Immer wieder freitags von sterekura ================================================================================ Prolog: Freitagsritual ---------------------- Freitagsritual Es war ein ganz normaler Freitag. Und genau das war Grund genug diesen Tag aus tiefster Seele zu hassen. Normalerweise liebten die Menschen den Freitag. Er beendete eine harte Arbeitswoche oder eine fünftägige Folter in der Schule, aber für Daniel Bennington fing der wahre Horror immer erst freitags an. Allein das schrille, nervtötende Geräusch seines Weckers ließ seine Laune auf den Tiefpunkt sinken. Warum klingelte das verdammte Ding freitags immer genau dann, wenn er das Gefühl hatte gerade erst eingeschlafen zu sein? Die Nacht von Donnerstag auf Freitag schien jede Woche kürzer zu werden - egal, wann Daniel abends ins Bett ging, jeder Freitag morgen war eine Qual. Noch immer halb im Land der Träume schaltete er den Wecker aus, um sich in seinem warmen Bett noch einmal umzudrehen und den schmalen Grat zwischen Traumwelt und Realität wieder zu überschreiten. Wieso konnte sich nicht plötzlich ein Zeitloch bilden und alle Freitage verschlucken? Welcher Idiot hatte den Freitag überhaupt erst zum Freitag gemacht? Während Daniels Atem wieder gleichmäßiger wurde spielten sich vor seinem inneren Auge Szenen ab, in denen er einem unbekannten Menschen seine Faust auf das Auge drückte, da dieser gerade erwähnt hatte, dass er den Freitag nur geschaffen hatte, um Daniel zu quälen. Selig lächelnd kuschelte sich Daniel tiefer in seine Decke und bedankte sich im Traum für jeden Freitag seines Lebens. Als er gerade die Faust erneut in das weiche Fleisch seines Gegenübers schlagen wollte überkam ihn unerwartet ein Gefühl eisiger Kälte und Daniel schreckte schlagartig aus seinem Traum auf. Eine unangenehm prickelnde Gänsehaut überzog seinen Körper an den Stellen, die nicht von den blauen Boxershorts und dem weißen Unterhemd bedeckt wurden. Sichtlich genervt drehte Daniel sich in seinem Bett auf die andere Seite, um zu sehen, was die Kälte verursacht hatte. Obwohl es ihm schon klar war - schließlich vollzog sich diese Prozedur jeden verdammten Freitag - was oder besser wen er dort sehen würde, machte er sich die Mühe seinem Peiniger in die Augen zu blicken. Vor seinem Bett stand ein kleiner schwarzhaariger Junge, bekleidet mit einem grünen Schlafanzug, der dieselbe Farbe hatte wie seine funkelnden Augen. Das schmale Gesicht des Jungen zierte ein unglaublich fieses Grinsen und Daniel wünschte sich - wie jeden Freitag - sein Bruder würde irgendwann einmal zu alt dafür werden ihm immer freitags die Bettdecke wegzunehmen. Aber Ryan Bennington schien für nichts zu alt zu sein. Obwohl er ganze vierzehn Jahre zählte war sein geistiges Alter längst noch nicht soweit, um irgendwie mit dem auf seinem Ausweis mitzuhalten. Das jedenfalls war Daniels Meinung. Ryan war bösartig, fies und überaus gemein. Zwar nur immer freitags, aber das zählte in solchen Momenten nicht. Warum nur hatte die Welt beschlossen Freitag zum Horrortag zu machen? Daniel schüttelte den Kopf. Nein, warum hatte das Schicksal ihm einen solchen Bruder beschert, der ihn immer wieder freitags zur Weißglut trieb? "Pass mal besser auf, was du träumst. Du hättest mich mit deiner Faust eben beinahe erwischt", meckerte Ryan seinen großen Bruder an und warf dessen Bettdecke unwirsch in eine Ecke des Zimmers. Daniel schnaubte leise und setzte sich grummelnd auf. ,Schade nur, dass ich es nicht geschafft habe', schoss es ihm durch den Kopf, aber er zog es lieber vor nichts darauf zu antworten. "Heute ist Freitag", erinnerte Ryan seinen Bruder unnötigerweise und fing an vor Daniel auf und ab zu laufen. Ein mürrisch gebrummeltes ,Mmmh' kam als Antwort und der Besitzer der Stimme schwang missmutig seine langen Beine auf den Teppichboden, um ins Bad zu gehen. Natürlich dackelte ihm sein kleiner Bruder hinterher. Wie jeden beschissenen Freitag. "Dayle, du weißt was Freitag für ein Tag ist", frohlockte Ryan und wollte unbemerkt hinter Daniel mit ins Badezimmer schlüpfen, aber sein Bruder hielt ihn wenigstens heute einmal erfolgreich davon ab. "Der Anfang vom Ende, der Tag der Apokalypse, mein Untergang. Such dir was aus, aber lass mich alleine duschen, Ryan." Eine widerliche, kleine, hinterhältige Klette. Das und nichts anderes war Ryan Bennington freitags morgens. Obwohl Daniel vier Jahre älter war als sein kleiner Bruder schaffte es dieser ihn vollkommen unterzubuttern - jedenfalls an Tagen wie diesen. Murrend zog Daniel seine wenigen Kleidungsstücke aus und zog den ursprünglich weißen, nun aber eher grauen Duschvorhang zur Seite. Er drehte den Hahn zuerst in die rechte Richtung - eiskaltes Wasser strömte aus dem Duschkopf und traf den Jungen wie immer völlig unerwartet. Ein paar Augenblicke zwang er sich dazu dem kalten Wasser standzuhalten, dann drehte er zitternd den Hahn in die andere Richtung. Keine drei Sekunden später wärmte ihn das Wasser, das sanft auf ihn nieder prasselte und für einen kurzen Moment schlich sich ein Lächeln auf Daniels Lippen. Er hätte ewig unter dem warmen Wasser stehen können, aber laute Schläge gegen die Badezimmertür rissen ihn jäh aus seiner Lethargie und ließen ihn unwillkürlich zusammenzucken. "Dayle, trödle nicht immer so viel, du kommst noch zu spät. Schwing deinen faulen Arsch endlich aus dem Bad raus", brüllte eine tiefe, genervte Stimme durch die Tür und augenblicklich drehte Daniel den Hahn zu. In diesem Augenblick gab es so viele Dinge, die er hasste. Die Kälte, die ihn wieder einholte, als das warme Wasser gestoppt hatte. Die Tatsache, dass sein Steifvater sich aufspielte, als wäre er sein richtiger Vater. Die unumgängliche Wahrheit, dass heute Freitag war und er den Abend mal wieder ohne Ryan verbringen musste. Und nach einem Blick in den Spiegel hasste Daniel seine tiefen Augenringe, die seine eisblauen Augen stumpf und leer wirken ließen. Fabelhaft, wirklich fabelhaft. Das Leben meinte es nur zu gut mit Daniel Bennington. "Dayle, wenn du nicht sofort aus dem Bad kommst, dann hol ich dich eigenhändig da raus!" Ach ja, außerdem hasste Daniel es Dayle genannt zu werden. Früher hatte ihm dieser Spitzname nichts ausgemacht - damals, als seine Mutter ihn so genannt hatte. Selbst bei Ryan störte es Daniel nicht, aber dass sein Stiefvater ihn ebenfalls so rief, bescherte ihm regelmäßig Übelkeit. Ihm missfiel der harte Klang seines Namens, wenn Jordan Bennington ihn aussprach. Um ehrlich zu sein fehlte Daniel die liebevolle Art, mit der seine Mutter ihm diesen Spitznamen verpasst hatte. Doch sie war tot, statt dessen klebte nun Jordan an Daniels Backe und er konnte überhaupt nichts dagegen tun. Daniel wünschte sich manchmal, dass er selbst dazu in der Lage wäre Ryan und sich zu versorgen, aber das war er nicht - Jordan leider schon. Daniel blickte in seine eigenen blauen Augen und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die kurzen, braunen Haare, die an den Spitzen noch immer blondiert waren. Wie langsam seine Haare doch wuchsen. Im Schneckentempo, aber dafür auch wild und nicht zu bändigen. Egal, wie viel Gel Daniel verwendete oder wie viel Zeit er in seine Haare investierte, sie fielen einfach so, wie sie es wollten. Deswegen machte er sich schon gar nicht mehr die Mühe ewig vor dem Spiegel zu stehen. Heute war außerdem ja eh Freitag - als ob an so einem Tag seine Haare mal ausnahmsweise das machen würden, was er wollte. Mit einem Handtuch um die Hüften bekleidet verließ Daniel das Bad und stieß fast mit seinem Bruder zusammen, der sich gerade einen dunkelroten Pullover anzog und den Kopf aus Versehen in eine falsche Öffnung gesteckt hatte. Schmunzelnd half Daniel seinem Bruder aus dessen Misere und ging dann weiter in sein Zimmer, um endlich warme Klamotten anzuziehen. "Jordan ist irgendwie schlecht drauf", murmelte eine leise Stimme hinter Daniel. Der ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und zog sich erst einmal komplett an, bevor er sich zu seinem kleinen Bruder drehte und ihn eindringlich musterte. Ryan war ziemlich klein für sein Alter, dazu kam noch, dass er auch kaum eine männliche Figur aufweisen konnte und im Gegensatz zu Daniel eine relativ helle Haut besaß. Daniel und seine Mutter hatten nämlich von Natur aus eine etwas dunklere Haut, aber Ryan hatten diese Gene irgendwie ignoriert und so war es kaum verwunderlich, dass man sie nicht für Brüder hielt. Viele Menschen, die Ryan das erste Mal sahen sogar nahmen an, dass er ein Mädchen war. Er hatte schon alles probiert, um wenigstens ein wenig männlicher auszusehen, aber selbst kürzere Haare und regelmäßiger Sport halfen ihm nicht. Ryan war in dieser Hinsicht ein hoffnungsloser Fall und das war mit ein Grund, warum er oft gehänselt wurde. Daniel seufzte und fuhr seinem Bruder liebevoll mit der Hand durch die kurzen rabenschwarzen Haare. "Wann ist er das nicht?" Ryan zwang sich dazu zu lächeln, aber Daniel konnte es ihm nicht verübeln, dass ihm ein ehrliches Lächeln nicht gelingen wollte. Er fühlte sich auch nie dazu in der Lage zu lachen, wenn es um Jordan ging. "Ich bin froh, dass heute Freitag ist", wiederholte Ryan den Satz, den er jeden Freitag aussprach und Daniels Laune sank wieder buchstäblich zurück in den Keller. Natürlich, Ryan konnte sich über Freitage freuen - nein, sein Bruder liebte Freitage. Aber Daniel würde sie am liebsten eliminieren, selbst, wenn sein Bruder dadurch unglücklich werden würde... Obwohl, wenn er in die vor Freude strahlenden grünen Augen sah vergaß er all seinen Zorn. Oh, wie er das hasste. Das bestätigte nur, dass sein Bruder wirklich fies und hinterhältig war. Eine kleine Mistkröte, die freitags aus dieser Hölle fliehen konnte und erst wieder sonntags zurückkam, während Daniel immer hier sein musste - in Jordans Nähe. "Lass uns runtergehen und frühstücken, bevor er wieder ausrastet. Ich hab heute Sportunterricht und kann es mir nicht erlauben zu fehlen. Also pass bitte auf, was du sagst", ermahnte Daniel seinen Bruder leise und runzelte die Stirn. Wie jämmerlich es doch war Ryan darum zu bitten die Zunge im Zaum zu halten, nur damit man ihn nicht wieder wegen den blauen Flecken und den Schrammen ausfragte. Doch Ryan wusste genau, wie er diese Bitte zu verstehen hatte. Jordan war schon im normalen Zustand unberechenbar, aber wenn er mal richtig schlechte Laune hatte, dann glich er einer tickenden Zeitbombe und man hatte schneller eine Hand im Gesicht kleben, als man einatmen konnte. Ryan ging vor seinem Bruder die Treppen hinunter und trat zaghaft in die Küche. Wie ein in die Enge getriebenes Tier sah er sich blitzschnell in alle Richtungen um und atmete dann erleichtert aus. Jordan war also nicht im Raum. Daniel musste jedes Mal gegen seinen Willen bei dieser Szenerie schmunzeln. Es zeigte ihm jeden Morgen, wie er und Ryan sich doch ähnelten und wie sehr er seinen Bruder mochte - auch, wenn er ihn immer als fieses Monster bezeichnete. Daniels Blick fiel auf den Tisch, der zwar gedeckt war, aber auf den Jungen trotzdem fremd wirkte. Am liebsten würde Daniel nichts von all dem Fraß anrühren, aber sein Magen meldete sich just in diesem Moment, um ihm zu signalisieren, dass er gerade heute etwas essen sollte. Denn heute war Freitag und er musste wieder in der Bar arbeiten, um das verdiente Geld zur Seite zu legen, damit er und Ryan irgendwann von Jordan unabhängig sein konnten. -o@-@o- Luke Parkers Freitag begann wie jeder andere Tag der Woche auch. Ein freundliches Sie müssen nun aufstehen, Luke der Haushälterin Rose weckte ihn und fast zeitgleich wurden die schweren dunklen Vorhänge seines Zimmers aufgezogen, um die Sonnenstrahlen auf sein helles Gesicht fallen zu lassen. Rose Harris war nämlich schon seit Lukes Geburt der Ansicht, dass dieser eine viel zu ungesunde Hautfarbe hatte und setzte ihn deswegen sooft sie konnte der Sonne aus, aber all die Urlaube oder Stunden in brütender Hitze hatten nichts ändern können: Luke war noch immer genauso blass wie zur Stunde seiner Geburt und im Grunde war er damit auch recht zufrieden. Doch Rose war eine sture Frau, die nie aufgab und noch immer krampfhaft versuchte ihm eine etwas dunklere Haut zu verpassen. Luke musste jedes Mal darüber lachen, wenn Rose um ihn herumschwirrte und über seine blasse, ja fast schon weiße, Haut schimpfte. Luke richtete sich in seinem Bett auf und blinzelte mehrmals, um seine Augen an das Sonnenlicht zu gewöhnen. Trotz der kalten Jahreszeit hatte es sich die Sonne nicht nehmen lassen bisher jeden Morgen so hell und warm zu strahlen, als wäre der Winter noch immer in weiter Ferne. Einzig und allein die Tatsache, dass die Bäume vor Lukes Fenster keine Blätter mehr besaßen und sich im eiskalten Wind ihre knorrigen, kahlen Äste stark zur Seite bogen, ließ von seiner Position aus erahnen, dass der Sommer schon längst vergangen war. Rose wuselte noch immer in seinem Zimmer umher und erst jetzt bemerkte Luke, dass sie eigentlich mit ihm sprach. "Heute soll es schneien, also ziehen Sie sich warm an. Es reicht ja schon, dass Sie wie ein Toter aussehen, da müssen Sie sich nicht auch noch eine Krankheit einfangen, die Sie schwächt." Luke lächelte und schlug seine Bettdecke zurück, um aufzustehen. Rose warf ihm einen missbilligenden Blick zu, da er wieder mal nur kurze Boxershorts und ein langes Shirt trug, sagte aber nichts zu der - ihrer Meinung nach - zu leichten Bekleidung. Der schwarzhaarige Junge streckte sich genüsslich und verabschiedete sich dann von Rose, um sich im Bad eine gemütliche heiße Dusche zu gönnen. In dem Wissen, dass die Haushälterin ihm seine Kleider für heute auf sein großes Bett legen würde, ließ sich Luke heute besonders viel Zeit das warme Wasser auf seiner hellen Haut zu genießen. Kaum hatte er das Wasser abgedreht vernahm er das gut gelaunte Summen der Haushälterin, die nun anscheinend auf dem Weg in die Küche war, um Luke das Frühstück zuzubereiten. Sie war wirklich eine gute Seele und kümmerte sich schon seit seiner Kindheit rührend um ihn. Manchmal hatte er sogar das Gefühl, dass sie ihm eine bessere Mutter war als seine leibhaftige Mutter, die er eigentlich auch nur an Wochenenden zu Gesicht bekam, da sie aufgrund ihres Jobs viel im Land umher reisen musste. Luke hatte diese Tatsache schon vor Jahren akzeptiert, aber seine Entscheidung bedeutete auch, dass seine Mutter allmählich für ihn fremd wurde. Doch solange er die resolute Rose an seiner Seite hatte, glaubte Luke nicht, dass ihm Mary Parker wirklich fehlte. Er wickelte sich ein blaues Handtuch um die Hüften und trocknete mit einem anderen seine Haare ab, die ihm daraufhin zerzaust auf die blassen Schultern fielen. Ohne auch nur daran zu denken sich die dunklen Haare zu kämmen verließ er nach einigen Minuten das Badezimmer wieder, um wie erwartet die auf dem Bett liegenden Klamotten anzuziehen. Natürlich hatte Rose Farben gewählt, die Luke nicht noch blasser wirken ließen, als er es eh schon war. Die Tatsache, dass er neben der blassen Haut auch noch rabenschwarze Haare hatte half ihm nämlich nicht gerade dabei nicht wie ein Untoter auszusehen. So jedenfalls betitelte Rose ihn immer, wenn Luke auch noch dunkle Kleidung anzog. In aller Ruhe schlüpfte Luke in die helle Cordhose und das blaue Hemd, das er unter dem beigen Pullover verbergen konnte. Luke liebte dunkle Farben, aber er wollte die Geduld von Rose nicht überstrapazieren. Schließlich konnte es ja auch kein Fehler sein, wenn er in Kleidern herumlief, die vielleicht dazu beitrugen, dass man ihn in der Schule nicht ständig schief ansah oder über ihn tuschelte, wenn er den Gang entlang ging. Ein Mal hatte er sogar mit anhören müssen, wie ein Junge seiner Klasse eine Wette darauf abgeschlossen hatte, wie lange Luke eigentlich schon tot sei oder ob er in absehbarer Zeit ins Gras beißen würde... Über sich selber lachend schüttelte Luke den Kopf. Er hatte sich doch geschworen diese Hänseleien über sich ergehen zu lassen - irgendwann würden sie aufhören. Selbst Daniel Bennington musste doch einmal einsehen, dass er Luke damit nicht ärgern konnte, denn der liebte seine helle Hautfarbe beinahe so sehr wie seine schwarze Katze Snowball. Doch leider besaß Daniel Bennington genauso viel Hartnäckigkeit im Ärgern wie Luke im Ignorieren. Seit die beiden sich nach ihrer Kinderfreundschaft aus den Augen verloren und sich erst wieder in dieser Jungenschule getroffen hatten musste Luke tagtäglich Daniels schlechte Laune aushalten. Ihm war nicht klar, warum Daniel sich damals in der kurzen ,Auszeit' so drastisch verändert hatte, aber es gefiel Luke überhaupt nicht. Er wünschte sich sehnlichst die Tage zurück, in denen er Daniels Freund gewesen war. Zeiten, die erfüllt waren von unbeschwertem Lachen und belanglosen Witzen. Aber das war vorbei und Luke wusste tief in seinem Inneren, dass es wohl auch nie wieder so wie früher werden würde. Sie beide hatten sich verändert, das Leben war weiter gegangen und es war nun Lukes Aufgabe sich von Daniel nicht ins Boxhorn jagen zu lassen. Bald war die Schule zu Ende und Daniel wieder aus Lukes Leben verschwunden. Diese paar Monate würde Luke mit Leichtigkeit ertragen können. Seufzend fuhr er sich durch seine dunklen Haare und rieb sich die Augen. Um sein etwas unscharfes Umfeld besser sehen zu können zog er seine rahmenlose Brille auf und schnappte sich seine Schultasche, um Rose hinunter in die Küche zu folgen. Auf dem Weg nach unten kam ihm Snowball entgegen und Luke ließ es sich nicht nehmen mitten auf der Treppe anzuhalten, um seine Katze hinter den Ohren zu kraulen. Schnurrend schmiegte sich das kleine Tier an Lukes Bein und zauberte so ein glückliches Lächeln auf das Gesicht und alle schlechten Gedanken aus dem Gedächtnis ihres Besitzers. "Ein bisschen Beeilung, Luke. Charles wartet nicht ewig", erinnerte Rose ihn am Treppenabsatz daran, dass die Zeit immer unbarmherzig weiterging und nie stoppte, um jemanden einen Moment ewig genießen zu lassen. Luke hob Snowball hoch und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er sie wieder herunterließ und Rose mit einem entschuldigenden Lächeln milder stimmte. Sie konnte dem Charme von Luke einfach nie widerstehen - zu sehr hatte sie den Jungen schon in ihr Herz geschlossen. Was aber nicht hieß, dass er eine Sonderbehandlung bekam. Auch er musste lernen, dass die Menschen um ihn herum einen Zeitplan einhalten mussten. Selbst, wenn Luke immer so wirkte, als hätte er alle Zeit der Welt konnte er nicht davon ausgehen, dass seine Ruhe sich auf seine Mitmenschen ausbreitete. "Was haben Sie heute vor, Luke?", fragte Rose den jungen Hausherren höflich und goss heiße Milch in die große rote Tasse, die mit Lukes Namen verziert war - ein Erinnerungsstück an seinen verstorbenen Vater Will Parker - und fügte dem dampfenden Getränk dann wie immer drei Kaffeelöffel Kakaopulver hinzu. Luke hingegen hatte sich schon an den Pfannkuchen bedient und war gerade dabei sich den zweiten großzügig mit Nutella zu beschmieren, um ihn dann mit braunen glitzernden Augen und einem zufriedenen Laut in seinen Mund zu stopfen. Bei jeder Mahlzeit wunderte sich Rose, wo all das Essen eigentlich hinging. Luke konnte drei oder vier Portionen essen und war trotzdem so schlank, wie es sich gehörte. Traurig seufzend sah Rose an sich herunter. Wenn das bei ihr doch auch nur der Fall wäre... Luke dachte währenddessen über ihre Frage nach. Heute war Freitag, ein Tag wie jeder andere auch. Er würde in die Schule gehen, Spott über sich ergehen lassen und dann wieder nach Hause zurückkehren und ein wenig lernen, um den Abend dann mit Snowball vor dem Fernseher zu verbringen. Nichts außergewöhnliches also. Trotzdem wollte er Rose nicht sagen, wie trostlos Freitage eigentlich für ihn waren. "Nach der Schule werde ich wohl noch ein wenig im Park spazieren gehen, heute ist so ein herrliches Wetter." Rose drehte sich zu Luke um, der mit dem Rücken zu ihr am Tisch saß und weiterhin fleißig ihre Pfannkuchen verdrückte. Mitleid spiegelte sich in den Augen der brünetten Frau wider und beschämt wandte sie sich ab. Der junge Herr mochte es nicht, wenn man ihn mit solchen Augen ansah - selbst, wenn er ihrem Blick nicht direkt begegnete. Luke schien das meistens irgendwie zu spüren, deshalb musste Rose sich immer dazu ermahnen woanders hinzusehen, wenn sie darüber nachdachte, wie eintönig Lukes Leben war. Noch zu gut konnte sich Rose an Lukes Kindheit erinnern, in der er einen wahrhaft guten Freund gehabt hatte. Lukes gemeinsame Zeit mit Daniel Bennington rief sie sich gerne wieder ins Gedächtnis zurück. Er war es gewesen, der Luke von seiner Einsamkeit und Trauer abgelenkt hatte, denn Daniel war in der Zeit nach dem Tod von Lukes Vater sein bester und wohl auch einziger Freund gewesen. Doch eines Tages plötzlich war Luke nach Hause gekommen und wollte seit dem nie wieder, dass irgend jemand den Namen Daniel laut aussprach. Seit diesem Tag hatte Luke sich drastisch verändert. Er lachte kaum noch. Sicher, er lief in diesem Haus immer mit einem Lächeln auf den Lippen herum, doch wirklich ernst gemeint war das nie. Rose vermisste das Lachen, das aus tiefstem Herzen kam - das, dass sie immer von ihm gehört hatte, wenn Daniel in seiner Nähe gewesen war. Rose sah Luke eigentlich nur noch ehrlich lächeln, wenn er Snowball, seine kleine schwarze Katze, streichelte. Sie war wohl seine einzige Verbindung zum Glücklich sein. Außerdem umgab Luke seit diesem Tag eine erdrückende Aura von Einsamkeit und so wie Rose das beurteilte machte sich der Junge auch keinerlei Mühe an dieser Sache etwas zu ändern. Seine Resignation hatte die smarte Haushälterin schon immer bemängelt, aber nun machte sie sich allmählich Sorgen um den Achtzehnjährigen. Es brach ihr fast das Herz mit ansehen zu müssen, wie Luke von Tag zu Tag mehr vereinsamte. Aber ihn darauf anzusprechen schien schier unmöglich. Luke blockte nämlich immer bei diesem Thema ab und meinte nur, dass er mit seinem Leben zufrieden sei. Rose hatte keine andere Wahl als Luke die Zeit, in der sie zusammen in diesem Haus waren so schön wie möglich zu machen. Ganz in Gedanken versunken hätte Rose beinahe verpasst, wie Luke aufstand, sich jeden Finger einzeln ableckte und sie mit einem seiner falschen Lächeln ansah. "Ich muss los, Charly schläft sonst noch hinter dem Steuer ein", scherzte Luke und griff nach seiner Tasche, die er auf dem Stuhl neben sich platziert hatte. "Einen angenehmen Tag, Luke", verabschiedete sich Rose von ihrem Herrn und sah traurig zu, wie dieser leichten Schrittes aus der Küche verschwand. "Einen wunderschönen guten Morgen, Luke", begrüßte ihn Charles Andrews, ein in die Jahre gekommener Mann mit großer Nase und wachsamen braunen Augen. Luke schlug die Tür des Wagens hinter sich zu und lächelte Charly, wie er ihn immer nannte, an. "Morgen Charly." Ein zufriedenes Nicken folgte und kurze Zeit später ertönte das leise Geräusch des Motors. Luke lehnte sich auf dem weichen Sitzpolster zurück und zog den Schal, den er im Flur noch umgelegt hatte, enger um seinen blassen Hals. Mit gespieltem Interesse beobachtete Luke aus dem Fenster heraus das Leben auf der Straße. Er wusste, dass Charly ihn sonst angesprochen hätte, aber momentan stand ihm der Sinn nicht nach einem frühmorgendlichen Plausch über das kalte Wetter oder die Schule. Luke wollte momentan einfach nur in Ruhe gelassen werden, um sich mental darauf vorzubereiten in wenigen Minuten wieder in Daniels Augen blicken zu müssen - in denen keinerlei Zuneigung ihm gegenüber mehr lag. Seit diesem einen Freitag vor sechs Jahren hatte sich zwischen Luke und Daniel wirklich alles geändert. ___________________________________________________________ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)