Vierter Teil: Wir leben! von abgemeldet (Fortsetzung von "Dkmnudhdm", "GiKuS" und "DLdW") ================================================================================ Kapitel 8: Ebenbild 1 --------------------- Ein herrliches Wetter bot sich Joey, als er am nächsten Morgen erwachte und die Bequemlichkeit des neuen Bettes ausnutzte. Träge und genüsslich wälzte er sich zur anderen Seite, schmiegte sich in das weiche Kissen und blinzelte. Die Vorhänge vor den Fenstern waren zurückgezogen und so fanden die Strahlen der Sonne den direkten Weg in sein Zimmer, kitzelten sein Gesicht und er empfing sie mit einem Lächeln, blinzelte und mummelte sich ein letztes Mal ein, um auch den Rest der Schlaftrunkenheit ausklingen zu lassen. Wie er diese Sonntage liebte... Sie versprachen Freizeit. Er atmete tief ein. Und Ruhe... "Baaaaah!" Schreiend rannte jemand an seinem Zimmer vorbei und seine Miene verzog sich. Kurz darauf knallte eine Tür und Kurai bellte im Flur. "Uuhh." Joey zog sich die Decke über den Kopf. War im Hause Kaiba immer so viel los? Er atmete tief durch, lauschte und... hörte nichts mehr. Erleichterung befiel ihn und sein Körper begann sich zu entspannen. Er hatte sich darauf gefreut, nach dem Aufwachen unter anderen zu sein, nicht mehr in eine leere Wohnung hinauszutreten und den einzigen Gesprächspartner in sich selbst zu finden. Es war schön, stets jemanden um sich zu haben und an die Energie des Jungen würde er sich sicher auch noch gewöhnen. Immerhin hatte Kaiba hatte es auch geschafft und es war ja bekannt, welcher von beiden die besseren Nerven besaß. Wieder knallte eine Tür und Joey zuckte zusammen. "Kuraaai!", brüllte Mokuba wieder und schnelle Schritte zogen an der Tür vorbei. "Das ist mein Pantoffel!!" "Boahhh." Joey schüttelte den Kopf, rollte sich auf den Rücken und richtete sich auf. Wild stand ihm das Haar zu Berge und die Decke hatte sich gehässig um ihn gewickelt. Mit trüben Augen blickte er sich um. "Kurai, das ist meine Mütze!!" Die schmalen Brauen des jungen Mannes verzogen sich, als er sich nach einer Uhr umsah. Halb neun... die perfekte Zeit, um an einem freien Tag aufzustehen. Er blähte die Wangen auf und kratzte sich innig. Ihn umgab das für Umzüge typische Gerümpel und seine Laune hob sich nicht gerade bei diesem Anblick. "Hab ich dich!", hörte er Mokuba vor der Tür lachen, wieder bellte Kurai. "Komm, setz sie mal auf! Sträub dich nicht... komm schooon!" "Oh man." Joey rollte mit den Augen, befreite sich aus der Decke und kroch über die Matratze. Träge stieg er hinab, zupfte an dem zerknitterten Shirt und schlenderte zur Tür. Gähnend öffnete er sie und sah die beiden Racker gerade noch davonrennen, als er in den Flur trat. Gemächlich machte er sich auf den Weg zur Küche. Wenn man hier morgens großen Hunger hatten, dann war es gefährlich. In der Wohnung des Normalverbrauchers war es ein kurzer Marsch bis in die Küche. Hier jedoch...? Hier lief man Gefahr, zu verhungern, bevor man das Ziel erreichte. Barfuß trottete er durch den langen Flur und als er endlich die rettende Treppe erspähte, da kam ihm eine Erinnerung, die seine morgendliche Muffelei mit einem Schlag in Luft auflöste. Er grinste, warf einen kurzen Blick in die Richtung, in der Mokuba und Kurai verschwunden waren und stieg leise lachend die Treppe hinab. Ja... genau! Ein gewisser Junge würde heute den ganzen Tag das Haus verlassen, um mit seinem Lieblingsfreund und dessen Eltern über den Flohmarkt zu trödeln und den Rest der Zeit bei ihm Zuhause totzuschlagen. Wenn das mal nicht erfreulich war. Er erreichte das Foyer und sein Magen knurrte. Mit einem Klaps brachte er ihn zum Schweigen, kämpfte gegen ein weiteres Gähnen an und näherte sich der Küche. Müde schlürfte er herein, rieb sich die Augen und blieb stehen, als er da jemanden entdeckte. In einem zerknitschten Morgenmantel und zerzausten Haar kauerte Kaiba am Tisch, war an die Kante des Stuhles gerutscht und hielt sich nach vorn gebeugt. Träge war die Stirn in die eine Hand gestützt, während er mit der anderen eine Tasse umklammerte. Joey hob die Augenbrauen, legte den Kopf schief und konnte sich nicht vor einem amüsierten Grinsen retten. Unaufhaltsam breitete es sich aus und bald erfreute er sich ganz gnadenlos an Kaibas Zustand. Dessen Schultern bewegten sich unter einem tiefen Atemzug, auch das Gesicht hob er langsam an und zwischen den zerzausten Strähnen richteten sich trübe Augen auf ihn. Nur kurz sah er ihn an. "Bah." Stöhnend ließ er das Gesicht wieder sinken und stützte es auf die Hand. Joey war ein schlechter Schauspieler und die mitleidige Miene, die er sich aufzwang, schaffte es kaum, die Schadenfreude zu überdecken. Mit schiefgelegtem Kopf schlenderte er näher, schunkelte und trat nahe an ihn heran. Fürsorglich bettete er die Hand auf seinem Nacken und zog ihn vorsichtig zu sich. Kaiba ließ sich ziehen, lehnte die Wange träge an seine Schulter und wurde umarmt. "Ich tröste dich." Joey rümpfte die Nase, räusperte sich leise und begann langsam zu schunkeln, woraufhin Kaiba leise brummte. Und, kurz hatte er nicht aufgepasst, da kehrte das Grinsen zurück, dicht gefolgt von einem leisen Glucksen. "Mm..." Kaiba runzelte die Stirn, hielt die Augen geschlossen und räkelte sich schlapp. "Das hab ich gehört." "Ähöm." Joey presste die Lippen aufeinander, streichelte seinen Rücken und erreichte mit einer Hand schnell seinen Nacken, den er zärtlich zu kraulen begann. Kaiba atmete tief durch, drehte das Gesicht auf die andere Seite und genoss die Streicheleinheiten. "So schlimm?" "Mm..." "Meine Güte... Respekt." Joey weitete die Augen und ließ sie kreisen. "Meine Güte, warst du blau. Wieviel hast du in dich reingeschüttet? Sechs Flaschen Bier?" Kaiba verschluckte sich, hustete leise und begann sich stockend zu bewegen, worauf Joey ihn aus der Umarmung entließ. Sorgsam bettete er die Hände auf Kaibas Wangen, wendete sein Gesicht zu sich und betrachtete es sich, während er das brünette Haar zurückstrich. Die blauen Pupillen richteten sich verbittert auf den Boden und Joey wartete geduldig. Und Kaiba ließ ihn lange warten, bis er die Nase rüpfte und erschöpft den Kopf schüttelte. "... ne...", nuschelte er daraufhin leise. "Hm? Was?" Joey neigte sich zu ihm und Kaiba räusperte sich. "Ei... ne..." Wortlos öffnete Joey den Mund, seine Augen drifteten zur Seite und die Hände legte er auf den Schultern des Anderen ab. Griesgrämig verfolgte dieser seine Reaktion, sah, wie er den Mund schloss, die Wangen aufblähte und ihn kurz darauf misstrauisch ansah. "Eine." Kaiba antwortete nicht, verzog die Miene nur weiterhin und verdrehte die Augen. Joey unterdessen, schien die Luft anzuhalten, räusperte sich gedrungen und rieb sich die Nase. Seine Schultern begannen merkwürdig zu zucken und sein Gesicht wurde rot. Ebenso pressten sich die Lippen stärker aufeinander und Kaiba wandte sich stöhnend der Tasse zu. "Lach ruhig." Laut brach es aus Joey heraus. Er lachte herzhaft, presste die Hand auf den Mund und fuchtelte mit der anderen, bevor er sich nach vorn beugte und sich auf die Knie stemmte. Vergrämt lugte Kaiba zu ihm. "Lach nicht!" Joey hustete, drehte sich um und ging ein paar Schritte. Kurz darauf konnte er sich jedoch nicht mehr halten und wieder musste er laut lachen und stehen bleiben, um genug Luft zu bekommen. "Oh man!" Kaiba rieb sich die Stirn, ließ den Kopf hängen und hob die Tasse zu Mund. "Eine?!" Glucksend und prustend drehte sich Joey zu ihm um, Tränen standen ihm in den Augen und Kaiba nippte an dem bitteren Getränk. "Du hast eine einzige Flasche Bier getrunken und warst sooo betickert?!" "Ja!" "Wie geht das?" Joey wurde ernst, seine Miene verzog sich misstrauisch und in schlendernden Schritten kehrte er zu ihm zurück. "Erzähl mal, das interessiert mich." "Lass mich in Ruhe." Kaiba winkte ihn weg, doch ebenso rasch hatte Joey nach seinem Handgelenk gegriffen und sich um seinen Arm geklammert. Verspielt lehnte er sich an ihn und Kaiba rümpfte die Nase. "Geh weg." "Seto", wisperte Joey verspielt an seinem Ohr. "Eine einzige, wirklich nur eine einzige winzig kleine..." "... sie war groß", warf Kaiba ein. "Zum Kuckuck nochmal, dann war sie eben groß." Joey schnitt eine Grimasse. "Von einer Flasche Bier kann man nicht so betrunken werden." "Und genau das ist der Grund, weshalb ich kein Bier trinke", stöhnte Kaiba endlich und lugte grantig zu ihm. "Ich kann es nämlich." "Du...", Joey weitete überrascht die Augen. "Genau." Und Kaiba wandte sich ab. "Du verträgst kein Bier?" Lobend hob Kaiba den Daumen und trank weiter. Stockend wandte sich Joey ab, sein Finger verhakte sich im Morgenmantel und zog Kaibas Arm mit sich. "Also schmeckt es dir in Wirklichkeit sogar." "Neeein", ertönte eine leiernde Stimme hinter ihm. "Ich finde es widerlich. Aber ich konnte nichts machen." "Aber ich kann." Grinsend lugte Joey zu ihm und Kaiba hob eine Augenbraue. "Schau mal." Er bewegte Kaibas Arm in der Luft und dieser blähte erschöpft die Wangen auf. "Mokuba wird heute woanders seinen Spaß haben und wir haben ihn hier." "Mm..." "Aber da es doof wäre, wenn so ein Kater den ganzen schönen freien Tag zerstört..." "Mm..." "... kommst du jetzt in den Genuss des Hausmittels der Familie Wheeler. Ich sage dir, der Kater ist weg, so schnell kannst du nicht gucken!" "Was?" Joey ließ seinen Arm los, trödelte hinüber zur Arbeitsfläche und holte einen großen Becher hervor. Kaiba wirkte nicht sehr überzeugt, als er faul sitzen blieb und ihn beobachtete. Pfeifend klaute sich Joey ein Ei aus dem Kühlschrank, schlug es in den Becher und begann zu suchen. "Ganz, ganz toll", beteuerte er, als er ausgiebig Pfeffer hinzugab und nach dem Salz griff. Kurz lugte er zu Kaiba. "Du wirst staunen und ich kann was mit dir anfangen." Kaiba winkte ab und ließ sich auf den Tisch sinken. "Ach, jetzt tu nicht so." Joey blähte die Wangen auf, öffnete den Kühlschrank erneut und holte noch andere Zutaten hervor. Senf, Merettich und Milch... All das wurde in den Becher gestopft und letztendlich folgten noch einige frische Gewürze und etwas Mehl. In dieser Küche war alles zu finden. Nach diesem kurzen Werkeln griff Joey nach dem Becher, kehrte zu Kaiba zurück und präsentierte diesem stolz sein Werk. Lustlos rappelte sich dieser auf, warf einen kurzen Blick hinein und verzog die Miene, bevor er ihn skeptisch ansah. "Was ist der Trick? Verdrängt die Übelkeit den Kater?" Die Miene des Blonden zuckte und nachdrücklich reichte er ihm den Becher, auf dass Kaiba ihn murrend annahm. Es blieb ihm wohl keine andere Möglichkeit. "Mir ist schlecht." Murrend verschränkte Kaiba die Arme vor dem Bauch, während Joey die Tür öffnete und Mokuba und Kurai an sich vorbeirennen ließ. Die Nachricht schien ihn nicht zu überraschen. "Glaub ich dir gern." Er grinste und schob sich nach draußen, wo ein Auto auf dem Schotterplatz stehen blieb. Langsam folgte Kaiba ihm. "Du hast es gewusst und ich hatte Recht." "Zieh nicht so ein Gesicht." Joey rempelte ihn sanft an. "Die Übelkeit geht ganz schnell vorbei." Kaiba zog den Morgenmantel fröstelnd enger. "Und das soll ich dir jetzt glauben?" "Mokubaaa!" Bikky sprang aus dem Wagen und auch die anderen Türen öffneten sich. Während sich die beiden Jungs in die Arme fielen und lachend schunkelten, stieg ein junges Ehepaar aus und erfreute sich kurz an dem Anblick, bevor sie zu Kaiba kamen. Dieser stieg die Stufen hinab, kam ihnen entgegen und schüttelte ihnen die Hände. "Guten Morgen." Er nickte ihnen zu, zog den Arm zurück und legte ihn fröstelnd um den Leib. "Danke, dass Sie sich Zeit nehmen." "Das ist doch keine Frage." Die junge Frau lachte. "Wir haben Bikky diesen Tag lange versprochen und werden ihn sicher auch genießen." Eine kalte Brise erfasste sie und Kaiba presste die Lippen aufeinander. "Mokuba!" Joey wedelte mit der Leine, die er hielt. Aufgeregt und schwanzwedelnd kam Kurai zu ihm, wusste dieses Zeichen in der Zwischenzeit gut zu deuten. "Die wirst du wohl brauchen!" "Oh!" Mokuba riss die Augen auf und Joey ging kurz in die Knie, kraulte seinen Hund und ließ sich das Gesicht lecken. Beiläufig gab er Mokuba die Leine und hielt Kurais Kopf etwas fester. "Amüsier dich", verabschiedete er sich von ihm und Kurai schmatzte. "Und dass du mir keinen Mist baust." "Wann soll ich ihn abholen lassen?" Kaiba steifte sich das Haar aus dem Gesicht und warf einen knappen Blick zu Joey. "Oh, wir können ihn auch bringen", widersprach Bikkys Vater. "Das stellt kein Problem dar. Spätestens um acht?" "Hat er noch Hausaufgaben auf?" Kaiba wandte sich zu Mokuba, der schon einsteigen wollte. "Neeeein!", schrie Bikky aufgeregt zurück und der Brünette verzog gequält die Miene, wandte sich an die Eltern und nickte. "Um acht." Daraufhin wurden wieder Hände geschüttelt und während alle wieder einstiegen, trat Kaiba neben Joey, der grinsend winkte. "Und was machen wir jetzt?", fragte er bibbernd und der Blonde ließ die Hand sinken, wandte sich ihm mit großen Augen zu und öffnete den Mund. "Gar nichts." Gemächlich schlüpfte Joey in einen dünnen Abendmantel, zog ihn locker um den Leib und band ihn zu. Er blickte auf, besah sich flüchtig die hochliegende Decke und schlenderte los. Barfuß trat er in den Gang hinaus, faltete das Stück Papier zusammen und ließ es in der Tasche des dünnen Mantels verschwinden. Er ließ sich alle Zeit der Welt, erreichte alsbald die Treppe und stieg sie hinab. Bequem fuhr er sich durch den Schopf und erreichte die Küche. Morgen war also der Tag der offenen Tür an ihrer Schule. Oh, darauf freute er sich schon, da dadurch kein Unterricht möglich war. Und auf die Arbeiten der jüngsten Schüler war er nicht weniger gespannt. Er atmete tief ein und steuerte zielstrebig auf den Kühlschrank zu. Dessen Inhalt änderte sich nie. Größtenteils Berge von Süßigkeiten, grelle Verpackungen, die förmlich nach Kalorien schrien und eine Menge mehr. Die gesunden Dinge waren in den untersten Fächern versteckt, doch auf die hatte es Joey überhaupt nicht abgesehen. Stattdessen griff er nach einer Flasche Bier, klemmte sie unter den Arm und öffnete auch das Gefrierfach. Mokuba hatte sich so viele Vorräte angeeignet, dass es ihm sicher nicht auffiel, wenn für geraume Zeit das eine oder andere auf ominöse Art und Weise verschwand. So zog Joey einen kleinen Eimer mit Eis hervor, suchte sich auch zwei Löffel und machte sich so auf den Rückweg nach oben. Mit dem Ellbogen drückte er die Türklinke hinab und trat in Kaibas Zimmer. Die dunklen Vorhänge waren zugezogen, schlossen das Licht des Tages aus, welches durch den romantischen Schein einiger Kerzen ersetzt wurde. Auch ruhige Musik erfüllte den Raum und Joey lächelte. >Solche Tage müsste es öfter geben<, dachte er sich, als er die Tür hinter sich schloss und zum Bett trödelte, in dem es sich Kaiba bereits gemütlich gemacht hatte. In einen schwarzen Yukata gekleidet, hockte er zwischen den Kissen, bewegte einen Kuli zwischen den Lippen und las in einem Buch, welches er vor sich auf dem Schoß hielt. Neben ihm lag eine Zigarette im Aschenbecher, von der ein gerader Rauchfaden aufstieg. Als sich Joey durch die am Boden stehenden Kerzen schlängelte, blickte er kurz auf und nahm sich den Kuli aus dem Mund. Bequem kniete sich Joey auf die Matratze, robbte auf den Knien näher und setzte sich vor Kaiba. Ihre Blicke trafen sich kurz, bevor der Blonde die Flasche aufdrehte und einen herzhaften Schluck nahm. Genüsslich schloss er die Augen, schmeckte das Getränk im Mund und reichte die Flasche provokant dem Brünetten. "Hm?" Er hob herausfordernd die Augenbrauen und Kaiba verzog gequält die Miene. Ein durchtriebenes Grinsen zog am Mundwinkel des Blonden und der Andere wandte sich wieder seinem Büchlein zu, bewegte den Kuli zwischen den Fingern und vertiefte sich in den Text. Der Blonde stellte die Flasche zur Seite, warf sich auf den Bauch und stellte den kleinen Eimer neben sich ab. Aus den Augenwinkeln beobachtete Kaiba kurz, wie er das Blatt hervorzog, es auseinanderfaltete und vor sich ablegte. Daraufhin zog er auch einen Stift hervor, biss sich auf die Unterlippe und begann zu grübeln. Kaiba atmete tief durch, streckte bequem die Beine von sich und blätterte in dem Buch weiter. Joey saugte an den Zähnen, rümpfte die Nase und tastete nebenbei nach dem Eimer. Mit wenigen gekonnten Griffen zog er den Deckel ab, tastete nach dem Löffel und begann mit ihm über das leckere Eis zu kratzen, bevor er ihn gemächlich im Mund verschwinden ließ. Kaiba wandte sich wieder ab, griff nach der Zigarette und räkelte sich in den Kissen. Die Kerzen flackerten, vermittelten eine unglaublich beruhigende Atmosphäre, in der es sich aushalten ließ. Die Musik, die aus langsamen Klavierstücken bestand, tat das ihrige. Joey begann mit den Füßen zu wippen. Auf dem Blatt waren einige Noten zu sehen. Geordnet zogen sie sich von einer Seite zur anderen, stellten eine lange Melodie dar. Darunter war auch ein Text zu sehen, bei dem es nur noch etwas an der Länge mangelte. Ganz in diese Sache vertieft, begann Joey leise zu summen. Seine Augen tasteten sich über die Noten, gleichermaßen konzentrierte er sich auf den Text und strich eine Note, als etwas nicht funktionierte. Kaiba verzog konzentriert die Augenbrauen, kreuzte die Beine und blätterte weiter. "Mm..." Wieder fand der Löffel den Weg zum Eis und anschließend in den Mund des Blonden. Und nach wenigen Minuten rappelte sich Joey etwas auf, hockte sich auf die Matratze und starrte auf den Zettel. Da stimmte doch wieder etwas nicht. Er zog eine Grimasse und Kaiba begann sich zu regen. "Versuchst du dich als Songwriter?", erkundigte er sich nach einem knappen Blick zu dem Blatt und schloss das Buch. "Mm." Joey wackelte mit dem Kopf und rutschte an ihn heran. Er kauerte sich direkt neben ihn, legte seufzend den Arm um seinen Hals und hielt ihm das Blatt unter die Nase. "Schau dir mal die Noten an", bat er leise und lehnte den Kopf an Kaibas Haar. Dieser hob kurz die Hand, tätschelte seine Wange und griff nach dem Blatt. Nur flüchtig betrachtete er sich die Zeilen, dann hob er die Augenbrauen. Joey blähte die Wangen auf, schmiegte sich an ihn und wartete auf irgendwelche Worte. "Ist dir das selbst eingefallen?", fragte Kaiba nach kurzer Zeit und Joey nickte leicht. "Mm." Er kratzte sich an der Nase, löste sich kurz von Kaiba und beugte sich über dessen Beine, um nach dem Eimer greifen zu können. Mit diesem lehnte er sich wieder gegen ihn und begann mit dem Löffel herumzustochern. "Ich weiß nicht, ob das so hinhaut. Mit Noten kenne ich mich nicht so gut aus, hab mir die Melodie nur grob vorgestellt." "Mm." Kaiba legte den Kopf schief und wurde wieder umarmt. "Das ist so unglaublich kompliziert", flüsterte Joey und hob den Löffel. Er führte ihn zu Kaibas Mund und dieser schnappte beiläufig danach, die Noten noch immer musternd. "Soll ich die Melodie mal spielen?" Er rieb sich den Mund und lugte zu Joey, der die Augenbrauen hob. "Oh", staunte er. "Ja, das wäre nicht schlecht." So reichte Kaiba das Blatt an Joey zurück und durchstreifte dessen Schopf zärtlich mit der Hand, bevor er sich vom Bett schob und zur Tür schlenderte. Der Blonde stellte den Eimer wieder zur Seite, rammte den Löffel in das Eis und ließ ihn stecken. Kaiba verschwand im Flur und er nahm die Zigarette aus dem Aschenbecher, ließ sich mit ihr zurückfallen und streckte sich wohlig auf dem weichen Laken. Er streckte den anderen Arm weit von sich, winkelte die Beine an und atmete tief durch. Die braunen Augen richteten sich auf eine der kunstvollen Lampen, seine Lippen umschlossen den Filter. Er schien in Gedanken zu versinken, blinzelte und ließ die Zigarette sinken. Weitere Sekunden verharrte er so, bis er sich langsam aufrichtete, die Zigarette wieder im Aschenbecher ablegte und die Lippen aufeinander presste. Langsam hob er die Hände, schob sie durch den Spalt des Abendmantels und ertastete die dünne Kette. Bedächtig tastete er hinab, ergriff das Medaillon und schloss es in der Hand ein. Erneut hoben sich seine Schultern unter einem tiefen Atemzug, bevor er sich die Kette über den Kopf streifte und sie sich betrachtete. Er sah sie lange an, wendete das Medaillon in der Hand und schloss die Augen. Langsam fuhr sein Zeigefinger über die glatte Oberfläche und erreichte bald die Rückseite. Dort, wo sich eine kleine unauffällige Kravur befand, hielt sie inne. Die Miene des Blonden verzog sich kurz, zögerlich öffnete er die Augen, fühlte die leichten Unebenheiten, schob den Zeigefinger zur Seite und sah sie an. Er betrachtete sie sich lange, bevor ein sanftes Lächeln seinem Gesicht Ausdruck verlieh. Und mit einer zielstrebigen Bewegung öffnete er das Medaillon, griff nach dem Inhalt und nahm ihn heraus. Er ging sehr vorsichtig mit ihm um, legte ihn auf die Handfläche und betrachtete ihn sich. Es war eine Strähne schwarzen Haares, die fein säuberlich mit einem dünnen Band umwickelt war. Joey blinzelte, legte die Kette zur Seite und betastete das Haar. Es war noch immer so weich und zart. Unter einem leisen Seufzen nahm er das kleine Bündel, hob es vor das Gesicht und verengte sinnierend die Augen. Er betrachtete sich dieses Symbol der Andacht sehr oft. Es war ein schönes Gefühl, es in der Hand zu halten, es bei sich zu tragen. Auf dass Lee stets mit ihm war, auf dass er nie vergessen wurde. Er senkte die Lider, ballte die Hand zu einer entspannten Faust und blickte auf, als Kaiba zurückkehrte. Mit der Gitarre unter dem Arm schloss er die Tür und kam zu ihm. Joey lächelte ihn flüchtig an, bevor er die Strähne wieder im Medaillon verstaute und sich die Kette überstreifte. Der Brünette tastete kurz unter der Decke, zog eine kleine Fernbedienung hervor und schaltete die Stereoanlage aus. Dann hockte hockte er sich neben ihn und Joey nickte neugierig, reichte ihm das Blatt und schob sich auf den Knien zurück, bis er direkt hinter ihm hockte. Kaiba setzte sich gemütlich, legte die Gitarre auf dem Oberschenkel ab und warf einen weiteren Blick auf die Noten. Währenddessen lehnte sich Joey an ihn, schlang verträumt die Arme um den schlanken Leib und bettete die Wange auf seinem Nacken. Kaiba ließ sich davon nicht stören, biss sich auf die Unterlippe und rückte sich kurz zurecht. "Hast du schonmal gehört, wie es klingt?", fragte er und griff in die Bünde. "Mm-mm." Joey schüttelte etwas den Kopf und Kaiba senkte ihn. "Melancholisch." Langsam öffnete der Blonde die Augen, umarmte Kaiba fester und verharrte reglos. Der Brünette musste sich kurz orientieren, bevor er die richtigen Griffe fand und zu spielen begann. Aufmerksam lauschte Joey den Tönen, vertiefte sich in ihnen und bewegte stumm die Lippen. Kaiba hatte Recht, es war wirklich etwas Melancholisches dabei herausgekommen... Die Noten waren noch etwas holprig und bei dem ersten Versuch fehlte natürlich noch etwas Übung, doch die Grundmelodie konnte man heraushören und darauf kam es letztendlich an. Den Blick fest auf die Zeilen gerichtet, spielte Kaiba weiter, griff um und zupfte an den Saiten. Es war noch nicht sehr viel... Plötzlich mischte sich ein grausamer hoher Ton darunter und Joey zog eine Grimasse. Auch Kaiba hielt inne und rümpfte die Nase. Und schon gab es wieder eine Note, die völlig fehl am Platz war. Er brummte leise und Joey rappelte sich auf, bis er über seine Schulter linsen konnte. Stirnrunzelnd starrte er auf das Blatt und kratzte sich an der Wange. "Okay, die streiche ich nachher." Kaiba schmunzelte und der Blonde schmiegte sich wieder an ihn. "Lass es doch so", schlug der Brünette scherzend vor. "Etwas Unerwartetes kommt immer gut an." "Hey." Joey stach ihm mit dem Zeigefinger. "Mach dich nicht darüber lustig. Das ist mein erster Versuch." "Mm." Kaiba drehte die Gitarre nach vorn und rieb sich das Kinn. "Dafür ist es gar nicht so übel." "Findest du?", flüsterte Joey mit geschlossenen Augen und ein zustimmendes Nicken folgte. Der Blonde schluckte, rollte mit den Schultern und regte sich nicht. Er genoss die Wärme des anderen Körpers, labte sich an dem bekannten, leicht würzigen Geruch der Haut, an dem Kitzeln der brünetten Strähnen, die sanft seine Stirn berührten. Er klammerte sich an ihn. Kaiba hatte sich wieder in die Noten vertieft. Grübelnd kauerte er dort, streckte alsbald die Hand zur Seite und tastete nach einem der Kulis, die auf der Decke lagen. Gemächlich legte er den Zettel auf dem Rücken der Gitarre ab, zückte den Stift und strich die falsche Note durch. Nach einem flüchtigen Sinnieren ersetzte er sie durch eine andere, nickte selbstbestätigend und schob das Blatt von sich, um die Gitarre wieder aufzurichten. "Hör mal", flüsterte er hinter zu Joey. "So dürfte es funktionieren." Und wieder begann er zu spielen, diesmal fließender. Es war schön anzuhören und noch schöner war die Tatsache, keinen Ton dabei zu haben, der selbst die Toten in die Höhe fahren ließ. Kaiba schien Gefallen daran zu finden, spielte das kleine Stück noch öfter. Mal setzte er Pausen ein, mal spielte er schneller. So wie es ihm in den Sinn kam und allmählich wurde es immer annehmbarer. Während er sich Gedanken machte, die dünnen Saiten bearbeitete und auf dem Kuli kaute, regte sich Joey nicht. So, wie er dortsaß, erweckte er den Anschein, zu schlafen. Doch das tat er nicht, nein, all seine Sinne waren wach, nur weniger auf die Musik gerichtet als auf eine andere Sache. Die feinen Gesichtszüge des Blonden gewannen nicht an Ausdruck, während er Kaiba festhielt, mit den Armen spürte, wie er ein und aus atmete. "Das ist doch...", vernahm er kurz darauf seine Stimme, "... ist das die erste Strophe? Wirst du noch einen Refrain und andere entwerfen?" "Mm-mm." "Ah." Kaibas Miene erhellte sich, der Kuli wippte zwischen seinen Fingern. "Jetzt verstehe ich." Anschließend nahm Joey leichte Bewegungen wahr. "Es wird sich sowieso anders anhören, wenn man es mit der Band spielt." Kaiba wirkte sehr interessiert, nahm sich wieder des Zettels an und korrigierte einige Noten, die etwas verschrumpelt aussahen. Er arbeitete exakt und sauber, zeichnete noch einen verschnörkelten Notenschlüssel und hielt kurz inne. Die blauen Pupillen tasteten sich flüchtig durch das Zimmer, bevor er noch etwas auf das Blatt schrieb. "Seto...?", ertönte hinter ihm ein leises Flüstern. "Mm?" Er blieb über das Blatt gebeugt und der Blonde öffnete langsam die Augen. "Ich liebe dich." Kaiba hielt in jeglichen Bewegungen inne, hob die Augenbrauen und richtete sich langsam auf. Annähernd wirkte er überrascht. Joey seufzte fast lautlos und schmiegte sich an ihn. "Und ich bin so froh, dass du bei mir bist." Kaiba spürte die feste Umarmung und ließ den Kuli sinken. Seine Lippen formten stumme Worte, verzogen sich dann zu einem leichten Schmunzeln, mit dem er sich langsam umdrehte. Nebenbei schob er die Gitarre von sich und Joey löste die Umarmung etwas. "Hey...", er wandte sich ihm langsam zu, streichelte seine Stirn und streifte das blonde Haar zurück, um einen sanften Kuss auf ihr platzieren zu können. Joey lehnte sich gegen ihn, vergrub das Gesicht in der leichten Vertiefung der Schulter und spürte, wie Kaiba die Umarmung erwiderte, fest und doch zärtlich. Behaglich ließ Kaiba das Gesicht sinken und lehnte die Wange an den blonden Schopf. "Womit habe ich es verdient, in den Genuss dieser Worte zu kommen?" "Mit deiner Existenz", antwortete Joey flüsternd und küsste seinen Hals. "Gern geschehen." Ein leises Lachen drang an Kaibas Ohren und nach einem tiefen Durchatmen, begann er Joeys Rücken zu streicheln. "Hast du schon einmal über all das nachgedacht?" Der Blonde blickte gedankenverloren zur Seite. "Zwei Jahre waren die einzigen Worte, die wir ausgetauscht haben, wilde Beschimpfungen und Flüche. Wir haben uns nicht angesehen und sind uns so gut wie nur irgendmöglich, aus dem Weg gegangen. Und dann, ganz plötzlich, greift die Vernunft nach einem und alles ändert sich." "Mm." Kaibas Hände tasteten sich Joeys Rückrad hinab, bearbeiteten es liebevoll und machten sich alsbald wieder auf den Rückweg. "Bei dir war die Vernunft nur etwas schneller." "Ach, warum?", seufzte Joey. "Du hattest deine Gründe, mich nicht zu mögen." Kaibas Hände stoppten und der Blonde biss sich auf die Unterlippe. "Und ich bin dir dankbar, dass du sie mir so brutal gegen den Kopf geschmissen hast. So einfach war das mit der Vernunft bei mir also doch nicht." Kaiba blickte langsam auf, schien zu sinnieren. "Lange Zeit habe ich nicht einmal bemerkt, dass ich etwas falsch gemacht und meinem Vater den letzten Nerv geraubt habe. Und jetzt ist alles anders." "Joseph?" "Ja?" Kaiba räusperte sich leise und umarmte ihn. "Ich habe dir meine Gründe genannt. Habe gesagt, du wärst faul und würdest das Leben nicht ernstnehmen." "Und das stimmte ja auch", flüsterte Joey, doch Kaiba schüttelte den Kopf. "Schon, aber...", er stoppte kurz und Joey wartete, "... es waren nicht die einzigen Gründe, weshalb ich dich gemieden habe." Joey runzelte die Stirn, löste die Umarmung etwas und lehnte sich zurück, um ihn anschauen zu können. Unverwandt sah Kaiba ihm in die Augen und nach dem Blonden griff eine leichte Nervosität. "Gab es echt so viel, was ich falsch gemacht habe?", erkundigte er sich, doch auf Kaibas Lippen zeichnete sich ein leichtes Grinsen ab und das wirkte etwas beruhigend. "Sag schon." Joey beugte sich zu ihm. "Was gab es noch für einen Grund, den du mir solange verschwiegen hast?" "Verschweigen kann man nicht sagen", antwortete Kaiba nachdenklich. "Aber zu einem früheren Zeitpunkt wäre ich mir seltsam vorgekommen, wenn ich es dir gesagt hätte." "Weshalb?" Joey verzog die Augenbrauen und legte den Kopf schief. "Du weißt doch, dass du mir alles sagen kannst." "Und das mache ich jetzt auch." Kaiba senkte etwas den Kopf, faltete die Hände auf Joeys Rücken und atmete tief ein. Joey wartete gespannt, schien gleichermaßen jedoch auch eine leichte Angst zu verspüren, was seine Miene deutlich zeigte. "Ich habe dir von meinem Leben erzählt, habe dir erklärt, was ich erlebt habe, bevor ich zu dem wurde, der ich jetzt bin." Joey nickte langsam, war kaum dazu imstande, sich zu regen. "Ich habe viele Veränderungen durchgemacht, bin von Hand zu Hand weitergereicht worden und hatte nie wirklich einen festen Platz, von dem ich sagen konnte: 'Hierher gehöre ich.'. Ich habe viele Veränderungen durchlebt...", Kaiba sah ihn an, "... und meistens waren es Schlimme." Joey öffnete den Mund. "Und wenn man dann einen Ort findet, an dem man sich heimisch fühlt, eine Position erreicht, die man genießt und die man unbedingt beibehalten möchte, dann graut es einem vor weiteren Veränderungen und am liebsten würde man sein Leben führen, ohne sich auch nur auf das Geringste einzulassen. Mit Scheuklappen, den Blick immer nur nach vorn gerichtet, ohne zur Seite abzudriften, verstehst du das?" Joey schwieg. "Wenn man sich an Veränderungen gewöhnt hat, die immer nur Unheil mit sich brachten, dann verliert man irgendwann den Glauben an die, die das Gegenteil bewirken. Und dann lässt man sich auf nichts ein, auch, wenn man vielleicht an gewissen Dingen interessiert ist." "Du...", Joey legte den Kopf schief, "... heißt das..." "Mm." Kaiba verdrehte die Augen. "Um sich vor solchen Veränderungen zu schützen, wird man schnell zu einem Menschen, der nicht das ganze, wahre Wesen darstellt. Man gibt sich als ein anderer aus, als jemand, der etwas von diesem wahren Wesen abweicht." Joey sah aus, als traue er seinen Ohren nicht. Mit großen Augen starrte er Kaiba an. Doch dieser fixierte sich weniger auf seine Miene, sah an ihm vorbei und gestikulierte kurz mit der Hand. "Es gab Tage, an denen ich mich nur verkriechen und mit niemandem sprechen wollte. Stell dir vor, zuerst wollte ich Mokuba sogar von einem privaten Lehrer unterrichten lassen. In meinem Haus, um ihn vor der Außenwelt zu schützen, die, meiner Meinung nach, nur Böses für uns bereit hielt. Ich wollte mich abschotten, gemeinsam mit ihm. Pikotto brachte mich dazu, Mokuba in eine öffentliche Schule zu schicken. Der Anfang war verbunden mit Ängsten und Zweifeln und als ich erkannte, wie er aufblühte, wie er von Freunden erzählte und auch einige mit nach Hause brachte, da kam die Verwirrung. Mokuba hat fast dasselbe erlebt, wie ich und trotzdem ging er mit offenen Armen auf die Welt zu und zeigte schon früher mehr Stärke und Mut, als ich." Stockend drehte Joey das Gesicht zur Seite und biss sich auf die Unterlippe. "Verstehst du, was ich dir damit sagen will, Joseph?" Kaiba lenkte den Blick auf ihn zurück, musterte ihn aufmerksam und erwartungsvoll... und der Blonde schwieg, schien erst einmal mit den Worten fertig werden zu müssen. "Ich war schon immer so, wie jetzt. Ich wusste auch genau, dass es Spaß machen kann, sich mit Freunden zu treffen oder überhaupt welche zu haben. Wenn ich mich gegen solche Vorschläge wehrte, dann nur aus dem Grund, weil ich zu verunsichert war, nicht etwa, weil ich die Menschen nicht leiden konnte. Es gibt viele, die ich mag... ehrlich, das ist so. Ich wollte sie nur nicht an mich heranlassen, weil ich Angst vor negativen Veränderungen hatte. Mir fehlte der Mut, alles auf eine Karte zu setzen, etwas zu wagen." Joey rieb sich die Augen. "Du bist vom Charakter her, immer etwas gewesen, wie ich. Auch schon, als wir uns auf der Highschool trafen, sah ich in dir ein annäherndes Ebenbild, nur ohne diese Beklemmung. Also hatte ich nichts gegen dich in der Hand, außer die Faulheit und die Trägheit, mit der du in den Tag hineinlebtest." "Seto..." Joey verzog das Gesicht und Kaiba atmete tief ein. "Nach der Gerichtsverhandlung, als wir uns in das Hotel zurückgezogen haben... weißt du noch?" "Mm-mm." Joey sank in sich zusammen und nickte. "Ich sagte dir, ich würde dich um deine Offenheit beneiden, um deine Fähigkeit, alles zu sagen, was du denkst, alles zu tun, wonach dir der Sinn steht. Und ich sagte, ich könnte das nicht, aber...", Joey ächzte leise und Kaiba schnalzte mit der Zunge, "... ich könnte es. Ich kann tun und lassen was ich will und hätte kein Problem damit. Das Einzige, was dem im Wege stand, war die Beklemmung. Dass du faul warst, hat mich nicht so sehr gestört, wie ich dir weisgemacht habe." Kaiba legte den Kopf schief und Joey blickte langsam auf. "Der Hauptgrund war wirklich ein ganz anderer." Joey zog die Nase hoch, saß noch immer etwas zusammengerutscht vor ihm. Kaiba nickte, die Worte schienen ihm leicht zu fallen. "Wirklich gehasst habe ich dich eigentlich nie. Es war lediglich die Angst vor Veränderungen, die mich von dir fernhielt." Langsam hob Joey die Hand und streifte sich das Haar zurück. Und dabei wirkte er völlig überfordert. Kaiba lächelte, während er ihn ansah. "Du hast nicht mein Wesen verändert, du hast mich geöffnet, mir gezeigt, dass es auch positive Veränderungen gibt." Endlich trafen sich wieder ihre Blicke. Und während die blauen Augen selbstsicher auf die Braunen gerichtet waren, spiegelte sich in diesen die pure Verwirrung wieder. Sie sahen sich nur kurz an, dann schüttelte Joey den Kopf. Zuerst langsam, dann etwas hektisch. "Ich glaube das nicht", ächzte er und rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. "Warum zur Hölle habe ich es nicht gespürt? Und warum hast du es mir nicht eher erzählt?" "Ich hielt es nicht für nötig." Der Blonde stöhnte. "Du hieltest es nicht für nötig?" Er ballte die Hände zu Fäusten, biss die Zähne zusammen und erwiderte Kaibas Blick vergrämt. "Weißt du, wie ich mich jetzt fühle?" "Joseph." Kaiba rutschte näher zu ihm und schloss ihn erneut in eine feste Umarmung. Der Blonde räkelte sich etwas unwohl. "Du kennst mich doch, du weißt, wie ich bin, was ich mache, was ich will und was weniger. Du hast dir dein Bild von mir gemacht und diese Beichte ändert nichts daran." "Ach, meinst du." Joey rümpfte die Nase. "Ich erfahre, weshalb du dich wirklich von mir fern gehalten hast, all die Jahre. Ich bekomme mit, dass es fast gar nichts mit mir persönlich zu tun hatte und dabei habe ich unter grausamen Schuldgefühlen gelitten, nachdem du mir deine Gründe wie ein Knüppel drübergezogen hast. Ich habe wirklich darunter gelitten und jetzt sagst du mir, dass es nie wirklich daran lag? Dass du das nur zu mir gesagt hast, weil du nicht mit der Wahrheit rausrücken konntest?" "Joooseph..." "Ich verstehe das nicht", jammerte der Blonde weiter. "Du musst doch gewusst haben, was du mir mit solchen Worten antun würdest! Wenn ich dir so ähnlich sein soll, dann musstest du dir dessen einfach bewusst sein und..." Kaiba stöhnte leise. "Warum stöhnst du jetzt?" Joey starrte ihn an. "Du verstehst meinen Standpunkt nicht!" "Und ob ich ihn verstehe." Kaiba schob die Hände in den blonden Schopf, lächelte Joey etwas verschmitzt an. "Aber stell dir vor, ich hätte dir gar nichts gesagt. Dann wäre alles so geblieben, wie es war, wir wären uns weiterhin aus dem Weg gegangen und es hätte sich nie etwas entwickelt. Stattdessen hast du an dir selbst gearbeitet, weswegen ich wirklich stolz auf dich bin. Und kannst du dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe, als ich sah, wie du dich in die Arbeit gestürzt hast? Als ich dich im Lawell antraf, dachte ich, mir bliebe das Herz stehen. Da gab es doch wirklich einen Menschen, der auf mich hörte, der sich meinen Ratschlag zu Gemüte führte." "Du warst gemein zu mir", murrte Joey. "Und das vor mehr als zwei Jahren." Kaiba runzelte die Stirn. "Was bitte, sollte sich denn verändern, nun, da du es weißt?" "Ich...", Joey kratzte sich nervös an der Nase, "... ich... ähm." Das Grinsen des Brünetten vertiefte sich, ein durchtriebener Ausdruck verlieh den blauen Augen Schärfe und Joey stolperte noch immer vor sich hin, suchte nach Worten und starrte nach unten. "Es ist einfach nur verwirrend...", murmelte er, "... ich hätte nie mit so etwas gerechnet und..." Er verstummte, als Kaiba plötzlich die Umarmung löste und ihn flink zurückdrängte. Bevor er sich versah, landete er auf der weichen Matratze und Kaiba schob sich über ihn. Der Blonde regte sich nicht, während Kaiba die Hand zu seinem Gesicht senkte, die Stirn mit den Fingerkuppen streichelte und herausfordernd grinste. "Gib mir noch etwas Zeit, Joseph", flüsterte er und sah den Blonden an. "Gib mir noch etwas Zeit und ich werde annähernd zu deinem Ebenbild." Joeys Augen weiteten sich. Er würgte ein schweres Schlucken hinunter und räkelte sich kurz unter ihm. "Was meinst du?" Langsam senkte Kaiba das Gesicht zu ihm. Die Augen verengten sich keck, während die Hand noch immer durch das blonde Haar wanderte. "Kannst du mich trotzdem lieben?" Joey biss sich auf die Unterlippe, schloss die Augen und atmete tief durch. Ein weiteres "Oh mein Gott." war vorerst das Einzige, was er hervorbrachte. Unter einem unwillkürlichen Räuspern verdeckte er das Gesicht mit den Händen und schüttelte den Kopf. Erneut schnappte er nach Luft, hielt sie kurz an und erzitterte. Seine Schultern zuckten, abgehacktes Keuchen drang an Kaibas Ohren und wieder schüttelte er den Kopf. Er versuchte es zurückzuhalten, tief in seinem Körper einzuschließen. Er hielt die Luft an, biss die Zähne zusammen... und scheiterte. Ein lautes Lachen brach aus ihm heraus, seine Hände fuhren in die Höhe, packten Kaiba und zogen ihn hinab. Schnell trafen die Lippen aufeinander und während Kaiba etwas überrumpelt ächzte, klammerte sich der Blonde an ihn, umarmte ihn fest und küsste ihn stürmisch. Kaiba stützte sich ab, murmelte etwas Undeutliches an seinen Lippen und schaffte es, sich auf die Knie zu hocken. Doch auch dann wurde er nicht losgelassen. Heimtückisch wurde seine Unterlippe mit den Zähnen festgehalten, während die Arme nach ihm schnappten, ihn erneut nach vorn zogen. ~*to be continued*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)