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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 49

Kapitel 49
 

Im Lager löste ihr Besuch leichtes Erstaunen bis große Wiedersehensfreude aus. Faari wurde gleich von einigen Männern zur Seite gezogen, um sich die neulichst erbeuteten Pfeile einer ausländischen Karawane zeigen zu lassen. Als Mudiwas Bräutigam war Penu schon am Meisten einer von ihnen und so bekam er von allen Seiten feste Schulterklopfer und einen Krug voll Wein in die Hand gedrückt. Und natürlich tausend Fragen nach ihrer kleinen, schwarzen Mudi, welche hier mit ihren Erziehungsversuchen sichtlich vermisst wurde. Die Räubersmeute sah noch zerzauster und schmutziger aus als das letzte Mal. Man sah ihnen an, dass sie lange keine Frau mehr in ihren Reihen hatten.

Seth wusste, dass sie nun die größtmögliche Sicherheit gefunden hatten und das versuchte er auch der verunsicherten Königsfamilie zu zeigen. Er nahm den Prinzen in den Arm und sagte ihm die Namen der Männer, die ihm so fremd waren. So ungepflegt, laut, rau und wild. Das waren ganz andere Wesen in seinen Augen. Die Prinzessin verkroch sich skeptisch und müde vom Tag in den Armen ihrer Mutter und wollte anscheinend nur noch ihre Ruhe haben. Und die Königin? Sie blickte ähnlich staunend wie ihr Sohn diese fremdartigen Männer an, welche sich johlend zuprosteten und sie weniger begrüßten als mehr mit spitzen Seitenblicken bedachten. Frauen sahen sie hier in der Wüste sicher nicht oft und so beschloss sie, sich lieber an Seths Arm zu hängen und auf seinen Schutz zu hoffen, wobei gar nicht erst vom Wagen stieg. Auch wenn die Räuber gnädig gestimmt schienen, so musste man als Frau und Mutter dennoch Vorsicht walten lassen.

„Sei gegrüßt, Seth.“ Als erster Räuber, welcher nicht bedrohlich wirkte, stellte sich der alte Ahmose zu ihnen und streckte dem Priester seine Hand zum Wagen hinauf.

„Ahmose, schön dich wiederzusehen“ lächelte Seth und umfasste sein Handgelenk.

Die Königin betrachtete den alten, dünnen Mann mit seinem schulterlangen, hellgrauen Haar und der zerschlissenen, aber sauberen Kleidung. Seine hellbraunen Augen wirkten gütig und sein Lächeln freundlich. Auch wenn seine Zähne etwas schief standen.

„Überraschend, dich wiederzusehen, Priester“ erwiderte er erfreut. „Was treibt dich zurück in die Wüste? Noch dazu in so bezaubernder Damenbegleitung.“

„Natürlich, verzeih“ lachte er sanft. „Diese bezaubernde Damenbegleitung ist unsere Königin Abunami.“

„Die Königin. Es freut mich“ nickte er ihr lächelnd zu und wanderte mit seinem Blick ein wenig tiefer. „Ich meinte mit bezaubernd jedoch eher diesen süßen Augenstern.“

„Die Prinzessin Piatra“ stellte Seth das misstrauisch und müde dreinblickende Mädchen vor.

„Sie ist wunderschön“ lächelte er und blickte die Königin an. „Darf ich sie berühren? Meine Hände sind sauber.“

Abunami nickte unsicher und beobachtete wie seine vom Alter gezeichnete Hand über die rot verbrannte Wange ihrer Tochter strich und seine gütigen Augen sie verliebt ansahen.

„Ebenso mürrisch hat mich meine Tochter damals auch angesehen“ erzählte er verträumt, sah sie noch einen ganzen Moment an, bevor er sich lachen von ihr löste. „Bitte verzeiht, Majestät. Aber ich habe seit Jahren kein so schönes Kind mehr gesehen. Sie hat große Ähnlichkeit mit ihrem Vater.“

„Ja, das ist wahr“ bestätigte sie leise. „Sie ähnelt ihm sehr.“

„Und wer ist dieser hübsche Junge?“ Er lächelte auch den Prinzen unbedrohlich an und erlaubte sich selbst, sein Haar zu berühren.

„Der Prinz“ antwortete Seth und achtete darauf, dass dem Kleinen nicht die Angst hochstieg vor diesem andersartigen Fremden.

„Es ist mir eine Ehre, mein Prinz“ nickte er ihm ehrerbietig zu.

„Schön, dich kennenzulernen“ erwiderte der Kleine aus Gewohnheit heraus. „Wie lautet dein Name?“

„Ahmose“ wiederholte er.

„Schön, dich kennenzulernen, Ahmose“ grüßte er zurückhaltend, aber höflich.

„Seth.“ Da nahm die Königin seinen Arm und blickte aufmerksam nach vorn. „Wer ist das?“

Er folgte ihrem Blick und erkannte ihn sofort. Er stach aus seiner Meute heraus wie eine Oase aus der Wüste. Sein hüllend schwarzes Wüstengewand, sein langes, nachtschwarzes Haar, seine helle Haut, seine dunklen Augen. Sein Gang so elegant und stolz, sein muskulöser Körper wie der einer Raubkatze. Eine wahre Augenweide und er konnte ihre Überraschung deutlich sehen. Einen solchen Mann hatte sie hier mit Sicherheit nicht vermutet.

Er war schon bei ihnen, bevor Seth genug Aufmerksamkeit von der Königin bekam, um ihr zu antworten. Sie blickte nur noch ihn an und war sichtlich entrückt. Er blickte auch zurück, blickte sie sehr intensiv an, aber war zu aller erst an Seth interessiert. Und er begrüßte auch ihn zuerst.

„Seth“ sprach er mit ruhiger Stimme und blieb vor dem Wagen stehen. Seine dunklen Augen schenkten ihm einen Blick, welcher die Trauer eines Verlassenen verriet, aber auch eine gewisse Freude darüber, ihn wiederzusehen. Er schien sich unsicher, was er von diesem Besuch halten sollte.

„Emenas.“ Dafür zeigte Seth nur sanfte Freude darüber, ihn zu sehen. „Ich bin froh, dich gesund zu sehen. Wie geht es dir?“

„Ich bin gesund“ antwortete er schlicht. „Was tust du hier? Bist du aus dem Palast geflüchtet? Hat er dich nicht gut behandelt?“

„Sorge dich nicht. Der Pharao hat mich besser als nur gut behandelt.“ War es ihm zu verdenken, dass er erst erfragte, ob er sich wieder Hoffnungen machen durfte? Emenas hatte ihn noch nicht aufgegeben und sicher irgendwo auch gewünscht, dass Seth zu ihm zurückkehren würde. Aber er wusste auch, dass er gegen den Pharao keinen Kampf gewinnen konnte. Keinen Kampf um Seths Herz.

„Dann frage ich mich, ob du gar nichts gelernt hast.“ So trat er zurück und verschränkte seine Arme, sah ihn tadelnd an. „Es ist nicht gut, mit so kleinem Gefolge zu reisen. Selbst wenn ihr nicht als Palastangehörige zu erkennen seid, ist das unverantwortlich. Ihr könntet auf Schurken treffen.“

„Genau darauf habe ich ja gehofft“ lächelte er ihn entschuldigend an.

„Steck deinen Liebreiz weg. Das ist unfair“ murrte er ein wenig eingeschnappt. Ihm erst einen Korb geben und dann schmeicheln, das war wirklich eine linke Masche. Stattdessen wand er seinen Blick zu dem Prinzen, der ihn mit großen Augen anglotzte und den Mund offenstehen ließ. „Na, Kumpel?“ sprach er ihn mit dunkler Stimme an. „Bist du eine Echse?“

„Was?“ Da wurden seine Augen noch größer und verwunderter.

„Weil du den Mund aufsperrst. Das kenne ich nur von Echsen.“

„Ich bin keine Echse“ stritt er sofort ab. „Ich bin der Prinz von Ägypten.“

„Ach. Ich dachte, du bist eine Echse“ schmunzelte er neckisch und blickte dann die seltenschöne Frau an. „Und Ihr seid dann die Königin?“

„Ja“ nickte sie und musste seinem einnehmenden Lächeln in gleicher Weise antworten. „Und Ihr seid?“

„Ich bin bezaubert“ sprach er, reichte ihr die Hand und küsste ihre zarten Knöchel zum Gruße. „Emenas, Majestät. Herr über diese Meute.“

„Abunami“ stellte sie sich ebenso vor, bezaubert von seinem guten Betragen und seiner schönen Stimme. „Herrin der Echsen.“

„Ich sehe es“ lachte er und blickte zu der in Mutters Armen versteckten Prinzessin, welche etwa auf seiner Höhe saß und ihn ebenfalls mit offenem Mund anstarrte. „Du bist ja ganz verbrannt, Liebes“ stellte er beim Blick in ihr rotes Gesicht fest. „Bist die schlimme Sonne nicht gewöhnt, was?“

„Ihr seid sicher vieles nicht gewöhnt“ bedauerte Ahmose. „Emenas, wenn du erlaubst, würde ich den Kindern gern von deiner Salbe geben.“

„Natürlich, tu das nur“ nickte er ihm zu und kam zurück zu Seth. „Ich gehe davon aus, dass ihr über Nacht bleiben wollt?“

„Um ehrlich zu sein, mehr als das“ gestand er gleich. „Ich ersuche deine Hilfe, Emenas. Du bist unsere einzige Hoffnung.“

„Na, dann bin ich ja wenigstens das für dich“ seufzte er und sah ihn aus tonlos dunklen Augen an. „Trinkst du einen Wein mit mir?“

„Natürlich“ antwortete er gedämpft. „Es tut mir leid. Du kommst dir sicher ein wenig ausgenutzt vor. Dass ich nur komme, da ich etwas erbitte.“

„Schon gut. Ich habe nur nicht gedacht, dass ich dich nochmals wiedersehe. Aber du hast ja klargestellt, woran ich bin.“

„Emenas …“

„Du weißt, dass ich dir nicht nein sagen kann. Und eigentlich bin ich ja froh, dass du zu mir kommst und mich um etwas bitten willst. Und natürlich, dass du mir solch eine Schönheit bringst.“ Er blickte die Königin sanft an und setzte ein vorbehaltloses Lächeln auf. „Leistet Ihr uns beim Wein Gesellschaft, Hoheit?“

„Darf ich Euch etwas fragen?“ erwiderte sie vorsichtig.

„Natürlich. Wir sprechen hier ohne Reue“ nickte er sie lieb an. „Was liegt Euch auf dem Herzen?“

„Seid Ihr … und Seth … seid Ihr mit ihm … oder gewesen?“

„Nein, leider nicht“ antwortete er. Auch wenn sie ihre Frage nicht ganz formulierte, wusste er, worauf sie hinauswollte. Offensichtlich besaß sie eine seltene Beobachtungsgabe. „Er hat mir eine Absage erteilt und ist lieber in den Palast gezogen. Ich weiß nicht, ob Ihr das verstehen könnt.“

„Doch, gewisser Weise“ seufzte und sah ihn traurig an. „Auch mir hat man eine Absage erteilt und sich eher für den Palast entschieden.“

„Dieser Mann muss ein Narr sein“ tröstete er sie mit fester Stimme. „Sagt mir ein Wort und seinen Namen und ich werde ihm gern einen Besuch abstatten.“

„Ihr seid reizend, Räubersmann“ lächelte sie ihn gerührt an. „Und so hübsch, wenn ich das bemerken darf.“

„Ihr ebenfalls“ schmunzelte er zurück und reichte ihr die Hand. „Wenn ich Euch herabhelfen darf, Königin. Ihr seid sicher erschöpft von der langen Reise.“

„Ich danke Euch.“ Sie nahm seine Hand und ließ sich herunterhelfen, wobei er ihr wie selbstverständlich die kleine Prinzessin abnahm, welche ihn nur erstaunt anblickte und bei einem Fremden wie ihm nicht mal zu weinen begann, obwohl sie derzeit so sensibel war. Doch wenn Mutter sie so mutig aus dem Arm gab, kam sie kaum dazu, sich zu fürchten. Im nächsten Moment nahm sie ihre Tochter auch sogleich wieder an sich, sobald sie sicheren Boden unter den nackten Füßen spürte.

Seth half dem Prinzen herunter und stellte ihn neben seine aufmerksam wartende Mutter auf den Boden.

„Ich schlage vor, wir gehen in mein Zelt.“ Emenas wies auf das kleinere der drei Zelte, welches etwas weiter rechts aufgebaut war. „Dort wird sich mein Heiler die verbrannte Haut Eurer Kinder ansehen. Er hat magische Hände, ich kann es bezeugen.“

„Das glaube ich. Ihr habt selbst so helle Haut“ erwiderte sie und ließ sich von ihm durch die trinkende und lachende Meute hindurchführen. „Wie kommt es, dass ein schöner Mann wie Ihr Wüstenräuber wird?“

„Ebenso könnte ich fragen, wie eine schöne Königin wie Ihr als Händlerin getarnt durch so gefährliches Gebiet reist“ antwortete er und blickte sie sanft an.

„Ein Schicksalsschlag und eine ungewisse Zukunft“ sagte sie ihm traurig.

„Dann haben wir auch das gemeinsam.“ Er blickte sich nach Seth um und sah, dass er nur kurz den Kopf schüttelte. Nein, die Königin wusste nichts. Und das sollte nach Möglichkeit auch so bleiben. „Aber seid nicht betrübt, meine Königin. Ich werde hier dafür sorgen, dass Euch kein Leid geschieht und Ihr vielleicht ein wenig Abstand gewinnt. Auch wenn ich Euch nur eine verlauste Räuberbande anbieten kann.“

„Ihr seid sehr gütig, Emenas.“

„Seid nicht so förmlich. Bitte sagt du“ bat er und hielt gab ihr seinen Arm, als sie über den kleinen Wasserlauf steigen mussten.

„Du ebenso“ lächelte sie ihn entzückt an. „Ich bin doch jetzt wohl eine Räubersfrau auf Probe. Klingt nach einem spannenden Experiment.“

„Du bist wirklich mutig, Abunami“ schmunzelte er. „Bist du immer so aufgeschlossen?“

„Solange du mich nicht mit diesen Wilden allein lässt?“

„Wie könnte ich? Ich will doch nicht, dass du Läuse bekommst.“

Als beide lachten, kam Seth der Gedanke, dass er hier ein wenig überflüssig war. Emenas um den geplanten Gefallen zu bitten, schien keine Überwindung zu werden. Die beiden schienen sich auf Anhieb gut zu verstehen. Es wäre wohl eher schwer, sie jetzt wieder zu trennen. Denn es war eindeutig, dass sie sich gegenseitig viel Trost spenden konnten. Obwohl sie aus zwei fremden Welten kamen, trafen sie sich hier im Niemandsland wie zwei Menschen. Vielleicht war dies, das erste Positive in schwieriger Zeit.
 

Als die Sterne draußen am Himmel funkelten und der fast volle Mond den hellen Wüstensand beschien, lag die Königin mit ihren Kindern das erste Mal wirklich geschützt im Schlaf. Emenas hatte ihr sein Lager angeboten und es dauerte nur einen Kelch Wein und ein kurzes Augenschließen bis die erschöpfte Königin beruhigt hinfort driftete. Die Kinder hatten sich dicht an sie gekuschelt und waren selbst allzu schnell dem Schlaf verfallen. Es waren harte Tage gewesen und ein aufregender Abend. Doch nun spürten sie, dass sie endlich eine Nacht ruhen konnten.

„Eine bemerkenswerte Frau“ stellte der alte Ahmose fest und beobachtete wie Seth eine warme Decke über ihr und den Kindern ausbreitete. „Als verwöhnte Königin in einem Nest voll Banditen so einfach einzuschlafen. Den Mut hat wahrlich nicht jede.“

„Sie ist erschöpf von der Reise und ihrem Schwermut“ seufzte Seth und schlug die Decke über ihren Schultern um, damit der Prinz noch atmen konnte. „Aber ich muss dir zustimmen. Sie ist eine Frau wie es keine zweite gibt. Zu Recht nennt man sie Königin.“

„Weshalb ist sie so schwermütig?“ fragte Emenas und füllte seinen und Seths leeren Kelche nach.

„Man hat ihr das Herz gebrochen“ seufzte er, strich über ihr seidenes Haar und löste sich dann, um seinen Platz neben Emenas einzunehmen.

Der reichte ihm den Kelch und blickte ihm einen Moment verloren und tief in die Augen, bevor er sich abwand und selbst trank.

„Was ist mit dir?“ tastete Seth vorsichtig an. „Du wirkst auch bedrückt, mein Freund.“

Jedoch Emenas antwortete nicht. Er sah in seinen Kelch und ließ die dunkle Flüssigkeit darin im Kreise schwenken, beobachtete die schüchternen Reflektionen auf ihrer Oberfläche. „Warum bist du hier?“ fragte er dann tonlos zurück. „Du sagtest, ich sei deine letzte Hoffnung. Also was begehrst du als Palastpriester von einem dir unwürdigen Ausgestoßenen wie mir?“

„Emenas …“ Er schien gekränkt. Seth hatte gehofft, er würde sich freuen, ihn wiederzusehen. Aber viel eher schien er mit seiner Anwesenheit alte Wunden zu öffnen.

„Sprich schon“ bat er gedämpft. „Was willst du, Seth?“

„Die Krone ist in großer Gefahr“ sprach er und lehnte sich nähesuchend ein Stück mehr zu Emenas hinüber, jedoch ohne ihn zu berühren. „Im Palast geht ein Komplott vor sich. Man plant, den Pharao zu stürzen.“

„Und was geht mich das an?“

Seth seufzte und blickte den alten Ahmose an, welcher ihn nur entschuldigend anlächelte. Dieses Sprechen schien ihm nicht eben unbekannt zu sein.

„Der Anführer dieses Putschversuches war der Geliebte der Königin“ sprach er ruhig weiter. „Er plante, sie und ihre Kinder zu morden. Der Pharao musste sie aus dem Palast bringen und ich suche nun nach einem sicheren Versteck.“

„Und nun willst du mich bitten, die Kronfamilie zu verbergen.“

„Du bist der einzige Mensch, dem wir genug vertrauen können. Bei dir wird sie niemand vermuten. Wenn ihnen etwas geschieht, ist die Thronfolge bedroht und damit ganz Ägypten. Sollte der Pharao wirklich ohne Erben vom Thron gestoßen werden, so wird Ägypten in einigen Jahren nicht mehr es selbst sein.“

„Ägypten ist mir egal. Ägypten hat mich nie gewollt“ antwortete er verbittert. „Was schert mich der Pharao? Er hat sich auch nie um meine Probleme geschert.“

„Du weißt, dass das nicht wahr ist“ versuchte Seth ihn zu beschwichtigen. „Du hast den Pharao kennen gelernt und selbst gespürt, welch große Güte er besitzt. Dein Unglück ist nicht seine Schuld. Und wenn du ihm jetzt hilfst, so wird Ägypten ewig in deiner Schuld stehen.“

„Deine Meinung.“ Er nahm einen tiefen Zug aus seinem Kelch und vermied es auch, seine verlorene Liebe dabei anzusehen. Scheinbar fiel ihm die Erfüllung dieses Gefallens doch nicht so leicht wie Seth gehofft hatte.

„Wenn du es nicht für den Pharao tust, dann tu es für die Königin“ bat er mit betont sanfter Stimme. „Sie ist nicht verantwortlich für all das, was geschieht. Sie ist eine Leidtragende, genau wie das Volk. Ich bitte dich nicht für den Pharao und auch nicht für mich. Ich bitte dich für sie und für die Kinder. Für eine Mutter und ihre Familie. Ich weiß, dass sie dein Herz sogleich im ersten Moment bewegt hat. Ich habe es doch gesehen. Bitte gib diesem deinem Herzen einen Stoß und nimm sie unter deinen Schutz.“

„Was bekomme ich dafür?“ Er wand seinen dunklen Blick auf Seth und bohrte sich in seine tiefblauen Augen.

„Was immer du begehrst“ versprach er und fasste freundschaftlich seinen kräftigen Arm. „Gold, Edelsteine, Vieh, Land. Was immer du begehrst, du wirst es bekommen. Für den Schutz der Königin steht dir der größte Lohn zu.“

„Eine Nacht mit dir“ forderte er, ohne über die anderen Angebote auch nur nachzudenken. „Gib dich mir eine Nacht hin. Dann werde ich deine Bitte erfüllen.“

„Emenas, da spricht nicht deine Vernunft“ bat Seth betrübt. „Ich weiß, dass dich meine Ablehnung gekränkt hat. Aber bitte lass das nicht unsere Bruderschaft trüben.“

„Eine Nacht“ forderte er ernst. „Diese Nacht. Jetzt und hier. Bis die Sonne aufgeht, gehörst du mir. Danach kannst du von mir erbitten, was immer ich dir zu bieten vermag.“

„Emenas, ich bitte dich“ sprach er erneut mit einem Hauch von Flehen. „Behandle mich nicht so. Mein Herz gehört dem Pharao. Ich kann ihn nicht hintergehen.“

„Hintergehst du ihn nicht eher, wenn du deine eigenen Wünsche über deine Treue stellst?“ erwiderte er hart. „Gib dich selbst für sein Wohl. Das beweist deine Liebe. Oder willst du die Königsfamilie ausgelöscht sehen, nur weil du zu großen Stolz entwickelt hast?“

„Emenas, warum bist du so zu mir?“ fragte er gedämpft und schenkte ihm einen Blick, der seine Enttäuschung und Ratlosigkeit nicht verbarg. „Ich bin dein Freund. Weshalb behandelst du mich wie einen …?“

„Wie einen Sklaven?“ ergänzte er hart. „Weil wir nichts anderes sind, Seth. Und weil wir niemals etwas anderes sein werden.“

„Emenas, bitte.“ Er drehte sich nach der Königin um, aber sowohl sie als auch die Kinder schliefen tief und fest. „Ich wollte das Wort Feind wählen“ sprach er leise weiter und neigte sich ihm vorsichtig zu. „Warum behandelst du mich wie einen Feind? Ich bin dein Freund.“

„Vielleicht war ich zu lange mit Abschaum zusammen.“ Er stürzte den Rest Wein seine Kehle hinunter und stellte den Kelch in den Sand. „Überlege es dir, Seth. Wenn du Ägypten retten willst, musst du eben die Rolle spielen, die dir gegeben wurde. Keiner kann sich sein Schicksal aussuchen.“

Er stand auf, klopfte sich den Sand ab und nahm eine Decke vom Haufen, bevor er zielstrebig den Ausgang ansteuerte.

„Wohin gehst du?“ fragte Seth beunruhigt hinterher. Diese Sache war für ihn noch nicht geklärt.

„An die Wasserstelle“ antwortete er tonlos. „Falls du dich doch noch entschließt, mich zu besuchen, weißt du, wo du mich findest. Ansonsten kannst du die Königin und ihre Bälger morgen wieder mitnehmen. Gute Nacht, Ahmose.“

„Gute Nacht, Boss“ antwortete der Alte, welcher sich die ganze Zeit aus dem Gespräch herausgehalten hatte. Und auch nun ließ er ihn ziehen, ohne sich einzumischen. Er kannte Emenas lange und gut und er wusste, dass es besser war, sich aus seinen Angelegenheiten herauszuhalten.

„Was ist mit ihm?“ fragte Seth nun ihn. Er konnte dieses gemeine und ablehnende Verhalten nicht einordnen. Emenas war ihm nie so derart bösartig begegnet.

„Du machst es ihm wahrlich nicht leicht“ antwortete der Alte und brach den letzten Laib Brot vor sich in mundliche, kleine Stücke.

„Meinst du, es ist meine Schuld, dass er … so ist?“

„In gewisser Weise“ nickte er und sprach mit sicherer, ruhiger Stimme. „Weißt du, Seth, als du gingst, hast du ihm seinen Lebenssinn genommen.“

„Seinen … Lebenssinn?“ Er rutschte zu dem Alten herum und beobachtete erst seine faltigen Finger, wie sie das Brot zerrupften und betrachtete dann sein dunkelgebranntes Gesicht. „Was meinst du damit?“

„Fällt dir so gar nichts ein?“

„Nein. Ich weiß mit einem Mal gar nicht mehr, was ich denken soll. Er ist so anders.“

„Versuche dich in seine Lage zu versetzen“ sprach Ahmose weise. „Seit er damals geflohen ist, verbrachte er sein Leben damit, nach dir zu suchen. Diese Suche war es, was ihn hat weitergehen lassen. Nun hat er dich gefunden und sieht seine Suche beendet. Natürlich beginnt er, sich zu fragen, was kommen soll. Sein Handeln hat nun keinen Grund mehr. Hinzu kommt, dass er dich gleich nach dem Finden wieder hergeben musste. Mit schwerem Herzen gegen ausgerechnet den Pharao zu unterliegen, welchen er immer hasste. Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, was das für ihn bedeutet.“

„Grundsätzlich kann ich ihn ja verstehen“ seufzte er und fuhr sich das Haar aus der Stirn. „Ich würde ihm ja auch helfen, aber er lehnt meine Hilfe ab. Was rätst du, soll ich tun?“

„Ich weiß es nicht“ antwortete er der Wahrheit entsprechend. „Seine Gefühle waren mir schon immer ein Rätsel. Ich weiß nur, dass er unter seiner rauen Fassade einen sehr weichen und verletzlichen Kern versteckt.“

„Das macht es auch nicht leichter“ seufzte er und stützte nachdenklich das Kinn auf seine angezogenen Knie. Er wusste, dass Emenas noch immer liebevolle Gefühle für ihn hegte. Er würde ihm diese Gefühle auch gern erwidern, jedoch sträubte sich sein Herz dagegen. Emenas war ein großartiger Mann. Er war einfühlsam und stark. Ein wahrlicher Beschützer. Er war intelligent und obendrein ausgesprochen schön. Seth würde ihn nur zu gern lieben … jedoch gehörte sein Herz dem Pharao. Er nahm sein ganzes Herz ein, all sein Wesen – daneben existierte kein Platz für jemand zweiten. Weder für einen Mann noch für eine Frau. Aus diesem Grunde hatte er sich entschlossen, seine Verlobte zu verlassen, um ihr die Schande zu ersparen, immer hinter dem Pharao zurückstehen zu müssen. Es wäre ungerecht, Emenas etwas anderes als dies vorzuspielen. Das hatte er nicht verdient. Und Atemu auch nicht. Sein geliebter Pharao war nur wenige Tagesreisen entfernt im Palast und kämpfte dort um Ägyptens Vorherrschaft. Wie konnte er es überhaupt nur wagen, an etwas anderes als ihn zu denken? Aber auf der anderen Seite war er doch genau deshalb hier. Er hatte die Pflicht und den Befehl, die Königin und den Thronfolger in Sicherheit zu bringen. Wo auch immer sie hinreisten, Ephrab würde sie finden. Es gab kein sicheres Versteck, seine Verbindungen reichten wie die der Königin überall hin. Nur nicht bis hier her. Er hatte keine Verbündeten in den Reihen der Wüstenräuber, da er sich mit solchem Pack niemals befassen würde. Bei Emenas und seiner Bande war der sicherste Platz für die Königin. Der Pharao konnte nicht frei um seine Herrschaft kämpfen, wenn er nicht seine Familie außer Gefahr wusste. Und es war Seths Pflicht als Geliebter und als treuer Priester, ihm diese Freiheit zu geben. Und wenn er dafür seinen eigenen Stolz fortschieben musste … es würde alles tun. Alles für seinen Pharao. Und eine Nacht in Emenas‘ Armen war nun wahrlich keine Strafe.

„Danke, Ahmose“ seufzte er und erhob sich. „Ich wünsche dir eine gute Nacht.“

„Die wünsche ich dir auch, Seth“ erwiderte er und steckte sich ein kleines Stück Brot in den Mund.

Seth wartete noch einen Augenblick, ob der Alte ihm noch einen Rat mitgeben würde, aber dieser hielt sich weiter aus derlei Beziehungen heraus. Er würde weder Seth noch Emenas sagen, was sie tun konnten. Das mussten die jungen Männer für sich selbst herausfinden.

So verließ Seth das Zelt und musste zuerst über einen betrunkenen Räuber hinwegsteigen, welcher wohl auf dem Weg zu seinem eigenen Nachtlager eingeschlafen war. Er roch aufdringlich nach Wein, aber sein schmutziges Gesicht sah zufrieden aus. Es waren merkwürdige, eigensinnige Menschen mit denen Emenas lebte. Obwohl sie Räuber waren, so waren sie nicht schlecht. Sie hatten nur ihren Weg verloren.

So kam Seth dazu, darüber nachzudenken, wie elend sein Freund sich fühlen musste. Er hatte sein Ziel aus den Augen verloren, kannte keinen Weg mehr. Und nun musste er sich der Frage stellen, was mit dem Leben noch anzufangen war. Ein Leben als Räuber zu fristen, war einem hellen und guten Geist wie seinem nicht gerecht. Aber ohne die Hilfe eines Mächtigeren würde er der Wüste nicht entkommen. Im Gegensatz zu Seth war er als Sklave gekennzeichnet und würde deshalb niemals frei sein. Doch einen Adligen oder Reichen zu bitten, ihm zu helfen, das wurde seinem Stolz nicht gerecht. Er würde niemals jemand anderen um Hilfe anflehen. Eher würde er sterben als nochmals seine Freiheit aufzugeben.

Seth erreichte die Wasserstelle und sah ihn dort liegen. Er schlief nicht, sondern beobachtete die Myriaden von Sternen, welche hoch oben funkelten und sich in seinen dunklen Augen wiederspiegelten. Er hatte so klare Augen, dass sie selbst zu strahlen schienen. Und ebenso strahlend war auch seine Seele. Wenn er nur nicht so verletzt wäre. Und nicht zuletzt für eine seiner vielen Wunden fühlte er sich verantwortlich. Wenn ihn ein wenig körperliche Nähe zu trösten vermochte … Atemu würde es sicher verstehen.

„Emenas?“ Er trat näher und sofort erhob sich der Angesprochene. Er blickte ihn tonlos an, als er herüberkam und sich neben ihn auf die ausgebreitete Decke setzte.

„Seth“ antwortete er dunkel. „Du bist mir nachgekommen.“

„Wie du siehst.“ Er erwiderte seinen Blick und sah die Trauer und die Einsamkeit in seinen Augen, neben dem Funkeln der Sterne.

Letztlich war Seth selbst es, der seinem Herzen einen Ruck gab und die Schnüre seines Hemds löste. Er hätte nicht zu denken gewagt, sich jemals für einen anderen als den Pharao zu entkleiden. Auch wenn es Emenas und seinen Gefühlen nicht gerecht wurde, so tat er letztlich auch dies nur für seinen König. Er musste die an ihn gestellte Bedingung erfüllen und sich eine Nacht in fremde Arme legen. Er verkaufte sich für den Schutz der Krone. Auch wenn ihm das Herz schwer wurde bei dem Gedanken, dies seinem Geliebten beichten zu müssen … hoffentlich würde er es verstehen.

„Seth …“ Er betrachtete noch ein wenig verwundert den blanken Oberkörper seiner lang vermissten Liebe. Seth legte das helle Stoffhemd fort und rutschte zu ihm auf. Auch wenn sich in ihm so vieles gegen dieses Handeln sträubte, so musste er an die Königsfamilie denken, an Ägypten und auch an Emenas. An seinen verbrüderten Freund, welcher so sehnsüchtig nach Liebe hungerte.

„Halte dich nicht zurück“ sprach er und hob den Blick, um ihm tief in die Augen zu sehen. „Heute Nacht gehöre ich dir. Befriede dein Begehren ... Emenas.“

Nur das Zirpen der Grillen durchschnitt die Stille ihres Blicks. Tief umwanden sich ihre Augen als sie regungslos voreinander saßen und sich der Situation klar wurden. So lange still bis Emenas seine Hände ausstreckte und sie an Seths Brust legte. Mit festen Daumen berührte er die vor Kälte festen Knospen und ließ seinen Anbegehrten noch ein Stück näher rücken. Ganz sanft streichelte er seine weiche Haut und hörte ein leises Seufzen in die Abendluft gehaucht.

„Seth …“ Er schloss seine Augen, beugte sich vor und setzte einen feuchten Kuss in die Mitte dieser so seltenschönen Brust. Seine Hände wurden fester und holten ihn still über seinen Schoß schwebend heran. Mit festen Lippen umfing er die kleinen Schätze seines Oberkörpers und spürte, wie Seths Hände in sein Haar griffen. Ebenso sanft kraulte er das feste Schwarz und beugte sich ergeben über ihn, bevor er sich herabsenkte und sich sanft auf den härter werdenden Schoß senkte. Mit fließenden, verführerisch tanzenden Bewegungen rieb er ihre Hüften aneinander und hauchte feuchte Leidenschaft aus. Heute Nacht würde er ihm gehören. Heute Nacht. Nur diese eine Nacht.

Es war ein unglaublich schönes Gefühl, diesen begehrenswerten Körper in Besitz zu nehmen, seine Haut zu kosten, seinen Atem zu erhitzen. Seth war seit Jahren auf diese Weise in seinen Träumen präsent. In Gedanken hatte er ihn so oft schon gestreichelt und seine Stimme schmelzen lassen. Sein Körper war das schönste, was jemals auf dieser Erde geboren wurde. Endlich würde sich sein Wunsch erfüllen.

„Emenas …“ Seth sprach seinen Namen voller Hingebung und beugte sich herab, strich sein Haar beiseite und kostete das feine Ohr.

Emenas fühlte den heißen Atem seinen Hals hinablaufen und eine erregte Gänsehaut aufsteigen. Doch er wusste, dies war nur die Hälfte dessen, was er wollte. Was er sich wirklich wünschte, war mehr. Viel mehr. Und es war nichts, was zur Verhandlung stand.

„Es ist gut.“ Mit einem Mal drückte er Seth weg, fast zu fest. Er schob ihn von seinem Schoß, nahm das ausgezogene Hemd und legte es auf dessen Schoß.

„Emenas, was ist?“ fragte Seth besorgt und versuchte, ihn anzusehen, aber er drehte sich fort und ordnete mit nervösen Händen sein Haar. „Wenn du etwas anderes wünschst, kann ich …“

„Nein, du wirst niemals das tun, was ich wirklich wünsche.“ Er fasste sein Haar zu einem langen Schwanz und flocht einen Knoten hinein. „Kleide dich an, es ist genug.“

„Aber ich …“

„Ich habe einen Fehler gemacht. Deine Liebe will ich, nicht deinen Körper.“

„Das tut mir leid“ sprach er aufrichtig bedauernd. „Ich kann dir nur meinen Körper anbieten. Und meine ungebrochene Freundschaft.“

„Ich weiß. Ich bin ein Narr, dies mit Füßen zu treten“ seufzte er und vermied es, sich zu ihm umzuwenden. Er konnte ihn nicht ansehen. „Niemals wollte ich dich verletzen oder zu etwas zwingen. Es tut mir leid.“

„Dir nahe zu sein, ist mir nicht wahrlich unangenehm“ erwiderte er mit zärtlicher Stimme. „Neben dem Pharao bist du der wichtigste Mensch in meinem Leben. Was ich für dich empfinde, kann ich nur mit dir teilen. Dich traurig zu sehen, zerreißt mein Herz.“

„Nur weil mein Herz in Fetzen an meiner Seele hängt, ist dies kein Vorwand, auch dich zu verletzen. Bitte verzeih mir und lass uns vergessen, was ich verlangt habe.“

„Emenas, dir zu …“

„Seth, bitte“ wiederholte er nochmals deutlich. „Lass uns so tun als sei dies niemals geschehen. Bitte. Ich will darüber nicht mehr sprechen.“

„In Ordnung.“ Er wartete noch einen Augenblick und betrachtete seinen breiten Rücken, welcher unter dem schwarzen Stoff keine Schatten warf, betrachtete den lockeren Knoten in seinem langen Haar. „Wenn ich dem Pharao nicht begegnet wäre, so hätte mein Herz sich an dich verschenkt. Ich möchte, dass du das weißt.“

„Danke.“ Er dankte ihm wirklich aufrichtig. Seth würde dies nicht sagen, wenn es nicht auch so gedeutet werden wollte.

So zog er sich das Hemd wieder über, schützte sich vor der schleichenden Abendkälte und berührte dann sanft die kräftigen Schultern, lehnte sich an seinen Rücken und fühlte, wie Emenas seine Hände griff und sich in eine Umarmung ohne Blick nehmen ließ.

„Sag mir, Seth“ sprach er mit gesenkter Stimme. „Fühlst du dich auch manchmal so schmutzig?“

„Schmutzig“ wiederholte er nachdenklich, fragend. „Du meinst … wegen früher?“

„Ja, früher. Denkst du häufig daran zurück?“

„Um dir ehrlich zu antworten, muss ich nein sagen. Ich nehme mein jetziges Leben in den Vordergrund. Gedanken an früher suche ich zu vermeiden. Und du?“

„Ich denke ständig daran“ offenbarte seine flache Stimme. „Manchmal fühle ich mich so schmutzig, dass ich mir die Haut vom Knochen kratzen will, aber ich würde mich dadurch kaum besser fühlen. Dieser elendige Schmutz ist i n meinen Knochen, tief in mir, in mich hineingestoßen. Er ist mit mir verwachsen, ein Teil von mir geworden. Ein Fremdkörper meiner selbst. Ich werde ihn nicht los. Als würde ich innerlich verfaulen bis ich selbst ansteckender Dreck bin.“

„Deine Worte klingen schrecklich“ flüsterte er und umarmte ihn noch ein wenig fester, ließ ihn spüren, wie nahe sie sich waren. „Aber es ist nicht so, Emenas. Du bist nicht schmutzig. Für das, was mit dir getan wurde, trägst du keine Schuld.“

„Aber ich trage es in mir und ich werde es nicht los. Wie soll ich leben mit diesem Dreck, welcher mein Ich geworden ist? Und du sagst, es geht dir nicht so.“

„Ich sage nicht, dass ich niemals daran denke. Auch ich hadere mit meiner Vergangenheit, aber auf eine andere Art.“

„Ja … du hast den Pharao …“

„Nein, nicht deshalb. Emenas, ich kann gar nicht so sehr leiden wie du. Ich hatte zu dieser Zeit keine Gefühle. Keine Scham, keinen Schmerz, kein Ich. Ich war eine leere Hülle. Deshalb habe ich heute weniger Trauer als du. Um ehrlich zu sein, beneide ich dich fast ein wenig um deine Gefühle.“

„Das solltest du nicht sagen“ flüsterte er und drückte seine haltenden Hände.

„Du hast wenigstens eine Vergangenheit“ sprach er ruhig weiter. „Du hast Erinnerungen an deine Kindheit, an deine Mutter. Auch wenn sie schmerzhaft ist, du kennst deine Vergangenheit. Ich weiß nichts mehr. Jahre meines Lebens sind fort, als habe es sie niemals gegeben. Die Gesichter meiner Familie sind verschwommen, ich kenne nicht mal meinen eigenen Namen. Ich weiß nicht, wo ich herkomme oder was für Träume ich hatte. Ich habe nichts, dem ich nachtrauern kann. Natürlich empfinde ich Schmerz, wenn ich daran denke, wie sie meinen Stolz gebrochen haben, wie sie mich zerstört haben. Aber dennoch beneide ich dich. Du hast viel verloren. Dies ist nicht schön, jedoch im Gegensatz zu mir weißt du wenigstens, was du verloren hast. Du kannst um deine Mutter weinen. Ich kenne nicht mal die Farbe ihrer Augen. Die Trauer und der Schmerz anderer Menschen bleibt mir dadurch verschlossen. Gefühle in mir sind begraben und werden niemals wiederauferstehen. In mir selbst gibt es diesen toten Punkt. So wie du dich schmutzig fühlst, so fühle ich mich taub. Deshalb kann ich es verstehen, dass du dich so fühlst. Und ich wünschte, ich wäre so temperamentvoll wie du. Du hattest die Kraft, dich gegen deine Auslöschung zu stellen. Du hast gegen sie gewonnen, du hast dein Ich behalten. Ich wünschte, ich hätte deine Kraft.“

„Nie hätte ich geahnt, dass du so fühlst“ sprach er leise heraus. „Du wirkst so stark und so abgeklärt. Du scheinst so leicht damit umzugehen. Bei dir sieht es so leicht aus, sich davon loszusagen. Du wirkst so rein.“

„Nur weil sie mich besiegten“ erwiderte und lehnte sich warm in seinen Nacken. „Ich hatte nicht deine Kraft. Ich hatte nicht die Kraft zu einem entschiedenen Nein. Du jedoch hast dich immer gegen dein Schicksal gestellt, hast deinen Willen nie verloren. Und deshalb bewundere ich dich.“

„Ach … Seth.“ Er seufzte und ertrug gern das Gewicht, welches Seths Körper auf ihn legte und trotz seines ungerechten Verhaltens die Nähe suchte. Sie teilten sich ein Schicksal, doch jeder wurde damit anders fertig. Seth richtete seinen Blick ins Jetzt und in die Zukunft, da ihm die Trauer um eine Vergangenheit fehlte. Während Emenas für sich keine Zukunft sah und noch immer das Früher abzuschütteln suchte. So unterschiedlich konnten zwei Ähnlichkeiten mit sich kämpfen. Und letztlich wollte doch jeder nur einen Menschen haben, an den er sich anlehnen durfte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -Fynnian
2008-08-13T20:20:29+00:00 13.08.2008 22:20
Ein Glück, das Emenas ihn aufgehalten hat!
Für meinen Geschmack hat Seth viel zu schnell seine Zustimmung gegeben und war auch viel zu handlungsbereit, ja hat es sogar irgendwie genossen.
Der arme Ati...
Wenn er wüsste, wie schnell Seth dazu bereit ist.

Aber das Gespräch der beiden ist schön...


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