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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

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Kapitel 43

Kapitel 43
 

Die Tage vergingen und Seth war sich ungewiss, ob die äußerliche Ruhe nun Beruhigung war oder nur die letzte Entspannung vor dem drohenden Sturm.
 

Er selbst verbrachte seine Zeit damit, sich in die Gepflogenheiten des Haupttempels einzuleben. Er lernte alle wichtigen Priester kennen, bekam die Gelegenheit zu eingehenden Studien der Staatsbibliothek, er wohnte verschiedenen Unterrichten bei und bereitete sich darauf vor, als Vorbeter bei der nahenden Volksmesse zu sprechen, was ihm eine besondere Ehre war.

Die Volksmesse fand jedes Jahr am Tage mit den meisten Sonnenstunden statt, welchen man zur Ehre des Amun weihte. Dies war der Tag, an welchem das Reich den vergangenen Pharaonen gedachte, für die zukünftigen Pharaonen betete und dem amtierenden Pharao huldigte. Der höchste Feiertag des ägyptischen Reiches. Es wurde gesungen, Speisen zubereitet, Tänze aufgeführt und an diesem einen Tage im Jahr verwischten die Sorgen ein wenig, da es Tradition war, die Armen zu speisen und zu beschenken. Jedes Opfer, welches dem Pharao dargebracht wurde, leitete man die Armenhäuser weiter, sodass auch die Menschen, welche es schwer hatten, für einen Tag Erleichterung fanden. Dies war Tradition.

An diesem Tage vorbeten zu dürfen, war eine ausgesuchte Ehrung. Und diese Auszeichnung war ihm nicht etwa vom Pharao beschieden worden, sondern vom Hohepriester Djiag Bes Anchnun und seinen Nebenpriestern persönlich. Man hatte ihn ausgewählt, um das Volksgebet zu sprechen, da man ihn für einen guten Redner hielt, der die Menschen begeistern konnte. Und hierfür wollte er sich bestgehend vorbereiten. Zumal sicher viele Menschen kommen würden, um ihn zu sehen.

Dass der Pharao einen Geliebten hatte, sprach sich schnell herum. Seth bemerkte es daran, dass, wenn er einen Ausritt tat, die Leute in der Stadt ihn unverhohlen neugierig betrachteten und tuschelten. Aber er fühlte das nicht als negativ, sondern man winkte ihm, lächelte ihm zu. Er hatte noch keinen Ruf und so formte das Volk selbst einen für ihn. Und so sprach man recht bald von einem wunderschönen Priester mit einem bezaubernden Lächeln und einer sanften Stimme. Sie kannten seinen Charakter nicht und so schlossen sie von seinem Äußeren auf den Rest. Eine Freude war es, als eine fremde Frau ihm überraschend einen Arm voll Blumen entgegenhielt und ihn inniglich bat, sie dem Pharao zu überreichen. Das Volk liebte den Pharao und somit auch ihn. Und seine Schönheit war ihm ein Vorteil, um an des Königs Seite akzeptiert zu werden. Das erste Mal, dass Seth sein Aussehen nicht als Nachteil oder Fluch betrachtete.

Doch so herzlich wie er im Tempel und im Volke aufgenommen wurde, so misstrauisch begegnete ihm der Ministerrat. Hier ging es nicht um Attraktivität oder Romantik, sondern um Macht. Die Adligen und reichen Kaufleute, welche die Politik des Palastes mitbestimmten, beäugten ihn streng. Als Priester, ausgerechnet noch als neuer Priester, hatte er eigentlich eher wenig Kontakt mit den Ministern. Die Einmischung in die Politik lag dem Hohepriester und seinen Nebenpriestern zu eigen. Jedoch war er als ungewöhnlich junger Priester und dazu noch als Geliebter des Königs durchaus von Interesse - selbst wenn ihm das so deutlich niemand zu spüren gab. Es war eher ein Gefühl, welches Seth für sich gewann. Auch Minister gingen zum Beten in den Tempel und sie begegneten ihm anders als die übrigen Menschen. Höflich, aber dennoch ... er wusste noch nicht genau, ob es wirklich daran lag, dass sie ihn mit ihren kritischen und forschenden Augen erkunden wollten oder daran, dass er vielleicht ihnen misstrauisch gegenüber stand. Seth hatte etwas zu verstecken und genau diesen Fakt versuchte er zu verheimlichen. Zumal er wusste, dass sich der Palast derzeit in einer angespannten Lage befand und man deshalb auf jeden seiner Schritte besonderes Merk legte.
 

Der Pharao jedoch sprach mit ihm kaum über politische Gegebenheiten. Selbst wenn Seth das Thema anschnitt, schweifte der König bald wieder ab und gab ihm auch wortlos zu verstehen, dass er über den nahenden Krieg keine Worte verlieren wollte. Wenn er ihn traf, was sich meist erst am späten Abend ergab, so musste Seth nicht lang raten, um zu wissen, nach was er sich sehnte. Nämlich nach Ruhe. Der Pharao suchte schlicht nach Ruhe und Zerstreuung in seinen Armen. Er sprach den ganzen Tag über komplizierte Dinge, beschäftigte sich derzeit vornehmlich mit der politisch angespannten Lage. Seine Gedanken waren in Aufruhr und die Minister ließen ihm wenig Pausen. Seth beobachtete, dass er in den letzten Tagen dramatisch an Gewicht verloren hatte. Wie sollte es auch anders sein? Er war von der jüngsten Reise und seinem Schwermut noch geschwächt und bekam nun auch gar keine Gelegenheit zum Essen. Mit vollem Munde konnte man nicht regieren. Und dem gelegentlichen Schwindel, den dies in Verbindung mit dem Mangel an Schlaf mit sich brachte, dem schenkte der König keine Notiz. Er wusste, wenn er jetzt strauchelte, konnte ganz Ägypten mit ihm fallen.

Seth versuchte seinen Pharao aufzufangen, ihm Ausgleich zu verschaffen. Doch die zwei Stunden am Abend, welche ihm vergönnt waren, konnten einen ganzen Tag voller Stress, Hetze und Problemen nicht gleichmachen. Er versuchte es und doch fragte er sich insgeheim, ob Atemu überhaupt davon wusste, was Fatil ihm erzählt hatte ...
 

Dennoch versuchte er auch heute Abend seinem Gemüt ein wenig Ruhe und Wohltat zu geben. Als Atemu ihn in sein Gemach rufen ließ, kamen Seth bereits die Diener entgegen, welche schon hinausgeschickt wurden. Der Pharao wünschte allein zu sein mit seinem Geliebten.

Die Diener nickten ihm freundlich zu und kannten ihn bereits. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie gehen mussten, wenn der junge Priester kam. Selbst die beiden Wachen an der Tür zu des Pharaos Privaträumen kannten ihn und ließen ihn ohne Widerstand durch. Ja, sie öffneten ihm sogar die Tür und schlossen sie wieder, sobald er hindurch war.

Der Pharao saß am Rande und bespritzte sich das Gesicht mit ein wenig kaltem Wasser. Seth musste sich ein Seufzen unterdrücken, wenn er ihn so von hinten sah. Der entblößte Rücken des Pharaos glich dem einer armen Frau. Er war viel zu dünn. Besonders, wenn er so wie jetzt kein Oberhemd trug. Er war blass und die Knochen schimmerten durch. Wenn er nicht bald Ruhe bekam, würde sein Körper noch vor seinem Geist aufgeben. Dass er sich für Ägypten einsetzte, war selbstverständlich. Dass er sich aber aufopferte, das war schädlich. Für Ägypten und für ihn.

Als Seth sich hinter ihn kniete und ihm seine warmen Hände auf die Schultern legte, zuckte der Pharao erst kurz zusammen und hob erschrocken den Kopf.

„Entschuldigt. Habe ich Euch erschreckt?“ fragte Seth schuldbewusst. Der Pharao war gerade mitten in seiner Abendwäsche und er schlich sich so herein.

„Nein, ich war in Gedanken“ antwortete er mit selbstberuhigender Stimme und wollte sich zu ihm herumdrehen. Jedoch konnte er das erst tun, nachdem sein Seth ihm einen warmen Kuss in den Nacken gehaucht hatte. Erst dann wand er sich herum und blickte in die tiefblauen Augen, die er den ganzen Tag vermisst hatte. Am Abend veränderten sich seine Augen vom hellen Himmelblau in dunkles Abendblau. Als hätte seine Seele eine Verbindung zu den Göttern.

„Ihr solltet nicht nass und unbekleidet am kühlen Fenster sitzen“ riet Seth, nahm ihm das Tuch vom Schoß und trocknete ihm liebevoll das Gesicht ab.

Mit einem erleichterten Aufatmen ließ sein Pharao sich in die zarten Berührungen fallen und genoss es mit geschlossenen Augen, dass sich zur Abwechslung mal jemand um ihn kümmerte und nicht er immer derjenige war, der handeln musste.

Seth sah wie sehr sein Liebster die Zuwendung genoss, aber irgendwann musste er sich etwas anderes einfallen lassen. Sein Gesicht war trocken gerieben und seinen Hals hatte er bis zu den Schultern mit abgetupft.

„Majestät“ flüsterte er mit gesenkter Stimme, um die ruhige Abendstimmung nicht zu stören. „Möchtet Ihr ein entspannendes Bad mit mir nehmen?“

„Nein“ seufzte er, öffnete seine Augen und blickte ihn müde an. „Ich würde mich gern ein wenig hinlegen und zudecken. In deinem Arm.“

„Auch eine gute Idee. Entspannt Euch und überlasst mir den Rest.“ Er legte das klamme Tuch beiseite und nahm dafür seinen Pharao auf den Arm. Besonders schwer hatte er an ihm nicht zu heben und so war es keine Anstrengung, ihn zu tragen und sanft aufs Lager zu legen. Sobald er ihn an sich genommen hatte, drückte Atemu sich nur noch näher, schmiegte seinen Kopf an ihn und suchte die Nähe. Armer Pharao. Sicher hatte er einen besonders anstrengenden Tag gehabt.

Seth ließ ihn nicht mehr los und legte sich gleich mit ihm gemeinsam aufs Bett. In der Enge seiner Umarmung schaffte er es ein wenig umständlich, nach dem Laken zu greifen und es über den halb entblößten Körper zu ziehen, bevor er ganz auskühlte. Er streckte den Arm aus und ließ Atemu an seiner Schulter einen Platz der Wärme und der Geborgenheit finden.

So kehrte ein zerbrechlicher Augenblick der Stille ein. Draußen hörten sie die Insekten im Palastgarten zirpen und der kühle Abendwind trug einen Hauch von Sternenhimmel durch die halb geschlossenen Vorhänge.

Die Nächte im Palast waren selten so ruhig. In den Regierungsräumen tagten selbst um diese Uhrzeit wichtige Männer, es rannten Diener umher, Priester wurden gerufen, Vorräte angeliefert, Räume hergerichtet. Der Palast war wie ein Bienenstock, der niemals schlief. Und alles wurde regiert von dem Bienenkönig, welcher in diesem Moment lieber seine Augen schloss und den süßen Duft des Geliebten in sich aufsaugte, der sein Herz beruhigen wollte. Es war schwer, in solch einem Umfeld, in solch einer Position die Ruhe und den Überblick zu behalten. Seth hatte von Anbeginn gewusst, dass der Pharao bedeutend für das ganze Reich war. Doch wie abhängig wirklich alles von nur einem Mann war, bekam langsam gruselige Ausmaße. Wenn der Pharao auf ein Mal nicht mehr wäre, so würde Anarchie ausbrechen, die ein junger Prinz nicht kontrollieren könnte. Alte, verbohrte Männer würden die Macht an sich reißen und dem Volke mehr Diktator als Diener sein. Sollte Atemu etwas geschehen, würde Ägypten nicht mehr es selbst sein. Ägypten war Atemu. Und Atemu war Ägypten. Und Seths Herz wurde schwer, als ihm dies zum ersten Male wirklich klar war. Er hielt das Herz Ägyptens in seinem Arm.

„Seth“ hauchte der Pharao leise. „Woran denkst du gerade?“

„Ich? Weshalb?“

„Dein Herz schlägt so schnell“ antwortete er müde und rutschte ein Stück höher, um näher an seinem Gesicht zu liegen. „Wenn du Sorgen hast, dann sag sie mir, damit ich sie zerstreuen kann.“

„So müsstet Ihr Euch selbst zerstreuen“ antwortete er beschwert. Auch ohne, dass er etwas sagte, spürte Atemu, wie ihm Sorge das Herz einengte. Obwohl er den Kopf so voller Dinge haben musste, so trug er noch immer einen Blick auf jeden einzelnen. Er besaß wirklich die Liebe und die Güte eines Sohnes, der vom Amun selbst gesegnet war.

„Mich selbst?“ Er hob nun doch seinen müden Kopf und blickte auf Seth herab, der ihm sanft entgegnete. „Ist dir das Leben im Palast doch zu beengt? Wenn ja, so tut es mir sehr leid. Ich kann ...“

„Nein, das ist es nicht. Ich lebe ja mehr im Tempel als im Palast“ beruhigte er, hob seine Hand und streichelte die Wange des Königs, welche ein wenig eingefallen einen tiefen Schatten des Dämmerlichts innehielt.

„Aber der Tempel ist ein Teil des Palastes. Wenn ich etwas tun kann, um es dir erträglicher zu machen ...“

„Nein. Mir geht es gut“ versprach er und seufzte tief. Ewig konnte er nicht dazu schweigen. Es zerriss ihm das Herz. Er musste es endlich aussprechen, was ihn des Nachts nicht schlafen ließ. „Mein Pharao, ich sorge mich um Euch. Ihr macht keinen gesunden Eindruck im Augenblick.“

„Das kommt nur dadurch, dass ich heute vor der Sonne aufgestanden bin“ lächelte er matt.

„Ich meine nicht nur heute. Die letzten Tage stehen Euch ins Gesicht geschrieben“ versuchte er vorsichtig zu erklären. „Ihr seht müde aus und blass. Und Ihr verliert an Gewicht, was mir Anlass zur Besorgnis gibt.“

„Ich war schon immer ein wenig dünn“ beschwichtigte er. „Und sobald ich mich einen Tag in die Sonne setze, bekomme ich auch wieder Farbe.“

„Das ist es nicht. Es ist Euer Gesamtbild. Atemu, ich habe Sorge, dass Ihr krank werdet. Ihr esst kaum, Ihr schlaft kaum und seid länger auf den Beinen als die Sonne Stunden zählt. Jedes Mal, wenn ich Euch sehe, seid Ihr müde und tragt Sorgen im Blick. Und wenn ich Euch darauf anspreche, lenkt ihr die Sprache ab.“

„Ich habe wirklich ein wenig Sorge“ gab er traurig zu und wand seine Augen beschämt zur Seite. „Aber ich will dich damit nicht belasten. Es ist wichtig, dass du dich im Tempel wohlfühlst und dich richtig einlebst. Schließlich will ich nicht, dass du mich wieder allein lässt.“

„Ich würde Euch niemals allein lassen. Für Euch würde ich es an jedem Ort aushalten. Sorgt Euch weniger um mich und mehr um Euch selbst.“

„Aber du bist ein Teil von mir. Von meinem Herzen. Es ist mein Wunsch, dass dir wohl ist.“

„Wie kann mir wohl sein, wenn ich Euch so belastet sehe? Atemu.“ Er glitt mit seiner Hand um den Kopf herum und zog den Pharao sanft herab, um ihn zu küssen. Obwohl er so voller Sorge war, dachte er noch immer daran, dass sein Geliebter sich wohlfühlen musste. Die Furcht, ihn zu verlieren, war zu groß. Doch wie sollte Seth ihm verständlich machen, dass er ganz sicher niemals freiwillig gehen würde? Für ihn war es egal, ob er in einem Tempel lebte, in der Wüste, im Palast oder an jedem anderen beliebigen Ort. Ein Zuhause kannte er nicht. Zuhause war er dort, wo Atemu war. Egal ob der nun Pharao war oder ein normaler Bürger. Er würde ihn lieben. Nicht, weil er den Pharao liebte, sondern weil er Atemu liebte. Und genau deshalb sorgte er sich so sehr. Als König opferte er seine Gesundheit dem Volke und würde als Person darunter leiden. Doch wie sollte er einen Pharao stützen, der sich selbst nur in den Worten der Götter Hilfe suchen konnte? Seth wusste nur, dass er bei ihm sein würde, so lange Atem in ihm war. Weil Atemu ihm alles bedeutete.

„Sorge dich nicht. Mein Seth. Deine Küsse halten mich aufrecht.“ Er löste sich von ihm, kam auf seiner Brust zu liegen und fuhr mit seinen Fingerspitzen über das weiche, dunkelblaue Stoffgewand, spürte seinen muskulösen Bauch, während er Seths kräftige Hand durch sein Haar kraulen fühlte. „Wenn alles vorüber ist, reiten wir gen Norden. Wie fändest du die Idee?“

„Norden“ wiederholte er fragend. „Was wollt Ihr im Norden?“

„Ans Meer“ erwiderte er mit leiser Stimme. „Ein Wandersmann erzählte mir einst davon, dass wenn man den Nil entlang reitet, man irgendwann ans Meer kommt und die Landschaft dort so anders sein soll. Das Land wird grüner, die Sonne angenehmer und das Meer soll so groß sein, dass das Auge nichts weiter sieht als Wasser. Am Meer zu stehen, muss ein unglaubliches Gefühl sein. Er sagte, man fühle dort die Anwesenheit der Götter im unendlichen Wasser. Man fühle, wie klein der Mensch ist und wie gewaltig die Natur. Und es soll dort goldene Felder geben und dunkelgrüne Wiesen. Seth, Wiesen so groß und saftig, dass man das Leben selbst an den Fußsohlen spürt. Ich möchte gern den Norden des Reiches sehen und spüren wie es sich anfühlt. Ich möchte dort mit dir über grünes Gas gehen und die Halme flechten. So wie in unserer ersten Nacht am Arm des Nil, als wir uns die Liebe gestanden. Ich will wissen, ob das Gras dort anders ist.“

„Dann werden wir dorthin reisen“ versprach er und strich das zerkraulte Haar glatt bis es sich seidig anfühlte und in dem Fackellicht verführerisch schimmerte.

„Und wir reisen zum Gabal Musa. Wenn wir auf dem Weg ans Meer sind, würde ich gern den Suez überqueren und den Berg besteigen. Wenn man bei Sonnenaufgang dort oben steht, so heißt es, sieht man, wie die Götter Ägypten wachküssen. Ich würde es gern sehen. Wenn das Land sich rot färbt und die Kühle aus dem Stein weicht. Ich würde gern ein erwachendes Ägypten sehen. Die Teile des Reiches, welche mir noch fremd sind. So wie die Nordküste oder das östliche Sinai-Reich. Ich kenne nur die Wüste und die Städte. Aber die wirkliche Schönheit meines Landes ... ich würde sie gern erkennen. Sie kennenlernen. Mit dir gemeinsam.“

„Ich werde von Herzen gern bei Euch sein“ antwortete er, als des Königs verträumten Wunscherzählungen langsam zurück in die Wirklichkeit kamen. Zwar war die grüne Landschaft am Nil ebenfalls durchaus eine Schönheit, jedoch sehnte sich der Pharao fort von hier. Fort von der gezwungenen Hektik, fort von einengender Etikette und fort von den Problemen, die er lösen musste. In seinen Gedanken war er längst fort. Er liebte sein Reich, er liebte Ägypten. Doch hatte Ägypten ihm bisher wenig zurück gegeben. Er wollte fort vom Palast und die wahre Schönheit des Landes sehen. Seine Füße auf unbekannte Landschaften setzen. Mit seinem Geliebten Seit an Seit.

„Das ist gut“ hauchte er und schloss müde seine Augen.

„Die Zeit wird bald sein“ tröstete er mit sanfter Stimme. „Wir werden gemeinsam reisen, wohin es Euch zieht. Ans Meer und in die Berge. Wir werden fremde Gerüche erkunden, neue Farben sehen und seltene Lieder hören. Gemeinsam werden wir Ägyptens Schönheit kennenlernen und sie genießen.“

„Ich kenne die größte Schönheit Ägyptens bereits“ flüsterte er in einem langsamen Hauchen. „Sie liegt in deinen Augen. Ich versinke darin wie der Tag in der Nacht, wie Hitze in der Kühle. In deinen Armen komme ich zur Ruhe. Bei dir fühle ich mich das erste Mal wirklich geliebt. Du bist das Schönste, was Ägypten jemals hervorgebracht hat.“

„Eure romantischen Worte beschämen mich“ hauchte er, drehte sich auf die Seite, krümmte den Rücken und legte die Wange an seine Schulter. „Ich liebe Euch, Atemu. In Eurer Nähe zu sein, ist alles, was ich mir wünschen kann.“

„Mein Seth ... bitte sei nicht böse ...“

„Nein“ beruhigte er erst, bevor er noch ein Stück näher rückte und den königlichen Kopf behütet in seinen Schoß einschloss, sich um ihn wickelte wie eine Schlange um warmes Licht. „Weshalb sollte ich auf Euch böse sein? Wie könnte ich?“

„Weil ich so müde bin. Ich lasse dich rufen und bin so kraftlos. Seit Tagen haben wir uns nicht mehr geliebt und ...“

„Macht Euch darüber keine Gedanken.“ Sanft unterbrach er ihn, um jedwedes Bedenken im Keim zu erdolchen. „Ihr müsst nicht mit mir schlafen. Ein Kuss und Eure Nähe sind mir Liebe genug. Ganz wie Ihr Euch wohlfühlt.“

„Dann fehlt dir nichts?“

„Vertraute Momente wie diese sind mir angenehm. Ich liebe es, Euren Körper zu liebkosen und Eure süße Stimme zu hören. Aber ebenso liebe ich es, Euch seelisch nahe zu kommen und Euch Ruhe zu spenden. Für den Moment ist es gut so. Meine Liebe zu Euch umfasst mehr als nur Euer Bett zu teilen.“

„Dann bin ich erleichtert“ seufzte er warm an Seths Bauch. „Du bist immer so lieb zu mir.“

„Darf ich vielleicht dennoch so dreist sein und Euch um die Erfüllung eines Wunsches bitten?“

„Jeden“ versprach er mit matter, müder Stimme. „Was immer es sei. Du bekommst es. Was wünschst du dir?“

„Ein Frühstück mit Euch“ bat er sanft. „Wenn Ihr nun einschlaft und Euch morgen bei Sonnenaufgang mit mir gemeinsam in den Palastgarten setzt, würde mich das sehr glücklich machen.“ Er bat das nicht für sich, sondern vorrangig für den Pharao. Damit er am Anfang des Tages Kraft schöpfte und sich die Gelegenheit nahm, ein wenig zu essen. Er durfte nicht weiter abnehmen. Er brauchte Kraft für sich selbst. Und wenn er sich diese nicht selbst abdingte, so würde Seth versuchen, ihn zu stärken.

„Ich will es versuchen“ versprach Atemu matt.

„Was meint Ihr mit versuchen?“

„Morgen vor Sonnenaufgang gebe ich eine Audienz für die Generäle, welche direkt darauf an die westlichen Grenzen aufbrechen. Es ist wichtig, dass meine Worte sie für ihre Mission stärken. Aber ich werde es abkürzen und dich dann treffen.“

„Bevor Ihr dann weiterhetzt“ unterstellte er ein wenig trauernd. „Ich fände es angenehmer, wenn wir gemeinsam aufstehen, beten und dann die Sonne begrüßen. Wenn Ihr mir einen ganzen Morgen schenkt und es keinen Stress bedeutet, wenn Ihr Zeit mit mir verbringt.“

„Es tut mir leid. Im Augenblick hat der Tag mehr Arbeit als Stunden.“

„Und ich befürchte, mehr Arbeit als Ihr Kraft habt. Atemu, ich sorge mich um Eure Gesundheit. In aller Ehrlichkeit, Ihr seht nicht nur kränklich aus, sondern auch als würdet Ihr Euch so fühlen.“

„Ich bin heute Abend nur sehr müde.“

„Ihr seid an allen Abenden sehr müde“ gab er besorgt zur Antwort. „Atemu, wenn Ihr Euch so viel abverlangt, werdet Ihr zusammenbrechen.“

„Seth, bitte“ seufzte er und bewegte sich nicht ein Stück. „Bitte lass uns nicht streiten. Dein Zorn ist das Letzte, was ich jetzt brauchen kann.“

„Ich bin nicht zornig, sondern besorgt. Ich sage das nicht, um Euch zu ärgern oder ...“

„Bitte“ sprach er noch mal müde, aber nun eine Ecke deutlicher. „Lass uns nicht diskutieren. Nicht jetzt. Ich habe dich verstanden, aber bitte verstehe du auch mich. Versuche es wenigstens.“

„Wenn Euch etwas geschieht ... Atemu, Ihr seid doch alles, was mir wichtig ist. Ich würde ...“

„Ich liebe dich auch“ versprach er, regte sich und kuschelte seinen Kopf tiefer in den Stoff des blauen Gewandes. „Aber Seth, bitte. Ich schätze deine Worte und nehme sie an mein Herz. Aber bitte belehre mich nicht.“

„Ich habe verstanden“ entgegnete er ein wenig enttäuscht, aber auch verständig. Er hatte vorher gewusst, dass er sich auf den Pharao einließ und nicht auf einen gewöhnlichen Mann aus dem Fußvolke. So sanft sein König auch war, er ließ sich ungern in Dinge reinreden, von denen er überzeugt war. Er nahm Seths Bedenken sicher ernst und würde gern kürzer treten ... aber es gab eben auch Leute, die würden gern Ägypten annektieren.

Im Augenblick spürte Seth, dass ein weiterer Streit darüber keinen Sinn hätte. Es würde nur dazu führen, dass Atemu ihn darum bat, zu gehen. Dies war das erste Mal, dass er wirklich hart blieb. Er las seinem Priester jeden Wunsch von den Augen ab, aber hier schien er keine weitere Thematisierung zu dulden. Sonst lenkte er galant in eine andere Richtung, doch wenn Seth nicht abwich, so wurde er eben deutlich. Freundlich zwar, aber deutlich.

Für heute konnte er nichts anderes tun, als seinen König in die Arme zu betten oder eben in seinen Schoß, ihn warm zu halten und ausruhen zu lassen. Ihm das zu geben, was kein anderer ihm ließ - einen Moment Ruhe und wortlose Liebe.
 

Doch leider hielt dieser ruhige Moment nicht nennenswert lang. Seth hörte gerade erleichtert, dass sich der Atem seines Pharaos vertiefte und die Spannung aus seinem Körper wich. Er fühlte sich wohl und driftete langsam in den Schlaf, als es an der Tür klopfte.

Der Ton ließ den Pharao zusammenzucken, bevor er den Kopf hob und Seth verwirrt anblickte. Er war gerade dabei gewesen, sein Denken abzuschalten und Ruhe zu finden, dass ein solcher Ton nur seinen Stresspegel erneut anhob.

„Erwartet Ihr noch jemanden?“ fragte Seth, als die Tür nicht sofort aufsprang. Aber wahrscheinlich fürchtete man, den Pharao und seinen Geliebten in einer prekären Lage zu ertappen.

„Eigentlich nicht.“ Er wand seinen Kopf zur Tür und rief ein fragendes „Herein“, worauf die schwere Tür sich dann von Wachenhand öffnete und eine junge Frau hereinließ.

Seth erkannte sie sofort. Wenn nicht an der feinen, dunkelbraunen Kleidung, so doch an ihrer schmalen Gestalt und dem hennarot gefärbtem Haar. Sie war Fatils zweite Frau. Dass sie im Palast verweilte, war nicht ungewöhnlich. Sehr wohl aber, dass sie den Pharao zu so später Stunde noch aufsuchte, obwohl doch anscheinend bekannt war, dass er Gesellschaft hatte.

„Sipari“ sprach der Pharao verwundert ihren Namen und richtete sich zum Sitzen auf, als auch sie sich aus ihrer Verbeugung erhob. „Was kann ich für dich tun?“

„Verzeiht, dass ich Euch störe, mein Pharao. Seth.“ Auch dem nickte sie zu, als sie dem Pharao einen Blick schenkte, der ihn selbst erblassen ließ. Ihre schwarzen Rehaugen formten dicke Tränen und ihre helle Stimme zitterte unter ihrer Beherrschung.

„Was ist denn passiert?“

„Ich bitte Euch, zu kommen“ erwiderte sie mit verletzter Trauer. „Es ist so weit. Er wünscht sich, Euch noch ein Mal zu sehen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Sweet-Akane
2008-03-17T20:24:27+00:00 17.03.2008 21:24
Hab deine FF gerade entdeckt und bin sprachlos.
Sie ist perfekt.
Du lässt den Geist des alten Ägypten durch deine Worte aufleben.
Ich war schon mal in Ägypten und habe mich auch viel damit beschäftigt ^^, deine FF bringt schöne Bilder und Erinnerungen wieder! :-)
Und die Liebe zwische Atemu und Seth ist einfach nur wunderschön.
Der alte Fatil ist derjenige der im Sterben liegt vermute ich, der junge Fatil hatte darüber ja mit Seth gesprochen...
Armer Atemu... Erst ist er so fertig und dann liegt sein väterlicher Freund im Sterben.
Hoffentlich kann Seth ihn auffangen.
Ich bin gespannt.
Ganz liebe Grüße
Sweet-Akane
Von:  Statjana
2008-03-16T19:52:02+00:00 16.03.2008 20:52
was ist so weit? was ist passiert?
oh der armer Pharao, der tut mir sehr leid, nicht mal jetzt läst man ihn nicht in ruhe ausruhen mit seinen geliebten Seth.
Oh bitte schreibe weiter, deine ff ist der hammer, klasse geschrieben, bin gespannt wie es weiter geht, und ob Atemu endlich mal richtig ausruhen kann mit Seth, denn das hat er verdient, der armer kerl *shnif*

*knuddel*
lg statjana^^
Von:  Kassia
2008-03-16T16:30:45+00:00 16.03.2008 17:30
Tja, Atemu ist ja körperlich und geistig ganz schön ausgebrannt. Verständlich, dass er sich nicht traut, ne Auszeit zu nehmen, weil er um die Konsequenzen für Ägypten fürchtet. Aber ich denk trotzdem, Seth hat Recht, wenn er sagt, dass Atemu eine Pause braucht. Verglichen mit einem Zusammenbruch und evtl. daraus resultierender, langwieriger Bettruhe wäre ein Tag Urlaub wirklich das kleinere Übel.

Ich lass mich mal überraschen, wer da jetzt stirbt. Die Botin ist zwar Fatils zweite Frau, aber es würde mich wundern, wenn der der Todgeweihte ist. War da nicht irgendwas mit nem alten und sehr ranghohen Priester? *grübel* Egal, ich warte einfach mal ab.


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