Arcana
"Master Duke!!!" Argh, konnten die einen nicht einmal für fünf Minuten alleine lassen? War das denn zu viel verlangt?
Der Silberhaarige verzog missmutig sein Gesicht, seine meerblauen Augen blitzten wütend auf. Da wollte man einmal für ein Weilchen allein sein, und schon schickten sie ihm eine Wache hinterher. Er hasste es, wenn ständig jemand in seiner Nähe war, und meinte, ihn beschützen zu müssen, als wäre er ein hilfloses, kleines Kind.
"Master, wartet bitte!" Tief Luft holend blieb der Elf stehen, drehte sich jedoch nicht zu seinem "Verfolger" um. Er hörte nur das Gras leise rascheln, als dieser auf die Knie sank und sah vor sich, wie die Wache auch ihr Gesicht dem Boden zuwandte.
"Mylady wünscht, dass Ihr sofort zurück ins Schloss kommt, sie sähe es nicht gern, dass Ihr euch einfach so von der Veranstaltung entfernt, außerdem wäre es viel zu gefährlich."
Warum sperrten sie ihn nicht gleich in einen Kerker und verriegelten diesen sorgfältig? Dann hätten alle ihre Ruhe und keiner müsste mehr Sport betreiben, indem er ihm unnötig hinterher rannte.
"Master?" Als der Elf auch noch nach einer Minute schwieg, wurde die Wache langsam unsicher.
Noch einmal ließ Duke seinen Blick über die nächtliche Umgebung wandern, besah sich den blassen Mond am Himmel, dessen Licht der Farbe seiner Haare nur allzu sehr glich. Der Elf lauschte dem Wind einen Moment, der über die Wiese strich, alles in sachte Bewegung versetzte und den Nachtschwärmern unter den Vögeln aufsteigen half.
Zu gern wäre er noch länger stehen geblieben, doch wie gesagt, der goldene Käfig rief, und zwar ziemlich aufdringlich, wenn er an den immer noch knienden Soldaten dachte.
Der Silberhaarige wandte sich um und ging zurück zum Schloss, mit einer Anmut, gegen die er selbst nichts tun konnte, sie war den Elfen angeboren, diese Eleganz und Geschmeidigkeit, mit der sie sich bewegten.
Die Wache folgte ihm mit drei Schritten Abstand, doch Duke nahm sie schon fast gar nicht mehr war. Wieder einmal fesselte ihn der Anblick des Schlosses bei Nacht. Sein dunkles Antlitz ragte in den düsteren, mit Sternen übersäten Himmel. Fast sah es schon bedrohlich aus, doch die Lichter und fröhlichen Stimmen, trübten das Bild. Die zwei riesigen Türme lagen im Dunkeln, niemand außer Mitglieder der Königsfamilie durften sie betreten, deshalb waren sie im Moment auch verschlossen. Das Schloss hatte drei Etagen. Er selbst hatte sich den höchsten Raum außerhalb der Türme gewählt. Er liebte es auf alles herabzusehen und jeden beobachten zu können und seinen Blick schweifen lassen zu können.
In der ersten Etage befanden sich Speiseräume, Ballsäle und ähnliches, im zweiten Stock die Schlafzimmer seines Vaters und seiner Stiefmutter. Seine eigene Mutter war kurz nach seiner Geburt verstorben. Sein Vater hatte ein paar Jahre danach geheiratet, doch er hatte Lilian nie als seine Mutter angesehen, für ihn war sie einfach da, und eigentlich mochte er sie gar nicht da haben. Sie war die, die ihn praktisch einsperren ließ. Sie hasste ihn, weil sie ihn täglich an Famia, seine Mutter, erinnerte.
Vor seinem Vater, Karun, würde sie dies aber niemals eingestehen, vor ihm tat sie so, als wolle sie nur das Beste für ihren herzallerliebsten Stiefsohn. Und er fiel darauf rein.
Duke konnte und wollte seinem Vater keine Vorwürfe machen. Er war so gut wie nie zu Hause, musste viel reisen, um mit anderen Ländern zu verhandeln, da nicht viele gern zu den "Elfen" kamen, denn sie hatten nicht gerade den besten Ruf.
Außerdem war er immer noch viel zu verliebt in Lilian, als dass er es irgendwie bemerken könnte, selbst wenn er mal zu Hause wäre.
Schrilles Gelächter und heiße Luft empfingen ihn, als er den Saal betrat, in dem sich die Leute versammelt hatten. Der Raum war riesig, an der Decke befand sich ein wunderschönes Gemälde des Himmels, so dass man fast den Eindruck kriegen könnte, man wäre noch draußen. Der Raum an sich war sehr groß. Am anderen Ende des Saals befand sich eine Art Büfett und Warins, sehr kleine Gestalten, die überall als Diener gehalten wurden, liefen durch die Masse und verteilten Getränke. Wesen aller Art bevölkerten den Raum, seine Stiefmutter hatte es mal wieder nicht lassen können, musste sich in den Mittelpunkt stellen und eine "Party" feiern. Wie er das doch verabscheute... und jedes Mal zwang sie ihn, den ganzen Abend dort rum zu stehen, sich von irgendwelchen Leuten anreden zu lassen, die er gar nicht kannte, und auch nicht kennen wollte, und noch gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
So schnappte er sich auch diesmal ein Glas mit einem seichten Getränk, bemerkte mit Wohlwollen, wie der Soldat sich entfernte, um seiner Stiefmutter Bericht zu erstatten.
Duke lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und atmete tief durch. Das würde sicher noch einige Stunden dauern... Wie überstand er das nur immer wieder?
Lustlos nippte er an seinem Glas, besah sich die Meute. Aufgetakelte Frauen, die sich kichernd die Hand vor den Mund hielten und ihren Gesprächspartnern zuzwinkerten, und das alles noch in viel zu engen Kleidern. Zumeist etwas korpulentere Männer, dabei jedoch steinreich, die sich für die größten hielten und damit auch nicht hinterm Berg hielten.
In so einer Gesellschaft wollte sich doch jeder befinden.
Genervt strich er sich seine Strähne seines bis in den Rücken reichenden Haares hinters Ohr und schwenkte die Flüssigkeit in dem Glas. Er hatte schon wieder vergessen, was er da überhaupt trank, aber was spielte es schon für eine Rolle.
"So allein?" Erst gedachte der Elf, gar nicht auf die Bemerkung zu reagieren, doch er erinnerte sich noch ziemlich genau daran, was für einen Aufstand seine Stiefmutter geprobt hatte, als er das das letzte Mal getan hatte, sie hatte fast das ganze Schloss zusammen geschrien, nachdem die Gäste gegangen waren. Er wäre ja so ein ignoranter, eingebildeter Bengel, und dann hatte Duke schon gar nicht mehr zugehört, es war doch immer das Gleiche.
"Sieht man das nicht?" Okay, es war vielleicht nicht die freundlichste aller Antworten, aber Hauptsache überhaupt eine! Der Fremde lachte dunkel. "Doch, eigentlich schon, ich wollte nur sicher gehen. Du siehst auch sehr begeistert aus, Kleiner."
Der Silberhaarige zog stumm seine Augenbrauen hoch. Ein bisschen sympathisch war ihm der Fremde ja schon, dass er nicht gleich an die Decke ging, wenn er mal nicht der freundlichste war. Aber immer noch nicht sympathisch genug, dass er sich zu ihm umdrehte, also blieb er einfach stehen.
"Ich bin Arcana." Hatte er sich verhört, oder war das wirklich ein Mann, der da neben ihm stand? Und dann so ein weiblicher Name? Nun doch neugierig geworden, wandte Duke dem Fremden seinen Kopf zu und sah ihn prüfend an. Eindeutig männlich, mindestens zwanzig Zentimeter größer als er, gut gebaut, breite Schultern, markante Gesichtszüge, Dreitagebart, stechend grüne Augen, die zwischen einzelnen, pechschwarzen Strähnen hervor blitzten.
"Duke. Haben bei euch alle einen Frauennamen?", fragte der Elf nahezu teilnahmslos und blickte sein Gegenüber ungerührt an.
Der Schwarzhaarige grinste. "Ja, das ist normal bei uns, dass auch die Männer einen in euren Ohren weiblich klingenden Namen haben." "Ah ja, na dann."
Der Silberhaarige nahm wieder einen Schluck von seinem Getränk und wollte sich gerade wieder abwenden, als der andere weiter sprach.
"Ich bin ein Katzenwesen." Hatte er danach gefragt? Er konnte sich nicht erinnern... Aber bitte, wenn der Fremde unbedingt plaudern wollte, sollte er das doch tun, er selbst würde schweigen.
Seine meerblauen Augen sahen wieder zu dem Mann auf, der ihn immer noch angrinste.
Hm. Einen Moment. Konnte er sich nicht erinnern, dass seine Stiefmutter mal gesagt hatte, sie könne Katzenwesen nicht ausstehen? Sie lud sie zwar ein, weil sie niemanden ausschließen konnte, aber das hieß ja nicht, dass sie sie auch gleich mögen würde... War das hier nicht genau die richtige Gelegenheit sie zur Weißglut zu bringen?
Zuckersüß lächelte er Arcana an, der einen Moment leicht verwirrt schien. "Gefällt Euch denn die Party?", murmelte er mit lieblicher Stimme und strahlte den Schwarzhaarigen an.
"Genauso wenig wie dir, Kleiner... Von wo bist du denn?" Aha. Der wusste also nicht, wer er war... Na ja, sonst würde er ihn ja wohl kaum mit ,du' ansprechen und ihn ,Kleiner' nennen. Aber wenn er es ihm jetzt sagen würde, wäre ja der ganze Spaß vorbei, also überging er die Frage einfach, als hätte er sie nicht gehört. "Seid Ihr weit gereist?" "Nein, eigentlich nicht. Ich war sowieso gerade in der Nähe..."
Obwohl er normalerweise nicht mochte, wenn ihm jemand zu nahe kam, so ließ er es doch geschehen, als sich Arcana vorbeugte, seine linke Hand auf der Schulter des Elfen plazierte und diesem etwas ins Ohr flüstern wollte, da er die Blicke seiner Stiefmutter auf sich spürte.
"Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du wunderschön und hinreißend bist? Wenn hier nicht die ganzen Menschen wären, wäre ich schon längst über dich hergefallen, Kleiner.", wisperte der Schwarzhaarige. Die meerblauen Augen waren weit aufgerissen, das hatte er jetzt doch nicht erwartet. Überrascht zuckte der Elf zusammen, als eine feuchte Zunge einen Moment sein Ohr entlang streifte.
Was dachte sich dieser Mann eigentlich? Er konnte sich doch nicht einfach hinstellen und ihn anmachen!
Grinsend richtete sich Arcana wieder auf und das Glitzern in seinen Augen steigerte sich, als er den verkniffenen, bösen Blick des Jungen registrierte. So einfach vernachlässigte man also seine Maske, wusste er doch, dass diese Freundlichkeit nur gespielt gewesen war, warum auch immer.
Duke hörte das Klappern von Absätzen auf den Fliesen, spürte ihm nächsten Moment die Hand an seinem Oberarm. "Wenn Ihr uns bitte entschuldigen würdet, ich habe etwas mit meinem Sohn zu bereden." Lilian lächelte den Schwarzhaarigen eiskalt an, während sich in dessen Gesicht Verblüffung abzeichnete.
Am liebsten hätte der Silberhaarige schadenfroh angefangen zu lachen, so nach dem Motto: Das hast du doch sicher nicht geahnt, Idiot! Vielleicht hättest du das eben besser nicht sagen sollen!
Doch er ließ es besser, denn seine Stiefmutter würde das sicher nur noch mehr reizen, und im Moment schien sie wütend genug zu sein. Er wusste das, obwohl ihr blondes Haar ihm jede Sicht zu ihrem schön geformten Gesicht verweigerte, aber er spürte es einfach. Vielleicht war sie ja so aufgebracht, dass sie ihn mal wieder in sein Zimmer sperren würde? Dann bräuchte er nicht wieder hier hin zu kommen und sich zu Tode zu langweilen...
Mit einem seligen Lächeln ließ er sich auf sein Bett sinken und horchte, wie der Schlüssel sich im Schloss umdrehte und die Wache ihn so einsperrte. Seine Stiefmutter war überaus wütend gewesen. Das hatte er doch toll hingekriegt, endlich Ruhe.
Kühler Wind kam durch das Fenster hinein, das er am Nachmittag aufgelassen hatte, er liebte es, wenn sein Zimmer roch, als wäre er draußen und nicht drinnen.
Der Elf zog die Schleife aus seinem seidigen Haar, die ein paar seiner vorderen Strähnen zurück gebunden hatte, und sie ihm jetzt wieder ungehindert ins Gesicht fallen ließ.
Mit einem entspannten Seufzen ließ er sich zurück in die Kissen sinken.
Man musste nur wissen wie, dachte er bei sich. So einfach war seine Stiefmutter zu manipulieren, und sie merkte es nicht mal.
"Das hättest du mir ruhig sagen können, Kleiner." Verblüfft richtete sich der Elf auf, blickte auf den Schwarzhaarigen, der ihn mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete, sich mit dem Rücken an seinen Schreibtisch lehnte, der direkt neben dem offenen Fenster stand. Sonst befand sich nur noch ein breiter Schrank in dem Raum und eine Tür, die zu einem Bad führte. Duke mochte es nicht, wenn alles so voll gestellt war. Er mochte es lieber etwas geräumiger.
Verärgert zogen sich seine Brauen zusammen und seine meerblauen Augen blitzten den Eindringling wütend an. "Wie seid Ihr hier rein gekommen?", fragte er unwirsch.
"Schon vergessen? Ich bin ein Katzenwesen, Klettern ist für mich weder Problem noch Hindernis." Aber drei Stockwerke hoch? Es wäre wohl besser, er würde nicht nachfragen... Es wäre sicher eine Antwort, die ihm nicht gefallen würde.
Arcana stieß sich vom Schreibtisch ab und schlenderte langsam in Richtung Bett, auf den Elfen zu, der ihn immer noch mit einem bösen Blick bedachte. "Schau nicht so böse, das steht dir nicht. Du siehst viel schöner aus, wenn du lächelst.", murmelte der Schwarzhaarige, als er sich auf der Bettkante niederließ.
Duke sah darin keinen Grund, zurück zu weichen, das würde ja fast so aussehen, als hätte er Angst vor diesem Vollidioten, soweit würde es noch kommen, er und Angst vor so einem!
Der Mann grinste ihn an, fing sich eine Strähne seines silbernen Haares, roch daran und ließ sie sich durch seine Finger gleiten.
Der Elf sah diesem Tun nur misstrauisch zu, rührte sich jedoch immer noch nicht. Irgendwie hatte er das dumpfe Gefühl, dass dieser Kerl irgendwas vorhatte, was ihm sicher nicht gefallen würde.
Als er im nächsten Moment zurück in die Kissen gedrückt würde, mit einem warmen Gewicht auf sich, kosenden Lippen an seinem Hals, wusste er auch was.
"Lasst das!", fauchte der Silberhaarige, doch Arcana kicherte nur leise, schnappte sich seine Hände und hielt sie mit einer von seinen fest.
"Weißt du nicht mehr, was ich dir eben gesagt habe? Jetzt sind wir allein, Kleiner." Das meinte er jetzt doch nicht ernst, oder? Das konnte doch nicht sein! Warum hatte er immer so ein verdammtes Glück?
"Ein Schandfleck auf deiner reinen Haut." Regelrecht abwesend starrte Arcana auf den blauen Fleck auf der nahezu weißen Haut des Elfen. Zärtlich strich er darüber, legte seinen Kopf schief, während er die Hände Dukes immer noch gefangen hielt.
"Nein, ich weiß etwas besseres, Kleiner." Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Schwarzhaarigen aus. "Ich werde dich soweit bringen, dass du mich anflehst, dass ich es mit dir tue. Das wird viel interessanter, als dich einfach zu vergewaltigen. Denn dann gehörst du mir und ich habe die volle Kontrolle über dich."
Arcana lachte, legte seine Hand noch einen Moment auf die Wange des entsetzten Elfes, bevor er aufstand und einfach aus dem Fenster sprang.
