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Symphonie der Welt

10 Geschichten zur Welt
von

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Perfektion

Die schwere Standuhr in der Ecke schlug bereits Mitternacht, der Nachtwächter drehte seine Runden und verkündete die Stunden. Alles schlief den Schlaf der Gerechten und den Schlaf der Gerächten. Die Nacht lag friedlich über der Stadt, alles war dunkel in den Gassen. Keine Licht fiel auf die Strassen, ausser das des vollen Mondes. Er erleuchtete die Stadt und ihre Umgebung im hellsten Licht. Und in einem kleinen Haus, abseits des Zentrums, beugte sich eine Gestalt über ein Blatt Papier.

Immer wieder tauchte sie die Feder in das Tintengläschen, immer wieder strich sie mit eiligen Bewegungen Textstellen durch. Anstrengung lag in der Luft, sodass man sie fühlen konnte. Und doch, das Genie des Schreibens, welches hier sein Wissen hervorbringen wollte wie der Alchemist den Stein der Weisen, wie der Maler das beste Gemälde der Welt, wie der Barde das schönste Lied, arbeitet weiter. Seine Feder bewegte er wie ein Dirigent seinen Stab, wie ein General seine Truppen in der Schlacht.

Sie flog über das Stück Papier wie ein Adler, der eine Maus erspäht hatte und nun alles daran setzte, diese auch zu erwischen, wissend dass dies die letzte Maus ist, die er je fangen wird.

Sie bewegte sich so grazil wie eine Prinzessin beim letzten Tanz auf dem Parkett des Ballsaals, wissend, dass dies der letzte Tanz ihres Lebens ist.

Sie glich einer Götterhand die den Menschen half, wohl wissend, dass dies die letzte Hilfe für die Menschen sein wird.

Ja, er fühlte sich wie der Adler, wie die Tänzerin, wie der Gott. Er fühlte ein unbeschreibliches Gefühl, ein Gefühl, etwas perfektes zu schaffen. Und doch wusste er auch über das Ende, darum gab er noch mehr Herzblut in das Schriftstück.

Doch die Wörter wehrten sich. Sie kamen nicht, waren nicht würdig genug. Immer und immer wieder warf er das Blatt in die ewigen Flammen des Kamins, welches diese begierig wie ein Drache die Jungfrau verschlang, auf dass diese unreinen Wörter niemals wieder gelesen werden.

Ein kalter Wind durchwehte das Zimmer und das Feuer des Kamins begann zu flackern, die Kerze auf dem Tisch erlosch. Es fröstelte den Meister und er schrie gen Himmel: „Möget ihr mich ewig zum Narren halten, ihr Wörter der Verderbnis, so möge es euer Untergang sein!“

Er entzündete die Kerze wieder und griff nach seiner Feder. Und die Entscheidungsschlacht begann.

Wieder und wieder, voller Zuversicht und Hoffnung, doch noch den Befreiungsschlag zu landen, ließ er die Feder auf das Papier sausen, über es tanzen, neue Wörter schaffen. Doch es gelang und gelang nicht. Immer war ein Wort nicht in Ordnung, doch hatte es solch eine Wirkung wie ein Wort eines Hexenmeisters in der Beschwörung, sodass es nicht zu ersetzen war. Dann wurde die Perfektion durch nicht klaren Fluss der Wörter gestört, als müssten sie wie ein Fluss um Inseln fließen, die ihren Lauf störten. Irgendwas hindere immer die Perfektion, doch er wollte nicht aufgeben.

Er überlegte, verwarf, holte Ideen zurück, doch nichts half.

Die Wörter, die das ausdrückten, was er wollte, kamen nicht. Er wollte doch nichts ausser Perfektion für solch ein Werk. Voller Wut, voller Enttäuschung über sein eigene Unfähigkeit, etwas Perfektes zu schaffen, warf er alle Versuche in das Feuer des glühenden Ofen, der schon so manches Werk für immer vernichtet hatte.

Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Angst vor dem Scheitern ergriffen ihn und in seiner totalen Verzweiflung griff er ein letztes Mal zur Feder, mobilisierte seine letzten Kräfte, um doch noch das zu erreichen, was er wollte. Er war der General, der seine Männer auf die letzten Minuten der Entscheidungsschlacht einschwor, der ihnen noch die letzte Kraft abrang, sie zum letzten Aufbäumen gegen den übermächtigen Feind überredete, wissend, dass sie den Tag nicht überleben werden.

Und die Feder gehorchte. Sie gehorchte wie die loyalen Soldaten, sie schrieb zum ersten Mal genau das, was er wollte. Nun hatte er keine Angst. Er wird es schaffen, jetzt, kurz am Abgrund der Verzweiflung hatte er die perfekten Wörter gefunden, die alles viel besser machen werden.

Die ersten Sonnenstrahlen des Morgens kitzelten die Nase des Meisters. Nach getaner Arbeit war er körperlich und geistig ausgelaugt zusammengesunken und schlief den Schlaf der Gerechten, den Schlaf derer, die ihn sich verdient hatte.

Müde und voller Schmerzen erhob er sein Haupt und erblickte unter sich, auf dem Tisch, das Papier, an dem er so lange gearbeitet hatte und das ihn solche Schwierigkeiten gebracht hatte.

Das Papier lag ruhig da, wie das Schlachtfeld nach der Schlacht. Überall zeugten Striche und Kleckse von einer letzten, harten Schlacht zwischen den Wörtern, doch am Ende war der General, der hart gekämpft hatte, siegreich und begutachtete sein Werk der Perfektion, eine Symphonie der Gefühle, eine Ballade von Leid und Trauer, mit Passagen des Glückes und der Hoffnung.

Ein Meisterwerk der Dichtkunst.

Zitternd nahm er das Blatt und las die Worte, um die er so gekämpft hatte, die er unter harten Bedingungen errungen hatte, von denen er wusste, es werden die letzten sein, die er jemals schreiben würde, denn Perfektion kam nur einmal und man musste sie dann nutzen, wenn sie kam. Er las: „Ich liebe dich, Elise.“ und warf sie in das ewige Feuer des Kamins, wohl wissend, dass sie immer genau dort waren, wo er sie brauchte. In seinem Herzen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Yu_B_Su
2009-11-22T18:39:00+00:00 22.11.2009 19:39
Das war eine Symphonie. Das war ein Werk. Es war ein Werk mit mehreren Akten, begonnen mit der Beschreibung der Situation des Dorfes, die Einleitung die Fokussierung auf den Schreiber, das Streben der Perfektion, die zu scheitern scheint, die gestört wird vom Wind und die nach ewigen Qualen doch erreicht wird. Die am Ende in vier kleine Worte mündet und der Erkenntnis, dass das Gefühl im Herzen wichtiger ist als die Worte auf dem Papier. Das war wahrlich ein Werk. Ein relatives Meisterwerk.

Ich fand es wirklich gut. 'der Schlaf der Gerechten und Gerächten' war ein tolles Wortspiel und auch wie du vom Allgemeinen zum Schreiberling kommst, das war toll! Auch die Vergleiche mit der Tänzerin, der Armee usw. haben mir sehr gefallen, klasse! Nur den Vergleich mit der göttlichen Hilfe habe ich nicht verstanden: die Götter sind unsterblich, also kann es nicht von ihrer Seite aus die letzte Hilfe sein. Aber was machen die Menschen, nachdem sie die Hilfe erhalten haben? Wollen ihnen die Götter dann nicht mehr helfen oder sind sie alle tot?... Den Schriftsteller mit einem Gott, einem Schöpfer zu vergleichen fand ich sehr nachvollziehbar. Man merkt seine Strebesamkeit, die übertrieben ist, weil es so wenige Worte sind. Und ob sie im Herzen besser aufgehoben sind als auf dem Papier, weiß ich nicht, vieles wird, wenn wir es erstmal aufgeschrieben haben, irgendwie wahr, gegenwärtig, daher war es ja gut, dass er sie aufgeschrieben hat. Aber es ist irgedwie auch wahr: jetzt, wo es gegenwärtig ist, ist das Papier gar nicht mehr nötig, man weiß es ja jetzt.

Daher passt die Pointe diesmal echt gut!

Ein paar kleine Fehlerchen sind drin, aber naja...

Von:  Varlet
2008-12-04T17:08:26+00:00 04.12.2008 18:08
Das Ende find ich total schön
und du hast auch das Thema um die Perfektion schön geschilder, aber auch dass mans ie nur hat, wenn sie gerade da ist
und für mich klang es so, als wolltest du sagen, dass man Perfektion nicht imemr gleich und sofort erringen kann, nur weil man es so will.
Ein schöner OS...


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