Er saß auf seinem Bett. Warum nur war er gerade so ausgetickt? Was hatte ihn dazu gebracht, so zu reagieren? Meine Güte, wenn er nun jedesmal, wenn Tom's Perle da sein würde, so durchticken würde? "Himmelhergottnocheins, das ist dein Bruder!" schrie er sich selbst an. Zum Glück war keiner zuhause. Den Kopf in die Hände gelegt, schloß er die Augen und dachte nach. Er sah Tom vor sich, sein Lachen, seine sanften braunen Augen, seine zärtlichen Lippen mit diesem Piercing das ihn frech wirken liess... Sein Herz klofte wie wild und in seinem Bauch fühlte es sich an, als wären millionen Schmetterlinge darin unterwegs. Er nahm sein Zimmer kaum noch wahr und legte sich aufs Bett, die Beine herunterbaumelnd, die Augen nach wie vor fest verschlossen. Er fragte sich, ob auch nur irgendjemand annähernd verstehen würde, was er da fühlte. Plötzlich ging die Tür auf. "Hey,..." hörte er die sanfte Stimme seines Bruders. Sofort öffnete er seine Augen und sah ihn vor dem Bett stehen. "Was machst du schon hier? Seid ihr etwa wieder zurück? So schnell?" fragte er. "Naja, ich muss dir was erzählen... ich habs nicht ausgehalten..." Tom sah zu Boden und machte einen Schritt vom Bett weg. Bill bekam große, erwartungsvolle Augen. "Was denn?" "Naja..." Tom errötete leicht. "Ich... ich hab mich in dich verliebt..." Bill streckte die Hand nach seinem Bruder aus. "Hey... nicht schlimm..." "Ehrlich nicht?" "Nein, wirklich nicht..." Tom setzte sich neben seinen Bruder aufs Bett und nahm ihn in den Arm. Bill seufzte. Das tat gut, verdammt gut. Er hatte sich so sehr danach gesehnt. Er und Tom sahen sich in die Augen. Beide kamen sich näher... Bill sehnte sich diesen Kuss mehr herbei als alles andere...
"Wumm!" Bill saß kerzengerade auf dem Bett.
Kein Tom da. War klar. Tom würde nie so direkt auf ihn zugehen und ihm sowas sagen. Konnte nur ein Traum sein. Aber da die Tür geknallt hatte, mussten sie tatsächlich wieder zuhause sein. Er stand auf und machte sich auf den Weg nach unten. Tom rauschte wortlos mit seiner Freundin an der Hand an ihm vorbei. "Hey..." sagte Bill, aber Tom machte nicht die geringsten Anstalten, ihm zu antworten. Also ging er direkt in die Küche, wo er seine Mutter vermutete. Die stand tatsächlich da, tat aber so als würde sie ihren Sohn nicht bemerken. "Mama? Wann ist essen fertig." fragte er, denn er starb halb vor Hunger. Sie gab keine Antwort. "Mama?" fragte er vorsichtig. "Ist doch egal. Mach dir selber was." Man, war die kalt... Er ging zum Tiefkühler, nahm sich eine Pizza raus und stopfte sie in den Backofen. "Hab ich dir erlaubt den Backofen zu benutzen?" fragte sie scharf. "Soll ich eine kalte Pizza essen?" "Musst du unbedingt Pizza essen? Du kannst auch Brot essen..." Warum war sie so verdammt kalt und scharfzüngig zu ihm? "Mama... es tut mir leid... das ich vorhin so ausgerastet bin..."
"Aha... und?" Bill fielen fast die Augen aus. Ein lächerliches "UND?"? Na toll. Er setzte sich an den Tisch und wartete darauf, das seine Pizza fertig wurde. Zehn Minuten später legte er die Pizza auf seinen Teller und wollte damit nach oben in sein Zimmer entschwinden. Doch seine Mutter hielt ihn zurück. "Junger Mann, gegessen wird immer noch hier unten..." Er seufzte und setzte sich. Seine Mutter saß ihm gegenüber und beobachtete ihn. "Hey... ist schon okay, schling nicht so." sagte sie plötzlich mit sanfter Stimme. Wow... sie redete doch normal mit ihm... "Man es tut mir ehrlich leid. Ich hab keine Ahnung, warum ich vorhin so ausgerastet bin..." versuchte er es nochmal. "Ist schon okay, ich weiß zwar auch nicht warum, aber Tom hatte da so eine Vermutung..." Bills Augen wurden schlagartig größer. "Wie...? Was denn?" >>Hoffentlich irgendwas anderes... bitte, lass es irgendwas anderes sein...<< dachte Bill panisch. "Ich weiß es nicht genau. Er hat vorhin nur gesagt, das er eine Vermutung hat, das war alles... Frag ihn doch selbst." sagte sie.
Das wollte er dann auch gleich tun. Nachdem er fertig war mit essen, stapfte er die Treppen hinauf. Unschlüssig blieb er vor Tom's Zimmer stehen. Sollte er da jetzt einfach so reingehen? Er grübelte. Nicht, dass ihm nochmal so etwas passieren würde, wie in der Nacht...
Er klopfte an. "Wer ist da?" hörte er Tom fragen. "Ich bins..." sagte Bill mit leichtem zittern in der Stimme. "Bleib draußen! Und wag es nicht, mich anzusprechen!" zischte es scharf aus dem Zimmer. Bill seufzte und trottete in sein Zimmer. Natürlich, je nachdem was Tom jetzt als Vermutung angestellt hatte, musste er ja so reagieren. Wenn er jetzt in die richtige Richtung dachte, dann hatte er wohl für immer und ewig bei seinem Bruder verschissen. Er schüttelte den Kopf und sah nach draussen. Es war dunkel und kein Stern am Himmel zu sehen. Bill biss sich auf die Unterlippe und sah sich in seinem Zimmer um, eine Antwort auf eine Frage suchend, die er nicht kannte. Jetzt jemanden zum reden haben, das wäre so absolut die Rettung gewesen. Aber mit wem? Wer würde es schon verstehen, wie es ihm ging? Er dachte nach. Viele Leute gab es nicht, mit denen er gut reden konnte. Neben seinem Bruder gab es da eigentlich nur noch Gustav und Georg. Georg schied aus, der hatte im Moment mehr als genug mit sich selbst und seinem Abi zu tun... Aber Gustav... Gusti... mit ihm konnte man eigentlich schon ganz gut reden. Aber... er würde es doch auch nicht verstehen... aber wenn er es vielleicht hinten herum versuchte? Das ganze einfach in eine Geschichte verpackte? Vielleicht ging das ja! Ja, das würde gehen. Ziemlich sicher! Bill sprang auf, lief zum Telefon und wählte die Nummer. Gustav ging sofort ran. "Ja?" "Gusti? Hast du Zeit?" "Ehm... ja... klar doch..." "Gut, ich bin dann gleich bei dir... bis dann..." Er rannte wieder nach oben und holte seine Jacke. Als er an der Haustür ankam, stand seine Mutter davor. "Wohin willst du?" "Ich muss zu Gustav..." "Du musst nirgendswohin. Du kannst Gustav anrufen, das er hierher kommen kann. Aber raus gehts nicht. Du hast Hausarrest." Hausarrest? Normalerweise war ihm das scheißegal. Er war sowieso lieber drinnen, als in diesem Kaff draussen herumzueiern. Aber in diesem Fall war es eigentlich nötig, das er rauskam. "Aber Mama..." Er setzte seinen 'Ich bin doch der artigste und liebste Junge der ganzen Welt'-Blick auf, aber der schien an seiner Mutter abzuprallen. "Nichts aber. Du rufst Gustav an und sagst ihm, das er hierherkommen soll, wenn es dir denn so wichtig ist. Ansonsten sag ihm ganz ab." Bill liess den Kopf hängen und trottete zum Telefon, wo er Gustav's Nummer erneut wählte. Seine Mutter beobachtete ihn, und bekam fast schon wieder Mitleid. In letzter Zeit hatte Bill eh schon so traurig ausgesehen und keinen besonders fröhlichen Eindruck gemacht. Und jetzt würgte sie ihm immer wieder Stückchenweise etwas rein. Aber sie musste irgendwie auch hart bleiben. Er hatte sie angeschrien. Und Strafe muss sein.
"Klar kann ich vorbei kommen, kein Problem..." Gustav hörte sich besorgt an und versprach, sich direkt auf den Weg zu machen. Keine ganzen zehn Minuten später war er da. Er grüßte die Mutter der Zwillinge und folgte Bill dann in sein Zimmer, wo Bill sich aufs Bett fallen liess, während Gustav es sich auf dem Boden mit 2 Kissen gemütlich machte.
"Und? Wo drückt der Schuh?" fragte Gustav. Seufzen. "Na sag schon." Erneut seufzen. "Es ist... schwer zu erklären..." fing Bill an. "Na, wenn du erstmal den Anfang hast..." Bill nickte. "Jaja... also, pass auf... ne Bekannte... die hat ne Schwester. Ist bisschen älter als sie selbst." Bill pausierte. "Ja, soweit versteh ich das. Und weiter?" "Also... sagen wir mal so, die Bekannte hat sich in ihre Schwester verliebt..." Gustav bekam große Augen. "Bitte was?" Er sah Bill leicht verwirrt an, dann wieder mitfühlend und verständnisvoll. "Naja... also sie hat mir das halt so erzählt. Und sie hat voll die Probleme damit sie hat sich nicht mehr unter Kontrolle. Sie wird viel zu schnell aggressiv, mault alles und jeden an, streitet sogar mit ihren Eltern obwohl sie mit denen immer gut auskam..." "So wie bei dir und Tom..." unterbrach Gustav ihn. Für einen kurzen Schreckensmoment sog Bill die Luft ein. "Ja, fast so wie bei uns..." Beim Gedanken an seinen Bruder musste er unwillkürlich etwas lächeln. "Mh... das ist eine Scheiß-Situation. Vor allem da sowas ja nicht erlaubt ist..." Tiefes ein und ausatmen. "Und? Wie soll es jetzt weitergehen?" setzte Gustav nach. Bill zuckte mit den Schultern. "Ich hab gedacht, das du mir da vielleicht eine Antwort darauf geben würdest..." Gustav schüttelte den Kopf. "Nein, direkt helfen kann ich dir da so nicht. Wie lange ist das denn jetzt schon so?" "Bestimmt ein paar Wochen..." "Na dann warte doch einfach erstmal ab. Ich mein, es ist schwer und lästig das mit sich rumzutragen. Aber kann ja sein, das du in ein paar Wochen anders empfindest. Ausserdem hast du's ja jetzt zumindest bei mir rausgelassen. Was dich ja ein Stück weit erleichtern sollte." Bill's Mund stand offen. Wie jetzt? Er hatte doch gar nichts von sich selbst erwähnt. Wie kam Gustav jetzt darauf? "Ich weiß, ich weiß. Du hast nichts gesagt. Aber du bist in der Hinsicht schon immer leicht zu durchschauen gewsen." sprachs und hatte ein Kopfkissen an den Kopf bekommen. "Hey, wie gesagt. Sei froh das du's jetzt losgeworden bist." kicherte Gustav. Und bekam prompt wieder ein Kissen ins Gesicht. "Ich finde das nicht besonders lustig!" grummelte Bill und nahm sich bereits des nächsten Wurfgeschosses an. Doch bevor er selbiges werfen konnte, ging die Tür auf und Tom stand im Zimmer...
