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Hagebutten

GazetteXMana
von

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Von Sturheit oder wie alles begann

"Hat einer von euch eine Idee?"

Uruha goss sich Kaffee ein und nahm dann wieder am Tisch Platz. An der gelb-grün gestreiften Tasse nippend betrachtete er unsere Runde mit fragenden Augen, ganz als würden außergewöhnliche Ideen nur allein durch sein Starren, wie Pilze aus dem Boden schießen.

Vier Köpfe schüttelten sich verneinend.

"Verdammt!", zischte ich hervor. "Warum ist mein Kopf heute nur so leer? Ich fühl' mich wie ein schwarzes Loch!"

Ich fing mir einen mitfühlenden Blick von Aoi ein, während Reita seine Schläfen ritualhaft massierte und seine Augen geschlossen hatte, um scheinbar nachzudenken. Dass Kai teilnahmslos im Eck saß, war nicht ungewöhnlich; es war einfach seine Art, den Stress, den vorzugsweise Uruha und ich produzierten, zu kompensieren.

Mit einem leisen Seufzer malträtierte ich die Fransen an meinem Shirt und biss mir auf die Unterlippe.

"Lass' das!", hörte ich Aoi neben mir sagen. "Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du dir deine schönen Lippen nicht mit sinnlosem Daraufrumkauen, das übrigens zu nichts führt, zerstören sollst? Hautfetzen sehen absolut unschön aus"

Damit gab er mir ein paar hinter die Löffel. Ich zuckte zusammen. Murrte dann: "Es heißt ,nicht schön'"

Ich wusste nicht, wann sich Aoi zum Ritter der Lippe ernannt hatte, mir war nur klar, dass er es sich irgendwann zu der Aufgabe gemacht hatte, mich, wie er es nannte, vor mir selbst zu schützen. Ich selbst konnte nichts Aufregendes oder gar Außergewöhnliches an meinem Mund entdecken, aber er betete ihn förmlich an. Nicht selten handelte ich mir deswegen fiese Schläge von ihm ein. Dass ich ihm das durchgehen ließ, lag einzig und allein daran, dass Aoi einen bestimmten Status bei mir genoss; er war mein bester Freund.

"Okay.. Denkt nach. Es kann nicht sein, dass wir nun seit vier Tagen hier rumsitzen und noch immer nicht den Anflug einer Idee haben, was für ein Video wir drehen sollen"

Reita, der mittlerweile seine Augen wieder geöffnet hatte und nun einen recht resignierten Eindruck machte - scheinbar waren seine Meditationsversuche ohne Erfolg geblieben - nickte und seufzte recht unüberzeugt: "Wie wär's mit Wasser?"

"Wasser?"

Uruha blickte ihn etwas argwöhnisch an.

"Und weiter?"

"Ja, mehr fällt mir auch nicht ein", antwortete unser Bassist schulterzuckend.

Ohne das geringste Interesse begann ich, in irgendeiner Zeitschrift zu blättern, die ich gerade auf der Ablage hinter mir entdeckt hatte. Vielleicht bot sie ja etwas Inspiration? Nicht im Mindesten davon überzeugt überflog ich die Seiten, maß den Bildern noch etwas mehr von meiner kaum vorhandenen Beachtung als den Artikeln.

Es geschah etwa im letzten Drittel des Journals. Ich wendete die Seite und schaute in das Gesicht einer Frau. Sie war makellos schön, aber das beachtete ich kaum; mich faszinierte mehr der Ausdruck in ihren Augen, die Art, wie sie in die Kamera blickte. Sie schien die Photogenität förmlich in Person zu sein. Meine Verwunderung war grenzenlos.

"Ich will diese Frau in unserem Video", sprach ich seltsam perplex, mehr zu mir selbst.

"Zeig her", erwiderte Aoi neben mir und zog mir die Zeitschrift aus der Hand. Er brach in Lachen aus, was auch die anderen neugierig machte.

"Das ist keine Frau. Das ist Mana. Ein M-A-N-N. Also Ruki, manchmal bist du so ein Ignorant! Jedes Kind kennt Mana!"

Die anderen zwei stimmten in das Lachen mit ein. Sogar Kai grinste vor sich hin.

"Na und? Ist das eben ein Mann. Ich will IHN trotzdem im Video haben", erwiderte ich fauchend.

Die pikante Tatsache, dass ich dank meinem mangelnden Interesse, was um mich herum so abging, wieder einmal übelst ins Fettnäpfchen getreten war, überging ich einfach. Trotzig schob ich meine Unterlippe vor.

Uruha beruhigte sich als erster wieder.

"Mana ist nicht einfach irgendwer. Er ist eine Koryphäe! Du kannst nicht bei ihm einschneien und ihm sagen, er soll in unserem Video einen Part übernehmen. Er wird dich zerquetschen wie eine Fliege. Wenn du überhaupt das Glück hast, bis zu ihm vordringen zu können"

"Aha? Ist dieser Mana also so toll? Werden wir ja sehen, wer hier zerquetscht wird.."

Wenn ich erst einmal von einer Sache überzeugt war, ließ ich mich nicht mehr davon abbringen; meine Sturheit und Versessenheit kannte keine Grenzen. Oft brachte ich damit die Leute erst so richtig auf die Palme. Aber es hatte auch etwas Gutes; Gazette wären nicht halb so weit gekommen, wenn ich nicht dermaßen beharrlich und überzeugt gewesen wäre. Die anderen Bandmitglieder dankten es mir, indem sie immer hinter mir standen, ganz egal, ob ich gegen Ameisen oder Windmühlen kämpfte. Dass sie mir jetzt in den Rücken fielen, war eher ungewöhnlich.

Nun probierte es Reita.

"Du kannst nicht mir nichts dir nichts zu Mana gehen. Mana ist tabu für Leute wie uns. Entweder er findet dich oder du lässt es bleiben. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht"

Sein ernster Tonfall war mir nicht entgangen.

"Er hat Recht. Du wirst in eine große Enttäuschung rennen, Ruki", fügte Aoi hinzu.

Sie hatten erkannt, dass sich ein Süppchen in meinem Inneren zusammenbraute und versuchten, Gegenmaßnahmen anzusteuern.

"Ich gehe. Jetzt gleich. Unser Management weiß sicher, wo ich diesen - Mana - finden kann"

Ao und Reita warfen Kai einen flehentlichen Blick zu. Dieser reagierte darauf.

"Ruki-kun, du blamierst die Band"

Aber es half nichts, ich war bereits aufgestanden und hatte den Raum verlassen.
 

Mana also. Was sollte dieser weibliche Kerl denn schon an sich haben, dass er so besonders war? Dass ich nicht zu ihm gehen konnte? Er war kein Bundeskanzler! Und auch nicht der Kaiser! Und wenn er Mätzchen machte, konnte er sich auf etwas gefasst machen! Ich würde mich nicht abwimmeln lassen. Und schon gar nicht zerquetschen.
 

Von einer Entschlossenheit erfüllt, die Tote zum Leben erwecken hätte können, tigerte ich den Gang hinunter zum Büro unseres Chefs. Er war ein Mann ein junger Mann, der sich freundlich aber bestimmt ausdrückte. Wir waren ihm dankbar, dass er uns so viel Freiheiten wie möglich ließ. Nicht jeder hatte das und konnte sich selbst verwirklichen.

Mit einem Ruck öffnete ich die heute nur angelehnte Tür und stolperte mehr in den Raum, als dass ich ging.

"Ah, Ruki-san!"

Er schob seine Brille hoch, während er mich interessiert musterte. Seine Höflichkeit, die er pflegte, an den Tag zu legen, verbot es ihm, über meine Ungeschicktheit zu lachen. Ich war ihm sehr dankbar dafür und verbeugte mich reflexartig zwei Mal.

Sein neugieriger Blick verfolgte mich nach unten.

"Matsue-san, ich muss mit Ihnen sprechen"

"Ja?"

"Können Sie mir die Adresse von Mana-sans Management geben?"

Matues Blick verwandelte sich in Überraschtheit.

"Was willst du denn damit?"

Ich grinste.

"Ich will, dass er in unserem Video mitspielt"

Die Wirkung hätte nicht verheerender sein können; Matsue fiel die Kinnlade herunter, er kippte fast vom Stuhl. Selten hatte ich ihn derart unbeherrscht gesehen.

"Ruki-san, du weißt, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist!"

"Wenn Sie sie mir nicht geben, dann frage ich eben jemand anderes!", erwiderte ich trotzig, wie ein kleines Kind, auf seine Fassungslosigkeit.

"Und warum willst du das überhaupt selbst erledigen? Wir kümmern uns um solche Dinge in der Regel"

Mit der Antwort zögerte ich ein bisschen. Ja, warum eigentlich? Ich könnte die ganze Angelegenheit auch getrost dem Management überlassen..

"Weil ich gewisse Dinge lieber alleine erledige. Manche Dinge MUSS ich selbst machen", antwortete ich aufgebracht.

"Auch wenn ich nicht weiß, warum", fügte ich nur in meinem Gedanken hinzu.
 

Nachdem Matsue sich ergeben hatte (es kostete mich meine ganze Überredungskunst), tätigte er einige Anrufe und notierte dabei etwas auf einen Zettel vor sich. Gespannt beobachtete ich ihn dabei. Fünf Minuten später war unser Chef fertig.

"Hier"

Er drückte mir den Zettel in die Hand. Aus seiner Miene war nicht der kleinste Gedanke abzulesen.

Ich bedankte mich freundlich bei ihm und erhob mich aus meinem Stuhl, in dem ich Platz genommen hatte.

Als ich das Büro verlassen hatte, war mir, als hätte er mir leise "Viel Glück" hinterhergemurmelt.

~~~+~~~
 

[Anmerkungen]

Wie ich zu dem Titel komme?

Tja..

dazu muss man vielleicht "Liebe ist eine Schwäche lesen"

Allerdings ist das Kapitel, wo man bräuchte, um den Titel zu verstehen, noch nicht hochgeladen xD

aber geschieht demnächst ^^

versprochen xD

Ein Fisch ohne Seinesgleichen

Es dauerte ganze zwei Stunden, bis ich das Hauptgebäude der Plattenfirma Manas gefunden hatte. Ich hatte einen Orientierungslauf durch halb Tokyo hinter mir, als ich schlussendlich vor dem riesigen Haus stand, in dem ich mein Anliegen vortragen konnte. Von außen betrachtet machte es einen fulminanten Eindruck. Aber ich ließ mich nicht einschüchtern, immerhin brauchte ich meinen Kampfgeist noch für das mir Bevorstehende.

Trotzdem war ich sichtlich geschlaucht, von der Rumrennerei. Ich blieb also einen Moment neben der Eingangstür stehen und verschaffte mir erst einmal wieder Atem; es nützte niemandem, wenn ich nichts als Keuchen hervorbrachte.

Als ich schließlich die gewaltige Glastür aufstieß, fühlte ich mich merklich besser. Es konnte losgehen.
 

"Herein"

Ich drückte die Türklinke herunter und fand mich in einem Raum wieder, der einen gewaltigen Empfangstisch beherbergte.

Eine schmächtige, stark geschminkte Frau saß dahinter und schrieb gerade etwas auf einen Zettel. Durch ihre gebeugte Haltung, konnte ich ihren Nacken sehen. Er war schön weiß und erinnerte mich an irgendetwas. Allerdings fiel es mir in dem Moment nicht ein.

Sie schien mich nicht zu bemerken, zumindest setzte sie alles daran, sich durch meine Anwesenheit nicht stören zu lassen.

Ich räusperte mich.

Nach ein paar verstrichenen Sekunden, hob sie ihren Kopf, blitzte mich mit ausdruckslosen Augen an.

"Kann ich Ihnen helfen?"

Ihre Stimme klang schneidend, so, dass ich mich schon ab diesen Worten unwohl fühlte.

"Ich würde gerne Mana-san sprechen"

Ihr ungläubiger Gesichtsausdruck ließ mich nun entgültig etwas verunsichern und ich beeilte mich, mir selbst positive Gedanken einzuimpfen.

Sie blinzelte.

"Mana-sama ist für Sie nicht zu sprechen"

"Es ist aber dringend"

Ich konnte sehr hartnäckig sein.

"Na schön. Haben Sie einen Termin?"

Ich schüttelte den Kopf, klatschte mir innerlich gegen die Stirn. Natürlich. Wer wurde denn schon ohne Termin empfangen..

Also dachte ich blitzschnell um und nickte.

"Tut mir leid, natürlich habe ich einen Termin" Ich versuchte es auf die höfliche Tour und versuchte, mich gehoben auszudrücken. "Allerdings dürfte er in Ihrem Terminkalender nicht notiert sein - Mana-sama persönlich hat mich gebeten, ihn am heutigen Tage aufzusuchen.

Innerlich bangte ich darum, dass sie mir Glauben schenken würde. Meine Chancen standen wohl eher schlecht; sie machte einen äußerst intelligenten, wachsamen Eindruck.

Dennoch nickte sie, wenn auch skeptisch.

"Sie haben Glück, zufällig ist Mana-sama heute tatsächlich hier. Nehmen Sie die rechte Tür links und dann immer geradeaus. Die letzte Glastür ist es."

Damit widmete sie sich wieder ihren Unterlagen und versank erneut in ihrer eigene Aktenwelt, in der ich keinen Platz hatte.

Ich beeilte mich, aus diesem Zimmer zu verschwinden, tat, was sie mir aufgetragen hatte und dankte innerlich allen Göttern, die mir spontan einfielen.

Schon einen Tick erleichterter schlich ich also den Flur entlang und fand mich, wie sie gesagt hatte, vor einer großen Glastür wieder.

Einen Moment zögerte ich. Was sollte ich ihm sagen? Wie agieren? Nach ein paar Sekunden des Hin- und Her-Überlegens entschloss ich mich, das zu tun, was ich immer tat; spontan drauflos zu reden.

Ich klopfte gegen den Eingang. Das Glas fühlte sich kalt unter meinen Fingern an. Reflexartig zog ich die Hand zurück.

Ich hörte nichts. Kein "Herein", keine sonstigen einladenden Gesten.

Also klopfte ich noch einmal. Wartete ein paar Sekunden.

Wieder nichts.

Wenn mich niemand hereinbat, musste ich wohl einfach eintreten?!

Das tat ich dann auch.

Die Tür war schwer und ließ sich nicht leicht bewegen. Als ich es endlich bewerkstelligt hatte, sie aufzuschieben und einzutreten, blickte ich in ein Gesicht direkt vor mir.

Es musterte mich kühl und ohne auch nur die kleinste Andeutung eines Gefühls.

Mir lief ein Schauer den Rücken hinunter und ich erstarrte für ein paar Sekunden.

Von meiner Bewegungslosigkeit wieder aufgewacht, verbeugte ich mich und murmelte entschuldigend: "Es kam keine Antwort, deshalb trat ich einfach ein, es tut mir leid, wenn ich Sie damit bedrängt habe..", während ich die wuchtige Tür mit vereinten Kräften wieder zuschob.

Er saß hinter einem Schreibtisch, die Beine, so weit ich sehen konnte, untergeschlagen, die Arme auf die ebenfalls gläserne Tischplatte gestützt.

Ohne zu sprechen, musterte er mich weiter und bewegte sich dabei keinen Zentimeter, als hätte er befunden, dass die Starre das beste Mittel war, die Schönheit vollkommen sein zu lassen.

"Ich möchte Sie um etwas bitten", sprach ich in die Stille. Meine Worte hörten sich etwas verlassen in dem großen Raum an, aber ihnen fehlte es nicht an Festigkeit.

Mana schwieg mich für einen Augenblick weiter an; gerade, als ich mich damit abgefunden hatte, dass er wohl nicht antworten würde und ich fortfahren wollte, sagte er etwas.

Es war kaum hörbar, zuerst wusste ich nicht, ob ich es mir nur eingebildet hatte. Seine Stimme hörte sich an, wie etwas, das man nur selten benutzte.

"Sie haben keinen Termin"

Innerhalb von Sekunden verflochten sich in mir unzählige Gedanken, Konstrukte, wie ich meine Situation retten sollte.

Haltlos sprudelte ich drauflos.

"Ich wusste nicht, wie ich sonst zu ihnen kommen sollte. Es ist wichtig. Aber ihre Empfangsdame.. Ist sie immer so kalt..? Sie müssen mich anhören! Es gefällt Ihnen vielleicht ja! Und verdienen werden Sie auch nicht schlecht!"

Alles, was ich erreichte, war, dass sich seine Augenbraue etwas hob.

Aber ich ließ mich nicht unterkriegen.

"Ich bin von einer Band. Gazette. Ich möchte, dass sie in unserem neuen Video mitspielen"

So. Das war also gesagt.

Er schlug kurz die Augen nieder, um mich dann wieder unverwandt anzusehen.

Ich glaubte, in seinem Blick eine Spur von Überraschung zu erkennen. Überraschung, dass jemand den Mut hatte, ihn um so etwas zu bitten.

Vielleicht täuschte ich mich auch.

Einige Minuten, die mir wie Ewigkeiten erschienen, verstrichen.

"Ich habe kein Interesse"

"Aber ich weiß, dass es Ihnen gefallen wird! Es wird toll, davon bin ich überzeugt! Sie würden sich so gut, in einem blauen Kleid machen. Im Wasser.."

Mein Blick schweifte etwas ab, als ich mir das Szenario, dass mir gerade erst eingefallen war, vorstellte. Na also. Mein Ideenreichtum war zurück.

"Ich hasse Wasser"

Na gut. Wenn er Boxkampf wollte, dann gab ich ihm seinen Boxkampf eben. Kämpfen konnte ich schon lange. Und nur, weil er dachte, dass er was Besonderes war, hieß das noch lange nicht, dass er auch gewann.

"Wir sind flexibel. Sie können auch aus dem Feuer steigen. Ich bin mir sicher, dass wir auf einen gemeinsamen Nenner kommen könnten"

"Sie glauben, ich will Ihre Meinung teilen?", kam es leise von Mana. Sein schwarzes, mit weißen Spitzen versehenes Kleid raschelte etwas.

"Wir können es auch so machen, wie Sie es wollen", gab ich zurück, nicht bedenkend, dass mich der Rest der Band für diese Aussage erschlagen würde.

"Ist es denn nicht euer Song?"

Er wollte das Gespräch wohl im Kreise führen lassen, um mir zu zeigen, wie sinnlos mein Unterfangen war. Aber nicht mit mir.

"Sie würden ihm das fehlende Stück geben. Die Ausdrucksstärke in Ihren Augen..", sprach ich weiter, genau wissend, was ich sagen wollte und noch mehr wissend, dass er sich jetzt in einer Sackgasse befand.

"Die Tür befindet sich hinter Ihnen"

Für einen Augenblick völlig fassungslos, starrte ich Mana an. Er hatte doch tatsächlich einfach das Gespräch beendet! Oder besser gesagt, mich höflich hinausgeworfen!

Mit einem Satz hatte dieser Mistkerl mich völlig entwaffnet. Dem konnte ich nichts entgegensetzen, somit erhob ich mich ernüchtert und verbeugte mich noch einmal.

"Wissen Sie was? Sie erinnern mich an einen Fisch. Schön und stumm. Und nichts dahinter "

Ich spuckte den letzten Satz förmlich aus und verließ rasch den Raum.

Arschloch.

Ich ging sauer den Gang entlang und schlüpfte aus der Tür, ohne die Empfangsdame anzusehen. Ein paar Sekunden später stand ich wieder auf der Straße.

Mit trampelnden Schritten stapfte ich von dem Gebäude weg, den Kopf trotzig erhoben.

Wenn er mich jetzt von da oben sah, sollte er nicht denken, dass ich geknickt sein könnte.

War ich auch nicht.

Ganz bestimmt nicht.

~~~~+~~~~
 

[Anmerkungen]
 

Mana kommt wohl nicht so recht an..

Ob das wohl einfach an der FF liegt? xD

Vielleicht mach ich jetzt noch alles viel schlimmer..?

Mana ist gar nicht so.

[Das ist eine Lüge xD]

Naja - ich hoff' trotzdem, dass ihr Spaß beim Lesen habt

[das hört sich nach Flehen, nicht nach Bitten an xD"]

Shiya~

Eine Blumenfee, oder war es die Furie?

"Du hast vor MANA gestanden?", Uruhas Stimme überschlug sich fast.

Ich nickte grimmig.

"Ich hätte nie gedacht, dass du so weit kommst!", gab ein überraschter Aoi offen zu, während Reita mich perplex anstarrte. Kai lächelte hinten etwas.

"Ich wünschte, ich hätte dieses Arschloch nicht darum gebeten.", murrte ich.

"Wir haben's dir aber gesagt", gab unser Bassist von rechts von sich, meinen wunden Punkt natürlich treffend.

"Aber wer es nicht versucht, weiß es nie"

"Auch wenn ich auf dieses Versuchen verzichten hätte können", fügte ich ernüchtert hinzu.

"Wie ist er so?"

Uruha glänzte mich erwartungsvoll an.

"Ein Arschloch?", fauchte ich zurück.

Ich schlag meine Arme um meine Beine und kuschelte mich etwas auf das Sofa, das im Wohnzimmer unserer Wohnung stand. Wir wohnten alle fünf zusammen, aber jeder hatte ein eigenes Zimmer. Das Sofa hatten wir uns von unserem ersten selbstverdienten Geld gekauft. Es war so in etwa das Herzstück der Wohnung. Deshalb sah es wohl auch so zerknautscht aus. Oder vielleicht liebten wir es gerade deswegen. Wie auch immer.

"Was hat er denn gesagt?", fragte Reita nun weiter.

"Nicht viel. Ob es nicht unser Song sei, dass er kein Interesse habe, wo die Tür sei"

Umso mehr ich von dem Gespräch erzählte, desto wütender wurde ich.

Durch seine Sensibilität, was mich anging, merkte Aoi es als Erster. Die Worte waren deshalb auch gut durchdacht.

"Kommt Leute, lassen wir das ruhen.. Ist doch egal, was Mana-san sagte. Zumindest hat er Ruki-chan nicht aufgefressen"

Grinsend knuffte er mich in die Seite.

Ich quietschte.

Lautes Lachen Aois erfüllte den Raum, als ich mich an sein Bein hängte, während er gerade versuchte, sich vor mir aus dem Staub zu machen.

"Die Rache ist mein! Nimm das, Bösewicht!"

Damit warf ich mich vollends auf ihn und wir beide gingen kichernd zu Boden.
 

"Ich brauche eine Pause", gab ich nach fünfminütigem Balgen etwas außer Atem von mir, immer noch auf dem Gitarristen liegend. Unter mir hörte ich Aoi irgendetwas nuscheln.

Ich schloss die Augen und lauschte meinem Herzschlag, wie er Schritt für Schritt wieder einen langsameren Takt einnahm. Das war beruhigend und fast wäre ich leicht dahingeschlummert, wenn nicht Kai mit einem Tablett Tee aus der Küche gekommen wäre.

"Möchte jemand Tee?", schallte seine Stimme sanft durchs Zimmer.

Ich schnupperte. Mh.. roch lecker..

"Jasmintee?", murmelte ich mit geschlossenen Augen.

"Ja"

"Ich will auch eine Tasse", meldete sich Aoi unter mir.
 

"Stell' dich da nach drüben hin. Ich denke, das sieht besser aus"

"Ich sehe hier auch gut aus", äffte mir Aoi hinterher.

Natürlich hatte ich es gehört.

"Ich spreche nicht von dir, sondern von der Situation"

Meine Hände fuchtelten wie von selbst herum, zerschnitten die Luft.

"Eben ich BIN die Situation", erwiderte er, da er in der Ecke stand, etwas lauter.

"Nein, bist du nicht"

"Doch, bin ich wohl"

Uruha verdrehte die Augen und nahm auf dem Sockel hinter ihm Platz, seine Gitarre auf seinen Schenkel ruhend. Es stand an der Tagesordnung, dass Aoi und ich uns wegen unserer Ausdrucksweise kabbelten. Er korrigierte mich, ich verbesserte ihn. An sich nichts Besonderes, so waren wir eben. Das einzig Störende war (und das wohl nur für die Außenstehenden), dass wir immer vom eigentlich Wesentlichen abkamen und somit die Arbeit ruhen musste.

"Genug. Wollen wir jetzt drehen oder über eure Grammatik diskutieren?"

Ein sichtlich genervter Reita hatte sich dazu aufgerafft, uns Streithähne zu trennen.

Zwei Köpfe wandten sich ihm zu.

"Es ist ein Interpretationsfehler!"

Reita trollte sich hastig zu Kai und murmelte verärgert: "Dann kommen wir eben nicht weiter.."

Das zeigte endlich Wirkung und Aoi ging zwei Schritte nach rechts, der Klügere gab wohl nach.

"Sehe ich hier gut aus?", rief er zu mir herüber.

"Ja, supertoll!"

Ich zeigte mit meinem Daumen nach oben.

Nachdem sich die anderen auch wieder in die richtige Position gebracht hatten, bannte der Kameramann uns erneut aufs Band, während die Musik im Hintergrund spielte.

Ich war gerade an einer besonders ausdrucksstarken Stelle und schloss meine Augen, um dem Zuschauer des Videos dieses Gefühl so nah wie möglich bringen zu können, als der Ton ausging.

Überrascht öffnete ich meine Lider, es war stockdunkel.

"Hallo..?", sprach ich deshalb etwas verwirrt in die Stille.

"Ich bin noch da", kam es von Uruha und auch die anderen raunten etwas in die Richtung.

"Wartet, dass ist sicher nur ein Stromausfall! Ich zünde gleich ein Streichholz an", rief der Kameramann irgendwo aus der Dunkelheit hervor. Ich hörte hastiges Nesteln, dazwischen noch ein Geräusch. Wie Rascheln von schwerem Stoff. Rascheln von Stoff? So weit ich wusste, waren wir bei diesem Dreh nur leicht bekleidet..

Als das Licht anging, wusste ich, was es war.
 

"Du..?"

Ungläubig starrte ich die große Person an, die sich vor mir aufbaute. Erkannte, dass ich verdammt unhöflich war und verbesserte mich schnell.

"Sie?"

"Ich dachte, Sie wollten mich in Ihrem Video haben?"

Manas schwarzes Haar bewegte sich leicht, während er mit seiner unbenutzten, aber trotzdem angenehm klingenden Stimme sprach.

Meine sonstige Wortgewandtheit setzte vollkommen aus, anscheinend hatte sie beschlossen, dass nun der heutige Tag der richtige Zeitpunkt war, um mich zu verlassen. Danke auch.

"Nehmen Sie doch Platz!"

Uruha war der Erste, der sich wieder fing, er schob ihm den erstbesten Stuhl hin. Mana setzte sich, ohne sich zu bedanken. Sein Blick fixierte mich immerfort, als wartete er noch immer auf die Antwort seiner Frage.

Ich nickte also.

"Ja. Ich zeige Ihnen gleich die Garderobe. Dort können Sie sich umziehen. Wobei.. Wir haben Ihr Kleid noch nicht gemacht. Ich habe Sie aus der Planung gestrichen", sprach ich ihn an.

Sein Kleid war auch heute schwarz. Allerdings wies es nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem seines Vorgängers vor drei Tagen auf. Das riesige Medallion um Manas Hals, ließ ihn wie einen König, oder besser eine Königin erscheinen.

Auf seltsame Art und Weise machte mich das verärgert, ich konnte spüren, wie eine gewisse Gereiztheit in mir hoch kroch.

Verdammt, warum musste er hier so thronen?

"Wir haben Kleidung im Gepäck", antwortete er leise, aber keineswegs unterwürfig; ganz im Gegenteil, wenn er sprach, schienen alle gehorchen zu müssen.

"Ach ja..?", gab ich mit einem Anflug von Sarkasmus zurück.

Aoi rechts von mir trat mir auf die Zehen.

"Wir werden Sie auch neu einkleiden"

Damit klatschte er in die Hände. Ende der Diskussion.

Drei Frauen traten heran und eine von ihnen flüsterte etwas in sein Ohr. Die anderen zwei winkten uns zu, wir sollten ihnen scheinbar folgen.

Nachdem die anderen vier Bandmitglieder ohne zu zögern den weiblichen Personen brav hinterhergewatschelt waren (das nahm ich wütend zur Kenntnis), schloss ich mich ihnen zögerlich an.

Das ganze skurrile Theater wurmte mich jetzt schon ungemein.
 

Sie führten uns in unsere Garderobe. Zuerst wunderte ich mich, wo die Kleidungsstücke denn sein sollten, aber dann sah ich sie. Oder genau genommen bemerkte ich die fünf gewaltigen Kisten, die in die Mitte des Raumes geschafft worden waren.

Was hatte dieser Mana vor? Uns mit Kleidung erschlagen?

Die Frauen wussten wohl, was sie taten, denn ohne die geringste Mühe öffneten sie die Holzcontainer und gaben den Blick frei, auf das, was sich darin befand.

Fein säuberlich waren Hosen, Röcke, Oberteile, Kleider, seltsame Schals, Hüte und sonstiges abendteuerlich Aussehendes aufgestapelt, beziehungsweise einsortiert worden.

Noch bevor ich denken oder auch nur protestieren konnte, hatte mich eine der Frauen in ein dunkelrotes Kleid mit einem schwarzen Mieder gesteckt. Mit einem Schnapp hatte sie sich meine Hände gekrallt und stopfte sie jetzt in schwarze Samthandschuhe. Nach ein paar Atemzügen trug ich auch noch dazupassende, sehr hohe Stiefel mit Plateausohlen wie Bügeleisen und ein Sammelsurium an Accessoires.

Sie lächelte nicht und auch sonst war ihr Blick eisig und auf Temperaturen unter Null eingestellt, als sie ihr vollkommenes Werk, mich, musterte und begutachtete. Die Frau schob mich zum Spiegel.

Erschüttert betrachtete ich mein Gegenüber hinter der Glaswand.

Ich sah aus wie

..

..eine Frau.

Als ich mich umdrehte, erkannte ich, dass es den anderen nicht besser ergangen war. Ich hatte vier weitere Frauen vor mir. Aoi blickte mich mitleidsuchend an, während Uruha mehr genervt die Arme vor seiner Brust verschränkt hatte und sich partout nicht die Haare hochstecken lassen wollte. Alles in allem boten sie mir einen recht gequälten Eindruck.

Nicht, dass ich etwas dagegen gehabt hätte, wie eine Frau auszusehen. Ganz im Gegenteil. Aber ich wollte entschieden nicht in ein Röcklein gesteckt durch ein Video hüpfen. War ich hier die Blumenfee? (Bei meinem Aufzug brachte ich dann wohl eher schwarze Blumen)
 

Noch einen Tick unwohler fühlend betrat ich schlussendlich wieder unseren Drehort mit meinen vier andern Bandkollegen.

Mana machte sich nicht einmal die Mühe, seine Miene zu verziehen. Er sagte schlicht und einfach: "Lasst uns beginnen"

Seit wann hatte er das Kommando übernommen?

Das Set war schon vollkommen verändert.

Was wollten wir bitteschön mit einer Burg?

Manas Weißichnichtwas, ein Mann mittleren Alters mit bereits ergrautem Haar, berichtete uns, was wir zu tun hatten. Nach seiner äußerst langatmigen Schilderung der Abläufe, wo ich bereits nach der Hälfte nicht mehr verstand, was der Sinn war, hörte ich eines heraus: wir waren Statisten.

In unserem eigenen Video waren wir Statisten. Nebenfiguren.

Ich musste nicht viel denken, um zu erkennen, dass Mana das Herzstück der Produktion sein würde.

Eigentlich hatte ich mir das alles ganz anders vorgestellt..

Aber da ich noch nicht wusste, ob es nicht vielleicht doch gut werden würde, beschloss ich vorerst einmal, den Mund zu halten und zu tun, was man vor mir verlangte.

Also setzte ich mich wie geheißen auf die Stufen unserer Requisitenburg und blickte ernst in die Ferne. Genau genommen war das so ziemlich alles, was ich während der ganzen Aufnahme tun sollte.

Auch Reita und Uruha hatten nicht gerade den Haufen an Aufgaben; sie sollten starr eine Statue mimen in einem Garten, den die Leute vom Team wohl aufgebaut hatten, als wir uns am Umziehen waren. Kai lag verscharrt in einem Blütenmeer. An seinem Röcheln konnte ich erkennen, dass er sehr wahrscheinlich kaum Luft bekam. Armer Kai.

Aoi hatte es wenigstens etwas besser getroffen als wir; er durfte um Mana herumstreichen und ihn anschmachten. Wenn man das als "besser" betrachten konnte.

Fanservice?

Ich kam mir selten lächerlich vor. Grummelnd blickte ich also in die Ferne und spielte den wahnsinnig Nachdenklichen, während der Kameramann langsam die Kamera schwenkte, mich in volle Größe zoomte, wieder abließ und dann das ganze Bild Mana widmete.

Meine Laune verdüsterte sich zusehends. Von Sekunde zu Sekunde wuchs mein Missfallen gegenüber dem, was wir taten (oder in unserem Fall nicht taten).

Mana. Mana. Mana.

Eine Aufnahme nach der anderen und immer nur ein Gesicht: Mana.

Als Aoi zum Wiederholten Male sein diffuses Tänzchen aufführen musste, platzte mir der Kragen.

Ich erhob mich von meinem Platz und steuerte auf Mana zu.

Ohne darauf zu achten, dass ich die Szene zerstören würde, baute ich mich breitbeinig vor ihm, der auf einer Art Thron saß, auf.

"Was wird das? Warum müssen WIR die Statisten in UNSEREM Video sein? Warum sind immer nur Sie im Vordergrund? Wir hatten uns gedacht, dass Sie in gewissen Teilen zu sehen sind, aber nicht umgekehrt!"

Er gab keine Antwort, schaute mir einfach nur kalt in die Augen.

"D-Das ist nicht mehr unser Video, sondern Ihres!"

Erneutes Schweigen für Sekunden.

Das bracht mich noch mehr in Rage. Hinter Mana stockten meine Freunde. Auch das komplette Set war starr vor Schreck. Ich bemerkte es nicht.

Dann seine Stimme. Wenn jemand alle Kühlschränke der Welt geöffnet hätte, es hätte nicht frostiger sein können, als die Art, wie er diesen Satz aussprach.

"Na und?"

Ich explodierte.

"Verdammt noch mal, was bildest du dir eigentlich ein, du eingebildeter Schnösel? Wir sind Gazette und nicht Manas jungfräuliche Jungschar!!"

Mein Blut kochte und ich empfand eine gewaltige Wut auf sein stummes, unbewegliches Gesicht, für das das Wort "Emotion" ein Fremdwort war.

"Die Umkleiden sind dort"

Er hob nur leicht seinen Arm, fast ohne Anstrengung. Der ausgestreckte Finger zeigte auf den Ausgang.

Auch mein Zorn konnte nichts daran ändern, dass mir die Sprache für einen Augenblick versagte.

Er warf mich aus meinem eigenen Studio!

Das..

..

war die entschieden größte Frechheit, die ich in meinem ganzen Leben je erlebt hatte.

"Arschloch"

Damit drehte ich mich um und verließ das Filmset.

~~~+~~~

Bekenntnis zur Einsamkeit

"Ruki komm zurück!"

Ich hörte hastige Schritte und dann eine Stimme neben mir.

Aoi.

"Ruki, was ist in die gefahren?"

Der Schock in seinem Gesicht war noch nicht verschwunden.

"Er ist ein Arschloch. Merkst du nicht, dass er nur tut, was ER will? Ich mach' da nicht mit!", fauchte ich nach links zu meiner Seite.

"Natürlich ist es mir aufgefallen! Aber wenn man ihn eben haben will, muss man das in Kauf nehmen! Und jetzt komm' zurück und entschuldige dich bei ihm"

"Nein, tu' ich nicht. Ganz bestimmt nicht. Er kann mich kreuzweise! Ich will selbst bestimmen, er ist nur eine schöne Nebenfigur! Und das war's!"

Aoi blieb stehen, aber ich dachte nicht daran, mein Tempo zu verringern.

"Ruki, das kannst du nicht tun.. Jetzt haben wir endlich jemanden, der so berühmt ist, in einem unserer Videos - kannst du dir überhaupt vorstellen, was für eine Promotion das für uns ist? Weißt du, was für einen Gefallen er uns damit tut? Ich weiß nicht, wie du das bewerkstelligt hast, ihn hierher zu locken, aber zerstör' es jetzt nicht einfach", sprach er mittlerweile mit einem flehentlichen Unterton.

"Tut mir leid, Aoi..", dachte ich innerlich etwas schuldbewusst, als ich laut zu ihm sprach: "Ich werde mich ihm niemals beugen. Nur weil er meint, dass er |was Besseres ist, küsse ich ihm noch lange nicht die Füße"

Aoi blieb hinter mir zurück.

Hätte ich mich umgedreht, hätte ich seinen enttäuschten Blick gesehen.
 

Es herrschte gedrückte Stimmung in unserer Wohnung an dem Abend. Kai war in seinem Zimmer, Reita ebenfalls und Aoi hatte sich verzogen, er wollte Freunde treffen. Ich wusste, dass es eine Lüge war, aber ich hatte geschwiegen.

Nur Uruha und ich blieben übrig. Wir saßen zusammen auf dem Sofa und schauten uns einen etwas unrealistischen Liebesfilm an. Wobei, so gesehen waren Liebesfilme überhaupt nie realistisch. Trotzdem war er gar nicht so unspannend, wenn auch die regnerische Atmosphäre, die uns umgab, uns fast jedes Interesse entzog.

"Was hat Mana gesagt? Nachdem.."

Ich sprach nicht weiter.

"Er hat dir hinterhergestarrt. Ich glaube, er war zum ersten Mal in seinem Leben wirklich überrascht. Aber vielleicht war er auch einfach nur bocksauer. Zumindest dachte ich, dass ich eine kleine Falte auf seiner Stirn gesehen habe und seine Augen etwas geweitet waren"

Uruha blinzelte mich an.

"Ich weiß noch immer nicht, was du dir dabei eigentlich gedacht hast. Ihn einfach anzuschreien. Und ihn dann auch noch ,Arschloch' vor versammelter Mannschaft zu nennen.. Ruki.. du bist echt.."

Er schüttelte den Kopf, musterte mich dabei.

"..der größte Vollidiot auf dieser Welt?"

Ich beendet seinen Satz.

Uruha lachte und nickte gleichzeitig.

"Ja das auch"
 

"Okay.. alle Mann in Position! 3 - 2 - 1 .."

Die Klappe verschwand aus dem Bild und ich begann meine Lippen zu bewegen, sang dabei leise mit. Ich sank auf die Knie; auf dem Band würde es aussehen, als würde ich im Wasser untergehen.

"Und Cut"

Mein Körper beendete seine angespannte Haltung und ich richtete mich wieder auf.

"War's gut so?"

Der Regisseur nickte und rief zu Uruha hinüber: "Du bist dran"
 

Nachdem ich mich zwei Tage danach dazu durchgerungen hatte, mich bei meiner Filmcrew für den Zwischenfall zu entschuldigen, hatten wir heute wieder unsere alten Kulissen aufgestellt und drehten weiter. Sie waren zwar noch immer leicht gereizt, wenn Dinge auf mich zu sprechen kamen, aber das musste ich wohl in Kauf nehmen. Es passierte nicht jeden Tag, dass sich jemand Mana widersetzte. Und schon gar nicht, wenn er sich damit nur selbst schadete, wie sie die Situation zumindest einschätzten.

Wir kamen heute gut voran und als es draußen bereits dunkelte, hatten wir einen ordentlichen Haufen an Szenen im Kasten.

Müde trottete ich in den Umkleideraum und schälte mich dabei schon im Gehen aus meinen Kleidern.

"Kannst es wohl kaum erwarten, dich nackig zu machen", zog mich Aoi von hinten auf.

Auch er hatte sich wieder erfangen und behandelte mich mit gewohnter Manier. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich ihn mit meiner Handlung auf irgendeine Art verletzt hatte. Während des Drehens hatte ich mir fest vorgenommen, mich am Abend bei ihm zu entschuldigen. Wenn ich mich schon jemandem beugte, dann wenigstens einem Freund.
 

Gerade erst ein frisches T-Shirt über den Kopf gezogen, hörte ich, wie die Tür zum Zimmer aufging und Matsue-san nach mir verlangte.

"Ich bin hier", antwortete ich hastig und beeilte mich, meinen Kopf durch die Öffnung zu zwängen.

"Ein Anruf für dich. Kommst du bitte mal zum Telefon? Gleich"

Ich nickte und folgte ihm nur mit Unterwäsche und einem T-Shirt bekleidet. Fröstelnd rieb ich mir meine Oberarme, während ich hinter ihm ins Büro tappte, wir hatten zwar erst Herbst, aber es war ganz schön kalt mittlerweile. Vor allem, wenn man halbnackt rumrannte.

"Wer ist es denn, Matsue-san?", fragte ich neugierig.

"Sieh selbst", antwortete er, ohne mir mit seiner Miene einen Anhaltspunkt zu geben.

Wie gemein.

In seinem Zimmer angekommen nach ich den Hörer ab und sagte leise: "Hallo?"

"Ruki-san?", gab die Stimme am andere der Leitung zurück.

"Ja"

"Hier spricht Mana-samas Management. Wir wollen uns bei Ihnen in seinem Namen entschuldigen. Es tut uns leid für den Vorfall"

Für einem Moment glaubte ich, zu träumen. Erst als mir fast der Hörer aus der Hand fiel, kam ich zurück in die Realität. Schnell fing ich ihn mit der anderen Hand auf.

DER Mana entschuldigte sich bei MIR? Hatte ihm der Sensenmann gesagt, dass er nur noch drei Stunden zu leben hatte und er rief jetzt alle Leute an, die er jemals beleidigt hatte? Nein, das konnte nicht sein. Dafür war die Zeit sicher zu kurz. Er hatte mindestens noch eine Woche zu leben. Nicht drei Stunden.

"Ruki-san..?"

"Ja, ja, ich bin noch dran..", murmelte ich zögerlich ins Telefon.

"Dann nehmen Sie die Entschuldigung also an?", sprach die Stimme freudig weiter.

"J.."

Ich hielt inne.

Halt. Warum sollte ich es ihm so einfach machen? Wenn er schon offensichtlich Wert darauf legte, dass ich ihm verzieh, dann sollte er mich gefälligst selbst darum bitten.

"Nein. Er soll sich persönlich bei mir entschuldigen"

Ich hörte einen erschrockenen Atemzug und dann Schweigen.

"Wir werden es ihm ausrichten.. Vielen Dank. Auf Wiedersehen"

Klick.

Die Leitung war unterbrochen. Die Frau hatte es wohl plötzlich sehr eilig gehabt, aufzulegen.

Matsue-san blickte mich mit scheinbar gemischten Gefühlen an.

"Du hast abgelehnt"

Es klang mehr feststellend, als fragend.

Ich nickte.

"Du solltest dich besser schnell umziehen, sonst erkältest du dich noch"

Das Gespräch war beendet und ich trollte mich schnell zurück in die Umkleide. Mir war ganz schön kalt, mein ganzer Körper war von einer Gänsehaut überzogen.

Bis auf Aoi war der Raum leer.

"Die anderen sind schon weg?"

Er nickte und sprach: "Sie hatten Hunger, sind in die Stadt gegangen, was zu Essen kaufen. Sie kommen erst später wieder. Ich dachte, ich warte auf dich"

"Bist du dir sicher? Oder hattest du nur einfach keinen Hunger?", antwortete ich grinsend, während ich mich durch meinen Rollkragenpullover kämpfte. Blödes Ding. Ich wusste schon, warum ich so was sonst absolut nie trug.

Sein Lachen drang durch die Fasern.

"Gar nicht wahr. Ich dachte, du willst sicher lieber, so wie ich, ein romantisches Candlelight-Dinner Zuhause haben"

Da ich mich endlich durchgewühlt hatte, konnte ich sein breites Grinsen sehen.

"Du willst mit mir zusammen kochen, Süße? Oder gar von mir bekocht werden?"

Ich schlüpfte in meinen schwarzen Mantel und knöpfte zu.

"Klingt nicht schlecht. Ich will mal wieder Italienisches. Das letzte Mal ist schon Ewigkeiten her..", antwortete er und blickte nachdenklich an die Decke, offensichtlich überlegte er gerade, wann er zum letzten Mal Spaghetti gegessen hatte.

"Dann los. Ich will den Liebesfilm danach nicht versäumen", erwiderte ich zwinkernd und zog ihn hoch.
 

"Aoi..?"

Meine Hände fest in meinen Taschen verborgen ging ich den Gehsteig entlang. Aoi befand sich neben mir.

"Ja?"

Jetzt oder nie. Wenn ich die Gelegenheit verstreichen lassen würde, dann tat ich mir später noch schwerer.

"Es tut mir leid"

Sein Kopf drehte sich zu mir. Ich konnte seinen fragenden Blick förmlich spüren.

"Was?"

"Dass ich uns die Gelegenheit versaut habe"

Es dauerte eine Weile, bis er antwortete.

"Naja.. wir sind doch Gazette und nicht Manas Hintergrundband oder?"

Das Lächeln auf seinen Lippen war ziemlich schwach.

"Nein, ich meine es ernst.. Immerhin wäre es eine Chance gewesen.."

Aoi drehte seinen Kopf wieder zurück und fixierte einen Punkt in der Ferne.

"Vergiss es. Mir ist erst danach klar geworden, dass es nicht das ist, was ich jemals wollte. Ich denke, wir können auf den Ruhm anderer verzichten. Immerhin wollen wir es selbst schaffen, oder?"

Diesmal war sein Lächeln viel herzlicher.

Ich erwiderte es.

"Ja"
 

"Gott, bin ich voll.. Deine Spaghetti stopfen enorm", seufzte Aoi hervor, während er wie eine Hochschwangere auf dem Sofa lag und seinen Bauch zum Besten gab.

"Na wenn man drei Teller isst..", gab ich schnippisch zurück.

"Es waren nur zweieinhalb"

"Der letzte Teller zählt wohl nicht als ganze Portion?", fragte ich und drehte meinen Kopf in seine Richtung, was gar nicht so einfach war, immerhin lag ich am Boden. Ich richtete mich etwas auf und stützte meinen Kopf in meine offene Handfläche.

"Nein! Ich achte auf meine Linie!", kam es von oben.

Als Antwort prustete ich los.

"Brauchst gar nicht zu lachen. Du wirst schon sehen. Ende Jahr hab ich 10 Kilogramm weniger"

"Ja in deinen Träumen vielleicht"

Mein Lachen erfüllte den ganzen Raum. Nachdem ich nicht daran dachte, aufzuhören, gab Aoi sich irgendwann geschlagen und stimmte mit ein.
 

Wochenende. Die beste Zeit zum richtig schön Ausschlafen und den ganzen Tag Faulenzen. Genau das tat ich jetzt. Mit einer Jogginghose und meinem Rollkragenpullover bekleidet fläzte ich auf der Couch herum und zappte mich durch die Programme. Da ich allein war, konnte ich das ja, ansonsten stieß ich immer auf Protest. Die anderen Vier waren in den Vergnügungspark gefahren, aber ich hatte nicht sonderlich viel Lust verspürt, bei der Kälte das Haus zu verlassen, also war ich Zuhause geblieben.

Ich nahm einen Schluck Tee und verfolgte interessiert die Reaktion einer Frau, deren Tochter man gerade umgestylt hatte. Ihr Gesicht war ganz gerötet und man konnte ihr ansehen, wie sehr sie sich freute. Manchmal konnte man Menschen mit so wenig Aufwand eine solche Freude machen, dass man sich fragte, warum man das eigentlich nicht öfter tat. Das fragte ich mich jetzt auch. Ob ich wohl Uruha das eine Playstationspiel kaufen sollte? Immerhin sprach er seit mindestens zwei Wochen davon.

Mit derartigen Fragen des Lebens beschäftigt, hörte ich die Klingel erst beim zweiten Mal. Ich setzte mich stocksteif auf und schaute auf die Uhr. Wer konnte das sein um diese Zeit? Uruha und Co. dürften wohl noch nicht zurück sein..

Blieb mir nichts anderes übrig, als nachzusehen.

Ich erhob mich und schlurfte zur Tür, öffnete sie.

Meine Augen fielen mir fast aus ihren Höhlen, während ich hastig einen Schritt zurück trat.

"W-Was machen Sie hier?"

Es kam keine Antwort.

Nach einigen Augenblicken bemerkte ich, dass ich die Person hereinbitten sollte.

Die Person, die Mana war.

Ich trat noch weiter zurück und öffnete die Tür ganz.

"Kommen Sie herein"

Er tat, was ihm angeboten wurde und übertrat die Schwelle, nicht ohne vorher zu zögern. Fünf Sekunden später wusste ich auch warum. Er hatte nicht vor, seine Schuhe auszuziehen. Wahrscheinlich hatte sein Zögern nur dem kurzen Gedanken gedient, ob die Sohlen nicht zu beschmutzt waren.

Nachdem er also mit angezogenem Schuhwerk hinter mir ins Wohnzimmer trat, machte er sich nicht die Mühe, sich umzusehen, wie es die Leute gewöhnlicherweise gerne taten.

Ich beschloss, gleich zur Sache zu kommen.

"Warum sind Sie hier?"

"Es tut mir leid"

In meiner Annahme, zu fantasieren, fragte ich einfach noch mal nach dem Grund seines Erscheinens.

"Ich wiederhole mich nur ungern", erwiderte Mana kühl.

Völlig baff klappte ich meinen Mund auf.

"Sie wollen mir doch nicht sagen, dass Sie sich auf den Weg hierher gemacht haben, nur um sich persönlich bei mir zu entschuldigen?"

Nach einem prüfenden Blick in sein Gesicht, während dem er schwieg, sprach ich weiter: "Doch.. das wollen Sie ja wirklich.."

Meine Fassungslosigkeit nahm mit jeder Sekunde zu.

"Seit wann hören Sie auf Menschen wie mich? Auf einfaches Fußvolk?"

"Fußvolk" betonte ich dabei speziell und achtete auf seine Reaktion.

"Ich werde jetzt wieder gehen", sprach er distinguiert und begann, sich auf die Haustüre zuzubewegen. Er ignorierte mich einfach!

"Rennen Sie immer davon?", rief ich ihm verärgert hinterher.

Keine Reaktion.

"Ich habe nicht gesagt, dass ich Ihre Entschuldigung annehme!"

Mana blieb stehen, drehte sich nicht um. Ob er wohl nachdachte, was er jetzt zu mir sagen sollte?

Damit lag ich scheinbar richtig; seine Worte, die er leise von sich gab, waren noch emotionsloser als sonst.

"Ich habe meinen Teil erledigt"

"Ach ja? Und ich meinen in dem Fall nicht?"

Meine Sätze gingen an Mana vorbei, er war bereits die erste Stiege hinuntergestiegen. Sauer rannte ich mit meinen Socken ins Treppenhaus hinaus und rief ihm hinterher: "Verdammt, bleiben Sie stehen! Sie haben noch nicht mal Tee getrunken!"

Hatte ich das eben wirklich gesagt?

War ja eigentlich auch egal. Mana hatte es sowieso nicht vernommen.

Unten hörte ich die Tür ins Schloss fallen.

Ich drehte mich um und ging in die Wohnung zurück.

Warum ärgerte mich das eigentlich so? Warum ärgerte es mich so, dass er mich nicht angehört hatte? Weshalb ging es immer nur um ihn?

Es klingelte.

Ich blinzelte. Wer läutete denn jetzt?

Mit einem Ruck öffnete ich erneut die Türe.

"Was..?"

Weiter kam ich nicht, denn Mana unterbrach mich mit eisiger Stimme.

"Sie wollten Tee trinken"

Langsam aber sicher zweifelte ich an meinem Verstand. Oder besser an Manas. Geschlagen gab ich den Eingang frei.

Im Wohnzimmer bot ich ihm an, sich auf das Sofa zu setzen, da ich vermutete, dass es wohl schwer gehen würde, sich mit solchen Schuhen auf dem Boden zu platzieren. Mit eleganten Schritten bewegte Mana sich darauf zu und ließ sich nieder.

Ich ertappte mich dabei, wie ich ihn kurz für sein Art, sich zu bewegen, bewunderte. Dann schlich ich in die Küche und kam mit Teetassen und einer Teekanne zurück.
 

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Was tat man in so einer Situation? Wie unterhielt man mit jemandem, mit dem man sich bis jetzt nur gestritten hatte? Der sich selbst zum Mittelpunkt machte? Der in der Regel kein Wort von sich gab?

"Hatten Sie einen schönen Tag heute?", fing ich also in die Stille an. Zwar ein jämmerlicher Versuch, aber besser als nichts.

Mana nickte.

Ich ebenfalls.

"Schön.. Dann haben Sie sicher auch ausgeschlafen?"

Die selbe Reaktion. Auch gut, wenn er auf Stummfilm bestand..

"Haben Sie heute schon etwas unternommen?"

Keine Veränderung der Antwort.

"Hat sicher Spaß gemacht, oder?"

Er nickte schon wieder.

"Wenn man so viel Zeit hat", ich lachte kurz, hörte mich dabei sehr gekünstelt an und fuhr fort: "Sicherlich haben Sie morgen auch schon etwas vor. Es soll morgen Sonnenschein haben, dann kann man vielleicht spazieren gehen und sich die Bäume ansehen. Sie sind schön, wenn sie so bunt sind"

Manas gewohnte Antwort kam, allerdings schüttelte er dann den Kopf.

"Nein. Ich habe morgen nichts vor. Ich habe heute nichts gemacht. Ich bin um 6:00 Uhr aufgestanden und habe mich seither gelangweilt. Mein Tag war nicht im geringsten schön. Die Bäume habe ich schon lange nicht mehr betrachtet, weil es niemanden gibt, mit dem ich das machen könnte"

Er erschrak, führte seine Hand zum Mund und erhob sich dann hastig.

Ich konnte den gehetzten Ausdruck in seinen Augen sehen, als er tonlos "Ich muss jetzt gehen" von sich gab und sich ohne meine Antwort abzuwarten umdrehte.

"W-Warten Sie!", schrie ich ihm hinterher.

Aber er war schon aus der Wohnung gehastet und auf dem Weg zur unteren Eingangstüre.

Sie fiel ins Schloss.

Die Schritte hallten noch lange in meinem Kopf wieder. Panisch, wie sie gewesen waren.

~~~+~~~

Über Dankbarkeit oder Stolz ist eine Tugend

Ich stützte meinen Kopf auf die Knie.

Er hatte etwas erzählt, was er nicht erzählen hatte wollen. War es ihm herausgerutscht? Weil es schon viel zu lange in seinem Kopf festsaß?

Mana war so verstört gewesen.. Für einen ganz kurzen Moment war vielleicht genau das ans Tageslicht gekommen, was er in seiner persönlichen Nacht verbarg.

Seit es geschehen war, hatte ich hin und herüberlegt, ob ich Mana aufsuchen sollte. Einerseits war mir danach, der Sache auf den Grund zu gehen, andererseits; wer war ich da? Was bildete ich mir ein? Dass ich Psychotherapeut war?

Er hatte furchtbare Angst gehabt..

Vielleicht sollte ich ja doch zumindest nachfragen gehen, ob er gut nach Hause gekommen war?

Nein. Das war entschieden nicht meine Angelegenheit. Es ging mich nichts an, was dieser eingebildete Schnösel in seiner Freizeit tat. Und schon gar nicht, was er fühlte. Oder in seinem Fall nicht fühlte.

Aber ich hatte ihm noch nicht gesagt, ob ich seine Entschuldigung angenommen hatte..

"Ruki-chan?"

Ich linste zu der Stimme hoch.

"Du bist heute so abgelenkt.. Ist alles in Ordnung?"

Aois sorgenvoller Blick traf mich.

Ich zögerte einen Moment, dachte kurz über den mir eben gekommenen Gedanken nach, dann beschloss ich, es einfach zu tun. War eh schon so lange seit dem letzten Mal her..

"Komm mal etwas näher.. Du hast das was"

"Wo?", erwiderte mein Freund und tastete sich ab, während er sich zu mir herunterbeugte.

Ich antwortete nicht, schlang meine Arme um seinen Hals und zog ihn zu mir hinab.

Perplex ließ er sich auf mich fallen.

"Ah, ich wusste schon gar nicht mehr, wie du dich anfühlst", nuschelte ich leicht lachend an sein Ohr.

Aoi lächelte etwas verlegen und legte seine Arme um mich.

"Ganz schön lange her, seit ich dich das letzte Mal im Arm hatte. Du bist dünner geworden", flüsterte er.

"Gar nicht wahr", antwortete ich und drückte ihn etwas fester.

Dann ließ ich ihn los.

Er rappelte sich auf und streckte mir grinsend seine Hand hin.

"Komm, die Pause ist vorbei. Die Arbeit ruft"
 

Wir verließen das Set um Punkt 18:00. Unser heutiger Arbeitstag war ziemlich lange gewesen. Dafür würden wir die folgende Woche etwas Pause haben.

Als die anderen gerade den Heimweg antreten wollten, hielt ich inne.

"Geht schon mal vor. Ich hab' noch was zu erledigen. Es kann vielleicht spät werden"

Damit ging ich zielstrebig in die andere Richtung davon.

Verdammt, es war schon sehr spät; ob er wohl noch da war? Zu 99,99 Prozent wohl nicht. Aber vielleicht bekam ich ja seine Adresse von der Empfangsdame..

Bei dem Gedanken an diese Frau revidierte ich meinen Optimismus; nein, ich würde nie und nimmer seine Adresse bekommen.

Trotzdem marschierte ich weiter und erreichte schlussendlich um einiges schneller als beim letzten Mal Manas Bürokomplex.

Zögerlich betrat ich das Gebäude, es war noch offen.

Als ich zum Empfangszimmer kam, war die Frau nicht da. Was nicht hieß, dass sie etwa auf dem WC gewesen wäre, sondern sie musste bereits zu Hause sein, denn ihre Unterlagen waren fein säuberlich weggeräumt worden und der PC war ausgeschalten.

Ich musterte die Uhr hinter dem Schreibtisch.

19:00

Nach ein paar Sekunden zuckte ich mit den Schultern, so konnte ich wenigstens ohne Erklärungen zum Büro gehen. Allerdings sanken meine Chancen, ihn anzutreffen nun auch um einiges.

Langsam tappte ich den Flur hinab und stand schließlich vor der Glastür.

Obwohl ich wusste, dass auch wenn er da gewesen wäre, niemand geöffnet hätte, klopfte ich.

Natürlich kam kein Laut von innen, dafür glaubte ich, Licht zu sehen.

Licht?

Ich beschloss, es zu wagen, drückte die Türklinke herunter und schob das gewaltige Glasteil auf.

Er war da.

Ich trat vollkommen herein und sah, dass Mana regungslos am Fenster stand.

Mit einem Male fühlte ich mich plötzlich sehr unwohl, wie wenn man vorhatte, einen Toten bei seiner Ruhe zu stören. Bereits im Begriff umzudrehen, wandte sich seine schlanke Gestalt mir zu.

Er gab nicht den leisesten Ton von sich, aber sein Blick schien mich zu durchlöchern.

Ich suchte nach passenden Worten.

"Ich.."

Meine Finger verkrampften sich in meinen Manteltaschen.

"Ich nehme Ihre Entschuldigung an"

Mana rührte sich nicht.

Die Stille war erdrückend, ich hatte das Gefühl, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Enttäuschung über seine Reaktionslosigkeit schlich sich in mir hoch und verbreitete sich wie Gift in meinem Körper. Warum sagte er nichts?

"Sind Sie gestern noch gut nach Hause gekommen?"

Meine innere Resignation wurde immer größer, umso mehr Sekunden ohne Antwort verstrichen.

"Warum Sind Sie hier?"

Damit hatte ich nicht gerechnet. So wie ich nie mit seinen Fragen rechnete.

"Wollen Sie die höfliche oder die ehrliche Antwort hören?", erwiderte ich seltsam leise.

Die Stimme, mit der ich sprach, hörte sich verloren in diesem Raum an, als würde ihr die Stille jede Konsistenz entziehen.

Natürlich zeigte er auch darauf keine Reaktion.

"Ich wollte sehen, ob es Ihnen gut geht"

"Warum?"

Nicht, dass man irgendwelche Emotionen von ihm hören hätte können, aber es schwang etwas Verwunderung mit, wie ich fand.

"Verdrängen Sie immer alles? Haben Sie immer Angst davor, Gefühle zuzulassen?"

Manas Gesicht blieb starr.

"War es so schlimm gestern, mir von ihrem Leben zu erzählen? Davon, was sie denken?", redete ich weiter.

"Sie sollten jetzt gehen"

Mit einem leichten Schwung hatte er sich umgedreht und seinen Körper wieder dem Fenster oder dem Ausblick, der sich bot, gewidmet.

"Sie schicken mich schon wieder fort. Sie schicken mich andauernd fort. Finden Sie nicht, es wäre weniger umständlich, mich nicht rauszuwerfen und sich damit die Entschuldigung danach zu ersparen?"

"Sie sollten jetzt wirklich gehen", kam es ruhig von ihm.

Es beschlich mich das Gefühl, dass die Stimme bedeutend leiser geworden war.

"Dann entschuldigen Sie sich wieder morgen bei mir? Oder schicken Sie lieber wieder Ihre Brigade vor, damit Sie Ihr Gesicht wahren, allem aus dem Weg gehen können?"

Ich ließ nicht locker, wenn ich mich einmal in etwas reingeredet hatte, war ich nicht so schnell zu verscheuchen.

"Bitte verlassen Sie dieses Haus", antwortete Mana gepresst.

Irrte ich mich, oder schwankte er dabei?

Einen Moment später wusste ich, dass ich richtig gesehen hatte.

Mana kippte einfach um. Wie ein gefällter Baum schlug er kerzengerade auf dem Boden auf.

Vor Schreck nahm ich einen gewaltigen Satz nach vorn und ließ mich an seiner Seite nieder.

"Mana-san, Mana-san!"

Mit heftig klopfendem Herzen tätschelte ich an seinen Wangen herum. Sie waren schrecklich kalt.. Und die Augen schauten starr in die Höhe. Als ich mich über ihn beugte, hätten sie mich direkt sehen müssen, aber der Blick darin war in weite Ferne gerichtet. Er erkannte mich nicht. Scheinbar war er bewusstlos.

Mana war bewusstlos und das Haus vollkommen leer. Ich zwang mich dazu, Ruhe zu bewahren und versuchte, mich an die Notrufnummer zu erinnern.

Das Telefon auf dem Tisch sehend, richtete ich mich hastig auf und wählte so schnell es ging die Nummer. Mit zittrigen Händen gab ich ihnen die Adresse durch, während ich Mana weiterhin im Blickfeld hatte.

Sie versprachen gleich zu kommen.

Ich sank erneut neben Mana auf den Boden und fühlte seinen Puls. Wenigstens war der noch da.. Wenn auch sehr schwach. Nach kurzem Überlegen zog ich meinen Pullover aus und wickelte Manas Oberkörper so gut es ging darin ein.

Während ich hoffte, dass die Sanitäter schnell kommen würden, fühlte ich erneut seine Körpertemperatur und stellte erschrocken fest, dass er immer kälter wurde. Was sollte ich tun? Schnell sprang ich auf und durchsuchte hektisch diverse Schubläden und Schränke, die sich im Zimmer befanden, nach Decken oder dergleichen ab.

Nichts.

Absolut nichts.

War man hier denn gar nicht ausgerüstet?

Verdammt noch mal!

Ich tat das Einzige, was mir einfiel: ich legte mich halb auf ihn drauf und rubbelte an seinen Armen. Vielleicht konnte ich ihn ja mit meinem Körper etwas warm halten.

Warum war der Herzschlag bloß so schwach?
 

"Sie können hier bleiben"

Die Sanitäter hatten mich Gott sei Dank gefunden und Mana schnellstens in einen Krankenwagen abtransportiert. Der junge Mann, der sich jetzt an mich richtete, schien nicht gerade begeistert, als ich protestierte und sagte, dass ich mitfahren wolle, aber er brachte mich auch nicht davon ab.

Fünf Minuten später waren wir im Krankenhaus. Man schickte mich an, in der Empfangshalle zu warten.

Ich setzte mich auf einen der orangefarbenen Stühle.

Orange.

Wie konnte man die Stühle bloß in dieser Farbe gestalten?

Wahrscheinlich, um davon abzulenken, dass er hier herinnen so trostlos war.

Ich betrachtete die gegenüberliegende Wand. Oder zumindest war es das, wonach ich den Anschein machte. Genau genommen starrte ich durch sie hindurch. In meinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander von Gedanken, alle tanzten sie wild herum und kamen einfach nicht zur Ruhe. Ich bemühte mich, sie zu ordnen.

Mana war mir vor die Füße gefallen. Er war ganz kalt gewesen. Sein Blick noch starrer, als zuvor. Mana verbarg irgendetwas. Ich war im Krankenhaus.

Ich war im Krankenhaus.

Verdammt, ich war im Krankenhaus! Was war bloß los? Warum häuften sich momentan die unangenehmen Ereignisse? Hatte ich irgendeinen Vertrag dafür abgeschlossen und ich wusste es nur noch nicht?

Jemand klopfte mir auf die Schulter.

Ich erschrak, zuckte dabei zusammen.

"Herr.."

Der Arzt, der vor mir stand, schien offenbar nicht zu wissen, wie er mich ansprechen sollte. War ja klar, noch lief ich nicht mit einem auf die Stirn gepappten Schild "Ruki" durch die Welt.

"Ruki. Ich heiße Ruki"

Man konnte ihm seine Erleichterung ansehen.

"Sind Sie ein Angehöriger des Patienten?", fragte er mich und musterte mich dabei.

Irgendwann einmal hatte ich gehört, dass wenn man nicht zur Familie gehörte, man gewisse Patienten nicht einmal besuchen durfte. Genau das kam mir jetzt wieder in Erinnerung und ich beeilte mich zu nicken. Momentan schien ich sowieso dauernd Notlügen benutzen zu müssen, ob ich jetzt noch einmal mehr die Unwahrheit sagte oder nicht spielte auch keine Rolle mehr..

"Dann folgen Sie mir bitte", antwortete er und ging dabei schon Richtung Krankenzimmer davon.

Schnell folgte ich ihm

"W-Was hat.." Ich zögerte.

"..mein Bruder..?"

Der Arzt drehte sich nicht um.

"Einen Schwächeanfall mit darauffolgendem Schock. Sie haben richtig gehandelt, Ihr Bruder kann dankbar sein, dass Sie so schnell geschalten haben"

Ein harter Kloß bildete sich in meinem Hals. Ein Schwächeanfall? Ein Schock? Das kam doch nicht von ungefähr..

"Und wie geht es ihm jetzt?", sprach ich leise weiter. Das Gebäude schien mich dazu zu zwingen, meine Lautstärke auf ein Minimum zu reduzieren.

"Er schläft im Moment. Es wird wahrscheinlich noch dauern, bis er aufwacht. Er wird viel Ruhe brauchen, keine Arbeit für mindestens zwei Wochen. Ihr Bruder braucht eine Auszeit, der Schwächeanfall ist wahrscheinlich stressbedingt. Hatte Ihr Bruder viel Stress in letzter Zeit? Vielleicht auch emotionaler Art?"

Ich klappte meinen Mund auf, aber es kam nichts. Mana war mir ein Buch mit sieben Siegeln, woher sollte ich da wissen, was in seinem Leben vorgefallen war? Arbeit schien er nicht sonderlich viel zu haben, aber was sein Seelenheil anging.. Da hatte ich meine Zweifel. Nicht umsonst hatte er vor ein paar Tagen so merkwürdig reagiert. Aber wann reagierte Mana nicht merkwürdig? Gab es überhaupt einen Moment, wo ich mich nicht über ihn und seine Art gewundert hatte?

Der Doktor schien mein Schweigen ganz falsch zu deuten.

"Es macht nichts, wenn Sie noch nicht darüber sprechen können.. Machen Sie sich keine Sorgen.. Ihrem Bruder wird es bestimmt bald besser gehen.."

Wir erreichten das Zimmer und ich betrat hinter ihm den Raum. Es war ziemlich dunkel, das einzige Licht fiel von den Laternen der Straßen herauf und hinterließ einen seltsam verzerrten Schatten an der Wand.

"Ich lasse Sie jetzt alleine.. Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie mich"

Damit verließ er uns und schloss leise die Türe.

Zuerst stand ich etwas unschlüssig in der Mitte des Zimmers, dann entschloss ich mich nach einigen Momenten, mir den Stuhl aus dem Eck zu holen und mich neben das Bett zu setzen.

Mana lag wie erschlagen in dem Bett, kraftlos hingen seine Arme in den Federn. Ich betrachtete seinen zugedeckten Körper und sah, dass sich sein Brustkorb langsam hob und senkte.

Niemand hatte ihn abgeschminkt. Die Lippen waren immer noch dunkelblau. Fast wie wenn er lebendig tot wäre, schoss es mir durch den Kopf.

Nach kurzem Zögern ging ich in das eigens für das Zimmer eingerichtete Bad und holte ein Tuch, dass ich nass machte.

Ohne wirklich zu wissen, was ich da tat, wischte ich Manas Lippenstift weg, berührte so sanft wie möglich seine Augen, um das Augenmake-up zu entfernen. Es kostete mich einige Mühe, bis sein Gesicht vollkommen von dem ganzen kleisterartigen Zeug befreit war und ich auf das sehen konnte, was wirklich er war.

Seine Lippen waren schmaler und die Augen nicht derart groß.

Er war viel schöner, wenn er ungeschminkt war. Ich war mir sicher, dass Mana jemand war, der nicht auf derartige Worte hören würde.

Und während ich da saß und seinen gleichmäßigen Atemzügen zuhörte und dabei sein Gesicht betrachtete, fing ich an, zu sprechen.

Zuerst verstummte ich gleich wieder, zu laut erschien mir meine eigene Stimme in der Stille. Dann flüsterte ich jedoch weiter.

"Was verbirgst du bloß..? Hat dir jemand weh getan, dass du so geworden bist?"

Für eine Weile war ich wieder leise.

"Weißt du, wenn mich jemand verletzt, dann wehre ich mich. Ich denke, man sollte so was nicht auf sich sitzen lassen. Ich meine, wenn man nichts sagt, weiß es der andere ja nicht, oder? Eigentlich ganz logisch.. Du solltest echt sagen, was du denkst.. Und nicht zu sprechen, ist sicher auch keine Lösung.. Zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass man auf Dauer glücklich wird. Nein, ganz bestimmt nicht.."

Irgendwann war ich eingeschlafen, hatte meinen Kopf auf meine Arme gelegt.

Dass der Arzt noch einmal herein kam und dann nach einem flüchtigen Blick das Zimmer wieder verließ, hatte ich nicht bemerkt.
 

Ich blinzelte, hob zaghaft meinen Kopf.

"Au"

Ein heftiger Schmerz kam von meinem Nacken. Somit senkte ich ihn gleich wieder und ließ einige Sekunden verstreichen, bis das Pochen sich etwas beruhigt hatte. Dann versuchte ich es erneut mit zusammengebissenen Zähnen.

Verdammt, tat das weh.. Das war nicht gerade die Art von angenehmen Aufwachen, die ich bevorzugte.

Wo war ich eigentlich?

Nach einigen schnellen Seitwärtsblicken (mein Hals dankte es mir mit einer erneuten Schmerzsalve), erkannte ich, dass ich mich offensichtlich in einem Spital befand.

Es dauerte nicht lange, bis mir alles wieder einfiel. Leider ließ mich die Tatsache, dass meine Freunde wahrscheinlich jetzt gerade halb krank vor Sorge waren, mich noch schneller wach werden, als es mein Hals getan hatte. Ich musste sie anrufen. Aber hier in seinem Zimmer..

Mit kurzem Zögern betrachtete ich Mana, der immer noch schlief, dann mein Handy. Ich entschied mich für das Handy und außerdem einen Kaffee.

Schnell schlüpfte ich aus dem Zimmer und wählte die Nummer von Aoi. Zu der Zeit wusste ich noch nicht, dass es erst sechs Uhr war.

Eine verschlafene Stimme meldete sich.

"Hallo..?"

"Aoi? Aoi bist du da? Hier ist Ruki"

Bei der Erwähnung meines Namens war mein Freund plötzlich hellwach und ratterte eine Reihe von Sätzen ins Telefon.

"Wo bist du? Verdammt, wir haben uns Sorgen gemacht!! Du kannst doch nicht einfach nicht nach Hause kommen, ohne etwas zu sagen! Was tust du?"

Ich schrumpfte merklich unter seiner Wucht zusammen.

"Ich bin im Krankenhaus.. Ich kann aber im Moment nicht sprechen.. Bitte seid nicht böse. Ich komme nach Hause sobald es geht! Macht euch keine Sorgen, mir geht es gut. Ehrlich"

"Du hast gut reden", schnaubte er. "Pass' auf dich auf"

Damit legte ich auf.

Etwas erleichtert schloss ich kurz die Augen und machte mich dann auf die Suche nach einem Kaffeeautomaten. Am Ende des Gangs befand sich einer. So steuerte ich auf ihn zu und ließ mir erneut Gedanken durch den Kopf gehen, während das heiße Gebräu in den Plastikbecher floss.

Was tat ich hier eigentlich? Saß am Bett eines wildfremden Mannes, mit dem ich mich nicht einmal verstand, schlief bei ihm ein, und dachte auch jetzt noch nicht mal daran, ihn zu verlassen und nach Hause zu gehen. Irgendetwas lief hier in ganz seltsamen Bahnen..

Ich seufzt leise und ging zurück in Manas Zimmer.

Die Veränderung war gleich zu bemerken.

"Sie sind wach", sagte ich beim Anblick des aufgerichteten Körpers im Bett und erstarrte dabei in meiner Bewegung.

Mana drehte sich mir zu. Er fragte mich nicht, was vorgefallen war. Ob ihm das sein Stolz verbot?

"Soll ich eine Krankenschwester rufen?"

Sein durchdringender Blick ließ mich den Gedanken schnell verscheuchen.

Stattdessen setzte ich mich zurück auf meinen Stuhl und nahm einen Schluck meines viel zu heißen Kaffees, der ohnedies auch noch bitter war.

"Möchten Sie auch einen Kaffee?"

Ich impfte mir ein, mich nicht über ihn zu ärgern, da er ja noch ein Patient war. Er brauchte Mitgefühl und keine Wut, so dachte ich.

"Warum Sind Sie hier?"

Manas Stimme war derart eisig, dass es mir schien, als würde die Temperatur meines Kaffees innerhalb von Tausendsteln auf den Nullpunkt zusinken. Dass die Aussage wie ein Vorwurf klang, ließ Verärgerung in mir hoch kriechen.

"Ich habe Sie hierher gebracht"

"Warum sind Sie dann noch hier?", erwiderte Mana.

"I-Ich.."

Ich verstummte. Darauf wusste ich keine Antwort.

"Ich will Sie nicht sehen", kam es arroggant von ihm zurück.

Das schlug dem Fass echt den Boden heraus. Mein guter Vorsatz war Geschichte.

Mit einem Satz sprang ich vom Stuhl auf, warf ihn dabei um.

"Was denken Sie eigentlich, wer Sie sind? ICH habe Ihnen meinen Pullover umgewickelt! ICH habe die Rettung angerufen, als Sie mir vor die Füße gefallen sind! Und ICH habe mich auf Sie gelegt, um Sie zu wärmen, als Ihre Temperatur plötzlich sank! Und jetzt machen SIE MIR Vorwürfe? SIE wollen mich nicht sehen, hm? Was wäre gewesen, wenn ICH Sie nicht sehen hätte wollen, als sie ohnmächtig wurden? Sie können mich mal! Sie blödes Arschloch!"

Ich knallte die Tür zu.

Und schon wieder hatte ich ihn Arschloch genannt.

~~~+~~~
 

[Anmerkung]
 

Da bin ich wieder.

Viel gibt es eigentlich nicht zu sagen; Mana und Ruki giften sich nur an =_= Ich bin ma gespannt, ob ich das hinbekomm, dass sie sich mal näher kommen ^^"

Rosen im Regen

"Waaaas?"

Uruha klappte die Kinnlade herunter.

"Er hat dich aus dem Krankenzimmer geworfen?? Das ist doch nicht normal!"

Ich nickte wütend und zerquetschte dabei ein Fleischstückchen mit einem meiner Stäbchen.

Armes Fleischstück.

"Das ist ja wohl echt die Höhe..", murmelte auch Reita, mir gegenüber am Tisch sitzend.

Aoi pflichtete ihm bei und gab dabei grollend von sich: "Ruki-kun, der hat es nicht verdient, dass du ihm das Leben gerettet hast"

Kai fragte, ob wir noch Nachschlag wollten.

Nachdem ich schnurstracks nach Hause gelaufen war - vor lauter Zorn war ich den ganzen, langen Weg in einem Zug getigert - hatten mich die anderen in Empfang genommen. Kai hatte gekocht, weil mein Magen sich lautstark gemeldet hatte. Kein Wunder, wenn man so lange nichts gegessen hatte. Jetzt saßen wir alle um den niedrigen Wohnzimmertisch und steckten unsere Stäbchen in die kleinen Schüsselchen.

Wegen der Wut auf Mana, ging die Tatsache, dass ich nicht angerufen und Aoi deswegen schlecht geschlafen hatte, weil er sich gesorgt hatte, unter. Froh darüber, konnte ich mich ganz dem Auslassen über Manas absolut inakzeptables Verhalten widmen. Vier Menschen unterstützten mich dabei.
 

Es regnete. Gott sei Dank hatte es erst begonnen, nachdem ich Zuhause angekommen war. Ich hasste nichts mehr, als mit pflatschnassen Haaren herumzurennen. Es war ein derart unangenehmes Gefühl, wenn Regentropfen in den Kragen rannen, dass ich es lieber vorzog, diverse Kappen, Hüte und Schirme zu tragen. Natürlich alles auf einmal, versteht sich.

Heute waren wir mit unserem Video fertig geworden und ein befreiendes Gefühl begleitete mich nun seit ich das Firmengebäude verlassen hatte.

Ich räkelte mich auf dem Sofa und streckte meine Hände in die Luft. Was wollte ich jetzt tun? Ich hatte immerhin die ganze Wohnung für mich, da meine Freunde essen gegangen waren. Meinereiner hatte natürlich mittags sämtliche Lunchboxen gefuttert, deshalb war mir mehr schlecht als sonst was, bei dem Gedanken, schon wieder etwas in mich hinein stopfen zu müssen.

Ich schaltete den Fernseher an und nach fünf Sekunden wieder aus, erhob mich von der Couch und trat ans Fenster. Eine Weile blickte in das wohltuende Dunkel, genoss es dabei, einfach nichts tun zu müssen. Eine Woche Ferien war angesagt!
 

Irrte ich mich, oder war die Gestalt, die jetzt unter der Laterne stand, vor ein paar Augenblicken noch nicht da gewesen? Sie trug einen großen Hut mit breiter Krempe, so dass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. Mit dem Rücken zum Licht gewandt, zeichnete sich ihr Schatten gespenstisch lang auf dem dunklen Boden ab. Sie hatte den Kopf gehoben und blickte in meine Richtung.

Ja klar. Ich kniff die Augen zusammen, schaute erneut hin. Die schmale Person auf der anderen Straßenseite hatte mich oder zumindest mein Fenster wirklich im Visier.

Der Regen ging in Strömen, der Mantel der Gestalt musste demzufolge schon völlig aufgeweicht sein.. Warum hatte dieser Mensch keinen Schirm bei sich?

Wirklich merkwürdig. Mit einem mulmigen Gefühl wandte ich mich ab und stand etwas unschlüssig mit dem Rücken zum Fenster. Sollte ich etwas hinunter rufen?

"Nein! Vielleicht ist das ein Perverser", war mein erster Gedanke, der mich davon abhalten wollte.

Die Gegenpartei ergriff augenblicklich das Wort.

"Ja und Perverse können einen auch von da unten herauf vergewaltigen. Durch die Luft. Das nennt man BESTÄUBUNG"

Mein Sarkasmus wrang mir ein Grinsen ab. Ich drehte mich wieder um.

Sie war immer noch da, röntgte mich und mein Fenster mit ihrem Blick.

Mit einem Ruck öffnete ich den Hebel und schob das Fenster auf.

"Hallo!"

Freundlichkeit konnte nicht schaden.

Es kam keine Antwort.

Natürlich. Wahrscheinlich hielt mich jetzt diese Person für gestört; immerhin sprach man nicht einfach mit Menschen auf der Straße, vor allem nicht, wenn diese sich offensichtlich suspekt benahmen.

Egal. Ich wollte trotzdem höflich sein.

"Benötigen Sie vielleicht einen Schirm?"

Dass die Person kein Wort erwiderte, hätte ich mir denken können. Vielleicht war es ihr peinlich, mein Angebot anzunehmen.

Also schloss ich das Fenster, flitzte in die Diele und schlüpfte in meine Schuhe. Dann schnappte ich mir zwei Regenschirme und rannte die Treppe hinunter. Draußen angekommen, spannte ich meinen Regenschutz auf und stellte mich darunter, ging dabei auf den Menschen zu, der sich immer noch am gleichen Fleck befand. Regungslos.

"Ein Regenschirm..", sprach ich, während ich mich auf ihn zu bewegte. Irgendwie beschlich mich ein seltsames Gefühl.. Ich konnte es noch nicht genau orten, aber etwas war da.

Als ich vor der Gestalt stehen blieb, wusste ich was.

Der Ärger, der mich immer begleitete, wenn ich es mit Mana zu tun hatte, war mir die ganze Zeit fast ins Gesicht gesprungen und ich hatte es nicht bemerkt.

"Du", presste ich mit wachsender Wut zwischen meinen Lippen hervor, wich dabei wieder einen Meter zurück. "Was willst du hier?"

"Sie sehen", erwiderte Mana leise. Ich konnte keinen kühlen Unterton hören.

Meine Hände verkrampften sich um den Schirmgriff, während meine Worte sich fauchend ihren Weg aus dem Mund bahnten. Auf den Inhalt seines Satzes achtete ich gar nicht.

"Warum bist du nicht im Krankenhaus?"

"Ich wurde in mein Haus verlegt"

Wasser tropfte von seinem Ärmel auf den Boden.

"Weshalb willst du mich jetzt sehen? Davor warst du es auch leid!", murrte ich zurück.

Er musste gar nicht meinen, dass er sich schon wieder bei mir entschuldigen konnte, er sollte endlich mal beginnen, zuerst zu denken, und dann zu handeln.

"Sie haben mich nicht fertig angehört. Ich wollte Sie nicht sehen in meinem damaligen Zustand"

Meine ganze, schön aufgebaute Wand aus Zorn auf ihn, brach mit einem Schlag zusammen.

"War es dir peinlich?", gab ich ohne nachzudenken von mir.

Zur Antwort drehte Mana seinen Kopf etwas weg, wich auf höfliche Weise meinem forschenden Blick aus.

"Nein, das glaub' ich jetzt nicht.. Du bist dermaßen stolz?"

Das eben Gehörte war so grotesk, dass ich laut gelacht hätte, wenn mir nicht nach Heulen zumute gewesen wäre. Ich hatte ihm diesmal vollkommen Unrecht getan..

"Es tut mir leid.. für das ,Arschloch'..", sagte ich kleinlaut und sah ihn dabei nicht an.

"Dürfte ich mich kurz unter Ihren Schirm stellen?"

Seine Stimme platzte in die Stille. Ob das wohl hieß, dass er meine Entschuldigung angenommen hatte?

Schnell trat ich an Mana heran, stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihm genug Platz unter dem Schirm geben zu können. Er nahm seinen Hut ab - einer dieser altmodischen Teile, die mir wie aus dem vorigen Jahrhundert erschienen - und drehte ihn um, damit das Wasser von ihm herunterfließen konnte. Seinen schwarzen Mantel ließ er unverändert.

"Wollen Sie einen Tee? Wenn Sie hier stehen bleiben, erkälten Sie sich. Eigentlich sollten Sie doch im Bett sein.."

Mana nickte, setzte sich seine Kopfbedeckung mit einer eleganten Bewegung wieder auf.
 

"Ich hänge den Mantel ins Badezimmer..", nuschelte ich zu ihm. "Sie können schon mal vorgehen.."

Ich drehte mich nicht um, hörte aber, dass er ohne mein Beisein seine Schuhe auszog.

Manas Jacke war ungewöhnlich schwer, sie zog meine Arme förmlich auf den Boden zu. Als ich sie an dem Haken befestigte, streifte meine Nase das Futter.

Es roch nach Rosen.

~~~+~~~

Dekadenz ward der Menschheit gegeben

Ich wuselte in die Küche, setzte Wasser auf. Dann tappte ich zurück ins Wohnzimmer.

„Ist Ihre Kleidung auch feucht?“

Mit einem fragenden Blick musterte ich Manas weiße Bluse, die an gewissen Stellen nass zu sein schien. Erwartungsgemäß kam keine Antwort, stattdessen schaute er in eine andere Richtung. Ein Anflug von Ärger überkam mich. Wie konnte man nur so aroggant sein?

Trotzdem sagte ich, dass ich ihm einen Pullover von mir holen würde. Ob ihm das in den Kram passte, wusste ich nicht, da Mana es vorzog, weiterhin zu schweigen.

Ich zuckte mit den Schultern und ging zu meinem Schrank, suchte das größtmögliche Sweatshirt heraus. Irgendwie war ich mir sicher, dass der feine Herr es nicht anziehen wollte, aber ich hatte mir verbissen vorgenommen, ihn einfach dazu zu zwingen. Wenn man nass herumhockte, erkältete man sich nur.

„Hier. Das Bad ist dort hinten. Wenn Sie ein Handtuch brauchen, einfach aus dem Schrank nehmen“, sagte ich und streckte ihm das Kleidungsstück entgegen.

Mana musterte mich wie gewohnt mit eisigem Blick und erwiderte nach einem Moment der Stille: „Ich ziehe mich nicht um“

Ach ja? Er wusste wohl nicht, mit wem er sich da einließ.

„Doch, das werden Sie. Und wenn ich Sie eigenhändig da rein zwängen muss. Ich will nicht, dass Sie krank werden; ihr Schwächeanfall vom letzten Mal hat mir vollkommen genügt“

Offensichtlich hatte ich damit einen wunden Punkt getroffen, denn seine Stirn zuckte für einen Augenblick bedrohlich, bis er tatsächlich aufstand und mit dem Pullover im Badezimmer verschwand.

Na also. Man musste nur Nägel in Wunden drücken.
 

„Sieht schick aus..“

Leise lachend, während ich mich umgedreht hatte, beobachtete ich Mana, wie er langsam auf mich zukam.

Ich hätte schwören können, dass sich seine Aura rund um ihn um zehn Nuancen verdüsterte.

Das Shirt war ihm an den Armen etwas zu kurz, aber ansonsten hätte es ihm fast gestanden, wenn es nicht ein absoluter Stilbruch gewesen wäre.

„Mögen Sie Jasmintee?“, murmelte ich, als Mana sich mir gegenüber hingesetzt hatte.

„Ja“

Seine Lippen waren schön, wenn er sprach.

„Ich liebe ihn“, nuschelte ich weiter, am heißen Getränk nippend. „In letzter Zeit trinke ich beinah vier Tassen am Tag“

Mit einer höflichen Sorgfalt nahm er seine Tasse in die Hand, drehte sie etwas und nahm einen kleinen Schluck, stellte sie wieder ab.

Eines musste man Mana lassen; so sehr er eingebildet und kühl war, so sehr war er auch kultiviert. Jeder besaß wohl seine guten Eigenschaften..

„Haben Sie viel Stress?“

Der Satz rutschte mir einfach heraus, als er gesprochen war, hätte ich mir am liebsten auf die Lippen gebissen. Aber gesagt, war gesagt.

Ich erwartete keine Antwort, bekam jedoch eine.

„Ich habe Vieles zu organisieren“

Derart ermuntert, begann ich mich mehr zu trauen, hakte nach.

„Und was arbeiten Sie? Was machen Sie den ganzen Tag?“

Es dauerte eine Weile, bis Mana weitersprach.

„Ich kümmere mich um Geschäfte“

Das Wort „Geschäfte“ hörte sich seltsam an. Ob es wohl eine Doppelbedeutung hatte?

„Der Arzt hat zu mir gesagt, dass Ihr Anfall wegen des Stresses sei. Er meinte, es könne auch emotionaler Stress sein..“

Für einen flüchtigen Augenblick glaubte ich, ein Flackern in Manas Augen zu sehen. Es erlosch zu schnell, als dass ich es genauer definieren hätte können.

„Ich habe keinen emotionalen Stress“, gab er kalt zurück.

Dass seine Worte das genaue Gegenteil von ihrem Inhalt bei mir auslösten, verschwieg ich lieber.

„Warum wollten Sie mich eigentlich sehen?“

Wenn ich schon heikle Themen ansprach, dann konnte ich hiermit gleich fortfahren; vielleicht sprach er ja noch einen Satz mehr heute?!

Mana ließ sich aber keine Emotionen, die vielleicht Ausschluss über ihn gegeben hätten – wie ich erhofft hatte – anmerken, als er sprach: „Es hatte keinen bestimmten Grund“

„Wollen Sie heute hier bleiben?“

Was ich sagte, kam mehr aus einem inneren Impuls heraus. Ich hätte nicht einmal erklären können, warum mir diese Aussage in genau diesem Moment als richtiger, als alles andere erschien.

Mana war wirklich überrascht. Vielleicht hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben so etwas wie eine Regung in sein Gesicht gezaubert. Und von Zaubern konnte man in seinem Zusammenhang ohne Bedenken sprechen. Sein Starren war deshalb nicht minder intensiv, ich schrumpfte förmlich unter seinem Blick auf die Größe eines Zwerges zusammen, obwohl meine Frage eigentlich nicht so gemeint war, wie man sie hätte deuten können. Ich brauchte also nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben. Trotzdem fühlte ich mich, als Mana mich derart durchdringend musterte, wie ein fremdes Objekt von einem anderen Stern. Und vor allem, als ob ich einen Fehler gemacht hätte.

„Wie kannst du so etwas sagen?“, kam es ehrlich fragend von ihm.

In seiner Perplexität hatte er wohl tatsächlich vergessen, mich mit „Sie“ anzusprechen.

Jetzt brauchte ich wohl einen Grund, für meine Spontanaktion. Meine Augen streiften das Fenster und die unförmige, schwarze Masse draußen. Der Regen trommelte noch immer schwer gegen die Scheiben.

„Es regnet und ich kann Regen nicht ausstehen. Mich würden keine zehn Pferde mehr da raus-“, ich deutete in die Dunkelheit „bringen. Es ist einfacher für Sie, wenn Sie hier bleiben und morgen in der Früh nach Hause gehen. Meinentwegen kann ich Sie auch fahren; Reita wird den Wagen morgen eh nicht brauchen“

Ein Lächeln erschien auf meinen Lippen. Der Gedanke an die bevorstehende Woche Urlaub zeigte scheinbar zu jeder Tageszeit und unter Beisein JEDER Person seine Wirkung.

Hinter Manas Stirn musste es wohl arbeiten, denn er betrachtete stumm den Tisch, während seine Hände im Schoß raschelten und das Kleid zurecht rückten.

„Ihr Mantel wäre morgen auch trocken“, fügte ich hinzu.
 

„Was machst du mit mir? Normalerweise erteile ICH die Anordnungen! Aber jetzt beuge ich mich schon zum zweiten Mal dir. Dabei bist du nur..“, kam es leise und offensichtlich bestürzt von Mana. Seine Augen waren etwas geweitet, während er seine Handflächen fokussierte.

„..jemand Gewöhnliches?“, beendete ich den nicht vollständigen Satz.

Merkwürdigerweise zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen, als ich seine Worte hörte. Ich ertappte mich dabei, wie ich mir wünschte, dass er das nicht gesagt hätte. Bis jetzt hatten wir uns überdurchschnittlich gut verstanden. Zumindest für unsere Verhältnisse. Und das machte alles kaputt, das gewohnte Ungleichgewicht zwischen uns trat mit einem Schlag wieder ein.

„Ich will NICHT hier bleiben, aber meine Beine bewegen sich keinen Zentimeter. Mein ganzer Körper gehorcht mir nicht! Beim Gedanken daran, hier zu übernachten, wird mir übel, aber trotzdem kann ich mich nicht rühren! Was.. Ich..“

Mana schien wirklich einen Teil seiner Fassung zu verlieren. In seine Stimme hatte sich mittlerweile ein bedrohliches Beben untergemengt.

Das tat weh. Mir war durchaus bewusst, dass ich sicherlich nicht zu den Menschen gehörte, die Mana über alles liebte – wenn es denn überhaupt solche gab – aber dass er sich so unwohl in meiner Gesellschaft fühlte.. Wahrscheinlich kotzte es ihn an, dass ich nur gewöhnlich war. Zu gewöhnlich. Ich fühlte mich wie der Bauerntrampel neben der Prinzessin.

„Ich..“

Meine Stimme versagte.

Mit einem Satz sprang ich auf und warf dabei mein Teegefäß um.

„Ich.. ich..“

Es kam einfach nichts heraus, mein Finger deutete nur zitternd auf Mana. Tränen traten in meine Augen.

Ich stürmte in mein Zimmer, setzte mich aufs Bett, während die Tränen meine Wange hinunter rannen und feuchte Spuren auf dem Boden hinterließen.

Seine Worte hatten mich verletzt.. Ich wusste nicht warum und weshalb, aber er hatte den Nagel genau ins Schwarze getroffen.

Ich zog meine Bein an mich und legte den Kopf auf meine Knie, schloss die Augen. Wie wäre es mit ein bisschen Dankbarkeit gewesen? Oder vielleicht einer Verneinung? Aber nicht das! Dabei hatte ich ihm ja nicht mal etwas getan!

Die Tür öffnete sich langsam, knarrte dabei etwas.

Mana trat neben mich, blieb leise stehen, aber ich sah nicht hoch.

„Ich gehe jetzt“

Es war kein Ton sonst zu hören.

Wütend hob ich meinen Kopf an.

„Du wagst es, in mein Zimmer zu kommen? Um mir zu sagen, dass du GEHST? WAS BIST DU EIGENTLICH? Du hast dich bis jetzt noch nicht ein einziges Mal bei mir bedankt, aber ich habe nichts gesagt. Dann war ich einfach nur nett zu dir, obwohl du es nicht im geringsten verdient hättest, und was tust du? Du beleidigst mich! Alles, was du bis jetzt in meiner Gegenwart getan hast, war, mich zu verletzen, zu beleidigen oder anzuschweigen! Und jetzt kommst du hier herein, um mir zu sagen, dass du gehst, anstatt dich zu entschuldigen. Wenn du gehen willst, dann geh’ doch einfach und komm nie wieder zurück!“, schrie ich ihn an, merkte, wie sich Tränen wieder ihren Weg über meine Wangen bahnten. Mein ganzer Körper zitterte vor Wut.

„Es tut mir leid“, erwiderte Mana leise.

Zum ersten Mal war seine Stimme nicht kalt, sondern beherbergte Reue.

Seine Gestalt wirkte seltsam verzerrt im Schatten der Straßenleuchte, die das Zimmer nur spärlich erhellte, wie wenn ihm eine Disharmonie innewohnte, die das ganze Bild störte.

„Hinterher entschuldigst du dich.. Tust es aus reiner Höflichkeit..“, flüsterte ich heiser und verbarg dabei mein Gesicht zwischen den Beinen.

„Das.. entspricht nicht der Wahrheit“

Es klang fast ein bisschen verletzt.

Ich schaute zu Mana hoch.

„Bis jetzt hast du nur Dinge getan, die mich wütend gemacht oder verletzt haben. Tust du das mit Absicht? Oder bist du einfach so blöd, dass du nicht merkst, was um dich herum geschieht? Warum denkst du, dass alle dir gehorchen müssen? Warum kannst du nicht andere auch entscheiden lassen?“

Mühsam versuchte ich, Luft zu bekommen. Im Moment fiel es mir schwer, regelmäßig zu atmen, in meinem Hals begann es unangenehm zu brennen.

Manas Hand zitterte. Auch als er sprach, hatte seine Stimme die sonstige Festigkeit vollkommen verloren.

„Ich..“

Es kam keine Erklärung.

„Warum bist du so angewidert von mir? Ich habe dir nichts getan..“, wisperte ich, gegen Ende hin immer leiser werdend, so dass ich schlussendlich kaum mehr zu verstehen war.

Manas Gestalt schwankte mittlerweile, er schien, als würde er jeden Moment wie ein dünner Ast im Sturm zusammenknicken. Es war mir egal.

„Ich bin nicht angewidert von dir.. Ich bin es, der mich anwidert.. Ich habe mich nicht mehr unter Kontrolle“, sprach Mana tonlos zurück.

„Du.. Du löst alle diese Emotionen in mir aus! Wut.. Reue.. Dankbarkeit.. Ich benötige meine ganze Kraft, um es zurückzuhalten! Und das, obwohl ich dich erst seit zwei Wochen kenne! Ich habe mich wohl gefühlt in deiner Gegenwart!“

Er spuckte den letzten Satz förmlich aus. In seinem Mund klang es, wie wenn das alles etwas Schlimmes gewesen wäre.

Meine Finger krallten sich in meine Haut.

„Und das ist so schlimm, dass du lieber mich darunter leiden lässt?“, flüsterte ich.

„Das darf nicht sein.. Es darf nicht sein, das ist nicht korrekt.. Mein Ich zerbröckelt vor dir.. Das ist..“

Als ich in Manas Augen sah, konnte ich den panischen Glanz darin sehen. Mir wurde klar, dass er unsägliche Angst hatte. Unsägliche Angst vor mir.

Das Folgende passierte einfach. Immer wenn ich sehr verzweifelt bin und nicht mehr weiter weiß, versuche ich mich an etwas zu klammern. Dass es diesmal Mana war, war wohl sein Pech.

Ich konnte hören, wie er erschrocken die Luft einzog, wie sich seine Arme hoben, wie sie wieder kraftlos an seine Seiten zurücksanken. Auch die kalte Stimme, die ihr Wort schlussendlich an mich richtete.

„Ich gehe jetzt“

„Wenn du jetzt gehst, dann will ich dich nie wieder sehen“, erwiderte ich leise, ohne Mana los zu lassen.

Eine Pause, in der er weiter keine Anstalten machte, mich von sich zu schieben, folgte.

„Und du glaubst, das interessiert mich?“

Offensichtlich hatte er wieder genug Fassung gewonnen.

„Ja. Spätestens wenn du draußen auf der Straße stehst, wirst du merken, dass du dir die letzte Chance vertan hast, einen Freund zu haben“, gab ich zurück.

„Ich brauche keine Freunde“

Sein Tonfall war wieder undefinierbar.

Ich ließ Mana los, trat einen kleinen Schritt zurück; meine Zuversicht war auch zurückgekehrt.

„Doch. Das brauchst du. Oder macht dich alleine in deiner Firma am Abend herumzusitzen glücklich? Oder stehst du gerne im Regen draußen, weil du niemanden kennst, der dich reinlassen würde? Oder denkst du ernsthaft, irgendeiner kann dich überhaupt noch leiden..?“

„Warum glaubst du kleiner Nichtsnutz tatsächlich, du würdest mich kennen?“

Mit einem Mal war die Kälte, die Mana pflegte auszustrahlen, auch in mein Zimmer zurückgekehrt. Die Temperatur, so schien es mir, sank um mindestens 10 Grad. Mein Körper fröstelte.

„Ich kenne dich nicht. Aber mich würde es nicht glücklich machen, so zu leben“, antwortete ich leise.

Mana schnaubte.

„Was weißt du schon?“

Mein Kopf senkte sich wie von selbst, als ich sprach: „Wundere dich nicht, wenn du eines Tages merkst, dass du an deinem Leben vorbeigelebt hast“

Ohne es zu wollen, hatte ich ins Schwarze getroffen, denn als Mana antwortete, war die Unsicherheit deutlich aus seiner Stimme herauszuhören

„Du hast kein Recht, das zu sagen“

Ich hob meinen Kopf und sah, dass er mich mit bleichem Gesicht anstarrte. Sein ganzer Körper hatte wieder begonnen zu zittern und an seiner Schläfe zeichneten sich feine Adern ab, die heftig pulsierten. Wenn mir in dem Moment nicht klar geworden wäre, dass ich gerade seinen Damm gebrochen hatte, dann wäre ich wahrscheinlich eingeschüchtert lieber ins entfernteste Eck gestanden, so einen unheimlichen Eindruck machte Mana gerade.

Ich löste mich aus meiner eigenen Starre.

„Setz’ dich. Du siehst blass aus. Ich hol’ dir einen Tee“

Dass er ohne zu zögern tat, was ich sagte, nahm ich nicht zur Kenntnis, da ich mich bereits auf den Weg in die Küche befand.
 

Ich kam mit einer dampfenden Tasse zurück, nahm neben ihm auf meiner mittlerweile zerknautschten Bettdecke Platz. Ohne zu sprechen, drückte ich Mana das dampfende Etwas in die Hand.

Wie gewohnt kam kein „Danke“.

Nach einem prüfenden Blick, der mir nur zu erkennen gab, dass er innerlich mehr als fertig war, es sich äußerlich aber nicht anmerken lassen wollte, beschloss ich, dass ich es mit den Anschuldigungen für heute besser ließ. Stattdessen stand ich erneut auf und zog eine Decke aus meinem Schrank hervor. Weiterhin stumm legte ich sie Mana um die Schultern, streifte ihn dabei leicht am Hals. Er war schon wieder so kalt..

Ich erschrak, was, wenn ich ihm viel zu viel zugemutet hatte? Was, wenn er jeden Moment einen Rückfall erlitt? Er sollte doch eigentlich Ruhe haben! Und nicht mit mir herumstreiten!

Das schlechte Gewissen überkam mich wie ein Schlag in den Bauch. Mir wurde schlecht.

„Mana, du solltest dich hinlegen.. Der Arzt hat doch Bettruhe verordnet..“

Er nickte.

Unter normalen Umständen wären mir jetzt die Augen buchstäblich aus dem Kopf gefallen, aber da ich von meinem an mir nagenden schlechten Gewissen beflügelt war, kam ich gar nicht erst auf die Idee, dass er gerade vorhatte, etwas zu tun, was ICH ihm geraten hatte.

Mana reichte mir die Tasse nachdem er einen kleinen Schluck genommen hatte und schaute mir dann in die Augen.

„Und wo?“

„Du kannst in meinem Bett schlafen“, beeilte ich mich zu antworten. Mit den Worten erhob ich mich schnell von meiner Liegestätte und machte ihm den Platz frei.

„Ich schlafe dann einfach auf dem Boden..“, fügte ich ernnüchtert hinzu.

Sein Körper ließ sich langsam nach hinten gleiten und legte sich mit dem Kopf auf das Kissen.

Ich kroch zum Kasten und zog einen Fuiton hervor, den ich mit einem Kissen noch ergänzte.

„Mein Bett ist um einiges bequemer“, kam es von oben.

Zur Antwort knurrte ich „Du kannst gleich hier unten schlafen“ hinauf.

Ein seltsames Geräusch folgte. Das Bett wackelte dabei ein ganz klein wenig. Was..?

Ich hob meinen Kopf an und schaute zu Mana.

Lachen.

„Du lachst?“, sagte ich, völlig baff von dem skurrilen Anblick, den die Gestalt machte, bei der ich schwören hätte können, dass sie nicht einmal wusste, dass man die Mundwinkel überhaupt nach oben ziehen konnte.

Er drehte sich um und wandte mir den Rücken zu.

~~~+~~~

Continue or Game Over?

Ich muss nicht erklären, dass es Dinge gibt, die manche lieber vergessen würde. Und dass Menschen existieren, die vor ihrer Vergangenheit und vor ihrer Gegenwart weglaufen. Somit ist es wohl auch nicht erwähnenswert, dass ich an diesem Morgen alleine aufwachte.
 

Meine Hände streckten sich wie von selbst; wenn anderen der Schlaf Erholung brachte und ihre Batterien neu auflud, so hatte er heute wohl seine Wirkung bei mir verfehlt. Ich war noch erschöpfter als zuvor und versuchte krampfhaft mit Armgymnastik etwas Leben in meinen Körper zu bringen, der sich wie ein Sack Zement anfühlte.

Nach ein paar Sekunden begann ich mich zu wundern, warum ich mich auf dem Boden befand und infolgedessen kam zu meiner allgemeinen Trägheit auch noch ein Gefühl von Verwirrung hinzu.

Ich massierte meine Schläfen.

Was hatte ich gestern Nacht bloß getrieben?

Mit einiger Mühe richtete ich mich auf, schielte zu meinem Bett, in dem ich mich eigentlich befinden sollte.

Es war nicht angerührt. Das Einzige, was mir auffallen hätte sollen - tat es aber nicht - war, dass es äußerst ordentlich gemacht war.

Ich stand also auf und tappte schlaftrunken in die Küche, in der Hoffnung, etwas Essbares beziehungsweise Trinkbares zu finden; eventuell war Aoi so schlau gewesen und hatte eingekauft?!

Scheinbar hatte mein bester Freund tatsächlich weiter gedacht und so schnappte ich mir die Milchflasche aus dem Kühlschrank und goss etwas von der Flüssigkeit in ein Glas.

Und genau da kam es mir.

Dass das Glas mit einem lauten Knall auf den Boden aufschlug, nachdem ich es fallen gelassen hatte, erweiterte meinen Schreck nur um einige Nuancen.

Mana hatte hier geschlafen.

Mana.

DIESER Mana.

Verdammt!
 

Ohne noch weiter an den zerschellte Trinkbehälter zu denken, rannte ich zurück ins Zimmer, zog halbwegs anständige Kleidung hervor und streifte sie mir über, während ich mir gleichzeitig eine Zahnbürste in den Mund stopfte.

Er musste gar nicht meinen, dass er so einfach von hier verschwinden konnte!

Im Gehen meine Schuhe bindend, war ich bereits aus der Tür, bevor mich noch irgendwer aufhalten hätte können.

Ich dachte nicht daran, dass ich im Begriff war, die peinlichste Aktion meines Lebens zu vollführen. Vielmehr war ich damit beschäftigt, mich darüber aufzuregen, dass Mana einfach abgehauen war und dies ohne etwas zu sagen. Mir war nicht genau klar, warum mich das dermaßen aufregte, aber ich hatte auch nicht sonderlich viel Lust, darüber nachzudenken; alles, was sich in meinem Kopf befand, war: Na warte!

So tigerte ich zum wiederholten Male zu seinem Firmengebäude, trat zum zweiten Mal in meinem Leben unter den vernichtenden Blick seiner Sekretärin, die heute, nicht besser gelaunt als beim letzten Mal, meine Geduld ganz ordentlich auf die Probe stellte. Sie strafte mein eh schon heißgelaufenes Gemüt mit Ignoranz, was mich fast komplett auf die Palme brachte.

So gab ich reichlich ungeduldig von mir: „Wie lange wollen Sie noch Frau Ich-bin-was-Besseres spielen? Verdammt noch Mal, andere Menschen haben auch nicht ewig Zeit!“

Sie hob nur ihren Blick, um mich anzugiften und mir damit zu zeigen, was für ein kleiner Wurm ich doch war.

Aber nicht mit mir.

Bis diese Bürotussi überhaupt hinter ihrem ach so eleganten Schreibtisch hervorstöckeln konnte, war ich doch eigentlich schon längst über alle Berge.

Also tat ich das Naheliegendste: Ich spurtete los, ließ eine empörte Sekretärin mit geöffneter Kinnlade zurück. Bevor sie noch die Gelegenheit gehabt hatte, mein Vorhaben zu durchschauen oder gar zu verhindern, war ich an Manas Tür angelangt.

Dank meiner – wie sollte es auch anders sein – Wut im Bauch schaffte ich es, das schwere Ding mit einem Ruck aufzuschwingen und nicht minder elegant in den Raum zu platzen.

Er sah hoch, blinzelte kurz.

Auf seinem Gesicht hätte sich wahrscheinlich Erstaunen gespiegelt, wenn nicht seine Routinität in Unterdrückung jedes Gefühlszustandes zu allmächtig gewesen wäre.

Ich verzeihte ihm das nicht.

Wurde dadurch noch gereizter.

„Warum haust du einfach ab? Einfach so! Ohne etwas zu sagen oder mich zumindest zu wecken!“, blaffte ich die sitzende Gestalt vor mir funkelnd an.

Seine Hände stützen sich mit den Ellbogen auf der Schreibtischplatte ab und die Finger waren ineinander verhakt. Sie waren so dünn.

Überhaupt wirkte er so zerbrechlich.

Ob ihn ein Sturm wegblasen würde?

„Ich wollte Sie nicht wecken“

War Manas Stimme noch ruhiger als sonst? War das möglich?

Bei dem Klang der Worten verzog sich mein Zorn innerhalb einer Hundertstelsekunde.

Nein.

Er verzog sich nicht.

Er war einfach von einer Sekunde auf die andere nicht mehr da. Weg.

Die Antwort, die ich mir schon zurechtgelegt hatte, passte jetzt nicht mehr.

Also öffnete ich nur meinen Mund, ohne Laute zu formen.

Nachdem ich wie ein Fisch nach etwas Imaginärem geschnappt hatte, schloss ich mein Beißwerkzeug wieder.

„Ist noch etwas..?“, kam es mit kühler Stimme von Mana.

Mein Kopf schüttelte sich wie von selbst, ich drehte mich um.

Das „Nein“ sagte ich gar nicht erst, griff stattdessen nach dem altmodischen Türknauf, der sich jetzt richtig kalt in meiner Hand anfühlte. Leise und mit deutlich mehr Anstrengung als zuvor öffnete ich die Tür und trat hindurch.

Diesmal war meine Niederlage noch zehn Mal schlimmer als bei den letzten Malen.
 

Ich fühlte mich richtig schlecht, als ich das Firmengebäude verließ und in das spärlich belichtete Äußere trat.

Heute schien die Sonne nicht, beziehungsweise tat sie es sehr wohl; ihre Strahlen wurden nur von den Wolken geblockt und daran gehindert, Tôkyô ein bisschen freundlicher aussehen zu lassen.

Warum hatte ich eigentlich so ein Deprimiertheitsgefühl in mir? Was erwartete ich denn? Dass er auf mich wartete, um mir freudig in die Arme zu springen?

Bei dem Gedanken daran verzog ich mein Gesicht.

Bäh, ich war ja nicht schwul.

Und dann noch so eine..

..

..

Mein Kopf suchte nach einem passenden Wort für eine Person, die unbeschreibar war.

..

.. so eine Möchtegernfrau.
 

„Hey, du machst ja ein Gesicht, als hätte dir der Tod höchstpersönlich mitgeteilt, dass du nur noch drei Tage zu leben hast“, gab Aoi kritisch von der Seite, als ich am Mittagstisch saß und gerade Reis in mein Schüsselchen gab. Mit dem Löffel schob ich das kleine Bisschen zu einem noch kleineren Häufchen zusammen und ließ dann meinen Blick lustlos über das aufgetischte Essen streifen.

„Hast du keinen Hunger..?“, fragte Kai leise vom anderen Eck des Tisches.

Dankbar über Kais Worte, die verhinderten, dass ich Aoi antworten musste, schüttelte ich mein Haupt und erwiderte: „Ich habe heute einfach keinen Hunger.. Mir ist etwas schlecht“

„Hoffentlich wirst du nicht krank. Jetzt, wo wir doch Ferien haben“, nuschelte Reita hervor, während er auf seinem Karottengemüse herumkaute.

„Nein, das wird schon“, antwortet ich, wissend, dass meine Unlust auf das vor mir Stehende, welches ich übrigens sonst wirklich innerhalb von Sekunden verschlang, weil Kai so gut kochte, von etwas ganz anderem als einem Virus kam.

Dass Aoi mich weiterhin aus den Augenwinkeln heraus beobachtete und sich von der Krankheitstheorie nicht überzeugen lassen hatte, fiel mir nicht auf.

Ich war zu beschäftigt, das Essen hinunterzuwürgen.
 

Den Kirschbaum vor meinem Fenster betrachtend hing ich Gedanken nach. Zugegeben, es war wirklich klischéehaft, genau diese Pflanze im Garten zu haben, aber sie war eben ein Produkt meiner Sturheit. Der Sturheit, dass ich genau DIESEN Baum an diesem Fleck haben wollte.

Es war schon ein Jahr her, seit er eingesetzt wurde. Gott, war das ein Trara gewesen.. Noch jetzt musste ich grinsen, wenn ich mich daran zurückerinnerte, wie meine vier Freunde mit vereinten Kräften das Ding versucht hatten zu pflanzen. Natürlich war ich daneben gestanden und hatte nur neunmalkluge Anweisungen gegeben, die sie erst Recht auf die Palme gebracht hatten.

Ein Lachen entfuhr mir und ich fragte mich erneut, warum ich mich eigentlich so aus dem Konzept bringen ließ von Mana.

Er war nichts weiter als ein Mann, der einfach blöd war. Oder dumm. Oder beides zusammen.

Vollgetankt mit neuer Kraft schob ich meinen Stuhl rückwärts und stand auf, verließ das Zimmer.
 

„Aoi? A-O-I!“

„Ich bin nicht schwerhörig, Kurzer“, knurrte es aus Aois Zimmer.

Ich beeilte mich, einzutreten und ihm schnell in die Seite zu boxen, bevor er registrieren konnte, dass eine Attacke auf ihn geplant war.

„Nenn' mich nicht 'Kurzer'!“, fauchte ich ihn an.

Aois Grinsen ließ mich trotzig werden.

„Dann frage ich dich eben nicht, ob du mit ins Kino gehst“

Damit hatte ich mich schon umgedreht und war nun startklar, um filmreif aus dem Raum zu marschieren.

„Halt. Warte. Ich komme mit. Schön, dass du fragst, Kleiner“

Sein Grinsen war jetzt noch breiter als zuvor und nahm fast das ganze Gesicht ein.

Ich schnaubte.
 

„Denkst du wirklich, es war eine gute Idee, sich diesen Film auszusuchen? Er wirkt so.. langweilig“, maulte Aoi neben mir, während ich nach unseren Plätzen Ausschau hielt.

„Klappe“, zischte ich zurück und lotste uns zu den dunkelroten Sitzen in der Mitte des Raumes.

„Wir haben ja nicht mal gute Plätze“, nörgelte Aoi fröhlich weiter und ich fauchte genervt zurück: „Du warst derjenige, der sich quasi selbst eingeladen hat – also beschwer' dich nicht!“

Damit gab sich mein Freund geschlagen und ließ sich seufzend neben mir in einen der Samtsessel sinken.

„Zumindest sind die Dinger weich“, stellte er fest, „Da schlaf' ich wenigstens gut“

Das Kissen, welches ein Kind von der vorigen Vorstellung wohl vergessen hatte, traf ihn frontal ins Gesicht.
 

Aoi hatte Recht.

Der Film war wirklich langweillig.

Nein, eigentlich schon mehr als das. Während den diffusen Dialogen versuchte ich, mir meine Zehennägel wach zu halten und nicht zu gähnen.

„Hey, Ruki, nicht einschlafen“, flüsterte eine Stimme links von mir.

Ich drehte mich zur Seite, deutete ein Grinsen an, dass von meinem Freund erwiderte wurde.

„Ich schlafe nicht, ich meditiere nur mit geschlossenen Augen“, fügte ich noch hinzu, woraufhin Aoi leise lachte.
 

Vorne küsste der Hauptdarsteller gerade eine zweitklassige Schönheit.

„Ruki, hast du schon mal einen Mann geküsst?“

Mein Kopf schnellte zur Seite.

„Was?“

Mit einem etwas verwunderten Blick versuchte ich Aois Gesichtsausdruck zu deuten. Das ging jedoch mehr als schwer; so hell war es im Kino nun auch wieder nicht.

„Wie meinst du das?“, fragte ich nach.

„So, wie ich es sage“, gab mein Freund zurück.

„Seh ich so schwul aus?“, erwiderte ich, nicht ganz ohne daran zu zweifeln, ob ich vielleicht nicht Manns genug war.

„Ja.. du siehst wie eine Frau aus. Du solltest dich vor der Männerwelt in Acht nehmen“, kam es altklug zurück.

Ich grinste.

„Idiot“

Aois Lachen klang nahe an meinem Ohr.

„Na sag, hast du jetzt schon mal?“

„Nein“, antwortete ich ehrlich, „noch nie“

„Ah. Ok“

Die Stimme, die eben noch nahe bei mir gewesen war, entfernte sich wieder. Ich fühlte mich ein bisschen seltsam.

Wie kam er bloß auf diese Frage?

Während ich noch weiter darüber grübelte, was Aoi wohl gerade ritt, richtete dieser erneut das Wort an mich.

„Und willst du mal?“

„Eh?“, gab ich perplex zurück.

„Ich nehme das als 'Ja'“

Ohne dem noch etwas hinzuzufügen und ohne mir die Zeit zu lassen, ein „Nein!“ zu rufen, hatte er seinen Körper mir vollkommen zugewandt und seine Lippen auf meine gelegt. Reflexartig schloss ich meine Augen, riss sie dann wieder auf und schubste Aoi erschrocken von mir.

„Was soll das?“, zischte ich ihm zu, versuchte dabei, die Stimme nicht zu laut werden zu lassen, da es ja noch andere Kinobesucher gab, die eventuell auf uns aufmerksam würden, wenn ich wie ein Wilder herumschrie. Und Aufmerksamkeit war jetzt das Letzte, das ich wollte. Es war schon peinlich genug, dass mein bester Freund mitten im Kino über mich herfiel. Vor versammelter Mannschaft. Vor der Öffentlichkeit. Küsste.

„Hey, hey, nicht so empört!“

Aois Lachen erklang wieder an meiner Seite.

„Ich wollte dich lediglich um eine Erfahrung bereichern“

„Spar dir deine Bereicherungen für wen anders auf“, erwiderte ich kalt und verließ den Kinosaal.

~~+~~

Phase 1

Ich war noch keine 100 Meter gekommen, als mein Freund mich einholte. Schon von Weitem konnte ich seine Schritte hören. Natürlich erkannte ich sie; wie hätte ich sie nicht erkennen können?!

„Warte, Ruki! Das war nicht so gemeint! Hey, bleib stehen!“

Ruckartig hörten meine Beine einfach auf zu gehen, ich hielt an.

Warum folgte mein Körper eigentlich immer seinem eigenen Kopf?

„Was?“, zischte ich ihn an, als er etwas außer Atem neben mir zum Stillstand kam.

„Es tut mir leid, Ruki.. Es war wirklich nicht so gemeint. Sei nicht böse.. Bitte..“

Täuschte ich mich, oder hörte ich tatsächlich ein Flehen aus seinem rasselnden Atem heraus?

Nein, das konnte nicht sein. Das war absurd.

„Wenn du's nich wieder tust. Ich bin NICHT schwul, verdammt!“, erwiderte ich gereizt.

Aoi senkte seinen Blick, hob ihn jedoch gleich wieder an, um mir direkt in die Augen zu sehen.

„Wäre das für dich so schlimm, wenn du schwul wärst..?“

Diesmal glaubte ich, Traurigkeit, vielleicht eine Spur von Verletztheit, zu vernehmen.

Ich schimpfte mich einen Idioten und antwortete.

„Sag' nicht, dass du's bist“

Es war als rein rethorische Frage gedacht. Auf rethorische Fragen erwartet man keine Antwort.

Ich bekam eine.

„Doch“

Meine Lippen öffneten sich, ein ungläubiger Ausdruck trat in meine Augen.

„Aber du bist doch mein bester Freund..“

„Tu' nicht so, als wär's 'ne Krankheit..“, murmelte Aoi leise, betrachtete seine Schuhspitzen, die ein bisschen dreckig waren. Es waren seine Lieblingsschuhe.

Fassungslosigkeit überkam mich; warum hatte ich nie etwas bemerkt?

„Du hast nie etwas gesagt..“

„Nachdem du so reagiert hast, bereue ich, dass ich es dir jetzt erzählt hab'..“, sprach er zum Boden.

„Du hast keine Ahnung, wie schwer das ist, oder?“, fügte er hinzu, nachdem ein paar Sekunden verstrichen waren.

„W-Wie meinst du das..?“, konnte ich nur fragend erwidern.

„Du weißt nicht, wie schlimm es ist, wenn du dich in deinen besten Freund verliebst.. Wenn du plötzlich erkennst, dass du anders bist. Und wenn dann dieser Freund dermaßen hetero ist, dass du nicht die entfernteste Chance hast. Wenn du ständig dieses Verlangen nach ihm hast. Wenn du ihn die ganze Zeit über berühren willst und es nicht tust, weil du nicht verdächtig sein willst. Und jetzt hast du auch noch so reagiert.. Ich fühle mich wie ein Vollidiot“

Die Stimme wurde immer leiser, bis sie schließlich verebbte und scheinbar von der Nacht aufgesogen wurde. Auf Aois Gesicht zeichnete sich merkbar sein Gemütszustand ab; mein Freund war oft sensibler, als man annahm.

Mit einem Mal tat er mir sehr leid. Der Schock, den ich eben noch verspürt hatte, wich einem starken Gefühl von Reue.

Wie konnte ich meinen besten Freund nur dermaßen verletzen? Und warum hatte ich die ganze Zeit über nichts bemerkt?

Ich trat an ihn heran und zog ihn in meine Arme.

„Es tut mir leid..“

Flüsternd sprach ich auf ihn ein, merkte dabei, wie er seine Arme hob, um sie um mich legen zu können, jedoch mitten in der Bewegung abbrach und sie wieder an seine Seiten fallen ließ. Der Mut, mich noch einmal zu berühren, hatte ihn verlassen.

Und ich war Schuld daran.

„Du kannst mich ruhig umarmen. Es ist schon okay.. Du hast es doch vorher auch immer getan..“

Durch Aois Nicken streifte sein Haar meinen Hals. Ich erschauderte.

Als ich seine warmen Arme spürte, sprach ich weiter.

„Du hast mich deswegen geküsst..?“

„Ich wollte es nicht tun, aber ich irgendwie musste ich.. Keine Ahnung, ich habe mir damit alles zerstört, aber irgendetwas musste einfach geschehen, weil.. ich wusste es ja nicht.. wie du.. keine Ahnung..“, kam es von oben, Aoi war größer als ich.

„Weißt du, in meinem Kopf war immer diese ganz kleine Hoffnung, dass du mich vielleicht ja doch magst.. Aber jetzt..“

Er schluckte, das konnte ich hören.

„Es tut mir leid“, antwortete ich schuldbewusst, „Ich stehe nicht auf Männer“

„Ja ich weiß“
 

Nachdem sich Aoi selbst von mir gelöst hatte, waren wir nach Hause zurückgekehrt, an den Film hatten wir keinen Gedanken mehr verschwendet.
 

Ich saß in meinem Zimmer und grübelte. Grübelte über Aoi und seine Relation zu mir nach. Mir war noch nie in den Sinn gekommen, darüber nachzudenken, was ein Mann für einen anderen empfinden konnte. Und schon gar nicht, wenn es sich auf meine Freunde bezog. Ich war bis dato immer der Meinung gewesen, sie alle würden Frauen bevorzugen. So wie das eben der Fall war.

Normalerweise.

Wobei, durfte ich Aoi jetzt nicht mehr als normal bezeichnen?

Und wie würde er sich dabei fühlen, wenn ich ihn als anders bezeichnete? Was fühlte man als Schwuler überhaupt?
 

Noch bevor ich den Gedanken zu Ende geführt hatte, war ich vom Stuhl aufgesprungen und aus meinem Zimmer gerannt.

Warum nicht gleich die Quelle fragen?!

Aoi war gerade am Stimmen seiner Gitarre, als ich in den Raum platzte. Dementsprechend verdutzt war auch sein Gesichtsausdruck.

“Kann ich dich was fragen?”, sprach ich einfach gerade aus, ohne weiter Umschweife, die das Thema benebeln hätten können.

“Ja klar..?”, erwiderte mein Freund etwas verdattert, legte sein Instrument neben sich aufs Bett und schenkte mir seine Aufmerksamkeit.

“Wie fühlst du dich? Ich meine, was fühlst du, wenn du mich.. Was fühlst du im Bezug auf mich?”, schaffte ich schließlich zu sagen, nachdem ich mich doch etwas verhaspelt hatte.

“Wie meinst du das?”

Aoi lehnte sich etwas nach vor, so wie wenn er mich dann besser verstehen hätte können.

“Ist es.. wie bei einer Frau?”, setzte ich meine Frage fort.

Langsam zeichnete sich auf seinem Gesicht Erkennen ab, sein Körper schob sich zurück in die alte Position und nahm eine Stellung ein, die ihm wohl mehr Angenehme verschaffen sollte.

“Willst du dich nicht vielleicht setzen..?”

Aois Lippen umspielte ein verlegenes Lächeln.

Sofort nahm ich Platz, fast als befolgte ich einen Befehl.

“Willst du das wirklich wissen?”, druckste er nun herum, wahrscheinlich war es ihm doch nicht ganz so geheuer die ganze Fragerei. Und dann auch noch von mir, der Person, die ihm einen Korb gegeben hatte.

Vielleicht war es auch einfach nur die Warnung, dass ich jetzt unbekanntes Territorium betreten würde.

“Ja”, gab ich ehrlich zurück.

“Wenn ich dich sehe, dann möchte ich dich berühren. Ich bin glücklich, wenn ich mit dir spreche, ich kann mich den ganzen Tag darüber freuen. Schon am Morgen stehe ich gerne auf, weil ich weiß, dass ich dich beim Frühstück sehen werde. Wenn du mich umarmst, dann verspüre ich immer Hoffnung.. Aber natürlich weiß ich, dass es keine gibt. Das ist mir klar und wenn ich dann wieder auf den Boden der Tatsachen komme, bin ich deprimiert, möchte aufgeben. Dann ertrage ich es kaum, deine Anwesenheit zu wissen”

Innerhalb kürzester Zeit hatte er all das zu ein paar Sätzen komprimiert, was in ihm und seinem Kopf war, mit was er jeden Tag konfrontiert war. Ich ahnte, dass der Teil, den er mir nicht erzählt hatte, um Dimensionen gewaltiger war.

Ein sehnsüchtiger und zugleich niedergeschlagener Blick begleitete seine Worte und jetzt, als er geendet hatte, konnte ich seine Deprimiertheit regelrecht spüren.

Es war wohl wirklich hart für ihn.

Ich bewegte mich aus meiner Starre und stand auf, ging auf ihn zu und ließ mich neben ihm nieder.

“Kannst du mir noch mehr davon erzählen? Es interessiert mich..”

Ich flüsterte. Seltsamerweise.

Aoi musterte mich einige Zeit mit einem Ausdruck, den ich nicht deuten konnte, aber trotzdem nickte er schließlich.

“Was möchtest du wissen?”

“Wenn ich dich berühre, möchtest du dann mehr?”

Es dauerte, bis eine Antwort kam. Ich hatte auch wirklich schamlos und direkt gefragt, kein Wunder, dass es ihn so viel Überwindung kostete, etwas zu erwidern.

“Ja. Am liebsten möchte ich mit dir schlafen”

Ich spürte, wie ich erschrocken die Luft einzog, sie wieder herausließ mit deutlich langsamerer Geschwindigkeit.

“D-Du meinst..”

Er nickte.

“Ja”

“Wie willst du das machen?”

Ich sprach ohne zu denken.

“Ruki..”, kam es entnervt von Aoi. “Lebst du hinter dem Mond..?”

Ich beeilte mich, mich zu entschuldigen. Natürlich wusste ich, wie das ging. Ganz so blöd war ich dann auch wieder nicht. Auch wenn ich mich auf diesem Gebiet nicht so gut auskannte wie Aoi.

“Es gibt also keinen Unterschied zwischen deiner Liebe und meiner”, sagte ich schlussendlich.

“Hast du das wirklich geglaubt..?”

Aois Gesicht wirkte verletzt.

“Ich habe noch nie darüber nachgedacht”, gab ich kleinlaut bei und ärgerte mich nun etwas darüber, dass ich immer andere Dinge im Kopf gehabt hatte.

Aois Schweigen, als er sich von mir wegdrehte, versetzte mir einen Stich.

Hatte ich wirklich gedacht, so naiv durchs Leben zu kommen?

~~~+~~~

Träume, Schäume, Zylinder und verquere Menschen

„Nein... nein... Nein!! Lass mich los!“

Keuchend schrie ich wild um mich schlagend, versuchte mit aller Macht, mich aus Manas Armen zu befreien. Dieser, nackt, wie er war, versuchte gerade ziemlich erfolgreich, mich von meiner Kleidung zu befreien. Ich hatte bereits keine Hosen mehr an und auf seinem Gesicht zeichnete sich eine seltsame Gier ab, die mir mächtig Angst machte. Verzweifelt versuchte ich weiter, ihm zu entkommen, verhakte mich aber nur noch mehr in seinen Armen. Diese waren mittlerweile einfach überall.
 

Und mit einem Male verwandelte sich mein Keuchen in ein lustvolles Stöhnen. Ich genoss die Stöße, die von hinten kamen. Wie aus heiterem Himmel, hatte sich die Lage vollkommen verändert. Die eben noch deutliche Panik und Abneigung gegen ihn, war dem Genuss gewichen und ich hatte die Augen geschlossen, um die Gefühle besser wahr zu nehmen, die Manas Können an meinem Hintern in mir hervorrief.

„Mehr..“
 

Ich öffnete meine Augen.

Atmete schnell.

Meine Hände verkrampften sich zitternd in der Bettdecke.

Was für ein furchtbarer Traum. Was für ein Alptraum.

„Wie widerlich..“, flüsterte ich zu mir selbst und verdrängte das üble Nachgefühl, dass dieses Etwas in mir ausgelöst hatte.

Ich verspürte den Drang, mir kaltes Wasser über den Kopf zu schütten, ließ es aber bleiben, weil ich mir einbildete, mein Hintern würde sich seltsam benutzt anfühlen und infolgedessen nicht aufstehen wollte.

Eine Weile noch starrte ich die gegenüberliegende Wand an, versuchte mich ab der Dunkelheit, die die Tür in ein angenehmes Grau tauchte, wieder zu beruhigen.

Wie kam ich nur dazu, solche merkwürdigen Träume zu haben? Was dachte ich mir eigentlich dabei?

Ich war nicht im Geringsten homosexuell.

Und wenn ich auch noch von der Tatsache ausgegangen wäre, dass ich ein schwules Äderchen gehabt hätte, dann wäre Mana gewiss die letzte Person gewesen, mit der ich etwas anfangen hätte wollen. Bäh. Schon der Gedanke daran ließ mich erneut erschaudern. Der versteckte doch wahrscheinlich unter seinem Rock nur ein mickriges Ding. Und das im Traum war entschieden größer gewesen.

Uah.. an was erinnerte ich mich da eigentlich..!?

Ich schüttelte angewidert den Kopf, wie wenn ich es mit einem Kopfschütteln von mir abstreifen hätte können.

Natürlich ging das nicht so einfach. Also sinnte ich weiter dem Hintergrund nach, bis ich schließlich in einen tiefen, traumlosen Schlaf zurück fiel.
 

„Willst du noch mehr Reis?“

Kais Stimme riss mich aus meinen abgeschweiften Gedanken.

„Jaaa..“, erwiderte ich langgezogen und streckte ihm meine Schale entgegen.

„Es geht doch nichts über ein ausgewogenes Frühstück“, kam es von Seiten Uruhas, der munter mehr verdrückte, als andere an einem ganzen Tag.

Seine Fettverbrennung musste man haben, dachte ich neidisch.

Was Mana wohl gerade..

Den Gedanken noch nicht zuende gesponnen, kam es mir siedendheiß und ich ich spürte, wie es mein Rückgrat hinunter steif wurde. Mein ganzer Körper verkrampfte sich, als ich ungewollt an meinen äußerst obskuren Traum erinnert wurde.

Abgesehen davon, dass ich es wirklich bevorzugte, Frauen in meinen Träumen zum Inhalt zu haben, hatte mir mein Unterbewusstsein auch netterweise den letzten aller noch denkbaren Männer ausgesucht; Mana. Das war noch ein größeres Übel, als wenn es Aoi gewesen wäre. Naja.. oder so.

Aber warum er?

Und warum überhaupt SO ein Traum?
 

Nachdem ich einige Minuten vor mich hingesinnt hatte und hartnäckig versucht hatte, dem ganzen Sinn oder Logik abzugewinnen, war ich zu dem Schluss gekommen, dass an allem die Ereignisse vom Vortag Schuld waren.

Natürlich.

Aoi hatte mir seine Homosexualität gestanden und ich hatte es schlichtweg auf diesem Weg verarbeitet. Dass dann eben Mana darin vorkam, lag sicher daran, dass ich mich sehr über ihn aufgeregt hatte. Nichts weiter.

Merklich besser gelaunt ging ich das Frühstück erst so richtig an – den Hügel, den ich mir gerade geschaufelt hatte, verdrückte ich innerhalb von Sekunden.
 

„Ich will in die Stadt!“

Gut. Mein Statement war laut und deutlich klar gemacht worden.

Jetzt hing es von den anderen ab, ob ich auch Begleitung hatte.

Kai schüttelte als Erster den Kopf.

„Mir ist heute nicht gut.. Ich habe seit gestern Abend dieses Kopfweh..“

Während er sein Gesicht verzog und auf die Couch deutete, um uns klar zu machen, dass er heute das Haus hüten würde, klopfte mir Uruha auf die Schulter und grinste zu mir herab.

„Klaaaar.. ich komm mit“

Nachdem sich schlussendlich ein Trupp aus Reita, Uruah und mir gebildet hatte – Aoi wollte lieber an einem Song basteln – konnte es losgehen.

Ich schlüpfte schnell aus der Tür, mein Körper in eine rotgestreifte Jacke gesteckt, und spornte die anderen an, sich zu beeilen.

Reita zog mir ohne mit der Wimper zu zucken eins über, Uruha begnügte sich damit, zu grinsen und an mir vorbei aus der Tür zu gleiten.
 

Als wir in der Innenstadt ankamen, herrschte bereits reger Betrieb. Leute stapften auf ihr Ziel gerichtet mit nichtssagenden Mienen an uns vorbei, begleitet von Jugendlichen, die immer wieder ihren Weg kreuzten, wenn sie an einem der unzähligen Schaufenster stehen blieben.

All das bekam ich nur theoretisch mit, denn ich war in Gedanken bereits bei dem, was ich kaufen wollte. Da ich einen ganz schönen Zahn drauf hatte, weil ich auch schon wusste, in welchem Laden ich mein gewünschtes Utensil ergattern würde, schnaubten Uruha und Reita nur hinter mir und versuchten, bei meinem Tempo mitzuhalten.

Es brauchte keine lange Suche, schon nach kurzer Zeit hatte ich mein Lieblingsgeschäft gefunden. Ohne zu zögern schob ich die Tür beiseite und trat ein. Dass Uruha Reita nur wissend angrinste, sah ich natürlich nicht, da ich beteits über alle Berge im Dickicht der Kleidung dieses Ladens verschwunden war.

Bald entdeckte ich auch mein gesuchtes Objekt und sprang siegessicher darauf zu.

Hah.

Ich drehte den Hut erst in der Hand und begutachtete ihn fachmännisch, bevor ich ihn gewissenhaft auf meinen Kopf setzte.

Ich blickte in den Spiegel zu meiner Seite.

„Das sieht dumm aus“

Die Stimme, die sich leise hinter mir aufgetan hatte, ließ nicht zu, dass man erkennen konnte, ob es sich um eine dreiste Beleidigung handelte oder einen zugegeben sehr unhöflichen Rat.

Als ich mich umdrehte, sah ich auf jeden Fall keinen Verkäufer.

Dafür blickte mir eine andere sehr bekannte Person kalt in die Augen.

Mein Aggressionslevel stieg von Null auf Hundert.

„Ihre Meinung war nicht gefragt“, fauchte ich den Mann vor mir an, der durch seine Plateausohlen an den Schuhen einiges an Größe gewonnen hatte im Kampf, wer größer war; er oder er.

„Die Krempe ist zu breit für die Höhe des Hutes, sie lässt das Gesicht viel zu klein erscheinen. Ein Zylinder ist gut.“

Natürlich sprach Mana ohne aufgefordert worden zu sein und natürlich ließ er auch keine Gelegenheit aus, mich zu einem Idioten zu machen.

„Ach? Dann sind Sie jetzt der Obermacker, der sich mit Hüten auskennt? Das ist aber nett, Ihr Rat! Den werd ich aber gleich mal in die Tat umsetzen!“, erwiderte ich giftig, mit zynischem Unterton und schnappte mir den erstbesten Hut, der da lag und setzte mir ein wahrhaft schreckliches Teil auf.

„Na? Steht mir super, oder? Und diese Krempe – ein Traum!“

Prinz Ich-bin-kälter-als-Eis jedoch ließ sich nicht im Mindesten von mir aus der Ruhe bringen. Alles, was geschah, war, dass er mich nun mitleidig betrachtete, scheinbar, wegen meines schlechten beziehungsweise nicht vorhandenen Geschmackes in seinen Augen. Und dann beharrte er weiter stur auf seinem Rat.

„Der Zylinder ist gut“, sagte er einfach und zog einen hinter seinem Rücken hervor. Er war schwarz, aus Samt und besaß einen silbernen Rand an der Krempe. Ohne weitere Anstalten zu machen, dass er auf mich warten würde, bis ich mich in der Lage befinden würde, den Hut selbst aufzusetzen, machte er einfach einen Schritt auf mich zu und platzierte das Kopfstück fachmännisch an der richtigen Stelle.

Für einen Moment wusste ich wirklich nicht, was erwidern. Mit einem ganz seltsamen Gefühl behaftet, das zwischen Verwirrung, Ärger und Bewunderung hin und her pendelte, beobachtet ich den Mann vor mir. Nachdem ich nicht so aussah, als würde ich in den nächsten Tagen eine Bewegung machen, forderte mich Mana dazu auf, in den Spiegel zu schauen.
 

Sah nicht übel aus.

Genau genommen sah es ein ganzes Stück besser aus, als die Hüte vorher. Aber das gab ich natürlich nicht zu.

So zuckte ich einfach mit den Schultern und sagte: „Kann man tragen“

Mana zog kurz seine Augenbraue hoch, bevor er sich elegant zur Seite wendete und sich von mir wegbewegte.

Das war's dann also gewesen, der große Auftritt von Mana.

Er ließ einen Ruki zurück, der irgendwie dumm aus der Wäsche schaute und ungläubig zu verdauen versuchte, was er gerade erlebt hatte.
 

„Ru.. ki..ii“

Reita wedelte bereits eine halbe Minute vor meinem Gesicht.

Als ich endlich aus meiner Starre erwachte, begutachtete Uruha gerade meinen Hut. Er drehte ihn in der Hand und murmelte irgendetwas Unverständliches, dass sich als „Spitzenmäßig, taugt voll“ entpuppte.

Reita hindessen streckte mir seine Eroberung hin, eine Hose übersäht mit Nieten, Ketten und Dingen, für die ich keinen Namen fand. Ich wusste nur, dass die Hose absolut kaufwürdig war.

Nachdem mich Uruha davon überzeugt hatte, dass ich den Hut „unbedingt“ besitzen musste, gab ich zögernd nach und wir bewegten uns gemeinsam zur Kasse.

Ich streckte dem Verkäufer den Zylinder hin und suchte derweil nach meiner Geldtasche, wurde jedoch abrupt bei meinen Taten unterbrochen.

„Wir führen dieses Modell nicht“

Ich blinzelte.

„Was?“

Die erneute Antwort des Verkäufers änderte sich keinen Deut.

Nach einem langen Augenblick, in dem ich mich fragte, woher der Hut dann eigentlich kam, klickte es in meinem Hirn.

Er war ein Geschenk.

~~+~~



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Kommentare zu dieser Fanfic (25)
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Von: abgemeldet
2007-02-27T17:48:21+00:00 27.02.2007 18:48
ich muss immer noch dran denken,wie leid mir aoi doch tut >_<;
udn nun träumt ruki auch noch so verquere sachen udn dann noch mit brrr... mit brrr... du weißt wen ich meine XD;
dieses 'brrr'-wesen geht mir eh weiters auf den keks *lach*
schenkt ruki nen verdammten zylinder, dieser alles-besser-isser XD;
indirekte entschuldigungen für sein verhalten kann der sich schmieren *schnaub*
nur eins noch: aoi ;___;
Von:  sleepin-forest
2007-02-27T16:36:47+00:00 27.02.2007 17:36
e,ev~~
Hat Mana ja mal wieder toll gemacht... xD~~ Der wird nie sagen was sache ist, oder? Ö,ö;;; Tjoa ö.öv Nächstes Kapi, bitte? *.*;;;
Von:  sleepin-forest
2007-01-31T18:10:36+00:00 31.01.2007 19:10
°-° och, kein Mana...
Ich bin ja mal gespannt, worauf das mit Aoi hinausläuft... irgendwie mag ich ihn nicht so in dieser FF, vielleicht weil nicht so tief auf ihn eingegangen wird. Finde ich allerdings nicht nur negativ, schließlich geht es ja 8hoffentlich ;D~) in erster linie noch um Mana und ruki. :3 Dennoch finde ich es etwas merkwürdig, dass er so garnicht verzweifelt wirkt, dass Ruki ihn abgewiesen hat, obwohl er ihn doch scheinbar liebt. Ich weiß ja nciht, was du so vorhast und ob du einfach nicht zu viel Zeit mit Aoi verbringen willst und deshalb kein großes Drama drauß machst, aber ein bisschen trauriger dürfte er meiner Meinung nach schon sein. xD~ Er soll ja nicht gleich von 'ner Klippe hüpfen. ^^° Nun ja, wie auhc immer... X3 Ich freu mich auf die Fortsetzung und hoffe du nimmst mir mein Rumgenörgel nicht allzu übel, ist auch nicht wirklich negativ gemeint.
Von:  tayo
2007-01-19T10:14:18+00:00 19.01.2007 11:14
genial und ich warte schon ganz gespannt auf die fortsetzung^^
Von: abgemeldet
2007-01-16T21:44:05+00:00 16.01.2007 22:44
ich wusste es *muahha*
buono einfach buon
ich luv das kapitel X3
'wie willst du das machen' *augenverdreh* ruki ist ne wucht
armer aoi hat jetzt noch mhr zu kämpfen,wo es ihm nun direkt von ruki bestätigt wurde,dass dort nichts sein kann *seufz*
armer kerl~~
und scheiß auf mana XDDD~~ joke, bin gespannt wie es ind er hinsicht weitergeht ^^
Von:  tayo
2006-12-12T10:56:03+00:00 12.12.2006 11:56
goil*-*
MOTO...das is ja voll cool
hätt nie gedacht, das man mana auch mal so darstellen kann^^
super.gefällt mir*smilu*
Von: abgemeldet
2006-11-26T16:12:36+00:00 26.11.2006 17:12
man ich lieb diese klugscheißer sprüche *rofl*
'ich schlafe nicht, ich...'
muhaha
mensch, aoi gogo *_*
ich stehe voll hinter dir du hengst!
mana geht mir immer mehr auf den senkel,aber gleichzeitig wird es immer spannender.
spannender als sonst schon...
Von:  sleepin-forest
2006-11-25T18:19:53+00:00 25.11.2006 19:19
Ö.ö... also Aoi war ja schon immer verdächtig, aber nun hat er sich selbst getoppt... ö.ö;;;
Hach ja, endlich geht's weiter. *_*d *freu* Und gleichzeitig is es noch ncith am Ende *-* Und das ist auch gut so! X3333 *hehe* Kann ich die FF noch weiterhin geniesen... *auf nächstes Kapi wart*
Von:  Ebi
2006-09-09T15:51:57+00:00 09.09.2006 17:51
Ich hab mir die FF gestern Nacht durchgelesen und ich muss sagen, ich bin...begeistert!!! O____O
Am besten find ich bei dem ganzen die Atmosphäre, aber ich kann nicht beschreiben was genau daran, es ist einfach toll!^^
Ich hoffe du hast die FF hier n och nicht vergessen...wäre schade drum, es intressiert mich nämlich wie´s mit den beiden weitergeht^^
Von:  sleepin-forest
2006-08-18T20:30:32+00:00 18.08.2006 22:30
°___________________°; waaaa~ah, die FF wird auch echt immer unheimlicher... °_° *Mana anglotz wie das 8te Weltwunder*
Hach, ich liebe diese Stückchenweise, langsame Entwicklung! *___*; Ich hock die ganze Zeit da, zwischen "O_O;;;;;; hä?????? geht's noch, Mana?!" und "...e.e' typisch Mana" hin und hergeschüttelt. X3~~

Die Charas sind wirklich toll umgesetzt. *.* Hach ja, kann gerne gleich weitergehn, wo bleibt das nächste Kapi, hm? x3~ *auch mal was bestimmen dürfen will, wie Mana* XD


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