Zerrissene Herzen von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 7: Sieben ----------------- ~*~ Teil 7 ~*~ Michael fuhr schnell auf den großen Parkplatz und schaute sich hastig nach einem Platz für sein Auto um. Seit zwei Wochen graute es ihm vor diesem Tag. Er hatte seine Abfahrt so lange wie möglich hinaus geschoben, weil er Andre einfach nicht sehen wollte und jetzt war er natürlich zu spät. Erneut spielte Michael mit dem Gedanken, einfach wieder zu drehen und nach Hause zu fahren. Er konnte Andre nicht in die Augen schauen, nicht nach seinem Liebesgeständnis. Wie sollte er sich denn jetzt verhalten? Sollte er ihn ignorieren oder so tun als wäre nichts gewesen? Andererseits war er es den Kindern schuldig. Michael konnte sie schließlich nicht alleine lassen. Sie hatten sich doch so auf den Ausflug zum See gefreut und mit nur einer Aufsichtsperson konnte die Exkursion nicht stattfinden. Er parkte sein Auto und stieg aus. Wenigstens hatte Christian bereits mit Schwester Genepper gesprochen, so müsste er sich nicht noch ihren dummen Fragen stellen. Michael zog sich seine Jacke an und folgte einfach nur den Stimmen. Für den Bruchteil einer Sekunde hoffte er, dass Andre zu Hause geblieben wäre, aber dann sah er bereits den Jungen, der wegen seiner Größe aus der Gruppe herausragte. Michael atmete einmal tief durch, bevor er freundlich grüßte und sich zu den anderen gesellte. Er fragte die kleine Schwester nach dem Ablauf des Ausfluges, während er versuchte nicht zu Andre herüber zustarren. Noch mal würde er sich keinesfalls blamieren! Michael beschloss weiterhin freundlich zu Andre zu sein, aber doch auf Abstand. Er würde einfach vergessen, was passiert war. Es gab schließlich noch sehr viele andere Jungen auf dieser Welt, die ihn auch mögen würden. Auf einen Kerl, der in seinen eigenen Bruder verliebt war, konnte Michael wirklich verzichten. Andre alberte mit den kleinen Fünftklässlern herum, lachte mit ihnen und fühlte sich furchtbar elend. Am liebsten wäre er einfach zu Hause geblieben, aber er hatte ja diese blöde Verpflichtung, die man ihm auferlegt hatte! Aber er wollte sich seine Trauer nicht anmerken lassen. Lieber spielte er wieder den Fröhlich Heiteren. Er wollte gerade einen kleinen Jungen erschrecken, als er Michael erblickte und erstarrte. Gott, der hatte ihm gerade noch gefehlt! Wie sollte er sich ihm gegenüber denn jetzt verhalten? Am besten gar nicht! Er würde sich einfach von Michael fernhalten, so gut es ging, das müsste doch eigentlich möglich sein, bei so einem großen Teich. Schnell drehte er sich weg, um auch ja nicht dem Blick des Studenten zu begegnen. Das konnte ja wirklich heiter werden! Michael zog sich einen Schokoriegel aus der Jackentasche und trottete langsam der Gruppe hinterher. Er versuchte so weit es eben möglich war Abstand von Andre zu halten. Wieso musste er sich auch ausgerechnet in ihn verlieben? Und jetzt konnte ihn Andre noch nicht einmal anschauen. Hoffentlich würde dieser Ausflug schnell vorbei sein. Michael stopfte sich den Schokoriegel in den Mund und steckte danach sofort wieder die Hände in die Taschen. Nach dem heißem Sommer war es doch wieder erstaunlich kalt geworden. Die Teich-AG näherte sich dem See, der bereits zugefroren war. Schwester Genepper stellte sich auf einen kleinen Hügel und gab Michael das Zeichen die Gruppe zu zählen. Es war ja auch so wahnsinnig gefährlich, vom Parkplatz bis zum See zu gehen. Auf diesen berühmten 200 Meter waren ja auch schon so viele Kinder verloren gegangen! Trotzdem begann Michael die Gruppe zu zählen, während er versuchte die piepsige Stimme der Nonne zu überhören. Schwester Genepper warnte die Kinder, bloß nicht das Eis zu betreten, da sie ja nicht sicher sein konnten, ob das gefrorene Wasser sie auch tragen würde, also stabil genug war. Dabei gestikulierte sie wild durch die Gegend, um den Fünfern die Gefahr zu verdeutlichen. Michael schüttelte nur mit den Kopf und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Welcher Zehnjährige war schon so bekloppt und würde auf das Eis rennen? Schließlich waren es Kinder, keine Primaten! Andre hörte der kleinen Nonne nur mit halbem Ohr zu. Es war kalt, er fühlte sich schlecht und er wollte nach Hause. Wäre er nicht schon volljährig gewesen, hätte er ja vielleicht noch wegen Kindesmisshandlung klagen können, aber so? Neben ihm spielte ein kleines Mädchen mit einer roten Wollmütze, aus der die langen blonden Zöpfe hervorlugten mit einem Flummi und schien so fröhlich und glücklich, bei diesem sprichwörtlichem Sauwetter am Teich zu stehen und der Nonne zuzuhören, dass Andre sich gleich wünschte, auch noch einmal so jung und verspielt zu sein. Als er so jung gewesen war, hatte er auch noch nicht solche Probleme gehabt, wie er sie jetzt hatte. In dem Alter hatte er immer viel mit seinem Zwillingsbruder gespielt und oft Nachbarn, Verwandte oder Lehrer geärgert, in dem sie die Rollen getauscht hatten. Sofort, als Andre an seinen Bruder dachte, spürte er wieder diesen Kloß im Hals. Es gab wirklich Tage, da hasste er sein Leben! Hastig ging Schwester Genepper voraus und erklärte die einzelnen biologischen Vorgänge am See. Michael konnte sich zwar kaum vorstellen, was es Interessantes an einem zugefrorenen See gab, aber die Nonne redete wie ein Wasserfall. Sie beugte sich sogar hinunter und begann in der Erde zu graben. Begeistert schauten die Kinder auf ihre Lehrerin, die jetzt triumphierend eine Wurzel hochhielt. Nur Andre schien überhaupt keine Interesse zu haben. Missmutig starrte er auf den See hinaus und schien nichts mehr von seiner Außenwelt wahrzunehmen. Michael spürte wieder das Gefühl Andre wieder aufzuheitern, aber er riss sich schnell wieder zusammen. Also das hatte ihn in der Vergangenheit wirklich schon genug Probleme gemacht. Die nächsten Stunden waren die reinste Hölle. Steine umdrehen hier, Pflanzen untersuchen dort und Beschaffenheit des Bodens überprüfen an anderer Stelle. Immer wieder brachte Andre die Kleinen durch ein paar Albernheiten zum Lachen, obwohl ihm selbst eher zum Heulen zumute war. Warum hasste Gott ihn so? Besonders das kleine Mädchen mit den Zöpfen schien einen Narren an ihm gefressen zu haben, sie hing wie eine Klette an ihm. Allerdings mochte Andre sie auch nicht fortschicken und vergraulen. Sie war so süß in ihrer Naivität und Andre hatte einfach etwas übrig für Kinder. Wie sie ihn mit großen braunen Augen anstarrte und ihn fragte, ob in dem See im Winter auch wirklich noch Fische lebten oder ihn aufgeregt anstupste, wenn sie einen Maulwurfhügel gefunden hatte, brachte er es einfach nicht über sich. Immer spielte sie mit ihrem rosafarbenen Flummi, den sie, wie sie ihm stolz erzählt hatte, von ihrem älteren Bruder geschenkt bekommen hatte. Gerade war Andre dabei, einem Jungen zu helfen, eine Erdprobe zu entnehmen, als er hörte, wie die Kleine einen spitzen Schrei ausstieß und anfing zu weinen. Sofort war er bei ihr und ging vor ihr in die Hocke, um ihr in das vor Kälte gerötete Gesicht zu blicken. „Hey, was ist denn los?“ Sie schluchzte nur herzzerreißend und zeigte auf den zugefrorenen See. „Mein Flummi!“ Dicke Tränen kullerten über das Gesicht. „Dein Flummi ist in den Teich gefallen?“, fragte er und wischte ihr die Tränen fort. Doch sie schüttelte den Kopf. „Nein, er liegt auf dem Teich! Da!“, sie zeigte mit dem Finger auf die Stelle und nun sah auch Andre den rosafarbenen Punkt auf dem Eis. „Keine Sorge, sei nicht traurig, ich hole ihn dir wieder!“ Das Mädchen starrte ihn mit großen, feuchten Augen an, doch Andre zwinkerte nur und drehte sich um, um den Flummi zu holen. Der lag zwar auf dem Eis, aber das war ja gefroren und würde ihn bestimmt halten. Außerdem lag der Flummi nicht ganz soweit vom Ufer entfernt. Mutig trat Andre also vorsichtig auf das Eis, um die Haltbarkeit zu testen. Es tat sich nichts, das Eis blieb fest. Also ging er immer weiter vorsichtig vom Ufer weg in Richtung Flummi. Gleich hatte er es geschafft. Jetzt musste er sich nur noch bücken und… Ein leises Knirschen ließ ihn alarmiert innehalten und bevor er noch nachdenken konnte, brach das Eis plötzlich unter seinen Füßen mit einem lauten Knarren auseinander und er stürzte in das eiskalte Nass. Es blieb ihm gerade noch Zeit für einen erschreckten Schrei, bevor alles schwarz wurde und er nur noch Eiseskälte um sich herum spürte. Innerhalb von Sekunden war die Hölle los. Die Kinder begannen zu schreien und selbst die Nonne rannte völlig kopflos durch die Gegend. Michael verstand erst gar nicht, was überhaupt passiert war, aber da sah er auch schon Andre, der im Wasser herumstrampelte. Michael wandte sich fragend an Schwester Genepper, aber es schien als benötigte sie selber Hilfe, geschweige denn, dass sie Andre helfen konnte. Na wunderbar, dann musste er sich wohl was ausdenken. Vorsichtig näherte sich Michael dem Eis, während er sich nach einem langem Stock umsah. Irgendwie musste er Andre rausbekommen! Besorgt blickte er zu ihm. Wie lange würde Andre es da wohl aushalten können? Er hielt sich bereits am Eis fest und schaute hilfesuchend zu Michael. Seine Lippen färbten sich blau und Michael konnte selbst aus dieser Entfernung wahrnehmen, wie sehr Andre zitterte. Er musste ihn jetzt sofort rausziehen! Michael betrat vorsichtig das Eis, während im bewusst wurde, dass er am besten auf dem Bauch zu Andre robben sollte. Kurz blickte er Andre in die Augen und lächelte ihn an. Er musste Andre auf jeden Fall wach halten und so begann er laut mit ihm zu sprechen. „Keine Angst. Ich hol dich da raus. Ich bin in einer Sekunde bei dir! Strample am besten nicht mehr und bleib ruhig. Gleich bist du wieder draußen!“ Michael umfasste einen dicken Ast, brach ihn ab und legte sich langsam auf das Eis. Vorsichtig robbte er die kurze Strecke zu Andre und hielt ihm seinen Stock hin. „Halt dich einfach nur fest. Ich zieh dich dann raus. Keine Angst!“ Andre hatte Mühe, sich überhaupt auf etwas zu konzentrieren. Das kalte Wasser stach wie tausend Nadeln in seinen Körper und lähmte ihn, so dass er sich kaum über Wasser halten konnte. Er hatte versucht, sich wieder herauszuziehen, aber die Eisschicht war so dünn an der Stellte, an der er eingebrochen war, dass sie immer wieder abbrach und keinen Halt bot. Langsam verschwamm die Sicht vor seinen Augen und auch seine Lungen brannten höllisch, als würde er nicht genug Luft bekommen. Ein paar Mal griff er nach dem Stock, bis er ihn endlich zu fassen bekam. Jetzt bloß nicht loslassen, egal wie wenig er seinen Körper nur noch spürte! Michael spürte, dass Andre seine Kraft verlor. Wenn er jetzt auch noch bewusstlos werden würde, wäre alles zu Ende. „Andre?! Komm red mit mir, Kleiner! Ich werde dich jetzt da raus ziehen. Du musst dich nur festhalten. OK? Das schaffst du bestimmt! Komm schon, nicht aufgeben!“ Michael begann langsam wieder rückwärts zu kriechen und versuchte möglichst ohne einen großen Ruck Andre aus dem Wasser zu ziehen. Würde er jetzt zu kräftig ziehen, könnte sich Andre nicht mehr festhalten. So versuchte er langsam, aber kontinuierlich, ihn aus dem Wasser zu ziehen. Michaels Stimme drang nur als Dröhnen an Andres Ohren. Verzweifelt klammerte er sich an den Stock in seinen Händen. Er spürte seine Hände vor Kälte schon gar nicht mehr, aber trotzdem schaffte er es irgendwie sich festzuhalten. Nur nicht aufgeben! Michael zog weiter und bevor er sich versah, war Andres Oberkörper bereits aus dem Wasser. Michael warf ihm ein aufmunterndes Lächeln zu und robbte wieder zu ihm. Für das letzte Stück reichte er Andre die Hand und zog ihn so aus dem Wasser ans Ufer. Keinen Moment zu spät wurde Andre aus dem Eiswasser gezogen, denn sofort, als er draußen war, fielen ihm erschöpft die Augenlider zu. Gerade noch konnte er die eine zur Faust geballte Hand öffnen und dem Mädchen, das jetzt noch heftiger schluchzend besorgt an seine Seite geeilt war, den Flummi zeigen, der zum Vorschein kam. „Ich habe doch gesagt, ich hole ihn dir wieder“, krächzte er mit zitternden Lippen, bevor ihn ein Hustenkrampf schüttelte und er Wasser spuckte. Michael lächelte Andre erleichtert an und strich ihm unwillkürlich über die kalte Wange. Zum Glück hatte er ihn noch retten können. Was wäre nur gewesen, wenn er heute nicht dabei gewesen wäre? Nicht auszudenken! Aber was sollte er jetzt tun? Am besten erst mal warm halten. Schnell zog er seine Jacke aus und wollte gerade Andres Jacke aufknöpfen, als er erschrocken innehielt. Fragend schaute er ihn an und Michael konnte nicht vermeiden, dass er sich seine Wangen leicht rötlich färbten. Als er aber in das weiße Gesicht mit den blauen Lippen sah, merkte er erst, wie lächerlich das ganze doch war. Er würde ihm doch nur die Jacke ausziehen, damit Andre nicht erfror. Schnell entledigte er ihm dem nassen Kleidungsstück und legte ihm seine um. Das beste wäre jetzt wohl ein heißes Bad. „Komm, ich bringe dich zu mir. Das ist nah und in meinem Auto habe ich eine Decke. Glaubst du, dass du das Stück bis dahin alleine schaffst?“ Michael stand auf und reichte Andre seine Hand. Andre blinzelte angestrengt und versuchte seine Augen dazu zu überreden, nicht alles doppelt zu zeigen. Tapfer ergriff er Michaels Hand und ließ sich hochziehen. Seine Lungen brannten wie Feuer und er zitterte am ganzen Körper. Ob Blut in den Adern wohl auch gefrieren konnte? Er fühlte sich, als hätte er Eiswasser in den Adern. Hustend schwankte er und lehnte sich erschöpft gegen Michael, der vor ihm stand. Es war so kalt! Vorsichtig legte Michael seine Arme um den kalten Körper und hob ihn einfach hoch. Andre konnte jetzt unmöglich laufen. Michael wunderte sich, dass kein Protestgeschrei kam, schob das aber auf die Kälte zurück. Er verabschiedete sich knapp von Schwester Genepper, aber die schien das sowieso nicht mehr zu realisieren. Michael hoffte, dass sie es trotzdem schaffen würde die Kinder sicher nach Hause zu bringen. Aber darum konnte er sich nicht auch noch kümmern, am wichtigsten war jetzt Andre. Er legte vorsichtig eine Hand in seinen Nacken und machte sich schnell auf den Weg zum Wagen. „Gleich wird dir wieder warm. Versprochen! Ich dreh die Heizung ganz nach oben und wickle dich in eine Decke ein. Und dann geht’s in eine heiße Wanne. Nur noch ein paar Sekunden.“ Andre spürte kaum noch etwas. Sein Körper war ganz starr vor Kälte. Dass Michael ihn trug, war ihm in diesem Augenblick nur recht, er konnte keinen einzigen Schritt mehr gehen ohne so heftig zu zittern und zu husten, dass er sofort wieder umfiel. Ohne es zu merken schmiegte er sich unbewusst enger an Michaels warmen Körper. Ihm war so kalt! Michaels Vorschlag hörte sich gut an, eine Decke, eine hochgedrehte Heizung und eine heiße Wanne. Hektisch schlugen seine Zähne aufeinander, so sehr er auch versuchte seinen Kiefer zusammenzupressen. Michael sah bereits sein Auto und beschleunigte seine Schritte. Er drückte Andre an sich, sodass ihm auch schon ganz kalt wurde. Das eisige Wasser durchnässte bereits sein eigenes Oberteil. Besorgt blickte er auf Andre und sah direkt auf die zugekniffenen Augen. Er musste Andre so schnell wie möglich aus den kalten Klamotten schälen. Die hundert Meter bis zum Wagen schienen Michael wie eine Ewigkeit vorzukommen. Hastig suchte er nach seinem Autoschlüssel und schloss die Tür auf. Er setzte Andre in den Wagen und kniete sich vor ihn. Die nassen Klamotten mussten sofort aus. Sofort als der warme Körper sich von ihm entfernte und er abgesetzt wurde, schlug Andre die Augen auf und zitterte wieder stärker. Frierend schlang er seine Arme um sich selbst, doch Michael zog sie ihm wieder auseinander und zog ihm auch wieder seine Jacke von den Schultern, die Andre jedoch festhielt. Wenn Michael jetzt auch noch die Jacke wegnehmen würde, würde er bestimmt erfrieren! „Ich werde dir nur die kalten Sachen ausziehen. Keine Panik, Kleiner. Danach bekommst du eine Decke.“ Michel streichelte Andre über die nasse Wange und begann ihn weiter auszuziehen. Er zögerte kurz als er an Andres Hose angelangt war, machte dann aber einfach den Knopf auf. Andre warf ihm einen verwirrten Blick zu, ließ Michael ihn aber trotzdem bis auf die Shorts ausziehen. Als ein Windstoß kam, gab er ein Wimmern von sich und schlang wieder die Arme um sich, und war froh, dass Michael kurz darauf eine dicke Wolldecke um seine Schultern legte. „Und… jetzt?“, stotterte er mit zitternden Lippen. Wollte Michael ihn wirklich mit zu sich nach Hause nehmen? „Na, jetzt geht’s in die heiße Wanne. Oder was willst du sonst?“ Michael ging um den Wagen und setzte sich. Fragend blickte er Andre an, während er die Heizung hochdrehte. „Möchtest du nicht zu mir? Es ist nicht weit weg und ich werde dir bestimmt nicht zu nah kommen.“ Andre zuckte nur die Schultern. „Egal, Hauptsache warm!“ Er kuschelte sich tiefer in die Decke und hielt seine vor Kälte blauen Finger an die Lüftung, aus der die warme Luft strömte. Michael war jetzt wohl seine kleinste Sorge. Darüber konnte er sich sorgen, wenn er es schaffte, nicht zu erfrieren. Michael fuhr um die Ecke und ordnete sich in den Verkehr ein. Plötzlich überkam ihn ein ungutes Gefühl. Andre, nackt in seiner Wanne? Das konnte nur Probleme geben. Aber was blieb ihm schon anderes übrig? So etwas kommt halt raus, wenn man Abstand nehmen möchte… Er nahm Andres Zittern wahr und fuhr schneller. Seine Probleme waren doch jetzt völlig nebensächlich. Fröstelnd rollte Andre sich zusammen und versuchte sich warme Gedanken zu machen. Die Lüftung pustete ihm inzwischen heiße Luft ins Gesicht, und doch war ihm noch immer fürchterlich kalt. Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie das eiskalte Wasser ihn eben verschluckt hatte und er machtlos gewesen war gegen das Urelement. Wenn Michael ihn nicht gerettet hätte, dann… „Danke“, sagte er leise und drehte den Kopf in Michaels Richtung, der den Blick auf die Straße gerichtet hatte. „Ohne Sie wäre ich bestimmt ertrunken…“ Wenn er es recht bedachte, rettete ihn der junge Student in letzter Zeit öfter aus prekären Situationen; und er hatte ihm bis jetzt nie gedankt. Und jetzt nahm er ihn sogar mit zu sich nach Hause! „Danke… für alles.“ Verwundert schaute Michael zu Andre. Was war denn jetzt in ihn gefahren? Na ja, war ja doch irgendwie nett, zumindest wurde hier seine Hilfe noch gewürdigt. Zwar ein bisschen spät, aber schließlich besser als nie. „War doch Ehrensache. Ich würde es sogar wieder machen, obwohl du zu mir so…“ Schnell blickte Michael wieder auf die Straße. Verdammt! Hastig versuchte er vom Thema wieder abzulenken. Also zu so einer Art von Diskussion hatte er jetzt wirklich keinen Nerv. „Wir sind gleich da. Es ist nicht mehr weit. Guck mal, da hinten das rote Backsteinhaus. Gleich wird dir wieder wärmer.“ Andre nickte nur und wartete, bis Michael geparkt und den Motor abgeschaltet hatte. Unwillig blickte er nach draußen. „Muss ich da jetzt wieder raus?“, fragte er. Allein bei dem Gedanken daran, wieder in diese Kälte hinaus zu müssen, zog sich bei ihm alles zusammen. Konnte er denn nicht einfach hier im warmen Auto bleiben? Alles war besser, als wieder da raus zu gehen! Fester schlang er die Decke um seine Schultern und warf Michael einen flehenden Blick zu. „Zu kalt!…“ „Komm schon. Danach wird es auch besser. Ich mach dir auch eine heiße Schokolade. Oder möchtest du wieder getragen werden? Also so langsam bekomm ich doch Rückenschmerzen davon. So leicht bist du schließlich auch nicht!“ Michael grinste Andre an und stieg aus dem Wagen. „Ich schließ schon mal die Tür auf und du musst dann nur noch rein gehen. Wenn du dich beeilst, wird es schon nicht so schrecklich werden.“ Ein Grummeln seitens Andre begleitete seine Antwort. Der hatte ja gut reden, er war ja nicht in den See gefallen! Nur sehr widerwillig öffnete Andre die Tür und zuckte sogleich zusammen, als der kalte Wind ihn streifte. So schnell er konnte, hüpfte er aus dem Wagen, schlug die Tür zu und eilte Michael hinterher. Immerhin konnte er schon wieder einigermaßen auf eigenen Beinen stehen, das war doch schon mal was! Den Kopf in der Decke vergraben, achtete er leider nur auf den Boden vor sich, dass er, als er gerade durch die Wohnungstür gehuscht war, direkt in Michael hineinlief, der im Flur stand. Unweigerlich fing Michael Andre auf. Wieso musste er jetzt auch in ihn reinlaufen? Michael begann zu lachen. Hatten wir das Ganze nicht schon mal?, dachte er und schmunzelte. „Du kannst auch nie aus deinen Fehlern lernen, was? Es ist ja auch so wahnsinnig schwer einen Fuß vor den anderen zu setzten. Na ja, tanzen auf einem Pult stelle ich mir da schon schwieriger vor, aber dass du noch nicht mal gehen kannst? Wer hätte das gedacht?“ Michael schüttelte ungläubig mit dem Kopf, ließ Andre, nachdem er sich versichert hatte, dass dieser auch allein stehen konnte, los und verschwand im Badezimmer. Ein leichter Rotschimmer zeigte sich auf Andres Wangen. Was konnte er denn dafür, dass Michael da gestanden hatte? „Ich kann wohl gehen!“, murmelte er und raffte die Decke wieder enger. Er war sich allerdings nicht sicher, ob Michael ihn gehört hatte. Michael wählte ein Erkältungsbad, glaubte aber nicht, dass dieser Unsinn Andre wirklich vor einer Erkältung bewahren würde. Aber da musste er wohl durch. Michael stellte das Wasser heiß und legte ein Handtuch über die Heizung. Also, wenn ein warmes Handtuch kein Luxus war… „Die Wanne ist gleich voll. Du kannst dich ja schon mal ausziehen. Ich geh dir dann in der Zwischenzeit einen heißen Kakao machen“, damit verließ er das Bad wieder und ging an Andre vorbei in die Küche. Skeptisch betrat Andre das Badezimmer und sah sich um. Eigentlich ganz hübsch eingerichtet, eine Dusche, eine Toilette, ein Waschbecken, alles in weiß. Auf dem Boden lag eine flauschige Badematte in hellem beige und auch die Schränke wiesen die gleiche Farbe auf. Neugierig betrachtete Andre die Ablage über dem Waschbecken genauer und warf auch einen Blick in den Spiegelschrank. Huch, was war denn das? Dort standen verschiedene Lippenstifte ordentlich aufgereiht und auch Schönheitsartikel wie Rouge oder Lidschatten. Ob Michael hier wohl zusammen mit seiner Freundin wohnte? Er hatte gedacht, er sei schwul… Doch dann schüttelte er den Kopf. Konnte ihm ja auch egal sein. Oder?… Schnell schloss er den Schrank wieder und begann sich auszuziehen. Na gut, viel hatte er ja nicht mehr an, eigentlich nur die Decke und seine Shorts, und das war schnell auf den Boden geworfen. Vorsichtig ließ er sich in die heiße Wanne gleiten und atmete die aufsteigenden Aromen ein. Seufzend legte er den Kopf zurück und schloss die Augen. So schön warm! Er würde bestimmt die nächsten Stunden hier drin verbringen! Keine zehn Pferde würden ihn jetzt hier herausholen können. Verdammt! Wo war den jetzt dieses blöde Kakaopulver? Verzweifelt kramte Michael im Küchenschrank und räumte ihn Stück für Stück aus. Irgendwo musste es doch sein. Da, ganz hinten in der Ecke hatte es sich versteckt! Michael nahm das Pulver heraus und betrachtete das Verfallsdatum. Zum Glück war es noch nicht abgelaufen. Michael setzte die Milch auf und ging wieder zum Bad. Vielleicht brauchte Andre noch irgendetwas. Michael klopfte an die Tür und kam sich gleichzeitig blöd vor, in seiner eigenen Wohnung anklopfen zu müssen. „Darf ich reinkommen?“ „Von mir aus.“ Andre war viel zu faul und fühlte sich im Moment viel zu wohl, um die Augen zu öffnen oder sich auch nur einen Millimeter zu bewegen, deshalb hörte er nur, wie Michael die Tür öffnete und reinkam. „Brauchst du noch was? Also die Milch ist gleich fertig, dann bekommst du erst mal was Heißes zu trinken.“ Michel starrte unweigerlich auf Andres Körpermitte. Er musste einfach! Da konnte sich schließlich kein Mann zurückhalten. So verwerflich war das ja auch nicht. Zu Michaels Bedauern war das Ganze Wasser jedoch mit Schaum bedeckt und so konnte er noch nicht einmal einen Blick auf Andre werfen. Abrupt drehte Michael sich wieder weg und schob seine rötliche Geschichtsfarbe auf die heiße Temperatur im Bad. Zum Glück hatte Andre die Augen geschlossen und sah völlig entspannt aus. Die Lippen färbten sich langsam wieder in ein dunkleres rot zurück und auch auf Andres Wangen lag in leichter Rotschimmer. Der Junge sah plötzlich wieder lebendig aus. Michael setzte sich auf die Toilette und schaute Andre an. Er war immer noch wahnsinnig süß. „Dir ist mittlerweile wärmer, was? Ich glaub, es geht dir besser. Du siehst auch schon wieder richtig nied… äh, gesund aus.“ Andre lächelte mit geschlossenen Augen. Dieses Mal hatte er genau verstanden, was Michael eigentlich hatte sagen wollen. Er stand wohl immer noch auf ihn. Wenigstens einer, der ihn mochte. Über die Sache mit Mark war er immer noch nicht hinüber weg, obwohl es schon einige Tage her war. In der letzten Zeit war soviel Beschissenes geschehen, er konnte noch nicht einmal mehr zählen, was alles schief gegangen war. Da tat es gut, wenn einem jemand Komplimente machte. Und eigentlich… Andre rief sich Michaels Bild vor Augen. … sah der junge Student gar nicht mal schlecht aus. Und ansonsten war er eigentlich auch ganz in Ordnung. Er war intelligent, witzig, einfühlsam und hatte ihn schon einige Male gerettet. Was wollte man eigentlich mehr? Wenn er dazu im Gegensatz Mark betrachtete… der hatte nicht halb so viele gute Eigenschaften; doch trotzdem liebte er ihn. Aber wenn Michael an ihm interessiert war… Was war verwerfliches daran, wenn er dessen Zuneigung genoss? „Ich fühle mich auch viel besser dank Ihrer Fürsorge.“ „Äh… war doch ganz normal. Ich meine, das hätte doch jeder gemacht. Also nein, nicht jeder hätte dich in solche Schwierigkeiten gebracht. Ich wollte mich dafür noch mal entschuldigen. Es tut mir wirklich Leid. Ich hätte dich fragen müssen wegen dem Kuss. Und jetzt bin ich Schuld, dass du noch trauriger bist als sonst schon. Ich wollte dich wirklich nicht in Schwierigkeiten bringen. Also ich kann ja keinen zwingen mich zu mögen. Obwohl das natürlich schon blöd ist, dass du mit deinem Bruder zusammen bist. Also…“ Verdammt was redete er da eigentlich für einen Scheiß?! Er hatte sich bereits bis auf die Knochen blamiert. Ein zweites Mal sollte es doch nicht mehr vorkommen. Aber nein, er musste sich da ja wieder reinreden. Jetzt galt es wohl nur noch zu retten, was zu retten war. „Also ich meine natürlich, dass es sicherlich wahnsinnig schwer ist in seinen eigenen Bruder verliebt zu sein. Wenn ich mich jetzt in Lina verlieben würde. Für seine Gefühle kann man ja nichts, aber das würde alles kaputtmachen. Ich würde es nicht aushalten, wenn ich meine Familie zerstören würde. Wie kann man es eigentlich so weit kommen lassen? Ich meine, kann man denn nicht gegen seine Gefühle ankämpfen? Das fällt bei so einem Kerl bestimmt nicht schwer. Der ist doch wahnsinnig!….. Tschuldigung.“ Michael biss sich auf die Lippen. Der letzte Satz hätte jetzt wirklich nicht sein müssen. Er wollte doch gar keinen Streit mit Andre. „Tut mir Leid. Ich weiß gar nicht, was ich hier eigentlich von mir gebe!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)