Uncried Tears von Kunoichi ================================================================================ Kapitel 20: Abschied? --------------------- Die Trümmer Konohagakures, des einst so prächtigen, belebten Dorfes unter den Blättern, zeichneten sich gegen den grauen Himmel ab. Ein Dunst aus Nebelschwaden hüllte die Szenerie in mattes Licht und das Tosen des vorherigen Kampfes war längst verstummt. Zurück blieben nur die Stille des Todes, die sich drückend und schmerzhaft auf die Ohren legte, und der grauenvolle Anblick einer geendeten Schlacht. Schwer atmend blickte Sasuke hinunter auf den leblosen Körper vor seinen Füßen. Die jahrelange Blutfehde hatte mit dem Tod seines älteren Bruders endlich ein Ende genommen und die Rache, das lang ersehnte Ziel, war erreicht. Sasuke hatte seiner Familie mit dieser Tat die letzte Ehre erwiesen und er glaubte zu spüren, wie ihre Geister zu guter Letzt die ewige Ruhe fanden. Eine Mischung aus Anspannung und Erleichterung durchfuhr seinen Körper und erst einen Moment später drang die Realität in sein Bewusstsein zurück und die rasenden Schmerzen zwangen ihn in die Knie. Sasuke stöhnte auf und presste seine Hände gegen die klaffende Wunde in seiner Brust, die Itachis Schwert durchbohrt hatte. Das Blut quoll zwischen seinen Fingern hindurch, tränkte seine Kleidung und bespritzte den Boden. Am Ende seiner Kräfte angelangt, kippte er vorne über und blieb regungslos liegen. Entsetzt sprang Naruto vor und kniete sich neben dem Jungen nieder; versuchte mit ihm zu sprechen, doch erhielt keine Antwort. Sasuke hatte die Augen leicht geöffnet, doch seine Pupillen blickten ins Leere, als wäre er in einen inneren Kampf mit sich selbst verwickelt, in dem er gewaltsam versuchte, sich am Bewusstsein zu halten. Sakura stand da, wie versteinert. Ihre Glieder bewegten sich nicht, ihr Kopf war leer und sie hatte keine Ahnung, was in solch einer Situation zu tun war. Etwas Kaltes berührte ihre Wange und sie hob den Kopf und schaute zum Himmel empor. Graue, dunkle Wolken hatten sich über ihren Köpfen versammelt. Schneeflocken tanzten leicht und schwerelos herab; schienen zu verglühen, sobald sie den Boden berührten. Der Himmel weinte seine eisigen Tränen. „Sakura!“ Das Mädchen hörte Narutos wilde Schreie erst, als er unmittelbar vor ihr stand. Ruppig packte er sie an den Schultern und schüttelte sie. „Sakura, hörst du mir nicht zu?! Du musst Sasuke helfen!“ Fast wie im Wahn starrte er sie an. Die blauen Augen stachen aus seinem blassen Gesicht hervor; schwammen in Tränen. Eine Welle der Verzweiflung hatte ihn ergriffen. „Ich bitte dich! Tu etwas! Du bist doch Ärztin!“ Sakura schüttelte abwesend den Kopf, als könne sie gar nicht begreifen, was gerade geschah. „Ich kann nicht…“, wisperte sie. Ihre Kehle war trocken, ihre Stimme bebte. „Natürlich kannst du! Ich weiß es! Du musst wenigstens versuchen, ihn zu heilen!“, rief der Blondschopf und krallte seine Finger in ihre Schultern, dass es weh tat, „Du liebst ihn doch! Du kannst doch nicht einfach nur tatenlos zusehen! Er stirbt, wenn du jetzt nichts tust!“ Sakura zuckte bei diesen Worten merklich zusammen, so als hätte Naruto die Hand erhoben, um sie zu schlagen. „Verdammt, willst du es denn nicht verstehen?! Es eilt!“, schrie er sie an und schüttelte sie nun heftiger, „Er stirbt, Sakura! ER STIRBT!“ Mit einem Ruck stieß Sakura den Jungen zur Seite, rannte an ihm vorbei und warf sich neben Sasuke auf die Knie. Bewahr einen kühlen Kopf, war ihr einziger Gedanke. Behutsam drehte sie Sasuke auf den Rücken. Noch immer fiel der Schnee auf sie nieder. „Sasuke“, flüsterte sie, beugte sich vor und küsste sanft seine kalten Lippen. Ein Rinnsal Blut lief aus seinem Mundwinkel das Kinn hinab, sein Atem ging flach und unregelmäßig, sein Gesicht war kreideweiß und die Augen hatte er noch immer zu Schlitzen geöffnet. Sakura atmete stockend ein und aus, blinzelte die Tränen aus ihren Augen und legte dann ihre Hände auf seine blutende Wunde. Er zuckte nicht und gab auch keinen Schmerzenslaut von sich, sodass Sakura wusste, dass er sich jenseits aller Wahrnehmung befand. Sie lenkte das Chakra in ihre Finger und ein weißes Licht breitete sich unter ihren Händen aus. Sasukes Verletzung war tief; hatte nur knapp sein Herz verfehlt, dafür aber seine Lunge durchbohrt. Ein solcher Eingriff konnte, mit der Ausnahme von Tsunade vielleicht, nur von mehreren hochwertigen Ärzten durchgeführt werden. Doch die gab es hier nicht. Sakura wusste, dass sie nun seine einzige Chance war, zu überleben; dass sie alles geben musste, um ihn nicht zu verlieren. Die weiße Pracht rieselte lautlos, doch immer stärker werdend, auf das zerstörte Dorf nieder. Unwillkürlich erinnerte sie Sakura an den Traum, den sie vor längerer Zeit gehabt hatte. –Der Traum, in dem Sasuke gestorben war. Eine böse Vorahnung beschlich sie wieder und ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Ihre Arme zitterten vor Kälte, Aufregung und Anstrengung. Sie konnte ihre Hände kaum ruhig halten, während ihre Chakraregulierung ungleichmäßig wurde und ihre Konzentration im Nichts zerfloss. Nein, ich schaffe es nicht, schoss es ihr verzweifelt durch den Kopf, die Wunde schließt sich nicht! Er verliert immer mehr Blut! „Sa-ku-ra…“ Erschrocken fuhr das junge Mädchen zusammen und blickte auf. Sasuke schaute sie an. Es war kein leerer Blick mehr; er fixierte sie, doch man konnte sehen, dass es ihm sichtlich schwer fiel. Sein Atem kam stoßweise und seine Stimme klang gebrochen. „Sasuke!“, schrie Sakura auf, „Sasuke, bitte halt durch! Ich- Ich werde dich heilen! Halt nur ein wenig durch! Es kommt alles wieder in Ordnung, hörst du? Es wird alles wieder gut!“ Ihre Stimme überschlug sich vor Aufregung und sie versuchte so überzeugt wie irgend möglich zu klingen. Sasuke entgegnete nichts weiter. Die Kräfte schwanden ihm und er durfte sie nicht mit sprechen vergeuden. Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz und er keuchte leicht auf. Sakura ließ mehr Chakra ausströmen. Warum schaffte sie es nur nicht, seine Lunge zu heilen und die Blutung zu stillen? Das alles dauerte ihr schon viel zu lange. Die Wunde sollte sich endlich schließen! Sie machte doch alles richtig! Das Leben des Menschen, den sie am meisten liebte, glitt ihr zwischen den Fingern hindurch und sie war völlig hilflos. Sie konnte nicht zulassen, dass er ihr unter den Händen wegstarb. Wozu war sie dann Ärztin geworden? Mit diesem Schicksal würde sie sich nicht abfinden! Sasuke hustete und ein Schwall Blut ergoss sich aus seinem Mund. Sakura lief der Schweiß die Stirn hinunter und sie spürte die Angst unaufhaltsam in ihr hochkriechen. Tränen traten in ihre Augen und sie wischte sie mit den Händen weg; verteilte unmerklich Sasukes Blut in ihrem Gesicht. Die Zeit stritt voran und das Ende rückte unaufhaltsam näher. „Halt durch…“, flüsterte sie mehr zu sich, als zu ihm, lenkte krampfhaft ihre Energie in die Wunde und nur sehr langsam tat sich etwas: Das Organ heilte, die Haut begann sich zu erneuern und es trat weniger Blut aus. Sasuke atmete rasselnd und Sakura wusste, dass sein Körper sich der enormen Belastung nicht mehr lange aussetzen konnte. Im Hintergrund hörte sie Naruto erstickt schluchzen. Wie furchtbar musste es für ihn sein, nichts unternehmen zu können und all seine Hoffnungen in Sakura zu legen. Gerade als diese glaubte, die Heilung würde gut verlaufen und die Wunde sich schließen, setzte Sasukes Herzschlag aus. Das gleichmäßige, schwache Pulsieren, das sie die ganze Zeit unter ihren Fingern gespürt hatte, war nicht mehr da. Sein Brustkorb hob und senkte sich nicht mehr; seine Atmung lag still. „SASUKE!“ Panisch presste Sakura ihre Hände auf sein Herz und versuchte es mit gleichmäßigen Chakrastößen zum Schlagen zu bringen. „Komm wieder, Sasuke!“, schrie sie ihn verzweifelt an, doch ohne eine Reaktion zu erhalten. Sie durfte ihn nicht verlieren! Es konnte noch nicht vorbei sein! Es hatte doch gerade erst richtig begonnen! „Tu mir das nicht an, Sasuke! Bitte atme! Atme doch! Sasuke!“ Der Schnee fiel stärker, verfing sich in ihren Haaren, legte sich wie ein kalter, feuchter Schutzfilm auf Sasukes leblosen Körper; begann bereits, ihm sein eisiges Grab zu schaffen. Wenn Sasuke nun ging, war alles aus. Tsunades Worte während ihrer Lehre kamen Sakura schmerzhaft in Erinnerung: „Du bist eine Ärztin. Du kannst Menschen heilen, kannst ihre Leben retten… aber du kannst keine Wunder vollbringen. Wenn es zu spät ist, kannst auch du nichts mehr tun.“ „SASUKE! ATME ENDLICH! WACH WIEDER AUF!“ Ihr Blick war von Tränen verschleiert. Nur undeutlich und verschwommen sah sie Sasukes regloses Gesicht, aus dem mit jeder Sekunde das Leben entwich. Narutos Schluchzen wurde heftiger und machte Sakura nur noch nervöser. Am liebsten hätte sie sich zu ihrem Kameraden umgedreht und ihm gesagt, er solle endlich still sein. Stattdessen konzentrierte und bündelte sie ihre gesamte Energie auf Sasuke. All die gemeinsamen Momente, jeder Kuss, jede Zärtlichkeit, kehrten vor ihr inneres Auge zurück. Sollte es nun wirklich vorbei sein? Sollte es das jetzt wirklich gewesen sein? Sollte… nein! Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag und sie brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde um ihre Gedanken neu zu ordnen. Was hatte sie hier die ganze Zeit gemacht? Wieso war es ihr nicht gleich eingefallen? Noch war nichts verloren, solange es die Technik gab, die sie die letzten Jahre immer und immer wieder geübt hatte, seit sie gelesen hatte, dass sie existierte. Eine Technik, die nicht einmal Tsunade perfekt beherrschte, und die vor einigen Jahren in Suna entwickelt worden war; die im Studium nicht gelehrt wurde, weil es keine Medizin, sondern eine viel stärkere und höhere Form der Heilung war: Tensei Ninjutsu. Sakura wusste, dass sie bei dieser Kunst sterben konnte, wenn sie sie nicht richtig ausführte, denn sie musste dafür ihre eigene Lebensenergie für Sasuke hergeben. Sie musste soviel opfern wie nötig war, ihn zu ihr zurück zu holen, selbst wenn es ihr eigenes Leben kosten würde. Sakura regulierte ihr Chakra und passte es an die Technik an. Sofort wechselte das weiße Licht unter ihren Händen in hellblaues. Sie spürte, wie die Kunst an ihren Kräften zerrte, wie die Kraft aus ihrem Körper in Sasukes einfloss und dennoch fühlte sie sich wohl bei diesem Vorgang. Sie wusste, dass es Sasukes einzige Rettung war… Sie wusste, dass es klappen würde! Das Tensei Ninjutsu zeigte seine Wirkung viel schneller, als Sakura es sich jemals erhofft hatte. Bereits nach wenigen Sekunden war Sasukes Puls wieder zu fühlen und auch die Heilung der Organe schritt weiter voran, bis sie schließlich vollendet und die Wunde komplett verschlossen war. Sasukes Atem beruhigte sich und es sah jetzt mehr danach aus, als würde er schlafen, anstatt um sein Überleben zu kämpfen. Auf Sakuras Lippen breitete sich ein Lächeln aus, obgleich die Tränen noch nicht versiegten. Ihr Körper bebte und erst als sie die Hände zurückzog und das hellblaue Chakra erlosch, wurde ihr klar, welch hohen Preis sie gezahlt hatte. Sie fühlte sich krank, schwach und benommen, glaubte nicht einmal mehr Kraft zu haben, um aufzustehen oder auch nur einen Ton über die Lippen zu bringen. Der schwarze Schleier drohte ihr über die Augen zu fallen und mit letztem Willen wandte sie ihren Kopf und lächelte Naruto zu, der sie bleich und entsetzt anstarrte. „Er ist über den Berg“, flüsterte sie. Dann schien sie zu fallen und ihre Welt wurde in tiefe Dunkelheit getaucht… Sie hatte schon fest mit dem Ende gerechnet, hatte mit sich abgeschlossen und war froh gewesen, wenigstens mit der Gewissheit sterben zu können, dass Sasuke überlebte. Doch um tot zu sein, spürte sie noch viel zu viele Schmerzen, das stand für Sakura fest. Mühevoll öffnete sie die Augen und blickte in den wolkenverhangenen Nachthimmel. Das Prasseln eines Feuers drang an ihre Ohren und der Geruch von gekochtem Reis weckte ihre Lebensgeister. Als sie sich langsam aufrichtete fielen die schweren Decken von ihrem Körper und sie spürte wieder die Kälte, die der Schnee in der Luft hinterlassen hatte. Zu ihrer linken, ein paar Meter neben dem Feuer, saß Sasuke, der sie scheinbar beobachtet und über ihren Schlaf gewacht hatte. Einen unsinnigen Moment lang glaubte Sakura, dass sie vielleicht doch gestorben war oder einfach nur weiterhin schlief und noch träumte. Ohne, dass sie es verhindern konnte, liefen ihr wieder Tränen über die Wangen. Dann konnte Sakura nicht mehr an sich halten und warf sich in Sasukes Arme, die sie breitwillig aufnahmen. Sie sprachen beide kein Wort, sondern hielten einander bloß fest, für eine unendlich lange Zeit, als hätten sie Angst, sie könnten den anderen wieder verlieren, wenn sie losließen. „Du hast mich gerettet“, flüsterte Sasuke in ihr Ohr, nachdem, so kam es ihnen vor, etliche Stunden vergangen sein mussten, „Du wärst für mich fast gestorben. Ohne dich, hätte ich es nicht geschafft…“ Es klang nicht nach einem Danke, sondern viel eher nach einer Feststellung, doch Sakura wusste genau, wie es gemeint war. Sie drückte sich fester an ihn und schloss die Augen. „Ich konnte dir bei deiner Rache nicht so helfen, wie ich es mir vorgenommen hatte“, erwiderte sie, „Wenigstens zum Schluss musste ich doch zu irgendetwas nützlich sein. Außerdem liebe ich dich! Ich hätte es nicht ertragen, dich zu verlieren.“ Beim letzten Wort brach ihre Stimme und es trat eine kurze Pause des Schweigens ein. Obwohl Sakura das Gesicht ihres Partners nicht sah, war sie sich doch sicher, dass er lächelte. „Ich stand so unter Schock“, fuhr sie fort, „Ohne Narutos Hilfe wärst du jetzt vielleicht tot. Auch er hat dich gerettet.“ „Wir haben Naruto einiges zu verdanken“, musste auch Sasuke zugeben, „Er hat sich um uns gekümmert und sucht jetzt gerade nach weiteren Decken und trinkbarem Wasser. Konoha ist so zerstört, dass sich kaum noch etwas verwenden lässt.“ „Ist er denn soweit in Ordnung?“ „Er hat kaum einen Kratzer behalten. Ich denke, das Fuchsungeheuer hat einiges dazu beigetragen.“ „Und was ist mir dir?“ Sakura ließ ihn vorsichtig los, sodass sich beide gegenüber saßen, und musterte ihn besorgt. Doch auf den ersten Blick schien auch er unversehrt zu sein. „Es ist schon besser“, versicherte der Uchiha ihr, „Ich bin zwar noch nicht bei alter Stärke, aber das wird schon wieder. Du hast die Wunde gut behandelt, es ist nur noch eine Narbe zu sehen.“ Das Mädchen lächelte erleichtert und seine Worte erfüllten sie sogar ein bisschen mit Stolz. „Was ist mit deinem Sharingan?“, erkundigte sie sich weiter und Sasuke schlug die Augen nieder. „Es ist versiegelt, so wie ich es schon gewusst habe“, antwortete er. „Bereust du es?“ „Oh nein, ich glaube, dass es das wert war. Ich fühle mich zum ersten Mal in meinem Leben richtig befreit.“ „Dann“, sagte sie, verschmitzt lächelnd, „heißt das also, dass in deinem Herzen endlich auch für etwas anderes Platz ist, als nur die Rache?“ Sie schaute ihn an und diese klaren, dunklen Augen erschienen ihr plötzlich gar nicht mehr so kalt und abweisend, wie sie zu Beginn ihrer Reise gewesen waren. Hinter ihnen gab es jetzt noch etwas anderes, etwas Gefühlvolles… Sasuke entgegnete zunächst nichts und erst, als sie seine Hände ergriff und ihn erwartungsvoll betrachtete, fragte er leise, aber bestimmt: „Kannst du dich noch daran erinnern, was du Naruto am ersten Abend nach unserer Flucht aus Suna erklärt hast?“ Sakura merkte, wie sich seine Stimme bei diesen Worten verändert hatte und er nun ernster und entschlossener, ja sogar sorgenvoller, sprach. „Du hast gesagt, dass auf unserem Verhalten Hochverrat steht und wir nicht mehr zurückkehren können.“ „Ja…“, bestätigte sie langsam, doch immer noch ahnungslos, was er ihr zu sagen versuchte, „Und?“ „Sakura, ich möchte… ich möchte, dass du mit mir fort gehst“, bat der Schwarzhaarige bedächtig, nicht wissend, wie seine Kameradin auf diesen Wunsch reagieren würde. Tatsächlich starrte Sakura ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Unglauben an. „Ist das dein ernst?“, fragte sie, „Wann? Wohin?“ „Irgendwohin und am besten sofort, falls du schon aufstehen kannst. Ich möchte es Naruto ersparen, sich groß von uns zu verabschieden.“ „Hältst du das wirklich für richtig? Er würde sich Sorgen machen, wenn wir plötzlich weg wären“, warf Sakura skeptisch ein, doch gleichzeitig spürte sie, wie eine Welle der Freude und Aufregung sie überlief. Sie würde endlich bei Sasuke sein; sie würde mit ihm gehen, irgendwohin, wo sie keiner kannte, wo sie ein ungestörtes Leben hätten… Aber machten sie es sich damit nicht ein wenig zu leicht? Was war mit dem Wiederaufbau Konohas? Mit den Überlebenden, ihren Freunden? Würde Tsunade sie wirklich bestrafen lassen? Zweifel kamen in ihr auf und bevor Sasuke eine Antwort geben konnte, sagte sie hastig: „Was ist, wenn wir nicht erstmal nach Suna zurückgehen und mit Tsunade reden? Sie wird vielleicht-“ „Nein, Sakura! Es ist wichtig, dass du es verstehst: Es gibt kein Zurück!“, erwiderte der Junge hart und ließ sie verstummen, „Es geht auch nicht einzig um Tsunade, es geht vor allem um die Akatsuki. Willst du, dass sie uns aufspüren und Rache nehmen? Sie werden Itachis Tod ganz sicher nicht ungesühnt lassen, wenn sie eine Gelegenheit bekommen. Wir müssen untertauchen; zumindest für die nächste Zeit, vielleicht für die nächsten Jahre.“ Für ein paar Minuten herrschte gespannte Stille und als Sakura den Mund wieder öffnete, war ein leichtes Zittern in ihrer Stimme zu vernehmen. „Es gibt also keinen anderen Weg?“, schloss sie gequält und schluckte. Sasuke schüttelte den Kopf. „Also, dann… soll es so sein. Es ist okay, solange ich nur mit dir zusammen bin.“ Sie senkte den Kopf und spürte im gleichen Moment seine Hand, wie sie zärtlich über ihre Wange strich. „Danke“, hörte sie sein leises Wispern, „Ich danke dir, dass du mir trotz allem noch vertraust; dass du das alles für mich getan hast und immer noch tust…“ Er hob ihr Kinn an und beider Lippen verschmolzen zu ihrem ersten Kuss seit, so schien es, unglaublich langer Zeit, der zu einem der leidenschaftlichsten gehören sollte, den je einer von ihnen gehabt hatte. Die Welt um sie herum stand still und sie nahmen nicht einmal wahr, wie die Sonne ihre ersten goldenen Strahlen über den Horizont warf und die Wolken in rotes Licht tauchte; wie die ersten Vögel ihre Gesänge begannen, um den neuen Morgen einzuläuten; und sie bemerkten auch Naruto nicht, der in einigen Metern Entfernung, auf einem der Hausdächer stand und die ganze Unterhaltung mit angehört hatte. „HEY, Sasuke!“ Die beiden Ninja lösten sich wieder voneinander und blickten erstaunt zu der Person empor, die ihnen zugerufen hatte. Narutos Silhouette zeichnete sich dunkel gegen den aufgehenden Sonnenball ab. „Ich sag dir eines!“, schrie er, „Wenn du nicht gut auf Sakura Acht gibst, dann kriegst du es mit dem zukünftigen Hokage höchstpersönlich zu tun! Hast du kapiert?“ Dann grinste er freudig, sprang zu seinen Begleitern hinab und landete leichtfüßig neben Sasuke. „Natürlich…“, entgegnete dieser spöttisch und Sakura konnte ein leises Kichern nicht unterdrücken. Erst als der Schwarzhaarige sich erhob, das Feuer löschte und begann, die wichtigsten Dinge für eine Reise zusammen zu packen, merkte sie, wie ernst das alles wirklich war. Langsam stand sie auf und ließ den Blick dabei noch ein letztes Mal in der Umgebung schweifen. Nichts hier erinnerte sie an früher. Alle Orte, an denen sie ihre Kindheit verbracht, gutes, wie schlechtes erfahren hatte, waren bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Die Erinnerungen an ihre Vergangenheit versetzten Sakura abermals einen Stich. Die Zeit mit Team 7, das nun so zerrüttet war, schien ewig weit zurück zu liegen. Mit der Vernichtung Konohas und seinen Menschen waren diese Erinnerungen verschwunden und nun gab es an diesem Ort nichts mehr, was Sakura an ihn band. Da war keine Zukunft, zumindest nicht für sie. Sie hatte mit Sasuke einen langen Weg bestritten und sie wusste, dass er noch kein Ende genommen hatte. Mehr denn je war sie sich sicher, dass sie gehen wollte; egal, wie sehr sie ihre verbliebenen Freunde vermissen würde. Diese Entscheidung war eigentlich schon seit dem Augenblick gefallen, an dem Sasuke ihr den Vorschlag gemacht hatte. Die Umstände einer Verfolgung durch die Akatsuki bestärkte sie nur zusätzlich. Traurig blickte das Mädchen auf Naruto, der sie und Sasuke verzweifelt beobachtete. „Wollt ihr wirklich schon gehen?“, fragte er zaghaft, „Ein paar Tage mehr oder weniger-“ „Je eher, desto besser“, fiel Sasuke ihm ins Wort und schulterte seinen Rucksack, „Wer weiß, ob sie uns nicht schon suchen.“ „Aber- ihr werdet doch wiederkommen, nicht wahr?“ Narutos Stimme klang hoffnungsvoll. „Ich meine, wenn Gras über die Sache gewachsen ist“, fuhr er fort. Sasuke und Sakura tauschten vielsagende Blicke. „Ja, klar“, versicherte der Uchiha schließlich und man konnte sehen, wie ein wenig Anspannung aus Narutos Gesicht entwich. Schweren Herzens trat Sakura an ihn heran und legte ihre Arme um ihn. Für beide erschien die Situation äußerst unwirklich und sie brauchten einen Moment um zu realisieren, dass diese Umarmung Abschied bedeutete. Schweigend presste Naruto seine ehemalige Gefährtin an sich, sodass es ihr schwer fiel, wieder loszukommen. „Auf Wiedersehen“, flüsterte sie heiser, doch mehr vermochte sie nicht über die Lippen zu bekommen. Dann streckte Sasuke ihm die Hand entgegen und Naruto ergriff sie, wenn auch zögerlich; so als habe er den Eindruck, sein ewiger Rivale tue dies nur der Form halber. Als Minute um Minute verstrich und Sakura genauer hinsah, meinte sie jedoch, einen Ausdruck des Schmerzes auf beiden Gesichtern zu sehen. Vielleicht, so überlegte sie, war die jahrelange Freundschaft doch enger, als einer von ihnen jemals zugegeben hätte. Zum Schluss wandten sie und Sasuke sich ab und gingen in Richtung des zerstörten Dorftores davon, ohne noch ein letztes Mal zurückzublicken. Naruto sah ihnen nach, bis sie hinter dem Geröllberg verschwunden waren. Dann fielen die Tränen zu Boden und Naruto wischte sich rasch mit dem Handrücken über die Augen. Er wollte nicht weinen; er wollte keine Blöße zeigen, auch wenn niemand mehr da war, der ihn sehen konnte. Er wusste nicht warum, doch obwohl Sasuke ihm versichert hatte, dass sie in ein paar Jahren wiederkämen, glaubte Naruto an einen Abschied für die Ewigkeit… In diesem Jahr fiel der Schnee besonders stark und der Winter war früher über das Land hereingebrochen als sonst. Das Dorftor, groß und massiv, zeichnete sich gegen die weiße Decke ab, die von etlichen Spuren der Händler gezeichnet war, welche im Dorf ein und aus gingen. Das ungemütliche Wetter veranlasste viele daheim, in den warmen Häusern, zu bleiben und so waren die Straßen, trotz des späten Sonnenaufgangs, wie leer gefegt. Nur eine einzige Person stand schon seit einigen Minuten unbeweglich an ihrem Fleck und starrte zum Waldrand hinter den Toren. Die Kälte kroch ihm in die Glieder, doch er harrte geduldig aus und wurde erst abgelenkt, als ihm jemand eine warme Hand auf die Schulter legte. „Naruto, du wirst dich noch erkälten. Komm bitte wieder ins Haus“, bat die Frau an seiner Seite leise, doch der Blondschopf schüttelte energisch den Kopf. „Gib mir noch ein paar Minuten“, sagte er. „Warum tust du dir das an? Es ist nun zehn Jahre her“, entgegnete die Frau tief seufzend, „und jedes Jahr, am gleichen Tag, wartest du und wirst doch nur enttäuscht.“ Endlich drehte Naruto sich um und blickte in Hinatas schöne weiße Augen, die ihn vorwurfsvoll musterten. „Es tut mir leid“, murmelte er, „Es ist nur so… Ich kann nicht aufhören zu hoffen. Ich frage mich, was aus den beiden geworden ist; wie es ihnen geht und ob sie am Leben sind. Von den Akatsuki hat man so lange nichts gehört und-“ „Natürlich leben sie!“, äußerte Hinata ihre Entrüstung, „Naruto, du machst dir zu viele Sorgen! Die Zwei sind stark; denen passiert so schnell nichts. Seit dem Bündnis mit Kumogakure herrscht im ganzen Land Frieden und das bedeutet auch, dass die Akatsuki ihre Unterstützung verloren haben. Sie sind geschwächt. Wer weiß, ob es die Organisation überhaupt noch gibt?“ „Wahrscheinlich hast du Recht.“ Naruto ließ den Blick noch einmal über den Waldrand schweifen, doch bis auf das Schneegestöber war in der Ferne nichts auszumachen. Er spürte Hinatas Zug an seiner Kleidung, wie sie ihn drängte, mit ihr zu gehen, und nur widerwillig ließ er sich von ihr nach Hause fortführen. Sein weißer Umhang, verziert mit den feuerroten Zeichen des Hokage, flatterte im kalten Wind hinter ihm her. Vielleicht war es hoffnungslos, doch insgeheim wusste Naruto, dass er auch nächstes Jahr wieder bei Sonnenaufgang an dem Dorftor stehen und warten würde. ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)