Bill stand auf und sah aus dem Fenster, nachdem Tom aus seinem Zimmer verschwunden war. War war das zwischen ihnen gerade gewesen? Er und Tom hatten sich geküsst. Aber von wem war das ausgegangen? Von ihm? Oder doch von Tom? Warum war es überhaupt dazu gekommen? Und er hatte auch immer noch keine Erklärung dafür, warum er bei ihm im Bett geschlafen hatte. Er seufzte. Ob er es sich mit seinem Bruder jetzt ganz verscherzt hatte? Er ging nach unten, denn sein Magen verlange nach Inhalt. Seine Mutter diskutierte eifrig mit irgendwem am Telefon und sein Stiefvater saß am frisch gedeckten Frühstückstisch. "Na, auch schon wach?" grinste er. Doch Bill zuckte nur mit den Schultern. Nein, wirklich wach konnte er noch nicht sein. Das da oben in seinem Zimmer musste einfach ein weiterer dieser dümmlichen Träume gewesen sein. Nichts anderes. Bestimmt würde gleich Gustav zu Besuch kommen, nachfragen wie es ihm geht... und er würde ein blaues Elefantenkostüm tragen. Und wenn das eintraf, dann könnte er sich sicher sein, zu träumen! Bill liess sich auf einen freien Stuhl fallen und machte sich ein Brot. Nachdem selbiges und zudem noch ein Apfel seinen Weg in seinen Magen gefunden hatten, gings ihm schon etwas besser. Aber irgendwie träumte er wohl immer noch. Als es an der Tür klingelte, musste er innerlich grinsen. Ja, jetzt kam Gustav mit dem Kostüm. Und dann würde er bestimmt endlich aufwachen. Seine Mutter öffnete und herein tappste Gustav. Er hatte irgend einen blauen Stoff auf der Schulter hängen und in den Händen trug er einen blauen Elefantenkopf. Bill sprang auf. "Hab ichs doch gewusst! Haha, ich wusste es. Es kann nur ein Traum sein!" Er hielt sich vor lachen den Bauch und zeigte mit der anderen Hand in Richtung Gustav. Doch als er bemerkte, das er von allen Seiten nur schiefe Blicke erntete, liess er seine Hand wieder sinken und wurde rot vor Scham. "Sohn? Ist alles in Ordnung mit dir?" fragte seine Mutter leicht besorgt. Bill beeilte sich, aufs heftigste zu nicken. "Oja, alles in... bester... Ordnung...!" Zu deutsch: >>Ach du grüne Kacke, ich hab es doch nicht geträumt ò_ó<< Er schnappte sich einen weiteren Apfel und rannte in sein Zimmer. Nicht nur, das es äußerst merkwürdig war, das er fast hellsehen konnte, nein, zu allem Überfluß drängte ihm sich nun die eigentlich völlig überflüssige Frage auf, warum Gustav um Himmels willen mit so einem blauen Elefantendings unterwegs war.
Er setzte sich auf sein Bett und knabberte an dem Apfel. Es machte ihn schier verrückt, diese ganze Sache. Es brachte ihn regelrecht zum durchdrehen. Wenn er gewusst hötte, dass es da jemanden gab, dem es ähnlich erging...
Nach dem Kuss hatte sich Tom in sein eigenes Zimmer zurückgezogen. Er hatte sich auf sein Bett geworfen und sich seitdem keinen Milimeter mehr gerührt. Was zum Teufel war da heute Morgen in ihn gefahren? Wieso hatte er Bill auf einmal geküsst? Verdammt, es war nicht nur irgendein Kerl, es war sein Bruder! Es hatte sich so gut angefühlt.. diese Lippen... diese Zunge... irgendwie so, als ob es total in Ordnung wäre so. Und warum musste es immer so kribbeln, wenn er jetzt an seinen Bruder dachte? Das war doch nicht normal! Er atmete tief ein und aus. Krampfhaft versuchte er sich, und seinen Kopf davon zu überzeugen, das es nicht richtig war, und das es sich ganz und garnicht gut angefühlt hatte. Aber irgendwas in ihm kämpfte dagegen an, das ganze falsch zu finden...
Bill hatte sich wieder etwas gefangen, war nach unten gegangen und Gustav nach Sinn und Zweck des blauen Elefantenkostüms befragt. "Naja, deine Ma will doch mit Kindern so ne Aufführung machen und sie wusste, das wir zuhause noch sowas haben. Und weil ich eh fragen wollte, wie es dir so geht..." Das war der Grund? Bill schlug sich mit der Hand vor den Kopf. Klar, das hätte er sich eigentlich selber denken können und somit seinen Traumgedanken viel schneller als Fake entlarven können. "Und, wie gehts dir?" bohrte Gustav direkt. "Naja... ich glaube, um dir das zu erzählen gehen wir besser rauf..."
"ER HAT WAS?" Gustav kreischte fast schon wie ein Groupie. "Gschd! Nicht so laut!" Gustav sah Bill ungläubig an. "Du meinst wohl DU hast IHN geküsst!" flüsterte er. Bill schüttelte den Kopf. "Nein, er hat mich geküsst, da bin ich mir mittlerweile sogar ziemlich sicher!" - "Aber das kann ich mir irgendwie nicht so ganz vorstellen.. ich meine... Tom... DER Weiberheld... dein Bruder... ausgerechnet DER?" Bill zuckte hilflos mit den Schultern. "Ich weiß es doch auch nicht... aber... vielleicht..." Gustavs Augen wurden größer. "Du denkst doch nicht etwa...?" Bill neigte seinen Kopf und versuchte so hilflos und unschuldig auszusehen, wie nur möglich. "Nein, bitte... das ist nicht dein Ernst!" Aber Bill sagte nichts. Gustav seufzte. Es war schwer, den Zwillingen einen Wunsch abzuschlagen. Wenn nicht gar total unmöglich. Er erhob sich und trottete aus Bills Zimmer. In Toms Zimmer schien es totenstill zu sein. Gustav überlegte, ob er sich vielleicht jetzt einfach davonschleichen sollte. Nachher war er es, der zwischen den Zwillingen stand, was erfahrungsgemäß nicht immer ein besonders gesunder Standpunkt war. Andererseits, was hatte er schon groß zu verlieren? Aus der Band werfen konnte man ihn nicht weil es kaum einen Drummer gab, der die Launen der beiden aushielt. Ausserdem gab es im Moment ja eh keine Band, da Tom ja hingeschmissen hatte. Vielleicht konnte er Tom ja wenigstens dazu kriegen, dass mit der Band zurückzunehmen. Wenn er Glück hatte, würde Tom ihm sogar von selber von der Sache mit Bill erzählen...
Zögerlich klopfte Gustav an Tom's Tür. Doch von drinnen keine Reaktion. Noch einmal klopfte er und es kam erneut keine Antwort. Allerspätestens jetzt hätte er die Biege machen können, aber er hatte beschlossen, mit ihm zu reden. "Tom? Lebst du noch?" fragte er. Nach einiger Zeit hörte man schlurfende Schritte und das ein Schlüssel im Türschloß umgedreht wurde. Die Tür wurde allerdings nicht geöffnet. Stattdesssen hörte man wieder die schlurfschritte. Gustav öffnete selbst die Tür, trat ein, machte sie hinter sich wieder zu und suchte den Raum nach Tom ab. Selbiger lag bereits wieder in seinem Bett, den Kopf in den Kissen vergraben. "Was ist los?" fragte Gustav, immer noch an der Tür stehend. "Du kannst dich auch setzen..." Gustav schnappte sich den Schreibtischstuhl, setzte sich drauf und fragte erneut. "Alles. Alles und nichts." - "Wie?" - "Ist egal. Was führt dich zu mir?" - "Ich wollte dich fragen... wegen der Sache mit dem Ausstieg... ob du das nicht vielleicht doch überdenkst..." - "Mein Gott, Alter!! Das ist jetzt mein geringstes Problem!" Gustav biss sich auf die Unterlippe. Entweder er sprach von dem Kuss oder... "Ist deine Freundin von dir schwanger oder was?" Hysterisch klingendes Gelächter drang aus den Kissen. "Wenns nur das wäre, wenns nur das wäre..." Okay, er sprach von dem Kuss. Soviel stand fest. "Mensch, dann red doch drüber. Dann gehts dir bestimmt besser." Kam das nur ihm so vor, oder versuchte er sich grad daran, wie ein Seelenklempner zu wirken? "Neeeeeee, lass ma... vielleicht nachher. Aber nicht jetzt... nicht jetzt..." Gustav seufzte. "Na toll, und was erzähl ich dem da drüben jetzt?" flüsterte er leise vor sich hin. "Ist mir egal was du dem da drüben sagst. Ich will jetzt alleine sein... wenns geht..." Gustav seufzte erneut. "Na... okay... dann lass ich dich in Ruhe... aber wenn du reden willst..." - "Weiß ich, wo ihre Praxis ist, Herr Dr. Schäfer!" Gustav öffnete die Tür, schloß sie und stand etwas ratlos und verloren im Flur...
