studiums und meinem Praktikum/freiberuflicher Tätigkeit etwas mehr Zeit hätte, würden meine FFs vieleicht nicht so lahm sein... aber na ja... jedenfalls wünsche ich Euch viel Spaß beim Lesen!
 

Kapitel 22: Die Gunst eines Anführers
 

Jadens Verstand schien angesichts der unbegreiflichen Szene, die sich soeben vor ihm abspielte, wie gelähmt zu sein. Warum hatte Abidos diese Herausforderung ausgesprochen? Warum hatte Chazz sie angenommen? Weshalb standen sie sich mit zornig funkelnden Augen gegenüber, die Waffen gezückt? Was wollten sie damit erreichen? Welchen Sinn hatte das? Ihm selbst war Eifersucht fremd, daher konnte er sie nicht recht verstehen. Aber er erkannte voller Entsetzen, dass es den beiden Kontrahenten offensichtlich sehr ernst war.

Abidos hatte sein Schwert gezogen, eine wunderschöne Klinge mit vergoldetem Griff, deren Stichblatt wie das Ankh-Symbol geformt war. Sein brennender Blick ruhte auf der Gestalt seines Rivalen, dessen Schönheit er nicht leugnen konnte. Damals, vor viertausend Jahren, hatte er Shezars Gefühle zwar bemerkt, sie aber nicht als Bedrohung aufgefasst. Jetzt, da Kail und er einander wiedergefunden hatten, konnte er unmöglich akzeptieren, dass dieser dahergelaufene Möchtegernduellant seinen Platz einnehmen sollte. Er registrierte das gepflegte dunkle Haar, die alabasterweiße Tönung seiner Haut, den schlanken, geschmeidigen Körper und insbesondere seine Augen mit ihrem klaren, kühlen Grau, die von einer geradezu elektrisierenden Kraft waren. Er würde ihn nicht unterschätzen.

"Ich werde ihn dir nicht überlassen, Wächter des Sechsten Tores! Ich, ich habe ihn schon geliebt, bevor du ihn überhaupt kanntest! Er war der Sohn des Hohepriesters, mein Spielkamerad und Freund seit Kindertagen! Er war immer für mich da, war mir Bruder, Gefährte und später Geliebter! Wir waren füreinander bestimmt! Und ich werde jeden vernichten, der ihn mir streitig machen will!!"

Chazz biss sich auf die Lippen. Er war über die Ursprünge der Liebesbeziehung zwischen seinem Anführer und dem Prinzen nie konkret orientiert gewesen, da es ihm zu schmerzlich gewesen wäre, die Geschichte zu erfahren. Nun aber, da er ihn von diesen Bindungen aus ihrer gemeinsamen Kindheit sprechen hörte, von ihrer Freundschaft, ging ihm auf, dass es mit Jaden und ihm ähnlich begonnen hatte. Er musste unwillkürlich an das Duell der Schulen zurückdenken - eine seiner größten Niederlagen und zugleich auch einer seiner größten Triumphe. Dank ihm.
 

»Jaden... du hast gesagt, von diesem Tag an hättest du mich bewundert. Und ich, was hatte ich für dich übrig, nachdem du mich durch deinen Sieg gedemütigt und mich dennoch vor dem Zorn meiner Brüder gerettet hattest? Dass du gewonnen hast, war ein harter Schlag für mich. Als du deinen letzten Spielzug ausführtest, war ich fassungslos. Wie konnte eine Slifer-Niete besser sein als ich? Ahnst du auch nur, was das für ein Schock für mich war, festzustellen, dass es da in meiner Altersgruppe tatsächlich jemanden gab, der mir ebenbürtig war? Schlimmer noch, jemanden, der mich schlagen konnte!? Ein Teil von mir konnte Jaggers und Slades Verachtung verstehen, aber der andere Teil hasste sie für ihr erbarmungsloses Urteil, für ihre Häme, ihr Unverständnis. Und dann hast du dich für mich eingesetzt. Während ich am Boden lag und mit dem Gefühl meiner Schmach kämpfte, hast du mich aufgerichtet und meinen Brüdern deine Empörung ins Gesicht geschrien. Ich war unfähig, das zu begreifen. Hatte ich dich nicht ständig von oben herab behandelt? Hatte ich dich nicht noch im Laufe des Duells beleidigt und dich im fehlenden Bewusstsein meiner eigenen Arroganz niederzumachen versucht? Wie konntest du mir helfen wollen? Ich glaube, damals nahm ich dich zum ersten Mal wirklich ernst. Ich sah nicht den Slifer, sondern den Menschen. Deine Augen betrachteten mich so offen und so ehrlich... du hast es nicht getan, um dir persönliche Vorteile zu verschaffen, du warst nicht interessiert daran, durch den Kontakt zu mir deine Beliebtheit zu steigern oder sonst irgendetwas in dieser Art... Du hast es um meinetwillen getan. Das verstand ich damals nicht sofort, ich wunderte mich nur und war sehr verwirrt. Wie blind ich war! Mein Herz gehörte dir doch in Wahrheit schon von diesem Moment an! Ich habe es nur einfach nicht bemerkt... Nein! Ich kann dich nicht aufgeben! Ich liebe dich... und ich werde um dich kämpfen!«

Sai und Klinge prallten aufeinander, der Zusammenstoß erzeugte ein metallisches Klirren. Die Schläge wechselten mit enormer Geschwindigkeit, links, rechts, von oben, von unten; die beiden Gegner schenkten sich nichts. Eine Weile schien der Kampf ausgeglichen zu sein, doch dann trat Abidos dem anderen in einer schnellen fließenden Bewegung die Beine weg, sodass er zu Boden stürzte. Eines der Sai fiel ihm aus der Hand.
 

„Du bist hervorragend, Shezar, das muss ich zugeben. Aber selbst als Krieger des Anubis bist du keine Konkurrenz für mich. Hast du vergessen, dass ich als einer der besten Schwertkämpfer des Landes gerühmt wurde? Du kannst nicht gewinnen."

„Gerühmt? Was bedeutet das schon? Gute oder schlechte Nachrede... beides kann falsch sein! Ihr seid ausgezeichnet, Euer Hoheit, oh ja. Aber das heißt nicht, dass ich gegen Euch verlieren werde - nicht, wenn es um Jaden geht! Ihr mögt die älteren Rechte besitzen und ohne Zweifel hat Kail Euch früher einmal geliebt, doch Jaden ist nicht Kail! Ihr sucht in ihm den Mann, der er damals war und missachtet dabei die Persönlichkeit, die er heute ist! Was hat das mit Liebe zu tun?! Ihr wollt einzig und allein das Abbild der Vergangenheit in ihm sehen, mehr nicht! Ich hingegen liebe Jaden, und nur ihn!!"

Die blauen Augen des Prinzen verdunkelten sich vor Zorn. „Sei still!!" Er schwang sein Schwert mit aller Kraft, um seinen Rivalen mit einem furchtbaren Hieb aufzuschlitzen, aber Chazz parierte mit dem Sai, das er noch fest umklammerte. Dennoch wurde er in die Defensive gedrängt, da er an das beidhändige Kämpfen gewöhnt war und nun durch die schiere körperliche Kraft seines Kontrahenten, den er mit nur einer seiner Waffen abwehrte, dazu gezwungen wurde, ungeheuere Reserven zu mobilisieren. Der Druck in seinem Arm nahm zu und er stützte mit dem Mut der Verzweiflung auch seine andere Hand gegen die Zinke des Sai, um ihr zusätzlichen Gegenhalt zu verschaffen. Trotzdem sah es nicht gut für ihn aus. Er musste das Sai, das er fallengelassen hatte, unbedingt wieder an sich bringen! Als Abidos ihm so nahe gekommen war, dass es dessen erhitzten Atem spüren konnte, rammte er ihm sein Knie in den Magen und der Schattenreiter sackte stöhnend zusammen. Rasch schnappte sich der Hüter des Sechsten Tores sein vermisstes Werkzeug, wich mit geschickten Sprüngen aus, als der andere wild nach ihm schlug und verharrte schließlich in angriffsbereiter Pose. Sein Gegenüber fixierte ihn bedrohlich, das Schwert erhoben.

»Ich könnte von der Magie meines Schattentalismans Gebrauch machen... aber das wäre nicht fair. Er ist ein Krieger, also werde auch ich keinen Zauber benutzen. Ich möchte dieses Duell ehrenvoll bestreiten, denn nur ein solcher Sieg ist Kails würdig.«

Erneut attackierte er Chazz, zielte auf seine Leibesmitte ab, doch die gekreuzten Sai verhinderten, dass ihm der Hieb gefährlich werden konnte. Die Klinge zwischen den Zinken eingeklemmt, verpasste er dem Prinzen einen Tritt in die Seite, und in dieser Bewegung glitten die Zinken bis zum Schwertgriff, mit dem sie sich wie erhofft verhakten. Auf diese Weise gelang es dem Anubis Black, seinem Gegner die Waffe zu entreißen. Abidos ballte die Fäuste, als der kalte spitze Stahl kurz vor seiner Kehle innehielt. Ihre Blicke trafen sich.

„Ich habe nicht die Absicht, Euch zu töten, Euer Hoheit. Aber seid versichert: Ich könnte es! Jetzt, wo ich weiß, dass es unsere eigentliche Aufgabe war, politische und persönliche Feinde des Pharaos aus dem Weg zu räumen, bin ich von meinen angeborenen Fähigkeiten mehr denn je überzeugt! Das hier ist kein Spiel! Ihr seid ein exzellenter Schwertkämpfer, aber einem echten Attentäter habt auch Ihr wenig entgegenzusetzen! Warum akzeptiert Ihr nicht einfach, dass Jaden und ich zusammengehören? Er ist nicht Kail, sondern nur seine Reinkarnation! Und er ist anders als er! Begreift das endlich!"
 

„Ich soll begreifen?! Warum begreifst du nicht endlich, dass die Liebe zwischen Kail und mir für die Ewigkeit gemacht war!? Mein Vater bot mir wenig Zuflucht und meine Mutter starb, kaum dass ich geboren war! Man überließ mich die meiste Zeit den Dienern und Höflingen, die mich wegen meiner Position als Prinz verhätschelten, aber ich hatte keinen echten Freund unter ihnen, bis mir im Alter von sieben Jahren der Sohn des Hohepriesters als Spielgefährte vorgestellt wurde! Kail schenkte mir menschliche Wärme, Trost, Anteilnahme, Freundschaft - und Liebe!! Was für ein Mann wäre aus mir geworden, wäre ich ihm nicht begegnet? Ohne sein Licht wäre mein Herz der Finsternis anheim gefallen! Und Jaden trägt dasselbe Licht in sich, diese reine, starke Seele, in die ich mich verliebt habe! Was verstehst du denn schon?!"

Chazz erstarrte, seine Augen weiteten sich. Seine Lippen presste er so fest zusammen, dass es schmerzte. Die Worte, die er vor wenigen Minuten zu seinem Anführer gesagt hatte, jene Worte, die all seine Gefühle ausgedrückt hatten, leuchteten in seiner Erinnerung wie die Sonne über Ägypten. „Du bist mir... so oft beigestanden... nun bin ich an der Reihe... Ich bin für dich da. Du bist mein Licht gewesen, jetzt will ich das deine sein."

Sicher, Abidos vertrat in seiner Eifersucht eine falsche Haltung, weil er einen Anspruch auf einen Menschen erhob, der ein neues, ein anderes Leben führte, das mit der Vergangenheit nichts zu tun hatte, aber er war seinem Gegner auch sehr ähnlich.

„Ihr ahnt gar nicht, wie viel ich verstehe", erwiderte er mit leiser Stimme. „Euer Vater bot Euch keine Zuflucht, obwohl Ihr ihn in Euer kindlichen Sehnsucht liebtet und darauf gehofft habt, Ihr könntet seine Liebe und Achtung eines Tages erringen, wenn Ihr nur all seinen Wünschen folgt... so wie ich denen meines Vaters folgte... und denen meiner Brüder, als ich noch zu jung war, um ihre verhärteten Herzen zu erkennen. Eure Mutter ist gestorben und meine ist wie tot für mich, denn sie empfindet nichts für den Mann, den man sie aus Vernunft- und Prestigegründen zu heiraten zwang und auch ihre Söhne sind ihr gleichgültig... Ihr hattet Speichellecker und Schleimer um Euch, wie ich auch, die sich nur für meinen Namen, den Reichtum meiner Familie oder meinen Status als Spitzenduellant interessierten... ich hatte nicht einen echten Freund unter ihnen, bis Jaden an die Akademie kam und mein Leben umkrempelte. Er wurde mein Licht. Sind wir so verschieden, Euer Hoheit?"

Der Prinz antwortete nicht. Er sah am Kopf des Anubiskriegers vorbei auf seinen Liebsten, der das Geschehen immer noch wie versteinert beobachtete. Oder nein, nicht mehr so versteinert wie zu Beginn... seinen Körper durchlief ein Zittern und sein Blick... sein Blick...! Als er diesen Blick gewahrte und die Blässe seines sonst so frischen Gesichts, stürzte die Wahrheit wie ein Raubvogel mit gespreizten Krallen auf ihn nieder. Obwohl der Hüter des Sechsten Tores im Moment die Oberhand inne hatte, war es nicht er, Abidos, um den sein Liebster fürchtete, sondern es war der Herausgeforderte, um den er bangte und den er, nach wie vor in gefährlicher Nähe zu einem begnadeten Schwertfechter wissend, in seine sicheren Arme zurücksehnte. Diesen Jüngling da vor ihm, nur ihn, liebte er. Heute, in diesem Leben, war er es, der ihn besaß. Und er, den er nie ängstlich gekannt hatte, bebte an allen Gliedern - für ihn, den anderen, in der Hoffnung, dieses Duell möge endlich vorbei sein und Chazz als Sieger daraus hervorgehen.
 

»Kail...!! In diesem Blick liegt dein ganzes Herz... und er sieht mich nicht! Selbst wenn ich diesen Kampf gewinnen würde... dich könnte ich nie erobern, ist es nicht so? Du würdest dich mir entziehen, ich weiß es! Egal, was ich tue... ich bin der Verlierer...«

Der Schmerz explodierte in seinem Inneren, benahm ihm fast den Atem und trieb ihm die Tränen in die Augen. Seine Existenz in dieser Zeit war nicht besser als vor viertausend Jahren. Seine Eltern waren mit ihrem Wagen verunglückt, als er noch sehr klein war und ein Onkel und eine Tante hatten ihn aufgezogen, aber sie betrachteten ihn immer nur als eine unnütze Last, die man ihnen gegen ihren Willen aufgezwungen hatte. Sie kümmerten sich um ihn, wie man sich um ein wenig geschätztes Haustier kümmert, das man am liebsten irgendwo aussetzen würde. Er verließ sie kurz nach seinem zwölften Geburtstag und schlug sich mehr schlecht als recht alleine durch. Er hatte gefroren. Er hatte gehungert. Er hatte gestohlen. Und dann, eines Tages, entwendete er einem Forschungsreisenden eine Schachtel, die dieser eng an seinen Körper gepresst hatte. Nur etwas Wertvolles konnte darin sein! Er sollte nicht enttäuscht werden, denn als er den Deckel abhob, fand er den Kopfputz eines Pharaos, Tuch und Goldreif, den er lange bestaunte. In kindlicher Neugier legte er beides an und bemerkte zu spät, dass der Reisende ihn verfolgt hatte. Doch auf einmal erstrahlte der Stirnreif in einem gleißenden Licht und brachte ihm damit die Erinnerungen an sein früheres Leben zurück. Nachdem das Licht erloschen war, hatte er den Reisenden erblickt, der vor ihm kniete.

„Endlich habe ich Euch gefunden, mein Prinz! Das Schicksal hat uns zusammengeführt."

So lernte er Professor Banner kennen, die Reinkarnation des Hofalchemisten Amnael. Er half ihm, mit der plötzlichen Bürde seiner auf ihn einstürmenden Erinnerungen und Gefühle fertig zu werden, lehrte ihn das Duellieren und bereitete ihn auf den Augenblick vor, der da kommen musste: Die Rückkehr der Sieben Krieger des Anubis. Aber weder das Wissen um seine Aufgabe noch die Bedrohung der Welt in Gestalt Tutangatons ließen ihn je sein eigentliches Ziel vergessen: Kail zu begegnen, sich seiner neuen Wirklichkeit in einem neuen Leben zu versichern, ihn wieder lieben zu dürfen und von ihm geliebt zu werden.

Und jetzt?

Jetzt war all das vorbei, noch ehe es begonnen hatte!? Nein, das war nicht gerecht! Worauf hatte er denn gewartet, wenn nicht auf diese Liebe? Er konnte das nicht akzeptieren! Wieso wurde ihm sein Licht genommen? In Abidos stauten sich Frust, Wut, Verzweiflung und eine maßlose Enttäuschung an, eine undurchdringliche, zähe Masse negativer Gefühle, die seine Vernunft unter sich begrub wie ein Lavastrom. Mit einem Aufschrei packte er die Zinken, die auf seinen Hals zielten, drückte sie in einer gewaltigen Kraftanstrengung von sich weg und während sein Rivale Widerstand leistete, donnerte er seinen Fuß mit voller Wucht in Chazz‘ Bauch, der dadurch zu Boden ging. Er brachte sein Schwert wieder an sich und hielt dessen Schneide quer über die Kehle des Anubis Black, der sich noch von dem derben Angriff erholte.
 

„Ich werde ihn dir nicht überlassen!! Ich kann es nicht!! Diese, seine Liebe ist das einzige, was ich mir je wirklich gewünscht habe und ich werde nicht erlauben, dass du in seinem Herzen wohnst!! Er gehört mir!! Er sollte mir von Anfang an gehören!! Du hast alles kaputtgemacht - und dafür wirst du bezahlen!!"

Der Wächter des Sechsten Tores zögerte keine Sekunde. Mit rechts attackierte er das, was seiner ungünstigen Position am nächsten lag, den Knöchel des Prinzen. Fein säuberlich schlitzte die scharfe Spitze des Sai an der Haut entlang, warmes Blut quoll aus der Wunde, und der Schattenreiter sprang zurück, als hätte ihn etwas gebissen. Abgelenkt durch den Schmerz, verpasste er es, sich zu verteidigen und dieses Mal presste sich einer der Zinken gegen seinen Adamsapfel, der zweite stach ihn als Warnung leicht in die Seite. Er brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass Chazz seine Unachtsamkeit dazu benutzt hatte, ihn von hinten in die Zange zu nehmen. „Keine hektischen Bewegungen mehr, Hoheit, ich bitte Euch. Ein Hieb von mir würde genügen, um Euch die Kehle zu durchtrennen. Ihr habt verloren."

Abidos stöhnte gequält auf, ein Laut der Resignation, der in ein leises Schluchzen mündete. Unwillkürlich ließ der Schlüsselhüter ihn los und der Prinz taumelte auf Jaden zu, der ihn traurig betrachtete. Seine Hand fand die tränenüberströmte Wange und streichelte sie sanft.

„Warum, mein Liebster...?", würgte der Sohn des Pharaos hervor. „Warum gibt es kein ‚uns‘ mehr? Warum musstest du ihn erwählen? Das tut so weh... so furchtbar weh!"

„Bitte verzeih mir, Abidos. Aber ich kann es nicht ändern. Ich habe mich in Chazz verliebt und möchte mit ihm zusammen sein. Die tiefe Zuneigung, die ich für dich hege, wird dadurch nicht weniger. Ich weiß, dass das eine sehr anmaßende Frage ist, aber wäre es denn unmöglich, dass wir beide Freunde bleiben? Ich ertrage es nicht, jemanden leiden zu sehen, der mir nahesteht! Darf ich dir nicht helfen?"

Ein bitteres Lächeln huschte über das Gesicht des Ägypters. „Es sieht dir ähnlich, so zu sprechen... und dabei vergisst du, wie deine Freundlichkeit mir in diesem Moment das Herz zerreißen muss...! Du bist grausam in deiner Güte...!"

Der Braunhaarige wich zurück, sichtlich erschrocken über diese Worte.

„Grau... sam...?", wiederholte er stockend, als hätte er noch nie davon gehört.

„Ja. Liebe... kann sehr grausam sein." Damit wandte er sich zum Gehen.

„Abidos, warte!! Was wirst du jetzt tun?"

„Ich werde die Insel verlassen. Ich muss eine Weile für mich sein."

„Wirst du zurückkommen?"

Schweigen.

„Ich weiß es nicht."

Jaden folgte seiner verschwindenden Gestalt mit den Augen und grübelte darüber nach, was er ihm sagen könnte, um ihn aufzuhalten. Er wollte nicht, dass dieser junge Mann, den sein Alter Ego tatsächlich einmal geliebt hatte und der auch ihm nicht gleichgültig war, einfach aufgab und all dem den Rücken kehrte, was doch so fest mit seiner Existenz verwurzelt war.

„Kannst du wirklich nicht bleiben? Ist es so unvorstellbar, dass du hier bei uns, die wir deine Vergangenheit teilen, neu anfangen könntest?"

„Hierzubleiben, hieße, dich in seinen Armen zu sehen. Hierzubleiben, hieße, euer gemeinsames Glück zu erleben. Ich bin noch nicht bereit dafür... es würde mich wahnsinnig machen! Ja, Jaden. Es ist... unvorstellbar."

Er straffte die Schultern und wischte die Tränen ab. Mit einem Fingerschnippen wandelte sich sein Äußeres zu dem des Studenten in der Obelisk-Blue-Uniform. Er verließ den Ort des Kampfes ruhig und gefasst, ohne jede Eile. Trotz allem war er immer noch ein echter Prinz und diese Tatsache verlieh ihm genug Kraft, um sich würdevoll zurückzuziehen. Er hatte eine Niederlage erlitten. Er akzeptierte. Ob er lernen würde, die Liebe zwischen Jaden und Chazz zu akzeptieren, dessen war er sich nicht sicher... aber er würde es versuchen. Hatte er denn eine andere Wahl? Er musste fort... um zu vergessen. Und um zu vergeben. Vielleicht würde diese Wunde in seinem Herzen, die sich „Kail" nannte, niemals vollständig heilen, doch er würde auch mit diesem Schmerz weiterleben können, oder?

»Ich werde es müssen. Ich habe schon einiges durchgemacht, aber es ist weitergegangen, irgendwie. Ich habe nie aufgegeben... also werde ich es jetzt ebensowenig tun. Es gibt wichtigere Dinge, um die ich mich kümmern sollte. Tutangaton zum Beispiel. Er zögert die letzte Entscheidungsschlacht hinaus. Wo versteckt er sich? Wie könnte man ihn nach dem ganzen Agieren im Verborgenen zu einer offenen Konfrontation zwingen? Ich war einst sein Sohn. Daher denke ich, dass ich der einzige bin, der ihn finden kann. Ich kenne ihn gut.«
 

Die beiden Krieger sahen ihm nach, bis er ihren Blicken entschwunden war. Jaden ließ sich seufzend unter einen Baum sinken, lehnte den Kopf gegen den Stamm und legte seine Arme auf die Knie. Chazz setzte sich neben ihn.

„Ich hätte nicht erwartet, dass er sich so widerspruchslos in seine Niederlage fügen würde."

„Du bist überrascht? Echter Adel, der Adel des Herzens, ist angeboren. Und Abidos ist zweifellos von echtem Adel. Man merkt es nicht nur an seinen eleganten Bewegungen oder seiner stolzen Kopfhaltung, sondern auch an seinem Wesen. Durch seine fehlgeleitete Eifersucht getrieben, hätte diese ganze Sache sehr hässlich werden können. Aber er hat letzten Endes sein blindes Wüten bezähmt, als du ihn stelltest und deinen Sieg anerkannt. Ich glaube, er hat schließlich verstanden, dass ich dich liebe... und dem hat er sich gebeugt. Er ist stark, Chazz. Einmal wird er es akzeptieren. Ich weiß es."

„Du vertraust ihm?"

„Ja. Ich vertraue ihm."

Ein scheues Lächeln stahl sich in seine Züge.

„Ihr seid euch ähnlich... er und du." Das Lächeln zog sich in die Breite und wurde zu einem spitzbübischen Grinsen, das in diese warmen braunen Augen ein atemberaubendes Funkeln zurück zauberte. Der Ältere errötete, neigte sich zum Ohr des ehemaligen Slifer und raunte ihm zu: „Ehrlich gesagt, ich kann ihn verstehen. Wer würde nicht eifersüchtig werden bei so einem Anführer? Wer würde nicht alles dafür geben, seine Gunst zu erwerben?"

Der Klang seiner Stimme, die plötzlich eine komplette Oktave tiefer gerutscht zu sein schien und in verstärktem Maße Jadens Hormone zum Wirbeln brachte, beschwor eine Ahnung von jenem Mann herauf, der er eines Tages sein würde.

»So... genau so... wird er in seinen Liebesnächten sprechen...« dachte der Wächter des Siebten Tores und bekam dabei ein fast dunkelrotes Gesicht, man hätte ihn unweigerlich mit dem Feuermelder verwechselt. Das waren kaum die richtigen Gedanken, um ruhig zu bleiben! Außerdem machte ihn das schrecklich nervös!

„Wir... wir sollten zurückgehen und den anderen alles erzählen. Sie werden besorgt sein..."

„Nein.", erwiderte Chazz schlicht, als sein Liebster sich erheben wollte. Er packte ihn ungestüm am Arm, warf ihn auf den Rücken und beugte sich über ihn, die Augen halb geschlossen. Jaden war hochgradig verwirrt und zugleich erfüllt von einer süßen Erregung. Zum ersten Mal gab Mr. Princeton seiner Leidenschaft bewusst nach, sprengte die Ketten seiner Disziplin, seiner Erziehung, seiner Selbstbeherrschung. Im Angesicht der Verführung streckte er die Waffen, was für ihn bislang undenkbar gewesen wäre.

„Jay... hör gut zu, denn das werde ich dir garantiert so schnell nicht wieder sagen! Ich liebe dich. Ich liebe dein strahlendes Lächeln, das sich über jeden neuen Tag freuen kann, über Blumen und Vögel, Karten oder leckeres Essen. Ich liebes es, weil es unverfälscht und rein ist... wie das eines Engels. Ich liebe deinen innigen Blick, der Zuversicht, Begeisterung, Fröhlichkeit, Wärme verheißt, der ernst und tapfer sein kann und Hilfe verspricht, diesen Blick, der deine Gegner je nach Art des Duells respektvoll, unerbittlich oder zornig mustert. Dein Verstand lässt sich täuschen, deine Unwissenheit in manchen Dingen ausnutzen, aber dein Herz durchschaut alles und jeden. Du bist fähig, dich zu wehren und zu kämpfen, du steckst Spitzenduellanten in die Tasche, wenn es sein muss, aber du bleibst dir dabei immer treu. Du bist freundlich und kameradschaftlich, auch gegenüber deinen Konkurrenten. Man möchte dich deswegen gern für schwach halten, doch du bist hart wie Stahl. Man glaubt dich stark, doch du kannst traurig und mutlos sein wie jeder von uns. Ich liebe deine Kraft und deine Verletzlichkeit. Ich liebe dein vorlautes Mundwerk, deinen Sturschädel und dein Temperament, weil ich mich damit messen kann wie mit keinem anderen. Du bist mein Rivale, mein bester Freund, mein Anführer, mein Geliebter! Ich will nur dich und niemanden sonst!"

Ein weicher, sinnlicher Mund, der den von dieser Erklärung überwältigten Jüngling daran hinderte, etwas zu antworten, eroberte von neuem betörende Lippen, und in diesem endlosen, befreienden Kuss vergaß Jaden den Schmerz der Enthüllungen, seine Angst, seinen hilflosen Zorn, sein Entsetzen. In ihm erwachte eine ihm noch unbekannte, durch die Liebe und das Vertrauen seines Partners geschaffene Kraft, die jener alten, zähen Tugend glich, mit der er sich bisher ins Gefecht gestürzt hatte und die doch seltsam neu war. Das Geheimnis der Anubiskrieger verlor seine furchteinflößende Dimension. Chazz war es, der recht hatte. Sie konnten ihren Namen von dem Blut, mit dem Tutangaton ihn besudelt hatte, reinwaschen, wenn sie ihn besiegten und der Welt den Frieden brachten. Es war noch nicht vorbei.
 

Unterdessen hatte Professor Banner die Dolchspitze beiseite geschoben, die Alexis gefährlich nahe an seinem Hals platziert hatte und ertrug lächelnd die anklagenden Blicke, die seine Schüler auf ihm ruhen ließen.

„Warum diese Empörung? Ist mein Vorschlag so abwegig?"

„Wie können Sie das sagen!", ereiferte sich Atticus. „Die Heiligen Ungeheuer freilassen und die Macht der Finsternis entfesseln?! Was versprechen Sie sich davon?!"

„Die Vereinigung mit dem Licht, junger Freund. Wenn es uns gelänge, die Heiligen Ungeheuer mit den Göttermonstern zu verschmelzen und so die Mächte von Licht und Dunkelheit in drei Wesen zu bündeln, anstatt sie zu trennen, würden wir ein Gleichgewicht erreichen, das sich Tutangatons Kontrolle entzieht. Dann hätten wir es nur noch mit ihm selbst zu tun und das würde uns den entscheidenden Kampf ohne Frage erleichtern."

„Ist es denn überhaupt möglich, die sechs Kreaturen zu vereinen?", mischte Zane sich ein und verschränkte die Arme. Seine Haltung drückte eindeutige Skepsis aus. „Außerdem, woher sollen wir die Götterkarten bekommen? Seitdem das Alter Ego von Yugi Muto in die Vergangenheit zurückgekehrt ist, hat man nichts mehr von ihnen gehört. Allgemein nimmt man an, dass sie zerstört worden seien."

„Nun, das ist falsch. Götterkarten lassen sich nicht so mir nichts, dir nichts zerstören. Sie befinden sich zurzeit im Sicherheitstresor von ‚Industrial Illusions‘ und sind durch sieben magisch versiegelte Tore geschützt."

„Warum kommt mir das nur so bekannt vor?", stöhnte Syrus.

„Sehen Sie? Und schon hat die Sache einen Haken!", fügte sein Bruder missgestimmt hinzu.

„Aber nein", entgegnete der Professor, immer noch lächelnd. „Wir müssen uns eben aufs Festland begeben und den Firmensitz besuchen."

„Womit Sie uns schonend beibringen wollen, dass wir dort einbrechen sollen.", stellte Bastion nüchtern fest. „Wissen Sie was? Sie sind verrückt."

„Oh, ganz und gar nicht." Die Augen des Dozenten verfärbten sich mit einem Mal blutrot, eine dunkle Aura der Schatten baute sich um ihn herum auf. „Die Sieben Krieger des Anubis sind Attentäter. Leise und unbemerkt irgendwo einzudringen ist eine eurer Spezialitäten. Und natürlich steht euch meine alchemistische Magie zur Verfügung... vorausgesetzt, wir vergessen die Duelle auf Leben und Tod und ihr arbeitet mit den letzten beiden Schattenreitern zusammen. Wir haben einen gemeinsamen Feind. Was meint ihr?"

„Es ist nicht an uns, diese Entscheidung zu treffen", sagte Alexis kühl. „Fragen Sie unseren Anführer. Wenn er zustimmt, werden wir das auch."

„So soll mein Plan also von der Gunst eures Anführers abhängen? Ich beuge mich diesem Urteil. Jaden wird entscheiden... gemäß seinem Schicksal." Sein Lächeln verblasste, tiefer Kummer zeichnete sich in seinem Antlitz ab. Er wirkte gealtert, kränklich.

„Gemäß seinem Schicksal? Was soll das heißen?"

„Licht und Schatten. Zwei Seiten. Zwei Aspekte, die sich die Waage halten und nebeneinander existieren. Der Ort der Entscheidung wird das Siebte Tor sein. Und nur einer wird überleben."

„Hören Sie endlich auf, in Rätseln zu sprechen!", beschwerte sich der Hüter des Ersten Tores. „Dieses kryptische Geschwafel macht unsere Lage auch nicht besser!"

Amnael schwieg.
 

Am Abend desselben Tages schiffte sich ein junger Mann auf der „Anne-Catherine" ein, einem Proviantboot, das die Lebensmittel für die Studenten und Lehrer zur Akademieinsel transportierte. Der Kapitän nahm normalerweise keine Passagiere an Bord, aber da der Bursche ordentlich bezahlte, ließ er sich überreden.

„Wohin soll‘s denn gehen, Mr. Aristides? Wir fahren die Route über Poker Hill und Casino Town. Wo soll ich Sie absetzen?"

„... In Domino City."



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Kommentare zu dieser Fanfic (132)
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Von:  ReginaldKastle16
2016-08-18T10:54:55+00:00 18.08.2016 12:54
Kannst du bitte mal weiter schreiben ich liebe deine Ff und ich hoffe das deine nächsten Kapitel genauso gut sind wie die letzten Kapis
Von:  ReginaldKastle16
2016-08-18T09:02:13+00:00 18.08.2016 11:02
Warte, warte, wann ist bitte Shezar gestorben nach dem Blutsschwur? Habe ich das vor ein paar Kapiteln überlesen ? Auf jeden Fall finde ich bis jetzt deine ganzen Kapitel gut geschrieben und die Prophezeiung hast du auch cool zusammen gedichtet und ich finde es richtig Schade das du nicht mehr weiter schreibst.
ReginaldKastle
Von:  Uke-Yun
2016-04-24T16:43:16+00:00 24.04.2016 18:43
Hey
Warum schreibst nicht weiter? Würde mich sehr freuen auf eine Forsetzung, denn ich finde es spannend und interessant.

*Kekse und Milch hinstelle*

LG da Uke ;)
Von:  jyorie
2013-07-06T18:43:21+00:00 06.07.2013 20:43
Hallo ^_^

wie gut, das das Duell nicht statt gefunden hat. Die Liebeserklärung von Chazz war sooooooo schön :D ach ja mir hat die FF gefallen und ich würde gern weiter lesen, der Vorschlag gefällt mir sehr gut, das die Anubis-Black-Attentäter jetzt als Einbrecher hätten agieren sollen und die Götterkarten aus dem Save von Pegasus holen *ggg* klingt gut :D

Liebe Grüße, Jyorie :)

Von:  jyorie
2013-07-06T18:22:01+00:00 06.07.2013 20:22
Hallo ^_^

oh man, das ist ja eine Sache, sie haben einem unrechtmässigen Herrcher in gedient und geglaubt das richtige zu tun, das ist nicht leicht zu verkraften, wenn man glaubt das Richtige zu tun. Ich kann es gut verstehen, wenn sie das nicht glauben wollen und können. Aber die erklärungen hören sich logisch an.

Oh man, das Duell, das sich gerade ankündigt gefällt mir gar nicht, kann den Jaden nicht entscheiden, wen er will? Ich meine wenn Chazz verletzt wird, dann wird er sich doch sicher um ihn kümmern, oder auch wenn es umgedreht ist, einer von beiden wird immer seine Liebe getötet haben … ich bin gespannt, wie du das lösen wirst :D

Liebe Grüße, Jyorie :)

Von:  jyorie
2013-07-05T16:29:50+00:00 05.07.2013 18:29
Hallo ^_^

Also sind die Anubis Black alle reingelegt worden? Das zu Glauben und zu akzeptieren wird sicher nicht einfach. Ich bin gespannt, ob sie sich überzeugen lassen. >.<

Liebe Grüße, Jyorie :)

Von:  jyorie
2013-07-05T08:56:40+00:00 05.07.2013 10:56
Hallo ^_^

WOW … was ein Duell, erst die Kraft, dann der Geist mit den tollen Rätzeln und zum schluß einen Herzensprüfung … auf die Lösungen muss man erst mal kommen, es ist wirklich nicht einfach, was du deinen Kriegern alles für Steine in den Weg gelegt hast. Und wie sie es schaffen alle Hindernisse zu überwinden … ich find das toll :D

Liebe Grüße, Jyorie :)

Von:  jyorie
2013-07-05T08:56:33+00:00 05.07.2013 10:56
Hallo ^_^

es sieht so aus, als ob die Anibis Black einem Geheimnis näher kommen – kann es wirklich sein, das sie auf der falschen Seite kämpfen, das sie für die Dunkelheit stehen und es nicht wissen? Oder ist es so, das beide Seiten keine berechtigung haben und am besten der Krieg einfach begelegt werden sollte?

schön, das du auch wieder ihre Beziehungen mit drine hast und sie sich sorgen umeinander machen :D Das ist toll zu lesen :D

Liebe Grüße, Jyorie :)

Von:  jyorie
2013-07-04T15:22:20+00:00 04.07.2013 17:22
Hallo ^_^

das klingt alles so schön Geheimnisvoll – ist vielleicht Sheppard schon Sheppartd aber das sich momentan jemand anders für ihn ausgibt der ihm halt ähnlich sieht und deshalb paßt das alles irgendwie nicht zusammen ...

Außerdem mag ich es wie du die verlegen heit und die Anziehung der beiden (Hiron und seines Schwarms) beschreibst, aber auch der Rückblick mit dem Sklaven der im Stand gehoben wurde beschreibst.

Liebe Grüße, Jyorie :)

Von:  jyorie
2013-07-04T15:22:13+00:00 04.07.2013 17:22
Hallo ^_^

ein extra Level in der Trainingsarene für den Anführer und ausgerechnet den nimmt Jaden zum testen, ich dachte ja schon er ist etwas größenwahnsinnig, so aus dem Standheraus mit dem höchsten level zu beginnen und dann mit 5m hohen Monster – aber der Kampf war einfach nur gigantisch!

Ist das alles vielleicht einfach nur eine große Famiien-Fede ... wenn die Schüler merken das die Prophezeihung nicht passt, es unstimmigkeiten mit den Göttern/Monstern gibt und sie im Kanzlerbüro noch ein Foto mit einem Bruder(?) finden der ihm sehr ähnlich sieht?? ... hm ...

Oh und noch ein neuer Schüler der es auf Jadens Herz abgesehen hat. ...

Liebe Grüße, Jyorie :)



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