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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 37

Kapitel 37
 

„Was ist mit dir, mein Seth?“ Die Stimme des Pharaos war gedämpft, um nicht wieder durchs ganze Lager zu schallen. Er lag neben seinem Liebsten, hatte den schweren Kopf auf der breiten Brust niedergelegt und streichelte mit verträumten Fingerspitzen über seinen muskulösen Bauch, über die schöne Haut, die von der Sonne so anrüchig tief gebräunt war.

Während die anderen Reisenden die Mittagshitze wie jeden Tag zum Rasten und Schlafen nutzten, konnte sich jedoch die endlich entbrannte Liebe nicht so einfach zur Ruhe legen. Kaum waren sie in das schützende Bodenzelt gekrochen, um sich vor der Sonne zu flüchten, war das Begehren nacheinander kaum noch auszuhalten. Jedoch hatten sie dazu gelernt und sich ein wenig gezügelt. Zwar ahnte jeder, dass man ihren „Mittagsschlaf“ nicht stören sollte, aber dennoch wollten sie sich bedeckt halten. Der Spott über die letzte Nacht war bereits überreichlich. Doch was sollte man tun, wenn die Lenden brannten und das Herz klopfte? Diesen Durst konnte man nicht mit Wasser stillen.

Nun, wo sie beide erschöpft nebeneinander lagen, stellte der Pharao unumwunden fest, dass Seth ein überaus zärtlicher, achtsamer Liebhaber war. Bei ihm fühlte sich jede Berührung tausend Male schöner an, intensiver. Und er war so einfühlsam, so vorsichtig trotz seiner Kraft, dass dem königlichen Körper auch im Nachhinein kaum Schmerz verlitten war. Andere männliche Liebhaber hinterließen nach ihrem Lustspiel unangenehme Spuren, welche ihn oft noch bis in den nächsten Tag hinein begleiteten. Bei Seth war es anders.

Mit Seth so dicht bei ihm war alles anders.

Jedoch als sie die Stille im Lager genossen, nur ein wenig Wind und leises Gerede an ihre Ohren drang, da sah der Pharao doch, dass sein Geliebter einen undeutbaren Blick an die Decke des niedrigen Zeltes warf und konnte nicht umhin, ihn danach zu fragen.

„Nichts, Atemu“ antwortete er leise, nahm seine Hand und küsste sie sanft, bevor er sie an sein Herz drückte. „Ich habe nur nachgedacht.“

„Und worüber? Magst du mir das auch sagen?“

„Verschiedene Dinge. Sorgt Euch nicht, Majestät“ versprach er und schloss seine Augen, legte seinen kräftigen Arm um ihn und schmiegte seinen zarten Pharao an sich. Es tat gut, ihn zu spüren. Seine weiche Haut war so warm, ebenso wie seine Stimme einen so ebenen Klang in sich trug. Er war wirklich ein göttergleiches Wesen mit seiner Sanftheit und seinem treuen, etwas naiven Wesen und einem überraschend klaren Verstand, mit welchem er nur allzu schnell spürte, wenn einem anderen etwas auf dem Herzen brannte.

„Doch, ich sorge mich“ erwiderte er und streichelte verliebt seinen Bauch. „Wenn du so abwesend blickst und ich in deinen Augen nicht lesen kann, dann sorge ich mich. Bitte sag mir, was dich beschwert.“

„Atemu, bitte sagt mir. Als Ihr Euch verletzt habt ...“ sprach er leise, ganz leise und berührte sein zartes, warmes Handgelenk. Auch wenn er es nicht sah, so war doch eine frische Narbe dort zu spüren, welche nur allmählich verheilte und sein Leben lang zu sehen sein würde. Er würde für alle Jahre lange Kleidung oder breiten Schmuck tragen müssen, um sich nicht dieser Schwäche bezichtigen lassen zu müssen. Und es war seine Schuld, dass der Pharao diesen Makel trug. „Verzeiht mir, aber ... bin ich der Grund, weshalb Ihr Euer Leben fortwerfen wolltet?“

„Ja ... es tut mir leid“ hauchte er bedrückt und senkte seinen Kopf noch ein wenig schwerer auf ihn herab. Er hätte ihn gern angelogen, um ihm keine Schuld zuzuweisen. Aber er konnte ihn nicht anlügen, zu lange hatte Stille zwischen ihnen geherrscht. Und auf Lügen konnte niemals Vertrauen entwachsen. „Meine unerfüllte Liebe wurde unerträglich. Ich wollte dich damit nicht einengen, aber ohne dich zu leben und dich doch an meiner Seite zu wissen, das hat mich geschmerzt. Und als du mich damals im Lusthaus gesehen und mich mit deinem Blick gestraft hast ...“

„Nein, ich wollte Euch nicht strafen. Niemals“ beschwor er ihn, drehte sich auf die Seite und blickte nun von oben auf ihn nieder. „Hoheit, warum glaubt Ihr das? Wie könnte ich Euch strafen?“

„Weil ich nicht nach meinen Worte handle“ erwiderte er und konnte seine Tränen nicht abhalten, die Augen zu füllen und die Stimme zu irritieren. Er spürte noch immer dieses dunkle Gefühl in seinem Herzen. Das Gefühl von Einsamkeit und Verzweiflung. Und er fürchtete sich davor. „Ich spreche davon, die Sklaverei zu bekämpfen und nehme mir selbst einen Lustsklaven. Ich weiß, dass ich dich damit beleidigt und verletzt habe. Wenn ich dein Vertrauen verliere, will ich auch mein Leben nicht mehr.“

„So dürft Ihr nicht reden. Majestät, bitte nicht.“ Er legte ihm seine Lippen auf die Stirn und griff mit beiden Händen in sein volles Haar, wollte ihn spüren und nicht glauben, dass er der Grund sein sollte, der Ägypten seines Königs beraubt hätte. „Nicht für mich. Ich wollte Euch nicht strafen mit meinem Blick und wenn dies so schien, so bitte ich um Vergebung. Darf ich Euch sagen, was ich wirklich in diesem Moment gedacht habe?“

„Ja“ flüsterte er und schlang seine Arme um ihn. „Sag es mir. Sprich mit mir. Lass mich nicht alleine ...“

„Ich war eifersüchtig“ gestand er leise und sank auf ihn nieder. „Zugegeben, im ersten Moment war ich erschrocken, Euch dort mit diesem schönen Mann zu sehen, doch im zweiten Moment war ich eifersüchtig. Ich habe mich gefragt, warum Ihr lieber ihn nehmt als mich. Ob ich Euch nicht gut genug bin.“

„Aber es war doch ganz anders. Ich ...“

„Ich weiß, dass es anders war. Ich weiß es jetzt“ versicherte er und schmiegte sich an seinen Hals, spürte seinen Herzschlag. „Ich war dumm, Eure Liebe nicht zu sehen. Ich bin ein blinder, täppischer Mensch. Niemals hätte ich zu glauben vermocht, dass Ihr meine schmutzige Liebe mit so reinen Gefühlen erwidert. Hätte ich geahnt, Euch in solch eine Verzweiflung zu stürzen, wäre ich Euch niemals gefolgt.“

„Aber du bist mir gefolgt und es war gut so“ versprach er ihm mit ein wenig beruhigter Stimme. „Ich weiß, dass es ein Fehler war und meine Schwäche tut mir sehr leid. Und deshalb möchte ich nun auch nicht weiter darüber sprechen. Ich will nicht mehr darüber weinen, die Angst und die Verzweiflung vergessen. Endlich bist du bei mir und ich bin glücklich. Lass uns über das, was war, niemals mehr sprechen.“

„In Ordnung. Wie Ihr wünscht.“ Er sank noch schwerer auf ihn herab und wäre er an ihm festgewachsen, es hätte ihn nicht gestört. Er wollte ihn nur spüren, spüren, spüren. Spüren, so lang sein Leben andauerte. „Ich werde Buße tun bei den Göttern. Wenn Ihr mir wirklich vergeben könnt, so können es die Götter hoffentlich auch. Gern werde ich mein Leben in Euren Dienst stellen, so wie ich es in den Dienst der Götter stelle. Ihr sollt mein heiligster Gott sein. Ich werde Euch anbeten, Euch verehren und Euch treu folgen. So lang mein Leben andauert.“

„Aber lass uns ein Versprechen geben“ bat er, schob sich vorsichtig unter ihm heraus bis er neben ihm lag und ihn auf selber Augenhöhe anblicken konnte.

„Jedes, mein König“ schwor er und hielt ihn in seinen himmelblauen Augen fest gefangen.

„Lass uns von nun an ehrlich sein“ bat er und griff nach seiner Hand, um sie an sich zu halten. „Unser Schweigen hat uns beide verletzt und die Kluft zwischen uns vergrößert. Ich will nicht, dass eine unüberwindliche Schlucht zwischen uns klafft. Wenn ich dich verletze, dich einenge oder dich ungerecht behandle, dann bitte ich dich, mich darauf hinzuweisen. Folge mir nicht blindlings und forme nicht jedes meiner Worte zu einem Befehl. Ich will dich nicht verletzen, aber ich kann nicht in dein Herz sehen. Ich bin darauf angewiesen, dass du dich mitteilst. Dass du deinen Stolz und deine Persönlichkeit vor mir nicht in den Hintergrund schiebst. Blinde Fürsprecher habe ich mehr als mir gut tut. Bitte versprich mir, ehrlich zu sein mit deinen Gefühlen. Sei mir kein Sklave, sei mir kein Priester. Ich bitte dich, sei mir der Mensch an meiner Seite. Sei mir so ehrlich und besonders wie das Gras unter meinen Sohlen.“

„Und ebenso Ihr“ bat er ihm Gegenzug. „Wenn ich respektlos bin oder Euch behindere. Wenn ich Euch beschäme oder beschmutze, bitte straft mich. Ihr sagt, ich darf frei sein bei Euch, aber ich weiß nicht, wo Freiheit begrenzt ist. Ihr seid und bleibt trotz aller Worte noch immer der Pharao. Auch wenn ich den Menschen unter der Krone liebe. Diese Gefühle sind neu für mich und ich will Euch nicht schaden. Wenn ich unglücklich bin, will ich es Euch gern sagen. Aber bitte erwidert dies. Habt keine Angst, mich zu verschrecken oder zu demütigen. Ich weiß nicht, was Liebe ist oder wie man sie lebt. Ich weiß nur, dass Ehrlichkeit der fruchtbarste Boden für alles Gute ist. Sei es Religion, Freundschaft oder eben Liebe.“

„Lass uns all das vergessen, wenn wir zurück im Palast sind“ bat der Pharao mit einem erleichterten, fast zuversichtlichen Ton. Es würde sich wohl niemals ändern, dass Seth ihn unwillkürlich von einer Gefühlslage in die andere spülte. „Ich habe gehört, du hast dich auch mit Fatil versöhnt?“

„Wir haben es zumindest versucht. Er hat mir seine Beweggründe erklärt und sich entschuldigt. Auf eine gewisse Weise verstehe ich sein Misstrauen sogar. Ich wäre wohl auch misstrauisch gegen mich gewesen. Auch wenn es noch eine Zeit dauern wird, hoffe ich, dass wir ein wenig näher zusammenwachsen.“

„Das würde mich freuen. Ich weiß, dass Fatil ein sehr schwerer Mensch ist, aber eines kann ich dir versprechen. Wenn du ihn erst zum Freund hast, dann ist er dir treu und überaus loyal. Ich stünde vor einer schweren Entscheidung, müsste ich einen von euch wählen.“

„Ich will Euch niemals vor eine Wahl stellen. Ich bin dankbar genug, dass Ihr mich überhaupt an Eurer Seite duldet.“

„Ich dulde dich nicht, ich brauche dich“ verbesserte er und drückte sich ganz nahe an ihn, wollte ihn dicht bei sich spüren. Er sah schon jetzt, ein gemeinsames Leben von ihnen gemeinsam würde sich auch zukünftig nicht leicht gestalten. Nüchtern betrachtet, waren ihre Leben nicht mit einander zu vereinbaren. Aber dem Herzen war das egal. Und nach so vielen Jahren forderte eben auch das geduldigste Herz irgendwann seinen Tribut.

„Majestät“ flüsterte Seth, während sie sich zusammenschmiegten und in der Gluthitze, welches ihr flaches Zelt umgab, nicht mal ein Laken über ihren Körpern nötig hatten. Müssten sie nicht daran denken, dass es außerhalb von Räubersleuten nur so wimmelte, hätten sie ihrer Reise noch etwas mehr Romantik abgewinnen können.

„Was ist denn, mein Seth?“ Er fuhr ihm verliebt über die braungebrannte Haut und fand an einer Stelle ein wenig Sand, den er sanft herunterstrich. „Bitte mach dir keine Gedanken mehr darüber. Lass uns nicht mehr davon sprechen. Meine Traurigkeit ist vergangen.“

„Das beruhigt mich“ seufzte er und küsste seine Schulter. „Aber, mein Pharao, da ist etwas anderes, was mich beschäftigt. Bitte entschuldigt, wenn ich Euch damit belaste.“

„Belaste mich. Bitte, belaste mich“ bat er liebevoll. „Was macht dir Sorgen?“

„Der Palast“ war seine bedrückte Antwort.

„Ja, das verstehe ich“ seufzte er. Darüber hatte er bereits nachgedacht. Damals kam Seth in den Palast, um über sein Leben entscheiden zu lassen. Ein Leben, welches er kaum noch als sein eigenes sah. Und nun würde er erneut in den Palast kommen. Jedwede Angst war verständlich. „Es müssen schlimme Erinnerungen für dich sein, dorthin zurückzukehren. So gern, wie ich dir das ersparen möchte, aber ich muss in den Palast zurück. Ich werde mich aber bemühen, bald einen neuen Reisegrund zu finden und ...“

„Entschuldigt, wenn ich Euch unterbreche“ bat er und streichelte seine Wange. Ihm die Finger auf die Lippen zu legen, würde er nicht wagen. Es war frech genug, ihm ins Wort zu fallen. „Meine Liebe zu Euch lässt die Erinnerungen blass erscheinen. Meine Sorge ist, was uns im Palast erwarten wird. Was mich erwarten wird. Was erwartet Ihr, was ich tun soll?“

„Du wirst Priester im Tempel“ antwortete er, legte seinen Kopf zurück und blickte ihn ratlos an. „Oder was genau besorgt dich? Es ist nicht ungewöhnlich, dass Priester von außerhalb im Palast heimisch werden. Es war doch dein Wunsch oder hat sich das geändert? Sind es nicht böse Erinnerungen, welche dich besorgen?“

„Mich besorgt eher, ob ich mich richtig verhalten werde“ versuchte er ruhiger zu erklären, als er es empfand. „Ich habe zwar die Etikette gelernt, als Sklave wie auch als Priester. Jedoch bin ich unsicher, was Ihr von mir erwartet. Nicht nur, dass ich fürchte, man könne mich wiedererkennen und Euch des Standesbruches anklagen. Ich weiß auch nicht, wie nahe ich Euch kommen darf, ohne Euch Probleme zu bereiten. Wenn Ihr mich als Euren Geliebten wollt ... so kenne ich keine Etikette, an der ich mich orientieren kann.“

„Um ehrlich zu sein, habe ich mir darüber schon viele Gedanken gemacht. Jedoch bevor ich Gelegenheit bekam, meine Gedanken in die Wirklichkeit zu holen“ antwortete er mit sanfter Stimme. Natürlich hatte er auch darüber bereits sinniert, was wäre, wenn sie im Palast zusammensein würden. Über all die Probleme, die entstehen konnten. Aber das alles, vor dem gestrigen Abend. In den letzten Stunden war er im Herzen frei gewesen und genoss sein Glück. Jedoch holte ihn die Wirklichkeit nun allzu schnell wieder ein. Wenn die Pferde kräftig genug waren, könnten sie schon heute Abend den Palast erreichen, sonst spätestens in den Morgenstunden. Und damit scharten sich um sie herum keine spaßenden Wüstenräuber, sondern Adlige, Minister, Diener und Regierungsmänner mit ihren stechenden Augen auf des Pharaos Verhalten. Das würde ihnen ihr Glück nicht vereinfachen. Sollte jemand wirklich erkennen, dass er einen Lustsklaven in den heiligen Priesterstand erhob, würde das den Bruch mit sämtlicher Ordnung und der Religion bedeuten. Zumal sich Ägypten eh in einem angespannten Verhältnis zu den Nachbarreichen befand, was ja der ursprüngliche Grund seiner Reise gewesen war. Einen Bürgerkrieg konnte der Pharao derzeit nicht riskieren. Erst recht nicht wegen seines persönlichen Glücks. Aber auf der anderen Seite stand Seth, ohne den er nicht mehr sein konnte. Und mit einem wehmütigen Pharao würde das Volk auch nicht glücklich werden.

„Mein Pharao, was sollen wir tun?“ fragte Seth ihn und seine himmelblauen Augen erhofften sich so dringend eine Antwort. „Ich möchte so gern bei Euch sein, doch ich will nicht Euren Putsch verschulden. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“

„Mach dir darum keine Gedanken, mein Seth. Diese Verantwortung liegt bei mir“ beruhigte er und lächelte ihn verliebt an. „Dass dich jemand wiedererkennt, wäre die größte Gefahr, aber die sehe ich gering. Es kommen und gehen tagtäglich so viele Sklaven, dass dich sicher niemand im Gedächtnis behalten hat.“

„Ihr seid in Nachtkleidung durch die Gänge gelaufen und habt mich in Euren Gemächern gesund gepflegt. Ich glaube kaum, dass ihr das für jeden Sklaven tut.“

„Glaube mir, wenn die Götter uns ein wenig wohlgesonnen sind, wird dich niemand wiedererkennen“ versprach er. „Wir müssen auf unser Glück vertrauen. Und da vertraue ich auf Fatil. Nicht nur auf den jungen, sondern vor allem auf den alten Fatil. Er hat seit Jahrzehnten beste Verhältnisse zu den Dienern und Sklaven, ebenso wie zu den höheren Männern. Ich weiß, dass man ihn hinter vorgehaltener Hand als den eigentlichen Herrscher im Palast bezeichnet. Und das ist wahr. Im Palast geschieht nichts, ohne sein Zutun. Ich weiß, dass er sich an dich erinnern wird, denn er war es auch, der deine Vergangenheit verwischt und meine Hände reingewaschen hat. Seine Familie ist fast so mächtig wie die meinige und jeder achtet darauf, sich mit ihm gut zu stellen. Und selbst wenn jemand etwas wissen könnte, wird er ihn zum Schweigen bringen. Und du vergisst, ich bin der Pharao. Ein bisschen Macht habe ich ja auch, weißt du?“

Aber das liebevolle Zwinkern konnte ihn nicht wirklich beruhigen. Eben weil er der Pharao war, durfte er nicht mit Vorwürfen beschwert werden. Besonders nicht mit welchen, die seine Göttlichkeit infrage stellten.

„Komm, sei nicht so besorgt“ tröstete er und kraulte sein seidiges Haar. „Je verdächtiger wir aussehen, umso mehr wird man fragen. Überlass das Denken mir, dafür überlasse ich dir das Beten, hm?“

„Ob die Götter meine Gebete überhaupt erhören wollen?“ seufzte er und blickte schuldbewusst zu Boden. „Es tut mir leid, Hoheit. Wäre ich schlicht Sklave geblieben, hätten wir nun weniger Gefahr. Als Sklaven könntet Ihr mich unbeschwerter bei Euch haben.“

„Du wirst mir jetzt nicht anbieten, die Priesterschaft ruhen zu lassen!“ blickte er ihn erschrocken an. „Seth, es war immer dein Traum, den Beruf deines Vaters zu leben. Sollen die ganzen Jahre des Studierens denn vergebens gewesen sein?“

„Aber überlegt doch mal“ argumentierte er ernsthaft. „Wenn ich mein Priestergewand ablege, mich in schlichte Leinen kleide und Ihr mich als Euren Sklaven einführt, wird niemand etwas gegen Euch oder mich einzuwenden haben.“

„Doch, ich werde etwas gegen mich einzuwenden haben“ sagte er nun doch mit hörbarer Strenge. „Ich habe dich damals gegen meinen Herzenswunsch fortgeschickt, um dich zum Priester zu machen. Wenn du jetzt aufgibst, wirst du dein Leben lang Sklave sein. Willst du das?“

„Ich will nur bei Euch bleiben, ohne Euch zu gefährden. Und wenn ich hierfür Euer Sklave bin, soll es mir gleich sein.“

„Aber mir ist es nicht gleich. Ich will, dass auch du glücklich bist. Und das nicht nur mit mir, sondern auch mit deinem Leben. Du liebst das Beten und das Dienen für die Götter, das Arbeiten mit den Menschen. Es ist dein Traum, Priester zu sein und als Sklave ist es dir gar untersagt den Tempel betreten. Du darfst deinen Traum nicht aufgeben. Für niemanden. Es kann nicht deine Bestimmung sein, mir aufs Wort zu dienen. Das ist es nicht, was ich will. Ich habe nicht all die Jahre ohne dich gelitten, um jetzt alles zum Alten zurückkehren zu lassen.“

„Eure Worte sind gütig zu mir. Jedoch bedenkt, was ...“

„Ich habe bereits alles bedacht und ich will jetzt kein Wort mehr davon hören.“ Jetzt bat er nicht mehr, er befahl. Er wollte nicht, dass Seth sich aus Angst in sein altes Muster von Hörigkeit flüchtete. Er war glücklich als Priester und Sklaven hatten nicht einmal das Recht auf ein Gebet. Wer wusste, wie lange er als sein Sklave glücklich sein würde? Vielleicht ein paar Jahre, aber sein Leben sollte länger dauern! Nein, er brauchte Ausgleich in der Religion. Er sollte frei sein. Das und nichts anderes. Es durfte nicht alles vergebens gewesen sein.

„Wie Ihr wünscht.“ Er senkte seinen Kopf wie zur Buße. „Ich wollte nicht gegen Euch ansprechen. Ich habe nur Angst, dass ...“

„Ich weiß, dass du Angst hast. Aber das brauchst du nicht“ versprach er und hob sein Kinn an, um ihm tief in seine wunderschönen Augen zu blicken. „Ich will die Vergangenheit auslöschen. Was du einst warst, bist du nie gewesen. Wir werden im Palast auch nicht darüber sprechen und strafen jeden Lügen, der etwas anderes behauptet. Du bist ein Priesterschüler, den ich einst förderte wie ich viele andere auch fördere. Daran ist nichts ungewöhnlich. Und du bist ein Priester, der mir empfohlen wurde und fortan im Palasttempel dienen wird. Auch daran ist nichts ungewöhnlich. Und du wirst mein offizieller Geliebter sein, so wie viele andere Könige vor mir ihre Geliebten hatten.“

„Ihr wollt mich als Euren Geliebten? Ohne Geheimhaltung?“ fragte er mit einem staunenden Blick an ihm hoch.

„Eine heimliche Liebschaft wird früher oder später bekannt werden und dann gibt es Fragen. Bei Hofe wird über Affären nicht gesprochen, man hat sie einfach. Ich bin der König und niemand wird mich aufgrund meiner Liebschaften kritisieren. In Ordnung, Fatil wird das vielleicht tun, aber seine Worte sind etwas anders gewichtet“ lachte er ihn beruhigend an. „Soll ich dir sagen, dass man mir sogar schon Fragen gestellt hat, weshalb ich keine Konkubinen habe?“

„Nein! Hat man das?“

„Seth, du bist ja so niedlich unwissend. So gebildet in der Etikette und doch so naiv für das Leben bei Hofe“ lächelte er und kraulte ihm durchs Haar wie einer kleinen Katze. „Man erwartet es geradezu, dass der König Affären hat. Am Liebsten mehrere nebeneinander. Viele der späteren Pharaonen waren Geburten von Frauen, welche der König dann zur Nebenfrau nehmen musste. Sonst wäre die Königsfamilie bald ausgestorben. Mein Vater war auch von einer Nebenfrau geboren, weil die Königin, meine unleibliche Großmutter, nur Mädchen das Leben schenkte und ihn somit als ihren eigenen Sohn annehmen musste. Sonst hätte es keinen Thronfolger und Gerangel um die Machtergreifung gegeben. Ich selbst bin mit nur einer Hochzeit davongekommen, weil ich meiner Königin bereits einen Thronerben gegeben habe. Ansonsten würde man darauf bestehen, mir noch eine Zweit- oder Drittfrau zu geben. Ich denke, es wird viele kritische Münder stopfen, wenn ich endlich eine Affäre habe. Je skandalöser sie ist, desto weniger wird davon gesprochen. Und was sollte gegen die Verbindung von Krone und Religion schon einzuwenden sein?“

„Seht Ihr das wirklich so einfach? Was soll werden, wenn ich einen Fehler mache? Ich habe nicht gelernt, mich als Geliebter bei Hofe zu bewegen.“

„Dafür gibt es auch keine Regelarien, mein Seth“ heiterte er ihn auf. „Du verhältst dich einfach, wie es sich für einen Priester gebührt. Alles andere wird man uns ansehen, es wissen und hinter geschlossenen Türen ausreichend belästern. Unpassend ist es nur, sich in Gesellschaft auf die Lippen zu küssen, denn dies darf nur meine Königin, als Zeichen ihres Standes. Und meine Mutter. Aber wenn ich dich auch nur auf die Wange küsse und du viel an meiner Seite weilst, wird jeder wissen, wer wirklich in meinem Herzen ist. Also mach dir keine Gedanken. Der Hof ist nicht so streng, dass er jeden Regelbruch mit Steinigung straft. Und da ich die höchste Instanz der Gerichtsbarkeit darstelle, gibt es niemanden, der dich verurteilen könnte.“

Natürlich sah er das nicht so einfach, wie er es aussprach. Er wusste von Intrigen und Korruption bei Hofe. Seth wäre nicht der erste Geliebte, der unter Schmach und übler Nachrede zu leiden hätte. Es gab viele hohe Adlige, deren Beziehungen unter dem Druck des Regierungsstabes in die Brüche gegangen waren. Viele Nebenfrauen lebten getrennt von ihren Ehemännern oder uneheliche Kinder verschwanden von einem Tag auf den anderen. Der Palast war ein Staat im Staat und gehorchte seinen eigenen Gesetzen, welche nicht niedergeschrieben standen.

Jedoch würde Seth selbst wissen, wie weit er gehen durfte. Er war intelligent und vorsichtig, beobachtete viel und hatte diplomatische Qualitäten. Das Wichtigste war vorerst, ihm den Druck der Angst zu nehmen. Sobald er ein paar Tage Zeit zum Einleben hatte, würde er sich schon zurechtfinden. Und ein Gespräch mit dem alten Fatil würde ihm Sicherheit geben, dass er hohe Männer bei sich hatte, welche ihre schützende Hand über ihn halten würden. Wenn er selbst als Priester mit gehobenem Haupt durch die heiligen Hallen wandelte, würde man sich vor ihm verbeugen. Ganz sicher. Dann würde niemand einen Sklaven in ihm sehen.



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