Vierter Teil: Wir leben! von abgemeldet (Fortsetzung von "Dkmnudhdm", "GiKuS" und "DLdW") ================================================================================ Kapitel 23: Die Wahrheit hinter seiner Fassade ---------------------------------------------- „Was ist?“ Charlies Stimme erhob sich lustlos und doch ergeben. „Willst du mich erschießen? So, wie Ace erschossen wurde?“ Aus den Augenwinkeln fanden die Pupillen zu Joey zurück, doch dieser lieferte ihm keine Antwort. Stattdessen wurde die Pistole langsam sinken gelassen, jedoch nicht weggesteckt. Charlie schwieg, die Antwort schien ihm wichtig zu sein… doch er erhielt sie nicht. Ein knappes Blinzeln, dann starrte er zu Boden. „Ist er… tot?“ Joey schürzte die Lippen, langsam fand sein Daumen zum Hahn der Pistole und sicherte sie. „Ich denke nicht“, antwortete er endlich und verfolgte aufmerksam, wie Charlie tief Luft holte. Es schien wahre Erleichterung zu sein und der Blonde musste ein verständnisloses Grinsen unterdrücken. „Wieso kümmert dich das?“, erkundigte er sich und zuckte mit den Schultern. „Du hast ihn doch selbst zum Tod verurteilt.“ Noch bevor er ausgesprochen hatte, erhob sich ein leises Stöhnen und Charlie rieb sich die Stirn. „Ja…“, nuschelte unterdessen, schüttelte daraufhin jedoch sofort den Kopf und suchte den Blickkontakt erneut. Annähernd hilfsbedürftig. „Nein, das habe ich nicht gewollt, Johnath...“ „Joey“, wurde er kühl unterbrochen. „Ich heiße Joey.“ „Ja…“, Charlie gestikulierte mit der Hand, begann auf der Stelle zu treten und offenbarte Nervosität. „Mein Gott, ich meine… hattest du keine Angst?“ Inständig hob er abermals die Hände. „Diese Pistole und dann dieser Mann. Er wollte uns töten… und… ich konnte nicht klar denken. Und da dachte ich…“ „Lieber zuerst die Anderen, damit ich abhauen kann?“, beendete Joey für ihn und verzog skeptisch die Miene, Charlie presste die Lippen aufeinander. „Weißt du, solche Situationen sind manchmal sehr interessant. Angstsituationen, in denen jeder auf sich selbst gestellt ist. In solchen Lagen kommt der wahre Charakter eines Menschen erst richtig zur Geltung.“ Ein unauffälliges Zucken durchfuhr die Augenwinkel des Anderen. Eine Woge der Verachtung schien in ihm aufzuleben. Nur eine kurze, denn ohne weitere solche Emotionen zu offenbaren, seufzte Charlie wieder. „Das war nicht meine Absicht“, nuschelte er daraufhin und stemmte die Hände in die Hüften. Seine Miene wies eine rührende Wehleidigkeit auf. „Ich wollte nur noch weg und diese Pistole nicht mehr sehen. Welcher Mensch kann denn in solchen Lagen noch klar denken…?“ „Charlie!“ Joey riss der Geduldsfaden. Beinahe jämmerlich war, in diesem Moment noch ein Theater aufzuführen, obgleich er die Wahrheit längst kannte. Ein versteckter funkelnder Blick traf ihn. „Lass es sein, okay? Hör auf, das verfluchte Opfer zu spielen, obwohl du selbst derjenige bist, der einige Menschen dazu gemacht hat!“ Die Zähne des Anderen bekamen die Unterlippe zu fassen. Mit gesenktem Kopf studierte er den Boden und sein Gesicht befreite sich von etwaigen flehenden Ausdrücken. Nun war es eher eine gewisse Nachdenklichkeit, die ihn zu befallen schien. Für wenige Momente, bis er aufsah. Ein abwertender Blick traf auf Joey und die Lippen bewegten sich zu einem stummen Fluch, bevor er die Stimme erhob… und das so ganz anders, als wie bisher. „Jaaa“, wisperte er leise und Joey atmete tief ein. „Du bist natürlich der leibhaftige Engel, nicht wahr? Der Erfahrene und Mutige, der an Pistolen und Gefahren gewöhnt ist!“ Purer Zynismus verbunden mit einem scharfen Hauch Verachtung und der Blonde verzog die Augenbrauen. „Wer hat schon Angst in schwierigen Lagen! Wohl vermutlich jeder, der nicht deine Tricks kennt, Wheeler!“ Charlie weitete die Augen und Joey wandte den Blick ab. Hatte er nun den wahren Charlie vor sich…? Er fühlte sich unvorbereitet einer weiteren Gefahr ausgesetzt, hob nach einem leisen Räuspern jedoch den Kopf und erwiderte Charlies Blick offen und unbeteiligt. „Wie war das?“ Mit gespielter Nachdenklichkeit legte Charlie den Zeigefinger an die Lippen. „Wenn du von einem Mann bedroht wirst, ganz egal, ob dieser bewaffnet ist, oder nicht… dann erschieß ihn einfach.“ „Etwas jämmerlich, in der Vergangenheit zu wühlen, weil die Gegenwart keine Angriffspunkte bietet“, zwang er sich zu einer emotionslosen Antwort. Nicht noch einmal… er würde sich kein weiteres Mal von Charlie manipulieren lassen! „Hast du…“ „Bleib ruhig“, wurde er plötzlich von diesem unterbrochen. „Warum willst du dich gleich verteidigen? Einige scheinen deine Taten vielleicht so zu sehen. Aber du musst dich nicht rechtfertigen, denn ich bin anderer Meinung.“ „Und warum sollte mich die interessieren?“ Kurz sah sich Joey um. Es gefiel ihm überhaupt nicht, jetzt noch mit ihm zu reden. Was sollte er denn zu hören bekommen, außer Lügen und Märchen? „Das Einzige, was mich interessiert, ist, wie dir Handschellen stehen. Und deine plötzliche Redebereitschaft lässt mich leider etwas misstrauisch werden. Was willst du damit erreichen? Dass ich wieder nach deiner Pfeife tanze?“ Charlie gab sich äußerst unbeeindruckt. Das Kinn erhoben, die Augen unbeteiligt in der Weltgeschichte, stand er dort. „Tu nicht so, als hätte ich dir Schaden zugefügt.“ „Tu nicht so, als würdest du dir auch nur eines deiner verfluchten Worte glauben!“ Joeys Miene verfinsterte sich. All die Vorwürfe, die, mit seinem Unglauben verbunden, einfach nur lächerlich waren, wurden in ein anderes Licht gerückt. Charlie schnalzte mit der Zunge. „Wie schafft man es zum Beispiel am Tag des Banküberfalles lustig mit seinem Freund herumzuziehen und gleichzeitig einen Befehl zum Mord zu erteilen?!“ „Mord an wem!“, warf Charlie sofort ein. „An dir?“ Joeys Augen brachten ihm die Antwort. Er studierte sie nur kurz, bis ein verbissenes Lachen aus ihm heraus brach. „Wer hat das behauptet! Jason?! Ich soll ihn beauftragt haben, dich umzubringen?! Wieso sollte ich?!“ „Lass das Gelächter und sag es mir!“, fauchte Joey. „Er hat es mir gesagt, mich aber nicht nach meiner Meinung gefragt“, verriet Charlie noch immer grinsend. „Ich hätte nichts tun können, die Entscheidung hatte er schon selbst getroffen. Wegen der blöden Sache bei dem Treffen. Ich hätte es dir eher sagen sollen aber für so etwas rächt er sich.“ „Mm.“ Joey antwortete nicht sofort. Die Offenheit des Anderen traf ihn sichtlich und unter kurzen Grübeleien senkte er den Kopf. „Ist es möglich“, schnurrte Charlie verspielt, „… dass du nur sauer auf mich bist, weil ich deinen Liebling etwas gestresst habe und er zu blöd ist, sich selbst darum zu kümmern? Bist du selbst so eine Art Auftragskiller, den man schickt, wenn man es selbst nicht hinbekommt?“ Mit einem tiefen Atemzug rang Joey um Fassung. Wie fatal und stumpfsinnig wäre es, auf eine so dümmliche Provokation hereinzufallen. Nach wenigen Augenblicken des Schweigens richtete er sich auf, kämpfte um Festigkeit. „Verrate mir eines“, wendete er sich an Charlie. „Hast du dich nur mit mir abgegeben, um an Kaiba heranzukommen oder etwas gegen ihn in der Hand zu haben?“ Die schmalen Brauen des Anderen verzogen sich. Skeptisch legte er den Kopf schief. „Warum sollte ich das tun? Habe ich dich jemals über ihn ausgefragt oder versucht, über dir mit ihm in Kontakt zu treten?“ Das musste Joey nach einem kurzen Nachdenken verneinen. Er schüttelte den Kopf. „Na siehst du.“ Charlie schmunzelte genügsam. „So gesehen haben wir nichts gegeneinander. Warum also belädst du dich jetzt mit der Pflicht, dich um mich zu kümmern? Hat dich Kaiba darum gebeten?“ Wieder schüttelte Joey den Kopf. Zurzeit war es ihm nicht danach, zu reden. Vielmehr beschäftigte es ihn, damit fertig zu werden und die Gedanken zu ordnen. Charlie zog unterdessen seine Schlüsse aus dem Schweigen. Seine Selbstsicherheit schien mit jedem Augenblick zu wachsen und er pustete sich eine Strähne aus dem Blickfeld. „Das finde ich traurig, Joey. Wirklich.“ Er runzelte die Stirn. „Immer kümmerst du dich um die Drecksarbeit. War dieser Katagori nicht auch eher auf Kaiba aus? Habe ich das richtig mitbekommen? Das stand doch in der Zeitung…“, sinnierend verschränkte er die Arme vor dem Bauch. „Drei Kugeln… also entweder stehst du auf so etwas oder Kaiba weiß, wie er dich zu animieren hat, um seinen Arsch zu retten. Ich kann mir vorstellen, dass so etwas nicht nur einmal vorgekommen ist. Und jetzt ist es schon wieder so, nicht wahr? Kommst du dir nicht auch etwas komisch vor?“ Joey schluckte. Sein Hals war trocken. Er regte die Finger am Griff der Pistole, starrte zu Boden und schüttelte irgendwann den Kopf. Mit überlegener Miene und süffisantem Auftreten schien Charlie auf seine Antwort zu warten und die bekam er nach wenigen Augenblicken. „Ich hab es aus Gründen getan, die du natürlich nicht verstehen kannst, Charlie.“ Finster drifteten Joeys Augen zu dem jungen Mann zurück. Er taxierte ihn lauernd, holte Luft. „Aus Liebe.“ Er meinte, eine kurze Regung zu erkennen, die durch das Gesicht seines Gegenübers ging. Nur ein kurzes Zucken, eine Bewegung der Augenbrauen, doch die Lippen des jungen Mannes blieben versiegelt. Er antwortete nicht. Gerade so, als hätte er keine Meinung dazu und sähe sich durch diese Worte auch nicht angegriffen. „Was willst du eigentlich damit bezwecken?“ Umso lauter erhob sich Joeys Stimme in dieser Stille. Der Blonde richtete sich aus seiner zusammengesunkenen Haltung auf. Er festigte sich, festigte auch seine Mimik und presste kurz die Lippen aufeinander. Er zeigte es nicht, doch sein Puls raste. „Dass du auf meiner Vergangenheit herumreitest. Willst du mich verunsichern? Mich brechen?“ Ein humorloses Grinsen zog an seinen Lippen. „Den Versuch ist es nicht wert. Es gibt nichts, was ich nicht schon längst verarbeitet habe.“ Langsam senkte Charlie das Gesicht. Sein Schweigen brachte eine gewisse aufkeimende Wut zum Ausdruck. Als würde er hier nicht auf das treffen, was er sich erhofft hatte. Flüchtig wendete er die Augen von Joey ab, streifte sich eine Stähne hinter das Ohr. Auch weiterhin schwieg er nur und auch, wenn Joey es sich nicht ansehen ließ, dieses Verhalten verunsicherte ihn und brachte ihn dazu, nur noch mehr zu reden. „Ich habe auch keine Lust, weiterhin mit dir über Menschen zu sprechen, die du kein bisschen kennst. Ich bin nur hier, um dich deiner gerechten Strafe zuzuführen.“ „Und…“, nur leise erhob sich Charlies Stimme. Verstohlen, gefährlich, „… was ist, wenn ich nicht kapituliere?“ „Du bist nicht in der Position, um das zu entscheiden“, antwortete Joey kalt, doch gleichzeitig fragte er sich, wie weit er gehen würde, um diesen Menschen aufzuhalten. Um die Flucht zu unterbinden und für die Gerechtigkeit zu arbeiten. Schweigend standen sie voreinander. Ihre Blicke durchstreiften die Umgebung, fanden zueinander und lösten sich ebenso rasch. Beide schienen gegen eine gewisse Unsicherheit anzukämpfen, beide ihren Gedanken nachzugehen, doch es war Charlie, der zuerst zu altem Leben erwachte. Leise knirschte das Gestein unter seinen Füßen, als er sich in Bewegung setzte. Langsam und doch entschlossen tat er diesen einen Schritt, der Joey dazu brachte, wieder in die Gegenwart einzutauchen. Sofort war der Blonde wach und aufmerksam, verfolgte verbissen und verbittert, wie der junge Mann auf ihn zukam. Handelte es sich hier um eine leere Provokation oder hatte er vorsichtig zu sein? Die Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf, auch weiterhin blieb die Hand um den Griff der Waffe entspannt. Er hatte nicht vor, sie zu nutzen, nicht vor, einen weiteren Schuss auf einen Menschen abzugeben. Er war es so Leid. Allein das Gefühl der Waffe in seiner Hand widerte ihn an und deutlich wurde sein innerer Kampf, als er erneut den Blick von Charlie abwandte und zu Boden starrte. Wie weit gingen seine Möglichkeiten? Konnte er hier und jetzt gewinnen oder würde Charlie ihn ein weiteres Mal unterjochen? Ein weiteres Mal, diesmal jedoch spürbar und offenkundig. „Was willst du dagegen tun, dass ich verschwinde?“, drang leise Charlies Stimme an seine Ohren. Lauernd und langsam näherte sich dieser ihm noch immer, behielt den Blonden wach im Blick und ließ sich durch nichts ablenken. „Willst du mich genauso hinrichten, wie diesen Katagori?“ Tief atmete Joey ein, atmete aus und wenn auch mit verzweifelter Festigkeit, er erwiderte Charlies abwägenden Blick finster, während ein kaltes Zittern durch seinen Körper fuhr. „Willst du das wirklich herausfinden?“, erkundigte er sich und erschrack gleichzeitig über seine Stimme. Sie erhob sich so leise, so gebrochen und verunsichert, dass er sich selbst verfluchen wollte. Selbstverständlich las auch Charlie diesen Zweifel. Vermutlich machte ihn all das nur noch stärker und die vergängliche Verwunderung, die sich auf das junge Gesicht Charlies legte, war mehr als ironisch und gespielt. „Würdest du wirklich auf mich schießen?“, wollte er leise wissen. Größer und größer wurde er vor Joey und dann standen sich die beiden gegenüber. Umgeben von diesen kahlen Mauern, ganz und gar alleine und unter sich. Niemand würde sehen, was hier geschah, niemand Augenzeuge werden von dem, zu was Charlies Bosheit führte. „Nein.“ Joey war ehrlich. Er presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. Die Waffe blieb gesenkt und untuntätig. Mit unbewegter Miene stand Charlie vor ihm und wenn es Joey auch viel Mut kostete, er blickte auf und sah direkt in die graublauen Augen seines Gegenübers. Diese Augen hatten so niedlich gewirkt, so naiv, doch hier und jetzt brachten sie Emotionen zum Ausdruck, die jeden in die Knie gezwungen hätten. So kalt, so überheblich… so selbstsicher. „Ich verlasse mich auf deine Einsicht.“ Joey nickte ihm zu, hoffte so inständig, dass seinen Worten Taten folgen würden. „Dein Spiel ist hier und jetzt vorbei. Ich werde die Polizei rufen und du wirst dich stellen.“ Ein leises Schnalzen erhob sich vor Joey. Unbeeindruck rückte Charlie an seinem Kragen, blickte sich entspannt um und schien zu grübeln. Seine Brauen verzogen sich, seine Stirn legte sich in Falten und tief durchatmend versenkte er dann die Hände in den Hosentaschen. Reglos und schweigend standen sie so ein weiteres Mal vor ihnen. Der eine erwartungsvoll und nervös, der andere verschlossen und nachdenklich. Charlie war nicht anzusehen, woran er dachte. Seine Mimik ließ keine Vermutung zu, keine Befürchtung und Joey übte sich nur schwerfällig in Geduld. Er wollte dieser unliebsamen Situation entfliehen, war kurz davor, all das und sein Handeln zu bereuen. Dass er sich immer wieder in solche Lagen brachte, von denen soviel abhing. Lagen, die danach rochen, dramatisch zu enden. Lagen, in denen er eine Waffe hielt und nicht wusste, wie es weitergehen würde. Was in seiner Macht lag… Wie würde er handeln, wie reagieren, wenn Charlie wirklich vor hatte, zu fliehen? Wenn er an seine Menschlichkeit appelierte und einfach an alles, was Joey in dieser Situation schwach machen könnte… was ihn zögern ließ. Fast zuckte er zusammen, als Charlie leise seufzte. „Nun gut.“ Berechnend fanden Charlies Augen zu Joey zurück. Er musterte ihn von oben herab, verzog den Mund. „Wieviel willst du?“ „Was…?“ Ein verwirrtes Zucken ging durch Joeys Miene. Er beugte sich nach vorn, verzog das Gesicht. „Wie bitte?“ „Du weißt schon, was ich meine.“ Erwartungsvoll zog Charlie eine Hand ins Freie, hob sie flüchtig. „Wieviel willst du, damit du mich gehen lässt?“ „Mach dich nicht lächerlich.“ Joey war nach einem trockenen Lachen zumute. Was er hier hörte, konnte und wollte er nicht glauben. Sein inneres Entsetzen war greifbar und schier unendlich. „Glaubst du, durch Geld kannst du wieder gut machen, was du Kaiba für Unannehmlichkeiten bereitet hast?“ Fast unterbrach ihn Charlies lautes Stöhnen. Innig verdrehte dieser die Augen und schüttelte den Kopf. „Mein Gott…!“, stieß er aus. „Dein Geheule geht mir auf den Keks. Ich habe keine Lust, mir das weiterhin anzuhören. Es fordert nun einmal Opfer, wenn man etwas erreichen will. Frag deinen Liebling“, forderte er ihn dreist auf. „Das ist in der Geschäftswelt nun einmal so.“ „Was für eine Entschuldigung…“, murrte Joey finster, doch da lächelte Charlie plötzlich aus unerfindlichen Gründen. Er schien amüsiert. „Ich habe keine Angst vor dir… Joey.“ Er spuckte den Namen aus wie Gift. „Du schwingst zwar große Reden aber aufhalten wirst du mich nicht.“ Charlie hob die Brauen, sein Lächeln wurde zu einem tiefen Grinsen. „Ich zeige es dir.“ Und plötzlich setzte er sich erneut in Bewegung. Er wandte sich zur Seite und ungläubig verfolgte Joey, wie er einfach an ihm vorbeizog. In schlendernden, langsamen Schritten, als hätte er nichts zu verlieren und auch nicht so, als ginge es hier um sein Leben. Er drehte sich sogar flüchtig um, als Joey ihm stockend nachblickte. „Siehst du? So einfach geht das.“ Mit diesen Worten kehrte Charlie ihm den Rücken, versenkte die zweite Hand wieder in der Hosentasche und trödelte davon. „Du kannst der Polizei ja erzählen, dass du alles in deiner Macht stehende getan hast, um mich aufzuhalten“, hörte Joey ihn noch lachen. „Du bist einfach zu gutherzig und mit Gutherzigkeit gewinnt man generell nicht.“ Joey blinzelte. Er fühlte sich überrannt, nahe überfordert und lange stand er nur dort und verfolgte, wie sich Charlie mehr und mehr von ihm entfernte. Er trödelte dahin wie bei einem Spaziergang, als bestünden keine Gefahren und auch nicht, als würde er sich in einer Notlage befinden. Er setzte einfach einen Fuß vor den anderen und es nahm einige Momente in Anspruch, bis Joey zu altem Leben erwachte. Eine gewisse Wut stieg in ihm auf. Er fühlte sich nicht nur gekränkt, viel schmerrhafter war das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Vor Zorn verkrampfte sich die Hand um die Pistole und tief durchatmend drehte er sich Charlie nach und blickte auf. Finster richteten sich seine braunen Augen auf den Rücken des jungen Mannes und wortlos hob er dann die Waffe. Nur langsam, durchdachte und vorsichtig und so fand auch sein Daumen zum Hahn und entsicherte die Waffe. Das leise Klicken erhob sich laut in dieser völligen Stille und augenblicklich hielt Charlie in jeder Bewegung inne. Er blieb stehen, sobald das verräterische Klicken an seine Ohren drang. Er wusste, was in seinem Rücken geschah. Dieses Klicken zeugte genug davon, so dass er sich nicht umzudrehen brauchte. Joey sah sein Gesicht nicht, doch bald darauf zuckten Charlies Schultern unter einem leisen Lachen. Der junge Mann lachte auf, als handle es sich hierbei um einen einschlagenden Witz. Erst leise, dann immer lauter, immer amüsierter, bis er galant die Hände aus den Hosentaschen löste und sie fast beschwörend erhob. „Jetzt habe ich aber Angst“, brachte er glucksend hervor und erhielt keine Antwort. Joey war nicht danach, die Stimme zu erheben. Er hatte seinen Standpunkt deutlich gemacht… auch seine Bereitschaft, auch wenn er innerlich noch sehr an ihr zweifelte. Mehrmals hatte er schon abgedrückt… mehrmals dieses furchtbar laute Knallen gehört. Soviel schlimmer als im Fernsehen… einfach nicht vergleichbar und in seiner ganzen Art mehr als schrecklich. Er war nicht bereit dazu, es erneut zu hören, doch ebenso wenig wollte er Charlie auch nur einen weiteren Schritt gewähren… auch nur ein weiteres Wort voller Hohn und Spott. Charlie hatte genug getan, er hatte den Bogen überspannt, hatte fragile Grenzen überschritten und dies grob und gnadenlos getan. „Du Niete fühlst dich aber auch nur stark, wenn du eine solche Waffe in der Hand hast, was?“ Der junge Mann zuckte mit den Schultern. „Ich verstehe das, Joey. Was hast du denn sonst schon vorzuweisen? Worauf solltest du auch stolz sein? Kommst aus ärmlichen Verhältnissen und siehst nicht das, was deutlich vor dir liegt.“ Langsam bewegte Joey die Waffe. Hatte sich der Lauf gerade noch auf Charlies Kopf gerichtet, driftete er nun hinab und dem Boden entgegen. Noch immer wurde ihm der Rücken entgegengestreckt. „Lass mich dir einen Rat geben, Joey. Man sollte einsehen, wann man verloren hat… und wann man einem anderen einfach nicht gewachsen ist.“ Wie deutlich sieht Joey es vor sich. Charlies Anblick verschwimmt vor seinen Augen und auch, wenn es unangenehm ist, er erinnert sich an Kaiba und an dessen abgrundtiefe Verzweiflung. An dessen Schlaflosigkeit… Überarbeitet hatte er sich ein weiteres Mal, sich selbst zu Grunde gerichtet, um das zu schützen, was er mit eigener Stärke aufgebaut hatte. Er hatte gekämpft, doch war bei der Entscheidung der allgemeinen Schlacht nicht dabei. Es lag an Joey… es lag alleine an ihm und nicht zuletzt wurde sich dieser der immensen Veranwortung bewusst. Wenn er Charlie gehen ließ… wenn er schwächelte und zögerte, wusste er nicht, zu was der junge Mann noch imstande war. Ob es ihm genügte, Kaiba angekratzt zu haben oder ob er sich nach tieferen Wunden sehnte. Fliehend verschwammen diese Erinnerungen, als sich Charlie erneut in Bewegung setzte. Zum Trotze der Waffe, die noch immer erhoben gehalten wurde. Er nahm sie nicht ernst. Joeys Zögern hatte ihn übermütig gemacht, doch ein weiteres Mal ließ sich Joey nicht zum Zaudern bewegen. Er hatte es so oft getan und hier und jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen, um einen Schlussstrich zu ziehen. „Du gehst keinen Schritt weiter!“ Scharf erhob sich seine Stimme. Drohend und streng, doch alles was darauf folgte war ein abwertender Wink mit der Hand. „Labere mich nicht voll, du Brut“, drang Charlies Stimme zu ihm und ein Zittern ging durch die Hand, die die Waffe hielt. Sie war weit gen Boden gedriftet, wurde nun jedoch wieder um ein Stück gehoben. Er wurde nicht ernst genommen… wurde verspottet und lange Zeit zum Narren gehalten. Die allgemeine Tragik dieser Sache drang in sein Bewußtsein, als er Charlie ein weiteres Mal ermahnte und keine Reaktion erhielt. Der junge Mann schlenderte davon, brachte Meter um Meter zwischen sie. Und selbst als Joey leise den Hahn der Waffe spannte, ließ sich Charlie davon nicht beeindrucken. „Bleib stehen!!“ Umso lauter erschallte Joeys Stimme an diesem trostlosen Ort. Es war Verbitterung, die aus ihm sprach. Wut und eine nicht zu unterschätzende Verzweiflung. „Du wiederholst dich“, drang ein müdes Murren an seine Ohren und ein erschrockenes Zucken ließ sein Herz krampfen, als er wahrnahm, dass sich Charlies Schritte mehr und mehr verschnellerten. Allmählich schien es der junge Mann eilig zu haben. Wenn er diese Eile auch mit Lässigkeit und Beiläufigkeit tarnte, sie war offensichtlich und knirschend biss Joey die Zähne zusammen. Wie dumpf und gnadenlos war doch die Realität. Er sah es vor sich. Das niedliche strahlende Gesicht dieses jungen Mannes. Es war auf diesem Treffen gewesen, als sie sich das erste Mal anrempelten, als der Kontakt aufgebaut wurde und das auf eine so sympathische Art und Weise. Wenn Charlies Charakter und seine naive Verwirrtheit Joey auch vor Fragen und Zweifel gestellt hatte, es tat weh, zuzugeben, dass sie doch so liebenswert gewesen waren. Wie hatte Joey jedes Treffen genossen. Wie hatte er genossen, sich Charlies Welt zeigen zu lassen. Die Liebe zu Ace… die uneingeschränkte Freiheit, die sich Charlie aufgebaut hatte, in der er aufblühte und die doch nur das Gewand gewesen war, unter dem sich ein scharfes Messer verbarg. Lug und Trug… Verrat, Gnadenlosigkeit. Das Messer hatte Joey schwer getroffen. Und nicht nur sein Blut haftete daran. Viele waren verletzt worden, viele litten noch heute unter jenen Folgen und fast schob sich Joeys Finger von alleine gegen den Abzug. Beiläufig, unbewusst und wie zuckte er selbst zusammen unter diesem furchtbaren Geräusch, das sich erhob, als die Kugel das Lager und den Lauf verließ. Nur ein leises Klicken, auf das dieses schallende Dröhnen folgte und nur undeutlich sah Joey vor Augen, wie Charlie unweigerlich und augenblicklich zusammenbrach. Ein entsetzter, überraschter Schrei schallte von den alten Fassaden wieder und Joey zwinkerte sich zurück in die Realität. Wortlos öffnete er den Mund und ließ die Waffe sinken. Es war das Bein, das sich Charlie hielt, als er sich laut ächzend auf dem Boden räkelte. Verkrampft klammerte sich die junge Hand in die Wade, während Charlie sich stockend und zitternd regte und sich in die Höhe zu stemmen versuchte. Sekundenlang war er erstarrt liegen geblieben, doch mit einem lauten wuterfüllten Schrei erwachte er nun wieder zum Leben. Er fuhr in die Höhe, schrie gellend dem Himmel entgegen und sank unter einem scharfen Ächzen in sich zusammen. Laut schlug die Waffe auf dem Betonboden auf, als Joeys Hand sie freigab. Ein kalter Schauer überkam ihn bei dem, was er vor Augen hatte, doch es war ihm keine Zeit gegeben, all das zu realisieren. Markerschütternd erhob sich ein weiterer Schrei, als sich Charlie auf den Ellbogen stemmte und das verletzte Bein zu sich zog. Es war schiere Wut, die er hinausbrüllte, ein unbändiger Hass, der Joey mit einem Mal entgegenschlug. „Wie kannst du es wagen, du widerliches Stück Scheiße?!!“, donnerte Joey die hysterische, wuterfüllte Stimme entgegen. Reglos und wie gelähmt blieb er stehen und bewegte die Finger, die all das angerichtet hatten… die dem gesamten Trauerspiel ein Ende bereiteten. „Ich bringe dich um!!!“ Charlies zierlicher Körper neigte sich unter der Gewalt seiner Stimme. Er sackte erneut in sich zusammen, kroch ein Stück und blieb liegen. „Ich bringe deinen Vater um!!“, keifte er unbändig. „Deine Mutter!! Alle, die deine beschissene, wertlose Existenz verschuldet haben!!!“ Der Zeitpunkt war gekommen… Der Zeitpunkt, an dem Charlies wahres Wesen erschien, an dem alles aus ihm herausbrach, was unter der unschuldigen Hülle gesteckt… sich berechnend verkrochen hatte. Einen solchen Hass… eine solche Wut hatte Joey noch nie gespürt, doch im selben Moment atmete er tief durch und entspannte sich. Es war vielleicht ein gnadenloser Weg der Vergeltung, doch er war sich der Tatsache bewusst, dass Charlie, was auch immer ihn hier traf, es mehr als verdient hatte. „Du Wichser!!!“ Charlies gellende Stimme verebbte in einem lauten, schmerzerfüllten Schluchzen. „Du mieser kleiner Haufen Dreck… du bist nichts wert!! Hörst du?? Nichts wert!!!“ Es war eine Bewegung, die Joey aus dem Konzept brachte. Hatte er bis jetzt starr auf Charlie geblickt, löste er nun die Augen von ihm und schaute zu einem kleinen Durchgang. Kreidebleich im Gesicht war Ace dort erschienen. Schrammen in seinem Gesicht zeugten von einem harten Kampf, doch sein Erscheinen ebenso von einem Sieg. Er war ihnen gefolgt und er erlebte nun das, was auch Joey vor sich sah. Er sah, hörte und spürte diese unbändige Wut des Menschen, den er stets für besonnen und unschuldig gehalten hatte. Er hörte die Beleidigungen, die wüsten Beschimpfungen und es könnte keinen besseren Beweis geben. Es war unumstößlich, ein Moment der Wahrheit und schweigend sah Joey ihn an, während Charlie noch immer laut schrie und wütete. Ace konnte sich nicht bewegen. Seine geweiteten Augen blieben auf den zusammengesunkenen Charlie gerichtet und es nahm nicht viel Zeit in Anspruch, bis dieser ihn bemerkte. Der junge Mann fuhr in die Höhe. Noch immer hielt er sich das verletzte Bein, als er auf Ace aufmerksam wurde und es verwunderte Joey nicht, was sofort daraufhin geschah. „Ace!!“ Verzweifelt rief Charlie nach seinem Freund. Mit viel Mühe schleppte er sich ein Stück auf dem Boden, stemmte sich in die Höhe. „Hilf mir!!“ Laut flehte er ihn an. „Er hat auf mich geschossen, obwohl ich gar nichts getan habe!!“ Stockend öffnete Ace den Mund. Ihm gelang ein hastiges Blinzeln und er schien noch bleicher zu werden, als er langsam zu Joey schaute. Still und verstehend erwiderte dieser seinen Blick. „Er will umbringen!!“, keifte Charlie wieder schluchzend und aufgebracht. „Jetzt hilf mir doch endlich!!“ Doch Ace bewegte sich nicht. Tat keinen Schritt, kam Charlie nicht zur Hilfe und schweigend blickten Joey und Ace letzten Endes zu ihm zurück. Entsetzt und ungläubig fanden Charlies Augen zu dem jungen Mann. Keuchend kauerte er dort. Wirr haftete das Haar in seinem Gesicht, das vor Schmerz und Wut zuckte. Doch mit einem Mal schienen ihm die Worte zu fehlen. Kein Fluch richtete sich gegen Ace, keine Verwünschung, keine Beleidigung und mit stockendem Atem verfolgte Charlie, wie Ace den Kopf senkte und die Hand zu den Augen hob. Die Lider senkten sich, bevor er sich die Augen rieb und still den Kopf schüttelte. Noch immer umgab sie die Umgebung still und trostlos. Hier an diesem Ort fand nun alles sein Ende. Die Wahrheit hinter der niedlichen naiven Fassade brach hervor und nicht nur Ace fühlte sich in diesen Momenten, als würde man ihm den Boden unter den Füßen wegziehen. Fortwährend und beständig erhob sich dieses trockene, aufgebrachte Keuchen, während entsetzte Stille herrschte und nach wenigen Momenten ließ sich Joey langsam auf die Knie sinken. Er konnte nicht mehr stehen, wollte es nicht mehr und verfolgte mit brennenden Augen, wie Charlie zu Ace starrte. Begriff er es in diesen Momenten? Fiel es genauso tief, wie Ace es tat? Joey versuchte tief durchzuatmen, doch in seinem Hals saß dieser Klumpen, der es ihm massiv erschwerte. Er rieb sich den Hals, schluckte trocken und blickte zu Boden. Noch immer lag vor ihm die Waffe und er starrte sie eine Weile an, bevor er sich um ein Stück aufrichtete. An Charlie vorbei, blickte er direkt zu Ace. Dieser hatte die Hand von den Augen gelöst und hielt sie von dem traurigen Anblick fern. Mit gesenkten Schultern stand er dort, presste die Lippen aufeinander und viele Momente vergingen so, bevor er langsam die Hand hob. Nicht nur Joey verfolgte all dies. Auch Charlie starrte noch immer zu ihm. Die Hand, die sich in seine Wade klammerte, war blutverschmiert, doch das größte Entsetzen wurde in seiner Mimik entfacht, als Ace die Hand in der hinteren Hosentasche versenkte. Er fühlte kurz, tastete und ohne aufzublicken zog er dann sein Handy und starrte es an. Eine gespenstische Stille herrschte in diesen Momenten über den unglückseligen Ort. Selbst Charlies Keuchen war verstummte und Joey nahm eine stockende Bewegung aus seiner Richtung wahr, als Ace das Handy aufklappte und eine kurze Nummer wählte. Die alte Unsicherheit ergriff von Joey Besitz. Sofort fragte er sich, welche Nummer Ace wählte. Was er in dieser Lage zu tun gedachte. Seine Miene blieb ihm verschlossen, die Lippen versiegelt und wortlos hob er dann das Handy zum Ohr und starrte weiterhin nur zu Boden. Rief er einen vertrauensseligen Arzt an? Hatte er noch immer vor, Charlie zu retten? Hastig befeuchtete Joey die Lippen mit der Zunge. Er regte sich stockend, doch sank nur noch tiefer, bis er auf dem Boden saß und verfolgte, wie Ace wenige Sekunden wartete. Die Sekunden wurden zu Minuten, die Situation streckte sich so furchtbar in die Länge, doch dann blickte Ace auf. Geradlinig und zielstrebig fanden seine Augen zu Charlie und tief holte er Luft, bevor er die Stimme erhob. „Polizei“, murmelte er leise und erwiderte Charlies entsetzten Blick. „Wir haben hier einen Straftäter dingfest gemacht.“ Langsam stemmte sich Joey gegen die Tür, schob sich in das dunkle Foyer und tastete hinterrücks nach der Klinke. Das Licht der Außenlampen erstarb in dem großen Raum, als er die Tür schloss, zur Seite trat und sich gegen sie lehnte. Unter einem beinahe lautlosen Stöhnen ließ er die Schlüssel in der Hosentasche versinken, schloss die Augen und ließ den Hinterkopf gegen das Holz sinken. Die Stille des großen Hauses umgab ihn und er blieb stehen, harrte einige Momente aus, um einfach nur zu schweigen, zu realisieren. Was er an Stärke und Entschlossenheit aufzubringen hatte, das hatte er gezeigt, doch nun und in diesem Haus, ließ er sich sinken, hinabrutschen und kauerte kurz darauf auf dem Boden. Der Marmor unter ihm war etwas kalt und er regte sich müde, tastete mit den Händen und schöpfte tiefen Atem. Ziellos schweiften seine Augen die Umgebung ab, die Wände, die Türen… und die Treppe, als er auf dieser eine Regung ausmachte. Lautlos war dort jemand erschienen und er musterte ihn schweigend, während er sitzen blieb, die Beine anwinkelte und die Arme um die Knie schlang. Das Telefon in der Hand, trottete Kaiba die Stufen hinunter. Er erspähte ihn sofort, doch die erwartete Verwunderung blieb aus und er wendete das Gerät zwischen den Fingern, während er die letzten Stufen hinter sich ließ. Seine Mimik offenbarte eine gewisse Nachdenklichkeit und er presste die Lippen aufeinander, starrte gen Boden, als er das Foyer erreichte und sich in langsamen Schritten zu dem Blonden aufmachte. Noch immer waren die braunen Augen auf ihn gerichtet und die Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug, als Kaiba vor ihm zum stehen kam. Schweigsam erwiderte Kaiba seinen Blick und gleichzeitig wurden sie auf das Telefon aufmerksam. Träge ließ Joey den Kopf zur Seite rutschen, während er es anstarrte und Kaiba hob es, gestikulierte knapp damit, bevor er die Nase rümpfte und sich vor ihm niederließ. Er setzte sich einfach nieder, machte es sich vor Joey auf dem Boden bequem und fuhr sich durch das etwas zerzauste Haar. Flüchtig betrachtete er sich den Blonden genauer und nach reichlichen Erfahrungen suchte er nach Wunden, nach Verletzungen und wurde nicht fündig. Eine seltene Sache, dass etwas so glimpflich verlief. Ruhig legte er das Telefon neben sich ab, rückte sich zurecht und vertiefte sich in die Musterung des jungen Gesichtes, welches abwesend wirkte, zur Seite gewendet war. Gemeinsam blieben sie sitzen, gemeinsam schwiegen sie und nach wenigen Momenten durchdrang das leise Ticken der Küchentür die Stille des Foyers. Noch immer umschlossen Joeys Arme die Knie, noch immer wurde er betrachtet und ein stummes Kopfschütteln verriet, dass die Stille nun ein Ende fand. Die Gestik wirkte ungläubig, als gäbe es da eine jähe Enttäuschung gegenüber sich selbst. Er presste die Lippen aufeinander, rümpfte die Nase und gab die Haltung auf. Träge setzte er sich in den Schneidersitz, stemmte die Ellbogen auf die Knie und das Kinn in eine Handfläche. Erneut drifteten seine Augen an Kaiba vorbei und nach einem knappen Grübeln schöpfte er tiefen Atem. Man sah ihm deutlich an, dass er nach Worten suchte, dass er sich verpflichtet fühlte, etwas zu sagen und Kaiba ließ ihm jede Zeit. „Menschenkenntnis, Seto…“, vernahm er kurz darauf Joeys Flüstern und faltete die Hände ineinander, „… was ist das für eine komische Sache?“ Verständnislos verzog Joey das Gesicht und Kaiba blähte die Wangen auf, atmete tief aus. Er schien es zu verstehen und ihm gegenüber wurde gestöhnt. „Ich meine, woran liegt das? Wovon soll man Kenntnis haben, wenn der Andere mit einem spielt und einem glaubhaft… Gott, wirklich verdammt glaubhaft, irgendetwas vorgaukelt?“ Er sah Kaiba an, doch dieser starrte nach unten und sah sich nicht aus, als wolle er etwas erwidern. Also rieb er sich das Gesicht, blinzelte gegen die Müdigkeit. Es war eine Belastung und er nahm sich wenige Momente, um sich zu sammeln. „War ich zu blauäugig oder er einfach nur zu berechnend?“, flüsterte er anschließend und Kaiba bearbeitete den Marmor mit den Fingernägeln. „Keiner rechnet damit, dass ein heiterer Junge… den man einfach gern haben muss… so kaltblütig ist. Jede Entschuldigung außer Acht lassend, er…“, angespannt suchte Joey nach Worten, „… wenn er wenigstens etwas getan hätte, um nur für sich selbst etwas Gutes zu tun, ohne, dass andere Schaden nehmen aber er wollte jeden zerstören, der sich seine Familie schimpft. Kannst du dir das vorstellen, Seto?“ Kaiba blickte auf. „Ich nicht.“ Schweigend erwiderte der Brünette seinen Blick, wurde auf die Skepsis, auf die Verwirrung aufmerksam, die sich in Joeys Miene einschlich. „Wem kann man denn überhaupt noch vertrauen? Woher weiß man, dass der Andere genau so ist, wie er vorgibt, zu sein? Soll man sich von jedem fern halten, nur weil man nicht wieder verletzt und hintergangen werden will?“ „Mm.“ Ein unentschlossenes Raunen war vorerst das Einzige, was Kaiba entrann. Er rieb sich das Kinn, kratzte und senkte die Lider. „Ich denke… das ist eine Sache, die wir alle lernen müssen. Menschen sind nun einmal so, Joseph.“ „Wie sind sie denn?“, murmelte der Blonde sofort und Kaiba lugte nachdenklich zur Seite. „Fehlerhaft und nicht richtig. Ein Mensch kann sich genauso gut in einem anderen Menschen täuschen, wie ein Mensch einem anderen etwas vorspielen kann. Beides ist einfach.“ Joey schöpfte tiefen Atem, wieder schüttelte er den Kopf und ließ ihn gegen die Tür zurücksinken. Gleichzeitig streckte er die Beine von sich, streckte sie an Kaiba vorbei und machte sich lang, bis er bequemer saß. „Schlimm, nicht?“ „Mm.“ Nachdenklich nickte der Blonde. „Aber am Ende… bleibt es doch so, dass der eine einen Schaden anrichtet und der andere nur einen Fehler begeht.“ Kaiba wartete nicht, bis die erdrückende Schweigsamkeit zurückkehrte. Er fuhr fort und müde richteten sich die braunen Pupillen auf ihn. „Wer vortäuscht, verletzt den anderen, was im Gegensatz zu einem einfachen Fehler nicht zu verzeihen ist.“ Kurz sah Joey so aus, als wolle er sofort antworten. Er sah sein Gegenüber an, seine Lippen regten sich, doch letztendlich befeuchtete er sie nur mit der Zunge, ließ den Kopf sinken und betastete seinen Oberschenkel. Währenddessen wurde er immer noch gemustert. „Mach dir keinen Vorwurf, Joseph.“ „Ts.“ Ein knappes humorloses Grinsen zog an Joeys Lippen und kurz darauf rieb er sich die Augen. Viele Sachen waren einfacher gesagt, als getan. Zu einem Malheur gehörten immer zwei und es war nicht Joeys Art, den Schmerz, der in ihm festsaß, vollständig einem Anderen aufzulasten. Und vor ihm saß derjenige, der diese Gedanken… die Art des Blonden kannte, wie kein Zweiter. Kaiba wirkte nicht sehr überrascht. Kurz verfolgte er Joeys Reaktion, bevor er sich langsam zu regen begann, sich auf die Knie erhob und sich näher zu ihm schob. Aus den Augenwinkeln verfolgte Joey, wie er sich nahe vor ihn kniete, sich nach vorn lehnte… worauf er seinen warmen Atem auf dem Gesicht spürte, blinzelte. „Für was willst du dich denn verurteilen?“ Nur leise erhob sich Kaibas Stimme, als er beide Hände erhob, die Fingerkuppen auf die Wangen des Blonden setzte und dessen Gesicht mit einem zärtlichen Druck zu sich drängte. Zweifelnd wich Joey seinen Augen aus. „Du bist einfach freundlich und Kontaktfreudig. Wenn man so viele um sich hat… früher oder später ist immer ein Falscher darunter.“ „Mm.“ Träge regte sich Joey an der Tür und nach einem knappen Zögern sah er Kaiba an. „Ich stelle mir nur eine Frage, Seto…“ Die Hände lösten sich von seinem Gesicht und nahe bei ihm blieb Kaiba kauern, hob die Augenbrauen. „Wieso?“ Der Blonde schnitt eine Grimasse, hob die Hand zu einer ziellosen Geste. „Wieso hattest du Recht und warst dir dessen auch so sicher? Du kanntest ihn nicht, ich dagegen schon und ich konnte ihn vor dir anhimmeln, wie ich wollte… deine Sicherheit war unumstößlich. Ich meine, Beweise sind trotzdem nicht immer eindeutig.“ Erneut verzog sich seine Miene irritiert. „Bist du nicht davon überzeugt, dass ich mich mit Menschen auskenne?“ „Joseph…“, Kaiba holte tief Luft, doch der Blonde unterbrach ihn. „Ich komme mir wie ein… weißt du, wie ich mir vorkomme?“ Joey runzelte die Stirn und augenscheinlich hatte er kurz mit sich zu kämpfen. Kaiba wartete geduldig. „Wie der größte Vollidiot aller Zeiten. Ich mache unbewusst gute Miene zum bösen Spiel und ziehe mit Charlie um die Häuser, während er an die gestohlenen Unterlagen denkt, die irgendwo bei ihm herumliegen… und daran, wie intelligent und toll er ist. Und er grinst mir dreckig ins Gesicht, während er alles weiß und ich überhaupt nichts. Wieso hat er das getan? Ich habe ihn gefragt.“ Er hob die Augenbrauen und Kaiba stemmte die Ellbogen auf die Knie, legte den Kopf schief. „Ich habe ihn gefragt, warum er sich mit mir abgegeben hat, obwohl ich ihm in Bezug auf dich nichts gebracht habe. Er hat nie Fragen gestellt, nie versucht, über mich irgendwie an dich heranzukommen.“ „Was hat er gesagt?“, erkundigte sich Kaiba ruhig und der Blonde pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht, blinzelte verstört und schloss kurz die Augen. „Zufall“, nuschelte er dann, „… und ehrliche Sympathie. Er mochte mich bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich ihn in die Enge trieb. Und sobald er in der Falle saß, wurde ich zu einem Stück Dreck degradiert, das sich freuen sollte, dass es Beachtung von ihm fand.“ Unter einem lauten Ächzen ließ Joey den Kopf hängen, rieb sich das Gesicht. „Warum sind Menschen so? Warum können die so etwas? Das ist eine Tragödie… ich werde nicht damit fertig.“ Unter einem stummen Nicken ließ Kaiba den Kopf sinken und Joeys Hände fielen plump auf die Oberschenkel zurück; trübe starrte er nach unten. „Er war so zwiegespalten. Und wenn ich darüber nachdenke, dass Ace der Einzige war, der ihm die völlige Freiheit gab… bei dem Geld nichts bedeutete, dann tut er mir leid. Er hat Ace nie belogen, verstehst du? In ihm vereinten sich einfach zwei Charaktere und Ace hatte das Glück, den heiteren Jungen kennen zu lernen. Er liebt ihn wirklich… warum macht man sich so etwas kaputt, nur, um Rache an Anderen zu üben und eine persönliche Genugtuung zu bekommen?“ Unter einem tiefen Durchatmen begann sich Kaiba zu regen. Er richtete sich auf, stemmte sich auf die Oberschenkel und kam langsam auf die Beine. Trübe blickte Joey ihm nach und kurz darauf auf die Hand, die ihm entgegengestreckt wurde. "Lass uns hochgehen", flüsterte Kaiba leise und nickend hob Joey die Hand und griff zu. ~*to be continued*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)