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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 4
 

Er musste es einfach einsehen, dass er an einem einzigen Abend nicht viel mehr verlangen konnte. Er hatte seinen armen Lustsklaven eh schon über die Maßen strapaziert und dieser Gedanke kam ihm immer mehr, je länger er diesen gebrochenen Menschen vor sich ansah.

Seth war mit einem ganz bestimmten Auftrag hergekommen. Seine Aufgabe war es, den Pharao zufrieden zu stellen und seinem Sklavenhändler Ruhm und Ehre einzufahren. Außerdem sollte der Pharao sich hinterher bei dem bedanken, der ihm diesen Sklaven gekauft hatte. Seth war in diesem Spiel nur der Spielstein, aber relativ unbedeutend für den Spieler. Und der Pharao war das Ziel, welches es zu erreichen galt.

Und nun saß Seth hier und war wahrscheinlich völlig verunsichert. Er hatte sich darauf gefasst gemacht, dass er mit dem König schlafen würde und ihn vielleicht noch ein bisschen zu unterhalten hatte. Aber, dass sein Herrscher ihm so merkwürdige Fragen stellte und so eigenartige Dinge verlangte, das war nicht nur ungewöhnlich, sondern auch untypisch. Lustsklaven waren dafür da, um zu dienen und eben um ihrer Arbeit der Triebbefriedigung nachzukommen. Nicht aber dafür, mehr Gefühle als kurzweiliges Begehren zu wecken.
 

„Ich bin etwas eigenartig heute Abend, ich weiß“ seufzte Atemu und brach erneut das Schweigen zwischen ihnen. „Es tut mir leid, Seth.“

„Bitte entschuldigt Euch nicht. Wenn ein Fehler vorliegt, liegt er nur auf meiner Seite.“

„Ich mag es sehr, mich mit dir zu unterhalten. Du bist ein interessanter Gesprächspartner. Du kannst eine Lust in mir befriedigen, die ich bisher nicht kannte und durch Körperlichkeit niemals konnte. Bitte erzähle mir mehr von dir.“

„Was möchtet Ihr wissen, mein König? Mein Leistungsspektrum ist weit gefächert. Sagt mir etwas und ich werde Euch damit dienen.“ Jedoch ohne Befehl konnte er nichts tun. Ihm musste schon gesagt werden, was man von ihm wollte. Denn wenn er selbst die Initiative ergriff, lag er ja wohl falsch und er konnte es sich letztlich auch nicht erdreisten, in den Gedanken eines Königs lesen zu wollen.

„Du hast vorhin von deiner Kindheit erzählt. Davon möchte ich gerne mehr hören.“

„Von meiner Kindheit ... mein König?“

„Ja, von deinen frühen Jahren. Von deinen Eltern. Hast du auch Geschwister?“

„Aber ... Herr bei allem Respekt, ich möchte Euch nicht widersprechen, aber ... es ist doch eigentlich nicht von Interesse für Euch. Ich möchte Euch ...“

„Was von Interesse für mich ist, entscheide ich alleine, ja?“ bat er etwas deutlicher als gewohnt. Auf den Befehlston schien er ja zu können. „Es ist mir ein Bedürfnis, etwas über die Menschen zu wissen, mit denen ich mich umgebe. Selbst wenn es Sklaven sind. Bitte Seth, erzähle mir von deiner Kindheit. Wo kommst du her?“

„Ich komme aus dem Süden des Reiches, Majestät“ begann er zaghaft und hierüber zu sprechen, schien ihm nicht ganz so leicht zu fallen wie seine einstudierten Sätze aufzusagen. Jetzt wurde er als Individuum gefragt und nicht als Sklave. So etwas hatte er während seiner Ausbildung nicht gelernt und eigentlich fragte auch niemals ein Herrscher nach etwas Persönlichem. Lustsklaven waren fürs Bett und für Gespräche waren die Gesellschafter zuständig.

„Dein Dorf hatte einen Tempel, hast du erzählt. Was für ein Tempel war das?“

„Ein Wüstentempel ist es gewesen. Mein Vater war dort Priester und er hat mich häufig zu seinen Messen mitgenommen. Ich habe ihn sehr bewundert. Meine Mutter war sehr angesehen im Dorfe und hat sich in der Gesellschaftsarbeit engagiert. Ich erinnere mich noch dunkel daran, dass in unserem Hause immer viele Menschen waren und die Erwachsenen zusammensaßen ... meine Erinnerungen sind sehr lückenhaft geworden. Bitte entschuldigt.“

„Woran erinnerst du dich noch?“ fragte er weiter nach. „Was war das schönste Erlebnis, welches du in deiner Kindheit hattest?“

„Das schönste Erlebnis, Herr ... das schönste Erlebnis ist es natürlich, Euch heute Abend treffen zu dürfen.“

„Wieder diese Standardantworten“ murmelte er enttäuscht zu sich selbst und sah ihn dann wieder fest an. Aufgeben würde er bestimmt nicht, bevor er ihm ein Gefühl entlockt hatte. Das musste doch möglich sein! „Sag mir, Seth, was war das schönste Erlebnis, bevor du in die Sklaverei gekommen bist? Woran erinnerst du dich gerne zurück?“

„Ich ... es ... das ist schwer, Majestät.“

„Ich weiß, dass es schwer ist. Versuche es trotzdem. Für mich. Bitte, Seth.“

„Das schönste Erlebnis war ... ja, jetzt kommt es langsam wieder. Mein Vater hat uns auf einen Ausflug in ein anderes Dorf mit Tempel mitgenommen. Wir sind drei Tage durch die Wüste geritten, aber dann waren wir dort. Mein Vater ging in den Tempel, um dort zu predigen und uns hat er im Hinterhof gelassen.“

„Uns? War denn noch jemand bei dir? Deine Mutter vielleicht?“

„Nein, mein Bruder. Mein jüngerer Bruder.“

„Du hast einen Bruder, Seth? Das ist ja großartig! Wie heißt er?“

„Ich ... ich weiß es nicht mehr. Es ist so verschwommen alles.“

Das stimmte den König zum wiederholten Male etwas betrübt. Er hatte große Lücken in seiner Erinnerung und wusste nicht mal mehr den Namen seines Bruders. Aber wie denn auch? Er hatte ja bis heute Abend nicht mal selbst einen Namen gehabt.

„Erzähle weiter. Bitte. Was war das schöne Erlebnis? Du warst doch noch nicht fertig mit deiner Geschichte, oder?“

„Im Hinterhof wuchs Gras“ erzählte er und sah seinem König direkt in die Augen. Aber nun war das Blau nicht mehr ganz so leer. Es war als würde sich der matte Schleier darüber hinwegheben und ein wenig Licht freilassen. Nur schwach, aber das war mehr als man erwarten durfte.

„Gras?“ lächelte Atemu ihn aufmunternd an. „Darüber hast du dich gefreut?“

„Wir haben in der Wüste gelebt und noch niemals Gras gesehen. Wir haben uns die Schuhe ausgezogen und sind darüber gelaufen. Es war so weich, so saftig. So anders als der heiße Sand. Es war ... ein wunderschönes Gefühl. Verzeiht bitte. Andere Geschichten könnte ich besser erzählen. Geschichten, die Euch nicht langweilen. Soll ich Euch eine Eurer Heldentaten erzählen? Oder eine Eures Vaters?“

„Ich fand deine Geschichte wirklich wunderbar“ nickte er wohlwollend und legte ein zufriedenes Lächeln auf. „Sie hat mein Herz erfreut. Ich danke dir für diese schönen Worte.“

„Gerne, mein König. Was kann ich noch für Euch tun? Kann ich Euch noch etwas Wein bringen? Oder ein Stück Obst?“

„Später vielleicht. Jetzt hätte ich es gerne, dass du mir folgst. Komm“ sagte er und stand von seinem weich erhöhten Platze auf.

„Majestät, darf ich Euch vorher noch Eure Schuhe anziehen? Es ist kalt geworden.“

„Du trägst doch auch keine Schuhe, oder?“ lächelte er lieb zurück. „Außerdem brauchen wir keine Schuhe dort wo ich hinmöchte. Bitte folge mir einfach.“

„Natürlich. Sehr gerne, Pharao“ nickte er und folgte ihm direkt hinterdrein.
 

Er stellte auch keine Fragen als sie das Gemach verließen, sich die Diener und Wachmänner der Reihe nach verneigten und sie gemeinsam die lange Wendeltreppe des Turmes hinuntergingen.

Eigentlich hätte Atemu es gerne gehabt, wenn Seth vorgegangen wäre, denn so hätte er noch einen Moment seinen flüssigen Gang bewundern können, aber das ginge dann wohl doch etwas zu weit, wenn der Sklave vor seinem Herren ging.

So schleppte er ihn also die lange Treppe hinunter und hatte endlich eine Idee, wie er den Menschen Seth vielleicht ein kleines Stück mehr erreichen konnte.

Seth hatte eine Vergangenheit, er hatte Eltern und einen Bruder ... gehabt? Es gab also eine Zeit, wo er noch ein Mensch gewesen war. Nun war er ein Sklave ohne Namen und Vergangenheit, aber irgendwo lag noch ein Mensch versteckt - und dieser Mensch wollte gefunden und befreit werden. Dieser Mensch hatte Bedürfnisse und Wünsche, die er unterdrückte.

Auf eine gewisse Weise sah Atemu sich selbst in ihm. Seth war nach außen hin nur der Sklave ohne Namen. Er selbst war nur der Pharao, dessen Name ihm zu groß war. Aber beide waren Menschen und Atemu hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass sich diese beiden Menschen kennen lernen sollten.
 

Am Ende der Treppe kamen sie in einem kurzen Flur an, wo ein Diener sich gleich verbeugte und nach einem kurzen Handzeig des Königs die linke Tür öffnete.

Atemu trat hindurch und hörte wie Seth ihm mit leisen Schritten folgte.

Dann drehte er sich um und wollte die Reaktion beobachten, die hoffentlich ausgelöst wurde.

Er sah mit Wohlwollen wie sich Seths Mund staunend für einen Moment öffnete und seine tiefblauen Augen ganz groß wurden. Aber schon unterdrückte er dieses Gefühl wieder und nahm erneut seinen neutral leeren Ausdruck an.

„Dies ist mein Garten“ zeigte Atemu stolz in die Palastmitte hinein. Umgeben von hohen Mauern und begleitet von vier goldenen Kuppeltürmen lag versteckt ein kleines Paradies inmitten der Wüste. Zentral ein kleiner Teich, wo um diese nachtschlafende Zeit die Fische auch schon zur Ruhe gekommen waren. Die Paradiesvögel und Papageien oben in den sieben hohen Bäumen hatten ihren Kopf unter den Flügel gesteckt und schlummerten selig. Die Blumen hatten sich zur Nacht geschlossen und beleuchtet wurde dieser stille Ort nur von dem hellen Mond über ihnen und den Fackeln, welche ihr verträumtes Licht in die Mitte warfen.

„Euer Garten ist wunderschön“ sagte er leise, nachdem er sich ausreichend umgeblickt hatte.

„Ja, ich bin gerne hier“ nickte Atemu. „Es ist hier immer schön ruhig. Für gewöhnlich lasse ich niemanden hier herein, denn dieses kleine Fleckchen Erde mitten im Palast ist mein Privatreich. Mein Großvater hat ihn bauen lassen und ich erhalte ihn noch heute. Wenn die Sonne am Tage heiß herabbrennt, spenden die Bäume wundervollen Schatten. Sicher sagen meine Finanzminister, dass der Unterhalt zu teuer wäre und das Wasser zu kostbar, aber um ehrlich zu sein, ist mir das egal. Ich schränke mich so viel ein, da finde ich, steht mir das hier zu. Was meinst du?“

„Dieser Garten ist Euch wirklich würdig, Majestät“ verneigte er sich tief. „Meinen tiefen Dank, dass ich dies sehen durfte.“

„Oh, es ist noch nicht zuende“ sang Atemu glücklich und griff nach der feinen Hand seines Sklaven. Er zog ihn weiter in den Garten hinein, wo am Anfang noch grobkörniger Kies lag, aber um den Teich herum wuchs kurz geschnittenes, volles, grünes Gras.

Seth zögerte als der Pharao ihn weiterziehen wollte. Die königlichen Füße berührten bereits das zarte Grün, aber die Füße des Sklaven trauten sich nicht so recht. So etwas gebührte nur den Füßen eines wahren Herrschers und nicht den schmutzigen Tretern eines Lustsklaven.

„Komm“ bat Atemu und drückte ein wenig die feine Hand, welche in seiner begann leicht zu zittern. Seth war aufgeregt, aber er gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen.

„Ich ... ich kann nicht, Majestät“ flehte er und sah ihn fast geschockt an.

„Aber warum denn nicht?“ blickte er galant zurück. „Du hast doch erzählt, dass dir das damals gefallen hat. Magst du nicht?“

„Doch, aber ... ich ... Herr, das steht mir nicht zu. Ich bin doch hier für Eure Gelüste und nicht für ... für mich.“

„Aber es steht mir der Sinn danach, Seth. Es ist mein Wunsch. Bitte schlage mir diese Bitte nicht ab. Komm zu mir. Wandle mit mir gemeinsam, mein Seth. Komm.“

Er zog leicht an dem ausgestreckten Arm und holte ihn mit leichtem Nachdruck zu sich auf den grünen Teppich.

Ein leises Keuchen ging durch die nächtliche Ruhe als der Sklave erst einen, dann den anderen Fuß auf das saftige Gras setzte. In der Wüste war so etwas absolut untypisch und besonders für ihn war das hier etwas Besonderes. Es erinnerte ihn an seine Kindheit, an die Zeit wo er noch kein Sklave gewesen war, an die wundervollen Momente seines Lebens. Es war so lange her und nun ... nun war es zum Greifen nahe.

„Siehst du? Es ist ganz leicht“ lächelte Atemu erleichtert und ließ aber seine Hand die ganze Zeit nicht los. Ihn so zu sehen, wie er dieses eigenartige Gefühl in sich aufsaugte, war mehr Lust als ihm jeder Sklave jemals schenken konnte. „Wie fühlst du dich?“ fragte er leise. „Erzähle mir, was du empfindest.“

„Ich fühle ... das Gras“ wisperte er fast unhörbar. „Es ist ein unglaubliches Gefühl. Es ist so weich, so angenehm kühl. Es lebt unter meinen Füßen, es streichelt mich zwischen den Zehen. Es kitzelt ein wenig. Es ist einfach nur da und löst solch angenehmes Prickeln aus. Es ist ... göttlich. Allein nur weil es da ist, schlägt mein Herz so laut. Es ist ... es ist so wundervoll.“

„Ja, das ist es“ antwortete er verträumt und blickte hinauf in dieses wunderschöne Gesicht, welches dem eines Gottes gleichen musste. Was für Seth das Gras war, das war für Atemu Seths Anwesend. Prickelnd, göttlich, es ließ sein Herz klopfen einfach nur, weil er da war. Etwas Untypisches inmitten der Wüste. „Komm, wir laufen ein Stück“ bat Atemu und zog ihn hinter sich her.

Nebeneinander begannen sie einen kleinen Gang um den Teich herum, wo sich das Licht der Sterne brach und ihnen entgegenlachte. Selbst vor den Mond schob sich nicht eine einzige Wolke, die Fackeln strahlten ihre Wärme herüber und der Druck ihrer Hände verstärkte sich ein wenig je länger sie nebeneinander herliefen. Das grüne Gras raschelte unter ihren Schritten und der frische Nachtwind strich ihnen durchs Haar. Vergessen waren die Strapazen des heißen Tages. Die ganze Welt lag in diesen Momenten nur hier zwischen ihren Händen.

„Die Sekunde des Herzensfriedens“ flüsterte Seth mit einem ganz neuen Ton in der Stimme. Ein Gefühl, welches von weit unten heraufstieg wie eine Luftblase aus einem Ozean.

„Ja“ hauchte sein König und lächelte selbst ganz wohlig zu diesem einzigartigen Moment. Er hätte es sich niemals träumen lassen, dass er einst Hand in Hand mit einem Sklaven in seinem privaten Heiligtum des Nachts so einig wandeln würde.

Dieser Moment war etwas Besonderes und nicht wie alle anderen Nächte.

Seth war nicht wie alle anderen.

Und auch Atemu fühlte sich ein Stück verändert.



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