Kapitel 19 - Der Abgrund
Die Tür wurde lautstark aufgeschlossen. Zwei Elfen - Wachen traten ein. Beide bis auf die Knochen bewaffnet. Vor der Tür standen scheinbar noch mehr. Moros schien das wirklich sehr ernst zu sein. Vollkommen kampflos ließen sich beide mitnehmen. Tares hätte sich ganz bestimmt wehren können aber er wusste, dass er keine Chance hatte.
Sie wurden, von den anderen Wachen folgend, die Treppe wieder hinaufgeführt. Von Moros oder einem seiner anderen Söhne war nichts zu sehen. Die ganze Burg schien wegen der untergehenden Sonne im Inneren rot zu leuchten. Wenn Lena nicht so fürchterliche Angst gehabt hätte, wäre sie auf die Idee gekommen, das romantisch zu finden. Oben in der Halle angekommen, sah sie den schweigsamen Troll in der Ecke stehen. Als er bemerkte, dass Lena ihn gesehen hatte, verschwand er jedoch ins Dunkel. Von hier aus war es nicht mehr weit zu dem mit dem Samt verhangenen Raum. Die Wachen führten sie jetzt jedoch in die andere Richtung. Allmählich wurde es vor ihnen heller. Lena bekam Panik. Dieser sprachlose Kerl entschuldigte sich und jetzt verschwand er einfach. Sie schaute zu Tares. Dieser ließ sich auch nur wehrlos weiterschieben.
„Ich will nicht sterben“, platzte es aus ihr heraus.
Unsanft schob die Wache sie weiter. Sie wurden auf eine Art Balkon gestoßen. Vor ihnen machte sich der Abgrund breit. Von hier aus konnte sie die letzten Sonnenstrahlen im Meer versinken sehen. Ein kalter Wind kam auf. Mit erheblichem Abstand tauchte hinter ihnen jetzt auch Poras wieder auf. Aus dem Augenwinkel heraus konnte Lena sehen, dass er nicht gerade glücklich war. Schließlich war es sein Bruder, den es gleich nicht mehr geben sollte. Moros gab sich jetzt auch endlich die Ehre. Er schob Poras unsanft zur Seite, weil dieser in der Tür und ihm somit im Weg stand.
„Eine letzte Chance für euch beide.“
Er schaute zuerst zu Lena. Sie jedoch schwieg.
„Eine der Wachen sagte mir, er habe dich von diesem Elfen losschneiden müssen. Ich weiß ja nicht was ihr für eigenartige Rituale in euer Welt habt, aber damit ist jetzt Schluss!“
Mit diesen Worten wand er sich an seinen zweitältesten Sohn.
„Willst du immer noch sterben oder bekomme ich dich doch an meine Seite zurück?“ Tares´ Blick wanderte zu Poras. Er jedoch kniff die Augen zu und wollte wieder verschwinden.
„Wirst du wohl hier bleiben!“, befahl ihm Moros.
Poras parierte. Dieser Mann schien wirklich nicht die geringste eigene Meinung zu haben, wie sich Lena das schon gedacht hatte. Er unterwarf sich schier & schaute stattdessen nur betroffen zu Boden. Ganz bestimmt hatte er die gleiche große Angst vor seinem Vater, wie die restlichen Leute, die ihn umgaben.
„Das er dich soweit gebracht hat, hätte ich nicht gedacht. Da hat er ja einen feinen Sklaven aus dir gemacht!“, ergriff Tares höhnisch das Wort.
Poras wollte etwas antworten, versuchte jedoch durch das ballen der Fäuste sein Zittern zu unterdrücken. Verhasst schaute Tares jetzt seinem Vater an.
„Du hast unsere Mutter in den Tot getrieben. Warum sollte ich mich also auf deine Seite stellen?“
Das waren jetzt Worte von denen Lena noch nichts gehört hatte. Sie fragte sich langsam wirklich, was in dieser Familie vorgefallen war.
„Wenn ich deine Fähigkeiten nicht nutzen darf, dann soll das niemand!“
Mit diesen Worten kam Moros auf Lena zu, packte sie schroff und warf sie über die Brüstung. Tares eilte sofort hinterher.
„Wir sehen uns in der Hölle, Vater!“, waren seine letzten Worte und er sprang ihr hinterher.
Völlig sprachlos blieben alle anderen zurück.
Moros schaute nicht nach den Beiden. Er hatte sich diese Tageszeit ausgesucht, um seinen Sohn nicht sterben zu sehen. Ein schlechtes Gewissen schien er jedoch nicht zu haben. Er drehte sich um und lief ohne auch nur einen seiner Leute anzuschauen wieder in die Burg zurück. Die Soldaten folgten ihm wortlos. Poras konnte seinen Schmerz nun jedoch nicht länger zurückhalten. Jetzt wo sein Vater verschwunden war, brach er in Tränen aus.
Wie sehr hatte er gehofft, dass sich sein Bruder doch Umendscheiden würde. Allerdings war er sich ganz sicher gewesen, dass das nie passiert wäre. Darum hatte er seinem Vater auch diese Seite der Burg dafür vorgeschlagen. Er jedoch traute sich auch nicht hinunterzuschauen. Narkis steckte den Kopf aus der Tür. Als er seinen großen Bruder so am Boden hocken sah, war ihm klar, dass Tares nicht nachgegeben hatte. Langsam kam der Kleine näher und Poras drückte ihn fest an sich.